Cowboyzähmen leicht gemacht - Johanna Marthens - E-Book

Cowboyzähmen leicht gemacht E-Book

Johanna Marthens

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Beschreibung

Heiße Cowboys!? Die leicht verklemmte Allie aus Los Angeles will davon überhaupt nichts wissen. Sie sucht einen gebildeten, höflichen Mann, am besten einen Anwalt oder einen Arzt. Als sie unerwartet eine abgehalfterte Ranch im Herzen Montanas erbt, will sie das Anwesen daher ruckzuck wieder loswerden und sich ihrer Karriere als Drehbuchautorin in der Großstadt L.A. widmen. Doch gleich bei ihrer Ankunft trifft sie auf den attraktiven Tierarzt Cole und den rauen Cowboy Wilson. Obwohl sie sich heftig dagegen wehrt, wird Allie immer tiefer in die Belange der Ranch hineingezogen. Und ehe sie sich versieht, verliebt sie sich. Aber wer bringt ihr Herz wirklich zum Schmelzen? Der anständige, sensible Cole oder der unberechenbare Herzensbrecher Wilson? Nur einer kann sie zum Bleiben bewegen und ihr Herz erobern, bevor es zu spät und die Ranch verloren ist ... 

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COWBOYZÄHMEN

LEICHT GEMACHT

Johanna Marthens

 

 

Liebesroman

 

Dieses Werk ist reine Fiktion. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Schauplätzen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle darin beschriebenen Vorkommnisse sind frei erfunden.

 

 

Copyright © Johanna Marthens, 2015, 2022

 

 

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren, Vervielfältigen und Weitergabe sind nur zu privaten Zwecken erlaubt. Der Weiterverkauf des eBooks ist ausdrücklich untersagt. Der Abdruck des Textes, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

 

Lektorat: Manuela Kuhlbrodt

Korrektorat: Tilde Zug

 

Coverbild: © Dangerous Kisses

VON FOHLEN UND MENSCHEN

 

 

 

DIE VERWIRRUNG WAR ALLIE deutlich anzusehen. Angestrengt saß sie in dem weißen Cabrio und schaute die asphaltierte Straße hinunter. »Dem Straßenverlauf sechs Meilen folgen«, sagte die Stimme des Mannes im Navigationsgerät.

»Bist du dir sicher?«, murmelte Allie im Hinblick auf den Fluss, der vor ihr lag und auf den die Straße geradewegs zuführte. Das Gewässer floss träge quer über die Fahrbahn, war etwa dreißig Meter breit und von einem schmalen, schlammigen Ufer umgeben. Auf der anderen Seite des Flusses ging die Straße hinter einer Biegung weiter, als wäre sie eine Teststrecke für Amphibienfahrzeuge.

Der Mann im Navi antwortete nicht. Und Allie war viel zu tief in ihre Gedanken versunken, als dass sie lange über das leicht plätschernde Wasser in der Senke der Straße nachgedacht hätte. Sie seufzte leise und fuhr vorsichtshalber etwas langsamer, dennoch kam ihr nicht in den Sinn, auf die Bremse zu treten. Zu Allies Verteidigung muss man sagen, dass sie wirklich ernsthaft über ihr Leben nachgrübelte und deshalb kaum auf ihre Umwelt achtete. Eher unbewusst nahm sie wahr, wie sich die Bäume und der Himmel im Wasser des Flusses spiegelten, so dass nicht deutlich zu erkennen war, wie tief das Gewässer sein mochte und ob es sich möglicherweise nur um eine Pfütze handelte.

Allie starrte auf den Fluss, dann verglich sie das Bild, das in der Realität vor ihr lag, mit dem auf dem Navi. Dort war kein Gewässer zu sehen, jedenfalls nicht direkt auf der Interstate. Der Fluss müsste viel weiter westlich liegen. Allie überlegte weiterhin fieberhaft, was sie mit ihrem verkorksten Leben anstellen sollte, während ein kleiner Teil ihres Gehirns versuchte, das Problem des unerwartet aufgetauchten Flusses zu lösen. Dabei fuhr sie jedoch munter weiter, und der Fluss kam immer näher. Nur noch wenige Meter, dann würde sie am Wasser ankommen. Etwas in ihr warnte sie, dass das nicht richtig sein könne. Aber da sie gedanklich gerade damit beschäftigt war, sich in den schönsten Farben auszumalen, wie sich mit einem hoffentlich bald abgeschlossenen Vertrag endlich ihr Leben zum Positiven ändern könnte, achtete sie kaum darauf. Und wenn das Navi ihr sagte, dass sie hier fahren solle, dann würde es schon Recht haben und sich der Fluss als optische Täuschung oder unerhebliche Pfütze entpuppen. In Montana gab es mit Sicherheit solche Monsterlachen.

Das Schilf am Ufer hätte sie deutlicher als jede innere Stimme darauf hinweisen müssen, dass es sich hier um keine Pfütze handelte, sondern um ein richtiges Gewässer. Aber Allie stammte aus Los Angeles. Sie kannte nur die Stadt, deren Trockenheit und den sandigen Strand des Pazifiks. Mehr hatte sie von der Welt noch nicht gesehen, wenn man einen Wochenendtrip nach New Orleans nicht mitzählte. Also war ihr der Anblick des Schilfs keine Warnung.

