Cogito, ergo dumm - Sebastian 23 - E-Book

Cogito, ergo dumm E-Book

Sebastian 23

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  • Herausgeber: Benevento
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Ich denke, also spinn' ich! Eine kleine Geschichte der Menschheit Der Mensch ist dumm, die Menschheit ist dümmer. Die Geschichte des Homo sapiens, des "klugen Menschen", ist voll von absurden Momenten, bei denen man nicht weiß, ob man lachen, weinen oder den Planeten evakuieren soll. Aber waren wir immer gleich dumm oder schreitet unsere Verdummung fort, leiden wir gar an digitaler Demenz? Philosoph und Comedian Sebastian 23 nimmt Sie mit auf einen rasanten Ritt durch die Evolution des Menschen und seiner Dummheit. Mit eindrücklichen Beispielen aus Vergangenheit und Gegenwart portraitiert er die ganze Vielfalt geistiger Abwesenheit – vom antiken Feldherren, der ein Meer auspeitschen ließ, bis zum eitlen Kriminellen, der bei der Polizei ein schöneres Fahndungsfoto einreichte. - Das neue Buch von Poetry Slammer Sebastian 23: fundiert recherchiert und auf bewährt unterhaltsame Weise verfasst - Irren ist menschlich: Was ist Dummheit und warum gehört sie untrennbar zu uns? - Die Dummheit der Menschen im Wandel der Zeit, von der Antike bis ins Social-Media-Zeitalter - Haarsträubende und skurrile Beispiele aus Wissenschaft und Technik, Kunst und Kultur, Politik und Wirtschaft, Sprache, Glaubens- und Gefühlswelt Wenn Satire auf Philosophie trifft: Unterhaltsame Texte über die menschliche Dummheit Sebastian 23 ist Dichter, Denker und König des Poetry Slam. Er verfasst Texte voller philosophischer Fragen und Gesellschaftskritik, garniert mit einer Prise Humor oder wohldosiertem Spott. In seinem neuen Werk nimmt er in achtzehn schlauen Kapiteln die kleinen und großen Dummheiten der Menschheitsgeschichte aufs Korn. Entspringen sie alle nur dem Fehlen von Intelligenz oder steckt mehr dahinter? Und warum wehren wir uns so vehement gegen den Gedanken, dass Dummheit zutiefst menschlich ist? Finden Sie es heraus und gehen Sie dem Phänomen Dummheit auf den Grund!  

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Seitenzahl: 443

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SEBASTIAN 23

Cogito,

ergo dumm

EINE GESCHICHTE DER DUMMHEIT

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr.

Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

Die Zitate im Innenteil des Buches haben wir verwendet mit freundlicher

Genehmigung von:

Bertolt Brecht, Die Dreigroschenoper, in: ders., Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 2: Stücke 2 © Bertolt-Brecht-Erben / Suhrkamp Verlag 1988 Matthias Eckoldt Leonardos Erbe. Die Erfindungen da Vincis – und was aus ihnen wurde © 2019 Penguin Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Eugen Roth: Sämtliche Werke, München/Wien 1977 © Thomes Roth

Harald Specht: Geschichte(n) der Dummheit. Die sieben Sünden des menschlichen

Schwachsinns © Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2010

1. Auflage 2020

Copyright der deutschen Erstausgabe © 2020 Benevento Verlag bei Benevento Publishing Salzburg - München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der MinionPro, Avant Garde, Chain Breaker

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München, unter Verwendung eines Fotos von © Henriette Becht

ISBN: 978-3-7109-0103-4

eISBN: 978-3-7109-5108-4

»Denn für dieses Lebenist der Mensch nicht schlau genug«

Bertolt Brecht

Inhalt

1.Einleitung

2.Was heißt hier dumm?

3.Dummheit im Wandel der Zeit

4.Unheilbar dumm

5.Unwissenschaft und Technik

6.Krieg, Gewalt und Katzenbildchen

7.Aber: Glaube

8.Liebe – die größte Dummheit?

9.Politik und Wirtschaft

10. Kunst oder Kultur?

11. Kriminell blöd

12. Dumm bei der Arbeit

13. Kinder und Betrunkene

14. Dumme Sprache

15. Alte Medien

16. Virtuelle Verdummung?

17. Künstliche Dummheit

18. Schlaues Schlusswort

Danksagung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

»Wer nur Gebildete und Vernünftige kennengelernt hat, der kennt den Menschen überhaupt nicht oder nur zur Hälfte.«

Jean de La Bruyère

Wir leben in einer Zeit, in der ein amerikanischer Präsident den Klimawandel leugnet, Gutmensch ein Schimpfwort geworden ist und in TV-Shows Partnerwahl anhand entblößter Körperteile betrieben wird. Während auf der einen Seite der Welt Menschen verhungern, werden auf der anderen Seite Gesetze erlassen bezüglich der zulässigen Länge von Bananen. Schon durch diese wenigen Beispiele kann man ins Staunen geraten und die Frage in den Raum stellen, ob Dummheit nicht womöglich der zentrale Bestandteil unserer Kultur ist.

Aber was ist Dummheit eigentlich genau – und wenn ja, wie viele? Ist der Mensch tatsächlich dumm? Werden wir womöglich immer dümmer? Wie hat sich Dummheit im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelt – und wo stehen wir heute? Und wie geht es in Zukunft weiter – werden wir womöglich bald alle von einer überlegenen künstlichen Dummheit ersetzt? Das sind auf den Punkt gebracht nur einige der Leitfragen dieses Buches.

»Der Mensch nutzt nur zehn Prozent seines Gehirns«, hat Albert Einstein mal gesagt. Das würde natürlich einiges erklären. Stimmt aber nicht, denn dieses Zitat, das Einstein so oft zugeschrieben wird, stammt überhaupt nicht von ihm. Es ist davon abgesehen auch überhaupt nicht richtig. Der Mensch nutzt nämlich sein komplettes Gehirn; selbst in Ruhephasen feuern die Neuronen munter weiter. Trotzdem hält sich dieses Gerücht mit den zehn Prozent seit über hundert Jahren und war Inspiration für Filme, Lieder und den mystischen Löffelverbieger Uri Geller. Dieser meinte nämlich, Zugriff auf jene ungenutzten Hirnareale zu haben und mithilfe seines überlegenen Geistes folglich die Fähigkeit zu besitzen, das Geschirr zu krümmen. Und in den Achtzigern verbog sich ihm die halbe Menschheit zu Füßen. Ob das die Hälfte war, die Jean de La Bruyère im Eingangszitat gemeint hat?

Tatsächlich haben wir in den letzten Jahrzehnten sehr viel darüber herausgefunden, wie unser Gehirn funktioniert. Auch über Intelligenz ist schon viel geschrieben worden. Aber wie die dunkle Seite des Mondes wird die andere Seite der Medaille selten in Betracht gezogen. Und das, obwohl es so scheint, als ob die Dummheit einen großen und wachsenden Bestandteil unseres Lebens und unserer Kultur ausmacht. Gibt es tatsächlich kein Denken ohne Dummheit? Ich würde sagen, das gibt es so wenig wie Stärke ohne Schwäche. Solange ich nicht unendlich klug bin, bin ich dümmer als jemand, der unendlich klug ist. Aber wir gelten sicher auch deswegen ungern als dumm, weil Klugheit uns Sicherheit verspricht. Oder zumindest haben wir das Gefühl, sicher zu sein, weil wir ja in der Lage sind, die Welt und ihre Gefahren richtig einzuschätzen. Unser Stammhirn ist also schon evolutionär bedingt dagegen, dass wir dumm sind. Nun ist aber der Mensch ohne Dummheit undenkbar, genauso wie ein Mensch ohne Schwäche. Ist unser Stammhirn also gegen sich selbst? Ein weiterer Grund, diesem Phänomen einmal systematisch nachzugehen.

Doch bevor wir einen Blick darauf werfen, welche Dummheiten die Menschheit so angestellt hat, lohnt sich eine Untersuchung dessen, was Dummheit eigentlich bedeutet. Und klar, da kann man leicht mit dem Finger auf den venezianischen Stadtrat zeigen, dessen rechtskonservative Mehrheit aus Lega Nord und Forza Italia am 12. November 2019 ein Maßnahmenpaket zur Abwendung des Klimawandels ablehnte – und Minuten später wurde der Sitzungssaal vom steigenden Meerespegel überflutet. Derlei eindrückliche Beispiele für menschliche Dummheit aus Vergangenheit und Gegenwart finden sich viele, aber es erscheint vorab zumindest sinnvoll, sich kurz mit der Dummheitstheorie zu befassen. Wir werfen dabei auch einen Blick auf die funktionale Dummheit, emotionale Dummheit und künstliche Dummheit. Ergründen wir die Dummheit in ihrer Vielfalt. Und vergessen wir dabei nie meine eigene Dummheit als Autor. Denn ich würde mich nie trauen, ein Buch über Dummheit zu schreiben, wenn ich nicht selbst nur ein Stück Seife im Kopf hätte.

