Cosmosapiens - John Hands - E-Book

Cosmosapiens E-Book

John Hands

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Beschreibung

Ein grundlegendes Werk mit dem Zeug zum Klassiker

Was stand am Anfang unserer Welt? Woher kommt die Materie, die Energie, aus der sich alles entwickelte? Und wann begannen wir, darüber nachzudenken? John Hands fängt ganz von vorne an und zeigt die Grenzen unseres Wissens. Er greift aktuelle Diskussionen der Evolutionsbiologie und Neurogenetik auf, hinterfragt Konzepte wie kosmische Inflation, dunkle Energie und egoistische Gene. Spannend und klar verfolgt er die Entstehung des Lebens und die Entwicklung unseres Bewusstseins zurück, beschäftigt sich mit Sprache, Moral, Glauben und Religion. Er betrachtet den Menschen als soziales Wesen und deckt dabei Muster auf, die uns befähigen, die Zukunft der Evolution zu beeinflussen.

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Seitenzahl: 1320

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»John Hands hat das Unmögliche versucht: Sein Buch beschreibt auf 700 Seiten den aktuellen Stand des naturwissenschaftlichen Wissens über den Ursprung von allem, von Materie, Leben und Menschheit; es ist dazu ein kühner Versuch, die Grenzen des Wissens auszuloten … Dieses Buch will mehr und greift weiter aus als die meisten populären Sachbücher, eher ist es das Werk eines Universalgenies … Eine unschätzbare enzyklopädische Leistung.«

— The Times Literary Supplement, Book of the Year

»Lange haben wir auf ein solches Werk gewartet, das sich mit dem Homo sapiens im Hinblick auf das gesamte Universum befasst … Cosmosapiens punktet hier hoch … Das Buch hat es in sich und wird seine Leser nicht enttäuschen.«

— San Francisco Book Review

»Geschrieben in der Freiheit des Außenseiters, mit wissenschaftstheoretischer Haltung. Hands universale Arbeit wird vor allem diejenigen begeistern, die sich dafür interessieren, inwieweit Wissenschaftler wirklich wissen, was sie vorgeben zu wissen.«

— Booklist

»Hands nimmt an, dass Geist und Materie sich gemeinsam entwickelten […] Spannend, die Hegelschen Ideen nun – im Zeitalter des Quantenuniversums – wieder zu hören.«

— The Telegraph, Best Science Books

»Mutig, ambitioniert, philosophisch. Für alle, die wissen wollen, wer wir sind und wo wir herkommen.«

— Publishers Weekly

»Oft braucht es einen Außenstehenden, um die Grenzen der traditionellen Wissenschaft zu erkennen. Was die Entwicklungsgeschichte des Menschen angeht, hat John Hands Bemerkenswertes geleistet. Er hat viele Themen, die längst eine Neuinterpretation nötig hatten, klar dargestellt. Ein Riesenverdienst.«

— James Shapiro, Autor von Evolution. A View from the 21st Century

»Ein wagemutiges und hervorragendes Buch. John Hands nimmt die wichtigsten Fragen der Naturwissenschaften vom Entstehen des Universums bis zur Entwicklung der Menschheit in Angriff. Das Buch ist fesselnd geschrieben und schwierige naturwissenschaftliche Ansichten auf den Gebieten der Physik und der Biologie sind verständlich erklärt.«

— Larry Steinman, Professor of Neurological Sciences, Stanford University

John Hands gibt einen klaren Überblick darüber, was die Wissenschaft belegen kann und was nicht. Ein wirklich außergewöhnliches Werk.

— Tim Crane, Knightsbridge Professor of Philosophy, University of Cambridge

Wer sind wir? Warum sind wir auf der Erde? Was kann uns die Wissenschaft zu diesen Fragen sagen?

John Hands begann sich mit den großen Rätseln des Lebens zu beschäftigen, als sich sein eigenes dramatisch veränderte. Der Krebstod seiner Frau lenkte sein Denken auf neue Bahnen. Und er wollte wissen: Wozu das Ganze? Zehn Jahre widmete er der Recherche für dieses Buch. Der Chemiker traf Experten aus allen Bereichen der Naturwissenschaften, um zu erfahren, wie diese – im Gegensatz zu Religion und Philosophie – die fundamentalen Fragen beantworten. Selbst nicht hauptberuflich in der Forschung tätig, steht er den verschiedenen Theorien unvoreingenommen gegenüber und evaluiert objektiv, was Fakt ist und was Spekulation. Mit Leidenschaft und investigativem Gespür vermittelt er dem interessierten Leser seine Erkenntnisse, klar und allgemein verständlich.

Hands hat an der Open University London Physik und Management unterrichtet und war Royal Literary Fund Fellow am University College London. Außerdem ist er Gründer einer staatlichen Organisation für sozialen Wohnungsbau in England und Autor dreier Romane, die in acht Sprachen übersetzt wurden.

JOHN HANDS

COSMOSAPIENS

Die Naturgeschichte des Menschen von der Entstehung des Universums bis heute

Aus dem Englischen von Helmut Reuter

KNAUS

Das Original erschien 2015 unter dem Titel »COSMOSAPIENS. Human Evolution from the Origin of the Universe« bei Duckworth Overlook, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage Copyright der Originalausgabe © 2015 John Hands Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2017 Albrecht Knaus Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Redaktion: Christof Blome Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München Umschlagabbildung: © shutterstock/Glebova Natalia Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-20227-9V003www.knaus-verlag.de

Inhalt

Kapitel 1 Die Suche

Teil 1 Entstehung und Evolution der Materie

Kapitel 2 Ursprungsmythen

Grundmotive

Erklärungen

Überprüfung auf Belegbarkeit und Vernünftigkeit

Gründe für die Beständigkeit

Der Einfluss auf das wissenschaftliche Denken

Kapitel 3 Die Entstehung der Materie: Die herrschende Lehre in der Wissenschaft

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts

Die aktuelle Theorie: Der Big Bang

Probleme mit der Big-Bang-Theorie

Lösung durch die Inflationstheorie

Wie stichhaltig ist die inflatorische Big-Bang-Theorie?

Folgerungen

Kapitel 4 Was die herrschende Lehre nicht erklären kann

Singularität

Das beobachtete Verhältnis von Materie zu Strahlung

Dunkle Materie und Omega

Dunkle Energie

Die Feinabstimmung kosmologischer Parameter

Erschaffung aus dem Nichts

Folgerungen

Kapitel 5 Weitere kosmologische Mutmaßungen

Grenzenloses Universum nach Hartle-Hawking

Ewige chaotische Inflation

Veränderliche Lichtgeschwindigkeit

Ein zyklisch pulsierendes Universum

Natürliche Selektion von Universen

Schleifenquantengravitation

Kosmologie des Quasi-Steady-State

Plasma-Kosmologie

Quintessenz

Zyklisch-ekpyrotisches Universum*40

Die Landschaft der Möglichkeiten in der Stringtheorie

Probleme mit der Stringtheorie

Definitionen für das Universum

Folgerungen

Kapitel 6 Probleme der Kosmologie als Erklärungsinstrument

Praktische Schwierigkeiten

Dateninterpretation

Unzureichende Theorie

Immanente Beschränkungen der Wissenschaft

Folgerungen

Kapitel 7 Wie plausibel sind kosmologische Mutmaßungen?

Die Reichweite kosmologischer Mutmaßungen

Kapitel 8 Die Evolution der Materie in großem Maßstab

Die grundlegenden Naturkräfte

Die herrschende Lehre in der Kosmologie über die Evolution der Materie

Die Struktur des Universums

Die Ursache für die Struktur des Universums

Fortdauernde Evolution?

Folgerungen

Kapitel 9 Die Evolution der Materie in kleinem Maßstab

Die Evolution der Atomkerne der Elemente

Die Bildung von Atomen

Die Evolution der Atome

Moleküle im Weltall

Folgerungen

Kapitel 10 Muster in der Evolution der Materie

Übereinstimmung mit den bekannten wissenschaftlichen Gesetzen

Widersprüche im Prinzip der zunehmenden Entropie

Kapitel 11 Überlegungen und Folgerungen zur Entstehung und Evolution der Materie

Überlegungen

Folgerungen

Teil 2 Die Entstehung und Evolution des Lebens

Kapitel 12 Ein für das Leben geeigneter Planet

Notwendige Voraussetzungen für bekannte Lebensformen

Die Entstehung der Erde und ihrer Biosphäre

Kapitel 13 Das Leben

Leben im Verständnis der Antike

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Erklärung für das Leben

Angebliche Aussöhnungen zwischen alten Erkenntnissen und moderner Wissenschaft

Die Reaktion der herrschenden wissenschaftlichen Lehre

Der herrschende wissenschaftliche Erklärungsansatz für das Leben

Behauptete Merkmale des Lebendigen

Definitionen von Leben

Arbeitsdefinition für Leben

Folgerungen

Kapitel 14 Die Entstehung des Lebens I: Wissenschaftliche Belege

Direkte Belege

Indirekte Belege

Größe, Komplexität, Struktur und Funktionsweise der einfachsten Zelle

Folgerungen

Kapitel 15 Die Entstehung des Lebens II: Hypothesen

Kapitel 16 Die Entwicklung wissenschaftlicher Ideen über die biologische Evolution

Präevolutionäre Ideen

Die Entwicklung der Vorstellungen von einer Evolution

Wallace

Charles Darwin

Orthogenese

Kropotkin und die wechselseitige Unterstützung

Symbiogenese

Mendel und die Vererbung

Neodarwinismus

Molekularbiologie

Grundsätze der herrschenden Lehre in der Biologie

Folgen des aktuellen Paradigmas

Kapitel 17 Belege für die biologische Evolution I: Fossilien

Art (Spezies)

Kapitel 18 Belege für die biologische Evolution II: Analysen lebender Arten

Homologe Strukturen

Rudimentäre Körperteile

Biogeographie

Embryologie und Entwicklung

Veränderungen bei Arten

Biochemie

Genetik

Genomik

Folgerungen

Kapitel 19 Belege für die biologische Evolution III: Das Verhalten lebender Arten

Einzeller

Mehrzeller

Gene

Pflanzen

Insekten

Kapitel 20 Die Abstammung des Menschen

Phylogenetische Bäume

Taxonomie der menschlichen Abstammungslinie

Kapitel 21 Ursachen der biologischen Evolution: Die aktuell herrschende Lehre

Das derzeitige Paradigma

Was die herrschende neodarwinistische Lehre nicht erklären kann

Kapitel 22 Ergänzende und konkurrierende Hypothesen I: Zunehmende Komplexität

Intelligent Design

Punktualismus (unterbrochenes oder punktiertes Gleichgewicht))

Plötzliche Ursprünge

Stabilisierende Selektion

Theorie der Neutralität

Verdoppelung des gesamten Genoms

Epigenetik

Tiefe Homologie und Parallelevolution

Evolutionäre Konvergenz

Emergenztheorie

Selbstorganisierende Komplexität

Gesetze der Genom-Evolution

Natürliche Genmanipulation

Systembiologie

Die Gaia-Hypothese

Formgebende Verursachung

Kapitel 23 Ergänzende und konkurrierende Hypothesen II: Zusammenarbeit

Soziobiologie

Zusammenarbeit

Kapitel 24 Die Evolution von Bewusstsein

Die Evolution des Verhaltens

Kapitel 25 Die Entstehung und Evolution des Lebens: Überlegungen und Folgerungen

Überlegungen

Folgerungen

Teil 3 Die Entstehung und Evolution des Menschen

Kapitel 26 Die Entstehung des Menschen

Was ist ein Mensch?

