Climate Action Guide - Ferry Heilemann - E-Book

Climate Action Guide E-Book

Ferry Heilemann

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Beschreibung

Dürren, Waldbrände und schmelzende Eiskappen: Die Klimakrise ist eine existentielle Bedrohung des menschlichen Lebens auf der Erde. Und das Klimaabkommen von Paris zeigt: Staatliches Handeln allein wird nicht ausreichen, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Der Digital-Unternehmer und Mitgründer der Initiative Leaders for Climate Action, Ferry Heilemann, ist sich deshalb sicher: Unternehmer müssen ihren Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten. Wie kann ein Unternehmen seinen Carbon Footprint messen? Wie lassen sich in kurzer Zeit CO2-Emissionen einsparen? Welche konkreten Schritte sind dafür nötig? Und wie lassen sich wirksame Allianzen zwischen Unternehmen und ihrem Umfeld bilden? Anhand von konkreten Checklisten, praktischen Handlungsempfehlungen und Hintergrundwissen zeigt der Climate Action Guide, wie Unternehmen durch einfache Maßnahmen einen wichtigen Beitrag zum Schutz unseres Planeten leisten können – und damit auch selbst zukunftsfähig zu bleiben. Der erste Action Guide für Unternehme, die Klimaschutz jetzt konkret umsetzen wollen.

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Ferry Heilemann

CLimate

Action guide

Klimaschutz für Unternehmen.Konkret.Nachhaltig.Wirksam.

Vorwort

Kapitel 1

WIR MÜSSEN HANDELN

Was uns droht, wenn Unternehmer ihrer Verantwortung nicht gerecht werden

Vom Waffelgebäck zum Google-Deal

Meine Anfänge als Klimaschützer

Wir retten nicht den Planeten, sondern unseren Wohlstand

Das Kohlendioxid-Restbudget – die Uhr läuft 2027 ab

Warum sich Klimaschutz für Unternehmen auszahlt

Die Wende zum Impact Capitalism

Kapitel 2

DIE WERKZEUGE LIEGEN BEREIT

Wie man seine Klimawirkung misst und welche Standards es gibt

Carbon Accounting mit dem Greenhouse Gas Protocol

Gegen die Willkür: Science-based Targets

Corporate Carbon Footprint: Was externe Berater leisten

Case Study: CEWE Stiftung & Co. KGaA: Der Fußabdruck der Fotobücher

Die ersten Schritte zur Climate Action

Kapitel 3

CLIMATE ACTION LEICHT GEMACHT

Worauf es ankommt und wie man den richtigen Einstieg findet

Energie: So gelingt der Umstieg auf 100 Prozent Ökoenergie

Case Study: elobau GmbH & Co. KG: Nachhaltigkeit ist kein Müsli

Mobilität: Umweltfreundlich ist häufig sogar produktiver

Case Study: Serviceplan Group SE & Co. KG: Werber mit Gewissen

Ernährung: Kleine Handlung mit großer Wirkung

Finanzen: Welche Macht (grüne) Investoren haben

Case Study: smava GmbH: Klimaneutrale Kredite im Visier

Büro: Dematerialisierung durch Digitalisierung und New Work bringt Wohlbefinden

Case Study: Wooga GmbH: Die Emissionen entstehen beim Spielen

Rohstoffe: Mit Kreislaufwirtschaft zu Zero Waste

Case Study: TIER Mobility GmbH: Tauschakkus für E-Scooter

Logistik: Mit intelligenter Vernetzung zu weniger Emissionen

Kompensation: Vermeiden, reduzieren. erst dann ausgleichen.

Kapitel 4

ENGAGEMENT FÜR FORTGESCHRITTENE

Wie man seinen Impact maximiert

Aktivieren Sie Ihre Mitarbeiter!

Binden Sie Kunden und Partner ein!

Zeigen Sie Haltung!

Dank

Anhang

QR-Codes – die Links

Über den Autor

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass er, sofern dieses Buch externe Links enthält, diese nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung einsehen konnte. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2021 Murmann Publishers GmbH, Hamburg

Lektorat: Evelin Schultheiß, Kirchwalsede

ISBN 978-3-86774-687-8

Besuchen Sie uns im Internet: www.murmann-verlag.deIhre Meinung zu diesem Buch interessiert uns! Zuschriften bitte an [email protected] Newsletter des Murmann Verlages können Sie anfordern unter [email protected]

Für Avi, Carla und Tadeo, Holtyn und Lydianna.