Allie berührte mit dem Fuß das Gaspedal und fuhr weiter. In einem verborgenen Winkel ihres Hirns lungerten zwischen anderen, scheinbar unwichtigen Anweisungen für ihr Leben die Erinnerungen an das Verhalten bei Aquaplaning, aber da sie diese in L.A. niemals benötigte, waren die Tipps in ihrem Kopf tief verschüttet worden und lagen gleich neben den Erinnerungen an die Herstellung eines Vogelhäuschens, das sie in der fünften Klasse gebaut hatte. Noch etwas weiter hinten befanden sich die an den Geschmack von Kirschlimonade. Die hatte sie bei ihrem ersten Date getrunken. All das half ihr in der Wildnis Montanas und bei einem plötzlich auftauchenden Fluss nicht weiter. Also lenkte Allie das Mietcabrio auf das Wasser zu und beschloss, sich von ihren trüben Gedanken zu befreien und außerdem der trügerischen Landschaft und deren seltsamen Wasservorkommen mit guter kalifornischer Musik entgegenzuwirken. Sie wechselte die Radiostation und wollte gerade L.A.F.M. einstellen, ihren Lieblingssender in L.A., als es geschah. Sie fuhr in den Fluss, der sich auch tatsächlich als Fluss und nicht als Pfütze erwies. Zuerst fanden die Vorderräder auf dem matschigen Ufergelände noch etwas Halt, doch dann sanken sie im Schlamm ein. Der Wagen rutschte etwa einen Meter ins Wasser und neigte sich so weit nach vorn, dass die Motorhaube völlig vom Wasser bedeckt wurde.

»Verdammte ...«, sagte Allie fassungslos, während der Motor den letzten Gurgler von sich gab und dann sein Leben aushauchte.

»Oh nein, verdammter Mist, das darf doch nicht wahr sein«, murmelte sie und versuchte, den Motor wieder zum Leben zu erwecken. Doch er gab nur ein paar unverständliche Laute von sich, danach schwieg er für immer.

Auf einmal hatte Allie das Gefühl, nasse Füße zu bekommen. Irritiert blickte sie zu ihren Schuhen und fluchte erneut. Der Fluss kannte offenbar kein Erbarmen und ergoss sich in den Fahrgastraum ihres Wagens.

Schnell sprang Allie auf und hockte sich auf den Autositz, um ihre neuen Sandalen von Miu Miu vor dem Wasser zu retten. Die rasche Bewegung sorgte jedoch dafür, dass das Auto noch einen halben Meter tiefer in den Fluss rutschte. Nun entschlüpfte Allies Mund ein kleiner Schreckensschrei. Leider war weit und breit niemand, der ihren Ruf hätte hören und ihr zu Hilfe hätte eilen können. Nur ein paar Krähen, die interessiert auf einem knorrigen Baum saßen und sie erwartungsvoll beobachteten.

Allies nächste Handlung, schon fast ein Reflex, war der Griff in die Handtasche, die auf dem Beifahrersitz lag. Ihrer Rettung sicher holte Allie ihr Handy heraus. Doch der Blick auf das Display ließ ihren Mut auf den Grund des Flusses sinken. Kein Empfang.

»Wieso gibt es in dieser gottverlassenen Einöde weder Telefonverbindungen noch richtige Straßen?«, rief sie verzweifelt und überlegte, wie sie am besten aus dieser Situation herauskäme. Zum Glück fiel ihr ein, dass sie vor etwa fünf Meilen eine Tankstelle gesehen hatte, nämlich dort, wo sie nach rechts abgebogen war, weil ihr das Navi das geraten hatte.

»Verdammter Drecksmist«, fluchte Allie aus tiefstem Herzen, weil sie an die fünf Meilen dachte, die sie nun zu Fuß zurücklegen musste, wenn sie jemals wieder lebend unter Menschen kommen wollte. Es sei denn, das Auto sprang wieder an.

Sie versuchte erneut, den Motor zu starten, doch der sagte wirklich nichts mehr. Dafür quietschte die Karosserie, etwas im Inneren des Wagens ächzte, dann rutschte das Auto noch ein paar Zentimeter weiter in den Fluss hinein.

Schnell schnappte Allie ihre Handtasche und kletterte aus dem Wagen. Bevor sie ihre Füße in den schicken Sandalen in das Flusswasser gleiten ließ, hielt sie die Luft an, als müsse sie einen Tiefseetauchgang absolvieren.

Als das kalte Nass ihre Haut berührte, quiekte sie auf, nahm die Füße schnell wieder hoch und zog die teuren Schuhe aus. Dann ließ sie sich tatsächlich ins Wasser gleiten. Es reichte bis zu ihren Knien. Da sie einen kurzen Rock trug, blieben ihre Sachen glücklicherweise trocken.

Knurrend und leise Beschimpfungen auf Montana und die Wildnis ausstoßend, watete sie auf dem trockenen Asphalt der Straße, nur um sofort umzukehren und den Kofferraum des Autos zu öffnen und ihr Gepäck herauszuholen. Denn wer wusste schon, ob dieser Fluss den Mietwagen nicht bald gänzlich mit sich riss? Dann wollte sie ihre Sachen nicht verloren sehen.

Ächzend und stöhnend stapfte sie zuerst barfuß, dann in ihren Sandalen mit den sechs Zentimeter hohen Absätzen die menschenleere Straße entlang, auf der ihr kein Auto begegnete, die fünf Meilen zurück zur Tankstelle.