2. Was heisst hier dumm?

»Vielwisserei lehrt nicht Verstand haben.«

Heraklit

Wenn man einfache Lösungen mag, würde man wohl im Duden nachschlagen, was Dummheit ist, aber der Duden weiß das natürlich und streckt den Suchenden auf seine ganz eigene Art die Zunge raus. Dummheit wird hier definiert als »Mangel an Intelligenz«. Intelligenz hingegen wird definiert als Mangel an Dummheit. Und fertig ist die Laube. Leider stimmt das nicht, ganz so mutig ist die Duden-Redaktion nicht. Intelligenz ist ihr zufolge die Fähigkeit, abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten. Ich habe ehrlich gesagt nicht mal diesen Satz verstanden und bin mir daher recht sicher, dass wir alle ein bisschen dumm sind. Aber vielleicht schließe ich da auch wieder nur von mir auf andere.

Es scheint, wenn man verstehen will, was Dummheit ist, kommt es auch darauf an, was man so als Intelligenz betrachtet. Umfragen zufolge galt als intelligentester Deutscher lange Zeit niemand anderes als Günther Jauch. Das leuchtet ein, der wusste ja auch immer die Antworten auf alle Quizfragen, sogar die allerschwierigsten. Der muss ja wahnsinnig clever sein, ist logisch. Dass Herr Jauch die Fragen ja gar nicht selbst beantworten muss, sondern am Ende nur die Antworten der Kandidat*innen mit der richtigen Antwort aus der Redaktion vergleicht, spielt offenbar eine untergeordnete Rolle. Gut, okay, das hätte man auch einem mittelbegabten Huhn beibringen können, welches im Übrigen ähnlich undurchschaubar geguckt und zudem hübscheres Gefieder vorzuweisen gehabt hätte. Aber gut, das ist nicht meine Entscheidung, das müssen die Verantwortlichen bei RTL selbst wissen. Bisschen schade nur, dass mittlerweile nicht ein mittelbegabtes Huhn als intelligenteste Deutsche gilt, sondern stattdessen den misogynen Maskenball namens Germanys Next Top Model moderiert.

Immer wieder beeindruckt zeigen sich die Menschen auch von Kopfrechenkünstler*innen. Die gelten als überaus intelligent, wenn sie mal eben beim Frühstück zwischen Scheiblettenkäse und Mirabellenmarmelade dreistellige Zahlen im Kopf multiplizieren. Das kann ich übrigens auch, vorausgesetzt, die dreistelligen Zahlen sind 100 und 100. Da ist die Lösung einfach: 200. Wäre jedoch allein Kopfrechnen der Maßstab für Intelligenz, dann wäre bereits mein Taschenrechner eine übermenschliche künstliche Intelligenz, die uns alle unterjochen könnte: »Kniet nieder, ihr Narren, Fürst Casio X34 ist im Haus und jongliert lässig mit Zweierpotenzen!«

Glücklicherweise ist das nicht so und nur deshalb sind wir noch die überlegene Intelligenz auf diesem Planeten. Vor lauter Freude darüber nennen wir uns selbst Homo sapiens (etwa: der kluge Mensch), bis in die 1990er war sogar die Bezeichnung Homo sapiens sapiens verbreitet. Der kluge, kluge Mensch – das war unser Name. Mag sein, dass wir unser Recht als Erfinder der Sprache, alles zu benennen, da etwas zu unseren Gunsten verbogen haben: »Okay, du bist ein Huhn, du bist eine Katze und du bist ein Dorsch. So, haben jetzt alle Namen? Nein, ich selbst noch nicht? Okay, ich heiße der kluge, kluge Mensch. Hat jemand Einwände? Nein? Okay.«

Kann es da verwundern, dass niemand dumm sein will? Schließlich definieren wir nicht weniger als unsere eigene Gattung über unsere Klugheit. Und doch scheint die Dummheit unser steter Begleiter zu sein. Falls Sie heute noch nichts Dummes gemacht haben, sind Sie vielleicht einfach nicht ehrlich zu sich selbst. Schade im Grunde, dass man nur den IQ messen kann, aber nicht den Dummheitsquotienten, also quasi den SQ, wie man international abkürzen würde. So klagt Emil Kowalski in seinem hervorragenden Buch Dummheit. Eine Erfolgsgeschichte. Über diesen Punkt musste ich allerdings ein wenig schmunzeln. Denn den Dummheitsquotienten zu messen statt den Intelligenzquotienten ist ein wenig, wie die Dunkelheit statt der Helligkeit zu messen: »Ja, Herr Nachtigaller, wir wissen, wie hell es in diesem Raum ist. Aber die Frage bleibt: Wie dunkel ist es in diesem Raum?«

Es lohnt sich also doppelt, in diesem Buch einen genaueren Blick auf die Dummheit zu werfen. Denn die Reise geht immer auch an die Grenzen unserer Intelligenz. Und da wird es erfahrungsgemäß lustig. Ganz nebenbei finden wir vielleicht auch noch raus, ob wir den Ehrentitel Homo sapiens überhaupt verdienen oder in Zukunft eher Homo stultus heißen sollten.

Eine sehr naheliegende Methode, über die Intelligenz oder eben die Dummheit eines Menschen eine Aussage zu treffen, ist der IQ-Test. Der Franzose Alfred Binet erfand das Konzept von Testaufgaben in verschiedenen Schwierigkeitsstufen. Der deutsche Psychologe William Stern entwickelte 1912 aus diesem Test eine Maßeinheit: den Intelligenzquotienten, kurz IQ. Bei Leuten, die vorher gelebt haben oder einen solchen Test nie gemacht haben, kann man nur Mutmaßungen anstellen. Das gilt auch für Albert Einstein, dem ein IQ von 160 nachgesagt wird, der aber nie einen Test gemacht hat, also in Wirklichkeit überhaupt gar keinen IQ hatte. Und das, obwohl er 100 Prozent seines Gehirns nutzte. Ebenso wenig wissen wir über den IQ von Charles King, der 1927 die Präsidentschaftswahlen in Liberia mit 243 000 Stimmen Vorsprung gewann. Beeindruckende Zahlen, besonders bei nur 15 000 Wahlberechtigten im Land. Sein IQ war bestimmt mindestens fünf Milliarden. Aber dazu später mehr.

Die heute gebräuchlichen weiterentwickelten IQ-Tests gehen auf den US-Psychologen David Wechsler zurück. Wir haben uns inzwischen darauf geeinigt, dass alle zwischen 85 und 115 in der Norm liegen. Ab einem IQ von weniger als 70 spricht man von Intelligenzminderung, Minderbegabung, Schwachsinn oder Oligophrenie. »Etwa 5 Prozent der Gesamtbevölkerung weisen nach der psychologischen Definition eine Intelligenzminderung auf«, schreibt der Hirnforscher Ernst Pöppel. Der IQ-Test wird dabei übrigens regelmäßig normiert, dazu werden 30 000 bis 50 000 Probanden gemessen und ein Mittelwert gefunden, der dann als 100 definiert wird. Und es mag Sie vielleicht überraschen, dieser Mittelwert steigt stetig. Nach der Definition von Intelligenztests wird die Menschheit also scheinbar immer klüger. Spätestens dieses Phänomen, das in der Fachwelt als Flynn-Effekt bezeichnet wird, macht mich persönlich ja misstrauisch.

Vielleicht hat der Journalist Bob Fenster das Problem ganz gut eingegrenzt: »Intelligenz wird von Leuten eingeschätzt, die ein berechtigtes Interesse daran haben, Intelligenz hoch einzuschätzen. Sie ist nämlich ihr einziges Ass im Ärmel.« Vielleicht denken Sie jetzt auch: Moment mal, ist das schon alles, was sich im menschlichen Denken abspielt? Nun, machen Sie sich auf ein paar Überraschungen gefasst. Zum Beispiel, dass Ihr gerade geäußerter Gedanke eine kritische Rückfrage ist und damit ein Zeichen für eine Form von Intelligenz, die so in IQ-Tests eben nicht gemessen wird. Nicht dass IQ-Tests deswegen dumm wären. Aber womöglich sind wir nicht so doof, wie mancher IQ-Test uns nahelegen will.