»Climate action is the barometer of leadership in today’s world. It is what people and planet need at this time.«

UN-Generalsekretär António Guterres, Dezember 2020

Vorwort

Ich bin leidenschaftlich gerne Unternehmer. Ich habe Delivery Hero 2011 gegründet und bin sehr stolz auf das, was wir bisher erreicht haben. Zusammen mit über 27 000 Mitarbeitern in mehr als 40 Ländern liefern wir in jedem Quartal über 420 Millionen Bestellungen aus. Ein Großteil davon sind Essen und Lebensmittel, aber wir bringen auch zahlreiche andere Produkte wie Medikamente, Elektronikzubehör und Haushaltsprodukte zu unseren Kunden. Mittlerweile ist Delivery Hero die weltweit führende lokale Lieferplattform, und Mitte 2020 wurden wir in den Deutschen Aktienindex (Dax) aufgenommen.

Die globale Expansion und der wirtschaftliche Erfolg sind aber wertlos für mich, wenn ich es nicht auch schaffe, die Welt ein Stück besser zu machen. Der Gradmesser dafür ist nicht unser Börsenkurs, Gradmesser sind meine beiden Söhne: Sie sollen wissen und sehen, dass mir ihre Zukunft wichtig ist und ich dafür Verantwortung übernehme.

Noch gelingt es mir nicht, im Alltag immer nachhaltig oder gar klimaneutral zu sein. Zum Beispiel bin ich regelmäßig geschäftlich im Flugzeug unterwegs und fahre ein Auto. Auch unser Geschäftsmodell bei Delivery Hero hat zum Teil negative Auswirkungen auf die Umwelt. Durch unsere Lieferungen entstehen Klimagase, und die Zutaten und Gerichte werden immer noch häufig in Plastik verpackt. Ad hoc ändern lässt sich das nicht. Würden wir den Restaurants, mit denen wir zusammenarbeiten, vorschreiben, künftig auf Fleisch zu verzichten und Kartons aus nachwachsenden Rohstoffen zu verwenden, hätten nur unsere Wettbewerber etwas davon. Dann würden wir nämlich sehr schnell viele Partner und Kunden und damit auch unseren Einfluss verlieren, doch genau den wollen wir jetzt nutzen.

Ich glaube daran, dass sich vor allem dann etwas bewirken lässt, wenn sich Ideen und Projekte skalieren lassen. Die guten Lösungen, die einen positiven Impact haben, sind aktuell häufig noch teurer als die alten, die aus der fossilen Welt stammen. Damit sie massentauglich werden, müssen wir sie größer und günstiger machen. Dann werden sie attraktiv für sehr viel mehr Menschen. Um ein Beispiel zu geben: Vor einiger Zeit haben wir in Start-ups, die Fleisch auf Pflanzenbasis entwickeln und mit nachhaltigen Verpackungen experimentieren, investiert, ohne genau zu wissen, wie erfolgreich sie sein werden. Aber wir glauben daran, dass sie – zusammen mit uns – eine wichtige Rolle bei der Transformation unserer Branche spielen können. Nicht schlagartig, aber graduell. Schritt für Schritt. Mit dem Ziel, dass sich immer mehr Firmen und Kunden für Nachhaltigkeit interessieren und den Klimawandel verhindern wollen. Das ist die Rolle, die wir als globales Unternehmen spielen wollen.

Ich bin davon überzeugt, dass jedes Unternehmen etwas bewirken kann. Tatenlosigkeit von Unternehmern im Hinblick auf Klimaschutz ist nicht mehr akzeptabel. Zugegeben, am Anfang ist es schwer, den richtigen Weg für sich zu finden. Erst weiß man nicht, wo man anfangen soll oder wie man am besten seinen Fokus setzt, und dann kostet das Engagement Zeit, Energie und Geld. Aus meiner Erfahrung der letzten Jahre kann ich aber sagen, dass es für den Erfolg eines Unternehmens heute essenziell ist, sich mit sozialen und ökologischen Fragen zu befassen. Unternehmen, die sich nicht jetzt dafür entscheiden, aktiven Klimaschutz zu betreiben, werden sich in der Zukunft großen Problemen gegenübersehen: Es wird für sie zum Beispiel schwierig sein, talentierte Nachwuchskräfte einzustellen und qualifizierte Mitarbeiter langfristig zu halten.