 

Die Strecke zurück in die Zivilisation waren die längsten fünf Meilen in Allies Leben. Sie kamen ihr vor wie fünfzig, ach wo, wie fünfhundert Meilen. Sie begann zu schwitzen, ihr Arm, der den Koffer trug, wurde immer länger, und ihre Handtasche schleifte bald am Träger über den Asphalt, als wäre sie eine der Blechbüchsen am Wagen von Frischvermählten.

Mit völlig verdrecktem Gesicht, durchschwitztem Kleid und schmutzigen Füßen erreichte sie schließlich die Tankstelle. Ein Jeep stand an einer der zwei Tanksäulen, im Inneren des Ladens hielten sich zwei Personen auf. So entkräftet, dass sie nicht einmal mehr richtig fluchen konnte, stolperte Allie in den Verkaufsraum. Sofort starrten die beiden Männer sie an.

»Wo kommen Sie denn her?«, fragte der hinter dem Tresen verwundert. Er trug seine grauen Haare zu einem langen Pferdeschwanz gebunden. Auf seiner Nase saß eine Brille. »Sind Sie etwa von Helena bis hierher gelaufen?«

Allie stellte den Koffer auf den gefliesten Boden des Ladens, wischte mit dem Ärmel über ihr verschmiertes Gesicht und hob anklagend den Finger. »Dort ist ein Fluss auf der Straße, wo eigentlich keiner sein dürfte!«, sagte sie mit anklagender Miene, wobei sie all ihre Kraft zusammennahm, um nicht vor Erschöpfung neben ihren Koffer zu fallen.

Der Mann hinter dem Tresen schüttelte den Kopf, so dass der Pferdeschwanz schaukelte, runzelte die Stirn und sah zu dem Mann, der vor dem Tresen stand. »Was meinst du, Cole, ist sie etwa die alte Interstate gefahren?«, fragte er sichtlich irritiert. »Die ist seit drei Jahren gesperrt, weil der Fluss umgelegt wurde«, fügte er erklärend, an Allie gewandt, hinzu.

»Mein Navi wusste nichts von der Sperrung«, klagte Allie. »Es wären nur noch sechs Meilen bis Boulder gewesen. Aber da tauchte plötzlich dieser blöde Fluss auf und die Fahrt war zu Ende.« Tapfer kämpfte sie die Tränen nieder, die in ihren Augen aufsteigen wollten.

»Da ist ein großes Sperrschild an der Straße«, sagte der Verkäufer und schüttelte erneut den Kopf, so dass der Pferdeschwanz hin und her flog. »Haben Sie das nicht gesehen?«

»Ich dachte, es gilt nicht, weil das Navi mir sagte, ich solle da entlang fahren«, gab Allie kleinlaut zu. »Immerhin ist die Technik moderner als so ein altes Straßenverbotsschild.«

Der Verkäufer prustete verächtlich. »Wer weiß, von wann Ihre Karten im Navi sind? Mit Sicherheit schon älter als drei Jahre.«

Allie zuckte mit den Schultern. »Ich habe bei der Mietwagenfirma den Billigtarif genommen. Aktuelle Karten befanden sich nicht in dem Paket.«

»Sehen Sie?« Er klang triumphierend.

»Wo ist das Auto denn jetzt?«, fragte Cole einlenkend. Er war um die dreißig, trug ein helles Hemd und dunkle Jeans und lächelte Allie mitleidig an.

»Es steht im Fluss«, sagte Allie leise.

Für einen Moment herrschte betroffenes Schweigen in dem Laden. Der Verkäufer sah Allie fassungslos an, Coles Augen weiteten sich ungläubig.

»Wieso sind Sie hineingefahren?«

»Weil es der Mann im Navi gesagt hat und weil ich dachte, es wäre nur eine Pfütze«, wisperte Allie peinlich berührt. »Ich war in Gedanken versunken.«

Der Mann hinter dem Tresen unterdrückte mühsam ein Lachen. Sein Gesicht verzog sich, er wurde puterrot und biss sich auf die Lippen. Cole räusperte sich und musste sich ebenfalls sichtlich Mühe geben, nicht laut loszulachen. Immerhin gelang es ihm etwas besser, so dass er fast eine würdevolle Miene bewahren konnte, als er sich an den Mann mit dem Pferdeschwanz wandte.

»Du solltest den Abschleppdienst rufen, Jack. Sie müssen den Wagen herausziehen und reparieren lassen.«

Jack nickte wortlos, immer noch das unterdrückte Lachen im Bauch, und ging zu einem altmodischen Telefon, das an der Wand hing. Er wählte die Nummer des Dienstleisters und erzählte, was passiert war. Allie konnte hören, dass der Mann am anderen Ende der Leitung weniger beherrscht war und herzhaft losprustete, als er erfuhr, was passiert war. Am liebsten wäre sie wieder gegangen, aber sie musste die Schande ertragen.

»Das Navi hatte es wirklich gesagt«, murmelte sie leise zur Entschuldigung.