Das Volk der Luo im westlichen Kenia hat in seiner Sprache DhoLuo vier verschiedene Worte für Intelligenz: Rieko, Luoro, Winjo und Paro. Dabei entspricht nur Rieko derjenigen Intelligenz, die in IQ-Tests abgefragt wird, denn mit Rieko bezeichnen die Luo kognitive Kompetenz. Wie Professor Elias Mpofu von der Universität Johannesburg erklärt, bezieht sich Paro auf eine Art kreative Intelligenz und das Durchhaltevermögen bei der Umsetzung von Ideen. Bei Luoro und Winjo handelt es sich hingegen um soziale Fähigkeiten: Die Fähigkeit, andere zu respektieren und sich um sie zu kümmern, wird Luoro genannt, in Abgrenzung dazu bezeichnet Winjo das Verständnis und die Ehrerbietung für Erwachsene, Ältere oder Autoritätsfiguren. Auch in der westlichen Psychologie wird seit geraumer Zeit die emotionale Intelligenz und die damit zusammenhängende Sozialkompetenz diskutiert. Insbesondere der amerikanische Psychologe Daniel Goleman hat 1995 mit seinem Buch Emotional Intelligence. Why It Can Matter More Than IQ das Thema einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Darin prägt er auch das Gegenmodell zum IQ, nämlich den EQ, mit dem man die Emotionale Intelligenz messen kann.

Robert Sternberg, ebenfalls Psychologe, ging sogar noch einen Schritt weiter und entwickelte ein dreigeteiltes Konzept von Intelligenz: Analytische Intelligenz, Kreative Intelligenz, die bei ihm die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit neuen und ungewohnten Problemen ist, und Praktische Intelligenz, also die Anpassungsfähigkeit an Alltagsprobleme. Seitdem hat er sich der Erforschung und Publikation der Intelligenz und ihrer Grenzen hinter IQ und EQ gewidmet. Erfolg kann man im Leben nur haben, so seine These, wenn man eben auch Praktische und Kreative Intelligenz hat. Praktische Dummheit im Alltag ist dann vermutlich, wenn man morgens um 6:30 Uhr aufsteht, duscht, sich anzieht, Kaffee trinkt und frühstückt, zur Arbeit fährt und pünktlich um 7:59 Uhr vor der Bürotür merkt: Es ist Sonntag. Kreative Dummheit hingegen wäre es, dann seinen Kalender wegen unterlassener Hilfeleistung zu verklagen. Sie sehen, man kann auf ebenso viele Weisen dumm sein, wie man sich intelligent verhalten kann – beruhigend, oder? Die Luo würden sicher zustimmen: Um im Leben zurechtzukommen, braucht man eben mehr als nur Rieko. Und wissen Sie, wer noch zugestimmt hätte? Albert Einstein. Der hat tatsächlich mal – diesmal wirklich ehrlich – in einem Beitrag in der The Saturday Evening Post geschrieben: »Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.«

Da wir hier im Buch einiges dumm nennen werden, möchte ich einen wichtigen Einwand von Emil Kowalski nicht unerwähnt lassen: »Es sei ausdrücklich betont, dass wir physiologisch oder sozial bedingte Mängel an Intelligenz nicht als ›dumm‹ verstehen wollen, also keine Demenz oder andere krankhafte kognitive Störungen, und auch nicht gesellschaftlich bedingte Wissensdefizite. Menschen, die wegen Verletzung, Krankheit oder Alter ihre geistige Beweglichkeit einbüßen oder unter sozial unwürdigen Verhältnissen leben, sind nicht dumm im Sinne unserer Überlegungen. Sie verdienen keinen unserer Sarkasmen, sondern Hilfe und Verständnis.«

Ich finde das äußerst interessant, denn Kowalskis Versuch, jegliche Form von geistigem Elitarismus zu vermeiden, klingt sehr nachsichtig und umsichtig. Seine Ausnahmen von der Regel sind jedoch so umfangreich, dass am Ende so gut wie niemand mehr dumm zu nennen wäre. Ich glaube, es ist eher andersherum: Jeder Mensch ist dumm. Wir alle brauchen Hilfe. Ganz sicher nicht immer. Aber oft genug. Und nur von dieser Basis aus können wir die Dummheiten anderer Menschen betrachten und dürfen auch darüber lachen. Man kann die ganze Sache so betrachten wie Bob Fenster: »Die Intelligenz der allermeisten Menschen reicht aus, um im Leben zurechtzukommen.« Wie wichtig kann es da sein, wenn einer schneller weiß, ob ein gelbes Quadrat eine Reihe richtig vervollständigt oder ein weißer Kreis? Man sollte sich also keinesfalls schlechter fühlen, wenn man das grüne Dreieck angekreuzt hat. Oder einen anderen deswegen geringschätzen.

Überhaupt ist es doch so: Wir denken einfach nicht immer gerne nach. Viele Leute gehen dem Denken sogar sehr aktiv aus dem Weg. Und sie nehmen einiges in Kauf, um bloß nicht ins Grübeln zu geraten. Eine Studie an der Universität von Virginia, von der Timothy Wilson 2015 in einem Beitrag für das Magazin Science berichtete, ergab, dass mehr als die Hälfte der getesteten Teilnehmer*innen sich tatsächlich lieber selbst kleine Elektroschocks verpassten, als für sechs bis elf Minuten still zu sitzen und nachzudenken. Aua. Was soll man dazu noch sagen? Ich schließe mich dem Hofnarren und Gelehrten David Faßmann an. Dieser schrieb schon 1729, wenn es Leuten an Erinnerungsfähigkeit und Urteilskraft fehle und sie dann auch noch keine Lust zum Studieren haben, werden sie zu »Stock-Narren, Ertz-Matzen und Lappen«. Manchmal vermisse ich das 18. Jahrhundert ein bisschen.

Aber auch, wenn heute vielleicht nicht alle Stock-Narren und Ertz-Matzen sind: Dass wir alle von Zeit zu Zeit dumme Sachen machen, lässt sich schon aus logischen Gründen gar nicht bestreiten, denn so etwas zu sagen wäre selbst eine dumme Sache. Jede*r von uns ist schon mal falschrum in eine Drehtür gelaufen, hat seinen Kaffee auf dem Autodach vergessen, obwohl man mit dem Fahrrad unterwegs war, oder aus Versehen nicht verstanden, wie genau unser politisches System funktioniert. Oder ein Kühlschrank. Weiß irgendjemand hier, wie Kühlschränke genau funktionieren? Bitte aufzeigen!

Selbst die intelligentesten Menschen machen manchmal dumme Dinge. Aber sind sie dann nicht gleichzeitig dumm und intelligent? Wie soll das möglich sein? Das liegt ganz einfach daran, dass wir Worte wie dumm oft als Beschreibung eines vermeintlich fixen Zustands verwenden: »John ist dumm.« In diesem Sinne kann man einerseits ein kognitives Defizit meinen, das sich zum Beispiel in einem deutlich unterdurchschnittlichen IQ widerspiegelt. Oder man meint, dass John chronisch unwissend ist, etwa durch mangelhafte Bildung. Diese Formen von Dummheit würde ich allgemeine Dummheit nennen und nicht statische Dummheit, denn an den meisten Einschränkungen dieser Art kann man noch etwas ändern. Ebenso kann man das Wort dumm aber auch einsetzen, um das Verhalten in einer bestimmten Situation zu beschreiben: »Als John versucht hat, sein Smartphone im Toaster aufzuladen, war das ziemlich dumm.« Und ja, bezüglich der Situation mit dem Smartphone kann man dann auch völlig zu Recht sagen, dass John dumm ist. Aber er kann im nächsten Moment schon wieder etwas sehr Intelligentes sagen und durchschimmern lassen, dass er ein Harvard-Professor ist. In diesem Sinne ist es gar nicht widersprüchlich, dass John schlau und dumm ist. Das vermeintliche Paradox rührt nur daher, dass wir in der Alltagssprache oft unpräzise sind und Ausdrücke mehrere Sachen bedeuten können. Dumm kann eben allgemein kognitiv eingeschränkt oder unwissend heißen, aber sich auch auf situative Dummheit beziehen. Diese würde ich am ehesten als Unbedachtheit klassifizieren, auch wenn das vielleicht etwas verharmlosend klingt für die Aktion, sein Smartphone im Toaster aufzuladen.