Wer noch nicht losgelegt hat, sollte es jetzt einfach tun. Versuchen Sie nicht, alles auf einmal zu erledigen, das klappt häufig nicht. Fangen Sie stattdessen klein an, setzen Sie ein langfristiges Ziel und arbeiten Sie sich voran. Als Unternehmer werden Sie es gewohnt sein, bei Entscheidungen auf Ihre innere Stimme zu hören – nutzen Sie das auch in diesem Fall. Es wird immer Ratschläge und Kommentare von Außenstehenden geben. Lassen Sie sich davon nicht irritieren und entscheiden Sie sich für die Maßnahmen, an deren Impact Sie persönlich glauben. Genau hier setzen Sie dann Ihren Fokus. Akzeptieren Sie die Tatsache, dass Sie nicht alles auf einmal bewältigen können. Es ist wichtig, den ersten Schritt zu machen – dann werden sich von selbst neue Ideen und auch Lösungen ergeben. Streben Sie nicht nach Perfektion – streben Sie nach Veränderung. Wichtig ist es zudem, nicht nur bei den Details zu bleiben. Zoomen Sie immer wieder raus, nehmen Sie das große Ganze in den Blick.

Wie das geht, erklärt Ferry Heilemann in diesem Action Guide. Es ist ein Buch, wie ich es mir zu meiner Gründerzeit gewünscht hätte: informativ, mutmachend und pragmatisch. Ein idealer Leitfaden für alle, die den Einstieg finden, anpacken und etwas verändern wollen, kurzum: für alle Unternehmer, denen etwas an unserer Zukunft gelegen ist – und an der unserer Kinder und deren Kinder.

Niklas Östberg

Delivery Hero, CEO und Co-Founder

Kapitel 1

WIR MÜSSEN HANDELN

Was uns droht, wenn Unternehmer ihrer Verantwortung nicht gerecht werden

Dass es so nicht mehr weitergehen kann, wissen wir schon lange. Im Grunde seit 1859.

Damals war Edwin L. Drake nach Titusville, Pennsylvania, geschickt worden, weil seine Vorgesetzten auf einem Gelände ihrer gerade gegründeten Seneca Oil Company Erdöl vermuteten. Das wollten sie von Drake fördern lassen, um es als Brennstoff für Öllampen zu verkaufen. Bis dahin war eine Erdölbohrung kommerziell noch nie gelungen, und auch Drake scheiterte zunächst an der Technik. Mehr als ein Jahr lang brauchte er in seiner Bretterbude, um den Bohrer durch das Gestein und den Erdboden zu treiben. Dann aber wurde er fündig. Am 27. August 1859 stieß er in 21 Meter Tiefe auf die schmierig-schwarze Flüssigkeit.1

Im selben Jahr ging der irische Naturwissenschaftler und leidenschaftliche Bergsteiger John Tyndall einer ganz anderen Frage nach. Er wollte wissen, ob in der Atmosphäre tatsächlich Gase existieren, die die von der Erde ausgestrahlte und ursprünglich von der Sonne stammende Wärme abfangen und zum Boden zurückleiten können.

Der französische Mathematiker und Physiker Jean Baptiste Joseph Fourier hatte diesen natürlichen Treibhausgaseffekt schon mehr als 30 Jahre zuvor erstmals vermutet und beschrieben, konnte ihn aber nicht belegen. Tyndall hingegen gelang genau das in seinem Labor. Er bestätigte, dass – neben Wasserstoff, Methan und anderen Gasen – auch Kohlendioxid (CO2) in der Lage ist, Wärmeenergie innerhalb der Erdatmosphäre zu halten. Je größer die Konzentration, desto höher die Temperatur.2

Die Geburtsstunde der »Petromoderne« war also begleitet von der neuen Erkenntnis, welche Folge das Verbrennen fossiler Rohstoffe hat. Mehr als 160 Jahre hatten wir Zeit, die richtigen Schlüsse aus den Arbeiten der beiden Pioniere Edwin L. Drake und John Tyndall zu ziehen. Passiert ist nicht viel. Bis heute produzieren wir große Mengen CO2, selbst nach dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Auch die Corona-Pandemie, die 2020 zu einem um sieben Prozent geringeren Ausstoß von Emissionen geführt hat, markiert keine Trendwende. Eine Umkehr der Entwicklung ist kaum zu erkennen. Umso wichtiger ist es, jetzt endlich zu handeln und dem Wissen, das schon lange vorliegt, Taten folgen zu lassen.

