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Markus Rahaus

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Beschreibung

Ein toter Kunsthistoriker im Cuxland: Professor Magnus Wenckermann scheint zunächst eines natürlichen Todes gestorben zu sein. Doch eine winzige Wunde am Hals und die Entdeckung exotischer Kegelschnecken in seinem Arbeitszimmer werfen Fragen auf. Wurde das tödliche Conotoxin gezielt als Mordwaffe eingesetzt? Die Polizei verdächtigt schnell seine Ehefrau. Doch als auch die Assistentin und Geliebte des Professors stirbt, zieht der Fall größere Kreise. Privat-Ermittler Konrad Brichtner beginnt eigene Nachforschungen und entdeckt ein tödliches Netz aus Lügen und Verrat. Ohne auf die Polizei vertrauen zu können, muss er den Mörder finden, bevor dieser erneut zuschlägt. Ein fesselnder Krimi voller maritimer Atmosphäre, raffinierter Wendungen und einem Ermittler, der sich selbst beweisen muss.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für Mia und Myke

Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2025 dotbooks GmbH, Max-Joseph-Straße 7, 80333 Mü[email protected]/dotbooks/CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Osterstraße 19, 31785 [email protected] Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.comSatz: CW Niemeyer Buchverlage GmbHE-Pub Produktion durch CW Niemeyer BuchverlageeISBN 978-3-8271-8739-0

Markus RahausConus

Homo homini lupusDer Mensch ist dem Menschen ein Wolf.Titus Maccius Plautus

Prolog

Gedämpftes Sonnenlicht fiel durch die Buntglasfenster auf der Südseite in das Innere des Kirchenraumes. Staubkörner tanzten wie kleine Fliegen in den Lichtstrahlen, die ihrerseits ein kontrastreiches Streifenmuster auf die Reihen der dunkelgrünen Sitzbänke warfen. Ein feiner Duft nach Weihrauch hing in der kühlen Luft, musste jedoch mit dem dezenten Hauch von Feuchtigkeit und Moder konkurrieren.

Moses, die Propheten sowie Christus und seine Jünger warfen ebenso strenge wie interessierte Blicke von der bemalten Balkendecke herab, als würden sie jeden Besucher der St.-Nicolai-Kirche von Nordleda genau mustern und dessen Gründe für seine Anwesenheit in diesem Gotteshaus bewerten. An diesem Nachmittag hefteten sich die Blicke der Heiligen aber nur auf eine einzige Person: Ein älterer Herr, wahrscheinlich Ende sechzig, vielleicht auch ein paar Jahre jünger, saß im Altarraum auf einem Stuhl, den er vom Chorgestühl vorgezogen hatte. Das moderne Sitzmöbel mit dem orangenen Stoffbezug wollte gar nicht in das altertümliche Ambiente passen.

Die Kanzel mit ihren fein geschnitzten und aufwendig bemalten Heiligenfiguren, das Taufbecken und die vielen Reihen der Kirchenbänke lagen im Rücken des Mannes. Leise, kaum hörbare Schritte entfernten sich, Augenblicke später schlug die Seitentür mit einem Knall zu. Vor ihm ragte der mittelalterliche Altar mit all seinen feinen, kunstvollen Schnitzereien auf bis an die Decke. Der Mann hatte die Augen weit aufgerissen und fixierte mit unstetem Blick das Ölbildnis auf der rechten Seite des Altars, welches Mose mit den Gesetzestafeln zeigte. Während er das alte Bild fixierte, presste er die linke Hand auf den Hals, ein Stückchen unterhalb des Ohres, als hätte er dort starke Schmerzen. Die hellgrauen, fast weißen Haare des Mannes standen wild von seinem Kopf ab, sein linkes Bein, das er seitlich vom Stuhl weggestreckt hatte, zuckte wie von Krämpfen geschüttelt vor und zurück. Seine rechte Hand streckte er suchend und gleichzeitig um Hilfe heischend nach vorn. Trotz des aufgerissenen Mundes brachte er keinen Ton hervor, sondern versuchte nur zu atmen, Luft in seine Lungen zu saugen und das aufkeimende Schwindelgefühl zu verdrängen.

Trotz aller Schmerzen rasten seine Gedanken. Alles war so schnell gegangen, erst das Gespräch, dessen Tonfall immer aggressiver geworden war, dann die Stille. Den plötzlichen Stich im Nacken hatte er zuerst kaum gespürt – und auch nicht damit gerechnet. Schnell hatte jedoch ein Brennen eingesetzt, als würde sich flüssige Lava direkt aus der Hölle durch sein Fleisch schmelzen. In Sekundenschnelle folgten unglaubliche Schmerzen, begleitet von Atemnot. Tief im Inneren hatte er schon länger befürchtet, dass etwas Derartiges geschehen könnte – wenn auch nicht hier und jetzt –, und doch hatte er immer gehofft, sich zu irren. In diesem Moment hatte er sich verflucht. Warum hatte er bloß nicht den Mund halten können? Es hätte doch sicher noch einen anderen Weg gegeben.

Mit einem Mal hatte er das Gefühl, ein wenig mehr Luft zu bekommen. Vielleicht war es aber auch nur das Adrenalin, das seinen Körper flutete, den Schmerz ausblendete und ihm neue Kraft vorgaukelte, die in Wirklichkeit gar nicht da war. Sein Blick ruckte zur Seite – als hätte er Stimmen gehört, die nach ihm riefen. Er stand auf, langsam und unsicher. Er kämpfte mit aller Kraft, die Körper und Geist aufbringen konnten, gegen die Krämpfe an. Es war zu spät, er wusste es – aber er weigerte sich, kampflos aufzugeben. Er wollte nicht einfach wie ein nasser Sack vom Stuhl kippen und die Welt verlassen.

Nein, so nicht!

Er hoffte, noch genug Zeit zu haben. Mit einem Ruck stieß er sich vom Stuhl ab und machte schwankende Schritte über den dunkelroten Teppich auf den Altar zu. Er biss sich in den Zeigefinger, bis er Blut schmeckte. Die zwölf hölzernen Figuren auf dem Wandregal links von ihm warfen ihm grimmige, auffordernde, abweisende oder auch nachsichtig lächelnde Blicke zu.

Wie ein Ertrinkender reckte er beide Arme nach vorne und nahm eine Stufe nach der anderen, bis er endlich direkt vor dem Hochaltar stand. Sein Blick streifte das aufgeschlagene alte Messbuch mit der wunderschönen Schrift und den filigranen Zeichnungen am Seitenrand. Er fixierte kurz das hölzerne Kreuz hinter dem Buch. Mit einer Hand hielt er sich an der linksseitigen Verkleidung fest. Das alte Holz knarzte, ein Scharnier quietschte leicht. Die andere Hand reckte er nach vorn, bis sein ausgestreckter Zeigefinger die mittelalterlichen Holzschnitzereien berührte. Gleichzeitig spürte er, wie ihn die Kräfte verlassen wollten. Dennoch, er kämpfte um jeden Atemzug, dann war es geschafft. Seine Beine gaben nach und er sackte nach hinten, stürzte auf den Boden, rollte die zwei Stufen wieder herunter und blieb am Fuße des Alters bewegungslos liegen.

