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Ingo Karwath

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Beschreibung

Der fiktive Roman spielt in der Gegenwart, ist eine Erzählung in Ich Form als moderne Parabel auf den Menschen und seine beinahe schon tragische Unfähigkeit, trotz allen Fortschritts und Evolution sein Wesen zu verändern und den Hang zur Selbstzerstörung aufzuhalten. Plötzlich auftauchende kosmische Besucher bieten die unverhoffte Chance, mittels exterrestrischer Gene und Technik im Labor einen weiterentwickelten Menschen 2.0 zu kreieren, so die Evolution abzukürzen und vielleicht doch noch einen Ausweg aus dem irdischen Dilemma mit Katstrophen wie dem Klimawandel zu finden. Kann der Mensch sie nutzen?

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Seitenzahl: 437

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C O N T A C T (R E S T A R T)

Buch 1 – Die Ankunft

Kapitel 1

Josh. Sie rufen mich Josh. Eigentlich heiße ich Joshua, aber so nennt mich keiner. Mittvierziger und Single. Davon gibt es jede Menge austauschbarer Kopien, die alle auch im Aussehen buchstäblich dasselbe verkörpern: gut bezahlte Jobs und schicke Appartementwohnungen in großen, angesagten Städten, möglichst viel Sex mit wechselnden Partnern ohne weitere Verpflichtungen, wenig Stress, dafür Spaß und ansonsten ihre Ruhe. Aufregend für uns, langweiliges für andere, und es gäbe da tatsächlich auch nichts weiter zu erzählen über mich, wenn‘s dabeigeblieben wäre. Ist es aber nicht.

In der Woche stehe ich morgens gegen Sieben auf, schalte zuerst die Kaffeemaschine und dann das Radio ein, bevor ich ins Bad marschiere. Anschließend ein Kaffee, ich liebe den Geruch. Richtiges Frühstück verträgt mein Magen nicht vor Neun. Die Megacities der Neuzeit ähneln einander wie ein Ei dem anderen, auch wenn sie alle auf verschieden und einmalig machen. Wer in ihnen unterwegs ist, dem bleiben die Gemeinsamkeiten nicht verborgen. Im Zentrum weisen schmale Türme wie Fingerzeige in den Himmel, unübersehbar, stolz und glänzend. In ihnen wohnen die Götter der Zahlen, Finanzen und Paragrafen. Die gläubigen Gläubiger dieser Religion strömen früh hinein und abends wieder raus wie in einer Kirche am Sonntag. Da verbringen sie die meiste Zeit ihres Lebens, mehr als in ihren schicken Siedlungen in den Speckgürteln, aus denen sie über Highways und Schienenstränge zu ihren Tempeln transportiert werden. Und wie beim sonntäglichen Gang zur Messe ziehen sie hierfür ihre besten Klamotten an, zuhause reichen T-Shirt und Schlabbershorts. Zu dieser Herde frommer Pilger, die dieses Leben klaglos über sich ergehen lassen, ja sich glücklich schätzen, dazuzugehören, zähle ich, nur dass ich mir den zusätzlichen Luxus leiste, direkt in der City zu wohnen. Nur ein kleiner, künstlich angelegter Park mit See trennt meine Penthouse Wohnung im elften Stock von den glitzernden Glasfassaden und gibt mir die Illusion, weit weg zu sein. Vielen ist die City zu laut und hektisch, was durchaus stimmt, aber abends und an den Wochenenden wird es da ruhiger als in der Vorstadt der Grillpartys und Kids. Lärm und Hektik? Nicht zuhause. In meiner freien Zeit brauche ich keine Nachbarn.

Mein Büro ist also nicht weit. Geschäfte, Banken, Bars, Restaurants, Fastfood Ketten – auch alles gleich um die Ecke. Ich laufe die kurze Strecke und bin jedes Mal froh, mir das Gedränge in Bus, Bahn oder Highway nicht antun zu müssen. Früh ist wenig los. Ein paar übrig gebliebene gerupfte Nachteulen treffen auf die ersten halbgaren Frühaufsteher. Das ist meine Zeit. Der Geruch von Pflanzen und nasser Erde im Park, echtes Vogelgezwitscher. Nur kurze Zeit später überrollt das alles eine rücksichtslose Lärm- und Sinneswalze. Bis in den späten Abend. Fremdgesteuerte Menschen- und Autoströme brechen über die dann ruhelose Stadt herein, werden rhythmisch hinein gespien wie von einem überdimensionalen Laubbläser. Sie ergießen sich gnadenlos in die Straßen, drängen nach, kreuzen sich, stoppen kurz und starren dabei erwartungsvoll Ampeln an, als hinge ihr Leben davon ab. Kopfhörer in den Ohren, reden sie laut mit sich selber oder den Displays ihre Smartphones. Schaltet die Ampel auf Grün, gehen sie einfach mit den anderen mit, ohne aufzusehen, bei Rot stocken sie mit dem Strom, dann wieder weiter. Ab und an schauen sie mit leerem Blick einen kurzen Moment auf wie hirnlose Zombies, um nicht mit Hindernissen oder anderen Idioten zu kollidieren. Was ist real und was surreal, scheinen sie zu fragen. Da stehe ich lieber eine Stunde früher auf und gehe allein zu Fuß, bevor die Untoten kommen.

Aus dem Radio krächzt Bob Dylan vorwurfsvoll: Don’t criticize what you can’t understand…! Mache ich doch gar nicht, widerspricht mein gutgelauntes Ego. Ich drehe ihn ab, schlürfe den Rest kaltgewordenen Kaffee und lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Frühsommer. Noch liegt der Geruch nächtlicher Kühle und Feuchte auf den Straßen, aber es ist bereits angenehm mild um diese Jahreszeit. Die Sonne taucht langsam auf zwischen den Fassaden, spiegelt sich silbrig gelb im matten Glas. Mir sagt ihr Muster das kommende Wetter an. Du spinnst, behauptet Bob, wen ich ihm davon im Büro erzähle. Aber ich habe mich noch nie getäuscht, was sich von seiner Wetter App nicht behaupten lässt. Es wird heute Morgen regnen, erst spät abends besser werden. Ich genieße die fast leeren Straßen. Jetzt gehören sie mir. Nur ein Müllmann oder Postbote. Fliegende Händler öffnen ihre Ministände am Ausgang der Metro und warten auf die Pendler. Kaffee in Pappe, der auch so schmeckt, Zeitungen und mit Folie umwickelte Sandwiches. Pah! Ekelhaft. Noch herrscht Ruhe vorm Sturm, doch die Luft vibriert schon. Die milde Luft ist kühler heute, da es nachts geregnet hat. Nach den Park Alleen führt mein Weg unter den Glasvordächern der Geschäfte entlang, so muss ich mir nie Sorgen machen, trockenen Fußes ins Büro zu kommen. Zehn Minuten später erreiche ich den Tower, es schüttet jetzt heftig. Die Sonne lügt nicht.

Als Werbeagentur überschaubarer Größe verfügen wir über kein eigenes Gebäude und haben daher Räume in einem Bürohaus angemietet. Ganz oben, die Aussicht entrückt die Gedanken - jedenfalls meine. Bob und ich sind Inhaber zu gleichen Teilen. Früher hat ihm der Laden allein gehört. Mit wenig Erfolg. Als auch noch sein bestes Pferd im Stall gehen wollte, nämlich ich, hat er mir das Partnerangebot gemacht, um nicht gänzlich abzusaufen. Bob schluckt meine Vorstellungen von Arbeitsdisziplin. Er weiß, wie egal mir seine Termine sind, aber auch, welche Ideen ich liefere. Er liebt Zahlen, nicht den Stift. Nun sind wir Geschäftspartner, ohne mich ist er aufgeschmissen. Mehr noch als mein kreatives Talent halten uns meine Kontakte ins Geschäftsleben am Leben. Ich ziehe die dicken Brocken an Land. Wie ich das machte, darüber zerbrechen sich unsere Mitbewerber vergeblich den Kopf. Wir gelten aktuell als die erfolgreichsten Macher der Branche in der Stadt. Um solvente Dauerkunden zu gewinnen, ist neben Qualität persönliche Betreuung unabdingbar. Darin bin ich gut, sehr gut sogar. Klar die Nummer Eins, viel besser als Bob, dem Mann fürs Administrative. Technik, Personal, Abrechnungen, Steuern, Termine. Macht er toll, wirklich, davon habe ich keine Ahnung. Will ich auch gar nicht. Bob schmeißt den Laden, ich bringe das Geld. Wir beschäftigten fünf studierte Werbegrafiker, meist junge Uniabsolventen, die Fluktuation ist hoch in dem Geschäft. Länger als zwei, drei Jahre bleibt keiner. Entweder werden sie frech, also wollen mehr Geld bei weniger Leistung, oder verheizen sich rasend schnell. Beides können wir nicht gebrauchen, um am Markt erfolgreich zu sein. Ich unterhalte gute Beziehungen zu Dozenten und Professoren der Unis, die mir die Jahrgangsbesten empfehlen. Die schaue ich mir dann an und locke die Geeignetsten mit einem üppigen Salär, das keine andere Agentur für blutige Anfänger bezahlt. Doch das ist auch schon ihr Endgehalt, nur wissen sie das da noch nicht. Niemand hat mehr Feeling für den Mainstream als junge Leute, ohne dass es ihnen bewusst ist und noch bevor es ihn überhaupt gibt. Das hat nichts mit Hellseherei zu tun, das steckt in jeder jungen Generation. Es gilt, nur die richtig Guten zu finden. Werbedesigner können noch so gut sein, wenn sie den Zeitgeist verfehlen, bleiben irgendwann die Kunden aus. Das ist so sicher wie das sprichwörtliche Amen in der Kirche. Sie hatten die unverbrauchten Ideen, wir das Knowhow, das Renommee, das Business und das Geld, es umzusetzen.

