Clans of London: Band 1&2 der romantischen Fantasy-Reihe im Sammelband - Sandra Grauer - E-Book

Clans of London: Band 1&2 der romantischen Fantasy-Reihe im Sammelband E-Book

Sandra Grauer

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Beschreibung

***Die komplette Reihe in einer Ebook-Gesamtausgabe zum unwiderstehlichen Vorteilspreis!*** Als Caroline Ash kennenlernt, ahnt sie nicht, dass ihr Leben schon bald in seinen Händen liegen wird. Denn Ash ist ein Magier und Caroline eine Hexe. Eine Hexe, deren Magie nie aktiviert wurde – und das wird sie an ihrem 18. Geburtstag das Leben kosten. Während Caroline und Ash alles daransetzen, dieses Schicksal durch ein magisches Ritual abzuwenden, kommen sie sich immer näher. Doch dann erfährt Caroline, dass die beiden mächtigsten Hexenclans von London Jagd auf sie machen … Dieses Ebook-Bundle enthält die folgenden Bücher: Clans of London, Band 1: Hexentochter Clans of London, Band 2: Schicksalsmagie

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Seitenzahl: 1015

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2020 Clans of London, Band 1: Hexentochter© 2019 Ravensburger VerlagText © 2019 by Sandra GrauerClans of London, Band 2: Schicksalsmagie© 2020 Ravensburger VerlagText © 2020 by Sandra GrauerDieses Werk wurde vermittelt durch die litmedia.agency, Offenburg.Umschlaggestaltung: Katharina Netolitzky unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock/FashionStock und © Shutterstock/viewgeneAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-47253-6

www.ravensburger.de

Widmung

Für Niklas und für Christian

Für die beste Agentin aller Zeiten

Die Prophezeiung Merlins

Ein Kind, mächtig und gefahrvoll,

der beiden größten Stämme Spross,

beschenkt mit Kräften übervoll,

einst freigesetzt, wüt’ Todes Ross.

Wenn fünfmal zehn der Eltern Zahl,

vom heut’gen Tage an,

erblickten Mondes Lichte fahl,

nichts sie mehr halten kann.

Im Streite ungeschlagen Vaters Stamm,

ertönet dann fataler Schall

vom Ufer hoch zu Sieges Damm,

der Tochter Feuer verrät all.

Verfolgt von Kreuzes Macht,

Väter vergießen Söhne Kraft,

Bruder Bruder töt’ in Zwietracht,

sodann end’t dero Vorherrschaft.

Von den alten Stämmen zwei,

die teilten sich die Welt,

wird besteh’n nur einerlei,

wenn einst das Urteil fällt.

Kapitel 1

»Warum bin ich noch mal hier?« Ich musste schreien, damit Megan mich über den ganzen Lärm hinweg überhaupt verstand.

Sie verdrehte die Augen. »Jetzt mach dich mal locker, Caroline. Es wird dir schon nicht schaden, ein wenig Spaß zu haben.«

»Wenn du meinst.« Nur dass ich keinen Spaß hatte. Es war eher das Gegenteil der Fall. Wummernde Musik aus den 90ern, flirrendes Licht, schlechte Luft, die Menschenmassen … Direkt neben uns stand eine Gruppe grölender Jungs, synchron kippten sie einen weiteren Tequila. Einer von ihnen leckte Salz vom Dekolleté eines Mädels, die Zitrone hatte es im Mund. Hier drin roch es nach Zigarettenqualm, Parfüm und Schweiß. Das alles mischte sich zu einem widerlichen Geruchsbrei. Allmählich wurde mir das Ganze zu viel, aber das würde Megan nicht verstehen. Sie war durch und durch ein Partygirl und damit das komplette Gegenteil von mir.

»Ja, ich meine. Wann bist du das letzte Mal weg gewesen, hm?«

»Ich bin so gut wie jedes Wochenende weg«, protestierte ich.

»Die Arbeit im Hound Dog zählt nicht.«

Ich zuckte nur mit den Schultern, doch Megan war bereits anderweitig beschäftigt. Sie starrte einen Jungen an, der gerade an die Bar kam. »Schau mal, ist der nicht süß? Wir haben ein paar Kurse zusammen und sehen uns immer wieder auf Partys. Ich hab dir schon mal von ihm und seinem Freund erzählt. Henry? Harry? Irgendwas in der Art.«

Unauffällig betrachtete ich ihn. Er sah wirklich ziemlich gut aus. Dunkelhäutig, kurze braune Haare und tiefbraune Augen. Er fing unsere Blicke auf und kam lächelnd zu uns herüber.

»Hi, kennen wir uns nicht aus dem College?«, fragte er an Megan gewandt. Er musste ebenfalls schreien. Eine vernünftige Unterhaltung war hier kaum möglich, aber vermutlich kamen auch die wenigsten zum Plaudern her.

Megan setzte ein verführerisches Lächeln auf und warf ihre pechschwarzen Haare nach hinten über die Schulter. »Ich bin Megan, und du warst … Henry, oder?«

»Henri«, korrigierte er, indem er den Namen französisch aussprach.

»Henri?«, fragte ich interessiert. »Kommst du aus Frankreich?«

Er lachte. »Meine Familie ist aus Haiti beziehungsweise Jamaika. Was ist mit dir? Brasilien?«

Die Frage hörte ich nicht zum ersten Mal. Megan, die eher der blasse Typ war, beneidete mich immer um mein brasilianisches Aussehen mit dem cappuccinofarbenen Teint, den schokoladenbraunen Augen und den dunkelbraunen Locken. Trotzdem hatte ich keine Antwort parat. Ich ignorierte das leere Gefühl in mir und versuchte zu lächeln. »Waschechte Engländerin. Caroline, freut mich.«

»Caroline ist meine Mitbewohnerin«, erklärte Megan.

Zwei Mädchen kamen an die Bar gestolpert, eines von beiden verlor das Gleichgewicht. Das Bier aus ihrem Becher schwappte hoch und ergoss sich direkt über meine Schuhe. Das Mädchen schien es nicht mal zu bemerken, es kicherte einfach weiter.

»Wir haben noch einen Tisch ergattert«, meinte Henri. »Wollt ihr euch vielleicht zu uns setzen? Da ist es ein bisschen ruhiger.«

»Gern«, antwortete Megan, ohne mich zu fragen.

Aber was hätte ich auch sagen sollen, ohne als Spielverderberin dazustehen? Der pochende Schmerz hinter meinen Schläfen wurde allerdings immer schlimmer. Lange würde ich es nicht mehr aushalten. Mein Herz nahm denselben Rhythmus an wie der wummernde Bass, es schlug viel zu schnell.

»Wollt ihr was trinken?« Henri sah von Megan zu mir.

Ich schüttelte den Kopf und zeigte auf mein noch fast volles Glas Cola.

Megan hingegen leerte schnell ihren Cocktail. »Ich nehm noch einen Caipi.«

»Gute Wahl.« Henri zwinkerte ihr zu und bestellte die Getränke, als der Typ hinter der Bar ihn endlich registrierte.

Zum Glück war im Hound Dog selbst an den besten Tagen nicht so viel los wie hier auf dieser Studentenparty, sonst hätte ich mir einen anderen Job suchen müssen.

Nachdem der Caipirinha, das Bier und der Cuba Libre endlich fertig waren, folgten Megan und ich Henri durch das dichte Gedränge. Erfolglos versuchte ich, nicht allzu viele Ellenbogen und Fußtritte abzubekommen.

Megan drehte sich zu mir um. »Henry hat einen ganz süßen Freund, vielleicht wär der was für dich.« Ich verdrehte die Augen, und das nicht nur, weil Megan Henris Namen weiterhin Englisch aussprach. Seinem Freund war ich noch nie begegnet, aber das, was Megan mir von den Partys erzählt hatte, reichte. »Meinst du etwa diesen Cash oder wie auch immer der heißt? Nein danke.«

Trotz des Lärms hörte ich sie tief seufzen. »Du sollst ihn ja nicht gleich heiraten. Es reicht doch, wenn du dich mal wieder ein bisschen amüsierst. Und glaub mir, dafür ist Ash genau der Richtige. Da oben sitzt er.« Mit dem Kopf deutete sie zum erhöhten Bereich in der hinteren Ecke, wo die runden Tische standen.

Ich folgte ihrem Blick und betrachtete eine Blondine mit knappem Outfit und roten Fingernägeln, die heftig mit ihrem Gegenüber flirtete. Sie stand direkt vor einem Kerl, beugte sich nach vorne. Wäre ihr Top noch weiter ausgeschnitten, würde jetzt alles herauspurzeln, aber so gab sie immerhin den Blick auf ihn frei. Schlecht sah er nicht aus. Die Jeans, das weiße T-Shirt und die Lederjacke betonten seine durchtrainierte Figur. Genau der Typ, auf den die meisten Mädels flogen. Die meisten.