Cole lächelte verständnisvoll. »Auch die Technik kann sich mal irren. Wohin wollen Sie denn?«

»Nach Boulder auf die Harris-Ranch.«

Cole zog überrascht die Augenbrauen nach oben. »Dorthin will ich auch. Ich kann Ihnen den Weg zeigen, wenn Sie möchten.«

»Sie machen sich gleich auf den Weg«, sagte Jack, den Hörer auflegend. Seine Miene war inzwischen wieder ernst. »Taylor kommt, um das Auto zu holen. Er weiß allerdings nicht, wann es genau sein wird. Es gab gerade einen Unfall in Jefferson City, den er vermutlich zuerst beräumen muss.«

Allie stöhnte laut. »Ich habe heute einen dringenden Termin und fliege danach zurück nach Hause!«

»Ich nehme Sie mit«, bot Cole an. »Wie schon gesagt, ich muss auf die Harris-Ranch. Sie können dort erledigen, was immer Sie wollen. Und später bringen die Jungs von Taylor Ihren Wagen vorbei.«

Allie gefiel der Gedanke nicht sonderlich, mit dem fremden Mann durch die Wildnis Montanas fahren zu müssen, aber sie hatte keine andere Wahl. »Okay«, sagte sie schließlich und wandte sich an Jack hinter dem Tresen. »Sie wissen, mit wem ich mitfahre, für den Fall, dass ich nie wieder auftauche.«

Jack lachte kurz auf. »Das ist Cole King, der wird Ihnen mit Sicherheit nichts tun. Bei dem sind Sie gut aufgehoben.«

»Wer auch immer Cole King ist«, murmelte Allie und hob ihren Koffer, doch Cole kam ihr sofort zu Hilfe und nahm ihr das Gepäck ab.

»Ich bin Tierarzt, kein Gangster oder Entführer von jungen Frauen«, sagte Cole lächelnd und führte Allie hinaus zu seinem Auto.

»Das ist beruhigend«, erwiderte Allie, obwohl sie nicht ganz sicher war, was einen Tierarzt davon abhalten sollte, Menschen zu entführen oder umzubringen. Aber Cole sah tatsächlich nicht wie ein Verbrecher aus, sondern eher wie der Schwiegersohn, den sich jede Mutter wünschte. Nett, freundlich und mit einem Lächeln, das Mütter, Schwestern, Nichten, Tanten und Großtanten gleichzeitig schwach werden ließ.

Allie stieg ein, während Cole den Koffer einlud. Dann setzte er sich neben sie und startete den Wagen.

»Was wollen Sie auf der Harris-Ranch?«, fragte Cole, sobald sich der Wagen in Bewegung gesetzt hatte.

Allie verzog den Mund zu einer schmalen Linie. »Ich habe die Ranch geerbt«, sagte sie. »Wie aus heiterem Himmel flatterte der Brief des Anwalts in mein Haus und forderte mich auf, hierherzukommen.«

Verwundert zog Cole die Augenbrauen nach oben. »Sind Sie etwa eine Harris? Das wusste ich nicht. Ich dachte immer, Sam und Laura hätten keine Erben.«

»Ich bin eigentlich auch keine richtige Harris«, erwiderte Allie. »Mein Vater war einer, aber ich habe ihn nie kennengelernt. Deshalb bezweifle ich, dass ich das Erbe annehmen kann.«

Cole schwieg einen Moment, als müsse er die Nachricht erst verdauen. »Sind Sie Forrests Tochter?«

»Ja. Forrest Harris, wer auch immer er war, war mein Vater.«

Cole erwiderte nichts. Schweigend sah er auf die Straße und fuhr durch die endlose Einöde auf eine Ansammlung von Häusern zu, die am Horizont versteckt in einer Senke lagen.

Allie betrachtete sein Profil. Er besaß eine schöne, gerade Nase und eine hohe Stirn. Seine Wangen waren glattrasiert, seine Lippen leicht geschwungen. Er war sehr attraktiv. Als er sich Allie zuwandte, konnte sie den Himmel in seinen Augen erkennen.

»Es tut mir leid«, sagte er leise.

»Was?«, fragte sie und zuckte mit den Schultern. »Dass ich eine Ranch geerbt habe, die ich nicht gebrauchen kann?«

»Dass Sie Ihren Vater nie kennengelernt haben. Und dass er als Soldat getötet wurde. Ich habe seinen Namen schon öfter mal gehört, aber ich habe ihn auch nie erlebt. Ich war noch zu klein.«

Allie lächelte und gab sich Mühe, locker zu wirken. »Da ich ihn nie gesehen habe, konnte ich ihn auch nie vermissen. Im Gegensatz zu meiner Mutter.«

»Das kann ich mir vorstellen. Es muss hart für sie gewesen sein.«

Das war die Untertreibung des Jahrhunderts, fand Allie. »Ja, das war es«, erwiderte sie. »Sie hat sich bis heute nicht davon erholt.«

Um von dem unangenehmen Thema abzulenken, holte Allie ihr Telefon heraus und stellte mit Freude fest, dass sie wieder Handyempfang hatte. Mit einem erleichterten Ausruf wählte sie die vertraute Nummer ihrer Freundin.

»Bist du angekommen? Wie sind die Cowboys so? Hast du schon alles regeln können?«, erklang sofort die Stimme von Sookie in ihrem Ohr. Sookie war Allies beste Freundin und konnte ihre Neugier kaum zügeln.

»Es fing mit einer Katastrophe an und wird mit einer Katastrophe enden, wenn ich nicht sofort einen Riegel vorschiebe. Ich treffe mich heute noch mit dem Anwalt, dann ist die Sache hoffentlich gegessen«, sagte Allie mit entschiedener Stimme.

»Eine Katastrophe? Was ist passiert?«

»Die Hinterwäldler hier haben keine Ahnung, dass der Rest der Welt schon in der Moderne angekommen ist. Sie haben vergessen, ihre gesperrte Straße dem Navisystem zu melden.« Sie warf einen Seitenblick auf Cole, der amüsiert den Mund verzog. Er wirkte jedoch weder verletzt noch empört über ihre Worte.