Ich lade sie zum Essen ein und sehe sie mir genauer an. Wir diskutieren über Design und Grafik, aber nur zum Schein. Tatsächlich studiere ich ihre Klamotten, ihre Frisur, kurzum ihren Stil. Da zeichnet sich bereits ab, wie jemand tickt. Sind sie neu und anders, nehme ich sie unter Vertrag. Jeder Jahrgang hat maximal eine Handvoll wirklicher Talente, mehr nicht. Aber die bestimmen die Werbekultur der nächsten Jahre. Natürlich spricht sich das rum, die Konkurrenz nennt uns liebevoll hassend das Karussell. Und wie auf dem Jahrmarkt stehen die Absolventen Schlange. Die wir nehmen, erhalten eine einmalige Chance. Unverfälscht Neues gegen Sprungbrett, so heißt der Kurzzeit-Deal.

In anderen Agenturen verteidigen die Platzhirsche eifersüchtig ihre Pfründe gegen Neulinge. Bei uns bekommen sie eigene Projekte und können sofort zeigen, was sie draufhaben. Es funktioniert so hervorragend, dass die meisten schon abgeworben sind, bevor wir ihnen sagen, dass ihre Zeit um ist. Mitwettbewerber versuchen, das Modell zu kopieren, scheitern aber, weil sie die Falschen auswählen, ihnen der Blick für die Besten fehlt. Nur wer morgens an der Sonne das Wetter des Tages erkennt, weiß auch, worauf er bei den Absolventen schauen muss. Sie greifen nach den Strebern, ich nach den Talenten. Ob wir es nicht bedauern, die Besten so schnell wieder an der Konkurrenz zu verlieren? Nein. Wenn sie gehen, kommen neue Beste. Zu uns. Die alten Besten kopieren dann woanders nur noch vergangene Moden. Das vergleiche ich mit Kaffeesatz, der zum dritten Mal aufgebrüht wird. Das Ergebnis ist weiter dunkelbraun, schmeckt aber zunehmend fader und dünner. Kaffee ewig warmzuhalten, macht ihn fade.

Ich nutze die frühe Stunde der leeren Büros für meine Entwürfe. Später, wenn die anderen auftauchen, gehe ich von Büro zu Büro, um ihren Arbeiten die unverwechselbare Handschrift der Agentur zu verpassen. Ihre Ideen bleiben, bekommen aber sozusagen das hauseigene Siegel, und das ist enorm wichtig. Mittag treffe ich unsere Kunden beim Essen, sehe mir anschließend die Ergebnisse des vormittäglichen Rundgangs an. Erforderlichenfalls greife ich nochmals korrigierend ein, was eher selten geschieht, da sie ihren Job hervorragend machen und zu viel Korrektur wie Kritik wirkt. Das verärgert und lähmt. Nicht gut. Wie beim Wetter habe ich mich in meiner Einschätzung noch nie getäuscht. Ich liebe die Perfektion, nicht die mathematische, sondern die ästhetische. Manche sagen, das wäre dasselbe. Ist es nicht, denn sie verwechseln Schönheit mit Präzision. Mich faszinieren exakte Linien ebenso wie elegant geschwungene Kurven, wenn sie zum Gesamtbild passen. In mir steckt eigentlich ein Architekt. Ein Blick auf den Entwurf reicht, um mir zu sagen, ob er stimmig ist oder eben nicht. Und das sage ich auch unseren Leuten, zumindest versuche ich, ihnen das immer wieder zu vermitteln. Der eine oder andere ist an diesem Anspruch, vielleicht auch an mir verzweifelt, hat uns, eigentlich mir den Bettel vor die Füße geschmissen und ist wutentbrannt abgehauen. Keine Agentur würde solchen Blödsinn verlangen, schimpfen sie. Ja, pflege ich dann zu antworten, stimmt – das tun sie nicht, aber hast du einen Job bei denen? Der Grund, warum wir unangefochten an der Spitze stehen, liegt genau darin begründet.

Doch die eigentliche Arbeit findet nicht hier statt. Bob bleibt den Kundengesprächen fern, er besitzt weder ein Gespür dafür, noch vermag er zwischen den Zeilen zu lesen. Geschäfte kennen keine Skrupel, jeder lächelt und wünscht seine Gegenüber zum Teufel. Das verlangt Körperbeherrschung, also rede ich. Außerhalb der Agentur verbindet Bob und mich nichts, wir leben in verschiedenen Welten. Anfangs half uns wohl eine gewisse gegenseitige Sympathie, sonst hätte er mich wohl auch nicht zu seinem Kompagnon gemacht. Nehme ich zumindest an, vielleicht haben wir beide auch bloß die Chance im jeweils anderen erkannt. Ich brauchte einen perfekten Einstieg und er eine genialen Werbedesigner. Bob, der Familienmensch mit Frau, Kindern, Haus und Hund, wohnt in einer schicken Gegend draußen in einer feinen Siedlung in der Vorstadt. Suburbia. Die Leute dort zeigen ihren Wohlstand, beschützt von Security Leuten. Geld haben wir beide inzwischen genug und gehen uns ansonsten aus dem Weg, sehen darin aber keinen Grund, unsere Partnerschaft zu beenden. Wir können jederzeit auszusteigen, wollen aber nicht, solange wir keinen Herzinfarkt erleiden. Erfolg macht süchtig, und wir haben welchen.

Bob kommt deutlich später ins Büro als ich, was mir durchaus recht ist. Ich brauche frühmorgens Ruhe und keine Diskussionen über Budget, Termine oder Material. Noch bevor die anderen eintrudeln, habe ich mir ein Bild gemacht und entscheide bereits. Die Büros, und es gibt nur Einzelbüros, bleiben unverschlossen. Wir haben keine Geheimnisse voreinander. Kommen unsere Angestellten, sind die erforderlichen Korrekturen bereits in meinem Kopf. Dann rede ich kurz mit jedem, aber diskutiere nie. Als Chef brauche ich das nicht, zudem hasse ich lange Debatten, die sowieso zu keinem anderen Resultat führen. Ich bin die unumstrittene Koryphäe, eine Werbelegende. Das wissen alle und respektieren es. Bobs bürokratischen Probleme interessieren mich nicht die Bohne. Ist auch dein Laden, Josh, pflegt er immer zu sagen, wenn ich seine Litaneien zu offensichtlich ignoriere und demonstrativ genervt ein Blatt Papier noch eingehender als erforderlich betrachte. Er bricht dann zumeist mitten im Satz ab, macht eine wegwerfende Handbewegung und verschwindet leise fluchend in seinem Büro, während ich ihm lächelnd nachsehe. Geht doch.

Heute verlasse ich gegen Mittag den Tower, um mich mit einem Bankmanager beim Chinesen um die Ecke zu treffen. Zwar mache ich einen Bogen um die asiatische Küche, was aber natürlich bei einer Einladung ausgeschlossen ist. Kundenwünsche wollen respektiert sein. Mit einer Nudelsuppe werde ich mir wohl nicht den Magen verderben. Gegen halb Zwölf sind die Restaurants noch nicht so überfüllt wie eine Stunde später. Normalerweise wechsle ich die Läden, und die Inhaber wissen, an welchem Tag ich auftauche. Sie reservieren dann einen kleinen Tisch in einer ruhigen Ecke im hinteren Bereich. Länger als eine halbe Stunde bleibe ich selten, lese noch etwas Zeitung und trinke abschließend einen Espresso. Noch bevor der große Mittagsansturm aus den Bürotürmen einsetzt, bin ich wieder draußen und spaziere noch etwas durch den Stadtpark. Der Banker kennt den Chinesen, mich aber noch nicht. Herr Xi geleitet mich durchs fast leere Lokal in ein Séparée im hinteren Teil, in dem der Gast bereits auf mich wartet. Mit wundert jedes Mal die enorme Größe des Restaurants angesichts der wenige Gäste selbst in den Mittagspausen oder abends. Rechnet sich das oder habe ich was falsch verstanden? Bob, von dem ich wissen wollte, welcher Geschäftsmann so etwas tue, hat nur hintersinnig gegrinst und geantwortet, dass das eigentlich eine Wäscherei sei, kein Restaurant. Ich habe nur Bahnhof verstanden.