Seine dunkelblonden Haare hingen ihm wirr in die Stirn, er war groß und sportlich. Nun lächelte er der Blondine zu und sagte irgendwas, wobei er ihr kurz dreist in den Ausschnitt sah. Er stand auf, legte ihr einen Arm auf den Rücken, dann sah er zu uns hinüber. Seine Augen hefteten sich auf mich, so lange, dass mir sein Blick allmählich unangenehm wurde. Er sagte etwas zur Blondine, ohne mich aus den Augen zu lassen. Enttäuscht rauschte sie auf ihren High Heels an uns vorbei. Er musterte mich nach wie vor, während wir uns bis zum Tisch vorarbeiteten, aber ich würde ganz bestimmt nicht als Erste wegsehen. Nun bemerkte ich das Grübchen in seinem Kinn, seine unverschämt blauen Augen – blau wie ein See im Winter. So eine intensive Farbe hatte ich selten gesehen.

Henri schob seinem Freund den Cuba Libre über den Tisch. »Mädels, das ist mein Kumpel Ash. Ash, du erinnerst dich vielleicht an Megan, und das hier ist ihre Freundin Caroline. Setzt euch.«

Megan schnappte sich den Stuhl neben Henri. Die beiden waren bereits wie wild am Flirten, noch ehe ich neben Ash Platz nahm. Ich atmete tief aus und rieb mir über die Stirn. Eine ausgewachsene Migräne war im Anmarsch und ließ sich nicht mehr aufhalten.

»Bisher findest du den Abend wohl nicht allzu gelungen, was?«, fragte Ash.

Ich verdrehte die Augen. »Lass mich raten: Mit dir wird sich das ändern.«

Er lehnte sich über den Tisch. »Vermutlich nicht. Ich bin einer von der Sorte, die dir am nächsten Morgen das Herz bricht.«

Ehrlich war er ja. Obwohl ich Aufreißertypen nicht mochte, schmunzelte ich. Eine Weile war nur Megans Geflirte zu hören und natürlich die grauenhaft laute Musik. Whigfields Saturday Night ging in Iliketomoveit über, die Menge flippte völlig aus. Und nun gab es passend zum Rhythmus auch noch eine Lightshow. Nebel waberte durch den niedrigen Raum und machte die Luft noch schlechter, als sie ohnehin schon war. Bunte Scheinwerfer schwenkten über die Menge hinweg.

Ash verzog den Mund zu einer Grimasse. »Das grenzt an Körperverletzung. Die Musik war schon in den 90ern schlecht.«

»Stimmt, allerdings finde ich diese Lightshow noch schlimmer.«

Ash grinste. »Ja, und der ganze Lärm erst.«

Ich verdrehte erneut die Augen. Fast gleichzeitig griffen er und ich nach unseren Getränken. Aus Versehen visierten wir dasselbe Glas an, obwohl er Rum mit Cola hatte und ich sie pur trank. Unsere Finger berührten sich. Ein elektrischer Schlag durchzuckte mich, Funken stoben in die Luft, lilafarbene und blaue. Was passierte hier? Jetzt bildete ich mir schon Funken ein, die gar nicht da waren oder zur Lightshow gehörten. Hastig zog ich meine Hand zurück, sie fühlte sich seltsam an. Ash hatte einen Moment ebenso überrascht gewirkt wie ich, nun ruhten seine Augen auf mir. Schließlich schob er mir mein Glas über den Tisch entgegen und griff nach seinem. Ich nahm einen großen Schluck. Immer wieder blickte Ash zu mir, er sah nachdenklich aus. Was ihn wohl beschäftigte? Aber im Grunde war es mir ziemlich egal. Ich strich mir über die Schläfen. Was war nur los? Die Kopfschmerzen an sich waren nicht ungewöhnlich, deshalb mied ich solche Partys normalerweise, aber heute war es noch schlimmer als sonst. Das Pochen hinter meiner Stirn war einen Moment so stark, dass mir schlecht wurde. Das musste an der ohnehin völlig überflüssigen Showeinlage liegen, denn die Studenten hatten schon so viel Bier intus, dass sie auch ohne Lightshow ausgeflippt wären.

Henri stand auf und nahm Megan an der Hand. Ich zog die Stirn kraus, ein stechender Schmerz durchfuhr mich wie ein Blitz. Das hätte ich besser gelassen. Wo wollte Megan hin? Schließlich war ich nur wegen ihr mitgekommen. Doch sie winkte bloß kurz und mischte sich mit Henri unters Partyvolk.

Ash nickte Richtung Tanzfläche. »Wie sieht’s aus, du und ich?«

Ich ignorierte die Schmerzen hinter meiner Stirn. »Wie wär’s, wenn wir das Ganze abkürzen? Du willst doch eigentlich gar nicht tanzen, und ich will nicht mit dir ins Bett.«

Ash lachte leise. Er beugte sich näher zu mir und sah mir für meinen Geschmack viel zu tief in die Augen. »Bist du sicher?«

»Bin ich. Sag mal, hast du was im Auge, oder warum blinzelst du die ganze Zeit so?«

Ruckartig lehnte er sich zurück, betrachtete mich eine Weile nachdenklich mit verschränkten Armen. Ich nippte an meiner Cola und tat so, als würde ich es nicht bemerken.

»Warum bist du hier, wenn du nicht hier sein willst?«, fragte Ash irgendwann.

»Das frag ich mich auch.« Ich stieß die Luft aus. »Megan hat mich überredet. Du weißt schon, Spaß haben und so.«

Er schüttelte den Kopf. »Funktioniert ja wunderbar.«

»Ich bin halt einfach nicht der Partytyp«, antwortete ich schulterzuckend. Die Lightshow hatte endlich ein Ende, aber dafür setzte nun das Stroboskop ein. Die Kopfschmerzen waren kaum mehr zum Aushalten. »Weißt du, wo Megan ist?«

Ashs Augen suchten wie meine die Menge nach Megan und Henri ab. Endlich fand ich die beiden, heftig knutschend. Auch das noch. Ich schloss die Augen, aber das Stroboskoplicht konnte ich trotzdem nicht ausblenden. Ich stand auf.

»Also ich würde die beiden jetzt nicht stören«, meinte Ash mit amüsierter Stimme.

»Bin gleich wieder da«, murmelte ich. Ich schwankte, stieß mit der Hüfte gegen den Tisch. Na super, nun dachte Ash bestimmt, dass ich betrunken war. Aber egal. Sollte er denken, was er wollte.

»Du bist ziemlich blass. Alles okay?«, fragte er ernst.

»Klar«, erwiderte ich und bahnte mir einen Weg durch die Menge zu den Toiletten. Ausgerechnet in diesem Moment spielte der DJ auch noch Cotton Eye Joe. Einige Schlaue hakten sich trotz des Gedränges unter und wirbelten durch die Gegend. Ein Paar stieß lachend gegen mich. Nur mit Mühe konnte ich mich auf den Beinen halten.

Wie in Trance steuerte ich die Toiletten an. Die Schlange vor dem Damenklo war elend lang, aber ich sah offensichtlich so schlecht aus, dass mich die anderen Mädels ohne Protest vorgehen ließen. Ich betrat den weiß gekachelten Raum. Hier war die Luft fast noch dicker als in der Disco. Der typische Klogeruch mischte sich mit süßlichem Parfüm. Eine Horde Mädchen stand kichernd vor den Waschbecken und zog sich die Lippen in sämtlichen Pinkvariationen nach.

Mir war so übel, dass ich befürchtete, mich an Ort und Stelle übergeben zu müssen. Glücklicherweise wurde in diesem Moment eine Kabine frei. Ich stolperte hinein, schloss mit letzter Kraft die Tür hinter mir und übergab mich in die alles andere als sauber aussehende Schüssel.

Schwer atmend lehnte ich mich gegen die Tür und wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Ich verstand das nicht. So schlimm waren meine Migräneanfälle doch sonst nicht.

Ein Mädchen verzog angewidert das Gesicht, als ich kurz darauf zu den Waschbecken stolperte und mir kaltes Wasser ins Gesicht spritzte.

»Wie wär’s mal mit weniger trinken?«, meinte sie. Es war die Blondine, die kurz zuvor mit Ash geflirtet hatte.

»Kennst du die etwa, Amber?«, fragte ein braunhaariges Mädchen.

Amber verzog das Gesicht. »Zum Glück nicht.« Dann verließ sie kopfschüttelnd mit der Braunhaarigen den Waschraum.

Ich blendete alles um mich herum aus und starrte in den schmierigen Spiegel über dem Waschbecken. Ich war trotz meines dunklen Teints extrem blass und sah aus wie ein Zombie. Das war mir allerdings egal, mir war immer noch hundeelend. Ich musste nach Hause und meine Triptane nehmen. Die Beine gaben fast unter mir nach, als ich mich Richtung Ausgangstür bewegen wollte. Schnell klammerte ich mich wieder am Waschbecken fest. Ich gab es nicht gerne zu, aber ich brauchte Hilfe. Wie kam ich jetzt am besten zu Megan? Da ertönte auf einmal eine angenehm tiefe Stimme.

»Alles gut, Mädels, ich muss nur mal schnell nach meiner Freundin sehen. Ignoriert mich einfach.«

Ash! Er sollte mich nicht so sehen, aber es war zu spät, denn er steuerte bereits auf mich zu und legte mir eine Hand auf den unteren Rücken. Unsere Blicke trafen sich im Spiegel.

»Was ist los, Caroline? Du siehst schlimm aus.« Seine Stimme klang nun nicht mehr flirtend wie kurz zuvor, sondern ernst und besorgt.