Um etwas Dummes zu machen, muss man hinter seinen eigenen Möglichkeiten zurückbleiben – ich möchte noch einmal an die Definition des Duden erinnern –, abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten. Situative Dummheit ist nicht-angewandte Intelligenz. Und klar, wer sich lieber Elektroschocks verpassen lässt, als mal eine Weile zu grübeln, der wirkt womöglich, als befände er sich auf einem Pfad in Richtung kompletter Nicht-Anwendung. Aber auch diese Personen können ihr Verhalten ändern, aus einer kommenden Situation etwas lernen, an einer Begegnung oder einem Erlebnis oder einem sehr schmerzhaften Elektroschock reifen, und würden vielleicht schon eine Woche später beim selben Test eine andere Entscheidung treffen. Wir sind zum Glück nicht eindimensional. Es gibt sogar für Ertz-Matzen und Stock-Narren noch Hoffnung.

Die Wissenschaftler Mats Alvesson und André Spicer schreiben völlig zu Recht, dass es zu einfach gedacht ist, wenn man Menschen, die dumme Dinge machen, einen niedrigen IQ, schlechte Erziehung oder ein verengtes Weltbild unterstellt. Auch wenn das bisweilen zutreffen mag, darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass einige der problematischsten Dummheiten von sehr intelligenten Menschen gemacht werden. Das liegt auch daran, dass wir dazu neigen, die allgemeine und die situative Verwendung von intelligent oder dumm zu verwechseln. Denn wenn wir vergessen, dass auch Expert*innen sich gelegentlich sehr dumm anstellen, dann überlassen wir ihnen womöglich zu viel Verantwortung.

Noch mal anders beschreibt es Robert Musil in seinem Vortrag »Über die Dummheit« von 1937. Nachdem er sich lange durch die scheinbar paradoxen Verwendungen des Wortes Dummheit manövriert hat, unterscheidet er zwischen der einfachen und schlichten Dummheit, die er lange Leitung nennt, und einer anderen Dummheit, die nicht auf einem generell schwachen Verstand beruht, sondern »auf einem Verstand, der bloß im Verhältnis zu irgendetwas schwach ist, und diese ist die weitaus gefährlichere«.

Damit stellt sich die Frage, im Verhältnis zu was der Verstand denn schwach ist, wenn intelligente Menschen etwas Dummes machen. Irgendetwas muss die Menschen dazu antreiben, unbedacht zu bleiben, es muss ein stärkeres Motiv dafür geben, nicht in Ruhe zu überlegen und seinen Verstand zur Anwendung zu bringen. Das kann natürlich passieren, wenn unsere Gefühle die Kontrolle übernehmen. Wenn wir Angst oder Hass oder Gier oder Lust oder Arroganz an die Zügel lassen, dann ist es gut möglich, dass der Verstand nichts mehr zu melden hat. Oder zumindest nicht mehr viel. Ebenso gilt das für unsere Moralvorstellungen, woher auch immer wir diese gerade nehmen oder kriegen. Manchmal folgen Menschen lieber einer Sekte, einer Ideologie oder einem Anführer, als sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Und jetzt verstehen Sie vielleicht auch, was Musil damit meinte, dass diese Form von Dummheit gefährlich sein kann. Wir werden sehen, dass Unbedachtheit aber eben auch überaus lustig sein kann. Und keine Sorge, wir dürfen alle getrost darüber lachen, denn wir sind in diesem Punkt alle weitgehend auf Augenhöhe. Und zwar mit einem Kieselstein.

Fassen wir unsere Erkenntnisse so weit noch mal zusammen, kann man drei Dinge unterscheiden, die wir aber alle Dummheit nennen: kognitive Beeinträchtigung, die angeboren ist, biografisch bedingte Unwissenheit und situative Dummheit, die wir zur Abgrenzung auch Unbedachtheit genannt haben. Bei letzterer überwiegt eine andere Motivation und führt dazu, dass man eben nicht von seinem Verstand Gebrauch macht. Und zwar weder von seiner rationalen Intelligenz noch von der emotionalen Intelligenz und Sozialkompetenz, weder von seiner praktischen Intelligenz noch von seiner kreativen Intelligenz. Die situative Dummheit ist locker in der Lage, alle Formen unserer Intelligenz auszuhebeln. Hinzugefügt sei noch, dass sich die drei Dummheiten übrigens explizit nicht gegenseitig ausschließen. Ein Beispiel? Ich würde sagen, bei dem Mann im nordhessischen Bad Zwesten, der ohne jede Maske oder Waffe eine Bank überfiel und auf den Hinweis der Bankangestellten, größere Auszahlungen könne man nur gegen Beleg ausgeben, bereitwillig seine Personalien angab, kam so ziemlich jede Form von Dummheit zusammen.

Im Folgenden wollen wir uns hauptsächlich auf die situative Dummheit konzentrieren. Wie schon gesagt, sie ist die lustigste Form der Dummheit, und es lässt sich sicher sagen, dass wir alle manchmal unbedacht sind: Niemand macht keine Fehler. Ganz besonders nicht diejenigen, die sich für unendlich klug halten. Und davon werden wir in diesem Buch so einige kennenlernen. Ich halte mich da an den italienischen Schriftsteller Alberto Moravia, der einmal sagte: »Dummheiten können reizend sein, Dummheit nicht.« Werfen wir trotzdem getrost einen Blick auf all jene Stock-Narren, Ertz-Matzen und Lappen der Geschichte.

3. Dummheit im Wandel der Zeit

»Ich glaube nicht an den Fortschritt,sondern an die Beharrlichkeitder menschlichen Dummheit.«

Oscar Wilde

Was dumm ist oder vielmehr was die Menschen dumm fanden, war nicht immer das Gleiche. Im Laufe der Menschheitsgeschichte hat sich das Verständnis von Dummheit immerzu gewandelt. Das liegt einerseits daran, dass progressive Dummköpfe fortlaufend neue Möglichkeiten gefunden haben, dumm zu sein. Andererseits wandelt sich das Verständnis von gesellschaftlich akzeptablem Denken kontinuierlich und damit auch die Definition von allem, was davon abweicht und als dumm gilt.

Waren Sie vielleicht gestern noch ein ausgesprochener Vollidiot, weil Sie behaupteten, dass alle Dinge auf der Welt im Innersten nicht aus Dreiecken bestehen, sondern aus kleinen Nubsis, die niemand sehen kann und die Sie freiweg Atome nennen? Diese Atome sind angeblich so klein, dass in einem Glas Wasser mehr Atome sind als Gläser Wasser in allen Ozeanen der Welt? Klar, wenn Sie als Erster mit so einer Idee um die Ecke kommen, hält man Sie vermutlich für dumm. Doch das mag morgen bereits komplett anders aussehen. Und übermorgen kommt jemand daher und sagt, da geht es unter den Atomen aber noch ein paar Ebenen runter zu Quarks und Quanten. Und dann kommen die Physiker*innen vom »Quantum Gravity Research Center« und behaupten, dass die Grundstruktur des Universums aus einer vierdimensionalen quasikristallinen Struktur aus Tetraedern besteht – also letztlich Dreiecken. Klingt völlig seltsam und ausgedacht? Ist aber alles genau so passiert. Gut, nicht innerhalb eines Absatzes, sondern binnen zweieinhalbtausend Jahren, aber die Mühlen der Dummheit mahlen halt langsam.

In der griechischen Mythologie war es Prometheus, der den Menschen das Feuer der Erkenntnis brachte und sie damit zu den Herren ihrer Sinne machte. Um es mit den Worten des amerikanischen Anthropologen Paul Radin zu sagen, war es Prometheus, der die Menschen »kindisch-blöd zuvor, verständig machte und zu ihrer Sinne Herren«. In der Bibel war es eine Schlange mit einem Apfel, beziehungsweise einer anderen Frucht, denn – kleiner Fun Fact am Rande – tatsächlich wird der Apfel nirgends in der Geschichte erwähnt. Das Versprechen der Schlange jedoch war, äßen die Menschen vom Baum der Erkenntnis, »so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist«. So steht es im 1. Buch Mose, 3,5. Was offensichtlich ist: In beiden Fällen waren die Götter so gar nicht damit einverstanden und straften die Menschen und die Überbringer der Erkenntnis aufs Härteste. Woraus sich entspannt schlussfolgern lässt: Eigentlich waren wir dumm geplant und wir würden im Einklang mit unseren Schöpfern leben, wenn wir schön dumm geblieben wären. Selig sind die geistig Armen. Amen.

