Cognitive Fähigkeiten - Claus Hoheisel - E-Book

Cognitive Fähigkeiten E-Book

Claus Hoheisel

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Beschreibung

Grundlagen und Ergebnisse der Wissenschaften auf den Gebieten der Hirnforschung und der cognitiven Fähigkeiten des Menschen.

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Danksagung

Die vorliegende Arbeit wurde unterstützt von interessierten Freunden.

Technische Details der Arbeit

105 Farbabbildungen

43 Schwarzweißabbildungen

Inhaltsverzeichnis

Einleitendes

Das Nervensystem des Menschen

2.1 Aufbau des menschlichen Gehirns

2.2 Neurone, Aktionspotentiale, Synapsen

2.3 Cognition und Wahrnehmung

2.4 Experimentelle Methoden

2.5 Sensorische Systeme

Bewußtes und Unbewußtes

3.1 Bewußtsein

3.2 Das Unbewußte

3.3 Gedächtnisse

Cognitive Fähigkeiten

4.1 Testmöglichkeiten

4.2 Cognitive Leistungen der Geschlechter

4.3 „Reasoning“, Problemlösung u. ä.

4.4 Das Arbeitsgedächtnis

4.5 Fähigkeiten der Tiere

4.6 Die Evolution cognitiver Fähigkeiten

Denken und Schlußfolgern

5.1 Logik, Wahrscheinlichkeit, Auswahl

5.2 Neurocognitive Methoden

5.3 Ähnlichkeiten sind informativ

5.4 Analogie und relationales „Reasoning“

5.5 Cognition und Spieltheorie

Probleme lösen u. kreativ Denken

6.1 Problemlösungen

6.2 Ideen-Kreierung und Cognition

6.3 Visuospatial „Thinking“

6.4 Wirkung des Alters auf das Denken

Anhang

7.1 Enzensbergers Kompendium

Verzeichnis der Bücher und Artikel

8.1 Lehrbücher und Fachbücher

8.2 Handbücher und spezielle Artikel

8.3 Lexika

Abbildungsverzeichnis

Index

1Einleitendes

Die (Intelligenz-)Tests setzen ein gerüttelt Maß an typischen Schulkenntnissen voraus. Wer nicht weiß, was eine Primzahl ist, und wer ein Palimpsest nicht von einem Palindrom unterscheiden kann, hat keine Chance.1 Um nicht durchzufallen, sollte der Proband die Namen sämtlicher Planeten kennen und firm im Aufzählen von Hauptstädten sein.

Hans Magnus Enzensberger (Im Irrgarten der Intelligenz.)

Dem widerspricht schon eine einzelne herausgegriffene Aussage zweier Wissenschaftler auf dem Gebiet der Cognition. Sie lautet:

Even processes and structures that are common to all tests in a family of reasoning tasks may contribute little or not at all to individual differences in reasoning ability. … Using a test in which all items follow the same format to define reasoning (or even worse “intelligence”) reflects a fundamental misunderstanding of psychological measurement.

David F. Lohmann and Joni M. Lakin (2011)2

Die vorliegende Arbeit versucht, zunächst den heutigen Stand der Gehirnforschung so klar wie möglich darzulegen. Daran anschließend wird - in den Grenzen dieses Buchs - der aktuelle Stand der cognitiven Wissenschaften beschrieben.

Zuletzt soll Enzensbergers Kompendium angesehen und kurz bewertet werden.

1 Palimpsest: 1) Nach Tilgung des ursprünglichen Textes von neuem beschriebene Handschrift des Altertums u. Mittelalters. 2) Rest des alten Ausgangsgesteins im umgewandelten Gestein. Duden Fremdwörterbuch Mannheim 1960. Palindrom: Sinnvolle Buchstaben-, Wörter- od. Versfolge, welche noch den denselben Sinn ergibt, wenn man sie rückwärts liest. Deutsches Wörterbuch Bergisch Gladbach 1996

2 David F. Lohman and Joni M. Lakin in: The Cambridge Handbook of Intelligence. New York 2011, p. 429

2Das Nervensystem des Menschen

2.1Aufbau des menschlichen Gehirns

Der gesamte Organismus des Menschen wird durch das Nervensystem gesteuert. Es regelt die Tätigkeiten der Eingeweide und der Skelettmuskulatur und schafft zusätzlich die Verbindung zwischen Umwelt und Körper. Weiterhin führt es komplexe höherwertige Funktionen aus. Dazu gehören z.B. die Speicherung von Erfahrungen in Gedächtnissen, Ausführung von Denkprozessen oder Auslösung von Emotionen, welche zusammen der optimalen Anpassung des Gesamtorganismusses an die Außenwelt dienen.

Selbst an der kleinsten Bewegung, welche wir ausführen, sind viele Bereiche des Nervensystems beteiligt. Diese Steuerung kann bewußt oder unbewußt oder kombiniert erfolgen.

Man unterscheidet das zentrale Nervensystem (ZNS) vom peripheren Nervensystem (PNS). Letzteres wird dann in ein somatisches und ein autonomes Nervensystem gegliedert. In dem Diagramm der nachfolgenden Abbildung 2.1-1 sind schematisch die Zusammenhänge zwischen diesen Systemen wiedergegeben.

Abbildung 2.1-1 Informationsfluß zwischen ZNS und PNS. Afferenter Informationsstrom zum ZNS stammt aus den Eingeweiden über Viszerosensorik durch Reizaufnahme anhand viszeraler Rezeptoren sowie aus dem übrigen Körper und aus der Umgebung über Somatosensorik mit Reizaufnahme durch Extero- und Propriorezeptoren. Nach Verarbeitung sensorischer Informationen im ZNS werden efferente Steuerbefehle zu den Eingeweiden (Viszeromotorik) und zur Skelettmuskulatur (Somatosensorik) entsandt. Benninghoff-Drenckhahn Anatomie Bd. 2 München 2004, S. 233

Somatisches NS und autonomes sind vom Autor bereits früher ausführlich besprochen worden.3 Hier sollen aber bestimmte Aspekte des autonomen Nervensystem (ANS) hervorgehoben werden.

Unter dem ANS werden im wesentlichen Anteile des Nervensystems verstanden, welche die Eingeweide (viscera), Drüsen, Blut- und Lymphgefäße sowie glatte Muskulatur innervieren. Das ANS ist im Gegensatz zum zerebrospinalen Nervensystem dadurch besonders gekennzeichnet, daß wichtige Regulationszentren in Form von Ganglien und Nervengeflechten außerhalb des ZNS liegen, z.T. sogar in den Erfolgsorganen selbst. Diese periphere Lage der Regulationszentren führt bei bestimmten Organen zu einer regulatorischen Eigenständigkeit, sodaß die Bezeichnung autonomes Nervensystem angemessen erscheint. Die Befunde der heutigen Forschung weisen allerdings deutlich darauf hin, daß die Funktionen in den peripheren Schaltstellen eng mit dem ZNS verknüpft sind und dadurch die Autonomie nur relativ verstanden werden sollte.

Neurone, deren Perikarya (Zellkörper) sich im ZNS befinden und deren Axone (Fortsätze) zu den peripheren autonomen Ganglien ziehen, werden als präganglionär bezeichnet. Postganglionäre Neurone haben ihre Perikarya in diesen Ganglien und sind über ihre Axone mit den Erfolgsorganen verbunden.

Die präganglionären Neurone befinden sich in bestimmten Kernen des ZNS. Durch die Lage der Perikarya und die Austrittsstellen ihrer Axone lassen sich thorakolumbales und kraniales bzw. sakrales System unterscheiden. Der im Rückenmark befindliche thorakolumbale Anteil wird als sympathisches Nervensystem, der im Hirnstamm lokalisierte kraniale Anteil mit den im sakralen Rückenmark liegenden viszeralen Kernen als parasympathisches Nervensystem bezeichnet.

Das sympathische Nervensystem (kurz, aber ungenau: Sympathicus) zeigt eine deutliche segmentale Gliederung (Trun-cus sympathicus), wie sich am Grenzstrang und seinen Verbindungen mit den Spinalnerven leicht nachweisen läßt.

Die nächste Abbildung 2.1-2 zeigt dazu ein Schema der Leitungsbahnen.

Die Axone der in der Zona intermedia des Rückenmarks befindlichen präganglionären Neurone ziehen über die Vorderwurzeln zu den Spinalnerven, anschließend über die Rr. communicantes albi zum Truncus sympathicus. Letzterer besteht aus einer kraniokaudal verlaufenden Kette von paravertebralen Ganglien.

In den Ganglien des Grenzstranges wird ein Teil der aus dem Rückenmark kommenden präganglionären Fasern auf postganglionäre Neurone umgeschaltet. Zahlreiche dieser postganglionären Ganglienzellen senden ihre Axone zurück zu Spinal- und Hirnnerven und verlaufen peripherwärts zu ihren Erfolgsorganen. Letztere sind vor allem Blutgefäße und Hautdrüsen.

Die Perikarya der präganglionären Neurone liegen in der Zona intermedia der Rückenmarkssegmente C8 – L3 und lassen beim Menschen besonders im Ncl. intermediolateralis eine recht gut abgrenzbare Kernsäule erkennen. Zu unterscheiden sind die folgenden Kerne:

Ncl. intermediolateralis, Pars principalis

Der Kern setzt sich aus multipolaren Nervenzellen unterschiedlicher Größe zusammen, wobei deren Dendritenbäume hauptsächlich rostrokaudal ausgerichtet sind.

Ncl. intermediolateralis, Pars funicularis

Er besteht aus einer Anzahl vereinzelter Nervenzellen, welche sich in dem Teil des Seitenstrangs finden, der dem Seitenhorn anliegt.

Ncl. intercalatus

Dieser Kern setzt sich aus mediolateral orientierten multipolaren Nervenzellen zusammen, deren Dendrite ins Seitenhorn, Hinterhorn und in das Gebiet des Zentralkanals reichen.

Mediale Neurone (Ncl. autonomicus centralis)

Sie bilden Zellnester, und zwar dorsal und lateral vom Zentralkanal. Die dendritische Ausbreitung verläuft hauptsächlich in mediolateraler Richtung.