Der Banker weiß, was er will, stellt sich nur kurz vor und kommt gleich zur Sache. Es gäbe eine neue Kampagne und er bräuchte eine Idee, sie den Bankkunden zu verkaufen. Tagesgeschäft. Sein Smartphone klingelt und er unterbricht sich mit entschuldigender Geste, um das Klingeln abzustellen. Sorry, die Bank, er müsse jederzeit verfügbar sein. Wie ich ohne Telefon klarkäme, sei ihm ein Rätsel. Alles nur eine Frage der Selbstorganisation, antworte ich höflich, ohne belehrend zu klingen. Wer mich erreichen will, erreicht mich auch. Wie er zum Beispiel. Unsere Kunden wissen und respektieren, dass wir nicht auf Zuruf reagieren. Auf einen guten Handwerker warten doch auch alle gerne etwas länger, oder? Es klingelt erneut, derselbe Klingelton, nervig endlos. Er hält nicht lange durch, sieht unruhig, dann erschrocken auf das Display: Er müsse sofort zurück in die Bank. Shit! Alarm Code Red, höchste Dringlichkeit. Der kommt nur bei Börsenabstürzen, Banküberfällen oder Hausdurchsuchungen. Sorry!

Typisch Manager, stört mich aber nicht, bin ich gewohnt. Ich bleibe noch ein paar Minuten, löffle meine Suppe, bezahle und verlasse den immer noch leeren Roten Drachen. Seltsam. Auf dem Weg zurück ins Büro meide ich das Gewühl, laufe durch den Park. Doch heute ist etwas anders und ich blicke mich irritiert um. Die Leute strömen mir nicht wie sonst um diese Tageszeit in Scharen entgegen. Dafür stehen sie auf dem Gehweg und starren wie paralysiert auf große Flachbildschirme in den Schaufenstern. Keiner spricht, alle stieren. Von weitem ist nicht zu erkennen, was sie dazu veranlasst. Wahrscheinlich ein Terroranschlag, Zugunglück, Erdbeben oder Vulkanausbruch. Ich bleibe einer Gruppe stehen und sehe über ihre Schultern. Fette Headline: Außerirdische auf der Erde gelandet! Was? Die Reporter überschlagen sich. Wacklige Livebilder von angeblichen Raumschiffen, hin und her irrende Bildfetzen. Ein schwitzender Reporter stammelt ins Mikro, auf der Halbinsel Yucatan in Mexico sind exterrestrische Raumschiffe gesichtet worden. Hinter ihm ist eine Ruinenstadt zu sehen, unmittelbar davor verschwommene weiße Objekte, die in der Luft zu schweben scheinen. Alles undeutlich aus der Ferne. Näher käme keiner ran, sagt er. Schnitt. Mexico City. Pressekonferenz. Ein ranghoher Militär und der Innenminister rätseln, schließlich redet der mexikanische Präsident höchstpersönlich. Satelliten und Observatorien hätten keine Raumschiffe registriert, aber die Bilder sind real. Es ist Tatsache, dass offenbar Aliens auf der Erde gelandet sind. Alle Bürger sollen die Ruhe bewahren, es gibt keinen Grund zur Panik. Dann wieder Bilder vom Landeplatz. Die Sequenzen wiederholen sich in Endlosschleife, weitere Informationen folgen, sobald sie mehr wissen.

Ich reiße mich los von den Bildern und sehe instinktiv nach oben wie bei Nine-Eleven, aber dort strahlt nur die gleißende Sonne vom blauen Firmament. Das Wetter hat tatsächlich gedreht. Beginnt heute unser Untergang oder eine glorreiche Zukunft? Um mich herum entsteht zunehmend Hektik. Plötzlich telefonieren alle wild gestikulierend, blicken panisch gen Himmel oder suchen direkt Deckung im nächsten Hauseingang oder Geschäft. Die allgemeine Unruhe erfasst jetzt auch mich, ich renne auf direktem Weg zurück zum Bürotower. Mein Gehirn rattert. Ausgerechnet jetzt, hätten die nicht 50 Jahre warten können? Aber vielleicht retten sie uns ja vorm Klimakollaps. Witzig. Erst im Lift fasse ich wieder einen klaren Gedanken. Sollte ich nicht besser die Treppe nehmen, wie bei Havarien verlangt? Aber ist das überhaupt eine, greifen sie uns an? Und vor allem wer? Orwell schießt mir durch den Kopf: verarscht uns ein TV Sender?

Oben angekommen, wäre ich am liebsten direkt wieder nach unten gelaufen. Keine Hysterie jetzt. Durchatmen. In Bobs Büro stieren alle auf die Endlosschleife. Er selber macht mir aufgeregt Zeichen. Ich nicke kurz und zeige meine leeren Hände. Er lächelt gequält. Ich suche mit den Augen Lena, unsere Werbetexterin. Die hockt kauernd neben einem Schreibtisch, als suche sie Schutz, und telefoniert weinend. Was nun, liebe Welt? Allgemeine hektische Ratlosigkeit. Keine Ahnung. Bob spricht schließlich aus, was alle denken. Geht nach Hause zu euren Familien und Freunden, ist vielleicht das letzte Mal. Schluss für heute. Licht aus. Raus. Ich mag seinen Sarkasmus nicht, doch er quittiert meinen kritischen Blick mit einem unmissverständlichen Fingerzeig zur Tür. Dann schiebt er uns alle vor sich her zum Fahrstuhl in den Flur. Kräftig genug dafür ist er. Auch aus den anderen Etagen strömen sie zur Treppe und rufen ängstlich, bitte nicht die Fahrstühle zu nehmen.

Zuhause schiebe ich zuerst die gläserne Tür zur Terrasse auf, sie ist fast genauso groß wie die Wohnung. Frische Luft! Mediterrane Pflanzen, ein kleiner Jacuzzi und seitlich eine integrierte Bar. Die City liegt ausgebreitet zu meinen Füßen. Trügerische Ruhe. Eine eiskalte Bierflasche in der Hand stelle ich mich an die Brüstung und sehe hinunter. Abends, wenn die gnädige Dunkelheit alle Makel verdeckt, verwandelt sich der Moloch in ein grandioses Lichtermeer. Im TV laufen auf allen Kanälen Sondersendungen mit identischen Bildern, nur unterbrochen von Interviews mit Politikern, Wissenschaftlern und Leuten, die sich für wichtig halten oder gehalten werden. Neue Zeitrechnung, riesige Chance für den Planeten, das Ende aller Probleme. Erste Verschwörungstheorien. Es klingelt an der Tür. André. Er weist ohne Begrüßung direkt auf sein Smartphone und blafft mich an, warum ich es wieder mal ausgeschaltet habe. Und, habe ich deswegen was verpasst? Bier?

Aliens, Joshi! Und? Alles wird anders, sprudelt es aus ihm heraus. Technik, Medizin, Raumfahrt, einfach alles. Keine Krankheiten mehr, wir leben demnächst fünfhundert Jahre länger oder ewig und fliegen zu Alpha Centauri.

Aha. Dann hast du die Bedenkenträger noch nicht gehört.

André sieht mich verständnislos an, tippt sich an die Stirn. Ewiger Pessimist.

Realist, widerspreche ich. Bringen sie Krankheiten mit, wollen die nur mit unseren Ressourcen wieder abhauen?

Die fliegen doch nicht Lichtjahre durchs All, um uns zu killen oder zu versklaven. Dann hätten sie es doch schon längst getan.

Warum sollten sie? Woher wissen wir, dass sie Lichtjahre unterwegs und nicht schon immer hier waren? Und woher wissen die, ob wir nicht bessere Waffen besitzen und sie gleich wieder verjagen, und zwar dahin, wo sie herkommen?

André grinst. Die wissen doch längst, was hier abgeht.

Du offenbar auch, foppe ich ihn.

Liegt doch auf der Hand, Josh. Wer eine Technologie besitzt, um hierher zu kommen, reist doch nicht aufs Geradewohl durchs Universum. Wie wir suchen die seit Ewigkeiten nach bewohnbaren Planten, sind nur schneller gewesen. Eine neue Zeitrechnung, eine goldene Zukunft, alle Probleme werden gelöst.