Vorläufer des Menschen

Früheste Anzeichen für den Homo sapiens

Vollendung der Menschwerdung

Erklärende Hypothesen

Vorgeschlagene Ursachen für die Entstehung des Menschen

Folgerungen

Kapitel 27 Die Evolution des Menschen I: Ursprüngliches Denken

Wie der Mensch sich entwickelt hat

Die Evolution ursprünglichen Denkens

Folgerungen

Kapitel 28 Die Evolution des Menschen II: Philosophisches Denken

Die Entstehung des philosophischen Denkens

Die Evolution philosophischen Denkens

Verzweigungen des philosophischen Denkens

Überblick über die noetische Evolution

Folgerungen

Kapitel 29 Die Evolution des Menschen III: Wissenschaftliches Denken

Die Entstehung wissenschaftlichen Denkens

Die Evolution wissenschaftlichen Denkens

Kapitel 30 Die Einzigartigkeit des Menschen

Die herrschende Lehre

Verhaltensweisen, die allein dem Menschen zu eigen sind

Kapitel 31 Folgerungen und Überlegungen zur Entstehung und Evolution des Menschen

Folgerungen

Überlegungen

Teil 4 Ein kosmischer Prozess

Kapitel 32 Grenzen der Wissenschaft

Beschränkungen innerhalb des Bereichs der Wissenschaft

Grenzen des Bereichs der Wissenschaft

Eine weitere mögliche Beschränkung

Kapitel 33 Überlegungen und Folgerungen zur Evolution des Menschen als kosmischem Prozess

Überlegungen

Folgerungen

Dank

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Glossar

Abbildungsverzeichnis

Register

In liebendem Angedenken an meine Frau Paddy Valerie Hands

KAPITEL 1DIE SUCHE

… wenn wir jedoch eine vollständige Theorie entdecken, dürfte sie nach einer gewissen Zeit in ihren Grundzügen für jedermann verständlich sein, nicht nur für eine Handvoll Spezialisten. Dann werden wir uns alle – Philosophen, Naturwissenschaftler und Laien – mit der Frage auseinandersetzen können, warum es uns und das Universum gibt. Wenn wir die Antwort auf diese Frage fänden, wäre das der endgültige Triumph der menschlichen Vernunft – denn dann würden wir Gottes Plan kennen.

Stephen Hawking, 1988

Denn erst wenn wir genügend gesicherte Erkenntnisse vereint haben, werden wir verstehen, wer wir sind und warum es uns gibt.

Edward O. Wilson, 2000

Was sind wir? Und warum sind wir hier? Diese Fragen schlagen die Menschen seit mindestens 25 000 Jahren in ihren Bann. Während des größten Teils dieser Zeit haben wir die Antwort im Glauben an übernatürliche Kräfte gesucht. Vor etwa 3000 Jahren begannen wir, die Antwort mithilfe der Philosophie zu suchen. Vor gerade mal 150 Jahren markierte Charles Darwins Die Entstehung der Arten einen vollkommen anderen Ansatz. Indem er die empirische Methode der Naturwissenschaften anwandte, gelangte er zu der Auffassung, wir seien das Ergebnis der biologischen Evolution. Vor ungefähr 50 Jahren wurde in der Kosmologie die Theorie entwickelt, dass Materie und Energie, aus denen wir letztlich bestehen, aus einem Big Bang oder Urknall hervorgegangen sind, durch den das Universum entstanden ist. Und vor etwa 30 Jahren begannen die Neurowissenschaften nachzuweisen, dass alles, was wir sehen, hören, fühlen und denken, mit der Aktivität von Neuronen in verschiedenen Teilen unseres Gehirns zusammenhängt.

Diese überragenden Errungenschaften der Naturwissenschaft wurden durch Fortschritte der Technologie ermöglicht, die für ein exponentielles Anwachsen der Daten sorgten. Das wiederum förderte die Verzweigung der Wissenschaft in immer engere und tiefer gehende Forschungsgebiete. In letzter Zeit hat niemand die Untersuchung seines speziellen Blattes an einem einzelnen Zweig ruhen lassen, um einen Schritt zurückzutreten und zu schauen, welches Bild uns der gesamte evolutionäre Baum davon vermittelt, was wir sind, woher wir kamen und warum wir existieren.

Mit diesem Buch versuche ich genau das. Ich möchte herausfinden, welche durch systematische Beobachtungen oder Experimente abgesicherten Aussagen die Naturwissenschaft darüber machen kann, warum wir entstanden sind, wie wir uns vom Ursprung des Universums an entwickelt haben und ob wir uns unserem Wesen nach von allen anderen Tieren unterscheiden.

Dieser Fragestellung gehe ich in vier Teilen nach. In Teil 1 untersuche ich, welche Erklärungen die Naturwissenschaft für die Entstehung und Evolution von Materie und Energie anbietet; in Teil 2 setze ich mich entsprechend mit der Entstehung und Evolution von Leben auseinander, weil wir lebende Materie sind, in Teil 3 mit der Entstehung und Evolution des Menschen. In Teil 4 werde ich prüfen, ob in den wissenschaftlichen Belegen irgendwelche durchgängigen Muster vorhanden sind, die es erlauben, übergreifende Schlüsse zu ziehen.

In jedem Teil werde ich die zentrale Frage »Was sind wir?« in die Teilfragen zerlegen, die von den einschlägigen Fachgebieten untersucht werden. Anhand der wissenschaftlich anerkannten Veröffentlichungen jedes Gebiets versuche ich Antworten zu finden, die sich nicht aus Spekulationen oder Glaubensüberzeugungen ableiten, sondern empirisch belegt sind, und prüfe, ob sich in den Befunden ein Muster erkennen lässt, das weitergehende Schlussfolgerungen erlaubt. Nur wenn auf diese Weise keine zufriedenstellenden Erklärungen zu finden sind, werde ich abwägen, wie plausibel Hypothesen, Vermutungen und andere mögliche Wege zur Erkenntnis (wie intuitives Verstehen) sind.

Anschließend bitte ich Experten auf dem jeweiligen Gebiet (sie sind in der Danksagung aufgeführt), meine vorläufigen Ergebnisse auf sachliche Fehler, Lücken oder nicht nachvollziehbare Schlussfolgerungen zu prüfen.

Am Ende jedes Kapitels liste ich alle Schlussfolgerungen auf, damit Leser, die irgendeinen der eher fachspezifischen Abschnitte überspringen wollen, ersehen können, zu welchen Erkenntnissen ich gelangt bin.

Die Frage, was wir sind, hat mich seit Beginn meines naturwissenschaftlichen Studiums gefesselt. Abgesehen davon, dass ich Ko-Autor zweier Forschungsstudien war, ein Buch auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften veröffentlicht habe und vier Jahre lang als Physik-Tutor in Teilzeit an der Open University beschäftigt war, bin ich nie als Wissenschaftler tätig gewesen und in diesem Sinn nicht für mein Vorhaben qualifiziert. Andererseits verfügen heutzutage nur wenige Forscher über das relevante Wissen außerhalb ihres Fachgebiets.

Wahrscheinlich werden viele dieser Experten den Eindruck haben, ich hätte ihr Gebiet nicht ausführlich genug dargestellt. In diesem Fall bekenne ich mich im Vorhinein schuldig. Ich habe mich bemüht, ein Buch zu schreiben, keine Bibliothek, und das erfordert zwangsläufig Verkürzungen, wenn man ein Gesamtbild der menschlichen Evolution herausarbeiten will – ein Bild davon, was wir sind und warum wir hier sind.

Trotz aller Bemühungen, Fehler zu korrigieren, dürften sich bei einer solchen Unternehmung einige Details als fehlerhaft erweisen, wofür ich die volle Verantwortung übernehme. Womöglich wird manches auch durch neue Forschungsergebnisse zwischen Schreiben und Veröffentlichung überholt sein, aber die Wissenschaft macht nun einmal – anders als der Glaube – Fortschritte. Ich hoffe jedoch, dass das Buch einen übergeordneten Rahmen bereitstellt, den andere verbessern und als Basis für weitere Arbeiten nutzen können.

Eine Mehrheit der Weltbevölkerung akzeptiert allerdings nicht, dass wir das Ergebnis eines evolutionären Prozesses sind. Sie glaubt an verschiedene Mythen, die unsere Ursprünge erklären sollen. Deshalb beginne ich mit einem Kapitel darüber, was diese Mythen ausmacht, warum sie sich auch fast 500 Jahre nach dem Beginn der wissenschaftlichen Revolution noch halten, und ob sie das naturwissenschaftliche Denken beeinflusst haben.

Viele Meinungsverschiedenheiten ergeben sich daraus, dass verschiedene Menschen dasselbe Wort in unterschiedlichen Bedeutungen verwenden. Bedeutungen wandeln sich mit der Zeit und sind je nach kulturellem Kontext verschieden. Um Missverständnisse möglichst gering zu halten, werde ich die von mir gemeinte Bedeutung jedes wichtigen und potenziell zweideutigen Wortes definieren, wenn ich es das erste Mal verwende. Außerdem findet sich am Ende des Buches ein Glossar mit solchen Begriffen, das zudem die Definitionen unvermeidbarer Fachausdrücke enthält.