Verzweifelt schnappte er nach Luft.

Der zarte Duft nach Weihrauch, den er im Altarraum wahrgenommen hatte, hatte sich verflüchtigt. Der Atem des Todes legte sich über ihn.

Draußen schob sich eine Wolke vor die Sonne.

Trotzdem wollte er noch immer nicht aufgeben. Sein Körper hatte kaum noch Kraft, doch sein Wille war noch nicht besiegt. Ihm war klar, dass ihn seine Beine nicht mehr tragen würden, also kroch er vorwärts. Mit schmerzverzerrtem Gesicht streckte er erst die eine Hand suchend vor, ließ sie auf den Boden fallen, krallte sich an allem fest, was er greifen konnte, und zog sich nach vorn.

Dann die andere Hand.

Der Schwindel in seinem Kopf verstärkte sich, seine Glieder brannten wie Höllenfeuer, aber aufzugeben kam nicht infrage. Er musste es schaffen. Nur noch ein kleines Stück.

Die Zeit verrann, Sekunde um Sekunde, Minute um Minute. Erst Zentimeter um Zentimeter, dann Meter um Meter kroch er auf dem kalten Boden vorwärts. Als er es bis unter den Bogen zwischen Altarraum und Kirchenraum geschafft hatte, musste er innehalten. Er starrte auf die beiden Tafeln der Kanzelwandung, auf denen der Evangelist Markus sowie Jesus Christus dargestellt waren, und erinnerte sich daran, dass diese wunderbar geschnitzten und bemalten Figuren samt dem Rest der direkt an den Chorbogen gesetzten Kanzel aus dem frühen 15. Jahrhundert stammten. Ihm fiel ein, dass diese Figuren – die anderen drei Evangelisten waren auf den Tafeln dargestellt, die er nicht sehen konnten – zusammen mit ihren Attributen Löwe, Stier, Mensch und Adler die Herrlichkeit Gottes andeuten sollten. Dieser Gedanke ließ ihn im wahrsten Sinne des Wortes aufatmen, noch einmal nach Luft schnappen. Bald würde er Gott in all seiner Herrlichkeit gegenübertreten. Mit der wenigen verbliebenen Kraft zog er sich weiter, durch den Mittelgang zwischen den Bankreihen hindurch. Etwa in der Mitte des Kirchenraums, dort, wo auch die Ständer für die Gebetsbücher standen, quälte er sich nach rechts. Bis zur Tür waren es nur noch wenige Meter. Er musste es schaffen, er wollte es schaffen. Er durfte nicht aufgeben.

Die Tür war nicht richtig ins Schloss gefallen und so konnte er sie ein kleines Stückchen aufziehen und durch den Spalt nach draußen kriechen. Seine Lungen brannten höllisch, er spürte seine Gliedmaßen nicht mehr, die Sicht verschwamm. Aber er spürte die warme Außenluft auf seinem Gesicht.

Er wusste, dass er es geschafft hatte.

Genau in diesem Moment schob sich eine Wolke vor die Sonne und blockierte ihre wärmenden Lichtstrahlen.

Genau in dem Moment, in dem sich die Welt um die St.-Nicolai-Kirche in Nordleda ein wenig verdunkelte, erlosch auch das Licht in seinen Augen.

Professor Magnus Wenckermann war tot.

Kapitel 1

Tag 1, morgens, Cuxhaven, etwa 8:30 Uhr

„Hast du das gesehen?“, fragte Konrad und schob Jantje die Zeitung zu. Es war tatsächlich eine Zeitung, gedruckt auf echtem Papier. In dieser Hinsicht war Konrad, obwohl noch keine dreißig Jahre alt, ein wenig altmodisch, aber er liebte dieses Rascheln am Frühstückstisch, wenn die Seiten umgeblättert wurden, an einer Tasse oder Brotkorb hängen blieben und einknickten. So war es bei Tante Bettina und Onkel Johann, bei denen er aufgewachsen war, immer gewesen, so würde es in seiner Wohnung auch immer sein. Computer und Tablets waren Handwerkszeug, mit dem er umzugehen wusste, an den Frühstückstisch jedoch gehörte eine Zeitung aus Papier.

Jantje stellte den Kaffeebecher ab und schaute ihn fragend an. „Was ist denn passiert?“

Sie war über Nacht geblieben und nun saßen die beiden an dem kleinen, runden Holztisch in Konrads Wohnung. Es war acht Uhr dreißig, die Zeit zwischen dem Morgen und dem Vormittag. Jenseits des Fensters war es bewölkt und grau, zum Glück hatte der Regen, der in der vergangenen Nacht ununterbrochen gefallen war, gestoppt. Laut Wetterbericht, so viel hatte Konrad schon in den Cuxhavener Nachrichten entdeckt, sollte im Laufe des Tages sogar die Sonne zwischen den Wolken hervorblinzeln.

Er hatte ein kleines Frühstück vorbereitet, bevor sich die beiden in den Tag stürzten. Zwei Becher mit Kaffee standen auf dem Tisch, Milch und Zucker daneben. Überdies hatte Konrad ein Spiegelei auf einer Scheibe Brot für Jantje und für sich selbst eine Schale mit Müsli und Joghurt auf den Tisch gezaubert. Zu mehr hatte es in der Kürze der Zeit nicht gereicht, zumal er am Vortag vergessen hatte, Orangen zu kaufen, um frischen Saft zu pressen. Wobei es ‚vergessen‘ nicht ganz traf, denn sein Monatsbudget für Lebensmittel neigte sich dem Ende entgegen, und so war er bei Marktkauf an den Orangen vorbeigelaufen und hatte in die andere Richtung geschaut.

Jantje würde heute wieder nach Bremen fahren. Nach ihrer Masterarbeit und dem Abschluss an der Fachhochschule in Bremerhaven hatte sie vor wenigen Wochen eine Promotionsstelle am Zentrum für marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen bekommen. Konrad war da schon ein wenig neidisch gewesen. Auch er hatte seinen Abschluss geschafft, sogar noch etwas besser als Jantje, und kurzzeitig hatte er erwogen, sich ebenfalls in Bremen für eine Doktorarbeit zu bewerben. Die am selben Zentrum untersuchten Wechselwirkungen zwischen der Geo- und Biosphäre hatten auf ihn durchaus einen Reiz ausgeübt – aber er hatte der Versuchung widerstanden, denn eigentlich war es ja nach wie vor sein erklärtes Ziel, Privatermittler und Umweltdetektiv zu werden. Nachdem es ihm vor einiger Zeit gelungen war, der Kripo zuvorzukommen und zusammen mit Jantje den Mordlinien-Fall aufzuklären, faszinierte ihn die Idee nur noch mehr, neben der Polizei selbst in ausgewählten Fällen zu ermitteln, und so hatte sich der Traum langsam in einen konkreten Plan verwandelt, den er nun Schritt für Schritt umzusetzen gedachte.