Bezüglich der zytoarchitektonischen Unterteilung ergibt sich eine Art Somatotopik. Der Ncl. intermediolateralis innerviert beispielsweise über paravertebrale Ganglien die Körperwand, die Extremitäten und teilweise auch Eingeweide, während die medialen Neurone über prävertebrale Ganglien und Beckenganglien eigentlich nur Eingeweide innervieren. Die Axone präganglionärer Neurone sind beim Menschen meistens myelinisiert. Daher erscheinen die von ihnen gebildeten, zum Grenzstrang ziehenden Rr. communicantes, weiß.

Der Grenzstrang (Truncus sympathicus) bildet beidseits der Wirbelsäule eine Kette von 21-25 Ganglien (postganglionäre Neurone). Diese Kette reicht von der Schädelbasis bis zum Steißbein. Der sympathische Grenzstrang wird topographisch in Hals-, Brust-, Bauch- und Beckenteil gegliedert.

Die kraniokaudale Ausdehnung des Grenzstrangs ist wesentlich größer als jene der Zellsäule präganglionärer Neurone im Rückenmark. So kann der Grenzstrang die aus den Rückenmarkssegmenten C8–L3 über die Rr. communicantes empfangenen sympathischen Leitungsbahnen auf kranial und kaudal gelegene Körperpartien verteilen. Dadurch wird ermöglicht, daß jeder Körperabschnitt von präganglionären Neuronen mehrerer Rückenmarkssegmente versorgt werden kann. Während Rr. communicantes albi nur in Segmenten C8 –L2/3 vorkommen, senden Rr. communicantes grisei postganglionäre Fasern zu den Spinalnerven aller Segmente und sogar zu den unteren Hirnnerven.

Prävertebrale Ganglien, die in den Nervengeflechten zu finden sind, welche die Aorta abdominalis und ihre Hauptäste in deren Abgängen umgeben, haben große Ähnlichkeit mit den Grenzstrangganglien, und zwar auch bezüglich ihrer Funktion, nämlich Umschaltung vom prä- auf das postganglionäre Neuron.

Das parasympathische Nervensystem (kurz auch Parasympathikus genannt) wird bezüglich der Lage der präganglionären Neurone in einen kranialen und sakralen Anteil aufgeteilt. Hinsichtlich des kranialen Anteils liegen die Perikarya der präganglionären Neurone im Ncl. accessorius des Okulomotoriuskerns, in den Ncll. salivatorii superior et inferior, im Ncl. dorsalis n. vagi sowie in der externen Formation (ventrale Säule) des Ncl. ambiguus. Die zugehörigen Axone, welche meistens myelinisiert sind, verlassen den Hirnstamm mit den Hirnnerven III, VII, IX u. X und werden in den parasympathischen Kopfganglien oder den Ganglien von Hals-, Brust- und Baucheingeweiden auf postganglionäre Neurone umgeschaltet. Die präganglionären Neurone des sakralen Anteils befinden sich in der Zona intermedia des 2.-4. sakralen Rückenmarksegments, möglicherweise auch in S5 und im 1. Kokzygealsegment. Die entsprechenden Axone verlassen das Rükkenmark über die Vorderwurzeln und erreichen mit den Nn. splanchnici (Radix parasympathica) die Nervengeflechte des kleinen Beckens, wo eine Vermischung mit sympathischen Nervenfasern stattfindet. Der größte Teil wird wahrscheinlich an postganglionären Neuronen der Beckenganglien (Pl. Hypogastricus inferior) umgeschaltet, ein kleinerer Teil jedoch in intramuralen Ganglien der Organe, die innerviert werden sollen. Harnblase und Dickdarm werden mit motorischen, die Genitalien mit gefäßerweiternden Fasern versorgt.

Blasenfüllung und Blasenentleerung unterliegen einer reflektorischen Steuerung. Während der Blasenfüllung führen Afferenzen aus der Blasenwand, welche die allmähliche Dehnung des Organs über die Nn. splanchnici pelvici dem Rückenmark melden. Erreicht die Füllung der Blase einen bestimmten Schwellenwert, so wird über schnell leitende Dehnungsafferenzen ein pontines Miktionszentrum im rostralen Brückentegmentum aktiviert.

Da Gefühlsleben und Denken großen Einfluß auf die Funktion unserer inneren Organe haben, muß es eine starke Beeinflussung sympathischer und parasympathischer Zellgruppen durch Höhere Zentren geben. Folglich existieren Verbindungen zwischen Großhirn und sympathischen sowie parasympathischen Neuronen, da letztere die Eingänge zur viszeralen Peripherie darstellen. Aufregung beschleunigt den Herzschlag, Stress führt zu Niedergeschlagenheit und kann Magengeschwüre verursachen. Gram ist unter Umständen mit dem Tod verbunden.

Es existieren im Hirnstamm, im Zwischenhirn und in der Großhirnrinde zahlreiche Areale, welche hauptsächlich mit autonomen Regulationsvorgängen befaßt sind. Die rostralen cortikalen und subcortikalen Strukturen im Telencephalon u. Diencephalon werden deshalb oft als „viszerales Vorderhirn“ bezeichnet. Es handelt sich dabei um bestimmte Kerne des Hypothalamus, die Inselrinde und Strukturen des limbischen Systems, wie z.B. die Amygdala.

Man weiß heute, daß es eine ganze Reihe von Gebieten im Prosencephalon und Hirnstamm gibt, welche direkt zu präganglionären sympathischen und parasympathischen Zellgruppen projizieren, folglich als viszerale Prämotor-Neurone anzusehen sind.

Für den Ncl. dorsalis n. vagi, den Ncl. ambiguus und andere Neuronengruppen des kranialen Parasympathicus sind dies der präfrontale Cortex, der Ncl. centralis amygdalae und der Ncl. striae terminalis, verschiedene Kerne des Hypothalamus (insbesondere der kleinzellige Anteil des Ncl. paraventricularis, der laterale Hypothalamus und die Zona incerta), die Parabrachialkerne, die ventrolaterale Medulla und Brücke sowie der Ncl. tractus solitarii.

Der Ncl. intermediolateralis des Thorakolumbalmarks und die entfernter medial gelegenen präganglionären sympathischen Zellgruppen sowie die Ncll. parasympathici sacrales des Sakralmarks erhalten absteigende Fasern aus dem Hypothalamus, hauptsächlich wieder aus dem kleinzelligen Ncl. paraventricularis,aus dem Kölliker-Fuse-Kern, aus dem ventro-lateralen Tegmentum von Brücke und Medulla oblongata sowie aus den kaudalen Raphekernen. Auch der Onuf-Kern im sakralen Vorderhorn wird direkt aus dem Ncl. paraventricularis innerviert. Diese oberflächlich gelegenen hypothalamo- und retikulospinalen Bahnen steigen im Seitenstrang ab.

Eine gewisse Gegenseitigkeit scheint es zwischen Hypothalamus und sakralem Parasympathicuskerngebiet zu geben, da es in letzterem, vermischt mit präganglionären parasympathischen Neuronen, Zellen gibt, die direkt zum Hypothalamus projizieren.

Neben diesen direkten Bahnen existieren zahlreiche indirekte Verbindungen, welche die Großhirnhemisphären u. das Zwischenhirn zur Beeinflussung sympathischer Neurone in Rükkenmark und Hirnstamm nutzen.

Über die beschriebenen Wege kann die autonome Regulation von Kreislauf und Extrazellularflüssigkeitsvolumen, Atmung, Nahrungsaufnahme und Verdauung, Fortpflanzung und Immunsystem vom Gehirn gesteuert und in die übrigen leiblichen u. nichtleiblichen Abläufe und Bedürfnisse integriert werden.

Außerdem steht das Gehirn in Wechselbeziehung mit einem zweiten regulativen System, dem endokrinen System. Dadurch entsteht ein äußerst komplexes, aber auch effizientes Netzwerk zur Steuerung sämtlicher Lebensvorgänge.4

Die anschließende Abbildung 2.1-3 enthält ein übersichtliches Schema des autonomen Nervensystems, welches die Kooperation des sympathischen Systems mit dem parasympathischen System für die einzelnen Organe darstellt.

Abbildung 2.1-3 Funktionen des autonomen Nervensystems. Die sympathischen Ganglien befinden sich nahe der Wirbelsäule und versorgen virtuell jedes Zellgewebe des Körpers. Einige Gewebe, wie beispielweise die Skelettmuskulatur, werden nur indirekt über ihre arterielle Blutversorgung geregelt. Die parasympathischen Ganglien finden sich in enger Umgebung ihrer Erfolgsorgane, Haut und Skelettmuskulatur sind jedoch nicht eingeschlossen. Aktivierung des sympathischen Systems ist notwendig in vielen körperlichen Emotionen, wie Veränderung des Herzschlags, der Atmung und Schweißabsonderung. Das parasympathische System ist dagegen unter Normalbedingungen aktiviert. Marie T. Banich and Rebecca J. Compton Cognitive Neuroscience Wadsworth 2011, p. 369

Zunächst soll aber das ZNS besprochen werden. Es besteht aus dem Gehirn (Encephalon), welches durch eine knöcherne Ummantelung geschützt wird, und dem Rückenmark (Medulla spinalis), das sich im Wirbelkanal befindet. Letzterer besitzt seitliche Ausgänge an den einzelnen Wirbeln, über welche die Spinalnerven austreten. Im Rückenmark werden durch sensorische Neurone Informationen zum Gehirn gesandt und umgekehrt motorische Befehle vom Gehirn an die Muskeln übertragen. Zellen im dorsalen Bereich des Rückenmarks erhalten sensorische Information, während Zellen im ventralen Bereich motorische Befehle zu den Muskeln übertragen und gleichzeitig Eingänge aus dem Gehirn und anderen Gebieten des Rückenmarks erhalten. Die innere Gliederung des Rükkenmarks5 folgt aus der getrennten Ansammlung neuronaler Perikarya, also der grauen Substanz, und der Nervenfaserbündel (weiße Substanz). Die graue Substanz (Substantia grisea) liegt zentral im Rückenmark, mantelförmig umgeben von der weißen Substanz (Substantia alba). Wie das übrige ZNS besteht das Rückenmark aus zwei spiegelbildlichen Hälften. Durch kreuzende Nervenfasern stehen die Rückenmarkshälften miteinander in Verbindung. Das Rückenmark wird von der grauen Substanz in Form längsgerichteter Säulen durchzogen. Daraus ergeben sich im Querschnitt zwei flügelförmige Strukturen. Die weiße Substanz enthält im wesentlichen längs verlaufende myelinisierte Fasern und nichtmyelinisierte Axone. In der nächsten Abbildung 2.1-4 sind Wirbelkanal und Rückenmark mit den austretenden Spinalnerven schematisch dargestellt.