Das erste Wort, das nach einer Definition verlangt, ist »Wissenschaft«. Es ist von »Wissen« abgeleitet. Man kann verschiedene Arten von Wissen auf unterschiedlichen Wegen erwerben oder schlicht behaupten, darüber zu verfügen. Ungefähr vom 16. Jahrhundert an stand der Begriff zunehmend für das Wissen von der – unbelebten und belebten – Natur, das durch Beobachtung und Experiment erlangt wird; damit unterschied es sich von Wissen, das allein durch Nachdenken, intuitives Verständnis oder Offenbarung zustande kommt. Folglich muss eine Definition der (Natur-)Wissenschaft*1 die Methoden berücksichtigen, mit denen ihr Wissen gewonnen wird. Unser derzeitiges Verständnis von Wissenschaft ließe sich folgendermaßen zusammenfassen:

Wissenschaft — Der Versuch, Naturphänomene mithilfe systematischer, vorzugsweise messbarer Beobachtungen oder Experimente zu verstehen und zu erklären, und aus den so gewonnenen Ergebnissen durch die Anwendung logischer Überlegungen überprüfbare Gesetze abzuleiten und Vorhersagen oder Retrodiktionen zu machen.

Retrodiktion — Ein Befund aus der Vergangenheit, der sich aus später entwickelten wissenschaftlichen Gesetzen oder Theorien ableiten oder mit ihrer Hilfe vorausberechnen lässt.

Die Wissenschaft zielt darauf ab, ein Gesetz oder eine allgemeine Theorie zu formulieren, die das unveränderliche Verhalten eines Systems von Erscheinungen erklärt. Ein Gesetz oder eine Theorie dieser Art verwenden wir, indem wir es auf konkrete Phänomene innerhalb des Systems anwenden, um künftige Ereignisse vorherzusagen. So können wir innerhalb des Systems bewegter Objekte mithilfe von Newtons Bewegungsgesetzen vorhersagen, was passiert, wenn wir eine bestimmte Rakete unter bestimmten Bedingungen abfeuern.

Die Wissenschaft kann uns auch über Ergebnisse in der Vergangenheit informieren. Mit einer solchen Retrodiktion können wir beispielsweise aus der Theorie der Plattentektonik ableiten, dass ähnliche Fossilien aus der Zeit vor dem Auseinanderbrechen des Superkontinents Pangäa vor etwa 200 Millionen Jahren sowohl an der östlichen Küstenlinie Südamerikas als auch an der gegenüberliegenden westlichen Küstenlinie Südafrikas zu finden sein werden.

Vom 18. Jahrhundert an wurde die Untersuchung von Naturphänomenen auf Menschen und ihre sozialen Beziehungen ausgedehnt. Die Anwendung der wissenschaftlichen Methode auf diesem Gebiet führte im 19. Jahrhundert zur Herausbildung der Sozial- und Geisteswissenschaften, ein Oberbegriff, der Disziplinen wie Archäologie, Anthropologie, Soziologie, Psychologie, Politische Wissenschaft und sogar Geschichte abdeckt. Wichtige Erkenntnisse dieser Disziplinen werde ich in Teil 3 abhandeln.

Einige bezeichnen Mathematik als Naturwissenschaft, doch ihr Forschungsgebiet erstreckt sich weit über Naturphänomene hinaus, und ihre Theorien können nicht empirisch überprüft werden. Im Rahmen dieser Untersuchung halte ich es für besser, Mathematik als eine Sprache einzustufen, in der einige Aspekte der Naturwissenschaften und speziell deren Gesetze ausgedrückt werden können.

In der Wissenschaft hat »Theorie« eine speziellere Bedeutung als im allgemeinen Sprachgebrauch, doch selbst in der Wissenschaft benutzt man die Begriffe »Theorie« und »Hypothese« oft recht frei. Daher ist es hilfreich, zwischen den beiden zu unterscheiden.

Hypothese — Eine vorläufige Theorie, die man aufstellt, um ein Phänomen oder eine Gruppe von Phänomenen zu erklären; man nutzt sie als Basis für weitere Untersuchungen. Gewöhnlich entwickelt man sie entweder durch intuitives Verstehen oder durch induktives Denken, nachdem man unvollständige Belege untersucht hat. Es muss möglich sein, sie zu falsifizieren.

Das Kriterium der Falsifizierbarkeit wurde von dem Wissenschaftsphilosophen Karl Popper aufgestellt. In der Praxis dürfte es nicht immer einfach umzusetzen sein, doch die meisten Wissenschaftler akzeptieren zumindest das Prinzip, dass eine wissenschaftliche Hypothese im Unterschied zu einer Mutmaßung oder Glaubensüberzeugung empirischen Tests unterzogen werden muss, durch die sie falsifiziert werden kann.

Theorie — Eine Erklärung für eine Gruppe von Phänomenen, die durch eine Reihe unabhängiger Experimente oder Beobachtungen bestätigt wurde und dazu verwendet wird, genaue Vorhersagen oder Retrodiktionen über solche Phänomene zu machen.

Je größer die Bandbreite der erklärten Phänomene ist, desto nützlicher ist eine wissenschaftliche Theorie. Da sich die Wissenschaft durch die Entdeckung neuer Fakten und die Anwendung neuer Denkweisen weiterentwickelt, kann eine wissenschaftliche Theorie zwar infolge widersprechender Tatsachen abgewandelt oder widerlegt werden, doch absolut beweisen lässt sie sich nie. Manche wissenschaftlichen Theorien sind aber allgemein als gut abgesichert anerkannt. So hat man beispielsweise die Theorie widerlegt, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums ist und die Sonne und andere Sterne um sie kreisen, wohingegen die Theorie, dass die Erde die Sonne umkreist, durch so viele Beobachtungen und präzise Vorhersagen bestätigt wurde, dass sie als gesicherte Tatsache gilt. Doch selbst das muss nicht immer so bleiben. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es in etwa fünf Milliarden Jahren nicht mehr zutrifft: Dann wird sich die Sonne den meisten Berechnungen zufolge in einen Roten Riesen verwandeln, der sich so weit ausdehnt, dass er die Erde schließlich umschließt und verbrennen lässt.

Jede Untersuchung wird durch vorher vorhandene Überzeugungen stark beeinflusst. Ich wurde als Katholik geboren und erzogen, entwickelte mich zum Atheisten und bin inzwischen Agnostiker. Ich gehe also nicht von theistischen, deistischen oder materialistischen Vorstellungen aus. Im Grunde weiß ich es einfach nicht. Und nicht zuletzt das macht es so spannend, auf Entdeckungsreise zu gehen und anhand des wissenschaftlich Nachgewiesenen Antworten auf die Frage zu suchen, was wir sind und vielleicht sein werden. Ich lade Leser mit offenem Geist ein, sich mir bei dieser Suche anzuschließen.

TEIL 1ENTSTEHUNG UND EVOLUTION DER MATERIE

KAPITEL 2URSPRUNGSMYTHEN

Ich möchte wissen, wie Gott diese Welt erschaffen hat.

Albert Einstein, 1955

Also ist ohne Zweifel die Welt nicht in der Zeit, sondern zugleich mit der Zeit erschaffen worden.

St. Augustinus von Hippo, 417

Seit dem 11. Februar 2003*2 lautet die gewöhnlich als Tatsache dargestellte Lehrmeinung der Wissenschaft, dass das Universum einschließlich Raum und Zeit, Materie und Energie vor 13,7 Milliarden Jahren mit einer Explosion zu existieren begann. Zunächst ein punktförmiger Feuerball von unendlicher Dichte und unglaublich hoher Temperatur, dehnte es sich aus und kühlte ab, bis es schließlich die Gestalt angenommen hatte, die wir heute erblicken. Das sei der Big Bang, aus dem wir hervorgegangen sind.

Bevor ich mich damit befasse, ob die Wissenschaft unsere Evolution aus dem Ursprung von Materie und Energie erklären kann, möchte ich kurz auf die Ursprungsmythen eingehen, an die eine große Mehrheit der Weltbevölkerung glaubt. Es ist aufschlussreich, die Grundideen der verschiedenen Mythen sowie die vielfältigen Erklärungen zu untersuchen, welche die Sozialwissenschaften für sie gefunden haben, und zu sehen, wie weit diese Erklärungen einer empirischen Überprüfung oder Vernunftkriterien standhalten, warum die Mythen bestehen blieben und in welchem Umfang sie das wissenschaftliche Denken beeinflusst haben.

Grundmotive

In allen Kulturen der überlieferten Geschichte gibt es eine oder mehrere Erzählungen darüber, wie das Universum und wir Menschen entstanden sind. Verstehen zu wollen, woher wir kommen, ist Teil eines im Menschen angelegten Wunsches zu verstehen, was wir sind. Der Rigveda als ältester heiliger Text der Welt und wichtigste Schrift dessen, was heute als Hinduismus bezeichnet wird, enthält in seinem zehnten Buch der Hymnen an die Götter drei solcher Mythen. Die Brahmana – Texte – der zweite, weitgehend Ritualen gewidmete Teil jeder Veda – bieten andere, während die meisten der Upanishaden – Berichte über die mystischen Eingebungen von Sehern, die traditionell ans Ende der Veden*3 angehängt sind – lediglich ein einziges Verständnis der Ursprünge des Universums auf unterschiedliche Weise ausdrücken. 1 Jüdisch-christliche und islamische Kulturen stimmen in ihren Schöpfungserklärungen weitgehend überein, andere Kulturen besitzen ihre jeweils eigenen. In China gibt es mindestens vier Ursprungsmythen, die in mehreren Versionen vorliegen. Auch wenn jeder Mythos anders ist, 2 tauchen neun Grundmotive immer wieder auf; einige davon überlappen sich.