»Migräne«, presste ich hervor. »Kannst du Megan holen?«

Doch Ash hatte bereits meinen Arm um seine Schulter gelegt. »Das dauert viel zu lange, bis ich die jetzt gefunden hab. Sie und Henri haben sich ein stilles Plätzchen gesucht. Ich bring dich nach Hause.«

»Aber …«

»Keine Widerrede. Und jetzt komm.«

Vorsichtig bugsierte er mich aus der Toilette. Einige Mädels warfen mir skeptische Blicke zu, so als ob sie sich fragten, was so einer wie Ash mit einer wie mir wollte. Gerne hätte ich etwas zu ihnen gesagt, aber mir fehlte die Kraft dazu.

Im Vorraum der Disco schob Ash mich auf die unbequeme Holzbank. »Hast du eine Jacke? Ist der Abholschein hier drin?« Er hielt den Arm hoch, an dem meine schwarze Tasche baumelte.

»Ich hab keine Jacke dabei.«

Ash überlegte einen Moment. »Warte kurz hier.«

Ich nickte und konzentrierte mich auf meine Atmung. Für gewöhnlich ging es mir bei Migräneanfällen zumindest ein kleines bisschen besser, nachdem ich mich übergeben hatte, aber heute war das nicht der Fall. Mir war nach wie vor übel, und mein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich zerplatzen.

Kurz darauf kam Ash zurück. Wortlos reichte er mir ein Glas Wasser. Dankbar nahm ich ein paar Schlucke, während er mir in seine Jacke half. Sie roch nach Leder und ihm, auf Parfüm hatte er zum Glück verzichtet. Nur ein Hauch von Aftershave umgab ihn. Wieder legte er meinen Arm um seine Schulter, dieses Mal protestierte ich nicht. Er führte mich nach draußen an die frische Nachtluft. Die Abkühlung tat gut, das Dröhnen der Musik wurde leiser.

Wir ließen das Gebäude hinter uns, aber nur ein paar Meter weiter lungerten einige Raucher herum. Der Tabakrauch stieg mir in die Nase, die Übelkeit verstärkte sich wieder. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es zu dem Gebüsch ein paar Schritte weiter und übergab mich erneut. Jemand hielt mir die Haare aus dem Gesicht, vermutlich Ash. Er reichte mir ein Taschentuch. Wenn es mir nicht dermaßen dreckig gegangen wäre, hätte ich mich in Grund und Boden geschämt. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so hilflos gefühlt. »Tut mir leid«, murmelte ich.

»Soll ich dich nicht lieber ins Krankenhaus bringen?«, fragte er.

Ich deutete ein Kopfschütteln an. Wenn ich einen Migräneanfall hatte, konnte mir nichts und niemand helfen, ich war dem Schmerz ausgeliefert. Was ich nicht schon alles ausprobiert hatte: verschiedene Tees, Pfefferminzöl, Massage. Nichts half, nicht einmal Kopfschmerztabletten oder richtige Migränemittel. Sie machten es lediglich ein wenig erträglicher. Wenn es so weit war, blieb mir nichts anderes mehr übrig, als mich in einen dunklen Raum zurückzuziehen und abzuwarten, bis es vorbei war. Ich hasste es. In solchen Momenten konnte ich nichts denken und nichts fühlen – außer dem Schmerz.

Ash seufzte. »Na schön. Wo wohnst du? Soll ich uns ein Taxi rufen?«

»Arlington Road«, antwortete ich matt.

Die Straße lag nicht weit entfernt von der Camden High Street, wo wir uns im Moment befanden. Deshalb fragte Ash: »Kannst du laufen? Soll ich dich tragen?«

Ich schluckte gegen eine erneute Welle der Übelkeit an. »Bloß nicht«, presste ich hervor. Und wenn ich nach Hause kriechen musste – von Ash würde ich mich unter keinen Umständen tragen lassen. Ich wollte ihn überhaupt nicht an meiner Seite haben. »Geh wieder zu deiner Blondine, ich schaff das allein.«

Er schnaubte und legte kommentarlos meinen Arm um sich. Dann half er mir durch die dunklen Straßen Londons, die auch weit nach Mitternacht noch voll mit Studenten und anderem Partyvolk waren. Obwohl wir wirklich nur ein paar Minuten gehen mussten bis zu Megans und meiner Wohnung, kam es mir vor wie eine Ewigkeit.

»Hausnummer?«, wollte Ash wissen.

Ich zeigte auf das Haus ein paar Schritte weiter vorne, dessen untere Hälfte weiß getüncht war, während die obere Hälfte aus hellbraunen Backsteinen bestand. Mit letzter Kraft zog ich mich an dem schmiedeeisernen Geländer die vier Stufen zur lila gestrichenen Haustür hoch. Ash hatte meine Tasche bereits geöffnet, doch ich nahm sie ihm ab und kramte nach meinem Schlüssel. Es war dunkel, die nächste Laterne stand einige Schritte entfernt, und so fand ich das Schlüsselloch nicht sofort. Erneute Übelkeit kroch in mir hoch, ich musste mich am Türrahmen festhalten. Sanft aber bestimmt nahm Ash mir den Schlüssel aus der Hand und schloss die Haustür auf. Das grelle Licht im Hausflur ging automatisch an, ich zuckte zusammen. Ash half mir die steilen Stufen nach oben und schloss auch die Wohnungstür im ersten Stock auf. Mit leichtem Druck schob er mich in die Wohnung, das Licht ließ er aus. Nett von ihm. Im Dunkeln tastete ich mich den Flur entlang zu meiner Zimmertür.

»Danke«, sagte ich zu Ash, doch so schnell ließ er sich nicht abwimmeln.

Er half mir zum Bett, und obwohl ich protestierte, zog er mir Sneakers und Lederjacke aus und deckte mich zu. Er verschwand, und ich wartete schon auf das Zuschlagen der Wohnungstür, doch stattdessen rumorte es erst im Flur, dann in der Küche. Kurz darauf kam Ash zurück in mein Zimmer. Er stellte ein Glas Wasser auf meinem Nachttisch ab und zog die nachtblauen Vorhänge vor dem Fenster zu, um den Mond und das Licht der Laterne auszusperren. Nun war es nahezu stockdunkel in meinem Zimmer.

»Kommst du allein klar?«, fragte er.

Meine Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt, und so erkannte ich nicht einmal seine Umrisse, aber er konnte nicht weit von meinem Bett entfernt stehen. »Ich komme immer allein klar«, antwortete ich, fügte dann aber noch ein leises »Danke« hinzu.

Er zögerte ganz kurz, das spürte ich. »Du bist mir noch einen Tanz schuldig. Mach’s gut, Caroline.«

Ich hörte die Schritte, die sich entfernten, die Zimmertür, die er leise zuzog, und schließlich das Klicken der Haustür. Seufzend tastete ich nach meinen Tabletten, die immer auf meinem Nachttisch lagen, nahm eine und ließ mich matt in die Kissen sinken. Die Bettwäsche roch unerträglich nach Lavendel. Megan hatte mal wieder den Weichspüler verwendet, obwohl ich ihr schon so oft gesagt hatte, dass mir der Duft zu intensiv war.

Ich schloss die Augen, alles um mich herum begann sich zu drehen, das Blut pochte hinter meinen Schläfen. Nach einer Ewigkeit driftete ich endlich ganz langsam in den Schlaf.

»Da bist du ja«, sagte ein Mann. »Ist dir etwas aufgefallen?«

Er saß in einem breiten Sessel in einer Art Salon mit rotem Teppichboden, Gemälden an den Wänden, einem Kamin. Von der hohen Decke hing ein Kronleuchter, der allerdings nicht brannte. Der Mann trug eine bordeauxrote Kutte mit einer Kapuze, die er so tief ins Gesicht gezogen hatte, dass nicht einmal seine Augen zu erkennen waren. Seiner Stimme nach musste er jedoch schon älter sein, auch wenn sie nur wie durch einen Nebel zu hören war.

Jemand setzte sich ihm gegenüber auf das Sofa, der nur von hinten zu sehen war. Er trug keine Kutte, sondern ein weißes T-Shirt. So konnte man die durchtrainierte Figur und die dunkelblonden Haare erkennen. Er war noch relativ jung. Nun schüttelte er den Kopf. »Zumindest nichts Ungewöhnliches. Vom Lecourt-Clan war jemand auf der Party.«

»Vielleicht gehört die Signatur, die uns aufgefallen ist, tatsächlich zu ihm.« Ein dritter Mann sprach, doch er war nirgends zu sehen. Er musste am Kamin stehen.

»Möglich«, antwortete der ältere Mann. »Aber das halte ich für unwahrscheinlich. Warum hat unser System sonst vorher nie Alarm geschlagen? Wir sollten auf jeden Fall die Augen offen halten.«

Ich schreckte hoch. Es musste mitten in der Nacht sein. Der Traum verblasste langsam, dabei war er deutlicher gewesen als jemals zuvor. Vor allem die vertraute Männerstimme …

Die Wohnungstür fiel ins Schloss, jemand kicherte leise. Davon war ich also aufgewacht. Offensichtlich war Megan nach Hause gekommen, und offensichtlich war sie nicht allein, denn sie flüsterte mit jemandem. Henri?