Eigene Darstellung nach PBL Netherlands Environmental Assessment Agency

Wer, wenn nicht wir Unternehmer wäre dafür prädestiniert? Während man als einzelner Bürger und Konsument nur wenig Einfluss zu haben meint und politische Entscheidungen häufig nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basieren, verfügen Unternehmer über vergleichsweise große Hebel und Gestaltungsspielräume. Sie können Entscheidungen von großer Tragweite schnell umsetzen und sind es gewohnt, dies auch zu tun. Meine Hoffnung ist deshalb, dass ein entscheidender Impuls zur Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft aus dem Unternehmertum kommt.

Vom Waffelgebäck zum Google-Deal

Was man bewegen kann, habe ich selbst früh erlebt, schon als Schüler. Mit meinem Bruder Fabian habe ich mir eine Maschine für ein französisches Waffelgebäck namens ChiChi gekauft. Auf Großveranstaltungen wie der Kieler Woche haben wir es vom selbst ausgebauten Hänger verkauft. Ein stressiges Geschäft und nicht ohne Risiko, aber es brachte an so manchem Wochenende für jeden von uns 1000 Euro ein. Viel Geld für zwei Teenager. So viel, dass wir sogar Freunde beschäftigen konnten.

Nach dem Abschluss meines Studiums an der WHU im Jahr 2009 haben Fabian und ich uns an diese erste unternehmerische Erfahrung erinnert und etwas Neues gegründet: DailyDeal, ein Couponing-Portal im Internet. Wieder waren wir die Neulinge in einem umkämpften, sehr aggressiven Umfeld, wieder war es anstrengend, und wieder hatten wir Glück und Erfolg: Innerhalb von sechs Monaten wuchs das Unternehmen auf 100 Mitarbeiter an, nach nicht mal zwei Jahren konnten wir DailyDeal mit über 350 Mitarbeitern an Google verkaufen. Wir blieben an Bord, und ich war zeitweise im Silicon Valley aktiv, doch weil der neue Mutterkonzern nach gut einem Jahr strategisch umschwenkte, kauften wir unsere Firma zurück. Wir machten sie profitabel – und verkauften dann endgültig an einen deutschen Wettbewerber.

Meine Anfänge als Klimaschützer

Zu der Zeit habe ich begonnen, mich mit Fragen von Nachhaltigkeit und der Klimakrise auseinanderzusetzen. Was aus heutiger Perspektive wie ein gradliniger, konsequent beschrittener Pfad erscheinen mag, fing tastend und suchend an. Ich wusste zunächst nicht, wohin mich mein Interesse und zunehmendes Engagement treiben würden und wie ich das, was mich privat bewegte, auch beruflich einbringen und umsetzen könnte. Ich musste erst ein paar Schritte gehen, um selbstsicherer zu werden. Aber ich wusste immer, dass ich etwas verändern muss.

Zum Beispiel meinen Fleischkonsum. Das war mein ganz persönlicher Einstieg. Für das Jahr 2015 nahm ich mir vor, kein Fleisch aus Massentierhaltung mehr zu essen. Lebensmittelskandale hatten mich nachdenklich gemacht. Ein Cheeseburger mit Rinderhack aus dem Regenwald, bei uns als Fast Food für einen Euro verkauft? Das kann nicht nachhaltig sein und kam für mich nicht mehr infrage. Fleisch und auch Fisch habe ich irgendwann dann ganz weggelassen, und heute esse ich größtenteils vegan.