»Bist du etwa im Wald gelandet?«

»Nein, schlimmer, im Fluss«, stöhnte Allie.

»Im Fluss? Haben sie ihn so gut in der Landschaft versteckt, dass du ihn nicht gesehen hast?«

»Ich habe ihn gesehen, aber ich dachte, wenn das Navi es sagt ... aber egal. Jetzt bin ich auf dem Weg zur Ranch und werde alles abwickeln.«

»Und dann kommst du zurück nach L.A.?«

»Ja, danach komme ich zurück. Ich nehme den Flug heute Abend, den ich, in weiser Voraussicht, schon gebucht habe. Hier liegt der Hund begraben. Das ist das Ende der Welt. Ich weiß nicht, was mich geritten hat, dass ich überhaupt hierher gefahren bin. Es ist grausam!«

»Du solltest persönlich erscheinen, hatte dir der Anwalt geschrieben«, erinnerte Sookie die Freundin.

Allie sah zum Fenster hinaus und betrachtete die endlos erscheinenden Felder und Wiesen an den Seiten der Straße. Die Prärie erstreckte sich meilenweit und ungestört von menschlichen Behausungen bis zum Horizont. Im Westen erhoben sich majestätisch die Rocky Mountains. Schnee lag auf den Bergspitzen, Wolken hatten sich wie Zuckerwatte um die Felsen gelegt. Die Landschaft wirkte einsam und erhaben wie ein Meer aus Gras und Blumen, dahinter lagen die Berge wie die Wohnung der Götter. Warum dieser Mann unbedingt wollte, dass sie diese Ödnis sah, erschloss sich ihr nicht. Sie hätte es gleich ablehnen sollen, dann könnte sie jetzt mit der Filmproduktionsfirma verhandeln und ihr Leben endlich in Ordnung bringen. »Ich weiß«, sagte sie leise. »Es war eine blöde Idee.«

»Dann erledige alles und komm zurück. Ich warte auf dich. Allerdings treffe ich mich heute wieder mit Art. Er lädt mich zum Essen ein.«

»Will er dir einen Antrag machen?«, fragte Allie interessiert nach. Die Liebesangelegenheiten ihrer Freundin beschäftigten Allie sehr. Vermutlich in Ermangelung eigener romantischer Abenteuer.

»Vielleicht!«, rief Sookie aufgeregt. »An der Zeit wäre es ja. Immerhin sind wir inzwischen seit zwei Jahren zusammen.«

»Ich drück dir die Daumen.«

»Willst du dir nicht einen heißen Cowboy angeln? Du könntest ein bisschen Entspannung gebrauchen! Du sitzt den ganzen Tag nur über den Büchern und kommst nicht raus. So ein Cowboy wäre ...«

»Ganz sicher nicht, Sookie. Das ist überhaupt nicht mein Stil. Ich suche etwas anderes als ein flüchtiges Abenteuer.« Allie schielte wieder zu Cole, da sie die neugierigen Blicke ihres Fahrers spürte. »Ich muss auflegen. Wir sehen uns morgen wieder.«

»Okay, bis morgen. Viel Glück! Vielleicht kannst du die Ranch verkaufen und etwas Bargeld herausschlagen.«

»Ich werde es versuchen.« Sie legte auf und steckte das Handy weg.

»Nur zur Erklärung«, sagte Cole lächelnd. »Wir in Montana sind durchaus schon in der Moderne angekommen. Es gibt seit Kurzem heißes Wasser in den Badewannen, und hin und wieder soll sogar ein Computer gesichtet worden sein. Diese Dinger sind zwar etwas scheu, aber bei guter Pflege lassen sie sich auch von uns anfassen.«

Allie verkniff sich ein Lächeln. »Wie ist es mit Internet?«

»Das muss man gut füttern, dann funktioniert es auch.«

»Was frisst es denn? Bei uns in L.A. kommt es sehr gut ohne Leckerlies aus.«

»Sie sind also aus Kalifornien?«, wechselte Cole das Thema.

»Ja, dort geboren und aufgewachsen, und ich habe auch vor, dort zu sterben."

»Ich war noch nie in Los Angeles. Es soll aber ganz schön sein.«

»Die Stadt ist fantastisch«, schwärmte Allie. »Coole Leute, schicke Bars und abgefahrene Events. Ich liebe es dort.«

»Das ist nicht zu überhören«, schmunzelte Cole.

»Ist das Boulder?« Mit großen Augen sah Allie zum Fenster hinaus, wo nach einer Straßenbiegung mitten in der Einöde mehrere Häuser an der Hauptstraße klebten. Dahinter lagen einige Höfe, in denen Hunde bellten und Traktoren tuckerten.

»Ja, das ist Boulder«, lächelte Cole, der das Entsetzen in Allies Stimme gehört hatte. »Es ist etwas kleiner als L.A., aber wir arbeiten daran, es zu vergrößern. Demnächst soll es einen Schuhladen hier geben. Er wird bestimmt trendige Gummistiefel führen.«

Allie schmunzelte und warf Cole einen amüsierten Seitenblick zu. »Ich weiß nicht, ob ich so lange warten kann«, erwiderte sie.

Cole bog von der Interstate ab und fuhr eine unbefestigte Straße gen Westen.