Er geht pfeifend unter die Dusche und ich sehe ihm kopfschüttelnd nach. Nach zehn Minuten kehrt er weiter pfeifend zurück und reibt sich mit einem Handtuch die blonden Strähnen trocken. Weiter trägt er nichts. Andrè und ich treffen uns ab und an, wenn nicht gerade Lena aktuell ist. Er ist mir sofort aufgefallen beim Empfang im Hause eines guten Kunden, einem einflussreichen Bankvorstand, und ich fing trotz des Altersunterschiedes sofort Feuer. Ein paar Blicke und Drinks reichten. Obwohl ich schon öfters dort zu Gast gewesen bin, habe ich in vorher nie zuvor gesehen. Er sei neu im Team und erst vor kurzem dazu gestoßen. Ob es an meinem Status in der Werbebranche lag, guter Kunde und so, keine Ahnung, jedenfalls besucht er mich seitdem. Mehr nicht. Es soll ja nicht langweilig werden, aber auch nicht zu anstrengend. Und das wird es, wenn ständig ein und dieselbe Person um einen kreist. Ihn stört das so wenig wie mich, im Gegenteil. Er besitzt offenbar ein untrügerisches Gespür dafür, im richtigen Moment aufzutauchen und wieder abzuhauen. So wie jetzt.

Du weißt, wo du mich findest, Joshi, raunt er und verschwindet m Schlafzimmer.

Idiot. Seufzend erhebe ich mich von meinem Sofa. Jetzt? Geht nicht gerade die Welt unter? Warum nicht. Dann auf zum Mars und wieder zurück mit einer Rakete, auf der sich angenehm fliegen lässt.

Am nächsten Morgen lüftet sich der Nachrichtennebel. Durch die Aufregung um die Landung der Aliens sind erste Opfer zu beklagen. In Montreal und Sydney haben steckengebliebene Fahrstühle und Stromausfälle in Bürotürmen Paniken ausgelöst. Gerüchte, nachdem die irdische Kommunikation von den Ankömmlingen lahmgelegt wurde, um einen Angriff vorzubereiten, sollen dafür verantwortlich sein. Die Flüchtenden trampelten sich gegenseitig nieder, um der vermeintlichen Todesfalle zu entkommen. In Madrid schossen durchgeknallte Mitglieder einer obskuren Weltuntergangssekte um sich und schwadronierten lauthals vom Jüngsten Gericht. Chaos auf Straßen, Bahnhöfen und Flugplätzen, vielerorts brach der Verkehr zusammen. Die Kurse an den großen Börsen in Tokio, New York, London und Frankfurt rauschten in den Keller, der Handel wurde vorübergehend ausgesetzt. Banken und Geschäfte schlossen nach dem Absturz der digitalen Netze. Hektisches Durcheinander, Hamsterkäufe, Falschinformationen und Dementis. Willkommen auf der chaotischen Erde, Fremdlinge.

Bob schafft es irgendwie, mich zu erreichen, aber nur, um mir mitzuteilen, das Büro angesichts der Ereignisse heute geschlossen zu lassen, bis sich die Lage wieder beruhigt. André weist stumm auf den Fernseher. Eine eilig einberufene Pressekonferenz mit Ministern und drängelnden Journalisten in einem überfüllten Saal. Ein Regierungssprecher kämpft mit den Mikros, seine Stimme vibriert leicht. Wie bereits berichtet, hebt er stockend an, sind letzte Nacht in Mexico drei unbekannte Flugobjekte vor verschiedenen Ruinenstädten auf der Halbinsel Yucatan gelandet. Ob es sich wirklich um außerirdischen Besucher handelt, ist im Moment so wenig zu beantworten wie die Frage, woher sie kommen. Er spricht tatsächlich von Schiffen, nicht fliegenden Untertassen. Keine Station auf der Erde oder im All habe ihre Ankunft erfasst, offenbar nutzen sie eine Art Tarnkappentechnologie, die irdische Technik nicht erfassen kann. Jeder Versuch einer Kontaktaufnahme ist bisher gescheitert. Transparente Schutzschilde in Form einer Käseglocke, die einen riesigen Radius um die Schiffe abdecken, verhindern eine Annäherung an ihre Landeplätze. Es existieren ein paar undeutliche Aufnahmen aus großer Entfernung, mehr nicht. Er macht eine kleine Pause, sieht fragend auf seine Nachbarn, die genauso ratlos dreinblicken wie er und nichts hinzufügen wollen. Der Innenminister verkündet die höchste Alarmstufe für Armee, Polizei und Sicherheitsdienste. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, noch gibt es keinerlei Anzeichen für Aggressionen. Spekulationen und Verschwörungstheorien sollen unterbleiben, sie bringen nur Unruhe und heizen Ängste an. Ruhigbleiben. Die Augen offenhalten, Nachrichten verfolgen und einfach so weitermachen wie bisher. Neue Informationen werden umgehend veröffentlicht.

Na, der ist lustig, amüsiert sich André. Die größte Sensation der Menschheitsgeschichte, und die Blödmänner empfehlen, ruhig zu bleiben und in Deckung zu gehen. Typisch Politiker. Hinter den Kulissen tagen höchstwahrscheinlich schon internationale Krisenstäbe und warten Militärs auf ihre Einsatzbefehle, während die Geheimdienste längst vor Ort sind und Spionagesatelliten sicher präzisere Bilder als die wackligen TV-Aufnahmen liefern. Von wegen, neue Informationen werden sofort veröffentlicht. Wem wollen die das erzählen?

Von allen Seiten prasseln Fragen auf den Regierungssprecher ein, doch der blockt ab. Wir wissen auch nicht mehr als andere. Dann stehen alle demonstrativ auf als Zeichen, dass die Pressekonferenz zu Ende ist. Dann verlassen sie grußlos das Podium.

Arsch. Der macht’s sich leicht und haut einfach ab. André machte eine unflätige Geste in Richtung Bildschirm.

Was soll er denn machen? Die Spekulationen noch befeuern? Dann gibt‘s Mord und Totschlag. Die wissen nichts. Ist doch toll, dass die da oben auch mal ratlos sind.

Sind sie doch immer. Glaubst du, die haben keine eigenen Quellen wie Satelliten und Abhörzentralen?

Hast du nicht zugehört? Alles tot und blind. Vielleicht sind die drei Schiffe nur Späher und draußen warten noch andere, für unsere Technik unsichtbare Schlachtschiffe auf den richtigen Moment zum Losschlagen.

André lacht laut auf. Star Wars. Du siehst zu viele schlechte Filme. Wir erfahren endlich die Wahrheit über das Universum, werden geheilt und unsterblich. Und du siehst nur Gefahren.

Die sind real, antworte ich rationaler, wir sollten lieber Vorräte besorgen.

André bläst die Backen auf. Du bist irre, Joshi! Weißt du, was gerade abgeht da draußen? Ich hab’s gesehen auf dem Weg hierher. Die Supermärkte werden gestürmt. Hamsterkäufe. Gehen wir lieber ins Reno, trinken ein paar Bier und treffen nette Leute.

Stimmt, könnte das letzte Mal sein.

Arsch!

Der riesige Flachbildschirm über der Bar bleibt schwarz, und der Barkeeper meint dazu, dass hier heute Abend Aliens kein Thema sind. Der Laden ist voll, laut und von grellen Lichtblitzen durchzuckt. Das bleibt nicht lange so. Die wollen reden, schreit einer, die wollen reden. Die Musik bricht ab, danach der Gesprächslärm, als das TV Bild erscheint. Der Barkeeper versucht verzweifelt, den Fernseher mit der Fernbedienung abzuschalten, aber er geht immer wieder von alleine an. Unter einer Maya Pyramide läuft die immer gleiche, rot unterlegte Textzeile durch. Aliens in Yucatan gelandet! Wissen wir bereits. Mal was Neues, bitte, brüllt einer von hinten. Wer hat das Ding eingeschaltet? Der Barkeeper schreit und fuchtelt wild mit der Fernbedienung. Egal. Halts Maul! Keiner. Hat sich selber eingeschaltet. Bildschirm schwarz. Dann wieder an. Drei Versuche, bis jemand dem Barkeeper die Fernbedienung entreißt. Lass ihn an! brüllt jemand. Angespannte Stille, Glas klimpert. Ah! Ein kollektiver Aufschrei. Drei gleichgroße weiße Gestalten in Raumanzügen hinter einem vertikalen weißen Surfboard vor dunklem Hintergrund. Die verspiegelten Scheiben ihrer Helme sind schwarz, Extremitäten sind keine erkennbar. Nichts bewegt sich. Eine metallene Stimme ertönt, zuordnen kann ich sie keinem der drei. Unverständliches Gebrabbel, gefolgt von erstickten Aufschreien, als eine Computerstimme übersetzt.