Konrad rührte in seiner Müslischale. „Magnus Wenckermann ist tot.“

„Wer ist das?“ Jantje warf ihm einen fragenden Blick zu. „Der Name sagt mir nichts.“

„Professor Magnus Wenckermann“, setzte Konrad im Dozententon und mit hochgerecktem Müslilöffel an.

„Kon – bitte.“ Jantje zog mit dem Finger ein Augenlid herunter. „Keine Vorlesung.“

„Sorry.“ Konrad senkte den Löffel, belud ihn mit milchdurchtränkten Getreideflocken aus der kleinen Schale vor ihm, schob ihn sich in den Mund und begann, genüsslich zu kauen. „Der Knabe wurde gestern tot in Nordleda gefunden. Vor der Kirche.“

„Ups, da war wohl die Predigt sterbenslangweilig“, witzelte Jantje.

„Jo. Witsischkeit kennt keine Grenzen“, gab Konrad die schlechte Imitation einer alten Nummer von Hape Kerkeling zum Besten. „Nein, ernsthaft. Professor Ma-gnus Wenckermann war einer der ganz großen und bedeutenden Kunsthistoriker in Deutschland. Vor einiger Zeit hatte ich gelesen, dass er sich als Emeritus Cuxhaven als seinen Altersruhesitz ausgesucht hat. Hier wollte er sein letztes großes Werk schreiben: eine Abhandlung über die Kunstschätze der mittelalterlichen Kirchen entlang der Elbe.“

Jantje sah ihn mit großen Augen an. „Echt? Kunstschätze? Ich hätte nicht gedacht, dass es irgendwelche Reichtümer in den alten Kirchen hier gibt.“

Konrad kaute wieder. „Doch, eine ganze Menge sogar – kunsthistorisch betrachtet jedenfalls. Wie hoch der monetäre Wert ist, weiß ich nicht. In der Jacobi-Kirche in Lüdingworth soll es einen Seitenaltar geben, oder zumindest ein Teil davon, der aus Rungholt stammt. Viele Kirchen hier besitzen Orgeln von berühmten Orgelbauern der Barockzeit oder Spätromantik. Arp Schnitger zum Beispiel oder Ernst Röver.“

„Du solltest dich als lebendes Lexikon bei Wikipedia bewerben. Die digitalisieren dich dann und du wirst unsterblich.“ Jantje grinste ihn an. „Ok, du hast mich überzeugt – Kunstschätze sind in den hiesigen Kirchen ausreichend vorhanden, über die man ein Buch schreiben kann. Aber warum ist der gute Professor – wie hieß er doch gleich?“

„Wenckermann“, warf Konrad ein.

„Genau, Wenckermann. Warum ist er tot?“

Konrad zog die Zeitung zu sich zurück und vertiefte sich ein weiteres Mal in den Artikel. „Darüber schreiben sie hier nichts“, stellte er enttäuscht fest. „Nur dass er tot aufgefunden wurde und sich die Kriminalpolizei in Schweigen hüllt. Auch wenn es sich um eine natürliche Todesursache – Herzinfarkt beispielsweise – handeln sollte, müssen die die Sache untersuchen und wollen wahrscheinlich nicht vorgreifen, bevor die endgültigen Ergebnisse auf dem Tisch liegen.“

Jantje schürzte die Lippen. „Warum steht es denn schon in der Zeitung?“

„Na ja, Wenckermann ist schon eine Berühmtheit auf seinem Gebiet und ungewöhnlich ist es ja auch, in oder vor einer Kirche zu sterben.“

Jantje stand auf. „Du hast recht. Aber ich muss los. Wir lösen den Fall heute Abend.“

„So mok wi dat“, bestätigte Konrad. „Ich will auch gleich los. Erst eben bei Tante Bettina und Onkel Johann vorbei. Und danach zu Michael. Er hat ein paar Sachen, über die ich recherchieren soll.“

***

Am Tag zuvor, etwa 13:30

Klara Wenckermann saß bleich und mit tränenüberströmtem Gesicht auf der Couch in ihrem Wohnzimmer. Sie umklammerte das Wasserglas derart fest mit beiden Händen, dass die Knöchel weiß hervortraten. Hauptkommissarin Silke Beckmann machte sich bereits Sorgen, das Glas würde zerspringen und mit seinen scharfen, spitzkantigen Scherben für tiefe, blutige Schnittverletzungen in Frau Wenckermanns Hand sorgen.

„Er ist tot, sagen Sie? Magnus lebt nicht mehr?“ Klara Wenckermann blickte die Kommissarin an. Die Augen der Mittsechzigerin hatten jeglichen Glanz verloren. Bemüht vorsichtig setzte sie das Wasserglas auf die Tischplatte und wischte sich eine Träne aus dem Auge, wodurch der als Teil ihres Make-Up aufgetragenen Concealer verschmierte. Sie bemerkte es nicht. „Wie? Was ist passiert?“

Beckmann räusperte sich. Sie hasste diese Gespräche. Die Überbringerin derart schlechter Nachrichten zu sein war nichts für sie. Zu sehen, wie andere Menschen plötzlich in sich zusammenfielen, verwelkten wie eine Blume im Zeitraffer, wenn sie erfuhren, dass ein geliebter Mensch nicht mehr da war, machte auch ihr zu schaffen. Verstümmelte Leichen? Nicht schön, aber kein Problem. Das hier? Nein – dann lieber verstümmelte Leichen. „Ein Gärtner hat Ihren Mann vor etwas mehr als zwei Stunden gefunden, als er sich um die Blumenbeete vor der St.-Nicolai-Kirche kümmern wollte.“

„In der Kirche? Die kleine mittelalterliche Kirche in Nordleda?“

„Nicht ganz. Gefunden wurde ihr Mann vor der Kirche direkt an der seitlichen Eingangstür, die unverschlossen war. Er lag tot auf dem Boden.“

Frau Wenckermann schlug die Hände vor ihr Gesicht und schluchzte. Sie wollte etwas sagen, doch die Stimme versagte ihren Dienst.

„Gibt es Familienangehörige, Kinder, bei denen Sie im Moment unterkommen können?“, fragte Beckmann vorsichtig. „Sie sollten im Moment nicht allein sein.“

„Ja, ich finde da schon etwas“, sagte Frau Wenckermann. Es klang schwach und war nur dahingesagt, denn ihr Kopf war im Moment leer gefegt. Gleichzeitig wirbelten Gedankenfetzen durcheinander wie in einem Tornado.

Kinder hatten Magnus und sie keine, es hatte da ein biologisches Hindernis auf seiner Seite gegeben. Auch der Freundeskreis schien jetzt gerade keine Option zu sein. Sie wollte keine gequälte Konversation mit Leuten betreiben, die sich nur deshalb mitfühlend und verständnisvoll geben würden, weil sie vor Neugierde brannten. „Was passiert jetzt?“

„Sehen Sie, Frau Wenckermann, es ist so“, Beckmann schluckte. „Ihr Mann wurde an einem sehr ungewöhnlichen Ort gefunden. Dem ersten Anschein nach deutet es auf einen tragischen, natürlichen Tod hin. Allerdings haben wir darüber im Moment keine einhundertprozentige Sicherheit.“

„Wie bitte? Was wollen Sie damit andeuten?“ Klara Wenckermann klang nun fast hysterisch.