»Boulder ist gar nicht so schlecht, wenn man davon absieht, dass es nur reichlich tausend Einwohner hat. Aber diese Leute sind wunderbar und halten zusammen. Hier wird niemand allein gelassen. Als der alte Harris, Ihr Großvater, starb und seine Frau Laura die Ranch nicht mehr allein betreiben konnte, haben alle mit angefasst, bis zu Lauras Tod. Sie sollten sich genau überlegen, ob Sie die Ranch nicht doch übernehmen wollen.«

»Nur über meine Leiche«, lehnte Allie kategorisch ab. »Was will ich mit einer Ranch am Ende der Welt? Ich gehöre nach L.A. und zu keiner anderen Stadt sonst.«

»Schade«, seufzte Cole. »Wir hätten etwas frischen Wind gebrauchen können. Es ist selten, dass jemand wie Sie hier auftaucht, der nicht nach Pferdemist, sondern nach Chanel riecht, der anstelle von Stiefeln hochhackige Sandalen trägt und die Sonne und das Meer im Haar hat.« Er deutete auf Allies blonde Highlights in den hellbraunen Haaren. Sie leuchteten tatsächlich, als wäre ihr Haar von der Sonne geküsst worden. »Sie wären uns sehr willkommen. Also mir jedenfalls«, fügte er verlegen hinzu.

Allie lächelte. Es sah ganz so aus, als hätte sie einen bleibenden Eindruck bei ihrem Fahrer hinterlassen. Er schien sie zu mögen, so wie er sie heimlich wohlwollend musterte. »Ich bin übrigens Cole«, sagte er.

»Allie.« Selbst mit verlegener Miene sah Cole gar nicht so übel aus, so dass Allies Hand ein Eigenleben zu bekommen schien und wie zufällig flirtend durch ihr Haar fuhr.

»Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Allie. Bei uns in Boulder duzt man sich, wenn man zusammen eine Strecke im Auto gefahren ist und den Vornamen kennt.« Er lächelte und hielt den Wagen an. Sie waren auf einem großen Hof angekommen. Links befand sich ein hellblaues Holzhaus, von dem die Farbe blätterte und das nach einem Wohnhaus aussah. Rechts lagen langgestreckte Gebäude, aus denen das Muhen von Kühen kam. Vor ihnen führte eine unbefestigte Straße, die diesen Namen kaum verdiente und mehr an einen Trampelpfad erinnerte, auf endlose Felder, auf denen Rinder und Pferde weideten.

»Sind wir da?«, fragte Allie und starrte den Dreck auf dem Hof an. Kein Wunder, dass es Gummistiefel geben sollte!

»Ja, wir sind da.« Cole öffnete die Tür und sprang aus dem Wagen. Sofort stürmte ein junger Mann, der, seinem Aussehen nach, noch nicht einmal zwanzig Jahre zählte, auf Cole zu.

»Sie liegt da und quält sich«, sagte er atemlos. »Ich glaube, es sind Zwillinge!«

»Ganz sicher nicht, Phil«, erwiderte Cole. Er drehte sich zu Allie um, die fassungslos aus dem Jeep stieg. »Ich werde im Stall gebraucht. Geh am besten ins Haus und warte, bis jemand zu dir kommt.«

»Es ist eine richtige Ranch?«, fragte Allie bestürzt. »Nicht nur ein altes Haus mit verwildertem Garten drum herum, sondern eine echte Ranch mit Rindern und Pferden und Stalljungen und Cowboys?«

Cole lachte. »Ja, eine richtige Ranch. Ich muss erstmal ein Fohlen zur Welt bringen, dann bin ich wieder bei dir.« Er drehte sich um und rannte mit einer Arzttasche in der Hand hinter dem Stalljungen Phil her und verschwand in einem der langgestreckten Gebäude.

Wie vom Blitz getroffen blieb Allie zurück. Als sie den Brief vom Anwalt erhalten hatte, in dem stand, dass sie eine Ranch mit sechshundert Morgen Land geerbt hatte, war sie davon ausgegangen, dass es sich lediglich um ein Gebäude mit viel Wiese handelte. Dass es eine richtige Farm sein könnte, die bewirtschaftet wurde, damit hatte sie im Traum nicht gerechnet. Diese Ranch sollte sie übernehmen und möglicherweise sogar leiten? Nie im Leben!

»Brauchst du Hilfe?«, fragte auf einmal eine männliche Stimme neben ihr. »Du siehst aus, als hättest du soeben den Teufel persönlich gesehen. Dabei war es doch nur unser Cole, der Tierarzt.«

Sie wandte den Kopf zur Seite und sah in ein paar grüne Augen, die sie spöttisch anblitzten. Sie saßen in einem schmalen Gesicht mit vollen Lippen, die zu einem ironischen Lächeln verzogen waren. Dichte, blonde Haare, von Wind und Wetter durcheinandergewirbelt, lagen um den Kopf des Mannes.

»Ich ... äh ... ich bin nur überrascht, das ist alles«, sagte Allie und versuchte, sich zu fangen. Sie wollte nicht wirken, als wäre sie von der Lage völlig überfordert. »Ich war von einer anderen Grundsituation ausgegangen.«

»Dann hoffe ich, dass die Änderung der Grundsituation kein größeres Problem darstellt«, sagte der Mann und sah sie verschmitzt an.