Ihr Besuch ist kein Zufall, sie beobachten unseren Planeten schon lange, konnten aber erst jetzt kommen. Dann bricht der Kontakt ab, der Bildschirm bleibt dunkel, wie oft der Barkeeper auch die Fernbedienung drückt. Sekunden, die sich wie eine kleine Ewigkeit anfühlen. Ein dumpfes Raunen versetzt das Reno wieder in Vibration. Ach du meine Fresse! Die Nachrichtensender legen los. Ausmachen! Musik an! Betäubung der Nerven. Sturzbesoffen fahren wir weit nach Mitternacht mit dem Taxi nach Hause. Wenigstens das fährt.

Kapitel 2

Die Eruptionswelle folgt der aufgehenden Sonne von Ost nach West um den Globus und erfasst schließlich alle Länder. Der Sturm bricht los. Erst Schockstarre und dann Chaos, jetzt Geschrei. Die Medien überschlagen sich, Expertenrunden debattieren über die Sensation. Tenor: Was bedeutet die Ankunft für die Menschheit? Physiker sind irritiert, Politiker warnen, Geistliche beten. Werden nun alle Probleme schlagartig der Vergangenheit angehören oder beginnen sie gerade erst? Die Live TV Schalte hat alle überrumpelt. Wie haben sie das bewerkstelligt? Keine Antworten auf die brennendsten Fragen. Wer sind sie? Wo kommen sie her, was wollen sie? Ist es wirklich das erste Mal, kennen sie noch andere bewohnte Planeten? Sprachwissenschaftler finden den Umstand, Englisch sofort als gebräuchlichste Sprache auf der Erde erkannt zu haben und anzuwenden, bemerkenswert, sprechen doch deutlich mehr Menschen Chinesisch oder Hindi Dialekte. In Handel, Politik und Wissenschaften ist English jedoch unangefochten die Nr. 1 der Weltsprachen. Die Fremden verstehen also deren Bedeutung, was eine herausragende Erkenntnis ist und ein erster Fingerzeig ihrer geistig-technologischen Fähigkeiten. Die Besucher aus dem All dürften eine uns hoch überlegene Intelligenz besitzen, sonst wären sie nicht hier. Ungeahnte Möglichkeiten tun sich auf für die Zukunft und die weitere Entwicklung der Menschheit. Skeptiker sehen darin lediglich deutliche Hinweise für einen großangelegten Bluff. Nur, warum geben sie sich nicht zu erkennen? Starre Raumanzüge, die denen der NASA verdammt ähnlich sehen, fehlt nur noch die amerikanische Flagge auf dem Arm. Wozu die Verkleidung, wo sie doch sowieso in ihren hermetisch abgeschotteten Schiffen bleiben? Weder Keime noch sonstige Fremdstoffe durchdringen die Schutzschilde, versichern Experten ohne jeden näheren Einblick. Drohte den Fremden Gefahr, wüssten sie das längst. Ein großangelegter Schwindel sei das, behaupten die üblichen Verdächtigen, eine interstellare TV Show a la Area 51 mit Landeplätzen ausgerechnet vor der spektakulären Kulisse tausend Jahre alter Maya Ruinen. Aufklärung folgt in Staffel zehn auf Netflix. Wer zweifelt jetzt noch an Comedy? Beweise werden verlangt, während die Alien Fans das Verhalten der Besucher als ganz normale Reaktion deuten. Würden wir auf fremden Planeten gleich aus der Kapsel klettern? Beim Aufeinandertreffen zweier Welten ist Vorsicht geboten, das kennt doch jeder aus dem Kino. Eine voreilig falsch gedeutete Bewegung - und die Besuchszeit ist um, bevor sie richtig begonnen hat. Pro und Contra. Die ganze Welt starrt auf den Golf von Mexico, eher bekannt für karibische Traumstände, Koks, Tequila und verheerende Wirbelstürme.

Wieso halten sich die Aliens ausgerechnet inmitten des Regenwaldes und abseits der Zivilisation auf? Nur aus Vorsicht oder Respekt, um nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen? Eigentlich sollten sie doch die großen, politisch wichtigen Zentren wie New York, London, Berlin oder Brüssel anfliegen. Wenn sie die Vorherrschaft der englischen Sprache kapieren, so doch erst recht die hiesige Machtarchitektur. Mexico City, der Einwohnerzahl nach eine der bevölkerungsreichsten Städte der Welt, liegt nur ca. 1.000 km entfernt. Doch sie bevorzugen drei uralte, lange untergegangene Mayastädte. Kannten sie die vor ihrer Landung bereits? Vielleicht sind sie nicht zum ersten Mal in Yucatan, vermuten ganz Schlaue, haben die Städte selber erbaut. Schon wetten Verschwörungstheoretiker auf eine Alien Rückkehr nach langer Zeit, um zu sehen, was aus ihrem Projekt zivilisierte Menschheit geworden ist. Maya Artefakte, die angeblich Astronauten in Schutzanzügen mit Helmen zeigen, geistern als Beweis für die These durch die Medien, obwohl Archäologen diese Interpretation schon seit Erich von Däniken als wissenschaftlich widerlegt ablehnen.

Mexikanische Armee- und Polizeikräfte ziehen um die drei Landeplätze Uxmal, Chitzen Itza und Calakmul einen weiträumigen Absperrring, der schon bald durch UN Truppen ersetzt wird. Die UNO übernimmt offiziell, will die Angelegenheit von weltweiter Bedeutung in internationalen Händen wissen. Eine Allianz aus Mitgliedern des Weltsicherheitsrates stellt die Truppen. Schaulustige machen sich in Scharen auf nach Yucatan, stehen aber weit außerhalb der Ruinenstädte vor verschlossenen Toren. Mögliche Schleichwege durch den Tropenwald sind rund um die Uhr bewacht und abgeriegelt. Drohnen überfliegen das Gebiet und machen gnadenlos Jagd auf unerlaubte Artgenossen. Bilder werden keine neuen gezeigt, was die Zweifler als klares Indiz für einen Bluff werten. Die UN begründet die Nachrichtensperre mit dem erforderlichen Schutz der dort lebenden Menschen. Keiner könne vorhersehen, was passiert, wenn sich die Besucher bedrängt fühlten. Fehlinterpretationen aufgrund falsch eingeschätzten Verhaltens könnten ungewollte Reaktionen und Missverständnisse auslösen. Die Begegnungen der Kulturen auf der Erde erzählt keine glorreiche Geschichte und sollte Warnung genug sein vor einem zu schnellen Kontakt mit interstellaren Besuchern.

Alle Medien berichten exklusiv und zeitgleich rund um die Uhr vom Geschehen vor Ort, ohne wirklich Neues zu bringen. Vor den Checkpoints sammeln sich unzählige UFO Freaks, Anhänger dubioser Weltuntergangssekten, Esoteriker und Alien Touristen. Alle warten auf die Sensation, jetzt bloß nichts verpassen. Der erste Schock weicht dem Hype, der ehrfürchtigen Erwartung auf das unerfüllte Himmelreich der Götter. Neugier ohne Scham. Ganze Heerscharen drängen auf die Halbinsel. Mérida und Campeche drohen binnen weniger Tage zum Entsetzten ihrer Einwohner zu unorganisierten Feldlagern mit allen üblen Folgen zu verkommen. So lange nur massenweise T-Shirts mit Alien Konterfeis a la Hollywood und dem Schriftzug: First Contact – ich war dabei! verkauft werden, hält sich das Chaos noch in Grenzen.

Doch die öffentliche Ordnung kippt zusehends in anarchische Zustände. Unterkünfte sind längst ausgebucht, viele campieren unter freien Himmel auf dem Hauptplatz. Taschendiebe, Betrüger und Prostituierte spielen Katz und Maus mit den überforderten Ordnungsbehörden. Miserable hygienische Verhältnisse machen die Campingplätze zu Kloaken. Nach drei Tagen reicht es, Truppen der Allianz sperren Straßen, Plätze, Bahnhöfe und Flughäfen. Ohne strenge Kontrollen kommt keiner mehr rein. Wer keinen triftigen Grund für seinen Aufenthalt nachweisen kann, muss unverrichteter Dinge wieder kehrtmachen oder wird festgesetzt.

Das alles erfahre ich nur aus den Nachrichten und nervt irgendwann nur noch. Lisa bittet mich, sie zu treffen. Sie brauche mich jetzt, um ihr die Angst vor der Zukunft zu nehmen. Unsere Beziehung besteht eigentlich nur aus Sex, dafür hält sie schon eine geraume Weile. Sie kommt jedoch nie zu mir. Ihr missfällt der Gedanke, andere Bekanntschaften oder ihre Hinterlassenschaften bei mir anzutreffen. Sie weiß, dass auch Männer bei mir aus- und eingehen. Ihr Argument der persönlichen Unabhängigkeit halte ich zwar nur für vorgeschoben, akzeptiere es aber, weil es mir ebenso geht. Sie bleibt in vertrauter Umgebung, ich bin frei. Sicherheit gegen willkommene Abwechslung. Dass sie die Beziehung trotzdem nicht abbricht, liegt möglicherweise auch an der Exotik der Erotik. Ungebundenheit alleine kann es nicht sein.