Doch bevor ich den Gedanken richtig zu fassen bekam, war ich auch schon wieder eingeschlafen.

Kapitel 2

»Kann ich noch ein Bier haben?«

»Für mich bitte auch.«

»Kommt sofort«, erwiderte ich den beiden Männern, die am Ende der langen Theke saßen.

Ich mochte die Arbeit im Hound Dog. Das Licht war nicht so hell, die Musik nicht so laut. Und obwohl zu uns hauptsächlich Studenten und junge Pärchen kamen, ging es fast immer gesittet zu. Mittags kamen sie her, um zwischen den Vorlesungen ein Sandwich zu essen oder sich mit Koffein vollzupumpen, abends gab es Fish and Chips und Bier. Das war auch das Einzige, was man bei uns zu essen bekam: Fingerfood. Mir war das nur recht, denn es war einfacher zu servieren, aber vor allem strömten nicht dauernd die unterschiedlichsten Essensgerüche durch den Raum. Es roch nach frittiertem Fett und fertig, und obwohl ich auch diesen Geruch nicht besonders mochte, hatte ich mich inzwischen daran gewöhnt. Außerdem hatte die Café-Bar genau die richtige Größe, um genug zu tun zu haben, an vollen Tagen aber auch nicht in Stress zu verfallen. Normalerweise, denn heute scheuchten mich die Gäste schon die ganze Zeit über durch die Gegend.

Ich mixte erst einmal zwei Tequila Sunrise fertig und brachte sie zu den beiden Studentinnen, die sich einen Tisch im hinteren Bereich des HoundDog ausgesucht hatten. Als ich die Bestellung aufgenommen hatte, hatte nur ein Mädel dort gesessen, nun war auch das zweite da. Die blonden Haare und roten Fingernägel machten mich stutzig. Ein Blick in das Gesicht ließ dann keinen Zweifel mehr zu. Das war Amber, die Blondine von der Studentenparty. Sie trug ein extrem knappes Kleidchen, sodass man ziemlich viel von ihren gebräunten Oberschenkeln sehen konnte. Von der Londoner Sonne hatte sie die Bräune bestimmt nicht, denn der Frühling war ziemlich verregnet gewesen, und der Sommer fing gerade erst an. Zumindest, wenn man dem Kalender glauben durfte.

Sie musste zweimal hinsehen, aber dann erkannte auch sie mich. Die Missbilligung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. »Du! Ich hoffe, du hast nichts Ansteckendes.«

»Migräneanfall«, erklärte ich mit einem zuckersüßen Lächeln, obwohl ich ihr keine Rechenschaft schuldig war. »Ash war so lieb und hat mich nach Hause gebracht.« Das konnte ich mir einfach nicht verkneifen.

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür, und Ash kam herein. Sein Blick richtete sich auf mich, und ich konnte nicht anders, als zurückzustarren. Bilder von Freitagnacht zogen an meinem inneren Auge vorbei, wie ich mich ins Gebüsch übergeben hatte und dann wie eine Betrunkene nach Hause getorkelt war. Oh Gott, war das peinlich. Niemand sollte mich so sehen, und ausgerechnet Ash hatte alles hautnah mitbekommen. Noch mehr ärgerte mich allerdings, dass mir das Ganze überhaupt peinlich war. Normalerweise war es mir egal, was andere dachten.

»Entschuldigung, können wir vielleicht noch was bestellen?«, rief mir ein junger Kerl leicht genervt zu.

Fast gleichzeitig sprang Amber voller Enthusiasmus auf. »Na endlich!«

Ich wandte meinen Blick von Ash ab und ging zu dem runden Tisch in der Mitte, um eine weitere Bestellung aufzunehmen und die leeren Cappuccinotassen abzuräumen.

»Kommt unser Bier heute noch?«, fragte einer der beiden Männer an der Theke, als ich mit dem dreckigen Geschirr in den Händen zurückkam.

»Ja, klar«, antwortete ich. »Tut mir leid.«

Genervt sah ich mich nach Megan um, immerhin war ich hier heute nicht die einzige Kellnerin, doch sie schien noch im Lager zu sein. Währenddessen flirtete Ash nicht nur mit Amber, sondern auch mit dem anderen Mädel. Sein Blick streifte mich, und ich sah schnell weg, um mich um das Bier zu kümmern. Ich öffnete zwei Flaschen Ale und schob sie den Männern über den Tresen zu. Dann bereitete ich zwei neue Cappuccino zu und brachte sie dem Paar am runden Tisch in der Mitte des Raumes. Als ich mich umdrehte, stand Ash plötzlich hinter mir, Amber im einen Arm, ihre Freundin im anderen.

»Lasst uns an die Bar gehen«, sagte er zu den beiden. Dann wandte er sich an mich. »Geht’s dir wieder besser?«

»Ja, danke«, antwortete ich und ging zurück zu meiner Arbeit.

Die drei folgten mir und ließen sich auf den Hockern an der Bar nieder, Ash in der Mitte. Er nickte mit dem Kopf zu den beiden Männern am Ende der Theke hinüber. »Gibst du mir auch so eins?«

»Och, Bier ist doch langweilig. Willst du nicht lieber einen Cocktail? Vielleicht einen Sex on the Beach?«, fragte Amber mit klimpernden Wimpern.

Ich unterdrückte ein Augenrollen, öffnete eine weitere Flasche Ale und schob sie Ash wortlos über das glatte Kirschholz entgegen. Er nahm einen großen Schluck, während mich Amber böse anfunkelte. Ich ignorierte sie, stattdessen machte ich mich daran, Cocktails zu mixen.

»Schade, dass du Freitagabend so schnell verschwunden bist«, sagte Amber zu Ash. »Wir hatten eigentlich noch Pläne mit dir.«

»Das kann man nachholen«, antwortete er.

»Du weißt doch gar nicht, was wir vorhatten«, meinte die Braunhaarige und kicherte in sich hinein.

»Was auch immer es ist, mit zwei so hübschen Mädels wie euch kann es nur Spaß machen.«

Ich stellte die Musik etwas lauter, um mir das Gesäusel nicht länger mit anhören zu müssen. Leider brachte es nicht viel.

»Na schön, ich verzeihe dir, dass du mich einfach so hast sitzen lassen.« Amber warf mir einen abschätzigen Blick zu. Fehlte nur noch das »wegen der da«.

»Süße, ich würde dich doch nicht einfach so sitzen lassen. Ich musste nur noch was anderes erledigen, und als ich zurückkam, warst du schon weg.«

Amber sah selig aus. »Du bist noch mal zurückgekommen, wegen mir? Wie süß von dir.«

Das war mit Sicherheit gelogen, aber ich biss mir auf die Zunge. Das Ganze ging mich nichts an. Ich goss die fertigen Margaritas in zwei Gläser und servierte sie dem Pärchen, das am anderen Ende der Bar saß und schon den ganzen Abend heftig miteinander flirtete.

»Ach, du bist auch noch da«, sagte ich, als Megan endlich zurück aus dem Lager kam. »Hast du eine Ahnung, was heute Abend los ist?«

Sie lächelte und band ihre langen schwarzen Haare zu einem neuen Pferdeschwanz. »Jetzt bin ich wieder hier. Dann nehme ich mal die neue Bestellung auf.« Sie griff nach Block und Bleistift und wollte zu den beiden Pärchen, die gerade hereingekommen waren.

»Das kann ich doch machen«, sagte ich, um Ash und seinem Fanclub wenigstens kurz aus dem Weg gehen zu können. »Übernimm du die Bar.«

Doch als Megan Ash entdeckte, schüttelte sie den Kopf und zwinkerte mir zu. »Lass mal, du hast heute Thekendienst.«

Sie machte sich auf den Weg, und ich nahm widerwillig meinen Platz hinter der Bar ein. Da entdeckte ich Henri, der auf dem Hocker neben Amber saß. Er lächelte mir zu.

»Wo kommst du auf einmal her?«

»Wenn ich will, kann ich leise sein wie ein Ninja. Machst du mir ein Gingerale?«

Ich zapfte das Getränk und überlegte schon, Henri in ein Gespräch zu verwickeln. Hauptsache, ich musste Ambers Geplapper nicht länger ertragen. Doch sobald Megan zurück war, lehnte sie sich über den glatt polierten Tresen zu ihm und nahm ihn in Beschlag. Sie schob mir die Bestellung der beiden Pärchen zu, ohne mich anzusehen. Ich machte die Getränke fertig und servierte sie, dann blieb mir nichts anderes übrig, als Gläser zu polieren und die Flirterei vor mir auszublenden. Leichter gesagt als getan.

»Gehst du eigentlich oft ins Fitnessstudio?«, wollte die Braunhaarige von Ash wissen.

»Wie kommst du darauf, dass ich ins Fitnessstudio gehe?«, fragte er zurück, doch sein Tonfall sagte etwas ganz anderes: Zu dir oder zu mir?

Amber begann ungefragt, über seine Schulter und seinen Arm zu streichen. »Das ist doch offensichtlich. Mit diesen Muskeln kannst du bestimmt ordentlich zupacken.«

Oh Gott! Ich konnte nicht anders, als ein würgendes Geräusch von mir zu geben. Die Aufmerksamkeit der drei richtete sich sofort auf mich, doch während Ash amüsiert aussah, warfen mir die beiden Mädels böse Blicke zu.