Abbildung 2.1-4 Schema des Wirbelkanals mit Rückenmark und austretenden Spinalnerven. Fünf Abschnitte des Rückenmarks sind zu unterscheiden: Pars cervicalis (C1-C8), Pars thoracica (T1-T12), Pars lumbalis (L1-L5), Pars sacralis (S1-S5) und Pars coccygea (Co1). Letzterer enthält gerade ein Element und ist im Schema nur angedeutet. M. Banich and R. Compton Cognitive Neuroscience Wadsworth 2011, p. 8-9

Das Encephalon einschließlich Rückenmark läßt sich in folgende Hauptbereiche untergliedern: Cerebraler Cortex, Diencephalon, Mesencephalon, Pons, Cerebellum, Medulla oblongata, Medulla spinalis.Thalamus und Hypothalamus bilden das Diencephalon. Mittelhirn (Mesencephalon), Pons und Medulla oblongata werden auch als Hirnstamm bezeichnet. Die nächste Abbildung 2.1-5 zeigt eine Sagittalansicht des Encephalons mit Übergang zur Medulla spinalis.

Abbildung 2.1-5 Sagittalansicht wichtiger Bereiche des menschlichen Gehirns.Cerebraler Cortex mit der Kennzeichnung des Frontallappens. Die beiden Hemisphären des Großhirns (Cerebrum) sind hauptsächlich in Form des Corpus callosum (Balken) miteinander verbunden. Thalamus zusammen mit dem darunterliegenden, jedoch nicht gekennzeichneten Hypothalamus werden als Diencephalon bezeichnet. Mittelhirn (Mesencephalon), Pons und Medulla oblongata nennt man auch Hirnstamm (Truncus encephali). Weiterhin zu sehen sind das Kleinhirn (Cerebellum) und andeutungsweise das Rückenmark (Medulla spinalis). Die zum Mittelhirn gehörenden Colliculi superiores und inferiores sind ebenfalls zu erkennen. M. Banich and R. Compton Cognitive Neuroscience Wadsworth 2011, p. 7-12

„Äußerlich“ unterscheidet man für das menschliche Großhirn (Telencephalon) verschiedene Hirnlappen (Lobi), Hirnwindungen (Gyri) zur Vergrößerung der Oberfläche und Hirnfurchen (Sulci), welche zwischen den Gyri liegen. Insgesamt lassen sich sechs Lobi angeben: Lobus frontalis, Lobus occipitalis, Lobus parietalis, Lobus temporalis, Lobus limbicus und Lobus insularis, von denen vier in der nächstfolgenden Abbildung 2.1-6 wiederzufinden sind.

Der Subarachnoidalraum des Gehirns ist mit Liquor cerebrospinalis gefüllt.6 Die cerbrospinale Flüssigkeit kann bezüglich der Stoffzusammensetzung mit dem Blutplasma verglichen werden. Da das Hirn in dieser Flüssigkeit schwimmt, ist dafür gesorgt, daß es nicht ständig seine Lage im Kopf verändert, wenn wir uns bewegen. Unterschieden werden äußerer und innerer Liquorraum. Letzterer entspricht den inneren Hohlraumsystemen, folglich dem Zentralkanal und den Ventrikeln. Die Bildung des Liquors erfolgt hauptsächlich in den Ventrikeln. Entsprechend der Liquorumspülung von Gehirn und Rückenmark wird deren Gewicht um etwa den Faktor 30 reduziert. Außerdem entsteht durch die Ventrikel III und IV wahrscheinlich eine Blut-Liquor-Schranke, welche verhindert, daß unerwünschte und toxische Substanzen in den Liquor cerebrospinalis gelangen.

Abbildung 2.1-6 Lobi, Gyri und Sulci des menschlichen Großhirns. Zu sehen sind vier wichtige Lobi cerebri, zwei Gyri cerebri und der Sulcus centralis sowie der Sulcus lateralis. Zusätzlich gekennzeichnet sind primärer motorischer, primärer somatosensorischer, primärer visueller und primärer auditorischer Cortex. M. Banich and R. Compton Cognitive Neuroscience Wadsworth 2011, p. 17

Die nächste Abbildung 2.1-7 zeigt die Lage des Ventrikel-Systems im Gehirn.

Abbildung 2.1-7 Anordnung des Ventrikel-Systems im Gehirn. Das System besteht aus zwei lateralen Ventrikeln I. u. II., welche jeweils in einer der Hemisphären liegen. Dritter und vierter Ventrikel sind entlang der Mittellinie angeordnet und über den Aqueductus cerebri miteinander verbunden. Nach kaudal verjüngt sich der IV. Ventrikel in den Zentralkanal. M. Banich and R. Compton Cognitive Neuroscience Wadsworth 2011, p. 6-7

Das Großhirn (Telencephalon, Cerebrum) wird an der Oberfläche durch graue Substanz und nach innen durch weiße gebildet. Die graue Substanz folgt den Gyri und Sulci, daher nennt man sie Hirnrinde (Cortex cerebri). Der größte Teil dieser Hirnrinde (ca. 90 %), welche 6 Schichten aufweist, wird als Isocortex bezeichnet. Letzterer unterscheidet sich deutlich vom viel kleineren 3- bis 4-schichtigen Allocortex. Der Isocortex ist durch Korbinian Brodmann schon 1909 in 44 Felder eingeteilt worden. Diese sog. Brodmann-Areale werden auch heute noch als Standardreferenz benutzt. In der nächsten Abbildung sind die einzelnen Felder mit ihrer Numerierung in zwei Ansichten zu sehen.

Abbildung 2.1-8 Brodmann-Areale in lateraler und medialer Ansicht. Die cytoarchitektonischen Regionen, in welche Brodmann den Isocortex schon 1909 einteilte, werden noch heute verwendet. Sie stellen eine Meisterleistung dar, wenngleich diese Ergebnisse damals anhand eines einzelnen Gehirns gefunden wurden. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 347-348

Obwohl Brodmanns Einteilung teilweise übereinstimmt mit neueren Erkenntnissen bezüglich lokalisierter Funktionen im Isocortex, so genügt die cytoarchitektonische Methode allein nicht, die Feinheit und Vielseitigkeit derartiger Funktionen in allen unterscheidbaren Regionen des Cortex herauszufinden. Brodmann konnte beispielsweise nur fünf Regionen (die Felder 17-21) identifizieren, welche mit visuellen Funktionen im Affenhirn zu tun haben. Moderne verbindende Neuroanatomie und Elektrophysiologie haben dagegen mehr als 35 funktional unterschiedliche cortikale Regionen innerhalb der von Brodmann angegeben fünf Felder ausmachen können.

Bei der weißen Substanz des Großhirns handelt es sich um massive Ansammlungen von Nervenfasern, die gebündelt Bahnen mit hoher Leitungsgeschwindigkeit formen. Cortex cerebri und nach innen folgende weiße Substanz werden Großhirnmantel oder Pallium genannt (siehe dazu auch: nächster Unterabschnitt 2.2). Die größeren Hirnlappen besitzen jeweils funktional übergeordnete Rindenzentren, welche aus Primärfeldern bestehen, denen sich Sekundär- und Assoziationsfelder anschließen. Das primäre motorische Rindenfeld (Abb. 2.1-6), welches mit der willkürlichen Steuerung der Skelettmuskulatur befaßt ist, befindet sich vor dem Sulcus centralis im Lobus frontalis. Dort liegt auch das motorische Sprachzentrum (Broca-Sprachzentrum). Die dem Primärfeld folgenden sekundären motorischen Rindenfelder sind mit Planung und Aktivierung von Bewegungsabläufen beaufgabt. Über primär sensorische Rindenfelder (Abb. 2.1-6) verfügen die Lobi parietalis, occipitalis und temporalis: Zum Lobus parietalis gehört das primäre somatosensorische Rindenfeld für Verarbeitung von Reizen, welche von den Hautrezeptoren (Berührung, Temperatur, Schmerz usw.) und von Rezeptoren der Tiefensensorik abgeleitet werden. Der Lobus occipitalis umfaßt das primäre visuelle Rindenfeld (primäre Sehrinde (Area striata) nahe dem Sulcus calcarinus) zur Verarbeitung visueller Reize aus der Retina. Schließlich gehört zum Lobus temporalis das primäre auditorische Rindenfeld (primäre Hörrinde dargestellt durch die Gyri temporales transversi) bezüglich Verarbeitung akustischer Reize aus der Cochlea. Nahe den primären sensorischen Rindenfeldern der einzelnen Lappen befinden sich Sekundär- und Assoziationsfelder, welche die Gedächtnisbilder der entsprechenden Sinneseindrücke speichern. Unter Einbeziehung dieser Gedächtnisbilder findet anschließend die Bearbeitung der einlaufenden Reizinformation statt und es entsteht ein bewußter Sinneseindruck.

Das Diencephalon wird größtenteils vom Telencephalon überdeckt. Ersteres besteht im wesentlichen aus dem Thalamus und dem Hypothalamus (s. Legende zu Abb. 2.1-5). Weitere diencephale Strukturen sind: Epithalamus (Habenula, Glandula pinealis (Zirbeldrüse)), Metathalamus (Corpus geniculatum mediale u. laterale) und Subthalamus.

Der Thalamus ist der größte Kernkomplex im Diencephalon. Die Ncll. thalami sind entweder in sensorische oder motorische Bahnen eingeschaltet, welche zum Cortex cerebri aufsteigen, oder sie sind Bestandteile subcortikaler Regelkreise. Bis auf den Geruch werden sämtliche Sinneswahrnehmungen in sensorischen thalamischen Kernen umgeschaltet und von dort im wesentlichen den sensorischen Cortexarealen zugeführt. Die motorischen thalamischen Kerne steuern den Einfluß des Kleinhirns (Cerebellum) sowie der Basalganglien auf die cortikalen motorischen Felder. Andere thalamische Kerne beeinflussen anhand weitverteilter Projektionen cortikale Assoziationszentren und subcortikale Gebiete wie Striatum und Amygdala. Alle thalamischen Projektionen zum Cortex werden durch corticothalamische Projektionen erwidert. Der Hypothalamus (s. Legende zu Abb. 2.1-5 und die nächste Abb. 2.1-9) hat ausgedehnte Verbindungen zu telencephalen, speziell limbischen Arealen sowie zu anderen diencephalen Gebieten und zum Hirnstamm.