„Es ist die übliche Vorgehensweise.“ Beckmann verschanzte sich hinter dem Bollwerk der Bürokraten. „Um herauszufinden, was geschehen ist, wird die Staatsanwaltschaft eine Obduktion anordnen. Auf diese Weise werden wir die Todesursache erfahren – und Sie haben ebenfalls Gewissheit über die Ereignisse.“

„Sie wollen ihn aufschneiden?“, kreischte sie. „Sein Innerstes nach außen kehren? Dann wieder alles hineinstopfen und mit groben Stichen zunähen? Ist es das, was passieren soll? Würdelos bis ins Grab.“

„Frau Wenckermann, bitte beruhigen Sie sich“, sagte Beckmann mit sanfter Stimme. „Ich kann nachfühlen, was gerade in Ihnen vorgeht. Aber ich kann nicht ändern, was geschehen ist. Ich kann dem Tod Ihres Mannes nur auf den Grund gehen – und genau das werde ich tun. Ihrem Mann wird dabei alle Würde zuteilwerden, die zu geben wir in der Lage sind. Machen Sie sich darüber bitte keine Sorgen.“

Die einfühlsamen Worte Beckmanns schienen ihre Wirkung nicht zu verfehlen.

Klara Wenckermann atmete einmal tief durch. „Wo soll die Obduktion stattfinden?“

„Der Leichnam Ihres Mannes wird in Kürze zum Institut für Rechtsmedizin nach Hamburg transportiert werden. Hier in Cuxhaven haben wir keine Einrichtung, die für derartige Untersuchungen geeignet ist. Ich –“

Wenckermann stoppte sie mit einer harschen Handbewegung. „Danke, das reicht mir.“

„Warum war Ihr Mann in oder an der Kirche?“, wechselte Beckmann das Thema.

Offensichtlich froh über den Themenwechsel, entspannte sich Karla Wenckermann ein wenig. „Sie wissen wahrscheinlich, dass mein Mann Kunsthistoriker ist – war.“

Beckmann nickte.

„Sein Steckenpferd sind die kleineren und größeren Kirchen, die Bauerndome, und deren Ausstattung, insbesondere die Altäre, hier in der Umgebung. Es war seit vielen Jahren sein Traum, diese Gotteshäuser zu studieren und in einem großen, seine Laufbahn endgültig abschließenden Werk der Fachwelt zu präsentieren.“

„Einige der alten Kirchen hier sind tatsächlich sehr beeindruckend“, stellte Beckmann pflichtschuldig fest, obwohl sie bislang die wenigsten davon von innen gesehen hatte. „Ich nehme also an, die St.-Nicolai-Kirche in Nordleda war eines seiner Studienobjekte.“

„Richtig. Da war er oft in den vergangenen Wochen. Der dortige Kirchenvorstand hatte ihm sogar einen Schlüssel überlassen, sodass er ein- und ausgehen konnte, wann immer es ihm beliebte.“

„Hat er dort allein gearbeitet?“, fragte Beckmann.

Bei dieser Frage versteifte sich Karla Wenckermann, was Beckmann augenblicklich mit einem ganz leichten Zusammenkneifen der Augen quittierte.

„Nein, er war dort nicht immer allein. Ab und an war seine Assistentin ebenfalls dort und hat ihn unterstützt.“

Nun war es an Beckmann, die Augenbrauen ein wenig nach oben zu ziehen. „Seine Assistentin?“

„Ja, Frau Carlsen. Fenja Carlsen. Sie hat ebenfalls Kunstgeschichte studiert, fragen Sie mich aber bitte nicht, wann und wo. Magnus hatte sie vor ein oder zwei Jahren auf einer Tagung in Wien kennengelernt. Eigentlich arbeitet sie im Kunstmuseum Bremerhaven, wohnt aber irgendwo im Raum Cuxhaven.“

„Können Sie mir die Kontaktdaten der Dame geben?“, erkundigte sich Beckmann.

Frau Wenckermann erhob sich. „Selbstverständlich. Bitte folgen Sie mir.“

Die beiden verließen das Wohnzimmer.

Im Vorbeigehen ließ Beckmann den Blick über die Wände und durch den Raum schweifen. Die gerahmten Drucke an den Wänden zeigten biblische Szenen, die vor vielen Jahrhunderten von Künstlern, deren Namen ihr nicht bekannt waren, auf Holz, Leinwand oder Buchseiten gemalt worden sein mussten. „Sind diese Bilder wertvoll?“

Karla Wenckermann drehte sich um. „Die Originale sicherlich. Genau kann ich Ihnen das nicht sagen. Hier an den Wänden hängen nur verkleinerte Reproduktionen. Ich hätte auch gern andere Dekorationen gehabt, aber Magnus haben diese Bilder sehr viel bedeutet. Also habe ich sie ihm gelassen. Aber nun –“ Ohne den Satz zu vollenden, wandte sie sich einem an das Wohnzimmer angrenzenden Raum zu. „In seinem Arbeitszimmer finden wir bestimmt die Telefonnummer und Adresse von Frau Carlsen. Bitte geben Sie mir einen Moment.“

Beckmann hob die Arme. „Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie benötigen. Darf ich mich derweil ein wenig im Arbeitszimmer umsehen?“

„Selbstverständlich.“ Karla Wenckermann klang gleichgültig. „Nur zu.“

Sie betraten das Arbeitszimmer von Magnus Wenckermann.

Karla trat an eines der beiden Fenster, riss es auf und ließ frische Luft ins Zimmer strömen. „Immer, wenn ich hier ein Fenster öffnete, verkündete Magnus theatralisch, ich würde seinen geliebten Muff der Jahrhunderte verscheuchen.“ Sie schluchzte erneut.

Beckmann rang sich ein Lächeln ab und sah sich um. Im Gegensatz zu dem hellen, luftigen und modernen Wohnzimmer mit schmuckvollen Dekorationen und Grünpflanzen stand sie nun in einem fast erdrückend engen, professoralen Arbeitszimmer. Seitlich vor den Fenstern des Raums stand – oder besser thronte – ein wuchtiger Schreibtisch aus dunkler Eiche mit einem nicht minder wuchtigen Stuhl davor. Beide Möbelstücke waren sichtlich zu groß für den Raum.

Die riesige Tischplatte war übersät mit dicken, teils angestaubten Büchern, Zeitschriften, Notizblöcken und losen Papieren. An einer Kante kämpfte eine in diesem Raum unpassend modern wirkende, verchromte Schreibtischlampe dagegen, von der Papierflut vom Tisch gewaschen zu werden. Lange würde sie diesen Kampf nicht mehr bestehen. In der Mitte der Tischplatte ragte der Bildschirm eines aufgeklappten Laptops zwischen Akten und Buchdeckeln hervor, daneben entdeckte Beckmann eine Flasche Rotwein und ein benutztes Glas.