Ganz ähnlich liest sich das im Höhlengleichnis, das Platon in seinem Buch Politeia darlegt. Darin sitzt die Menschheit in einer Höhle, hinter ihnen ein Feuer und vor ihnen eine Wand. Und weil ihre Köpfe fixiert sind, schauen alle nur in Richtung der Wand und sehen somit nur Schatten, auch von sich selbst. Sie alle wetteifern in der Beschreibung der Schatten und halten diese für die ganze Welt. Schließlich befreit sich jemand und erkennt plötzlich die Wahrheit über die Schatten und die Menschen und das Feuer und die Wand. Mehr noch, derjenige schafft es sogar, die Höhle zu verlassen und gelangt nach draußen an die Sonne, in die wahre Welt hinein. Die Pointe des Gleichnisses ist nun, dass derjenige keine Möglichkeit hat, wieder in die Höhle zu gehen und seine Erkenntnisse mit den anderen zu teilen. Diese würden ihn ja für verrückt halten, weil er behauptete, ihre ganze Welt sei nicht echt und es gäbe dahinter eine ganz andere, realere Welt. Wie Erasmus von Rotterdam ironisch anmerkt, ist der Weise damit übrigens ganz sicher nicht glücklicher als jene, die zufrieden damit sind, wenn sie »bloß die Schatten und Abbilder der verschiedenen Dinge sehen und bewundern«.

Niemand will die Sonne sehen. In Anbetracht der Helligkeit der realen Sonne ist das ja auch verständlich. Die Menschen, die es eben doch versuchen, stellen sich dabei übrigens manchmal äußerst dumm an. Im August 2017 gab es zum Beispiel eine solche totale Sonnenfinsternis in den USA. Die Bilder von Präsident Donald Trump gingen um die Welt, die staunend Zeuge wurde, dass er tatsächlich entgegen der Warnungen aller Fachleute ohne Schutzbrille in die Sonne schaute. Dabei hatte er eine Schutzbrille, er hielt sie nur erst mal lieber in der Hand. Andere Menschen hatten keine Schutzbrille und improvisierten auf ihre Art. Tatsächlich wurden damals mehrere Menschen ins Krankenhaus eingeliefert, die sich zur Beobachtung der Sonnenfinsternis allen Ernstes Sonnenmilch in die Augen gekippt hatten. Dann bleibe ich doch lieber in meiner Höhle und bewundere die Schatten.

Sie können sich Platons Gleichnis statt mit einer Höhle und Schatten gerne auch mit einem Sofa und einem Fernseher oder Computer vorstellen, wenn Sie mögen. Der Punkt bleibt: In unserem Naturzustand sind wir doof und haben keinen Plan von der Welt. Es braucht großen Aufwand und sogar die Bereitschaft, die meisten Menschen hinter sich zu lassen, wenn man tiefere Einsicht in die Welt erhalten möchte, um das wahre Wesen der Dinge zu erkennen. Jede*r, der/die schon mal versucht hat, ein Smartphone aus der Hand zu legen, wird das bestätigen können. Wobei, ganz ehrlich, so unter uns: Schatten sind natürlich auch real.

Sokrates, der Lehrer des Platon, war da eigentlich auch schon einen Schritt weiter. Ihm hatte das Orakel von Delphi gesagt, dass er der Weiseste aller Griechen sei. Nicht nur, weil er soeben einen gültigen Reim auf Selfie gefunden hatte, sondern weil er wusste, dass er nichts wusste. Es war dieses »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, das ihn zum »weisen Idioten Griechenlands« machte, wie es Johann Gottfried Herder einmal ausdrückte. Die anderen sind so dumm, dass sie nicht mal wissen, dass sie dumm sind. Bis heute ein zentrales Element der höchsten Form von Dummheit. Nun waren Sokrates und Platon also auch ganz vorsichtig dabei, die Dummheit hinter sich zu lassen, und erfreulicherweise wurden auch nur 50 Prozent von ihnen zum Tode verurteilt, weil sie zu viel wussten. Das muss als echter Fortschritt gelten.

Es ist auch kein Wunder, dass die griechischen Philosophen vorsichtig waren. Einer der ersten, Thales nämlich, ist vor allem durch die Anekdote bekannt, dass er beim Studieren der Sterne in einen Brunnen fiel und von einer thrakischen Magd ausgelacht wurde. Auch in dieser Geschichte lacht diejenige, der die Erkenntnis fehlt über denjenigen, der versucht, sie zu erlangen. Hier zeigt sich auf einer sehr einfachen Ebene die Perspektivität von Dummheit: Für die Magd ist Thales ganz klar ein Dummkopf, der in die Sterne schaut und deswegen in einen Brunnen fällt. Jemand, der noch Jahrtausende später als Vorlage für einen weltbekannten Idioten namens Hans-Guck-in-die-Luft dienen würde. Für Thales hingegen ist die Magd dumm, denn sie hat kein Wissen und kein Verständnis vom Wesen der Welt. Und sie bemüht sich noch nicht mal darum. Wenigstens ist Thales nämlich nur einmal in den Brunnen gefallen und hat dann daraus gelernt, die Magd hingegen hat kurz Spaß gehabt und nimmt ansonsten nichts aus der Geschichte mit.

Analog verhält es sich mit einem der schönsten Gedanken zum Thema Diskussion: Der Gewinner jeder Debatte ist immer derjenige, der von Anfang an unrecht hatte, denn nur er ist derjenige, der etwas dazulernen kann. Man muss unrecht haben, um sich entwickeln zu können. So schreibt Aristoteles in der Nikomachischen Ethik, derjenige sei stupide, der nicht wisse, dass aus Einzelhandlungen die festen Grundhaltungen hervorgehen. Ähnlich formulierte es Albert Einstein: »Wahnsinn ist, wenn man immer wieder das Gleiche tut, aber andere Resultate erwartet.« Sie ahnen es vielleicht: Auch dieses Zitat stammt in Wirklichkeit nicht von Einstein, es wird ihm nur immer wieder zugeschrieben, in Büchern, auf Tassen, T-Shirts und Aufklebern. Wahrscheinlich gibt es irgendwo auch einen neongrünen Klodeckel mit dieser Aufschrift. Armer Einstein.

Eine Sache noch zum antiken Griechenland. Von dort stammt nämlich auch das Wort Idiot. Ein ἰδιώτηζ (idiotes) war jedoch zunächst einfach nur die Bezeichnung für einen einfachen Bürger im Unterschied zu Vertretern der Regierung. Erst sehr viel später wurde es als Bezeichnung für Nicht-Experten verwendet, und von dort aus rutschte die Bedeutung über Ahnungsloser bis hin zum Synonym für Dummkopf oder Minderbemittelter. Spannend, wie schon hier der Bürger mit sprachlichen Mitteln zum Depp gemacht wurde, oder?

Auch Seneca hat sich mit Dummheit befasst. Für ihn war es zum Beispiel ein Zeichen von Dummheit, wenn man seinen Reichtum nicht wie einen Sklaven behandelte, sondern sich diesem stattdessen unterwarf. Und auch diesem Motiv der Dummheit, die sich im stumpfen Streben nach Geld äußert, ist die Menschheit bis heute treu geblieben. Es folgen im Buch noch zahlreiche Beispiele, aber Sie kennen sicher auch jemanden, der schon mal etwas Dummes getan hat, weil es Profit versprach: sich selbst.

Sind Sie der Meinung, dass das nicht stimmt? Kein Wunder: Seneca schrieb weiter, dass Weise den Sinnzusammenhang erkennen, Toren hingegen nur Meinungen haben, die übereilt gebildet sind, schwankend und ohne sicheren Erkenntnisgrund. Aber keine Sorge, Seneca hielt sich nicht für klüger als Sie: »Wenn ich mich mal an einem Narren erheitern will, dann brauche ich nicht lange zu suchen: Über mich selbst lache ich.«

Für Lukian war ebenso klar, dass Philosophen die wahren Narren sind, da sie beständig lesen und sich den Kopf mit fremden Gedanken füllen und sich so durch ihre Gelehrsamkeit von der Vernunft abführen. Bei Lukian darf man sich aber nie sicher sein, ob er das nicht satirisch meinte. Sein Beitrag zur Dummheitsforschung ist übrigens nicht zu unterschätzen, denn Lukian ist einer der antiken Schriftsteller mit dem weitreichendsten Einfluss auf die europäische Kultur. Besonders hervorheben möchte ich aus Lukians Fanclub Erasmus von Rotterdam, der nicht nur gemeinsam mit Thomas Morus eine Werksammlung Lukians herausgab, sondern »dessen spöttischen Geist er in seinem Lob der Torheit wiederaufleben lässt«, wie die Philosophin Astrid Nettling feststellt. Das Lob der Torheit wiederum gilt bis heute nach über 500 Jahren vielen Leuten als bestes Buch über Dummheit. Aber dazu später mehr.