»Ist dir wieder schlecht?«, fragte Ash.

»Geht schon.«

Amber leerte ihren Tequila Sunrise und schob mir das leere Glas zu. »Ich nehme noch einen Cosmopolitan«, sagte sie. Es war mehr als deutlich, dass sie mir damit zeigen wollte, wo mein Platz war. Aber nicht mit mir.

Übertrieben freundlich antwortete ich ihr und ihrer Freundin: »Aber sicher doch, sehr gern. Und einen kostenlosen Ratschlag gibt’s gleich noch mit dazu: Versprecht euch nicht zu viel von dem Geflirte, Ash hat nämlich jedes Mal ’ne Neue, wenn er hier ist. Also entweder ist er so schlecht im Bett, dass es keine länger als ein paar Tage mit ihm aushält, oder aber er verliert das Interesse, sobald er sie im Bett hatte. Was ist euch lieber?«

Amber schnappte nach Luft. Einen Moment war sie sprachlos, dann sprang sie vom Stuhl. »Lasst uns gehen.« Ihre Freundin tat es ihr gleich, Ash machte jedoch keine Anstalten.

»Ich find’s hier eigentlich ganz gemütlich.«

Amber und die Braunhaarige zögerten ganz kurz, bevor sie erhobenen Hauptes aus dem Hound Dog stolzierten.

»Meinst du, die will ihren Cosmopolitan noch?«, fragte ich.

Ash schüttelte lachend den Kopf. »Du sagst wohl immer, was du denkst. Und im Übrigen bin ich vorher noch nie hier gewesen.«

»Ich weiß das, aber Amber nicht. Apropos, woher wusstest du eigentlich, wo du mich findest?«

»Wer hat gesagt, dass ich wegen dir hier bin?«

Punkt für ihn, und dann schoss mir auch noch das Blut in die Wangen. Peinlich berührt wandte ich mich wieder dem Polieren der Gläser zu. So etwas passierte mir doch sonst nicht.

»Megan hat Henri erzählt, wo ihr arbeitet«, erklärte Ash. »Ich dachte, ich schau mal, wie’s dir geht.«

»Wer hätte gedacht, dass die zwei sich überhaupt unterhalten haben«, murmelte ich.

Wie aufs Stichwort sagte Megan zu mir: »Na, hast du wieder unsere Gäste vergrault? Trinkgeld gibt’s wohl keins.«

Ich zuckte nur mit den Schultern, dabei konnte ich jeden Penny brauchen, den ich hier verdiente.

»Keine Sorge«, sagte Ash, »ich zahl die Drinks der Mädels. Wie geht’s dir denn jetzt? Sind die Schmerzen weg?«

Ich nickte, obwohl ich ein leichtes Pochen hinter der Stirn spürte, aber es war lange nicht so schlimm wie am Freitag, und es war auch nicht ungewöhnlich. Kopfschmerzen und Migräne verfolgten mich seit meiner Kindheit immer mal wieder, wobei es in den letzten Monaten extrem geworden war. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal keine Kopfschmerzen gehabt hatte. Richtige Migräneanfälle hatte ich eher selten, wobei auch diese in letzter Zeit häufiger geworden waren, aber sie waren bisher zum Glück nie so heftig gewesen wie auf der Party. Wenn ich Glück hatte, dauerten die Anfälle nur eine Stunde. Für gewöhnlich wurde es irgendwann einfach besser, ohne dass ich etwas dafür hatte tun können, und ich merkte, dass ich es ertragen konnte, die Augen zu öffnen. Langsam fing ich an, wieder zu existieren, und hoffte, dass das mein letzter Anfall gewesen war. Aber ich wusste, dass dem nicht so war. Megan hatte mich wegen der unterschwelligen Kopfschmerzen bereits unter Zwang zum Arzt geschleppt, aber der hatte nichts gefunden.

»Hast du das öfter, solche Kopfschmerzen?«, fragte Ash, als könnte er meine Gedanken lesen.

»Hin und wieder«, antwortete ich. Weil er mich nachdenklich betrachtete, fügte ich hinzu: »Kommt wahrscheinlich vom Kellnern. Meine Schultern sind danach manchmal ziemlich verspannt.«

»Wie wär’s mit einer Massage? Danach geht’s dir sicher besser, und ich kenne da ganz zufällig einen hervorragenden Masseur.«

»Vergiss es.«

»Hey, du bist mir noch was schuldig. Immerhin hast du mir den Abend ruiniert.«

Bevor ich ihm eine Antwort geben konnte, baten die beiden Männer am Ende der Theke um die Rechnung. Während ich sie fertig machte, sah ich aus den Augenwinkeln immer wieder verstohlen zu Ash. Einerseits verhielt er sich wie der typische Weiberheld, flirtete mit allem, was einen Rock trug und nicht bei drei auf dem Baum war. Andererseits konnte er richtig nett und zuvorkommend sein. Das passte doch vorne und hinten nicht zusammen.

Ich kassierte ab, während Megan an anderer Stelle noch eine Bestellung aufnahm. Als ich wieder hinter den Tresen trat, fragte Henri: »Bringst du mir noch eine Cola?«

»Klar.« Ich griff nach einem frisch gespülten Glas, das mir prompt aus der Hand rutschte. Obwohl ich es ohnehin nicht mehr würde erreichen können, bückte ich mich danach. Fast hörte ich es schon auf dem dunkelbraun gemusterten PVC-Boden zerschellen, doch da hielt ich es plötzlich in meiner Hand. Ungläubig starrte ich das Glas an und sah auf. Ash war mit seinem Smartphone beschäftigt, doch Henri warf mir einen merkwürdigen Blick zu. Schnell konzentrierte ich mich auf seine Cola und schob das Glas über den Tresen zu ihm, aber er musterte mich immer noch, als ob etwas mit mir nicht stimmen würde. Und da spürte ich es. Der blutrote Anhänger, der an einer Silberkette um meinen Hals hing, seit ich denken konnte, pulsierte auf meiner Haut. Automatisch umschloss ich ihn mit meinen Fingern. Er fühlte sich warm an.

Megan trat zurück hinter die Bar, die Hände voll dreckiger Gläser. »Habt ihr Lust –?«

»Ich muss mal schnell ins Lager.« Durch eine Schwingtür hastete ich an ihr vorbei nach hinten.

Hier war es dunkel, nur der Mond erhellte den Raum, der mit deckenhohen Holzregalen vollgestellt war. Schwer atmend lehnte ich mich gegen die kühle Steinwand unter dem Kippfenster. Es roch muffig, aber der vertraute Geruch beruhigte mich ein wenig. Doch dann breitete sich auf einmal rötliches Licht aus, obwohl ich das Deckenlicht nicht eingeschaltet hatte. Zögerlich sah ich auf mein Dekolleté hinunter. Das Licht war weg, die Kette leuchtete nicht, und sie pulsierte auch nicht mehr. Trotzdem nahm ich sie ab und stopfte sie in die Tasche meiner Jeans. Ich atmete ein paarmal tief durch und wollte gerade das Lager verlassen, als sich die Tür öffnete und Ash hereinkam.

»Kann ich dir helfen?«, fragte er mit flirtender Stimme.

»Was willst du hier? Gäste haben hier nichts verloren.« Bestimmt schob ich ihn aus dem Lager zurück in den Schankraum. Wenn Nate uns hier hinten erwischte, konnte mich das meinen Job kosten.

Ash drehte sich zu mir um und verschränkte die Arme vor der Brust. »Also Megan hatte nichts dagegen, dass ich nach dir sehe, aber ich wollte dich natürlich nicht in Schwierigkeiten bringen.«

Ich verdrehte die Augen. Als ob Megan irgendetwas mitkriegen würde, wenn sie mit Henri zusammen war. Wobei die beiden ausnahmsweise mal nicht am Knutschen waren. Bei Megan und Henri stand ein Kerl um die zwanzig mit blonden Haaren. Wer das wohl war? Aber da drehte er sich auch schon um und verschwand, ohne etwas zu trinken bestellt zu haben.

»Da bist du ja wieder«, meinte Megan zu mir, während sich Ash zurück auf seinen Hocker gleiten ließ. »Alles okay?«

»Sicher, ich hab nur kontrolliert, ob wir noch genug Ale haben.«

»Nate hat doch erst vorgestern neues bestellt.«

»Ja, das hab ich dann auch gesehen. Was ist eigentlich mit dir und Henri? Läuft da was?«

Sie zuckte grinsend mit den Schultern. »Und was ist mit dir und Ash?«

Ich zeigte ihr einen Vogel. »Du spinnst wohl. Ich fang doch nichts mit so jemandem wie Ash an.«

Megan seufzte. »Das Problem ist, dass du grundsätzlich mit keinem Typ was anfängst.«

»Ich weiß nicht, wo da das Problem ist.«

»Warum dauert denn das so lange?«

Der ältere Mann war im Salon auf und ab gelaufen, nun blieb er stehen. Wieder trug er die Kutte, und wieder war es schummerig in dem Raum, doch dieses Mal war er nicht allein. Im Salon befanden sich etwa ein Dutzend Menschen, die schweigend auf den Sofas saßen oder an den Kamin gelehnt standen. Jeder von ihnen trug eine bordeauxrote Kutte, mit Ausnahme des blonden Jungen, der in diesem Moment den Salon betrat. Auch jetzt war er nur von hinten zu sehen.