„Bei der Arbeit hat er sich gerne ein Gläschen Wein gegönnt. Südfrankreich war seine Lieblingsregion, was Weine angeht“, erklärte Frau Wenckermann, deren Blick dem Beckmanns gefolgt war. „Ich selbst verweigere mich dem Alkohol schon seit Jahren.“

„Eine weise Entscheidung“, murmelte Beckmann. Ihre Gedanken schweiften zurück in ihre Kindheit und zu ihrem Onkel Anselm, den sie nur entweder stockbetrunken oder schlafend gesehen hatte. Das Letzte, was sie von ihm wusste, war, dass Tante Lise ihn rausgeworfen hatte und von diesem Moment an aufgeblüht war. Leider war ihre Tante vor zwei Jahren verstorben. Von Anselm hatte sie nie wieder etwas gehört. Mit einem mentalen Ruck holte sie sich zurück in die Gegenwart, wandte den Blick vom Schreibtisch ab und dem Rest des Raumes zu.

Sämtliche Wände waren deckenhoch mit Regalen zugebaut. Die Regale selbst waren bis zur allerletzten Lücke mit Büchern und Ordnern gefüllt. Nur gegenüber dem Schreibtisch war ein etwa achtzig mal vierzig Zentimeter großer Bereich nicht mit Schreibwerk gefüllt, stattdessen befand sich dort ein Aquarium. Es war sauber, hell beleuchtet und hinten rechts sprudelte eine Pumpe Luft ins Wasser. Einige Pflanzen wuchsen und ein paar überraschend große Schnecken mit ausnehmend schön gezeichnetem Gehäuse saßen auf dem feinen, fast weißen Kies. Fische konnte Beckmann dagegen keine entdecken. „Was hat es mit dem Aquarium auf sich? Es sind ja gar keine Fische darin.“

Abermals war Karla Wenckermanns Blick dem der Kommissarin gefolgt. „Fragen Sie mich nicht. In dem Becken gibt es nur Schnecken. Sie sind das zweite große Steckenpferd von Magnus. Hätte er nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten müssen – der ebenfalls Historiker war –, so hätte er sich bestimmt an der marinen Biologie festgebissen. Seine Begeisterung für diese Tiere habe ich nie verstanden.“

„Was ist denn das Besondere an diesen Schnecken?“, fragte Beckmann, obwohl sie eigentlich wenig an der Antwort interessiert war. Sie wollte die Frau ein wenig ablenken und gleichzeitig aus der Reserve locken, denn bislang war es ihr nicht gelungen, sich ein Bild von ihr zu machen. Ihr war klar, dass Frau Wenckermann nach der schrecklichen Nachricht vom Tod ihres Mannes neben sich stand. Aber auf sie wirkte die Frau nicht nur abwesend, sondern auch auffällig desinteressiert.

„Es sind Kegelschnecken. Sehr schön anzusehende Exemplare, wie ich zugeben muss“, erklärte Karla Wenckermann. „Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Es war zu einhundert Prozent Magnus᾽ Angelegenheit. Dieses Aquarium war ihm bisweilen heiliger als manche alte Kirche. Niemand durfte das Becken auch nur anfassen oder gar hineingreifen.“

Nun klang sie sogar ein wenig sarkastisch, fand Beckmann.

„Was mache ich jetzt nur mit den Tieren?“, fragte Wenckermann, offenlassend, ob sie von der Polizistin wirklich eine Antwort erwartete. „Ich kann sie ja kaum einfach die Toilette hinunterspülen.“

„Hm.“ Abermals musterte Beckmann ihr Gegenüber, diesmal mit leichten Falten auf der Stirn. Die Frau blieb ihr ein Rätsel.

Frau Wenckermann wandte sich wieder dem Schreibtisch zu und setzte ihre Suche fort. Schon bald zog sie aus einer Schublade des Schreibtischs ein abgenutztes Adressbüchlein im Ledereinband hervor. Sie blätterte darin, riss eine Seite heraus und reichte diese Beckmann. „Hier ist es: Die Anschrift und Telefonnummer von Fenja Carlsen.“

***

Tag 1, früher Vormittag, etwa 9:30

Konrad riss schwungvoll die Glastür auf und stürmte in die Kanzlei. Sofort wehte ihm eine Mischung aus angespannter Konzentration und knisterndem Tatendrang entgegen – und ein Hauch von frisch aufgebrühtem Jasmintee. Vom Empfangstresen gegenüber der Eingangstür lächelte ihm mit knallrot geschminkten Lippen Jasmina Krey entgegen. Vor der Mittdreißigerin stand der vornamensgleiche Tee und verströmte seinen Duft. Hinter ihr, an der weißen Wand, war ein großer, grauschwarzer und dezent beleuchteter Schriftzug angebracht, der jeden Besucher sofort wissen ließ, wo er sich gerade befand: Bäumer & Partner – Rechtsanwälte. Links vom Tresen befand sich ein kleiner, fensterloser Warteraum. Die Tür stand offen, niemand hatte bislang dort auf einem der vier Stühle Platz genommen, ein paar Zeitschriften lagen akkurat angeordnet auf den kleinen Tischen in der Mitte. Es schlossen sich zwei weitere Türen an, das WC und das Archiv. Auf der rechten Seite lagen die Büros der Anwälte. Eine offen stehende Tür führte ins Büro des Partners, den es, wie Konrad wusste, gar nicht gab. Die zweite Tür war geschlossen. Michael Bäumer hatte also einen Klienten in seinem Büro.

Außerdem gab es noch einen Konferenzraum – aus Imagegründen ein Muss in diesem Geschäft.

„Guten Morgen Kon“, sagte Jasmina und strich sich dabei eine farblich zu ihren Lippen passende Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Moin. Bis wann ist Michael –“

Bevor Konrad den Satz hatte zu Ende sprechen können, flog die Tür von Bäumers Büro auf und ein mit den Armen rudernder Mann stürzte heraus. Sein Kopf war tomatenrot angelaufen. „Es tut mir leid, Herr Karschullski, aber ich werde die Verteidigung ihres Sohnes nicht übernehmen. Ich gehöre nicht zu den Anwälten, die per Definition auf Unschuld plädieren und einen Freispruch fordern. Nein, das kommt nicht infrage.“ Er schlug mit der Hand auf den Tresen, sodass die Teetasse einen Satz machte und die heiße Flüssigkeit überschwappte.

Bevor Schlimmeres passieren konnte, griff Jasmina beherzt zu, brachte ihren Tee in Sicherheit und zauberte einen kleinen Lappen hervor, mit dem sie die Pfütze geschickt wegwischte. „Wie es scheint, ist sein Termin vorzeitig beendet“, zwinkerte sie Konrad zu.