Ist es nun also klug, zu erkennen, dass man dumm ist? An der Stelle springt dann die Bibel noch mal auf und ruft: »Ja!«

Und während der Rest der Welt sich noch wundert, dass ein Buch sprechen kann, zitiert sich die Bibel selbst: »Wer auf seinen eigenen Verstand vertraut, ist ein Tor / Wer in Weisheit seinen Weg geht, der wird gerettet« (Sprüche 28,26). Denn für den Gläubigen ist in dieser Sichtweise die wahre Weisheit, sich von der Gelehrsamkeit und dem Ergründen der Welt abzuwenden und auf Gott zu vertrauen.

Fast scheint es, als wären Sokrates und Gott hier auf einer Linie, aber so ganz stimmt das natürlich nicht. Denn Sokrates war stets bemüht, Erkenntnisse zu erlangen. Mehr noch: Seine Bereitschaft, dabei althergebrachte Traditionen infrage zu stellen, war es wohl, die ihm am Ende sein Ende bereitete, denn er galt den Athenern als Verführer der Jugend. Das Eingeständnis der eigenen Dummheit war für Sokrates ein Ausgangspunkt und nicht das Ziel. Von dort an wird losgedacht und alles infrage gestellt und nicht aufgehört, der Vorhang herabgelassen und Gott der Rest überlassen. Diese aktive Abwendung vom Streben nach neuer Erkenntnis erlangte jedoch einigen Einfluss. Denn, wie der Autor Werner van Treeck betont, für den Gläubigen verkehren sich gewissermaßen die Vorzeichen: Wissen und Erfahrung wird abgewertet, Glaube und Offenbarung wird aufgewertet.

Dieser Verzicht auf die Nutzung des Verstands war eine Art Keimzelle für die Gleichheit aller Menschen. Vor Gott sind alle Menschen gut, solange sie halt an ihn glauben. Man musste nichts besonders machen oder können oder sagen. Das ursprüngliche Christentum war da sehr tolerant und kannte übrigens auch kaum rituelle oder andere Vorschriften. Man denke nur daran, wie Jesus es schaffte, auch mal ein Auge zuzudrücken und keinen Stein zu werfen. Doch mit fortschreitendem Dogmatismus und der wachsenden hierarchischen Struktur der römischen Kirche änderte sich das.

Der Physiker Emil Kowalski ist der Ansicht, die in der Folge aufkommende »Behinderung der Evidenzbasierten Wissenschaft war Ursprung der Inquisition und der Verfolgung von Denkern und Forschern, die an den dogmatischen Erklärungen der Natur zweifelten«. So blieb die (westliche) Menschheit erst mal ein paar Jahrhunderte im Mittelalter stecken, bis wieder etwas Bewegung reinkam und tradierte Lehre infrage gestellt werden durfte. Bei Thomas von Aquin klang das noch vorsichtig, wenn er Neugier verurteilte, da diese zur Beschäftigung mit wenig nützlichen Dingen führe. Aber dazu mehr im Kapitel Unwissenschaft und Technik.

Bevor wir dazu kommen, noch einmal Thomas Hobbes: In seinem Leviathan wird die oben erwähnte thrakische Magd zumindest indirekt abgewertet. Menschen mit geringen Fähigkeiten, so schreibt er, »sind gezwungen, die Unvollkommenheiten anderer Menschen zu beobachten, um vor sich selbst bestehen zu können«. Vielleicht speichern Sie sich das mal zwischen, für den nächsten Anlass, wenn Schadenfreude in Ihnen keimt, Sie im Internet über »Epic fails« lachen oder jemand wegen eines Rechtschreibfehlers zurechtweisen wollen.

Bereits erwähnt habe ich ja auch das wohl berühmteste Buch über Dummheit, das Lob der Torheit. Geschrieben hat es Erasmus von Rotterdam, der heute vor allem auch berühmt ist als Namensgeber für ein internationales Programm, bei dem Studierende Gastsemester im Ausland verbringen und dann statt Bier ein halbes Jahr lang Cervesa trinken und herausfinden, wie es ist, in einer ganz anderen Kultur bis mittags zu schlafen und dann nicht zur Uni zu gehen. Kurz: Erasmus ist Namenspate für zigtausend Torheiten. Aber eigentlich kam er noch glimpflich davon. Leibniz war vor 350 Jahren einer der bedeutendsten Gelehrten Europas, und heute ist ein Keks nach ihm benannt. Was sagt man da? Glückwunsch? Knusper, knusper?

In Lob der Torheit ist es jedenfalls die Torheit selbst, die die erzählende Stimme ist und sich selbst lobt. Denn, wie sie selbst sagt: »Ich pfeife nämlich auf jene Weisen, die es gleich bodenlose Dummheit und Unverschämtheit heißen, sobald sich einer selbst lobt.« Aufschlussreich ist, wie die Torheit ihre Herkunft erklärt. Sie sei nicht die Tochter des Chaos, des Orkus oder des Saturns, nein, ihr Vater sei Pluto. Und dieser Gott des Geldes beherrsche »den Krieg, den Frieden, Armeen, Räte, Gerichte, Versammlungen, Heiraten, Verträge, Bündnisse, Gesetze, Künste, Kurzweil, Arbeit – der Atem geht mir aus – kurz alles, was die Menschen im Staat und im Hause beschäftigt«. Ah, es geht doch nichts über eine subtile, frühneuzeitliche Kapitalismuskritik, finden Sie nicht auch?

Ebenso elegant bediente sich Erasmus der antiken Mythologie, um darzulegen, was für ihn zentrale Elemente der Dummheit sind. Die Mutter der Torheit sei Neotes, die leibhaftige Jugend; gesäugt haben sie die weinselige Methe und die wilde Apädia. Ihr Gefolge sind die selbstgefällige Philautia, die schmeichelnde Kolakia, die gedächtnisschwache Lethe, die bequeme Misoponia, die freudentrunkene Hedone, die gedankenlose Anoia und die üppige Tryphe. Dazu kommen die beiden männlichen Gottheiten Kosmos, der bei keinem Gelage fehlt, und Hypnos, der Langschläfer. Mit diesem Team sieht sich die Torheit so ziemlich an der Spitze der Macht, sie nennt sich die Geberin aller Gaben. So sei es ohne Dummheit undenkbar, dass sich jemand in den Bund der Ehe begibt und Kinder geboren werden. Schließlich sei allen klar, wie gefährlich, stressig und schwierig das sei. Aber weil die Menschen eben auch dumm sind, machen sie es trotzdem.

Aber sie gibt noch viel mehr: Der Obergott Jupiter habe gefürchtet, dass die Menschen trübselig und traurig werden könnten, darum hat er »an Trieben viel mehr verabreicht als an Vernunft, ein Pfund auf ein Lot«. Das ist etwa das 39-Fache und damit der Grund, warum die Vernunft so wenig gegen die Triebe ausrichten kann, außer vielleicht, sich aus Protest heiser zu schreien. Auch eine schöne Beschreibung der Gründe für situative Dummheit. So würde es ohne die Torheit keinen Spaß geben, denn sie ist der Grund für Lachen und Scherze. Und überhaupt wäre kein soziales Miteinander denkbar, denn dazu müssen die Menschen »eben einander zuliebe bald fünf gerade sein lassen, bald zum Schmeicheln sich verstehen, bald ein Auge klug zudrücken, bald mit dem Honig der Torheit sich bei Laune erhalten«. Ist man dumm, kann man sogar die Leiden des Alterns ausblenden. Auch die Kunst wäre ohne die Torheit der Selbstgefälligkeit undenkbar, tapfere Krieger gäbe es nicht ohne die Torheit der Risikobereitschaft.

Langsam redet sich die Torheit in Wallung und behauptet schließlich, sogar die Klugen seien dumm, denn sie versuchen, mit saurer Arbeit und schlaflosen Nächten, sich einen berühmten Namen zu sichern. Dabei wüssten sie, dass Ruhm nur Schall und Rauch ist. Doch selbst Weisheit schützt vor Torheit nicht: »Der Weise nimmt seine Zuflucht zu den Büchern der Alten und lernt daraus nichts als in Worten zu kramen; der Tor packt frisch die Dinge selbst an und schlägt sich mit ihnen herum, und so erwirbt er sich das, was ich wahre Klugheit nenne.« Der Weise ist also dumm, und der Dumme ist der wahre Kluge. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber je länger ich darüber nachdenke, umso klarer wird mir, dass ich weiß, dass ich nichts weiß.

Eine Sache noch zur Geschichte der Dummheit: Es ist klar, dass wir manches Verhalten unserer Ahnen nur aus heutiger Perspektive dumm finden. Das würde ich anachronistische Dummheit nennen. Denn aus dem jeweiligen historischen Kontext heraus war es vielleicht gar nicht dumm, sich ein nacktes Huhn auf den Kopf zu setzen. Aber auch dazu später mehr.