Nach dem Wikipedia-Eintrag über den Klimawandel las ich Al Gores Buch Die Zukunft: Sechs Kräfte, die unsere Welt verändern und andere Werke (wie zum Beispiel Zehn Milliarden von Stephen Emmott), wechselte zu einem Stromanbieter, der seine Energie aus erneuerbaren Quellen bezieht, tauschte die Glühbirnen in meiner Wohnung gegen LEDs aus und installierte eine Solaranlage auf unserem Dach, um meinen eigenen Grünstrom zu erzeugen. Ich habe meine Flüge stark reduziert und den Benziner gegen ein Elektroauto getauscht, geschäftlich reise ich innerhalb von Deutschland nur mit der Bahn.

Beruflich standen Fabian und ich zu dem Zeitpunkt vor der Frage, wie wir weitermachen wollen, was wir als Nächstes aufbauen könnten. Zusammen mit unseren Co-Gründern diskutierten wir über Cleantech-Ideen, entschieden uns letztlich aber dafür, den noch weitgehend analogen Logistikmarkt mit einer neuen Firma anzugreifen. Nachhaltigkeit spielte dabei von Anfang an eine Rolle. Bei Forto, so der Name unserer digitalen Spedition, die wir Anfang 2016 gegründet haben, messen wir unseren Klima-Footprint, reduzieren den Ausstoß von Treibhausgasen, wo immer wir können, und haben auch die Kompensation der restlichen Emissionen von vornherein implementiert. Mittlerweile geben wir unseren Kunden Transparenz zu dem Footprint ihrer Shipments und incentivieren die Kompensation.

Mit dem Aufbau von Forto wuchs mein Wunsch, meine Erfahrungen und Ideen auch nach außen zu tragen. Bei jeder öffentlichen Präsentation, die ich, wie etwa auf der nationalen Konferenz für Güterverkehr des damaligen Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt oder beim Jahrestreffen für Familienunternehmer, halten durfte, zeigte ich einführend immer fünf identische Folien: Sie behandelten die Klimakrise und die Frage, wie wir aktiv werden können, um die drastischsten Folgen noch abzuwenden.

2019 folgte der nächste Schritt. Gemeinsam mit meinem Bruder und befreundeten Unternehmern habe ich Leaders for Climate Action (LFCA) ins Leben gerufen, ein Netzwerk von Unternehmern, dem inzwischen mehr als 1000 Gründer und Geschäftsführer aus der Digitalbranche in ganz Europa angehören. Unser Ziel ist es, Praktiker aus der Wirtschaft zusammenzubringen, damit sie sich gegenseitig bestärken, voneinander lernen und dieses Wissen für maximalen Klimaschutz in ihrer Firma und ihrem unternehmerischen Umfeld wie Lieferketten oder in der Politik für bessere Klimagesetze einsetzen.

Ich habe entschieden, meine Zeit und Energie künftig nur noch in klimarelevante Themen zu investieren. Die Krise, vor der wir stehen, bedroht alles, was ich liebe und schätze und wofür ich dankbar bin: meine Familie und meine Freunde, die Natur, unser demokratisches System, die unternehmerische Freiheit und schlussendlich die gesamte menschliche Zivilisation, wie wir sie heute kennen. Mit diesen Errungenschaften gehen wir fahrlässig um. Aus Gier, Egoismus und Kurzsichtigkeit verteidigen wir sie nicht ernsthaft genug vor unserer eigenen Zerstörungskraft, sondern bleiben auf dem Business-as-usual-Pfad. Die einen stecken den Kopf in den Sand und glauben, nichts ändern zu können. Die anderen sind wie Abhängige, die nicht von ihrer Sucht herunterkommen und immer den nächsten Konsumkick brauchen.

Wir retten nicht den Planeten, sondern unseren Wohlstand

Dabei ist längst klar, dass die Klimakrise keine Gewinner hervorbringen wird, sondern nur Verlierer. Und die Einzigen, die etwas ändern können, sind wir selbst. Dem Klima und unserem Planeten ist es egal, was wir machen. Sie müssen nicht geschützt werden. Im Lauf ihrer Geschichte ereigneten sich in den vergangenen 4,5 Milliarden Jahren schon größere Extreme: Hitzezeiten von über 50 Grad im globalen Durchschnitt mit einer hohen CO2-Konzentration in der Atmosphäre von zeitweise bis zu zehn Prozent. Und Kältephasen, in denen sich selbst in den heutigen Tropen mehrere hundert Meter dicke Eisschichten bildeten.3