Abbildung 2.1-9 Frontalschnitt (Schrägschnitt) durch das Telencephalon. Die Substantia grisea ist im wesentlichen oberflächlich lokalisiert (rosafarben), sie wird Hirnrinde bzw. Cortex cerebri genannt. Die Substantia alba schließt sich nach innen an (weißgrau gezeichnet). Zum Hohlraumsystem gehören die beiden eingezeichneten Ventrikel, insgesamt existieren vier. Gelblich dargestellt sind Thalamus, Hypothalamus und Tractus (Tr.) opticus. Benninghoff-Drenckhahn Anatomie Bd. 2 München 2004, S. 236 ff

Der Hypothalamus übernimmt sowohl direkt als auch indirekt endokrine Regulierungsaufgaben. Insofern hat er eine zentrale Bedeutung im Hinblick auf die Erhaltung grundsätzlicher Körperfunktionen, wie Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt, Nahrungsaufnahme, Thermoregulation, Biorhythmen, Streßbewältigung und Arterhaltung. In der vorhergehenden Abbildung 2.1-9 ist das Telencephalon im Frontalschnitt (Schrägschnitt) dargestellt.

Bevor der weitere Aufbau des Encephalons behandelt wird, ist auf eine besondere Struktur aufmerksam zu machen. Im gesamten Hirnstamm (s. Legende zu Abb. 2.1-5) findet sich sehr unterschiedlich angeordnete graue Substanz, oft auch netzförmig lokalisiert, welche als Formatio reticularis bezeichnet wird. Hirnnervenkerne und Relaiskerne sind darin eingebettet. Lange auf- und absteigende Bahnen durchziehen sie oder erscheinen oberflächlich angelagert. Sie setzt sich zusammen aus locker gepackten, oft schwer abgrenzbaren Gruppen von Nervenzellen verschiedener Form und Größe mit meistens quer zur Hirnstammachse orientierten Dendriten. Die Abbildung 2.1-10 zeigt die in Längszonen eingeteilte Formatio reticularis.

In der Formatio reticularis sind wichtige Anteile solcher neuronalen Netzwerke enthalten, welche lebensnotwendige Funktionen regulieren. Letztere betreffen Atmung, Kreislauf, Schlaf-Wach-Zyklus und Bewußtseinslage sowie Grundmotorik wie z.B. Muskeltonus, Haltung, bestimmte Reflexe („gain setting“).

Auch spezialisierte Funktionen, wie Schlucken, Erbrechen, Miktion, Schutzreflexe und Abwehrverhalten werden hier integriert. Außerdem wird bei Verarbeitung primärafferenter Information entschieden, welche Afferenzen zum ZNS gesandt werden („gating“). Dabei spielen monoaminerge und cholinerge Systeme eine entscheidende Rolle. Letztere können als chemisch definierte Komponenten der Formatio reticularis angesehen werden.

Abbildung 2.1-10 Schematische Darstellung der in drei Längszonen eingeteilten Formatio reticularis. Die mediane Zone ist violett gezeichnet (innen), die mediale rot u. die laterale blau. Zusätzlich sind die wichtigsten Kerne angegeben. Benninghoff-Drenckhahn Anatomie Bd. 2 München 2004, S. 356 ff

Der Wachzustand und dessen rhythmische Ablösung durch Schlaf werden durch ein Zusammenspiel von aufsteigenden cholinergen und monoaminergen Projektionen aus dem Hirnstamm und absteigenden Bahnen aus dem Hypothalamus erzeugt.

Unter ständigem Einfluß der Formatio reticularis steht der motorische Apparat des Rückenmarks. Es wird die Körperhaltung kontrolliert, die groben Orientierungsbewegungen, Re-flex-„Gewinn“ (gain setting) und Muskeltonus. Die Formatio reticularis und ihre Bahnen zum Rückenmark bilden damit einen Teil des „extrapyramidalen Systems“ zur Steuerung der Hintergrundmotorik. Der Cortex kann aber über seine Projektionen zur Formatio reticularis Einfluß nehmen.

Das zum Hirnstamm gehörige zum Mittelhirn (Mesencephalon) verbindet Brücke und Kleinhirn mit dem Großhirn. Auf Grund seines charakteristischen Oberflächenreliefs wird das Dach des Mittelhirns (Tectum mesencephali) auch Vierhügelplatte genannt. Die oberen Hügel (Colliculi superiores) sind optische Reflexzentren, während die unteren (Colliculi inferiores) als akustische Reflexzentren in der Hörbahn liegen. Der Sulcus mesencephali lateralis stellt die außen sichtbare Grenze zwischen Basis und Haubenregion (Tegmentum) des Mittelhirns dar.

Die Brücke (Pons) ist zwischen Mittelhirn und verlängertem Mark (Medulla oblongata) eingeschaltet und von letzterem durch eine deutliche Furche (Sulcus bulbopontinus) abgegrenzt, durch welche drei Hirnnerven austreten. Dorsal sitzt der Brücke das Kleinhirn (Cerebellum) auf, mit welchem sie über die beiden mittleren Kleinhirnstile (Pedunculi cerebellaris medii) verbunden ist. Für die Brücke lassen sich deutlich ihre beiden Anteile unterscheiden: die Basis (pars basilaris pontis) mit den Brückenkernen (Ncll. pontis), welche in die längs- und quer verlaufenden Brückenfasern eingelagert sind, und die Brückenhaube (Tegmentum pontis). Die Brückenkerne stellen Relaiskerne dar, welche eine gekreuzte Verbindung zwischen Groß- und Kleinhirnrinde vermitteln. Hauptanteil der Faserbündel in Längsrichtung der Brücke ist die Pyramidenbahn, die beim Eintritt in den Pons in eine größere Zahl von Faszikeln zerfällt, welche die Brückenkerne durchsetzen, aber am unteren Rand der Brücke wieder zu den Pyramiden zusammenlaufen.

Das Verlängerte Mark (Medulla oblongata) hat im kaudalen Teil noch Ähnlichkeit mit dem Aufbau des Rückenmarks. Axone der Pyramidenbahn, die in der Pyramidenkreuzung (Decussatio pyramidum) von den ventral gelegenen Pyramiden größtenteils in den gegenüberliegenden Seitenstrang kreuzen, trennen die Vordersäule von der übrigen grauen Substanz. Die abgetrennte graue Substanz enthält außerdem motorische Ursprungszellen für den ersten Halsnerv und den spinalen Teil des XI. Hirnnervs (Ncl. n. accessorii). Sie endet aber nur wenig höher unter starker Verjüngung. Der Vordersäule entsprechen in rostraler Richtung die Ursprungskerne der motorischen Hirnnerven, welche aus dem Hirnstamm hervortreten. Einer dieser Ursprungskerne, der Hypoglossuskern (Ncl. n. hypoglossi) liegt in der kaudalen Hälfte des verlängerten Marks ventral und seitlich des Zentralkanals. Sein rostraler Abschnitt befindet sich dicht unter dem Boden der Rautengrube (Trigonum n. hypoglossi).

Kranial der Pyramidenkreuzung befinden sich zwei der Hinterstrangkerne, der Ncl. gracilis und der Ncl. cuneatus, an welchen die Fasern der Hinterstränge enden. In diesen sensorischen Relaiskernen liegen die Perikarya der sekundären Neurone der Hinterstrangbahn, deren Axone als Fibrae arcuatae internae nach ventral ziehen, die Seiten kreuzen (Decussatio lemniscorum) und anschließend dorsal der Pyramiden verlaufen. Als Lemniscus medialis steigen sie anschließend zum Thalamus auf, wo sie auf die dritten Neurone umgeschaltet werden, welche zur Hirnrinde projizieren.7

Das Kleinhirn (Cerebellum) ist nach dem Endhirn die größte Hirnstruktur, stellt aber nur etwa 10% des gesamten Hirnvolumens dar (s. Abb. 2.1-5). Andererseits verfügt es jedoch über ca. 2.5x1010 Neurone und besitzt dadurch mehr als die Hälfte der Neurone des Großhirns.

Ein großer Teil des Cerebellums wird durch die beiden Hemisphären (Hemispheria cerebelli) gebildet, welche über den mittleren Abschnitt, den Vermis - wegen seiner raupenähnlichen Gestalt als Wurm bezeichnet - miteinander verbunden sind. Blattförmige Windungen prägen die Oberflächenstruktur. Sie sind wie Blätter eines Buches parallel hintereinander angeordnet und werden deshalb auch Folien (Folia cerebelli) genannt. Diese Folien verlaufen vorwiegend transversal über die Hemisphären und den Vermis hinweg.

Die Kleinhirnoberfläche läßt sich vereinfacht in drei Abschnitte gliedern: die superiore Oberfläche, die inferiore u. die anteriore. Letztere zeigt zum Hirnstamm und grenzt seitlich an die Spitze des Felsenbeins. Sie ist im Vergleich zu den beiden anderen Oberflächen sehr irregulär geformt. In der nächsten Abbildung 2.1-11 findet sich als Beispiel eine Ansicht der superioren Oberfläche des Cerebellums.

Die Verteilung von grauer und weißer Substanz läßt sich für das Kleinhirn relativ leicht feststellen. Der größte Teil der grauen Substanz befindet sich oberflächlich im Cortex cerebelli und ein kleinerer Anteil im Marklager (Corpus medullare cerebelli), welches die Kleinhirnkerne bildet. Im Inneren des Kleinhirns liegt die weiße Substanz. Das von einem Markstamm ausgehende Verästelungsmuster immer feiner werdender Marklamellen der weißen Substanz bezeichnet man als Arbor vitae (Lebensbaum). Infolge der Verdeckung der Marklamellen durch die Kleinhirnrinde liegen ca. 85% des Cortex` in den Fissuren und nur 15% sind auf der Oberfläche sichtbar, dem Scheitelbereich der Folia.