4. Unheilbar dumm

»Mit jemandem zu argumentieren, der die Vernunft ablehnt, ist wie die Verabreichung von Medizin an Tote.«

Thomas Paine

Man muss nicht mit Nietzsche übereinstimmen, der an einem seiner fröhlicheren Tage einmal vom Stapel ließ, dass diese Welt viele Krankheiten habe und die schlimmste hieße Mensch. Aber als sicher darf gelten, dass Menschen schon immer krank wurden. Böse Zungen sagen, dass auch dieses Buch Kopfschmerzen bereiten kann, wenn man in zu kurzer Zeit zu viel über Dummheiten liest.

Die Geschichte der Medizin jedenfalls lässt sich bis weit in die Vergangenheit zurückverfolgen. Vor fast 4000 Jahren gab es zum Beispiel den Codex Hammurabi, eine zwei Meter hohe Stele mit 282 in Keilschrift verfassten Gesetzen. Nicht ganz so handlich wie ein Smartphone, aber alt, alt, alt! Im Codex Hammurabi war zum Beispiel festgehalten, dass ein Arzt für eine erfolgreiche Operation mit einem Bronzemesser an einem Edelmann ein Honorar von zehn Silberschekeln zu erhalten habe. Das entsprach damals dem Jahresgehalt eines Handwerkers. Bevor sich jetzt die Ärzt*innen unter Ihnen in diese Zeit zurückwünschen, sollten Sie allerdings auch in Betracht ziehen, was als Strafe bei Misserfolg einer solchen Operation bestimmt wurde: das Abhacken der Hand. Ob dieses Wissen gegen ein leichtes Zittern beim Operieren geholfen haben mag?

Wenn man sich die Geschichte der Medizin bis heute anschaut, gibt es eine Konstante: Schon immer gab es Behandlungsmethoden, deren Wirksamkeit man anzweifeln darf und deren Rezepturen absurd klingen. So empfahl das Papyrus Ebers um 1550 vor Christus in Ägypten als Mittel gegen Kahlköpfigkeit einen Trank aus Eselhoden, einem Gemisch aus Vulva- und Penisextrakten und einer Eidechse. Ohne die Eidechse klappt das natürlich nicht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber auf mich wirkt das ein bisschen so, als wollte der Verfasser dieses Papyrus über Leute mit Haarausfall seinen Spott ergießen. Aber man darf davon ausgehen, dass Heiler zu anderen Zeiten in anderen Kulturen auch ganz anders getickt haben. Man denke nur an den damaligen Klistierexperten des Pharaos mit dem schönen Namen Iri, Hirte des Afters. Ich möchte aus eigener Erfahrung hinzufügen: Der gleichnamige Film aus dem Erwachsenenbereich ist nicht für jeden Geschmack gleichermaßen geeignet. Aber falls Ihnen dabei vor Schreck die Haare ausfallen, wissen Sie ja jetzt ein tolles Mittel dagegen.

Die Behandlung von Krankheiten in der Antike war natürlich nicht immer gefährlich oder anstrengend. Nehmen Sie das Asklepieion in Griechenland. Dabei handelte es sich um einen dem Asklepios geweihten Tempel, in dem die Kranken mittels des sogenannten Tempelschlafs behandelt wurden. Die Patient*innen schliefen dabei im Angesicht einer Statue des Asklepios und wurden entweder im Schlaf vom Gott selbst geheilt oder er sandte einen Traum, der von einem Priester gedeutet wurde und die Heilung beschrieb. Klingt entspannt, oder? Wobei, andererseits, wenn man bedenkt, was man manchmal für einen Schnurz zusammenträumt – vielleicht sollte man vorsichtig sein, bevor einem der Arzt rät, sich von 500 pinken Elefanten mit Madonna-Masken durch den Arc de Triomphe tragen zu lassen. Als Mittel gegen Haarausfall, selbstverständlich.

Ebenfalls im antiken Griechenland unterwegs war Hippokrates, von dem Sie gewiss schon mal gehört haben. Er lebte von 460 bis circa 370 vor Christus und war der Erste, der sich radikal von religiösen Erklärungen für Krankheiten abwandte. Über Epilepsie schrieb er zum Beispiel, sie scheine ihm »um nichts göttlicher zu sein als die übrigen, vielmehr scheinen auch die anderen Krankheiten eine natürliche Ursache zu haben, aus der jede einzelne von ihnen entsteht, eine natürliche Ursache und einen Grund scheint aber auch sie zu haben«.

Hier haben wir also wieder einen Fall von jemandem, der mit den tradierten Denkweisen brach und damit die Menschheit einen entscheidenden Schritt weiterbrachte. Andererseits ist eine andere seiner Neuerungen inzwischen auch nicht mehr der Hit, der sie mal war. Denn Hippokrates gilt gemeinsam mit seinem Schüler Polybos als Urheber der Vier-Säfte-Lehre. Das klingt ein bisschen nach Multivitaminsaft, gemeint ist aber die Humoralpathologie, die Lehre der Flüssigkeiten im Körper. Zunächst wurden den vier Elementen Feuer, Erde, Wasser und Luft die vier Eigenschaften heiß, kalt, trocken und feucht zugeordnet. Im Corpus Hippocraticum wurden diesen dann die vier Körpersäfte entsprochen: Blut, Schleim, gelbe Galle und Cyberpunk. Na gut, okay, der vierte Saft ist leider nicht Cyberpunk, sondern schwarze Galle.

Hippokratische Ärzte bevorzugten diätische Behandlungen vor Arzneien: »Der erste Koch war auch der erste Arzt«, heißt es da. Und es darf vermutet werden, dass es zumindest stimmt, dass man umso gesünder bleibt, je weniger altägyptisches Haarwuchsmittel man sich hinter die Gurgel kippt. Allerdings muss man hinzufügen, dass das griechische Wort diaita nicht nur Diät bedeutet, sondern allgemeiner auch Lebensweise. Dementsprechend war nach Hippokrates eine gute Lebensweise der Schlüssel zur Gesundheit. Beispiel aus dem Corpus Hippocraticum gefällig? »In dieser Jahreszeit übe man auch den Beischlaf häufiger aus und zwar mehr die älteren als die jüngeren Leute«. So geht ganzheitliche Medizin: immer schön den Winter wegbumsen.

Es scheint, dass es Ganzheitlichkeit nicht nur in der traditionellen chinesischen Medizin gibt, bei der die Einbeziehung aller Lebensbereiche in die Gesundheit und Heilung von zentraler Bedeutung ist. Aber lassen Sie uns jetzt nicht zu Schlüssen springen und annehmen, es sei womöglich der Umstand, dass wir uns heutzutage hauptsächlich Burger fressend gegenseitig auf Facebook anschreien, der uns alle dumm und krank macht. Mens sana in corpore sano? Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper? Das klingt einerseits ganzheitlich gedacht, zugleich aber auch superökospießig. Her mit Fritten und Cola, ihr Stock-Narren und Ertz-Matzen!

Dass man auch ganzheitlich ganz danebenliegen kann, bewiesen antike Ärzte, indem sie zur Heilung vieler psychischer Erkrankungen bei Frauen eine Heirat als Therapie vorschlugen. Man fragt sich, was sie zur Heilung bei offenliegender Frauenfeindlichkeit vorgeschlagen hätten. Bleiben wir aber lieber noch einen Moment bei der Vier-Säfte-Lehre. Denn nachdem Galenos diese im zweiten Jahrhundert nach Christus weiterentwickelt hatte, wurde sie bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eine zentrale Säule der europäischen Medizin. Dieser römische Arzt und Anatom ordnete den vier Säften vier Temperamente zu: cholerisch, phlegmatisch, sanguinisch und melancholisch.

Galenos schätzte seinen Einfluss selbst so ein: »Ich habe für die Medizin so viel getan wie Trajan für das Römische Reich, als er Brücken baute und Straßen durch Italien baute. Ich und nur ich allein habe den wahren Weg der Medizin aufgetan. Zugegebenermaßen hat Hippokrates diesen Weg bereits gewiesen … er bereitete den Weg, aber ich habe ihn begehbar gemacht.« Es scheint, obwohl er selbst davon genug hatte, hat Galenos das fünfte Temperament übersehen: superprotzig. Die zugehörige Körperflüssigkeit ist übrigens Champagner.