„Was ist los, Lisa, trinkst du wieder?“

Sie sieht müde aus, verstört. „Der ganze Alien Kram raubt mir den letzten Nerv.“ Eine abwinkende Handbewegung, sie fällt aufs Sofa. „Danke, dass du gekommen bist.“

„Endlich mal kein langweiliger Wetterbericht, keine Börsenwerte oder Terroranschläge…!“ Soll unbekümmert klingen.

Ein Aufstöhnen. „Ja, sicher, Banalitäten gegen den möglichen Weltuntergang.“

„Weltuntergang? Habe nix davon mitbekommen.“

„Was kriegst du überhaupt mit, Josh? Die Berichte sprechen…“

„Spekulationen, Gerüchte, Theorien. Die wissen rein gar nichts.“

„Ich weiß auch nicht mehr, was ich noch glauben soll. Schlafe kaum, sehe überall Gespenster. Vielleicht sind sie längst unter uns, haben menschliche Gestalt angenommen und bereiten den entscheidenden Schlag vor.“

„Habe keinen gesehen.“ Gespielt schaue ich unter das achtlos von André liegengelassenes Handtuch auf der Coach. Schlampe.

„Sie werden sich nicht zeigen.“

„Hör auf, Lena“, versuche ich einen versöhnlicheren Ton, „und wenn, ist es eben vorbei.“

Böser Blick, kurze Pause. Ein Kissen fliegt in meine Richtung. „Blöder Zyniker!“

„Was willst du, ist doch spannend. Das Abenteuer unseres Lebens, ja das der Menschheit überhaupt. Wir dürfen dabei sein bei der ersten Begegnung mit Außerirdischen. Davon haben tausende Generationen vor uns nur geträumt. Nun ist es so weit, wir sitzen in der ersten Reihe und jammern. Die Mondlandung haben wir verpasst, auch den Jahrhundertkampf zwischen Ali und Foreman. Jetzt haben wir mal Glück.“

Ihr massiger Körper beflügelt meine erotischen Fantasien, die Proportionen laden regelreicht dazu ein. Riesige Melonentitten, ausladende Hüften, das Gesäß eines Brauereipferdes, wozu das nonnenhafte Engelsgesicht gar nicht so recht passen will. Es ist jedes Mal eine Schlacht, ein Kampf, mich durch sie durchzuarbeiten, ja durchzuhalten, aber sie besteht darauf. Als ich keuchend neben ihr liege und meine verschwitzten Strähnen aus dem Gesicht wische, kommt sich unvermittelt über mich und beginnt einen furiosen Ritt. Ihre Dinger schaukeln über mir wie Glocken. Gong. Schlag Mitternacht.

„Ob es die Aliens auch so machen?“

Ich öffne die Augen. „Probier’s aus.“

Sie lacht. „Ja, wenn sie so einen schönen Arsch haben wie du, dann vielleicht. Den behalte ich dann aber für mich alleine.“

„Und wenn sie zwei oder drei Schwänze haben?“

„Na und? Wäre doch toll.“

„Angeberin.“

Sie wird ernst. „Was wird aus der Firma?“

„Was soll mit ihr werden?“ Verwundert stütze ich mich auf meine Ellenbogen und schaue ihr auf dem Weg ins Bad nach. Hat sie mich deshalb eingeladen? Ihre Frage beschäftigt mich die nächsten Minuten und ich ärgere mich, mir schon wieder die gleichen Gedanken zu machen. Aufhören! Ich nehme ein Whiskeyglas und gestatte mir einen Schluck teuren Bourbon, den ich ihr zu Weihnachten geschenkt habe. Sie kehrt zurück, eingewickelt in ein frisches Handtuch und mit hochgesteckten Haaren. Ihr Blick vorhin zur Coach sagte alles.

„Was meint Bob?“

„Dasselbe.“

„Schließen?“

„Nein!“ Ich tippe an ihre Stirn, „Warum sollten wir?“

„Weil aktuell nichts geht…“

„In ein paar Tagen beruhigt sich alles wieder.“

„Da bin ich ja froh.“ Sarkasmus kann sie auch.

„Erzählt wer was anderes?“

Sie weist auf den Fernseher. „Ja, die Realität. Die Aliens übernehmen die Erde.“

„Bis jetzt gehört sie noch uns.“

Sie öffnet das Handtuch und lässt es fallen. „Dann weiter, bevor sie untergeht…“

Der UN Sicherheitsrat will einen ersten direkten Kontakt mit den Besuchern herstellen, der live aus der UN Vollversammlung in New York übertragen werden soll. UN Generalsekretär Yo Chin wendet sich in einer weltweiten Liveansprache an die Menschen und wiederholt das belanglose pathetische Gelaber von der glorreichen Zukunft in neuen Zeiten, das Politiker in den vergangenen Tagen schon dutzend Male gepredigt haben. Daher auch sein Spitzname, der Prediger. Dann wendet er sich direkt an die Besucher.

„Kosmische Besucher! Herzlich Willkommen auf der Erde! Wir freuen uns über euer Kommen und eure Botschaft. Offensichtlich könnt ihr mit uns kommunizieren und versteht uns. Seid in zwei Tagen die willkommenen Gäste der gesamten Menschheit im UN Parlament in New York. Danke!“

Peinliche Vorstellung des Predigers, der nette Versuch, und plump dazu. Als wenn die Aliens darauf warten würden, immerhin hatten sich bereits selbst eingeladen auf die Erde. Über den nächsten Tag legt sich eine spannungsgeladene Ruhe, als hielte die Welt die Luft an. Printmedien bringen Spezialausgaben, TV Sondersendungen wechseln einander ab, während Kamerateams aus aller Herren Länder das UN Gebäude belagern und jeden Ankömmling für ein Interview abzufangen suchen. Vereinzelt tauchen Demonstranten in der Nähe auf, gelangen aber nur bis zu den weiträumig aufgestellten Absperrgittern. Wofür oder wogegen sie demonstrieren, bleibt unklar. Ein fundamentales Ereignis bahnt sich an, alle TV Stationen stehen Gewehr bei Fuß, warten auf den Startschuss. So etwas hat die Erde noch nicht gesehen, selbst als Neil Armstrong seinen Fuß auf den Mond setzte.

Die deutlich spürbare Unruhe im UN Saal ergreift auch die Zuschauer zu Hause, auf Plätzen oder in Bars. Es knistert, als sich Punkt zwölf die riesige Leinwand hinter dem Podium herabsenkt. Schlagartig setzt Stille ein, niemand wagt, auch nur zu hüsteln, und doch wollen viele am liebsten laut schreien. Ärzte warnen vor Herzinfarkten und Selbstmorden, raten zu Beruhigungsmittel oder Abschalten. Dann doch ein kollektiver Aufschrei. Das in der Luft hängende Surfboard erscheint und hinter ihm drei Raumanzüge mit verspiegelten Helmfronten. Ein Raunen läuft durch die riesige Arena, das umgehend einem weiteren Aufschrei weicht, als sich der schwarze Hintergrund des undefinierbaren Raumes zu einem Fenster mit dem Blick auf drei Raumgleiter vor den bekannten Maya Ruinen öffnet. Wind bewegt die Blätter in den Bäumen, aber sie schweben majestätisch und unbeweglich über dem Boden, als wären sie startklar, um jederzeit wieder davonzufliegen. Ihre Form erinnert an selbstgebastelte Papierflieger und nicht im Geringsten an die Vorstellungen von Hollywood Regisseuren und Science Fiction Autoren. Keine bedrohlich riesigen dunklen Untertassen in der Größe einer Stadt, die Himmel und Erde verdunkeln. Graublaue Gleiter, kaum größer als eine Boeing 777, aber immer noch mit ausreichend Platz vor den Pyramiden.

Yo Chin tritt ans Pult, wiederholt seine Begrüßung und spricht dann von der Bedeutung der Ankunft für die Geschichte des Planten. Er verhehlt nicht die großen Erwartungen und Hoffnungen, aber auch Ängste, wenn zwei Kulturen mit derart unterschiedlich entwickelter Technik und Intelligenz aufeinandertreffen. Die Menschheit wartet seit Ewigkeiten auf diesen Moment. Der heutige Tag ist der bedeutendste in der Geschichte des Planeten Erde. Herzlich Willkommen, Aliens!