Auch in den vergangenen 500 Millionen Jahren schwankte der Anteil von Kohlendioxid deutlich, in der Spitze zwischen 4000 und 6000 Parts per Million (ppm). Nach und nach bildeten sich Meere, Organismen und Pflanzen, die das Kohlendioxid aus der Luft umwandelten: einerseits in Kohlenstoff und Kohle, die im Erdinneren zu Erdöl und Erdgas wurden. Andererseits in Sauerstoff, der die Atmosphäre anreicherte, während der CO2-Gehalt auf 280 ppm sank. Ganz ohne Treibhausgaseffekt wäre die Welt minus 18 Grad Celsius kalt – so aber pendelte sich die durchschnittliche Temperatur auf angenehme 15 Grad ein.

Dann kam die Industrialisierung. Die Menschen begannen, fossile Stoffe wie Kohle, Erdgas und Erdöl im großen Stil aus der Erde zu holen und zu verbrennen, den in ihnen gebundenen Kohlenstoff in Form von CO2 wieder freizusetzen und dadurch den natürlichen Treibhauseffekt zu verstärken. Die Mobilität nahm zu, Landwirtschaft und Massentierhaltung ebenso, die Weltbevölkerung wuchs, woraufhin noch mehr konsumiert wurde und die CO2-Konzentration weiter anstieg.

Inzwischen liegt der Wert bereits bei über 415 ppm, so hoch wie nie in den vergangenen 800 000 Jahren.4 Und die durchschnittliche Temperatur in Deutschland ist im Vergleich zu 1881 bereits um 1,5 Grad Celsius gestiegen. Der Umfang und die Dicke des Eises der Arktis haben sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts halbiert.5 Forscher rechnen damit, dass wir rund um den Nordpol noch in diesem Jahrhundert eisfreie Sommer sehen werden. Die Meeresspiegel steigen, Extremregen nehmen zu, und auch Waldbrände und ausgedehnte Trockenzeiten werden sich häufiger ereignen. Den zweifelhaften Rekorden aus dem Sommer 2020 – 54,4 Grad im kalifornischen Death Valley; zehn Tage lang mehr als 30 Grad im Norden Sibiriens; 18,4 Grad im Nordwesten der Antarktis – dürften bald weitere folgen.6

Quelle: Prof. Stefan Rahmstorf

Steigen die mittleren Temperaturen sogar ungebremst um vier oder fünf Grad, sind die Folgen dramatisch. Schon heute leben mehr als 100 Millionen Menschen unterhalb der Hochwasserlinie, bis Mitte des Jahrhunderts könnten 450 Millionen Küstenbewohner bedroht sein.7 Der Zugang zu sauberem Wasser wird erschwert, Krankheiten übertragen sich vor allem in Ländern des globalen Südens leichter, die Arbeitsproduktivität nimmt ab, die Nahrungsmittelproduktion sinkt oder bricht ein, Herzinfarkte und andere Erkrankungen nehmen zu.8 Und es droht ein neues Massenaussterben, das sechste in der Geschichte der Erde. Beim fünften wurden die Dinosaurier ausgelöscht – jetzt ist auch der Mensch gefährdet. Schätzungen zufolge sterben bereits heute täglich bis zu 150 Arten, sehr viel mehr, als es der natürlichen Sterberate nach sein dürfte. Es sind Tiere und Organismen, die uns Menschen mit Atemluft, Trinkwasser und Nahrung versorgen.9

Das Kohlendioxid-Restbudget – die Uhr läuft 2027 ab

Um diese Entwicklung zu stoppen, reicht es nicht, irgendwann einmal, zu einem späteren Zeitpunkt, aktiv zu werden. Zum einen, weil uns nur noch ein sogenanntes Restbudget Kohlendioxid zur Verfügung steht. Wie groß das ist, haben die Wissenschaftler des Weltklimarats (IPCC) aus den verschiedenen Klimazielen abgeleitet. Sie beziffern, wie viel Kohlendioxid die Menschheit noch emittieren darf, wie lange also ein Weiter-so noch erlaubt ist. Die Rechnungen unterliegen gewissen Unsicherheiten, besagen aber grundsätzlich, dass für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels seit Ende 2017 weltweit noch 420 Gigatonnen CO2 bleiben. Angesichts eines Ausstoßes von rund 42 Gigatonnen CO2 pro Jahr läuft die Zeit demzufolge Ende des Jahres 2027 ab. Um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, bleibt mehr Zeit – bis zum Jahr 2045.10