Urchaos oder Urgewässer

Viele Mythen berichten von einem präexistenten Chaos, das oft als Wasser versinnbildlicht wird; aus diesem geht ein Gott hervor, der die Welt oder Teile davon erschafft. Als die Pelasger um 3500 v. Chr. von Kleinasien her auf die griechische Halbinsel zogen, brachten sie die Geschichte der Schöpfergöttin Eurynome mit, die nackt dem Chaos entsprungen ist. 3 Die Mythen von Heliopolis in Ägypten aus dem vierten Jahrtausend v. Chr. sprechen von Nu, der Urflut, aus der Atum auftauchte; dieser masturbierte, und aus seinem Sperma wurde die Welt. Um 2400 v. Chr. wurde Atum mit dem Sonnengott Re (auch als Ra bekannt) gleichgesetzt, und sein Erscheinen brachte man mit der aufgehenden Sonne und der Vertreibung der chaotischen Finsternis in Zusammenhang.

Erdtaucher

In Sibirien, Asien und bei manchen Stämmen der amerikanischen Ureinwohner sind Mythen von einem Urtier – oft eine Schildkröte oder ein Vogel – verbreitet, das in die Urgewässer taucht und ein Stück Land zutage fördert, das sich später zur Welt erweitert.

Das Weltenei

In Teilen Indiens, Asiens, Europas und im pazifischen Raum gilt ein Ei als Ursprung der Schöpfung. Dem Shatapatha-Brahmana zufolge haben die Urgewässer den Schöpfergott Prajapati in Form eines goldenen Eis hervorgebracht. Nach einem Jahr sprengt er die Schale und versucht zu sprechen. Sein erstes Wort wird zur Erde, sein zweites zur Luft und so weiter. Eine Version des chinesischen Pangu-Mythos beginnt mit einem großen kosmischen Ei, in dem Pangu als Embryo im Chaos treibt. Im orphischen Schöpfungsmythos des griechischen Altertums, der aus dem siebten oder sechsten Jahrhundert v. Chr. stammt und sich von den olympischen Mythen Homers abhebt, erschafft die Zeit das silberne kosmische Ei, aus dem der zweigeschlechtliche Phanes-Dionysos schlüpft, der in sich die Samen aller Götter und aller Männer trägt und Himmel und Erde erschafft.

Welteltern

In einem weitverbreiteten Motiv zeugt der Weltenvater – gewöhnlich der Himmel – mit der Weltenmutter – gewöhnlich die Erde – die Elemente der Welt. Oft bleiben die Eltern in leidenschaftlicher Umklammerung liegen und verhalten sich ihren Kindern gegenüber gleichgültig, etwa in einem Schöpfungsmythos der Maori.

Rebellion der Kinder

In mehreren Mythen erhebt sich der Nachwuchs gegen die Welteneltern. Die Kinder im Mythos der Maori – Wälder, Nahrungspflanzen, Ozeane und Menschen – kämpfen mit ihren Eltern um Raum. Der wohl bekannteste Mythos dieser Art ist die Theogonie des Griechen Hesiod aus dem achten Jahrhundert v. Chr. Darin zeichnet er die Rebellion aufeinanderfolgender Generationen von Göttern gegen ihre Eltern nach – die ersten von ihnen waren Chaos, Gaia (die Erde), Tartaros (die Unterwelt) und Eros (die Liebe); am Ende steht der Triumph des Zeus.

Opfer

Oft findet sich die Vorstellung einer Schöpfung durch eine Opfergabe. Im chinesischen Pangu-Mythos heißt es: »Die Welt war erst fertig, als Pangu starb. Denn nur sein Tod konnte das Universum vervollkommnen. Aus seinem Schädel wurde die Himmelskuppel gebildet, aus seinem Fleisch der Humus der Äcker … Und aus dem Ungeziefer, das seinen Körper bedeckte, entstand die Menschheit.« 4

Urschlacht

Das große babylonische Epos Enuma Elisch schildert den Krieg zwischen den sumerischen Göttern und dem babylonischen Stadtgott Marduk und dessen Gefolgschaft. Marduk tötet die überlebende Urgöttin Tiamat und ihre Chaosmonster, schafft Ordnung und wird zum höchsten, universellen Schöpfergott: Die gesamte Natur mitsamt den Menschen verdankt ihm ihre Existenz. Ähnliche Mythen treten überall auf der Welt in Erscheinung, so etwa wenn auf dem Olymp die männlichen Himmelsgötter der eindringenden Arier über die fruchtbaren Erdgöttinnen der Pelasger und Kreter siegen.

Schöpfung aus dem Nichts

Nur wenige Mythen enthalten das Motiv einer Schöpfung aus dem Nichts. Doch der entsprechende Glaube gehört nicht nur zu denen, die am weitesten verbreitet sind, sondern stimmt auch mit der derzeit favorisierten wissenschaftliche Erklärung überein.

Die älteste Version des Motivs findet sich im Rigveda. Dessen Datierung durch Max Müller im 19. Jahrhundert wird durch jüngste archäo-astronomische Untersuchungen in Frage gestellt – sie stützen die indische Überlieferung; demnach wurde der Rigveda von etwa 4000 v. Chr. an über einen Zeitraum von 2000 Jahren zusammengetragen. 5 Im zehnten und letzten Buch steht in der Hymne 129: »Weder Nichtsein noch Sein war damals; nicht war der Luftraum noch der Himmel darüber […] Es atmete nach seinem Eigengesetz ohne Windzug dieses Eine. Irgendein Anderes als dieses war weiter nicht vorhanden.«

Dieser Gedanke wird in den Upanishaden weiterentwickelt, deren wichtigste wahrscheinlich zwischen 1000 und 500 v. Chr. niedergeschrieben wurden. Ihre zentrale Einsicht wird in der Chandogya-Upanishad auf den Punkt gebracht: Das Universum geht aus Brahman hervor und kehrt dorthin zurück; alles ist Brahman. In verschiedenen Upanishaden werden Metapher, Allegorie, Parabel, Dialog und Anekdote eingesetzt, um Brahman als ultimative, außerhalb von Raum und Zeit existierende Realität darzustellen, aus der alles hervorgeht und aus der alles besteht. Allgemein wird es als kosmisches Bewusstsein oder Geist oder Höchste Gottheit jenseits aller Form gedeutet.

Eine ähnliche Vorstellung kennt auch der Taoismus. Sein wichtigster Text, in China als Lao-Tzu und im Westen als Tao-Te-King bekannt, wurde wahrscheinlich vom sechsten bis zum dritten Jahrhundert v. Chr. zusammengetragen. Er betont die Einheit und Ewigkeit des Tao, des Weges. Das Tao ist »nichts« insofern, als es »kein Ding« ist. Es hat weder Namen noch Form, es ist die Grundlage allen Seins und die Form allen Seins. Der Weg oder das Nichts lässt die Existenz entstehen, die Existenz lässt die Gegensätze von Yin und Yang entstehen, und Yin und Yang lassen alles entstehen: männlich und weiblich, Erde und Himmel und so weiter.

Das erste Buch der hebräischen Bibel, nicht vor dem späten siebten Jahrhundert v. Chr. 6 verfasst, beginnt mit den Worten: »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« 7 Der nächste Vers beschreibt die Erde in einer Weise, die an die Mythen von einem Urchaos aus Wasser erinnert, danach spricht Gott, es werde Licht, und das Licht wird erschaffen, und schließlich scheidet Gott an diesem ersten Schöpfungstag noch das Licht von der Dunkelheit. In den folgenden fünf Tagen erschafft er in gleicher Weise durch sein Gebot alles andere im Universum.

Im Koran, der vom siebten Jahrhundert n. Chr. an verfasst wurde, erschafft Gott Himmel und Erde ebenfalls durch sein Gebot. 8

Ewiger Kreislauf

Mehrere aus Indien stammende Mythen bestreiten, dass das Universum geschaffen worden sei, und behaupten stattdessen, es habe schon immer existiert, sei jedoch Zyklen unterworfen.

Buddha meinte im fünften Jahrhundert v. Chr., wer versuche, Mutmaßungen über den Ursprung des Universums anzustellen, werde dem Wahnsinn anheimfallen. 9 Seine Anhänger ließen sich dennoch nicht davon abhalten. Dabei wandten sie seine Erkenntnis an, wonach die Dinge nicht von Dauer sind, ständig entstehen, werden, sich verändern und wieder vergehen. Deshalb lehren die meisten buddhistischen Schulen heute, dass das Universum sich in einem ewigen Kreislauf ausdehnt und zusammenzieht, sich ins Nichtsein auflöst und wieder ins Sein zurückentwickelt.

Möglicherweise wurden sie von den Jainisten beeinflusst, deren letzter Tirthankara (wörtlich Furtbereiter, der zeigt, wie der Fluss der Wiedergeburten zu überqueren ist, um zum Zustand ewiger Befreiung der Seele zu gelangen) bereits vor Buddha in Ostindien zu lehren begann. Die Jainisten glauben, das Universum sei nicht erschaffen worden und ewig. Die Zeit ist für sie wie ein Rad mit zwölf Speichen, die das Maß für Yugas oder Weltalter bilden, die jeweils 1000 Jahre dauern. Sechs Yugas bilden einen aufsteigenden Bogen, in dem Wissen und Glück der Menschen zunehmen, während diese Eigenschaften in den sechs Yugas des absteigenden Bogens abnehmen. Wenn der Zyklus seinen tiefsten Punkt erreicht, ist selbst der Jainismus verloren. Im Lauf des folgenden Aufschwungs wird das jainistische Wissen wiederentdeckt und durch neue Tirthankaras abermals verbreitet werden, nur um am Ende des nächsten Abschwungs im endlos kreisenden Rad der Zeit wieder verloren zu gehen.

Dies ähnelt den meisten Glaubensinhalten des Yoga, das sich aus der vedischen Philosophie ableitet. Üblicherweise gehen sie von nur vier Yugas aus. Das erste – Satya Yuga oder Krita Yuga – dauert 1 728 000 Jahre, während das vierte – Kali – 432 000 Jahre dauert. Der Abstieg von Satya zu Kali geht mit einer fortschreitenden Schädigung des Dharma oder der Rechtschaffenheit einher und ist mit einer Abnahme der menschlichen Lebensdauer und einem Verfall moralischer Normen verknüpft. Unglücklicherweise befinden wir uns derzeit im Zeitalter von Kali.