Abbildung 2.1-11 Superiore Oberfläche des Cerebellums. Gezeigt wird eine Ansicht von superior u. posterior. Die kleine Skizze links oben enthält einen Pfeil, welcher die entsprechende Richtung verdeutlicht. Vermis und Hemisphäre sind besonders gekennzeichnet. Das rötliche Band hebt die Fissura horizontalis hervor. Benninghoff-Drenckhahn Anatomie Bd. 2 München 2004, S. 391

Hauptafferenzen zum Cortex cerebelli stammen aus dem Rückenmark, der Brücke und dem Hirnstamm sowie den Vestibularganglien. Erstere haben im Bereich der Kleinhirnrinde ihre Repräsentationsgebiete und werden deshalb nach diesen Gebieten benannt: Spinocerebellum, Pontocerebellum und Vestibulocerebellum.

Im Gegensatz zum Cortex cerebri ist der Cortex cerebelli sehr gleichmäßig gebaut und überall dreischichtig. An die Oberfläche grenzt die Molekularschicht (Str. moleculare), darunter liegt die Schicht der Purkinje-Zellen (Str. purkinjense) u. weiter innen die Körnerzellschicht (Str. granulosum). In diesen Schichten gibt es wenigstens sechs unterschiedliche Neuronentypen: Körnerzellen, Sternzellen, Korbzellen, Golgi-Zellen, Purkinje-Zellen und monodendritische Zellen. Nur die Axone der Purkinje-Zellen verlassen die Kleinhirnrinde, die übrigen Neurone sind intrinsische Neurone des Cortex` cerebelli. Außerdem terminieren in den verschiedenen Schichten afferente Moos- und Kletterfasern, und es kommen verschiedene Gliazelltypen wie Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikroglia vor, über welche im nächsten Unterabschnitt 2.2 ausführlicher berichtet wird. Purkinje-Zellen sind inhibitorische Neurone und die einzigen, deren Axone den Cortex des Kleinhirns verlassen. Aus der Purkinje-Zelle entspringen 1-4 Dendritenstämme in Richtung Str. moleculare. Ein Primärdendrit verzweigt sich weiter bis seine feinsten Dendrite schließlich nahe der Kleinhirnoberfläche enden, wie Abbildung 2.1-12 zeigt.

Der Dendritenbaum verläuft streng in einer Ebene, welche senkrecht zur Längsachse des Foliums steht. Abbildung 2.1-13 verdeutlicht dies unter anderem.

Die dickeren primären u. sekundären Dendritenäste haben eine glatte Oberfläche mit stummelförmigen Dornen, an welchen erregende Synapsen mit Kletterfasern liegen. Feinere Dendritenäste ab dritten Ordnungsgrad sind mit typischen kurzhalsigen Dornen bestückt. Insgesamt hat der Dendritenbaum einer Purkinjezelle größenordnungsmäßig 180000 Dornen.

Abbildung 2.1-12 Neurone und Gliazellen des Cortex` cerebelli. Dargestellt ist der Querschnitt durch ein Folium. GABAerge Neurone sind schwarz oder rot gekennzeichnet, glutamaterge grün. Gliazellen: braun, Moosfasern (MF): blau, Kletterfasern (KF): blau. Pfeile zeigen die Leitungsrichtung der Axone an. Benninghoff-Drenckhahn Anatomie Bd. 2 München 2004, S. 398

Abbildung 2.1-13 Anordnung und Verbindungen von Neuronen des Cerebellums sowie afferenten Moos- (MF) u. Kletterfasern (KF). Folium quer u. längs geschnitten: linke u. rechte Schnittfläche. Die Dendritenbäume von Purkinje-, Korb- und Sternzellen sind fast nur im Querschnittsbild zu sehen, während der Dendritenbaum der Golgi-Zellen wegen der räumlichen Ausbreitung in beiden Schnittebenen erscheint. Parallelfasern (PF): parallel zur Längsachse des Foliums; grüne Punktierung im Querschnittsbild des Str. moleculare entspricht quer geschnittenen Parallelfasern. Benninghoff-Drenckhahn Anatomie Bd. 2 München 2004, S. 399

An der Basis des Purkinje-Zellleibs entsteht das Axon, welches in das Str. granulosum zieht. Das nichtmyelinisierte Initialsegment wird umgeben von den Axonästen der Korbzellen, welche hier synaptisch enden. Nach dem Initialsegment ist das Axon myelinisiert und entsendet während seines Wegs durch das Str. granulosum rekurrente Kollaterale. Die Purkinje-Zelle bildet synaptische Kontakte mit einer einzelnen Kletterfaser, mit 20-30 Korbzellaxonen, mit Sternzellaxonen von ähnlicher Anzahl, jedoch mit größenordnungsmäßig 80000 Parallelfasern. Es gibt hier offenbar eine sehr starke Konvergenz von Parallelfasern der Körnerzellen auf Purkinje-Zellen.

Körnerzellen sind kleine, exzitatorische Neurone mit einem Zellkern, der fast das gesamte Perikaryon ausfüllt. Sie haben 3-5 kurze Dendrite, welche sich in den Glomeruli cerebellares fingerförmig ausbilden. In den Glomeruli führen diese zu synaptischen Kontakten mit Moosfaser- und Golgi-Zell-Terminalen. Körnerzellen sind Neurone, welche an ihren Parallelfasersynapsen Glutamat als Transmitter benutzen.

Korb- und Sternzellen stellen intrinsische und inhibitorische Neurone des Cortex cerebelli dar, deren Perikarya in der Molekularschicht liegen (s. vorherige Abb. 2.1-12). Die gering verzweigten Dendritenbäume und die Verzweigungen der Axone befinden sich vornehmlich in der Ebene der Purkinje-Zellen (s. vorherige Abb. 2.1-13). Ihre Dendrite unterhalten asymmetrische, exzitatorische Synapsen mit Parallelfasern, welche ihre Dendritenbäume durchqueren. Sternzellen befinden sich im äußeren Rand der Molekularschicht. Deren Axone bilden mit den glatten Abschnitten der Dendrite von Purkinje-Zellen symmetrische Synapsen.

Korbzellen sind im unteren Drittel der Molekularschicht lokalisiert. Neben exzitatorischen Synapsen von Parallelfasern unterhalten sie auch inhibitorische Synapsen von Kollateralen der Purkinje-Zellen. Insgesamt steht eine Korbzelle mit ca. 70 Purkinjezellen in synaptischem und inhibitorischem Kontakt.

Korb- und Sternzellen haben GABA als inhibitorischen Transmitter.

Golgi-Zellen stellen inhibitorische Interneurone dar, deren Perikarya im Str. granulosum zu finden sind. Ihre Dendrite verzweigen sich stark im Str. molekulare, breiten sich buschförmig zwischen den Dendriten der Purkinje-Zellen aus (s. vorausgehende Abb. 2.1-13) und überspannen die Gebiete von jeweils drei Purkinje-Zellen. Einzelne Dendrite verzweigen auch im Str. granulosum und bilden synaptische Kontakte mit Moosfaserterminalen in den Glomeruli cerebellares. Nichtmyelinisierte Axone der Golgi-Zellen füllen unter Ausbildung eines reich verzweigten Plexus das Str. granulosum in der gesamten Breite aus. Schließlich terminieren sie in den Glomeruli cerebellaris an den Dendritenenden der Körnerzellen. Der Transmitter von Golgi-Zellen ist GABA.

Monodendritische Zellen kommen nur vor im Vestibulocerebellum und außerhalb des Kleinhirns in den Ncll. cochlearis, wo sie im Str. granulosum lokalisiert sind. Sie besitzen einen einzelnen Dendriten, welcher bürstenförmige Endverzweigungen ausbildet (brush cells). Letztere haben synaptischen Kontakt mit Moosfaserterminalen in den Glomeruli cerebellaris und formen dendrodendritische Synapsen mit Körnerzelldendriten. Die Axone der monodendritischen Zellen enden im Str. granulosum mit großen Terminalen, welche den Moosfaserterminalen ähneln. Letztere stehen in exzitatorischem synaptischem Kontakt mit Körnerzellen. Sie sind mit verschiedenen Glutamat- und Acetylcholinrezeptoren ausgestattet und benutzen wahrscheinlich Glutamat als exzitatorischen Transmitter.

Assoziationsfasern gibt es nur in geringer Menge und sie überbrücken als kurze Bündel benachbarte Folien von Hemisphären und Vermis ohne zu kreuzen.

Kommissurenfasern, welche in Corpus medullare und Velum medullare superius die Mittellinie kreuzen, formen insgesamt die Commissura cerebelli. Die Kommissurenfasern sind aber nicht als hemisphärenverbindende Fasern wie im Balken des Großhirns anzusehen, sondern als rein kreuzende Fasern.

Das Kleinhirn empfängt über Moos- und Kletterfasern unter anderem oberflächensensorische Information aus der Haut, tiefensensorische Information z.B. aus der Muskulatur sowie vestibuläre, visuelle und akustische Informationen. Ihre Repräsentationsgebiete auf dem Cortex cerebelli sind verschiedenartig verteilt. Information aus Oberflächen- und Tiefensensorik erreicht hauptsächlich zwei Gebiete: eines umfaßt Lobus anterior und Lobulus simplex, ein weiteres Anteile des Lobus posterior, hier vor allem Pyramis, Vermis und Lobulus gracilis. Sie entsprechen im wesentlichen dem Spinocerebellum (s. S. →). Beide Gebiete scheinen eine grobe somatotope Gliederung aufzuweisen. Die untere Extremität ist im Lobus anterior und im Lobus gracilis repräsentiert, wie aus der nächsten Abbildung 2.1-14 deutlich wird. Für die obere Extremität folgt das Feld im Lobus anterior dem Repräsentationsgebiet der unteren Extremität, im Lobus gracilis liegt es vor der unteren Extremität (s. Abb. 2.1-14). Damit ergibt sich eine doppelte spiegelbildliche Somatotopie der Extremitäten.

Eine doppelte somatotope Repräsentation besteht auch für den Kopf im Bereich Lobulus simplex und Lobulus gracilis.

Visuelle Informationen haben ihre Projektionsgebiete in visuellen Arealen des Vermis (Folium und Tuber), wobei sich jedoch dieses Gebiet in den benachbarten Lobulus semilunaris der Hemisphären ausdehnen kann.

Ein zweites visuelles Gebiet, welches Information aus visuellen Assoziationsfeldern des cerebralen Cortex` erhält, befindet sich im Lobus biventer und Tonsilla.