Zum anderen drohen Kipppunkte, die, so die Annahme, die Dynamik des Klimawandels beschleunigen und nicht mehr aufzuhaltende und damit unumkehrbare Kettenreaktionen auslösen können.11 Einer dieser neuralgischen Punkte ist das schmelzende Eis der Arktis und Grönlands, das, wenn es intakt ist, wie ein Schild funktioniert. Die massive Schicht reflektiert aufgrund ihrer Helligkeit das auftreffende Sonnenlicht (Eis-Albedo-Rückkopplung). Je mehr das deutlich dunklere Wasser darunter aber freigelegt wird, desto mehr Wärme wird absorbiert, und die Temperaturen steigen. Ein zweiter Kipppunkt sind die Permafrostböden. Sie tauen auf und geben das in ihnen gespeicherte CO2 in die Atmosphäre ab. Allein durch diesen Effekt könnten zusätzlich zum bereits bekannten Ausstoß weitere 100 Gigatonnen frei werden, so die Befürchtung. Und noch ein Problem kommt dazu: Permafrostböden enthalten zusätzlich große Mengen des Treibhausgases Methan – und das ist 30-mal klimaschädlicher als CO2.12

Diese Prognosen sind in keiner Weise überraschend. In den USA warnten Wissenschaftler die Regierung in ihrem »Revelle Report« bereits 1965 offiziell vor dem menschengemachten Klimawandel. 1988 ist es der NASA-Forscher Jim Hanson, der vor dem US-Kongress konstatiert, dass man die Erwärmung jetzt in den Daten ablesen könne. Auch in der Industrie weiß man schon lange Bescheid. Beim Mineralölkonzern Exxon, bis heute einer der größten weltweit, sagte der Forscher James Black 1977 intern ein neues Interglazial voraus, eine globale Warmzeit. Fünf Jahre später konkretisierten Mitarbeiter diese Prognose in einem Bericht an die Geschäftsführung – mit Temperatur- und CO2-Kurven, die, rückblickend betrachtet, sehr nahe an der heutigen Realität liegen.

Zeitgleich beginnen die Vereinten Nationen, Antworten auf die neue Bedrohung auf globaler Ebene zu finden. 1979 veranstalten sie die »First World Climate Conference« und lassen 1988 das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) gründen, eine zwischenstaatliche Institution, deren Aufgabe es ist, alle paar Jahre den neuesten wissenschaftlichen Stand für die Politik aufzubereiten, damit sie auf die Risiken der Erderwärmung reagieren kann. 1992 folgt die als »Erdgipfel« bekannt gewordene Konferenz über Umwelt und Entwicklung, auf der zweierlei beschlossen wurde: eine Klimarahmenkonvention zum einem, die die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre zum Ziel hat, sodass eine »gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird«. Zum anderen die Durchführung jährlicher Konferenzen, COP genannt (»Conference of Parties«), sowie die weitere Konkretisierung und Entwicklungsanpassung der Umsetzung der Konvention. COP 1 fand 1995 in Berlin unter der Leitung von Bundesumweltministerin Angela Merkel statt, und Bundeskanzler Helmut Kohl verkündete, dass Deutschland seine Treibhausgase innerhalb von zehn Jahren um 25 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 senken werde. Auf der COP 3 1997 verpflichteten sich 41 Vertragsstaaten im »Kyoto-Protokoll«, ihre Emissionen zwischen 2008 und 2012 um 5,2 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren.13

Trotz der kollektiven Gefahr durch den Klimawandel wurde schnell deutlich, dass viele Staaten vor allem ihre individuellen Interessen verfolgen. Es dauerte acht Jahre, bis das Kyoto-Protokoll von der notwendigen Anzahl von Staaten, die mindestens 55 Prozent der globalen Emissionen verursachen, ratifiziert wurde. Auch Deutschland hielt sich nicht an seine Zusagen. Das von Helmut Kohl versprochene Ziel wurde deutlich verfehlt.