Erklärungen

Die vielen Erklärungen für diese Ursprungsmythen lassen sich in fünf Kategorien einordnen.

Buchstäbliche Wahrheit

Weil jeder Ursprungsmythos anders ist, können nicht alle buchstäblich wahr sein. In manchen Kulturen geht man jedoch davon aus, beim eigenen Mythos sei das sehr wohl der Fall. 63 Prozent der Amerikaner sind fest davon überzeugt, dass die Bibel das Wort Gottes und im Wortsinn wahr ist, 10 gleichzeitig glaubt die überwiegende Mehrheit*4 der 1,6 Milliarden Muslime weltweit an die buchstäbliche Wahrheit des Koran, weil er das ewige Wort Gottes sei, das auf einer Tafel im Himmel niedergeschrieben und Mohammed durch den Erzengel Gabriel diktiert worden sei.

Viele, die an die buchstäbliche Wahrheit der Bibel glauben, stimmen auch James Ussher zu, der anhand der Genesis errechnet hat, dass die sechstägige Erschaffung des Universums am Samstag, dem 22. Oktober 4004 v. Chr., um 18 Uhr vollendet gewesen sei.*511 Die radiometrische Datierung von Gesteinen, Fossilien und Eisbohrkernen hat jedoch erdrückende geologische, paläontologische und biologische Befunde geliefert, wonach die Erde mindestens 4,3 Milliarden Jahre alt ist. Astronomische Daten deuten darauf hin, dass das Universum vor 10 bis 20 Milliarden Jahren entstanden ist. Die wissenschaftlichen Beweise gegen den Kreationismus sind also zwingend. 12 An eine buchstäbliche Wahrheit der Bibel zu glauben heißt außerdem, mindestens zwei einander widersprechenden Schilderungen der Schöpfung anzuhängen. In Mose 1:26-1 erschafft Gott Pflanzen und Bäume am dritten Tag, Fische und Vögel am fünften Tag, Tiere zu Beginn des sechsten Tages und Mann und Frau nach seinem Ebenbild erst an dessen Ende. In Mose 2 dagegen erschafft Gott zuerst den Mann aus Staub; erst danach legt er einen Garten an und lässt Pflanzen und Bäume wachsen; aus der Erde erschafft er dann all die Tiere und Vögel – Fische werden gar nicht erwähnt –, und am Ende lässt er aus der Rippe des Mannes eine Frau entstehen.

Auch diejenigen, die an eine buchstäbliche Wahrheit des Koran glauben, stehen vor einem logischen Widerspruch: In Sure 41:9-12 hat Gott Erde und Himmel in acht Tagen geschaffen, in Sure 7:54 sind es sechs Tage.

Metaphorik

Barbara Sproul, eine der führenden Expertinnen auf diesem Gebiet, ist der Meinung, dass die Ursprungsmythen zwar nicht buchstäblich wahr sein mögen, jedoch allesamt ihre Wahrheiten metaphorisch ausdrücken. Als einzigen Beleg führt sie an, wie der Ethnologe Marcel Griaule die Aussage eines Weisen der Dogon deutet, wonach der Mythos seines Volkes in Worten der niederen Welt auszusprechen sei. Ansonsten erklärt sie lediglich die eigentliche Bedeutung verschiedener Ursprungsmythen. Im Heliopolis-Mythos repräsentiert demnach der Schöpfergott, der durch Masturbation die Welt hervorbringt, die internalisierte Dualität, in der sich jegliche Dualität manifestiert, und er »wird heilig und enthüllt uns das Wesen der Wirklichkeit, sobald wir verstehen, was gemeint ist«. 13 Sproul bleibt jeden Beleg schuldig, dass die Schöpfer des Heliopolis-Mythos oder gar die Bevölkerung von Heliopolis vor 5000 Jahren ihre Ansicht teilten.

Was die anderen von ihr zitierten Beispiele angeht, kann man sich schwer des Eindrucks erwehren, dass sie einfach ihre eigenen Interpretationen aus dem späten 20. Jahrhundert auf diese Mythen projiziert. Wenn 63 Prozent der Bevölkerung in der technologisch am weitesten entwickelten Nation auf Erden glauben, dass ein Schöpfungsmythos aus der Genesis buchstäblich wahr ist: Kann man dann vernünftigerweise annehmen, dass nomadische Stämme vor 4000 Jahren oder auch die Schreiber des Königs Joschija vor 2500 Jahren glaubten, es handle sich um eine Metapher?

Es ist zwar einleuchtend, aus dem Kontext mancher Ursprungserklärungen wie etwa jener in den Upanishaden zu schließen, dass sie absichtlich Metaphern verwenden, doch Sproul bietet keine Belege dafür, dass die meisten dieser Mythen nicht als wörtlich zu verstehende Berichte gedacht waren oder nicht als solche aufgefasst wurden.

Der Aspekt einer absoluten Wirklichkeit

Sproul hält daran fest, dass alle Religionen eine absolute Wirklichkeit verkünden, die sowohl transzendent (immer und überall wahr) als auch immanent (im Hier und Jetzt wahr) ist. Sie meint: »Die eigentliche Aufgabe der Schöpfungsmythen ist es gerade, diese absolute Wirklichkeit zu proklamieren«. 14 Zudem zeige ihre Sammlung von Schöpfungsmythen, »dass sich die Mythen ihrer wesentlichen Essenz nach nicht voneinander unterscheiden. Sie lässt aber sehr wohl eine Vielzahl ähnlicher Perspektiven erkennen, ausgehend von einer Fülle unterschiedlicher Standpunkte.« 15

Demnach ist in vielen Ursprungsmythen von polaren Gegensätzen die Rede: hell und dunkel, Geist und Materie, männlich und weiblich, gut und böse und so weiter. Die besonders tiefsinnigen Mythen gehen bis zum Gegensatz von Sein und Nichtsein zurück, wobei manche – wie die Changoya-Upanishad – besagen, das Nichtsein sei durch das Sein hervorgebracht worden, während andere – wie ein Maori-Mythos – behaupten, das Nichtsein selbst sei die Quelle allen Seins und Nichtseins. Einige sehen den Ursprung aller Gegensätze als Chaos, in dem alle Unterscheidungen potenziell vorhanden sind; die Schöpfung findet statt, sobald das Chaos Form annimmt und auf das übrige Nichtgeformte einwirkt, um weitere Unterscheidungen zu erschaffen und so die Welt hervorzubringen. »Was ist hierbei die absolute Wirklichkeit? Das Chaos an sich? Oder das ›Kind‹ des Chaos, das wieder auf das Chaos zurückwirkt? Beide. Sie sind ein und dasselbe.« 16

Die offenkundigen Unterschiede zwischen den Mythen entstehen demnach nur, weil sie alle das Nicht-Wissbare in bekannten und vertrauten Begriffen ausdrücken; gewöhnlich versuchen sie, das Absolute mit relativen Vorstellungen oder Anthropomorphisierungen zu beschreiben. Laut Sproul setzen selbst Buddhismus, Jaininismus und Yoga-Lehre, die einen Schöpfungsakt zurückweisen, ihr ewiges Universum nicht von einem solchen ab, das erschaffen wurde. Mythen, die von Schöpfungsakten handeln, verzeitlichen nur: Sie sprechen vom Absoluten als etwas zuerst Dagewesenem.

Dass alle Ursprungsmythen Aspekte der gleichen absoluten Wirklichkeit enthüllen, ist eine faszinierende Behauptung. Sie wird jedoch durch keinerlei wissenschaftliche Belege gestützt. Erklären lässt sie sich vielmehr dadurch, dass Sproul diese Mythen so interpretiert, dass sie mit ihrer eigenen Vorstellung von absoluter Wirklichkeit in Einklang stehen.

Archetypische Wahrheit

Laut Sproul, die bei Joseph Campbell studiert hat, sind Schöpfungsmythen nicht nur von historischem Interesse. Sie würden auch archetypische Werte offenlegen, mit denen sich unser persönliches Wachstum besser verstehen lässt – »körperlich, seelisch und geistig im Rahmen des zyklischen Fließens von Sein und Nichtsein und schließlich in der absoluten Vereinigung dieser beiden«. 17

Dieser Rückgriff auf Campbells von Jung abgeleitete Psychologie liefert allerdings keine überzeugende Erklärung.

Fötales Erleben

Der Molekularbiologe Darryl Reanney meint, das verbreitete Motiv eines prä-existenten, dunklen und formlosen Gewässers, in das Licht eintritt und die Geburt des Universums einleitet, könnte vielleicht durch unterschwellige Erinnerungen an das Geburtserlebnis des Fötus aus den dunklen, gestaltlosen und nährenden Wassern des Mutterleibs erklärt werden. »Eindrücke vom Geburtserlebnis im pränatalen Gehirn stellen die Weichen dafür, dass Mythen eine speziell konfigurierte symbolische Bildsprache entwickeln, die äußerst empfängliche Saiten der Psyche anschlägt.« 18 Um das zu untermauern, verweist er darauf, dass im Großhirn von Föten etwa vom siebten Monat an elektrische Aktivität aufgezeichnet werden kann (jüngere Daten deuten darauf hin, dass dies vor dem sechsten Monat einsetzt).

Eine interessante Vermutung – es ist aber schwer ersichtlich, wie sie bestätigt oder widerlegt werden kann.

Ich schlage drei andere Erklärungen vor.

Eingeschränktes Verständnis von Naturerscheinungen

In dem Stadium der menschlichen Evolution, in dem diese Mythen entstanden, besaßen die meisten Kulturen ein falsches oder begrenztes Verständnis von den Kräften der Natur, und mit Ausnahme Ostindiens und Teilen Chinas hatte das philosophische Nachdenken noch nicht begonnen.

Dass in so vielen Mythen das Element des Urgewässers auftaucht, dürfte auf denselben Grund zurückzuführen sein, aus dem viele Völker der Jungsteinzeit ihre Siedlungen an den Ufern eines Flusses anlegten. Sie nutzten das Wasser zum Trinken und für andere alltägliche Zwecke sowie zur Bewässerung ihrer Ackerfrüchte. Wasser war die Quelle von Leben und Fruchtbarkeit, vor dem Aufkommen der Städte wurde es gewöhnlich mit dem Geist oder der Gottheit des Lebens in Zusammenhang gebracht.