Die akustischen Repräsentationsfelder überlappen mit den visuellen Gebieten.

Vestibuläre Informationen werden hauptsächlich zum Lobulus flocculonodularis sowie zum anschließenden Uvulaabschnitt des Vestibulocerebellums projiziert. Es gibt aber auch Hinweise, welche zeigen, daß vestibuläre Projektionen nur zum Nodulus erfolgen.

Abbildung 2.1-14 Vereinfachtes Schema cortikaler Repräsentation cerebellärer Afferenzen. Zu beachten ist die „Vertauschung“ der Repräsentationsgebiete für die oberen und unteren Extremitäten im Lobus anterior und Lobulus gracilis. Benninghoff-Drenckhahn Anatomie Bd. 2 München 2004, S. 410

Zu den Funktionen des Kleinhirns läßt sich hier nur verkürzt das wichtigste feststellen. Die Hauptafferenzen werden über das umfangreiche Moosfasersystem dem Cerebellum übermittelt. Die Informationen des letzteren stammen aus peripheren Extero- und Propriozeptoren, welche über spinocerebelläre Bahnen dem Kleinhirn bzw. dem Spinocerebellum zugeführt werden. In ähnlicher Weise werden spezielle sensorische Informationen, welche hauptsächlich aus dem Gleichgewichtsorgan und den Vestibulariskernen kommen, zum Vestibulocerebellum projiziert. Ebenso wird motorische Information aus motorischem Cortex und subcortikalen motorischen Zentren zum Pontocerebellum (Hemisphären) gesandt. Moosfasern terminieren über Glomeruli cerebellares an Körnerzellen, welche sie zu transversalen cortikalen Arealen zusammenfassen (s. Abb. 2.1-15).

Diese Cortexareale orientieren sich an der Längsachse der Folien und Lobuli, während die transversale Ausrichtung dieser Areale durch Parallelfasern der Körnerzellen verstärkt wird, welche Moosfaserafferenzen in transversaler Richtung auf Purkinje-Zellen übertragen. So können viele in transversaler Reihe liegende Purkinje-Zellen durch Parallelfasern erregt werden, welche die Efferenzen des Cortex` liefern. Die nachfolgende Abbildung 2.1-15 zeigt ein grobes Verschaltungsschema von Afferenzen und Efferenzen des Cerebellums.

Ihrerseits bilden die Purkinje-Zellen mit Kletterfasern und subnukleären Abschnitten der Kleinhirnkerne efferente Funktionseinheiten, sog. cerebelläre Module (nächste Abb. 2.1-15). Diese Module sind sagittal angeordnet, und zwar innerhalb von sagittalen Längszonen und deren Subzonen. Die Kleinhirnkerne entsenden Kleinhirnprojektionen, welche direkt oder indirekt zu motorischen Systemen in Hirnstamm und cerebralem Cortex gelangen. Letztere schicken ihrerseits Moos- u. Kletterfaserafferenzen zurück ins Kleinhirn für den Informationsabgleich (Abb. 2.1-15).

Abbildung 2.1-15 Verschaltungsschema von Afferenzen und Efferenzen des Cerebellums. Efferenzen der Purkinje-Zellen zu Kleinhirnkernen einschließlich Ncl. vestibularis lateralis, deren Efferenzen zum Complexus olivaris inferior und die Efferenzen aus letzterem in Form von Kletterfasern zu Purkinje-Zellen bilden Funktionseinheiten als cerebelläre Module. Die Kleinhirnkerne projizieren direkt oder indirekt zu motorischen Systemen in Hirnstamm und cerebralem Cortex. Diese entsenden zur Informationsrückkopplung Moosfaserafferenzen zurück zur Kleinhirnrinde, sowie hier nicht eingezeichnete Afferenzen zum Complexus olivaris inferior. Die Pfeile kennzeichnen die Leitungsrichtung. Benninghoff-Drenckhahn Anatomie Bd. 2 München 2004, S. 416 ff

Cerebelläre Funktionen werden von zeitlichen und räumlichen Faktoren bestimmt, welche den Informationsfluß einer bestimmten Kombination von Moos- und Parallelfasern und den geeigneten Informationsausstoß steuern. Zu diesen Faktoren dürften die inhibitorischen Interneurone des KleinhirnCortex` gehören, die den Informationszustrom von Moos- und Kletterfasern räumlich und zeitlich begrenzen. Einen weiteren Beitrag werden die plastischen Veränderungen hinsichtlich der Antworteigenschaften der Purkinje-Zellen liefern, die in Form der Langzeitdepression an Parallelfasersynapsen auftreten. Diese plastischen Veränderungen stehen unter dem Einfluß der Kletterfasern. Die Funktion der Kletterfaserafferenzen sollte daher weniger in der schnellen Übertragung von Information als vielmehr in der Einstellung der Erregungsbereitschaft der Purkinje-Zellen bestehen. Zwischen der räumlichen Organisation des olivocerebellären Kletterfasersystems und dem Informationsausstoß von Purkinje-Zellen besteht eine präzise Abstimmung.

Abschließend werden die Hauptfunktionen des Cerebellums auch anhand der nächstfolgenden Abbildung 2.1-16 zusammengefaßt. Diese Abbildung zeigt die Ein- und Ausgänge des Cerebellums und auch die Lage der genannten cerebellären Kerne.

Abbildung 2.1-16 Struktur des Cerebellums mit Ein- und Ausgängen. Eingezeichnet sind ebenfalls die tief liegenden Kerne. Marie Banich and Rebecca Compton Cognitive Neuroscience Wadsworth 2011, p. 113

Das Kleinhirn ist äußerst wichtig für die Kontrolle motorischer Funktionen. Insbesondere ist es befaßt mit der zeitlichen Koordination der Muskelbewegungen, mit der Planung von Bewegungen und dem Erlernen von bestimmten motorischen Fähigkeiten bei vielen Bewegungsarten.

Jede Region einer cerebellären Hemisphäre projiziert zu einem bestimmten Kern des Cerebellums. So projiziert der Vermis zum Nucleus fastigii, die intermediäre Zone projiziert zum Nucleus interpositus und die laterale Zone projiziert zum Nucleus dentatus.

Man darf folglich annehmen, daß das Kleinhirn in drei unterschiedlichen Schleifen arbeitet. Die eigentliche Bewegung kann jedoch nicht vom Kleinhirn ausgelöst werden. Dies geschieht erst durch den Parietallappen.

Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß auch bei Denkprozessen höherer Ordnung das Kleinhirn aktiv wird. Welche Aufgaben das Kleinhirn dabei wahrnimmt, muß in weiteren Studien noch nachgewiesen werden. Offenbar ist jedoch die laterale Region des Cerebellums stärker involviert.

Ein interessanter funktioneller Aspekt ist die Körperrepräsentation in einer doppelten, spiegelbildlichen Lokalisation auf dem anterioren und posterioren Cerebellum (s. Abb. 2.1-14). Lobus anterior, Lobulus simplex einerseits und Pyramis mit angrenzenden Hemisphärenläppchen des Lobus posterior andererseits erhalten Äste derselben Kletter- und Moosfasern und projizieren auf dieselben Kleinhirnkerne. Die Moosfasern stammen aus sensorischen und motorischen Kernen von Rückenmark und Hirnstamm und von motorischen und sensorischen corticopontinen Systemen. Die Efferenzen dieser Regionen überwachen die Aktivitäten corticospinaler und rubrospinaler Bahnen und die subcortikalen Systeme der Vestibulariskerne und der Formatio reticularis. Insgesamt sind Afferenzen und Efferenzen des Kleinhirns nach denselben somatotopen Mustern organisiert. Die Orientierung dieser Muster ist jedoch umgedreht: Der Kopf ist hauptsächlich im Lobulus simplex und kaudal in einer entsprechenden Region des Lobus posterior repräsentiert. Der übrige Teil des Körpers folgt dieser Doppelrepräsentation in einer grob somatotopen Anordnung.

2.2Neurone, Aktionspotentiale, Synapsen

Das Nervensystem enthält zwei grundsätzliche Klassen von Nervenzellen: Neurone (Nervenzellen) und Gliazellen (Glia). Neurone sind die eigentlichen Nervenzellen, während Gliazellen Stütz- und Versorgungszellen darstellen. In letzter Zeit hat man aber durch entsprechende Versuche festgestellt, daß Gliazellen möglicherweise noch andere wichtige Aufgaben erfüllen.8

Das Neuron ist eine hochspezialisierte, nicht mehr teilungsfähige Zelle. Neurone gibt es wahrscheinlich in mehr als 1000 verschiedenen Formen im menschlichen Gehirn. Die häufig vorkommenden Nervenzelltypen sind in der nächst folgenden Abbildung 2.2-1 dargestellt und erklärt.

Das äußerst komplexe Steuerungsverhalten unseres Großhirns ist aber nicht durch die Differenzierung der Neurone zu erklären, sondern hauptsächlich durch deren unvorstellbar große Anzahl von größenordnungsmäßig 1011. Nur so können derartig viele unterschiedlich stark vernetzte Funktionskreise aufgebaut werden.

Ein einzelnes Neuron besitzt generell vier morphologisch definierte Abschnitte: den Zellkörper, die Dendrite, das Axon und die präsynaptischen Endigungen. Jeder dieser Bereiche hat eine bestimmte Rolle bei der Generierung von Signalen und der Kommunikation mit anderen Neuronen zu erfüllen.

Abbildung 2.2-1 Neurone werden in drei große Gruppen eingeteilt. Diese bestehen aus unipolaren Neuronen, bipolaren Neuronen und multipolaren Neuronen. Zu sehen sind Beispiele für die drei großen Gruppen und ein weiteres Beispiel für sog. pseudounipolare Neurone. Letztere entstehen als bipolare Zellen, verschmelzen dann aber zu unipolaren Zellen. Unipolare Zellen haben nur einen Prozeß durchzuführen, welcher von der Zelle ausgeht. Bipolare Zellen führen zwei funktionell unterschiedliche Prozesse aus. Multipolare Zellen bestehen aus einem Axon und vielen Dendriten. Sie sind der häufigste Zelltyp im Nervensystem der Säuger. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 25

Der Zellkörper (Soma, auch: Perikaryon) ist das Zentrum eines Neurons, welches die Gene sowie das endoplasmatische Retikulum enthält. Im allgemeinen entwickelt der Zellkörper mehrere kurze Dendrite und ein Axon. Dendrite verzweigen in baumartigen Strukturen und sind meistens die Empfänger für eingehende Signale von anderen Neuronen. In der nachfolgenden Abbildung 2.2-2 wird die Struktur eines Neurons schematisch dargestellt.