»Nein, nein, das denke ich nicht. Das wird nichts ändern.«

»Du bist die Lady, die eben in den Fluss gefahren ist?«, fragte der Mann und grinste breit. »Willkommen in Montana.«

Allie stöhnte laut. »Hat sich das etwa bereits herumgesprochen? So ein Fehler kann doch jedem passieren.«

Wilson lachte. »Vielleicht sollte ich so eine Flussfahrt auch mal probieren. Immerhin bist du jetzt eine Berühmtheit hier.«

»Tut mir leid, Boulder enttäuschen zu müssen, aber heute Abend bin ich schon wieder weg. Dann ist es vorbei mit meiner Berühmtheit.«

»Schade.« Er lächelte bedauernd, dann wandte er sich lässig ab und betrat eine Art riesigen Schuppen, aus dem es laut muhte. Neugierig lugte Allie in die offene Tür und sah eine Maschine, an der mehrere Kühe hingen und gemolken wurden.

»Oh Gott«, murmelte sie, entsetzt von dem Anblick der Arbeit auf der Ranch. Sie drehte sich einmal um die eigene Achse. Als sie merkte, dass sie ganz allein hier stand und sich niemand um sie kümmerte, lief sie eilig in das Gebäude, in dem Cole verschwunden war.

 

Allie fand sich in einem warmen Stall wieder, in dem es nach Pferden roch. Mehrere mit Stroh gefüllte Boxen befanden sich zu beiden Seiten des Ganges, aus einer Box in der Ecke vernahm sie das Stöhnen eines Pferdes.

»Es sind keine Zwillinge, Phil«, sagte Cole, als Allie zu ihm trat. Er kniete im Stroh und fasste einer liegenden, braunen Stute in den Geburtskanal. »Das Fohlen will mit dem Steiß zuerst kommen.«

»Oh nein, oh nein«, erwiderte Phil aufgeregt. »Das nimmt kein gutes Ende.«

»Das ist wirklich sehr ungünstig, zumal es sich auf den Rücken gedreht hat«, erwiderte Cole.

»Was können wir da machen, Doc?«, wollte Phil besorgt wissen. »Es kann sein, dass Mutter und Fohlen die Geburt nicht überleben. Arme Enya!«

»Male nicht gleich den Teufel an die Wand! Ich werde versuchen, das Fohlen zu drehen. Bitte halte die Stute fest.«

Allie beobachtete, wie Phil zum Kopf der Stute ging, sie beruhigte und dabei am Halfter festhielt, während Cole versuchte, das Fohlen im Mutterleib zu drehen. Es war offenbar schmerzhaft für die Stute, denn sie stöhnte und schlug mit dem Kopf um sich.

»Es geht nicht«, sagte Cole und schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, wir müssen sie noch einmal aufstehen lassen.«

Phil nickte und stand auf, wobei er die Stute am Halfter nach oben zog. Ächzend erhob sich Enya und folgte Phil artig durch die große Box. Dabei bemerkte Cole, dass Allie sie beobachtete.

»Deine erste Fohlengeburt?«, fragte er lächelnd.

Allie nickte. »Meine erste Geburt überhaupt.«

»Sie ist nicht ganz einfach, aber ich hoffe, wir kriegen es hin.« Er hielt die Stute an und betastete ihren Bauch, bevor sie noch ein paar weitere Runden laufen musste. Dann griff er abermals in den Geburtskanal und befahl Phil, die Stute sich wieder legen zu lassen.

Enya ließ sich erneut im Stroh nieder, wo ihr Leib von einer starken Wehe durchflutet wurde. Kurz darauf zeigte sich ein weißes Bündel zwischen ihren Beinen.

»Es kommt«, sagte Cole. »Allerdings in einer geschlossenen Eihaut. Phil, halte Enya fest. Allie, ich brauche dich!«

»Ich?«, rief Allie entsetzt. »Ich kann das nicht!«

»Du musst nur die Haut an den Nüstern des Fohlens zertrennen, sobald es da ist. Sonst erstickt es.«

»Willst du wirklich diejenige, die es nicht einmal schafft, ihr Auto vor einem langsam fließenden Fluss in Sicherheit zu bringen, weil sie stur auf ihr Navi hört, bitten, das Leben eines Fohlens zu retten? Ich habe definitiv keine Ahnung.«

»Dann löse Phil ab. Er soll mir helfen.«

»Nein ... ich ...«

»Allie, bitte!« Er klang dringend.

Allie hatte keine Ahnung, wie alles ablaufen sollte, aber sie hockte sich schließlich neben Cole ins Stroh und ließ sich beschreiben, was sie tun musste, sobald das Fohlen in der Eihaut aus der Stute geschlüpft war. Noch nie in ihrem Leben war sie einem Pferd so nahe gekommen, so dass ihr das, was Cole von ihr verlangte, wie der Sprung ins Wasser an der tiefsten Stelle des Ozeans vorkam, und das als Nichtschwimmerin! Cole tastete bei der nächsten Wehe sanft nach dem Fohlen und suchte einen Huf. Als er ihn gefunden hatte, löste er die weiße Hülle an der Stelle, so dass sich die Beine des Neugeborenen strecken konnten. Dann zog er vorsichtig daran, bis es aus der Stute glitt. Sofort suchte Allie die zarten Nüstern des Fohlens und zertrennte mit ihren Fingern die Eihaut, so dass es atmen konnte, während Cole den Rest der Eihaut abstreifte und Phil befahl, den Kopf der Stute loszulassen, damit sie sich zu ihrem Fohlen beugen konnte.

Doch das Fohlen atmete nicht.

»Es ist tot!«, rief Allie erschrocken. »Bin ich etwa schuld? Habe ich es getötet?«

»Nein, warte noch einen Moment.« Cole klang angespannt.

Noch immer erfolgte kein Atemzug des kleinen Pferdes.