»Und? Was ist passiert? Was hast du gesehen?«, fragte der alte Mann ungeduldig.

»Nichts.«

»Was soll das heißen, nichts? Unser System schlägt doch nicht zweimal grundlos Alarm. Du bist einfach nutzlos …«

»Bitte lass ihn doch erst einmal erzählen«, unterbrach eine barsche Frauenstimme.

Der Junge verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin extra länger geblieben und hab die Bar noch eine Weile von draußen beobachtet, aber es ist nichts Außergewöhnliches passiert. Nur der Lecourt-Typ war wieder da.«

Der Alte wurde hellhörig. »Und weiter? Was hat er getan?«

An seiner Stimme konnte man hören, dass der Junge grinste. »Was man halt so tut in einer Bar.«

Der Alte ging auf den Jungen zu, er schien ihm eine Hand auf die Stirn zu legen. Einen Moment war es still im Raum, dann ließ der Alte die Hand wieder sinken und schüttelte den Kopf.

»Können wir die Versammlung dann jetzt beenden?«, fragte die Frau.

Der Alte nickte, und allmählich löste sich die Runde auf.

»Vielleicht hat das alles wirklich nichts zu bedeuten«, sagte der Mann mit der vertrauten Stimme, der offensichtlich noch geblieben, aber wieder nicht zu sehen war. »Wir sollten das System durchchecken, möglicherweise ist es defekt.«

»Abwarten«, murmelte der Alte. »Ich habe das Gefühl, dass sich hier gerade etwas zusammenbraut, und mein Gefühl hat mich noch nie getäuscht.«

Kapitel 3

Am Dienstagabend saß ich im Schneidersitz auf Megans Bett und beobachtete, wie sie in ihrer Schminkkommode nach passendem Schmuck wühlte. Überall lagen Kleider, Oberteile und Hosen verteilt, und es roch nach Haarspray und dem grauenhaften Lavendelweichspüler.

»Und dieser ganze Aufwand nur für Henri?«, fragte ich.

»Ich hab lediglich ein bestimmtes Oberteil gesucht«, meinte Megan, aber mir konnte sie nichts vormachen. Auf der Suche nach dem besten Outfit hatte sie ihren ganzen Kleiderschrank anprobiert. Sie drehte sich halb zu mir um. »Weißt du, wo ich meine Triqueta-Ohrringe gelassen hab?«

Ich beugte mich hinüber zu ihrem Nachttisch und zog die Ohrringe mit dem keltischen Knoten unter einer Ausgabe der Closer hervor, die natürlich auf der Seite mit den Horoskopen aufgeschlagen war. Megan hastete zu mir und umschiffte dabei gekonnt die Kleiderhaufen auf dem Boden.

»Du bist ein Schatz.« Sie riss mir die Ohrringe aus der Hand und quietschte im nächsten Moment. »Autsch, so ein Mist.« An der Kuppe ihres Zeigefingers erschien ein mikroskopisch kleiner roter Fleck. »Meinst du, ich muss das desinfizieren?«, nuschelte Megan, während sie das Blut von ihrem Finger lutschte.

Ich verzog den Mund zu einer Grimasse. »Warum rufen wir nicht gleich einen Krankenwagen? Das könnte immerhin eine Blutvergiftung geben.«

»Ist ja schon gut«, maulte sie und ging zurück zu ihrer Schminkkommode.

Eine Weile herrschte Schweigen, und ich sah dabei zu, wie Megan die Ohrringe anlegte und ihre grünen Augen mit einem Kajalstift umrandete. »Du magst ihn wirklich, hm?«, fragte ich schließlich.

»Ja.« Im Spiegel suchten ihre Augen meine, sie strahlte regelrecht. »Henry ist aber auch unglaublich süß, findest du nicht?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Klar, er sieht schon gut aus.« Das tat er wirklich, und er war auch ein cooler Typ. Irgendwie mochte ich ihn, obwohl ich ihn kaum kannte und genau wie Ash nur schwer einschätzen konnte.

»Ebenso wie Ash gut aussieht.« Ich verdrehte die Augen, daher wehte also der Wind. Megan wollte mich mal wieder verkuppeln. »Warum sperrst du dich so gegen ein Date, Caroline? Du weißt gar nicht, was du verpasst. Dieses sich gegenseitig beschnuppern, das Kribbeln, der erste Kuss …«

»Im Moment habe ich gar keine Zeit für einen Freund. Ich muss Geld verdienen.« Sonst würde ich für immer und ewig in solchen Schuppen wie dem Hound Dog jobben, und so hatte ich mir mein Leben bestimmt nicht vorgestellt.

»Arbeitest du heute?«

»Nein, aber …«

»Siehst du.«

Mit den Fingerspitzen rieb ich mir über die Stirn, das Pochen wurde schlimmer.

»Bist du genervt oder hast du mal wieder Kopfschmerzen?«

Ich ließ die Hand sinken. »Beides«, gab ich zu.

»Caroline, du solltest unbedingt zum Arzt gehen. Diese Schmerzen …«

»Kommt gar nicht infrage. Du hast mich bereits zum Arzt geschleppt, und der hat nichts gefunden. Schon vergessen? Das wird nichts Schlimmes sein, vermutlich bin ich einfach nur ein bisschen verspannt.«

Megan grinste. »Auch gegen Verspannungen kann ein Freund wahre Wunder bewirken.«

»Du bist unausstehlich, weißt du das? Außerdem stehe ich nicht auf Ash.« Tatsächlich wäre Henri eher mein Fall gewesen, aber das stand gar nicht erst zur Debatte. Außerdem wollte ich im Moment wirklich keinen Freund haben.

»Ach bitte, wie kann man denn nicht auf Ash stehen? Der Kerl ist der Hammer.«

»Lass das mal besser Henri nicht hören.«

»Konkurrenz belebt das Geschäft«, meinte Megan nur schulterzuckend und griff nach ihrem Parfüm, ein schwerer Duft, der dazu noch extrem süß war.

»Na schön, dann lass ich dich mal in Ruhe, damit du dich weiter aufrüschen kannst.« Ich stand auf und durchquerte das Zimmer. Das Haarspray und der Lavendelduft waren schon schlimm genug, aber das Parfüm würde mir den Rest geben. Als ich im Flur ankam, klingelte es an der Haustür.

»Das ist bestimmt Henry, machst du mal auf? Ich bin sofort fertig.«

»Henri!«, rief ich zurück, obwohl Megan unverbesserlich war. Sie würde ihn auch weiterhin Henry nennen.

Ich öffnete die Tür. Henri lehnte lässig im Türrahmen und strahlte mich an. Er trug eine Jeans und ein blaues Hemd. Ob er sich ebenso oft umgezogen hatte wie Megan? Zumindest hatte er Parfüm aufgelegt und vermutlich frisch geduscht. Eine ganze Wolke verschiedener Gerüche wehte zu mir herüber. Also hätten wir ein Date, würde ich ihm das erst einmal abgewöhnen. Automatisch atmete ich flacher als vorher.

»Hi, Caroline, wie geht’s dir?«

»Gut. Und dir?«

»Kann nicht klagen. Ist Megan fertig?«

»Das kann sich nur noch um Stunden handeln.« Ich trat beiseite und ließ ihn herein.

»Komm sofort!«, schrie Megan aus ihrem Zimmer. »Gib Henry solange was zu trinken.«

»Willst du was?«

Er schüttelte den Kopf. »Danke. Hast du heute gar keine Schicht?«

»Stell dir vor, ab und zu hab ich auch mal frei.«

»Willst du mitkommen?«

Er schien die Einladung tatsächlich ernst zu meinen. Ich zögerte einen Augenblick, doch das konnte ich Megan nicht antun. »Lieb von dir, aber ich bleibe lieber zu Hause.«

»Wie du willst.« Sein Blick glitt zu meinem Dekolleté. Schon schlich sich der Gedanke in meinen Kopf, dass er gar nicht so viel anders als Ash war, doch da fragte er: »Wo hast du deine hübsche Kette gelassen?«

»Meine Kette?« Ich sah kurz an mir hinunter, legte die Hand auf die freie Stelle an meinem Hals. Die Kette war schon immer ein Teil von mir gewesen. Ohne sie fühlte ich mich fast nackt. »Der Verschluss ist kaputt«, sagte ich nach einer Weile. Die Wahrheit war: Seit der Anhänger gestern Abend plötzlich zu pulsieren begonnen hatte, trug ich die Kette nicht mehr. Es war dumm und idiotisch, denn ich hatte mir das Ganze ohnehin bloß eingebildet, aber so war es nun mal.

Henris Blick ruhte nach wie vor auf mir. Er wirkte nachdenklich, aber auch gleichzeitig irgendwie überheblich, als wüsste er etwas, was ich nicht wusste. »Wenn du willst, kümmere ich mich um den Verschluss.«

»So, da bin ich.« Megan ersparte mir die Antwort, indem sie aus ihrem Zimmer kam. Sie roch wie die Parfümabteilung von Marks & Spencer, außerdem hatte sie sich erneut umgezogen. Vorher hatte sie eine Jeans zu dem lilafarbenen Top getragen, nun hatte sie sich für einen weißen Jeansrock entschieden, der extrem kurz war und ihre blassen Beine noch betonte.