Ein zweiter Mann trat hinter Bäumer aus dem Büro. Auch er wirkte aufgebracht, hielt die Arme vor der Brust verschränkt, was seinen Wohlstandsbauch ein wenig mehr als notwendig betonte, und hatte rote Flecken im glatt rasierten Gesicht. „Herr Bäumer. Sie gelten als der beste Strafverteidiger in Cuxhaven und Bremerhaven. Mein Sohn benötigt … also, das war doch nur für den Eigenbedarf –“

„Ihr heiß geliebter Sohnemann“, fuhr ihm Bäumer sofort in die Parade, unterstützt durch einen dolchartig fliegenden Zeigefinger, „wurde mit einer so beachtlichen Menge Tranq aufgegriffen, die – und das garantiere ich Ihnen beim Leben meiner verstorbenen Urgroßmutter – nie und nimmer als Eigenbedarf durchgehen wird. Bei diesem Zeug sowieso nicht. Wissen Sie eigentlich, was das ist? Wissen Sie, welchen Schaden diese Droge anrichtet? Sucht! Abhängigkeit! Tod! Das ist ein Teufelszeug und jeder, der damit dealt, gehört genau dahin, wo Ihr Sebastian gerade ist: in den Knast.“

„Aber –“

„Kein ‚aber‘. Meine Arbeit basiert auf genau zwei Säulen.“ Bäumer hielt einen Zeigefinger in die Luft, „Erstens: Ich vertrete nur Klienten, bei denen ich zumindest von einer verminderten Schuld, wenn nicht gar der Unschuld, überzeugt bin und eine messbare Chance sehe, dies auch vor Gericht zu beweisen. Und zweitens“, der Mittelfinger gesellte sich zum Zeigefinger, „nehme ich nur solche Fälle an, die meinen moralischen Kompass nicht kompromittieren. Ihr Anliegen passt zu keinem meiner beiden Grundsätze. Ich bin aber überzeugt, Sie werden einen Kollegen finden, der sich der Sache mit weniger Skrupel als ich annehmen wird. Ich wünsche einen angenehmen Tag.“

Der andere Mann riss seine Jacke von der Garderobe, rempelte Konrad an und verließ hörbar vor sich hin schimpfend die Kanzlei.

Konrad fiel die Kinnlade herunter. Sebastian Karschullski – Jantjes Ex-Freund und sein Intimfeind – war zum Tranq-Dealer abgestiegen und war verhaftet worden? Der Typ war eine Hohlbirne, so viel stand fest, aber dass er auf dieses Niveau absinken würde, hätte er nie gedacht. Er hatte schon einiges über diese Droge gehört. Auf der Straße wurde sie auch Zombie genannt, weil sie die Süchtigen genau dazu macht: zu Zombies. Bislang tauchte das Zeug in Deutschland nur selten auf, aber in den USA war es ein echtes Problem.

„Ich soll einen Tranq-Dealer verteidigen“, echauffierte sich Bäumer erneut. „Ah, moin Kon. Ist dir klar, was das für ein Mist ist?“

Konrad nickte. „Ja, ein Mix aus dem Betäubungsmittel Fentanyl und Xylazin, einem Beruhigungsmittel für Pferde. Manchmal wird statt des Fentanyls auch mit Heroin verschnitten. Eine Art Modedroge, aber extrem gefährlich, weil sie sehr schnell überdosiert wird und dann tödlich ist. Die Todeszahlen in den USA sind erschreckend.“

Bäumer nickte anerkennend.

„Außerdem ist Tranq nicht nur scheißbillig, sondern führt bisweilen zu schwersten Hautverätzungen an den Einstichstellen, sodass oft nur noch eine Amputation der betroffenen Gliedmaße hilft. Das Zeug frisst dir bei lebendigem Leib die Haut weg – lasst die Finger von dem Zeug, Kinners“, schloss Konrad seinen Vortrag und blickte erst Jasmina, dann seinen Chef streng an.

„Jo, ich sehe mich einmal mehr bestätigt, mit dir den richtigen Rechercheassistenten eingestellt zu haben, wenn auch geplant unterbezahlt.“ Ein breites Grinsen zog sich über Bäumers Gesicht, das jedoch sogleich wieder erlosch. „Jemanden, der diesen Dreck auf der Straße verkauft, kann und will ich nicht verteidigen. Punkt, aus, Feierabend.“

Mit eindeutigen Kopfbewegungen bekundeten Konrad und Jasmina ihre Zustimmung.

Bäumer wandte sich um. „Kon, wir haben etwas zu besprechen. Jas, bring uns bitte zwei Becher Kaffee. Mach dir auch einen – ach nein, du hast ja deinen komischen Tee. Hahaha.“

Konrad verdrehte die Augen. Bäumer war ein brillanter Anwalt. Auch hatte er Grundsätze, zu denen er unverrückbar stand. Er kannte die Paragrafen und konnte mit ihnen jonglieren wie kaum ein anderer. Wenn er wollte, und das kam regelmäßig vor, konnte er Klienten in seinem Büro oder Zeugen im Gerichtsstand zerpflücken, sodass sie einem wirklich leidtun konnten – Karschullski-Senior hatte das gerade am eigenen Leib erfahren müssen. Nach Bäumers Bekunden ging es ihm dabei immer nur um die Wahrheit. Sein Motto lautete: ‚Wann man die Wahrheit nicht kennt, wird ein anderer kommen und sie zum eigenen Vorteil verdrehen‘. Aber herrje – Bäumer konnte mitunter auch ein echtes Arschloch sein.

Dennoch – Konrad war froh hier zu sein, denn, Arschloch hin, Arschloch her, von Bäumer konnte er eine Menge lernen. Nach Ende des Studiums hatte er zunächst ein wenig in der Luft gehangen. Onkel Johann und Tante Bettina, seine Zieheltern, bei denen er seit Kindestagen bis zu seinem Umzug in seine eigene Wohnung vor etwa zwei Jahren gelebt hatte, hatten ihn zwar nicht bedrängt, aber ihm mit ihren eingestreuten Bemerkungen durchaus zu verstehen gegeben, dass es an der Zeit sei, nach einem soliden Job zu suchen, der es ihm ermöglichen würde, auf eigenen Beinen zu stehen. Auf dem Ohr hatte er sich zunächst taub gestellt, auch wenn ihm klar war, dass von irgendwoher Geld kommen musste, um sein Leben zu leben. Nach langen Diskussionen, die meist – von Tante Bettina befeuert – in dem Vorschlag mündeten, er möge doch seine Wohnung aufgeben und wieder zurückkommen, hatten sie sich darauf geeinigt, dass die beiden ihn noch während einer Fortbildung zum Detektiv unterstützen würden, die er über die Zentralstelle für die Ausbildung im Detektivgewerbe gefunden hatte. Danach, mit seinem IHK-Fachzertifikat in der Tasche, müsste er sich einen Job suchen. Der Deal war aufgegangen: Konrad hatte den Kurs mit Glanz und Gloria als Gruppenbester bestanden und sich anschließend auf Onkel Johanns Rat hin bei verschiedenen Anwaltskanzleien als Rechercheassistent und Privatermittler beworben. Konrad hatte selbst schon davon gehört, dass einige Anwälte Privatermittler engagierten, um bei der Vorbereitung von Verteidigungsstrategien in Strafverfahren nicht nur von den Informationen der Staatsanwaltschaft abhängig zu sein. Michael Bäumer, spezialisiert auf kleinere und mittlere Strafrechtsangelegenheiten, war solch ein Anwalt. Er hatte Konrad auch sehr zügig zu einem Gespräch eingeladen und ihm kurzerhand eine Stelle angeboten. Konrad hatte nicht lange gezögert und zugesagt.