Die meisten Mythen stammen aus Kulturen der Bronzezeit, in der man noch keine Wissenschaft – abgesehen von Astronomie – kannte. Sollten die Weisen den Ursprung der Welt erklären, gingen sie von ihren eigenen Erfahrungen einer Schöpfung aus. Und weil Menschen und Tiere durch die sexuelle Vereinigung von Vater und Mutter gezeugt wurden, wurde auch die Welt an sich durch die Vereinigung eines Vaters und einer Mutter erschaffen. Um die Welt zu befruchten, musste dieser Vater allmächtig sein, und die mächtigste Kraft, die die Menschen kannten, war der Himmel; er sandte die Wärme der Sonne, Donner, Blitz und den Regen, mit dem alles befruchtet wird, was wächst. Die Mutter wiederum musste, um mit der Welt schwanger zu gehen, allfruchtbar sein, und das fruchtbarste, was sie kannten, war die Erde, aus der alle Bäume, Pflanzen und Feldfrüchte wuchsen. Daher der Himmel als Vatergott und die Erde als Muttergöttin.

Die Weisen unterschiedlicher Völker verstanden das Ei als das Ding, aus dem das Leben hervorgeht. Deshalb musste auch der Kosmos oder der Gott, der ihn erschafft, aus einem Ei geschlüpft sein. Andere Weise bemerkten die Zyklen von Sonne, Mond, Jahreszeiten und Ernten. Alles schwindet, stirbt, erscheint wieder und wächst in scheinbar endloser Folge. Wenn die wesentlichen Bestandteile des Universums diesem Muster unterworfen sind, dann muss das auch für das Universum selbst gelten.

Politische und kulturelle Bedürfnisse

Mit der Bronzezeit hatten die von den Jägern und Sammlern sowie den frühen Ackerbaukulturen angerufenen Naturgeister sich zu Göttern entwickelt, deren funktionale Hierarchie jene der sich entwickelnden Stadtstaaten widerspiegelte, während ihre Ursprungsmythen oft politische oder kulturelle Bedürfnisse erfüllten.

So wurde Atum, den man im Heliopolis des 4. Jahrtausends v. Chr. als eigenständigen Schöpfergott verehrt hatte, von den Theologen des Pharao Menes zu einem Abkömmling und Erfüllungsgehilfen von Ptha heruntergestuft, der bis dahin nur der Gott des Schicksals gewesen war. Nun wollten sie diesen zu einem Schöpfergott erheben, weil er eine lokale Gottheit von Memphis war und Menes in Memphis eine neue Hauptstadt errichtet hatte.

Die Mythen von einer Schöpfung durch eine Urschlacht lassen sich in der Regel ebenfalls auf diese Weise erklären. Im babylonischen Mythos Enuma Elisch schlägt Marduk die Göttin Tiamat und ihre Chaosmonster; seine Erhebung zum Schöpfergott heiligt und legitimiert den Triumph der Babylonier über die alten sumerischen Mächte und die Errichtung der eigenen Ordnung im ganzen Sumer.

Archäologische Funde aus dem späten 20. Jahrhundert 19 legen nahe, dass auch die biblische Darstellung einer Schöpfung durch das Wort Gottes wahrscheinlich mit politischen und kulturellen Bedürfnissen zu erklären ist. Im späten 7. Jahrhundert v. Chr. gab König Joschija seinen Schreibern den Auftrag, aus den Mythen und Legenden der Region einen kanonischen Text zusammenzustellen, der die Vereinigung seines Königreichs Juda mit dem nunmehr geschlagenen Königreich Israel unter einem absolut herrschenden Patriarchen und mit einem einzigen Gesetzescodex heiligen und legitimieren sollte. Jahwe, der lokale Gott Judas, der ursprünglich die Göttin Aschera als Gemahlin gehabt hatte, wurde nun nicht nur zum obersten, sondern zum einzigen Gott. Jahwe ist der Name Gottes in der Schöpfungsgeschichte des 2. Buches Mose. Um das Volk Israel aber dazu zu bringen, die Vereinigung zu akzeptieren, wird er als derselbe wie ihre Götter angesehen. Elohim, wie Gott im 1. Buch Mose genannt wird, ist die Gattungsbezeichnung für ein göttliches Wesen und wurde von den Kanaanitern, deren Territorium und Kultur die Israeliten übernommen hatten, zur Bezeichnung ihres gesamten Götterpantheons verwendet. Dessen Mitglieder werden im 1. Buch Mose zu einer einzigen Gottheit zusammengefasst. Dieser eine Gott spiegelte die Rolle des absoluten Herrschers der Vereinigten Königreiche von Juda und Israel wider, die Joschija geheiligt haben wollte: Er musste nur etwas aussprechen, und es wurde vollzogen; so wurde die Welt erschaffen.

Mythen auf diese Weise zu verändern ist nicht das Vorrecht des Eroberers. Die Schöpfungsgeschichte der Chiricahua-Apachen stellt eine tragikomische Verschmelzung des Alten Testaments mit ihrer eigenen Mythologie aus der Zeit vor der Eroberung dar. So ertränkt die Sintflut diejenigen, welche die Berggötter Blitz und Wind verehren. Nachdem die Wasser abgeflossen sind, werden zwei Männern ein Gewehr sowie Pfeil und Bogen vorgelegt. Der erste wählt das Gewehr und wird zum weißen Mann, der andere muss Pfeil und Bogen nehmen und wird zum Indianer.

Intuitive Erkenntnis

Manche Kulturen in Indien und China legten Wert darauf, den Geist zu lehren, sich nach innen auszurichten und unmittelbare Erkenntnis zu erlangen, indem man mit dem Gegenstand der Untersuchung eins wird. Durch diese Art der Meditation gelangten indische Seher zu der Einsicht, dass Atman, die Essenz des Selbst, identisch sei mit dem Universum, welches wiederum identisch sei mit Brahman, der unbeschreibbaren, aus sich selbst heraus existierenden Entität, aus dem es hervorgegangen ist. Diese mystische Erkenntnis hat große Ähnlichkeit mit jener der frühen Taoisten und späterer Seher in anderen Ländern. Der Kern dieser gemeinsamen Erkenntnisse sollte von den kulturell gebrochenen Deutungen ihrer Anhänger unterschieden werden, denen oft das Verständnis von Naturerscheinungen und sozialen oder politischen Bedürfnissen fehlte.

Überprüfung auf Belegbarkeit und Vernünftigkeit

Um einen Ursprungsmythos oder mögliche Erklärungen dafür in wissenschaftlichem Sinn bewerten zu können, fehlt es uns an Belegen. Dagegen verfügen wir sehr wohl über genügend wissenschaftliche Belege, mit denen wir die buchstäbliche Wahrheit der meisten dieser Mythen widerlegen können – einschließlich derer, die angeblich von einem externen, transzendenten Gott offenbart worden sind.

Ein eingeschränktes, wenn nicht falsches Verständnis von Naturerscheinungen, dazu kulturelle und politische Bedürfnisse sowie kulturell gebrochene Deutungen mystischer Einsichten dürften prosaischere Erklärungen für die Ursprungsmythen sein als jene, die von den meisten Mythologen, Ethnologen, Psychologen und anderen Wissenschaftlern vorgebracht werden. Um sie zu stützen, kann ich auch keine zwingenden Beweise anführen. Sie haben jedoch den Vorteil, dass sie mit den bekannten Fakten übereinstimmen, und zudem beruhen sie auf der Anwendung von Ockhams Rasiermesser oder der wissenschaftlichen Regel der Sparsamkeit: Es sind die einfachsten Erklärungen.

Jene Ursprungserzählungen, die ihre Wahrheitsbehauptung nicht auf materielle Beweise oder logisches Denken oder Offenbarung durch einen transzendenten Gott stützen, sondern auf intuitive Erkenntnis, können durch die Wissenschaft oder logisches Denken weder bestätigt noch widerlegt werden. Auf intuitive Erkenntnis werde ich ausführlicher eingehen, wenn ich die Entwicklung des philosophischen Denkens erörtere. Aus einer rein wissenschaftlichen und rationalen Perspektive fallen die meisten Ursprungsmythen jedoch in die Kategorie Aberglauben, den ich wie folgt definiere:

Aberglauben — Eine Überzeugung, die mit wissenschaftlichen Belegen kollidiert oder für die es keine vernünftige Grundlage gibt; gewöhnlich erwächst sie aus einem Mangel an Verständnis für Naturerscheinungen oder einer Furcht vor dem Unbekannten.

Gründe für die Beständigkeit

Eine Erklärung dafür, warum Schöpfungsmythen sich selbst in den fortschrittlichsten Kulturen halten, besteht darin, dass die Wissenschaft nur die physische Welt untersucht, es aber eine letzte Wirklichkeit gibt, welche die physische Welt transzendiert. All die verschiedenen Schöpfungsmythen formulieren demnach diese letzte Wirklichkeit in – häufig anthropomorphen – Begriffen, welche die jeweilige Kultur widerspiegeln.

Auch wenn das in manchen Fällen zutreffen dürfte, widersprechen sich zu viele Mythen gegenseitig, als dass diese Aussage allgemein gültig sein könnte. Eine einfachere Erklärung lautet, dass die Beständigkeit solcher widerstreitenden Mythen kein Beleg für ihre Wahrheit ist, sondern eher dafür spricht, wie stark die Einimpfung durch 200 Generationen menschlicher Gesellschaften über 5000 Jahre hinweg nachwirkt.