»Gut siehst du aus«, sagte Henri, ganz Gentleman.

»Du aber auch.«

»Ich bin dann mal in meinem Zimmer«, meinte ich und zeigte in Richtung meiner Tür, bevor das Geschmachte wieder losging. Mein Bedarf war für den Rest des Monats gedeckt.

»Und du willst wirklich allein hierbleiben?«, fragte Henri erneut. »Wir nehmen dich gern mit.«

»Manchmal ist es doch ganz schön allein.«

»Gib’s auf«, sagte Megan. »Ich versuche schon den ganzen Abend, sie zu einem Date zu überreden. Zwecklos. Caroline ist der dickköpfigste Mensch, den ich kenne.«

»Ich weiß halt, was ich will. Viel Spaß euch beiden.«

Und damit verschwand ich in meinem Zimmer, bevor sie noch weiter auf mich einreden konnten. Die Sonne schien, es war ein herrlicher Frühsommerabend, trotzdem zog ich die Vorhänge zu und ließ mich rücklings aufs Bett fallen. Ein weiterer heftiger Migräneanfall stand bevor, der zweite innerhalb weniger Tage. Allmählich fragte ich mich, ob nicht doch etwas dahintersteckte. Das war einfach nicht mehr normal.

Im Dunkeln tastete ich nach der Nachttischschublade und nahm eine Tablette. Als ich die Schachtel zurücklegte, griff meine Hand fast automatisch nach der Kette. Ich spürte den glatten Stein auf meiner Handfläche. Er war kühl, von einem roten Schimmer keine Spur.

Hatte ich’s doch gewusst, alles nur Einbildung. Vermutlich kam das von den Kopfschmerzen. Spätestens jetzt hätte Megan ihren Laptop geholt und nach Symptomen eines Gehirntumors gegoogelt. Ich legte mir nur die Kette wieder um den Hals. Das Gewicht des Anhängers war seltsam tröstlich, sofort fühlte ich mich ein wenig besser. Gegen die Einsamkeit konnte aber auch die Kette nichts ausrichten.

Ob Megan vielleicht recht hatte? Ich war zwar ganz gern allein und hatte auch weder Zeit für eine Beziehung noch Lust dazu, aber manchmal fühlte ich mich trotzdem ein wenig einsam. Bis jetzt hatte mich das nicht gestört, doch seit die Kopfschmerzen mich fast ständig begleiteten, hatte sich auch das Einsamkeitsgefühl verstärkt. Aber das war sicher normal. Fühlte sich nicht jeder Mensch manchmal einsam, vor allem, wenn es ihm nicht gut ging? So oder so, es gab keine Alternative. Ich war schon immer auf mich allein gestellt gewesen und würde es auch immer sein. Mein Kopf wusste das, aber das Herz hatte in letzter Zeit Probleme mit der schonungslosen Wahrheit. Dämliches Herz.

Als ich am nächsten Morgen in die Küche kam, bereitete Megan fröhlich pfeifend den Kaffee zu. Sie hatte bereits geduscht, steckte in einer engen Jeans und einem weit ausgeschnittenen Top.

»Du bist so gut drauf«, sagte ich. »Dein Date mit Henri war wohl ein voller Erfolg, was?«

Megan grinste bis über beide Ohren. »Und ob es das war. Wir waren im Kino und noch was trinken, und anschließend hat Henry mich mit zu sich nach Hause genommen. Es war echt schön, aber …« Sie wurde ernst.

»Aber? Was ist passiert?« Ich holte mir eine Schüssel aus dem Schrank, schüttete Choco Pops und Milch hinein und setzte mich an den Küchentisch.

»Gar nichts ist passiert, das ist es ja«, erwiderte Megan. Sie schob mir eine Tasse Kaffee über den Tisch und nahm mir gegenüber Platz.

Fragend betrachtete sie mich, als wäre ich die Beziehungsexpertin schlechthin. Dabei wusste ich nicht einmal, wann ich meine letzte ernsthafte Beziehung geführt hatte, und ich verstand auch nicht so recht, wo das Problem lag. »Wie meinst du –?« Ich verstummte, denn plötzlich war mir klar, worauf sie hinauswollte. Dann hatten sie also nicht miteinander geschlafen. »Oh.«

»Ja, oh. Was hältst du davon?«

Ich zögerte. Mir gefiel der Gedanke, dass Henri im Gegensatz zu seinen Geschlechtsgenossen nicht sofort mit seinem Date ins Bett wollte, doch das wollte Megan ganz sicher nicht hören. »Mach dir nicht so viele Gedanken. Ihr kennt euch doch bisher kaum, und das war quasi euer erstes Date. Es hat also ganz sicher nichts zu bedeuten.«

Megan entspannte sich sichtlich, sie schien sogar ein wenig verlegen. »Du hast recht, das wird es sein.« Sie nahm einen Schluck Kaffee und beobachtete mich eine Weile beim Essen. »Du solltest dich wirklich gesünder ernähren, Caroline. Vielleicht kriegst du dann auch endlich deine Kopfschmerzen in den Griff. Ein bisschen Obst mit Joghurt oder wenigstens ballaststoffreiches Müsli, aber dieses Zuckerzeugs da hat doch keinerlei Nährstoffe.«

»Es schmeckt und hat immerhin mehr Nährstoffe als dein Frühstück«, konterte ich mit Blick auf ihre Tasse, in der sich wie immer mehr Milch als Kaffee befand.

»Ich treffe mich gleich mit Henry zum Frühstück«, sagte sie verschmitzt lächelnd.

»Na siehst du, er kocht sogar für dich, auch wenn es bloß Rühreier mit Speck sind.«

»Wir treffen uns auf dem Campus, da sind wir ungestört.«

»Kann ich verstehen. Ich hätte auch keine Lust, mit Henri zu frühstücken, während Ash danebensitzt und blöde Sprüche reißt.«

»Henry und Ash wohnen nicht zusammen. Ich glaube, Ash wohnt noch bei seinen Eltern.«

Ich sah von meinen Choco Pops auf. Ash wohnte noch bei seinen Eltern? Das passte so gar nicht zu dem Womanizer, den ich kannte. Ich hatte ihn schon in einer teuer eingerichteten Luxusbleibe gesehen, in die er jede Nacht eine andere Freundin mitschleppte. Was seine Eltern wohl dazu sagten, wenn er die mit nach Hause brachte? Ich schüttelte den Kopf und widmete mich wieder meinem Essen. Was ging mich Ashs Liebesleben an?

»Übrigens hat sich Henry auch sehr nett nach dir erkundigt. Ich muss doch nicht eifersüchtig sein, oder?«

»Quatsch«, erwiderte ich schnell. »Was hat Henri denn gesagt?«

»Er wollte wissen, wo du herkommst und was du so machst.«

Ich legte den Löffel beiseite und schob die Müslischüssel von mir. Plötzlich war mir der Appetit vergangen. »Und was hast du geantwortet?«

»Nicht viel, ich weiß doch selbst kaum etwas.«

»Du weißt genauso viel wie ich«, antwortete ich und stand auf, um die Schüssel in die Spüle zu stellen.

»Caroline …«

»Schon gut.« Mit einem aufgesetzten Lächeln drehte ich mich zu Megan um. Meine Herkunft und mein Job waren keine Themen, über die ich gern sprach, geschweige denn nachdachte, aber das brauchte niemand zu wissen. »Ist sicher nur lieb von Henri gemeint, dass er sich nach deiner Mitbewohnerin erkundigt. Er scheint wirklich ein netter Kerl zu sein.«

»Das ist er.« Megan sah auf die altmodische Bahnhofsuhr, die über dem Türrahmen hing, und stand ebenfalls auf. »Ich muss los, Henrys Kurs ist gleich aus. Was hast du heute vor?«

»Mittagschicht im Hound Dog«, erwiderte ich knapp. »Ich sollte mich auch fertig machen. Bis später.«

Damit verschwand ich im Badezimmer. Henri hatte sich also nach mir erkundigt. Ich musste an den Abend zuvor denken, als er Megan abgeholt hatte. Seine Frage nach meiner Kette, der merkwürdige Blick … Hatte er seiner neuen Freundin gegenüber wirklich nur nett sein wollen oder steckte mehr dahinter?

Es war Samstagabend, aber im Hound Dog war kaum etwas los. Die Aushilfe hatte ich bereits auf Abruf wieder nach Hause geschickt, denn die wenigen Gäste, die da waren, nippten schon seit einer Ewigkeit an ein und demselben Getränk. Die Spülmaschine war ausgeräumt, die Theke poliert, die Gläser glänzten. Warum hatte ich mir kein Buch mitgenommen? Doch die Antwort war klar: weil hier an einem Samstagabend für gewöhnlich die Hölle los war. Seufzend verschränkte ich die Arme vor der Brust und starrte ins Leere. Es war nicht nur die Langeweile. Wenig Gäste bedeutete gleichzeitig wenig Trinkgeld, was ich allerdings gut brauchen konnte. Nur deshalb übernahm ich gerne die Wochenendschichten.