Das war vor einigen Monaten gewesen.

Nun stand er also im Empfangsbereich der Kanzlei und gab Jasmina ein Zeichen, sich nicht aufzuregen und für ihn keinen Kaffee zu machen.

Sie lachte nur, denn sie kannte Bäumer und seine Marotten schon seit Jahren.

Im Büro des Anwalts schloss Konrad die Tür hinter sich. „Haben Sie auch gelesen, dass Magnus Wenckermann tot ist?“

Bäumer sah ihn irritiert an. „Magnus wer?“

Nein, offensichtlich hatte er es nicht gelesen. „Der Kunsthistoriker. Er wurde tot vor der Kirche in Nordleda gefunden.“

„Nein, davon habe ich nichts mitbekommen. Egal, wir haben Wichtigeres zu besprechen.“

Kapitel 2

Tag 1, früher Vormittag, Institut für Rechtsmedizin in Hamburg, etwa 9:30 Uhr und zeitgleich mit Konrads Ankunft in der Kanzlei

Carl Olfenbüttel, seines Zeichens Rechtsmediziner am Institut für Rechtsmedizin in Hamburg, zog die Latexhandschuhe aus und ließ sie in den Mülleimer fallen. Der hochgewachsene Endfünfziger verschränkte die Arme und betrachtete nachdenklich den vor ihm auf dem glänzenden Sektionstisch liegenden Leichnam. Der Saal war hell erleuchtet, in der Luft lag der typische Geruchsmix von Desinfektionsmitteln und Tod, den Olfenbüttel jedoch schon lange nicht mehr wahrnahm. Hinter ihm war ein Mitarbeiter seines Teams damit beschäftigt, Gerätschaften, die er in den vergangenen zwei Stunden verwendet hatte, zu reinigen und für den nächsten Einsatz vorzubereiten.

Den der Anordnung für eine gerichtsmedizinische Obduktion beigefügten Unterlagen hatte er entnommen, dass es sich bei dem Toten auf dem Tisch um Magnus Wenckermann handelte. Olfenbüttel dachte einen Moment nach. Der Name kam ihm vage bekannt vor. Richtig, er schnippte mit dem Finger. Er hatte Wenckermann einmal in einer Fernsehsendung gesehen, irgendetwas mit Kunst und Geschichte. Nun war der Mann selbst Geschichte und die Y-förmige Schnittwunde, verursacht durch zwei von beiden Schlüsselbeinen zum Brustbein verlaufenden Schnitten, die dann mit einem weiteren Schnitt bis zum Schambein verlängert wurden, waren nach der Begutachtung der inneren Organe wieder kunstvoll vernäht worden.

Hinsichtlich der Todesursache stand er vor einem Rätsel. Sowohl die äußere Leichenschau als auch die Untersuchung des Körperinneren hatte keine eindeutige Erklärung für das zeitige Ableben Wenckermanns liefern können, die Atemwege waren frei, eine Strangulation konnte ebenfalls ausgeschlossen werden, Ertrinken sowieso. Das Herz wies keine Auffälligkeiten auf, innere Blutungen gab es keine, ebenso wenig Hinweise auf einen tödlichen Schlaganfall. Einzig und allein eine ganz leichte Überblähung der Lunge hatten er und sein Kollege, der den Sektionssaal bereits in Richtung Cafeteria verlassen hatte, um sich ein Frühstück zu gönnen, entdeckt – und auch die hätten sie beinahe übersehen. Alles deutete also auf eine zentrale Atemlähmung hin. Aber warum war diese eingetreten? Warum hatte der Tote keine Luft mehr bekommen?

Eine Vergiftung könnte dafür infrage kommen. Olfenbüttel dachte nach. Bei der äußeren Leichenschau waren ihm zwei Dinge aufgefallen, eigentlich winzige Kleinigkeiten: zum einen ein feiner Einstich auf der rechten Seite am Hals, zum anderen eine Wunde am rechten Zeigefinger. Der Stich hatte, wie sich später herausstellte, die Halsschlagader zwar nicht getroffen, aber eine leicht gerötete Schwellung direkt um die Einstichstelle herum legte nahe, dass eine Substanz injiziert worden sein könnte.

Aber welche?

Auf dem Gebiet der Toxikologie hatte Olfenbüttel nicht mehr als grundlegende Kenntnisse, er würde also auf die Ergebnisse seiner Kollegen aus der entsprechenden Abteilung warten müssen. Sicher war er sich nur in einem Punkt: Es gab unzählige Toxine mit tödlicher Wirkung und eine nicht unbeträchtliche Zahl von diesen ließ sich kaum nachweisen, und schon gar nicht, wenn man im Trüben stocherte und die Zeit davonlief, denn viele Substanzen waren schon nach kurzer Zeit im Körper nicht mehr nachweisbar.

Die Wunde vom Zeigefinger stammte von einem Biss, den sich der Tote selbst beigebracht hatte, da war sich Olfenbüttel sicher. Aus irgendeinem Grund, der sich dem Rechtsmediziner nicht erschloss, hatte Wenckermann sich kurz vor seinem Tod selbst den Finger blutig gebissen. Ein Krampf? Eine Panikreaktion? Die Form der Wunde passte recht gut zu den Schneide- und Eckzähnen auf der rechten Kieferseite des Opfers, außerdem hatte er an den Zähnen Blutspuren gefunden, die seine Theorie unterstützten.

Er zog ein verwaschenes, grünes Tuch über den nackten Körper und verließ den Sektionssaal. Den Assistenten überließ er es, den Leichnam wieder in eines der Kühlfächer zu legen, wo er verbleiben würde, bis die noch fehlenden Ergebnisse der Laboruntersuchungen vorlagen und er für die Bestattung freigegeben würde.

In seinem Büro stellte er sich für eine Weile an das weit geöffnete Fenster und genoss die kühle, frische Luft. Anschließend goss er sich einen Becher Tee aus seiner Thermoskanne ein und setzte sich daran, schon einmal den Obduktionsbericht vorzubereiten – solange es noch ruhig war. Er wunderte sich sowieso, dass im Moment so wenig zu tun war. Die Kühlfächer waren kaum belegt und so hatte die Leiche, die gestern am späten Abend aus Cuxhaven hergebracht worden war, nicht lange auf ihre Untersuchung warten müssen.

Am Bildschirm scrollte er durch die Unterlagen, die die Stader Staatsanwaltschaft ihm zu dem Vorgang geschickt hatte. Ausgehend vom ersten Eindruck, hatte der Notarzt vor Ort in Nordleda auf dem Totenschein ‚Todesart nicht aufgeklärt‘ angekreuzt und bei ‚Sektion erforderlich‘ ein weiteres Kreuzchen gesetzt. Zusätzlich hatte er die Worte ‚Fundort beachten‘ an den Rand geschrieben.