Der Einfluss auf das wissenschaftliche Denken

Die fortwährende Macht der Mythen hielt der ersten wissenschaftlichen Revolution nicht nur stand – die Architekten dieser Revolution sahen ihre Rolle sogar darin, die Gesetze zu entdecken, durch die der jüdisch-christliche Gott das von ihm geschaffene Universum lenkte. Isaac Newton als Vollstrecker dieser Revolution glaubte, das Universum »konnte allein aus dem Rat und der Herrschaft eines intelligenten und mächtigen Wesens hervorgegangen sein«. 20

Ihre fortwährende Macht widerstand auch der zweiten wissenschaftlichen Revolution, die Mitte des 19. Jahrhunderts mit Darwins Argumenten für eine biologische Evolution begann und ihren Höhepunkt im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts erreichte, als die Physik durch die Relativitäts- und die Quantentheorie grundlegend verwandelt wurde. Darwin selbst gab seine christlichen Überzeugungen auf und wurde für den Rest seines Lebens zum Agnostiker, 21 doch Albert Einstein, Urheber der Speziellen wie der Allgemeinen Relativitätstheorie, teilte Newtons Überzeugung, das Universum müsse von einer höchsten Intelligenz geschaffen worden sein, obwohl er bestritt, dass ein solcher Gott sich in menschliche Angelegenheiten einmische. 22

Viele Pioniere der Quantentheorie hingen der Überzeugung an, die Materie existiere nicht unabhängig, sondern nur als Konstrukt des Geistes. Manche wie Erwin Schrödinger waren ihr Leben lang fasziniert von der Erkenntnis aus den Upanishaden, wonach alles einschließlich des Universums aus dem Bewusstsein des Brahman hervorgegangen sei, der außerhalb von Raum und Zeit existierenden, letzten Wirklichkeit. 23 Inwieweit das Auswirkungen auf seine Arbeit hatte, ist eine offene Frage. David Bohm wurde in seinem wissenschaftlichen Denken sicherlich durch diesen Glauben beeinflusst. 24

Heutzutage bekennt sich nur eine Minderheit der Wissenschaftler offen zu ihren religiösen Überzeugungen. Dazu gehören John D. Barrow, ein Kosmologe und Mitglied der Christian Emmanuel United Reformed Church, Francis Collins, ehemaliger Leiter des Human Genome Project – er sieht die »DNA, das Informationsmolekül alles Lebendigen, als die Sprache Gottes« an »und die Eleganz und Komplexität unseres Körpers und der übrigen Natur als eine Widerspiegelung von Gottes Plan« 25–, und Ahmed Zewail, Muslim und Nobelpreisträger des Jahres 1999 für Chemie. In der Regel vertreten solche Wissenschaftler die Ansicht, Wissenschaft und Religion gehörten verschiedenen Bereichen an, obwohl manche, wie John Polkinghorne, theoretischer Physiker und anglikanischer Priester, aktiv Debatten über die Schnittmengen von Wissenschaft und Theologie vorantreiben.

Lassen wir den Mythos nun hinter uns und wenden uns der Wissenschaft zu, damit sie uns ein klareres Verständnis vom Ursprung des Universums vermittelt und mithin auch von der Materie und Energie, aus der wir uns entwickelt haben. Aber tut sie das überhaupt?

KAPITEL 3DIE ENTSTEHUNG DER MATERIE: DIE HERRSCHENDE LEHRE IN DER WISSENSCHAFT

Diese Idee eines Big Bang erschien mir nun unbefriedigend.

Fred Hoyle, 1950

[Der Big Bang] ist ein Beweis für jenes erste Fiat lux.

Papst Pius XII., 1951

Wir sind Materie. Vielleicht sind wir auch mehr als Materie. Vielleicht sind wir Manifestationen eines kosmischen Bewusstseins, wie in mystischen Lehren behauptet wird, oder dreidimensionale Simulationen eines superintelligenten Computers, wie eine philosophische Spekulation es nahelegt. In diesem Buch geht es jedoch darum festzustellen, was wir derzeit wirklich wissen oder welche begründeten Schlüsse wir aus Experimenten oder der Beobachtung der von uns wahrgenommenen Welt ziehen können. Anders ausgedrückt: was die Wissenschaft uns darüber sagt, wer wir sind und woher wir kommen.

Deshalb gehen wir von dem aus, was wir von der Wissenschaft über den Ursprung der Materie wissen, und die aktuell herrschende Theorie lautet, dass Materie und Energie vor 13,8 Milliarden Jahren im Big Bang entstanden sind.

Die Betonung liegt auf »aktuell«, weil die Medien und populärwissenschaftliche Bücher allzu oft eine wissenschaftliche Theorie oder auch nur Mutmaßung so präsentieren, als handle es sich um eine unbestreitbare Tatsache. Doch wissenschaftliche Theorien ändern sich. Um das zu verdeutlichen, werde ich die Theorie schildern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt; ich werde dann zeigen, warum und wie sie sich so verändert hat, dass aus ihr das Modell des Big Bang hervorgehen konnte, werde Probleme dieses Modells erörtern und die derzeitigen Lösungen der Kosmologen dafür genauer betrachten.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts

Hätte ich dieses Buch 1928 verfasst, hätte ich behauptet, der in der Wissenschaft aktuell herrschenden Theorie zufolge sei das Universum ewig und unveränderlich.

Diese Theorie galt als so unumstößlich, dass Einstein etwas tat, was er später als seinen größten Fehler bezeichnen sollte. 1915 schloss er seine Allgemeine Theorie der Relativität ab, welche die Schwerkraft in seine Darstellung aller bekannten Materie und Kräfte einbezog. Als er sie jedoch auf das Universum als Ganzes anwandte, erkannte er, dass sie ein sich veränderndes Universum vorhersagte – die Schwerkraft sorgte dafür, dass sich die gesamte Materie des Universums zusammenzog. Deshalb führte er zwei Jahre später eine willkürlich gewählte Konstante Lambda (Λ) in seine Feldgleichungen ein. Mit der Feinabstimmung des Wertes von Lambda sorgte er dafür, dass der zusätzliche Term in seinen Gleichungen die Anziehung der Schwerkraft exakt ausglich und somit ein statisches Universum zustande kam.

Für die folgenden 15 Jahre akzeptierten das fast alle theoretischen Physiker, weil es durch Beobachtungen gestützt wurde: Die Sterne bewegten sich sehr wenig. Diese Sicht eines statischen Universums blieb auch bestehen, nachdem der Astronom Edwin Hubble 1924 bewiesen hatte, dass manche Lichtflecken keine Gaswolken in der einzigen bis dahin bekannten Galaxie – der Milchstraße – waren, sondern sehr ferne Galaxien.

Zwischen 1929 und 1931 konnte Hubble jedoch zeigen, dass das von diesen fernen Galaxien abgestrahlte Licht eine Rotverschiebung aufwies und dass die Rotverschiebung mit wachsender Entfernung von uns zunahm. Weißes Licht besteht aus verschiedenen Farben, die zum Vorschein kommen, wenn es von einem Prisma in ein Spektrum von Wellenlängen zerlegt wird. Die kürzeren Wellenlängen erscheinen blau, die längeren rot. Wenn eine Lichtquelle sich vom Beobachter fortbewegt, scheint sich ihre Wellenlänge zu vergrößern und zum roten Ende des Spektrums hin zu verschieben. Hubbles Beobachtungen wurden als Hinweis darauf gedeutet, dass die Galaxien sich von uns entfernen und dass ihre Geschwindigkeit umso größer ist, je weiter sie von uns entfernt sind.

Erst jetzt nahmen die theoretischen Physiker die Arbeiten derjenigen ernst, die andere Lösungen für Einsteins Feldgleichungen zur Allgemeinen Relativität gefunden hatten – solche, die auf ein expandierendes Universum hinausliefen. Einer von ihnen war der belgische Jesuit und Wissenschaftler Georges Lemaître, der Hubbles Daten in seine eigenen Ideen aus dem Jahr 1927 einbaute; er ließ die Expansion des Universums rückwärts laufen und kam so zu seiner Hypothese vom Uratom. Sie besagt, dass zu einem Zeitpunkt Null alles im Universum – alles Licht und all die Galaxien, Sterne und Planeten – zu einem einzigen, superdichten Atom zusammengezogen war, das explodierte und ein expandierendes Universum bildete.

Der Astronom Fred Hoyle bezeichnete das abwertend als Big Bang, nachdem er zusammen mit Thomas Gold und Hermann Bondi 1948 die Theorie des Fließgleichgewichts (Steady-State-Theorie) entwickelt hatte. Dieser Hypothese zufolge dehnt sich das Universum zwar aus, aber nicht von einem einzigen Punkt her: Im expandierenden Raum entsteht ständig Materie, die in einem unendlich großen Universum für eine insgesamt gleichbleibende Dichte sorgt.

In dem Jahrzehnt nach Ende des Zweiten Weltkriegs wandten sich mehrere theoretische Physiker dem Rätsel der Kosmogenese zu – dem Anfang des Universums. Enrico Fermi, Edward Teller, Maria Mayer, Rudolf Peierls, George Gamow, Ralph Alpher und Robert Herman gehörten zu denen, die sich mit der Idee des Big Bang auseinandersetzten.

Gamow, Alpher und Herman versuchten herauszufinden, wie all die verschiedenen Arten von Atomen, die wir im Universum vorfinden, aus dem hypothetisch angenommenen, unfassbar kleinen, dichten und heißen Plasma aus Protonen, Neutronen, Elektronen und Photonen entstanden sein konnten.*6 Sie zeigten, wie die Kerne von Helium und die Isotope*7 des Wasserstoffs von Protonen und Neutronen gebildet werden konnten, die sich in den ersten drei Minuten nach einem Big Bang vereinigten, während das Plasma sich ausdehnte und auf unter eine Milliarde Kelvin (K) abkühlte.*8 Das auf diese Weise entstandene Verhältnis von Wasserstoff zu Helium stimmte nach den Berechnungen Alphers und Hermans annähernd mit dem im Universum beobachteten Wert überein, was die Big-Bang-Hypothese stützte. Doch weder die beiden noch jemand anderes vermochte zu erklären, wie die schwereren Elemente angesichts der Instabilität von Kernen mit fünf oder acht kombinierten Protonen und Neutronen zustande gekommen sein sollten. Das weckte Zweifel am Big Bang, und Fermi wie seine Kollegen ließen ihn als Modell der Kosmogenese fallen. 1

Der herrschenden Darstellung zufolge berechneten Gamow und Alpher, dass das Plasma nach dem Big Bang 300 000 Jahre lang expandierte und sich dabei auf 4000 K abkühlte, als die negativ geladenen Elektronen von den positiv geladenen Atomkernen eingefangen wurden und elektrisch neutrale, stabile zweiatomige Wasserstoffmoleküle sowie deren Isotope und dazu Heliumatome bildeten. Die Photonen – neutrale Teilchen elektromagnetischer Strahlung – wären dann nicht länger an das Plasma gebunden gewesen; sie hätten sich abgekoppelt und frei durch den sich ausdehnenden Raum bewegt. Dabei hätten sie sich weiter abgekühlt, und ihre Wellenlänge hätte zugenommen. Als das Universum seine aktuelle Größe erreichte, wäre ihre Wellenlänge im Bereich der Mikrowellen angekommen; sie hätten den gesamten Weltraum ausgefüllt und sich als kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung gezeigt. 1948 schätzten Gamow und Alpher die Temperatur dieser Hintergrundstrahlung auf etwa 5 K. 1952 schätzte Gamow sie auf 50 K. 2

In der Zwischenzeit hatten Fred Hoyle und seine Kollegen gezeigt, wie die schwereren Elemente durch Kernfusion in Sternen gebildet werden konnten.