Die Tür ging auf, und ich freute mich schon auf die Beschäftigung – bis ich den neuen Gast erkannte. Es war Ash. Immerhin hatte er dieses Mal seinen Fanclub zu Hause gelassen. Er steuerte direkt auf die Bar zu und ließ sich auf einen der Barhocker plumpsen. Wie bei unserem ersten Aufeinandertreffen trug er ein weißes T-Shirt zu einer Jeans. Es war nicht das erste Mal, dass er mich an James Dean erinnerte, und das nicht nur wegen seines Aussehens. Der arme, unverstandene Rebell, zumindest wirkte er manchmal so auf mich. Aber das war bestimmt nur Masche, um die Mädels rumzukriegen. Wenigstens roch er im Gegensatz zu Henri oder Megan nicht wie eine ganze Parfümabteilung, sondern verströmte nur einen dezenten Duft. Das war definitiv ein Pluspunkt.

»Hi. Machst du mir eine Cola?«

Ich nickte nur, hielt ein Glas unter den Zapfhahn und schob es ihm über den Tresen entgegen.

Ash nahm einen Schluck, bevor er sich umsah. »Nicht gerade viel los heute.« Sein Blick wanderte zurück zu mir, ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. »Auch nicht schlecht, dann hast du mehr Zeit für mich.«

»Geht nicht, ich muss dringend die Gläser polieren.«

»Für meinen Geschmack glänzen die genug, aber wenn du unbedingt willst, kannst du das nebenher machen. Also, was hast du die letzten Tage so getrieben? Hast du an mich gedacht?«

Ich holte tief Luft. »Ich bin nicht sicher, ob du es beim ersten Mal verstanden hast. Hier noch mal zum Mitschreiben: Schlag dir das mit uns aus dem Kopf. Es gibt kein Uns. Es gibt dich, und es gibt mich, und ich werde jetzt die Gläser polieren.« Damit griff ich nach einem Geschirrtuch und einem Glas. Natürlich waren sämtliche Gläser längst auf Hochglanz poliert, aber ich hatte absolut keine Lust, mich mit Ash zu unterhalten. Er hatte mir geholfen, ja, aber musste ich ihm deshalb auf immer und ewig dankbar sein?

»Hey, du bist mir noch was schuldig, schon vergessen? Außerdem will ich mich nur ein bisschen mit dir unterhalten. Niemand hat gesagt, dass ich mit dir ins Bett will.« Er musterte mich von oben bis unten, soweit das der Tresen zwischen uns zuließ. »Okay, streich das Letzte.«

Ich verdrehte die Augen, dieser Typ machte mich noch wahnsinnig. Wenn es mich nicht meinen Job kosten würde, hätte ich ihm nur zu gerne seine verdammte Cola über das weiße T-Shirt gegossen. Der Gedanke war noch nicht verblasst, als das Glas vor ihm ganz plötzlich ohne ersichtlichen Grund umkippte. Die braune Flüssigkeit ergoss sich über seine Hose und den Saum seines T-Shirts. Ash sprang vom Barhocker.

»So ein Mist. Hast du vielleicht eine Serviette oder so?«

Doch ich konnte ihn nur anstarren. Warum war das Glas auf einmal umgekippt, im selben Moment, als ich es mir gewünscht hatte?

Ash winkte mit der Hand vor meinem Gesicht herum. »Hallo, Erde an Caroline. Ein paar Servietten wären nicht schlecht.«

»Ähm, klar.« Ich legte ihm einen ganzen Stapel auf den Tresen und verschwand ohne ein weiteres Wort im Lagerraum, denn es war nicht nur das Glas. Auch meine Kette tat schon wieder Dinge, die sie nicht tun sollte: Sie wurde warm, pulsierte auf meiner Haut und schimmerte rötlich. Zumindest hatte es sich so angefühlt. Als ich den Anhänger jetzt in die Hand nahm, war von der Wärme oder dem Pulsieren nichts mehr zu spüren. Seltsam, ich verstand das einfach nicht. Ob ich Halluzinationen hatte? Vielleicht war doch ein Gehirntumor für meine Kopfschmerzen verantwortlich? Megan hätte mich jetzt zum Arzt geschickt, und vermutlich hatte sie sogar recht damit. Auf jeden Fall musste etwas passieren, so ging das nicht weiter, aber fürs Erste nahm ich nur die Kette wieder ab und verstaute sie in der Tasche meiner Shorts.

Kapitel 4

Ash beobachtete mich, während ich Cocktails für die neuen Gäste mixte. Keiner von uns beiden verlor ein Wort über das Missgeschick von vorher. Offensichtlich wunderte Ash sich nicht darüber, warum sein Glas einfach so aus dem Nichts umgekippt war. Ich hätte die ganze Sache auch zu gern vergessen, aber dann fiel mir Ashs letzter Besuch in der Bar ein, wo ich ein heruntergefallenes Glas aufgefangen hatte, obwohl ich es eigentlich gar nicht hätte erreichen dürfen. Das alles war mehr als seltsam. Was war nur los?

Die Tür ging auf, ein weiterer Gast kam herein. Er musste um die zwanzig Jahre alt sein, hatte dunkelblonde Haare. Irgendwie kam mir der Kerl bekannt vor, und tatsächlich schlenderte er direkt auf die Bar zu. Richtig, war er nicht auch bei Ashs letztem Besuch kurz hier gewesen und hatte ein paar Worte mit Henri gewechselt? Aber er schien nicht unbedingt ein Freund zu sein, denn Ash verzog bei seinem Anblick den Mund.

»Merlin«, sagte er, und es klang fast ein wenig abfällig.

»Morgan«, erwiderte der andere. Einen Moment starrten sie sich nur an, als könnten ihre Blicke töten.

»Was willst du hier?«, fragte Ash schließlich, doch der blonde Typ ließ sich einfach auf den Barhocker neben Ash fallen. »Musst du dich ausgerechnet hier hinsetzen? Es sind noch massenhaft Plätze frei.«

»Da ist die Aussicht aber nicht so schön«, antwortete der Typ und lächelte mir zu. »Krieg ich ein Malzbier?«

Ich nickte und unterbrach kurz das Cocktailmixen, um eine Malzbierflasche zu öffnen und ihm zu reichen. Keine Ahnung, warum, aber er war mir auf Anhieb unsympathisch. Vielleicht, weil er genauso ein Angeber war wie Ash. Einer von der Sorte reichte weiß Gott für einen Abend.

»Danke.« Einen Moment betrachtete er mich. »Sag mal, du bandelst doch nicht etwa mit dem da an?« Mit dem Kopf deutete er in Ashs Richtung.

Ich schnaubte. »Das hätte er gern, aber da kann er lange warten.«

»Sehr gut, dann hab ich noch Chancen.« Er zwinkerte mir zu und nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche.

Bevor ich ihm sagen konnte, dass er sich das abschminken solle, meinte Ash auch schon: »Verzieh dich, Merlin, das ist mein Mädchen.«

»Ich bin niemandes Mädchen«, sagte ich entschlossen und goss die Piña Coladas in drei Gläser.

»Wie hat er sich denn bei dir vorgestellt?«, fragte der blonde Typ. »Als Ash? Das macht er immer, ist wohl seine Masche, um die Mädels rumzukriegen. Eigentlich heißt er Arthur, total langweilig. Ich bin übrigens Jared.«

Ash verdrehte die Augen. »Kannst du nicht jemand anders nerven?«

Arthur? Ich betrachtete Ash einen Moment belustigt, allerdings musste ich zugeben, dass der Spitzname deutlich besser zu ihm passte. »Woher kennt ihr zwei euch eigentlich?«, wollte ich wissen.

Ash zögerte. »Unsere Familien verkehren quasi in denselben Kreisen.«

Was war das denn für eine Aussage? Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, während ich die Piña Coladas mit einem Stück Ananas und einer Cocktailkirsche garnierte, bekam aber keine Antwort. Also stellte ich die drei Cocktailgläser auf ein Tablett und brachte sie an den runden Tisch hinten in der Ecke. Als ich zurück zum Tresen kam, steckte Jared gerade sein Smartphone zurück in die Hosentasche, Ash tippte auf seinem herum. Warum hatte Jared sich neben Ash an den Tresen gesetzt? Nur wegen mir? Das konnte ich mir nicht vorstellen, immerhin kannten wir uns überhaupt nicht. Ich stellte das Tablett mit dem dreckigen Geschirr ab und begann, die Tassen und Gläser in die Spülmaschine zu räumen. Jared beobachtete mich dabei, ich spürte seinen Blick in meinem Rücken.

»Sag mal, bist du neu hier?«, fragte er irgendwann. »Ich hab dich bisher noch gar nicht gesehen. Montag war ich schon mal hier, aber da bist du mir nicht aufgefallen.«

»Du warst Montag hier?«, fragte Ash stirnrunzelnd, bekam aber keine Antwort. Stattdessen betrachtete Jared mich nach wie vor fragend.

»Erstens arbeite ich nicht jeden Tag, und zweitens muss ich vielleicht auch mal ins Lager?«

Man konnte förmlich sehen, wie Jared ein Licht aufging, auch wenn ich keine Ahnung hatte, warum es wichtig sein sollte, ob ich am Montag hier gewesen war oder nicht.

»Ah, na klar. Und bist du öfter hier?«