Jedoch muss man eine Sache klar formulieren: So seltsam einem Galenos’ Selbsteinschätzung vorkommen mag und so antiquiert die Säftelehre heute wirken mag: Sein methodisches Vorgehen stellte einen riesigen Fortschritt dar und prägte die Medizin über die unvorstellbar lange Zeit von mehr als eineinhalb Jahrtausenden. Zumindest in Westeuropa allerdings mit einer kleinen Unterbrechung namens Mittelalter, in der seine Schriften ein Schattendasein in den Bibliotheken einiger weniger Klöster und Domschulen fristeten.

Bevor wir jedoch darauf zu sprechen kommen, möchte ich noch den Arzt Alexandros von Tralleis erwähnen, der im 6. Jahrhundert lebte, also genau im Übergang von der Antike zum Mittelalter. Dieser hatte nämlich herausgefunden, dass Bilsenkraut nur wirksam ist, wenn man es zwischen linkem Daumen und Zeigefinger hält und der Mond im Zeichen der Fische oder des Wassermanns steht. Muss man wissen. Doch es war gewiss nicht Alexandros von Tralleis’ Schuld, dass es die formelle Medizin im Mittelalter schwer hatte. Einen großen Teil der Schuld trägt hingegen die Vorherrschaft der Religion, auch wenn man dieser Behauptung entgegenhalten kann, dass ohne Mönche das medizinische Wissen der Antike im Westen ganz verloren gegangen wäre. Und Hospitäler, so rückwärtsgewandt ihre Methoden gewesen sein mögen, entstanden auch aus der Motivation christlicher Nächstenliebe.

Doch es gab eben auch Männer wie Bernhard von Clairvaux, der sagte, Ärzte aufzusuchen und Arzneien einzunehmen sei »wider die Religion und unlauter«. Ein gängiger Spottspruch des Mittelalters lautete: ubi tre physici, dui athei. Ja, man spottete in Latein, das war damals hip. Der Satz heißt übrigens übersetzt: »Unter drei Ärzten sind zwei Atheisten.« Die Haltung der Kirche war deutlich: Krankheiten und Seuchen sind Strafen des gerechten Gottes, und der Körper ist der Seele unterzuordnen. Daher hatte sich das Heilen kirchlichen Vorschriften unterzuordnen, wie etwa dem Laterankonzil von 1215, in dessen Folge Ärzte offiziell eine kirchliche Genehmigung zur Behandlung benötigten.

Im Hochmittelalter jedoch begann auch ein Umdenken in der Medizin, ganz vergleichbar mit Entwicklungen, die wir in anderen Feldern noch sehen werden. Einige Gelehrte, wie Alphanus, gingen auf Reisen nach Konstantinopel und brachten das dort erhaltene Wissen der griechischen Antike mit zurück in den Westen. Und wie dringend benötigt diese Wende war, kann man vielleicht am besten daran ablesen, wie Außenstehende den Stand der Medizin im Abendland wahrgenommen haben. So forderte ein westlicher Statthalter in Muneitra im Libanongebirge eines Tages beim dortigen Emir von Cheyzar einen Arzt für einen Notfall an. Der Emir kam der Bitte nach, jedoch war der Arzt schon nach wenigen Tagen wieder da. Darüber verwundert ließ sich der Emir schildern, was geschehen war. Der Arzt hatte einen Ritter mit einem Abszess am Bein behandelt, indem er ihm einen Salbenverband auflegte. Bald schon schwoll das entzündete Bein ab, und der Arzt war optimistisch. Zumindest bis ein westlicher Mediziner dazukam und behauptete, der arabische Arzt verstünde nichts vom Heilen. Vor den entsetzten Augen des arabischen Arztes ordnete der Franke eine Amputation des Beines durch einen anderen Ritter mit einer Axt an. Der Patient starb noch während der laienhaften Durchführung, und der völlig fassungslose arabische Arzt wurde wieder nach Hause geschickt.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Epoche, die wir als Mittelalter bezeichnen, war nicht überall auf der Welt gleichmäßig finster. Aber in Europa war es in vielen Bereichen so zappenduster, dass man die eigene Barbarei vor lauter Idiotie nicht sehen konnte. Wobei natürlich nicht alles barbarisch anmutet, manches ist aus heutiger Sicht einfach nur skurril. Im Mittelalter glaubte man zum Beispiel, dass man die Pest mit Hühnern behandeln könne. Dazu wurden die Hinterfedern der Hühner gerupft und das Huhn sitzend auf dem Kopf getragen. So sollte das Gift aus dem Körper gezogen werden. Eventuell gab es einfach auch sonst sehr wenig zu lachen zur Zeit des Schwarzen Todes.

Woher kam diese Methode, die tatsächlich einige Jahrhunderte populär war? Nun, ihr Ursprung könnte bei Avicenna liegen, einem persischen Gelehrten und Arzt, der auch die westliche Medizin nachhaltig beeinflusste. Nur, falls Sie gerade geglaubt haben, ich wollte hier den Eindruck erzeugen, im Westen seien alle dumm gewesen und im Orient hätten alle vor lauter Erleuchtung einen Schwarm Motten als Stalker gehabt. Nein, Avicenna mag ein Universalgenie gewesen sein, aber die Sache mit dem nackten Hühnerhintern auf dem Kopf, die war wirklich albern.

Aber nicht, dass Sie jetzt glauben, damit sei irgendein Tiefpunkt erreicht gewesen und von hieran ginge es bergauf. Selbst mit dem Ende des Mittelalters wurde es kein bisschen besser. Eher im Gegenteil. Ein Beispiel gefällig? Der britische König Charles II. fühlte sich am Morgen des 2. Februar 1685 nicht wohl und war auch etwas blass um die Nase. Gemäß dem medizinischen Standard ließ man erst mal 450 Milliliter seines Bluts ab. Als das nicht direkt half, verschrieben ihm die besten Ärzte des Landes im Laufe der nächsten vier Tage sechzig weitere Behandlungen, unter anderem Steine aus einem Ziegenmagen und Schnaps aus einem Menschenschädel. Man rasierte seinen Schädel und legte heiße Eisen auf, um schlechte Energie aus seinem Gehirn zu ziehen. Andere Teile seines Körpers verbrannte man mit heißen Bechern. Man verabreichte ihm Brechmittel. Und natürlich mehrere weitere Aderlässe. Nach vier Tagen starb der König, und die Ärzte waren überrascht, dass ihre besten Methoden kein besseres Ergebnis hervorgebracht hatten. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal hervorheben, dass der ursprüngliche Grund für diese Behandlung ein morgendliches Unwohlsein war. Vielleicht war König Charles ja einfach schwanger. Wir werden es nicht mehr herausfinden können.

Wenn Ihnen das schon zu eklig war, dann überspringen Sie einfach den folgenden Absatz. Ehrlich, vertrauen Sie mir. Sie werden von einigen wirklich unschönen Details verschont. Allerdings verpassen Sie dann auch einen wirklich unglaublichen Vorgang, der zwei der bekanntesten Komponisten der klassischen Musik verbindet.

John Taylor galt als der Starchirurg seiner Zeit. Am 30. März 1750 behandelte er Johann Sebastian Bach wegen dessen Kurzsichtigkeit. Dazu – und jetzt wird’s etwas eklig – macht er einen Einschnitt in dessen Augen und injizierte eine Mischung aus Taubenblut, Salz und Blei. Nach einigen Tagen wurde der Eingriff wiederholt. Bach verlor in der Folge sein Augenlicht und litt an extremen Schmerzen, vier Monate später starb er. Das hielt Taylor nicht davon ab, acht Jahre später auch Georg Friedrich Händel mit derselben Methode zu behandeln und blind zu machen. Ja, Sie haben richtig gelesen, derselbe Arzt hat mit derselben Methode erst Bach und dann Händel blind gemacht.

Doch natürlich gab es in der Medizingeschichte nicht nur Idioten, das muss klar gesagt werden. Im Gegenteil, es ist unglaublich, welch große Geister die Medizin zu ihren heutigen Möglichkeiten gebracht haben. Und man kann nur mutmaßen, dass wir noch viel weiter wären, wenn sie dabei nicht von Narren umgeben gewesen wären. Nehmen wir Ignaz Semmelweis. Er war Mitte des 19. Jahrhunderts Arzt in Wien, und ihm fiel im Krankenhaus ein deutlicher Unterschied zwischen zwei Gebärstationen auf: In der einen kam es zu deutlich weniger Todesfällen und Komplikationen bei und nach Geburten. Er bemerkte, dass in der anderen Station die Ärzte oft mit ungewaschenen Händen zu Werke gingen. Also stellte er die Theorie auf, dass es vielleicht gut wäre, wenn Ärzte sich vor der Arbeit gründlich die Hände reinigen würden. Klingt einleuchtend, oder?