Axone können nur einige Millimeter lang sein, aber auch bis 2m anwachsen. Sie haben die Möglichkeit, sich zu verzweigen oder auch Kollaterale zu bilden. Der Kontakt zu anderen Neuronen geschieht über Synapsen. Man unterscheidet chemische und elektrische Synapsen. Die chemische Synapse, welche auch in Abb. 2.2-2 vorliegt, benutzt chemische Botenstoffe, sog. Neurotransmitter, während die elektrische Synapse durch einer Art Brückenbindung überträgt. Meistens kommen aber chemische Synapsen für die Verbindung zwischen Neuronen vor. Die Neurotransmitter, welche entweder inhibitorisch oder exzitatorisch sind, werden in den Zwischenraum der beiden gegenüberliegenden Neuronen gesandt. Letzteren bezeichnet man als synaptischen Spalt (synaptic cleft). In dieser Weise empfangen, verarbeiten u. übergeben die Nervenzellen neuroelektrische und neurochemische Erregungen. Wie dies geschieht und welcher Art die verwendeten Signale sind, soll im folgenden genauer betrachtet werden.

Abbildung 2.2-2 Schematisierte Zeichnung eines Neurons. Die im Text genannten vier grundsätzlichen Abschnitte des Neurons lassen sich deutlich erkennen. Außerdem sind präsynaptische Zelle und postsynaptische Zellen am linken Bildrand gekennzeichnet. Die Verbindung zwischen präsynaptischer und postsynaptischer Zelle wird durch die Synapse gebildet (s. nachfolgender Text). M. Banich and R. Compton Cognitive Neuroscience Wadsworth 2011, p. 35

Die Membran einer Nervenzelle oder irgendeiner anderen Zelle im Ruhezustand ist elektrisch geladen. Es besteht also eine Spannung (Potentialdifferenz) zwischen dem Zellinneren und der nahen Umgebung der Zelle. Diese Potentialdifferenz ergibt sich aus der ungleichen Verteilung der dort vorkommenden positiv und negativ geladenen Ionen einerseits und der selektiven Permeabilität der Membran selbst. Für Nervenzellen bestehen positiv geladene Ionen (Kationen) hauptsächlich aus Na+, K+, negativ geladene (Anionen) aus Cl- und organischen Molekülen, wie Aminosäuren oder Proteinen.

Im Falle eines nicht erregten Neurons wird diese Potentialdifferenz als Ruhemembranpotential bezeichnet, wobei das Potential der Umgebung der Zelle gleich Null gesetzt wird. Der negative Wert entsteht dadurch, daß K+-Ionen aus der Zelle diffundieren und eine negative Aufladung der Innenschicht der Zellmembran erzeugen. Normalerweise ist die Zellmembran völlig undurchlässig für derartige Ionen, sie hat aber winzige Durchlaßstellen, sog. Ionenkanäle, welche diese Teilchen im Ruhezustand der Zelle passieren lassen.

In den nächsten beiden schematischen Darstellungen der Abbildungen 2.2-3 und 2.2-4 ist ein solcher lonenkanal der Zellmembran mit der entsprechenden Ionenverteilung in zwei Stadien zu sehen. Man hat zu beachten, daß Ein- und Ausstrom von K+-Ionen letztlich einen stationären Zustand erreichen, welcher einerseits durch die Potentialdifferenz, andererseits durch den Konzentrationsgradienten und schließlich durch die selektive Permeabilität der Zellmembran bestimmt wird.

Abbildung 2.2-3 Schematisch gezeichnet sind Ein- und Ausstrom von K+-Ionen durch einen Ionenkanal der Zellmembran. Die Darstellung zeigt, wie zunächst nur K+-Ionen gemäß dem hohen Konzentrationsgradienten das Zellinnere verlassen. Die Abkürzung A- bedeutet organisches Anion. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 130

Abbildung 2.2-4 Schematisch gezeichnet sind Ein- und Ausstrom von K+-Ionen durch einen Ionenkanal der Zellmembran. Man sieht hier, daß sich an der Membran Ladungsschichten mit einer Potentialdifferenz aufbauen, welche dem Konzentrationsgradienten entgegenwirkt. Dadurch kommt es zu einem K+-Rückstrom in die Zelle und möglicherweise zu einem Gleichgewicht zwischen Ein- und Ausstrom. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 130

Wären tatsächlich nur Konzentrationsgradienten und elektrische Potentialdifferenz maßgebend für die Einstellung eines stationären Zustands, so käme es nicht zu der genannten Ladungsdifferenz und damit auch nicht zu einem Stromfluß. Das Ruhepotential der Zellmembran wäre gleich Null.9 Da aber die Ionenkanäle der Membran undurchlässig für die großen organischen Anionen (im unteren Teil der Abb. 2.2-4 durch A- gekennzeichnet) und kaum durchlässig (Faktor 1/10) für die Kationen Na+ und Ca++ sind, reicht der K+-Einstrom nicht zur Neutralisation des Zellinneren aus. Es entsteht ein Ruhemembranpotential von durchschnittlich - 75 mV.

Zu beachten ist jedoch, daß wenige Na+-Kationen stets durch die Ionenkanäle ins Zellinnere wandern und auf diese Weise das Ruhemembranpotential auslöschen würden. Dagegen arbeitet aber die sog. Natrium-Kalium-Pumpe, welche ständig Na+-Kationen aus der Zelle treibt und durch einen geeigneten Anteil K+-Kationen ersetzt. Allerdings benötigt dieser Pumpprozeß verhältnismäßig viel Energie (Hydrolyse von ATP10), sodaß unser Gehirn eine große Menge der ihm zur Verfügung stehenden Energie schon für das Konstanthalten des Ruhemembranpotentials benötigt.

Das eigentliche elektrische Signal des Neurons entsteht, wie man bereits aus dem Vorangegangenen erwarten konnte, durch eine sehr kurzfristige Veränderung des Ruhemembranpotentials. Gewöhnlich am Axonhügel oder auch entlang des Axons wird dann für etwa 1 Millisekunde das Zellinnere gegenüber dem Zelläußeren positiv geladen.

Dies geschieht in folgender Weise: Eine auslösende elektrische Erregung verringert den absoluten Wert der lokalen Spannung von -75 mV auf beispielsweise -50 mV, man spricht von einer Depolarisation der Zelle. Dadurch wird eine interne Schwelle, die sog. „Feuerschwelle“ der Zelle, überschritten. Es öffnen sich schlagartig die Na+-Kanäle in einem selbstverstärkenden Prozeß. Ein starker Einstrom von Na+-Ionen in das Zellinnere erfolgt und führt zur Umkehrung des Membranpotentials. Das resultierende Aktionspotential steigt steil auf einen Wert von ca. +30 mV an. Nach kurzer Zeit (< 1ms) schließen sich die Na+-Kanäle wieder und es setzt das schnelle Abfallen des Aktionspotentials ein. Gering verzögert öffnen sich auch die K+-Kanäle und das Ausströmen von K+-Ionen aus der Zelle erfolgt. Dies zusammen bewirkt ein außerordentlich rasches Abklingen des Aktionspotentials, man spricht von Repolarisation. Für gewisse Zeit wird sogar der Absolutwert des Ruhemembranpotentials übertroffen, was als Hyperpolarisation bezeichnet wird. Anschließend nimmt das Membranpotential nach zwischenzeitlichem Rückschwingen auf kleine positive Werte (positives Nachpotential) wieder seinen Ruhezustand ein. Das nächste Aktionspotential kann ausgelöst werden. In der nachfolgenden Abbildung 2.2-5 findet sich ein detailliertes Diagramm für den zeitlichen Verlauf des Aktionspotentials.

Wichtig ist die Tatsache, daß das Aktionspotential ein schlagartiges Signal darstellt: Wird durch genügende Depolarisation der Schwellenwert des Membranpotentials erreicht und das Aktionspotential gestartet, so erfolgt immer der gleiche Verlauf mit gleicher Amplitude, wie in der Abb. 2.2-5 gezeigt wird. Der Maximalwert des Ausschlags ist nicht abhängig von Höhe der Überschreitung des Schwellenwertes. Dagegen hängt die Frequenz der hintereinander auftretenden Aktionspotentiale durchaus von Frequenz und Stärke der auslösenden Erregung ab. Denn für starke und höherfrequente Erregung wird der Schwellenwert der Membran sehr viel schneller erreicht als für schwache und langsam verlaufende.

Abbildung 2.2-5 Entstehung und Verlauf eines Aktionspotentials.1. Wenn der Schwellenwert für die Aktivierung erreicht oder überschritten wird, beginnen Natriumionen (Na+) in die Zelle einzuströmen. 2. Gleichzeitig beginnen Kaliumionen (K+) die Zelle zu verlassen. 3. Die Natriumkanäle schließen und das Aktionspotential erreicht seinen maximalen Ausschlag. 4. Verzögert öffnen sich auch die Kaliumkanäle, sodaß ein schneller Abfall des Aktionspotentials in negativer Richtung erfolgt. Die Zelle wird hyperpolarisert und erreicht nach Schließung der Kaliumkanäle wieder den Ruhezustand. M. Banich and R. Compton Cognitive Neuroscience Wadsworth 2011, p. 34

In der Regel werden Aktionspotentiale am Axonhügel (Axon hillock) der Zelle (s. Abb. 2.2-2) erzeugt. Dort gibt es viele spannungsabhängige Na+- u. K+-Kanäle, wobei die Na+-Kanäle sich selbst verstärken. Außerdem liegt die „Feuerschwelle“ relativ niedrig, sodaß die Auslösung der Aktionspotentiale leicht möglich ist.