Diese Arbeiten der Nachkriegszeit ließen das Fließgleichgewicht und den Big Bang als konkurrierende Erklärungshypothesen für den Ursprung des Universums bestehen: Die erste hielt daran fest, dass das Universum ewig sei und folglich keinen Anfang habe, während die zweite besagte, das Universum habe mit einer Explosion von Licht und Plasma aus einem Punkt heraus begonnen.

Ohne weitere Nachweise abzuwarten, wie sie die Wissenschaft benötigte, um sich zwischen den beiden zu entscheiden, fällte die römisch-katholische Kirche ihr Urteil. 1951 teilte Papst Pius XII. der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften mit, der Big Bang sei ein Beleg für die Schöpfungsgeschichte der Genesis, wo Gott sagt, es werde Licht. Die Eilfertigkeit, mit der die Kirche auf diese wissenschaftliche Hypothese reagierte, steht im Gegensatz zu den 200 Jahren, die sie brauchte, um zu akzeptieren, dass Galileis Beobachtungen sehr wohl die kopernikanische Theorie stützten, wonach die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist, sondern sie und die anderen Planeten um die Sonne kreisen.

Anders als die katholische Kirche teilte sich die Wissenschaft weiterhin in Anhänger des Big Bang und des Fließgleichgewichts, bis – so die vorherrschende Version der Geschichte – 1965 eine Zufallsentdeckung den entscheidenden Beweis lieferte.

Den Astronomen Arno Penzias und Robert Woodrow Wilson war es bei Beobachtungen mit ihrem Radioteleskop an den Bell Laboratories in New Jersey nicht gelungen, das »Hintergrundrauschen« auszuschalten, das aus allen Himmelsrichtungen kam. Sie baten Robert Dicke in Princeton um Rat, ohne zu wissen, dass er versucht hatte, die von Gamow vorhergesagte kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung zu finden. Dicke erkannte, dass das gleichförmige »Rauschen« im Mikrowellenbereich genau diese Strahlung war, die sich auf die Temperatur von 2,7 K abgekühlt hatte. 3

Wenn überhaupt, ist selten davon die Rede, dass Geoffrey Burbidge, Professor für Astrophysik an der University of California in San Diego, behauptet hat, diese herrschende Darstellung stelle eine Verzerrung der Tatsachen dar. Denn dass die Gleichungen von Alpher und Herman die Entstehung von Wasserstoff und den anderen leichten Elementen in einem Verhältnis ergaben, das grob mit dem beobachteten Verhältnis übereinstimmte, sei lediglich auf die von ihnen gewählten Parameter zurückzuführen. Außerdem wies er darauf hin, dass Andrew McKellar die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung entdeckt und ihre Temperatur zwischen 1,8 und 3,4 K geschätzt habe; seine Befunde veröffentlichte er 1941. Burbidge legte nahe, zumindest Gamow habe sie gekannt, und folglich habe nicht er die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung als Erster vorhergesagt, die durch anschließende Beobachtungen bestätigt wurde. 4

Doch die herrschende Darstellung setzte sich durch, und Penzias und Wilson bekamen für ihre Entdeckung den Nobelpreis. Die überwiegende Mehrheit der Wissenschaft übernahm den Big Bang als Modell für den Ursprung des Universums, und wer anderer Meinung war, erlebte schwierige Zeiten. Dass Hoyle weiterhin die Steady-State-Theorie vertrat, führte laut John Maddox dazu, »dass er von seinen Kollegen geächtet wurde und schließlich seine Professur in Cambridge niederlegte (ein praktisch beispielloser Vorgang)«. 5

Letzteres hatte wahrscheinlich auch damit zu tun, dass Hoyle die von seinem Cambridge-Kollegen Martin Ryle vorgebrachten Belege gegen die Theorie des Fließgleichgewichts besonders unverblümt kritisiert hatte, was zu einer Fehde zwischen den beiden führte. Während Hoyle niemals mehr eine akademische Position bekleidete, wurde Ryle später der britische Astronomer Royal und bekam den Nobelpreis. Unerklärlicherweise wurde der Nobelpreis 1983 für Arbeiten auf dem Gebiet der stellaren Nukleosynthese allein William Fowler zuerkannt, während man Hoyle sowie Geoffrey und Margaret Burbidge überging – sie waren die anderen drei Autoren des bahnbrechenden Aufsatzes von 1957 gewesen, der detailliert beschreibt, wie all die anderen natürlich vorkommenden Elemente außer Wasserstoff und Helium im Inneren von Sternen entstehen. Fowler selbst gab offen zu, dass Hoyle das Konzept der stellaren Nukleosynthese als Erster formuliert hatte und dass er selbst als Fulbright-Stipendiat nach Cambridge gekommen war, um mit ihm zusammenzuarbeiten. 6

Die herrschende Darstellung veranschaulicht die wissenschaftliche Methode insofern, als eine fest etablierte Theorie – die vom ewigen Universum – verworfen wurde, sobald neue Daten die Vorhersagen einer anderen Hypothese – vom Big Bang – bestätigten, worauf diese zur vorherrschenden Theorie wurde. Der Umgang mit Hoyle ist allerdings auch ein Beispiel dafür, wie das wissenschaftliche Establishment sich gegenüber denen verhalten kann, die von der gängigen Lehre abweichen.

Seit Mitte der 1960er Jahre hält man am Modell des Big Bang mit zumindest ebenso großer Überzeugung fest wie an dem des ewigen und unveränderlichen Universums im Jahr 1928. Doch wird das Modell immer noch durch wissenschaftliche Beweise gestützt, und falls nicht, wie hat die Wissenschaft darauf reagiert?

Die aktuelle Theorie: Der Big Bang

Um zu erkennen, ob das Modell des Big Bang eine zufriedenstellende Erklärung für den Ursprung des Universums bietet, müssen wir seine theoretische Basis untersuchen.

Theoretische Basis

Anders als die allgemein akzeptierte wissenschaftliche Methode*9 vorsieht, leitete sich die Theorie des Big Bang nicht aus Beobachtungen ab. Sie ergab sich aus Lösungen für die Gleichungen in Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, von denen man eine herausgriff, weil sie am besten mit den Beobachtungen übereinstimmte.

Einsteins Erkenntnis führte zu Bewegungsgesetzen, die unabhängig davon sind, ob der Beobachter sich in Bezug auf das beobachtete Objekt in bestimmter Weise bewegt. Einstein nahm an, dass die Lichtgeschwindigkeit (c) konstant ist, dass sie für alle Beobachter in allen Bereichen des Universums zu jeder Zeit gleich bleibt und dass nichts schneller unterwegs sein kann als das Licht. Seine Spezielle Relativitätstheorie von 1905 verabschiedet die Vorstellung, Raum und Zeit seien voneinander unabhängig und absolut. Stattdessen sieht sie eine vierdimensionale Raumzeit-Matrix vor, in der Raum oder Zeit in Abhängigkeit von der Bewegung des Beobachters sich ausdehnen oder schrumpfen können, während die Raumzeit für alle gleich ist.

Als Einstein die Schwerkraft in diese Bewegungsgesetze einbezog, um eine Allgemeine Theorie der Relativität zu formulieren, erkannte er, dass die Gravitation keine Kraft ist, die unmittelbar zwischen Massen wirkt, wie das in Newtons Gesetzen definiert war, sondern dass Gravitation eine durch Masse verursachte Verzerrung im Gewebe der Raumzeit darstellt – je größer die Masse, desto größer die Verzerrung. Und solche Verzerrungen bestimmen dann, wie sich andere Massen durch die Raumzeit bewegen. Um es mit John Archibald Wheeler auszudrücken: Materie sagt der Raumzeit, wie sie sich zu krümmen hat, und die Raumzeit sagt der Materie, wie sie sich zu bewegen hat.

Damit sich dieses Konzept quantifizieren und für Vorhersagen gebrauchen ließ, musste Einstein eine Gleichung erstellen. Dazu griff er auf einen schwierigen Zweig der Mathematik namens Differentialgeometrie zurück, der sich mit gekrümmten Oberflächen befasst. Heraus kam das, was man heute als Einsteinsche Feldgleichungen bezeichnet. Der Plural bezieht sich darauf, dass die Gleichung Tensoren*10 enthält, die zehn Möglichkeiten einschließen, was faktisch auf zehn Gleichungen hinausläuft. Die sehr vielen möglichen Lösungen dieser Gleichungen bringen sehr viele theoretische Universen hervor, und die Herausforderung bestand darin, eine Lösung zu finden, die mit den Beobachtungsdaten am besten übereinstimmte.

Abb. 3.1 Krümmung der Raumzeit in der Umgebung einer kugelförmigen Masse, etwa eines Sterns (zweidimensionale Darstellung).

Es ist extrem schwierig, diese Gleichungen zu lösen. Bei den entsprechenden Versuchen waren vier Männer führend. Neben Einstein und Lemaître handelte es sich um den holländischen Astronomen Willem de Sitter und den russischen Meteorologen Alexander Friedmann.

Vereinfachende Annahmen: Isotropie und Omnizentrismus

Sie alle gingen von zwei vereinfachenden Annahmen aus: Das Universum erscheint zu jedem gegebenen Zeitpunkt gleich, in welche Richtung wir auch blicken (es ist isotrop), und das gilt auch, wenn wir das Universum von einem beliebigen anderen Standort aus betrachten (es ist omnizentrisch). Diese beiden Annahmen bedeuten zwangsläufig, dass das Universum an jedem Ort gleich ist (es ist homogen).*11