Es knackt, die metallene Übersetzerstimme der Aliens erklingt: „Nach einer langen Reise danken wir für den freundlichen Empfang.“

Wieder verläuft ein deutliches Raunen als Schockwelle durch den Saal, leise Schreie darunter. Gar ein Aufschluchzen ist zu hören.

„Wir kommen in friedlicher Absicht“, wiederholt die Stimme. „Die Erde beeindruckt durch ihre Schönheit und die Vielfalt des Lebens. Flora und Fauna übertreffen unsere kühnsten Vorstellungen und Erwartungen. So viel Wasser in Seen, Flüssen, Ozeanen. Klimatischen Verhältnisse, die für uns vollkommen neu sind, eine Sauerstoffatmosphäre und dazu die unendlich vielen biologischen, physikalischen und chemischen Prozesse.“

Totenstille.

Dann schiebt das unbewegliche Trio, von dem keiner als Sprecher auszumachen ist, eine erste wissenschaftliche Sensation hinterher: „Nach euren Maßstäben liegt unsere Heimatgalaxie über eintausend Milliarden Lichtjahre entfernt.“

Die Schockstarre, die mit dem Herabsenken der Leinwand eingesetzt hat, entlädt sich in einem einzigen heiseren Ausruf des Erstaunens. Viele sehen sich ungläubig an, manche lachen heiser auf oder schlagen sich an die Stirn.

„Um diese Distanz zu überwinden, sind wir zweitausend Erdenjahre gereist.“

Wieder Raunen. Jeder Fünftklässler konnte ausrechnen, dass das nur mit einer Geschwindigkeit deutlich schneller als das Licht oder Abkürzungen möglich war. Erste laute Zwischenrufe durchdringen das Stimmengewirr.

Yo Chin hebt beschwichtigend die Hände, „Die wissenschaftlichen Details werden unsere Experten interessieren“, und wendet sich wieder an die Besucher: „Benötigen Sie etwas von uns, haben Sie Fragen?“

„Wir wollen die Botschafter treffen.“

Das Gemurmel erstirbt, und bevor der Generalsekretär antworten kann, folgt der Schlussakkord: „Bei uns. Ort und Zeit geben wir bekannt.“

Die Leinwand wird dunkel. Explodierende Fassungslosigkeit macht sich nach einem kurzen Moment der Lähmung breit. Kaum einer sitzt mehr, viele sind aufgesprungen, manche laufen wild gestikulierend umher. Aufgeregt diskutieren kleine Gruppen miteinander. Wissenschaftler und Experten schütteln immer wieder den Kopf, fassen sich gegenseitig an die Schultern oder sitzen nur stumm mit aschfahlem Gesicht auf ihrem Platz.

Yo Chin steht noch immer, sichtlich bewegt und mitgenommen, am Pult. Der Geräuschpegel sinkt ein wenig, als er hörbar Luft holt. „Wir dürfen die Aussagen der Fremden nicht nach unserem Wissensstand bewerten. Zuerst müssen wir uns gegenseitig kennenlernen, um den anderen zu verstehen.“

Zwischenrufe. „Idiot!“

„Ich denke“, fährt er unbeirrt fort, „die Physiker haben einiges zu bereden, die Politiker auch. Entsenden wir als Botschafter neben Politkern vor allem die besten Experten aller wissenschaftlichen Fachrichtungen für ein erstes persönliches Treffen. Ich werde mich beraten.“

„Mit wem, uns dem Parlament oder dem Sicherheitsrat?“ ruft eine Abgeordnete mit heiserer Stimme.

Er blickt in die Runde. „Ein erster Austausch, der viele Fragen unbeantwortet lässt. Aber kleine Schritte sind besser als gar keine. Deshalb bitte ich alle, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Es beginnt gerade erst.“

Ich zappe durch die Kanäle, überall dasselbe. Helle Aufregung, Ungläubigkeit, ja Entsetzen. Die Besucher haben eine wissenschaftliche Bombe hochgehen lassen. Einsteins Theorien brechen gerade zusammen, behaupten Nobelpreisträger, mit ihnen die Urknalltheorie und der ganze physikalische Wissenskanon. Jetzt hieß es, den Brocken erst einmal zu verdauen. Mich schert der wissenschaftliche Kram wenig, ich verstehe ihn ohnehin nicht. Um den dürfen sich die Experten prügeln. Von dem Ganzen kapiere ich bestenfalls einen Bruchteil, aber doch so viel, um zu begreifen, dass gerade unser gängiges Weltbild einstürzt. Bob ruft an und fragt, ob ich wie er glaube, dass sich da gerade eine gewaltige Chance für uns auftäte. Der Markt ist immer bereit für Neues, antworte ich und ahne, worauf er hinaus will. So lange Märkte bestehen, sind gute Ideen Gold wert. Er soll sich keine Sorgen machen, beruhige ich ihn. Es herrscht Unruhe und Nervosität, die Leute haben Angst und im Moment anderes im Sinn als Kapitalanlagen und Rendite. Bereits morgen, wenn bis dahin nichts Schlimmes passiert, wird ihnen das Thema langweilig und sie kehren zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Essen, Trinken, Konsumieren – so funktioniert der Mensch nun mal. Ist wie nach einem Terroranschlag oder einer Pandemie. Wenn der Fuchs im Bau ist, flattern alle Hühner aufgeregt um ihre Leben. Anschließend picken sie wieder brav die hingeworfenen Körner, als wäre nichts geschehen, auch wenn drei Hühner fehlen. Wann machen wir den Laden wieder auf, will er noch wissen. Sobald unsere Kunden mit einer Alien Kampagne, zugeschnitten auf den aktuellen Hype und ihre Auslöser von außerhalb, Geld verdienen wollen. Und als ob ich es geahnt hätte, meldet sich gleich nach Bob schon der ein mir gut bekannter Immobilienmakler. Ob wir nichts haben, was auf die Situation passt. Ich behaupte dreist, schon ein paar Vorstellungen in petto zu haben, würde aber noch ein paar Tage in dem allgemeinen Durcheinander brauchen.

Was jetzt? Wohin? Wen anrufen? André hat kurzfristig die Stadt im Auftrag seiner Bank verlassen, um irgendwo im Nahen Osten kollabierende Märkte vor dem Absturz zu bewahren. Radio Vatikan meldet sich zu Wort und beschwört die Christenheit, nicht ihren Glauben zu verlieren, weil die Ankunft der Fremden womöglich an den Glaubensgrundfesten der religiösen Welt rüttelt. Die Aliens sind kein Beweis gegen Gott, wie Kirchengegner jetzt behaupten, ruft der Papst auf dem Petersplatz in Rom den Gläubigen zu, eher einer dafür. Jetzt, da jene, die immer gegen den Glauben wettern, erkennen müssen, dass ihre naturwissenschaftlichen Beweise keinerlei Wahrheitsgehalt besitzen und ihre technokratischen Trugschlösser zusammenbrechen, bleibt nur eine Wahrheit übrig – die Göttliche Schöpfung. Gott wird der Menschheit die Augen öffnen und sie auf den richtigen Pfad der Erkenntnis führen. Halleluja. Andere Religionen halten sich noch zurück und verzichten vorerst auf ein öffentliches Statement.

Kapitel 3

Lena reagiert nicht auf meine Nachrichten, und da André aktuell unerreichbar ist, fahre ich mit dem Taxi in die City. Ein Auto besitze ich nicht. Wer braucht das in der Stadt? An einer kleinen Seitenstraße steige ich aus und steuere zielsicher auf eine schwarze unscheinbare Tür zu. Hier haben nur Eingeweihte Zutritt. Eine Bar, von der nicht viele wissen, dass sie überhaupt existiert. Der Einlass gestaltet sich heute allerdings schwierig, da ich erst an einer Massenschlägerei vorbei muss, um in die Gasse zu gelangen. Vor einem Kino prügeln sich zwei rivalisierende Gruppen. Der Kampf wird mit Zaunlatten, Messern und Totschlägern ausgetragen. Ich muss aufpassen, nicht hineinzugeraten, halte mich daher auf Abstand und warte ab. Auslöser des Streits sind wohl unterschiedlichen Auffassungen über die Besucher, soweit ich das mitbekomme. Beide Lager haben ihre Meinungsverschiedenheiten anscheinend zunächst nur verbal über soziale Medien ausgefochten, nun aber, da das digitale Schlachtfeld offenbar nicht ausreicht, den anderen die eigene Meinung ausreichend verständlich zu machen, auf der Straße fortgesetzt. Keine Kompromisse, dafür übelste Beleidigungen und Drohungen, Prügel. Ein anfangs harmloser Disput ist plötzlich in brutale Gewalt umgeschlagen. Geschrei. Hasstiraden. Wahrheit oder Lüge? Undurchdringliche Schutzschilde sind ein klarer Beweis für Außerirdische, brüllen die einen. Genau das belege die gezielte Vertuschung, widersprechen andere wild fuchtelnd, denn die Tarnkappentechnologie gibt es schließlich schon länger, Fotos von Aliens aber keine. Wie praktisch, ausgerechnet im Regenwald vor nachts menschenleeren Mayatempeln zu landen. Dazu diese merkwürdigen Raumanzüge und Helme. Weil Aliens keine Erdatmosphäre vertragen, Spacko? Blödsinn! Lachhaft. Wieso verstecken die sich? Haben sie was zu verbergen, etwa weil es gar keine Außerirdischen sind? Zeigt euch, Aliens! Wer sich unsichtbar machen will, sucht doch nicht die Nähe eines touristischen Hotspots mit tausenden Kameras, kontern ihre Gegner und schneiden Grimassen. Kein Wort zu ihrem Heimatplaneten, keines über ihre Spezies. Was wollen sie hier, was ist ihre Mission? Wir kommen gerne an Bord und schauen uns alles an. Ach so, geht nicht, unverträglich für Menschen. Aha. Die Sache stinkt. Die Aliens sind eine digitale Inszenierung. Irgendwann tritt ein neues Startup Unternehmen vor die Kameras und erklärt der verblüfften dummen Welt, dass sie die künstliche Cyberintelligenz revolutioniert haben. Orson Wells 2.0 als Werbegag für Idioten. Toll gemacht.