Axone leiten die Aktionspotentiale weiter. Ein zunächst entstandenes Aktionspotential depolarisiert die Axonmembran an der zugehörigen Stelle. Dadurch tritt gegenüber dem nicht erregten unmittelbaren Nachbargebiet eine Potentialdifferenz von ca. 100 mV auf, welche die spannungsabhängigen Na+-Kanäle in der Nähe öffnet, und den schnellen Einstrom von Na+-Ionen bewirkt, der dann ein weiteres Aktionspotential auslöst. Dieses ist dann wieder der Ausgangspunkt für das nächste Aktionspotential, und so kann das Potential über die gesamte Membran des Axons laufen, da es ständig regeneriert und dadurch seine Amplitude konstant gehalten wird.

Zu beachten ist, daß die Potentialdifferenz natürlich auch jeweils in Rückrichtung zur Ausbreitungsrichtung besteht. Da aber im rückwärtigen Gebiet kurz vorher ein Aktionspotential ausgelöst wurde, kann dort kein neues erzeugt werden, denn die Na+-Kanäle bleiben solange geschlossen bis das Ruhepotential der Membran wieder erreicht und über eine gewisse Zeit eingenommen wird, man spricht von der Refraktärzeit der Zelle (s. Abb. 2.2-5).

Die Fortleitungsgeschwindigkeit des elektrischen Signals wird vom Faserdurchmesser bestimmt, sie ist gemäß der Abnahme des el. Widerstands mit zunehmendem Querschnitt höher für dickere Fasern. Verzweigt sich das Axon in Kollaterale, dann läuft die Erregung in den Ästen wie in einem parallelen Stromkreis weiter. Bei der beschriebenen „kontinuierlichen“, sog. elektrotonischen Fortleitungsart werden in Abhängigkeit vom Axonquerschnitt nur relativ geringe Geschwindigkeiten von 0,1ms-1 - 2ms-1 erreicht.11

Die elektrotonische Weiterleitung des Aktionspotentials läßt sich wie folgt verstehen: Wenn die Membran an irgendeinem Punkt des Axons genügend stark depolarisiert wurde, so entsteht dort ein Aktionspotential. In der Folge breitet sich die lokale Depolarisation passiv über das Axon aus und erzeugt jeweils benachbarte Bereiche auf der Membran, welche den Schwellenwert erreichen und die Entstehung eines Aktionspotentials ermöglichen. In der nachfolgenden Abbildung 2.2-6 wird dies näher erläutert.

Axone, welche von Neurogliazellen umwickelt sind, werden in diesem Verband als Nervenfasern oder kürzer als Fasern bezeichnet. Die Neurogliazellen liegen aneinandergereiht und bedecken die Axone auf ihrer ganzen Länge, ausgenommen sind die sog. Ranvierknoten. Bilden diese Neuroglia nur eine einfache Bedeckung, so handelt es sich um nichtmyelinisierte (markscheidenlose) Fasern.

Bei mehrschichtigen Membranwicklungen um die Axone werden diese Fasern myelinisierte (markscheidenhaltige oder markhaltige) Nervenfasern genannt. Myelin hat eine membranähnliche molekulare Zusammensetzung und enthält einen ungewöhnlich hohen Lipidanteil. Die Markscheide myelinisierter Fasern besteht je nach Dicke des Axons aus vielfachen, dicht gelagerten Membranwicklungen, wird jedoch in regelmäßigen Abständen durch Ranvierknoten bzw. Ranvier-Schnürringe unterbrochen. Das Axon liegt an diesen Stellen offen.

Abbildung 2.2-6 Elektrotonische Leitung unterstützt die Fortpflanzung des Aktionspotentials. Die Darstellung oben zeigt ein Aktionspotential, welches von rechts nach links läuft, und eine Differenz des Membranpotentials in zwei benachbarten Bereichen des Axons bewirkt. Diese Differenz löst einen lokalen Ringstrom aus, welcher die Depolarisation mit passiver Ausbreitung liefert. Der Strom fließt von der positiven aktiven Region (2) zur weniger positiven Ruheregion vor dem Aktionspotential (1) und ebenfalls zur weniger positiven Region hinter dem Aktionspotential (3). Da aber außerdem ein Anstieg in der Membran-K+-Leitfähigkeit infolge des Aktionspotentials vorliegt, wird der Aufbau von positiver Ladung entlang der inneren Seite der Membran durch den lokalen Ausstrom von K+ im Bereich (3) mehr als ausgeglichen und so kann diese Region der Membran repolarisieren. Die untere Darstellung zeigt, wie nach geringer Zeit das Aktionspotential schon das Axon durchlaufen hat, sodaß der Prozeß wieder beginnen kann. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 143-144

Infolge der geschilderten Vorgänge besitzen derartig myelinisierte Nervenfasern wesentlich höhere Fortleitungsgeschwindigkeiten für Aktionspotentiale als nichtmyelinisierte, obgleich die Axone selbst ihre kleinen Querschnitte behalten und dadurch äußerst platzsparend sind. Das Segment der Nervenfaser zwischen zwei Schnürringen wird als Internodium bezeichnet. Auf Grund des hohen elektrischen Querwiderstands der Membran im Internodium (der Längswiderstand hängt nur vom Axonradius ab) geschieht die Fortpflanzung der Aktionspotentiale in den markhaltigen Fasern sprunghaft von Ranvierknoten zu Ranvierknoten. Man nennt dies dann saltatorische Erregungsfortleitung. Da die myelinisierten Abschnitte des Axons de facto Nichtleiter darstellen, können dort keine Ionenströme fließen. Folglich kann das zu Anfang an einem Schnürring entstandene Aktionspotential bzw. die entsprechende Depolarisation der Membran, welche den Potentialunterschied zu den nicht erregten Bezirken der Membran erzeugt, erst am nächsten Schnürring wirksam werden. Nach Überschreiten des Schwellenwertes setzt dann der Einstrom der Na+-Ionen in die dortigen, sich schlagartig öffnenden Na+-Kanäle ein.12 Gerade an den Ranvierknoten gibt es besonders viele spannungsabhängige Na+-Kanäle, die dann diesen enormen Ioneneinstrom ermöglichen (s. auch Legende zur anschließenden Abb. 2.2-7).

Die nächste Abbildung 2.2-7 veranschaulicht die saltatorische Fortleitung eines Aktionspotentials.

Abbildung 2.2-7 Fortschreiten eines Aktionspotentials in einer myelinisierten Nervenfaser.Oben: Die Dichte der Membranströme ist sehr viel größer im Ranvierknoten als in der Internoderegion, wie die Breite der Pfeile anzeigt. Wegen der höheren Kapazität der Axonmembran in den Ranvierknoten verlangsamt sich das Aktionspotential, wenn es sich einem Ranvierschnürring nähert. Es scheint daher von einer Internoderegion zur anderen zu springen. Mitte: Innerhalb und in der Nähe der Ranvierschnürringe gibt es besonders viele Na+- und K+-Kanäle. Unten: Zu erkennen ist, wie im Bereich der Ranvierknoten die Fortleitungsgeschwindigkeit des Aktionspotentials sich deutlich verlangsamt. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 145-147

Im PNS werden die umhüllenden Zellen durch sog. Schwannzellen gestellt. Für nichtmyelinisierte Fasern liegen mehrere Axone in hintereinander angeordneten Schwannzellen eingebettet. Die nächste Abbildung 2.2-8 zeigt eine Darstellung dieser Schwannzelle.

Abbildung 2.2-8 Schwannzellen umwinden die Axone mit Myelinschichten innerhalb des PNS. Die Schwannzellen kommen nur im PNS vor. Während der Umwicklung liegen diese Zellen längsgerichtet auf dem Axon. Jede Zelle formt eine Myelinschicht von der Länge etwa eines Millimeters zwischen den Ranvierknoten. Die innere Zunge umläuft dabei das Axon mehrmals. Im Anschluß an die Myelinisierung beeinflussen die Schwannzellen die Axone durch Erhöhung der Signal-Durchleitungsgeschwindigkeiten und durch Verlagerung spannungsabhängiger Ionenkanäle in die Bereiche der Ranvierknoten. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 27

Im ZNS findet man die nachfolgend abgebildeten Zellarten.

Abbildung 2.2-9 Schematisierte Zeichnung einer Oligodendrozyte. Diese Zellen kommen im ZNS sowohl in der weißen Substanz als auch in der grauen vor. Eine einzelne Zelle kann bis zu 30 axonale Segmente innerhalb der weißen Substanz einhüllen. In der grauen Substanz umgeben und versorgen Oligodendrozyten die Zellleiber der Neurone. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 26-27

Abbildung 2.2-10 Astrozyten stellen die Hauptklasse der Gliazellen im ZNS dar. Auch die Astrozyten kommen in der weißen und grauen Substanz des ZNS vor. Astrozyten sind in der Lage, Kapillare und Neuronen zu kontaktieren. Bisher ist aber nicht genau verstanden, welche Funktionen sie im ZNS erfüllen. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 26 ff

Äußerst wichtig für die Kommunikation der Neuronen ist die synaptische Transmission, welche bereits mehrfach erwähnt wurde. Ein Neuron knüpft durchschnittlich mehrere tausend synaptische Verbindungen und erhält eine ähnliche Anzahl von anderen Nervenzellen.

Hier soll nur die chemische Synapse besprochen werden, da diese überwiegend vom Nervensystem verwendet wird. Chemische Synapsen können im Gegensatz zu elektrischen Synapsen Signale verstärken.

Chemische synaptische Transmission ist abhängig von der Diffusion des benutzten Neurotransmitters im synaptischen Spalt (synaptic cleft Abb. 2.2-2). Neurotransmitter sind chemische Substanzen, welche Rezeptoren in der postsynaptischen Membran der Zielzelle binden. Solche Neurotransmitter werden von 100-200 synaptischen Vesikeln über präsynaptische Terminals ausgeschüttet. Die synaptischen Vesikel befinden sich an bestimmten Stellen der präsynaptischen Membran, welche als „aktive Zonen“ bezeichnet werden.

Die einzelnen Vesikel enthalten mehrere tausend Moleküle des verwendeten Neurotransmitters. In der nächsten Abbildung 2.2-11 wird eine Tabelle der hauptsächlich verwendeten Neurotransmitter gezeigt.

Freigesetzte Transmittermoleküle diffundieren durch den synaptischen Spalt und binden an die entsprechenden Rezeptoren der postsynaptischen Membran. Auf diese Weise aktivierte Rezeptoren öffnen oder schließen Ionenkanäle. Der daraus resultierende Ionenfluß verändert die Leitfähigkeit der Membran und das Potential der postsynaptischen Zelle.