„Todesart: Atemlähmung“, murmelte Olfenbüttel. „Ursache dieser Atemlähmung: unbekannt.“

Er scrollte weiter. Über die üblichen Formulare hinaus entdeckte er jedoch nichts mehr, was ihm auch nur den leisesten Hinweis geben könnte, wonach er suchen müsste. Möglicherweise würde ein Telefonat mit dem Polizeibeamten helfen, der den Fall bearbeitete. Nur Sekunden später hatte er die Kontaktdaten gefunden: eine Hauptkommissarin Beckmann. Bislang hatte er sie noch nicht kennengelernt, was aber auch nicht weiter verwunderlich war, denn so häufig landeten Leichen aus Cuxhaven auch wieder nicht im Institut für Rechtsmedizin, und wenn doch, konnte ebenso gut ein Kollege zuständig gewesen sein.

Er griff nach dem Telefonhörer.

***

Tag 1, Vormittag, Cuxhaven / Lüdingworth

Beckmann parkte ihren Wagen in einer Parklücke an der Jacobistraße in Lüdingworth. Gestern Abend, direkt nachdem sie von Frau Wenckermann die Adresse erhalten hatte, hatte sie schon einmal hier gestanden, um mit Fenja Carlsen zu sprechen. Da sie niemanden angetroffen hatte, hatte sie sich vorgenommen, am nächsten Tag zurückzukehren, vielleicht sogar schon mit neuen und aufschlussreichen Informationen aus der Rechtsmedizin. Bislang hatte sich diese Hoffnung noch nicht erfüllt, und so stieg sie nun aus dem Auto aus, darauf hoffend, jemanden anzutreffen.

Ihr Handy klingelte.

Sie zog das Gerät hervor und warf einen Blick auf das Display. Die Nummer sagte ihr nichts, aber die Hamburger Vorwahl ließ sie auf die Rechtsmedizin hoffen. „Beckmann, Kripo Cuxhaven.“

„Moin Frau Beckmann“, erklang eine etwas kratzige, männliche Stimme. „Olfenbüttel aus der Rechtsmedizin im schönen Hamburg.“

„Cuxhaven ist schöner“, erwiderte sie forsch. „Was kann ich für Sie tun?“

„Dass es bei Ihnen schöner sein soll, lasse ich jetzt einfach mal so stehen. Wir haben Wichtigeres zu besprechen: Es geht um eine Leiche, die Sie uns aus Cuxhaven geschickt haben und die hier seit gestern bei uns auf dem Tisch liegt.“

„Magnus Wenckermann?“, fragte Beckmann.

„Ganz genau“, bestätigte Olfenbüttel und hüstelte dabei gekünstelt. „Ich hatte heute Morgen das Vergnügen, mir den Mann von innen anschauen zu dürfen. Dabei –“

Von innen anschauen? Vergnügen? Warum mussten Rechtsmediziner immer so einen schrägen Humor haben?, schoss es Beckmann durch den Kopf. „Was haben Sie gefunden?“

„Das ist das Problem. Wir haben schlicht nichts Eindeutiges gefunden. Weder etwas, das auf eine natürliche Todesursache hindeutet, noch etwas, das für einen unnatürlichen Tod spricht. Wie es derzeit scheint, ist unser Historikus an einer zentralen Atemlähmung verstorben. Es gibt nur einen klitzekleinen Hinweis, dass diese vielleicht über einen unnatürlichen Weg zustande gekommen sein könnte.“

Für Beckmanns Geschmack waren das zu viele Konjunktive und Minimalismen in einem Satz. „Über was für einen klitzekleinen Hinweis sprechen wir?“

„Wir haben eine sehr feine Einstichstelle linksseitig im Bereich der Vena jugularis externa, also der äußeren Drosselvene, gefunden.“

Beckmann richtete sich sofort auf. „Moment. Wollen Sie damit sagen, dass …“

„… ich mit der Möglichkeit liebäugele, Magnus Wenckermann könnte vergiftet worden sein? Genau das möchte ich damit sagen“, gab Olfenbüttel zurück. „Eine wirklich unschöne Art, das Zeitliche zu segnen.“

„Ich habe es auch schon vor einiger Zeit von meiner To-do-Liste gestrichen“, gab Beckmann zurück.

„Um Ihre nächste, noch nicht gestellte Frage vorab zu beantworten“, fuhr Olfenbüttel ungerührt fort, „wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht von einem Faktum sprechen, sondern höchstens von einer Theorie. Ein tödliches Toxin konnte noch nicht identifiziert werden, dazu ist es auch jetzt noch viel zu früh. Sie wissen sicherlich, dass dies so schnell nicht geht. Aber die Kollegen arbeiten daran.“

„Wie lange werden Sie benötigen, um hier einen höheren Grad von Gewissheit zu erreichen?“

„Haben Sie eine Ahnung, wie viele Giftstoffe es gibt, mit denen man einen Menschen umbringen kann?“, antwortete der Rechtsmediziner mit einer Gegenfrage, die er sogleich selbst beantwortete. „Unzählige, in ebenso vielen Stoffklassen. Viele davon sind sehr schwer nachzuweisen, manche überhaupt nicht. Manchmal gelingt der Nachweis mit Glück, weil es einen Hinweis aus dem Umfeld gibt. Die Lehrbuchklassiker Zyankali, Arsen oder Polonium-210 können wir mit Sicherheit ausschließen.“

„Ich verstehe“, sagte Beckmann. „Haben Sie dennoch irgendeine Idee, um welches Gift es sich handeln könnte?“

„Nein. Und Spekulationen sind mir ein Graus“, schoss der Rechtsmediziner sofort zurück. „Deshalb rufe ich Sie ja an. Ist Ihnen am Fundort der Leiche irgendetwas aufgefallen, dass mit einer Vergiftung in Verbindung gebracht werden könnte? Eine Kanüle mit oder ohne Spritze? Eine Phiole, ein Glasfläschchen? Eine Pflanze vielleicht, sollten Sie sich auf diesem Gebiet ein wenig auskennen?“

Beckmann dachte nach. „Nein, da war nichts. Aber ich werde sicherheitshalber noch einmal bei der Tatortgruppe nachfragen, ob man später, nachdem ich bereits gegangen war, um der Familie die schlechte Nachricht zu überbringen, noch etwas Verdächtiges gefunden hat.“

„In der Wohnung des Toten? Gab es dort etwas Ungewöhnliches?“, stellte Olfenbüttel die nächste Frage.

Abermals sortierte Beckmann ihre Gedanken und Erinnerungen an den Besuch bei der Witwe Wenckermann. „Direkt ins Auge gesprungen ist mir nichts“, sagte sie. „Bilder, alte Bücher, viel Staub. Nur Dinge, die man im Arbeitszimmer eines Historikers erwarten würde.“

„Sie bedienen gerade Klischees“, entgegnete Olfenbüttel. „In der Wohnung eines Rechtsmediziners liegen auch keine abgehackten Gliedmaßen und blutigen Gewebeproben herum.“