Polizei rückt mit einem Großaufgebot an, setzt Tränengas und Wasserwerfer ein und nimmt Dutzende fest. Dann ist endlich Ruhe, der Weg wieder frei.

Der Typ am Einlass will meinen Ausweis sehen. Habe ich keinen dabei. Ich sage meinen Namen und will Max, den Geschäftsführer sprechen. Er hält mir sein Walkie-Talkie hin.

„Ich bin’s, Josh. Was soll das?“ blaffe ich in das Gerät.

Stuff ist dran. „Niemand kommt im Moment rein ohne Identifikation.“ Er trägt den Spitznamen, weil er so oft hier abhängt, dass ihn alle zum Inventar zählen. Er hat eine besondere Beziehung zu Max, aber welche, weiß keiner.

„Verlangt wer?“

„Irgendwer hat irgendwen angerufen. Neue Sicherheitsvorschriften.“

„Was?“

„Keine Ahnung. Kannst rein, ich sage dem Türsteher Bescheid.“

The Max ist ein Sex Club für Leute mit Geld. Zutritt nur für ausgewählte Gäste. Wer nicht passt, hat keine Chance. Die Mitgliedschaft kostet mehr als in jeden Golf- oder Yachtclub, bietet dafür aber exklusive Möglichkeiten zum Aufbau wichtiger Kontakte. Hier befindet sich die Börse für interessante Neuigkeiten in der Finanz- und Geschäftswelt. Ein Muss für jeden, der in der Ersten Liga mitspielen will, aber nicht Golfspielen kann. Die abgedunkelten Räume sind im Stil römischer Villen gehalten, ohne pompös zu sein. Club eben, kein Harem. Alle laufen bis auf wenige Accessoires nackt herum. Wer will, kann, muss aber nicht. Fast alles ist möglich, im oberen Stockwerk befinden sich Studios. Eine mir unbekannte Rothaarige mit drallen Kurven macht mir ziemlich unverhohlene Avancen. Irgendwo klatschten schwitzende Körper rhythmisch aufeinander. Es riecht nach schweißnassem Sex. Das animiert, doch ich wende mich lächelnd an eine Transe, die schon auf mich wartet. Pech gehabt, Füchslein. Champagner?

Irgendwann drückt mir Stuff wortlos ein Smartphone in die Hände. „Da nervt einer!“

„Andrè? Was willst du?“

„Schalt den Fernseher ein, Josh, schnell!“

„Ich bin im Max.“

„Dann fahre nach Hause.“

„Bist du bescheuert? Wozu?“

„Du kannst überall deinen Name lesen.“

Ich stürme nach Hause. Auf allen Kanälen laufen Namenslisten durchs Bild und ich starre wortlos darauf. Tatsächlich, mein Name fliegt vorbei. Botschafter Liste. Das muss ein anderer Joshua mit gleichen Nachnamen sein. Allerweltsname. Doch Geburtsdatum und Nationalität stimmen, mir bricht kalter Schweiß aus. Foto und Wohnadresse. Verdammt! Woher haben die Säcke das? Hey, was soll das? Wie komme ich auf eine solche Liste? Ausschalten das Ding. Aus. Licht. Aus. Es klingelt, klopft. Leckt mich, ich bin nicht da. Verpisst Euch! Whiskey on the Rocks. Ich ignoriere den Unfug und blase mir das Hirn weg.

Am nächsten Morgen nerven zwei Typen an der Tür, angeblich Regierungsvertreter, behaupten sie zumindest, und halten mir irgendwelche Ausweise unter die Nase. Ob ich die Liste gelesen habe, wollen sie wissen. Die Aliens hätten die Botschafter der Menschheit, die sie treffen wollen, selber ausgewählt und die Liste über alle Medien verteilt. Kein weiß, wie sie das gemacht haben. Widerspruch ausgeschlossen. Klingt urkomisch und mir brummt der Schädel. Natürlich brauche ich das nicht tun, sagen sie, immerhin muss ich dafür nach Mexico fliegen. Habe vielleicht auch was anderes vor, also kein Problem, wenn ich nicht kann. Aber es geht hierbei ja nicht um mich, sondern die Menschheit und so weiter. Alle Auslagen trägt die UNO, auch sämtliche damit verbundenen Kosten. Nachteile entstehen mir keine. Im Gegenteil, ich darf die Menschheit bei einer außergewöhnlichen Mission vertreten und ihr Dank sei mir sicher. Der Flieger nach Mexico City geht morgen Früh. Erst. Oder schon. Was soll’s, wann treffe ich schon mal Außerirdische. Hatte ich eine Wahl? Die Entscheidung haben die Fremden getroffen. Nicht der UN Generalsekretär. André erreiche ich nicht und hinterlasse ihm eine Nachricht: Bin in Mexico, den Rest siehst du im Fernsehen. Bob und Lena will ich nicht weiter beunruhigen. Sie werden es auch so erfahren. Kofferpacken, dabei habe ich gar keinen Koffer. Reisetasche reicht.

Nach elf Stunden First Class Flug voller grüblerischer Gedankenspiele treffe ich in der Lobby eines Luxushotels in Mexico City auf die anderen Botschafter. Frauen und Männer unterschiedlichen Alters von überall her, die ziemlich normal aussehen, davon abgesehen, dass ihre Gesichter verschiedene Erwartungshaltungen ausrücken von ängstlich über angespannt abwartend bis beinahe erwartungsfroh. Keiner redet mit dem anderen, alle blicken nur schweigend auf die uns begleitenden UN Leute. So sehr ich auch versuche, etwas Besonderes oder Gemeinsames an ihnen ausfindig zu machen, ich entdecke nichts. Wahrscheinlich werden wir bald erfahren, was einen Botschafter zu einem solchen macht. Uns weltweit ausfindig zu machen und einzusammeln, hat Tage gedauert. Insgesamt zähle ich einundzwanzig Botschafter, laut TV Liste sollten es eigentlich deutlich mehr sein. Mindestens vier weigern sich kategorisch, heißt es, andere sind unauffindbar oder abgetaucht. Alienangst. Irgendwie verständlich. Der Empfang durch die UN Vertreter fällt eine Spur zu enthusiastisch aus, als sollten wir Jesus oder den Papst treffen. Sie verlesen eine Grußadresse des UN Generalsekretärs, der betont, wie wichtig die Mission sei. Wie zu hören ist, hat es ihn schwer enttäuscht, dass die Aliens weder Wissenschaftler noch hochrangige Politiker wie ihn sehen wollen. Noch nicht mal Berühmtheiten. Alles klar, Botschaft angekommen. Die Auswahl verstört offensichtlich nicht nur ihn. Geheimdienstleute verwenden zwei volle Tage darauf, aus uns einen einigermaßen intelligenten Spähtrupp zu machen. Dolmetscher übersetzen, da die wenigsten Englisch verstehen. Sie lassen uns überdeutlich spüren, dass sie sich für eine Kontaktaufnahme wichtigere Personen vorstellen könnten und wir nur zähneknirschend akzeptiert werden. Warum ausgerechnet diese Durchschnittstypen, lese ich in ihren Gesichtern. Ein unerklärliches Rätsel, über das sie gar nicht weiter nachdenken wollen. Dafür überlegen sie, uns einen Fragenkatalog mitzugeben, verwerfen die Idee aber nach reiflicher Überlegung wieder. Für Höheres sehen sie uns anscheinend nicht in der Lage.