»Und was nun?«, fragte Allie und spürte, dass sich ein dicker Kloß in ihrer Kehle bildete. Tränen stiegen in ihren Augen auf. »Es ist definitiv tot. Es ist so klein und unschuldig und hat doch keine Chance auf das Leben.«

»Ich gebe ihm etwas, damit es atmet«, sagte Cole und eilte zu der Arzttasche in der Ecke der Box, aus der er eilig eine Spritze nahm und eine helle Flüssigkeit aufzog.

»Du musst atmen, Kleines«, flüsterte Allie und streichelte die Nase des Fohlens. »Atme!« Als immer noch kein Atemzug erfolgte, tropfte eine Träne aus Allies Auge auf das leblose Fohlen. Allie beugte sich herab und küsste zart die weiche Nase. »Es tut mir leid«, flüsterte sie.

In diesem Moment schnaubte das Pferdebaby kaum hörbar, gefolgt von einem leichten Niesen. Danach bewegte sich sein Brustkorb auf und ab. Es atmete.

Erleichtert sah Allie zu Cole auf und wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht. »Ich habe es doch nicht umgebracht. Es lebt.«

Cole steckte die Spritze wieder weg und schmunzelte. »Natürlich hast du es nicht getötet. Manche Fohlen brauchen etwas länger. Das hast du gut gemacht.«

Er setzte sich zu ihr und streichelte mit ihr das zarte Gesicht des Fohlens. Die Stute beugte ihren Kopf zu ihrem Kind und leckte es sauber.

Allie fühlte sich seltsam. Wunderbar und voller Rührung, weil sie diesem zarten Wesen auf die Welt geholfen hatte.

»Es ist unfassbar«, flüsterte sie. »Es wirkt so niedlich, aber auch erschöpft von der Geburt, so hilflos und schwach.«

»Pass auf, in einer Stunde ungefähr wird es aufstehen und auf wackligen Beinen die Welt erkunden wollen.«

»Es ist ein Wunder.«

»Ja, das ist es.«

Allie spürte, dass Coles Hand zufällig sanft die ihre berührte, als sie gemeinsam den Kopf des Fohlens streichelten. Sie sah ihn an und lächelte. Er lächelte ebenfalls und nickte ihr zu. In diesem Moment waren keine Worte nötig. Allie wusste genau, dass sie und Cole dasselbe dachten. Dass sie beide Ehrfurcht vor dem Wunder des Lebens verspürten und sich als Teil des Universums erkannten. Und dass sie wussten, dass ihnen niemals jemand diesen Moment im Stall an der Seite des frischgeborenen Pferdchens nehmen konnte. Allie sah in Coles blaue Augen und hatte auf einmal das Gefühl, in ihnen Wärme und Zuneigung für sie zu entdecken. Und ein Strahlen, das sie noch nie in den Augen eines Mannes gesehen hatte. Und auf einmal war dieses Gefühl da, auf das sie ihr Leben lag gewartet hatte. Es war, als würde die Welt den Atem anhalten. Ihr Herz schlug eine Spur schneller. Ihr schien es, als wäre der Stall auf einmal ein strahlender Palast, als würde die Sonne wärmer und heller durch die schmutzigen Fenster lugen. Als wäre das Scharren der Tiere im Stroh ein Orchester mit schöner, romantischer Musik. War es das, wovon ihre Mutter immer erzählt hatte? Bisher hatte sie gedacht, es wäre ein Märchen, das sie ihr immer wieder unter die Nase gerieben hatte, um die Vergangenheit und ihre eigene Liebe lebendig zu halten. Aber vielleicht gab es dieses Gefühl ja doch! Dieses innere Wissen, dass dieser Mann derjenige war, der genau zu ihr passte. Das konnte doch nicht sein! Ausgerechnet jetzt? Ausgerechnet hier?

Es war Allie noch nie passiert, dass sie einen Mann auf Anhieb so mochte wie Cole. Und ihm schien es ähnlich zu gehen, denn er sah Allie mit sanftem Blick an.

»Er braucht einen Namen«, sagte Allie leise. Cole öffnete gleichzeitig seinen Mund und sagte sanft: »Du solltest ihm einen Namen geben.« Beide flüsterten, als wollten sie die Stimmung nicht zerstören.

Allie lachte verlegen, Cole ebenfalls.

»Derselbe Gedanke«, murmelte Allie. »Aber du bist der Profi, du solltest es tun.«

»Es ist dein Fohlen auf deiner Ranch.«

»Es ist nicht meine Ranch«, widersprach Allie.

»Du solltest ihm trotzdem einen Namen geben. Es ist übrigens ein Junge.«

»Dann ... äh ... nenne ich ihn ...« Sie überlegte einen Augenblick. Um ehrlich zu sein, war es ein sehr, sehr langer Augenblick, den sie für ihre Überlegungen benötigte. Cole hatte seine Hand längst zurückgezogen und seine Tasche gepackt. Phil war mit roten Wangen und frohen Mutes aus dem Stall gegangen, da hatte sie immer noch keine Idee, wie sie das Pferd nennen sollte. Ihr fiel immer nur ein Name ein, der seit dem Brief des Anwalts unverwandt in ihrem Kopf herumspukte und nicht so schnell wieder verschwinden wollte. Schließlich gab sie sich einen Ruck.

»Ich glaube, ich nenne ihn Forrest«, sagte Allie zu Cole, der mittlerweile wieder neben ihr stand und an der Mauer der Box lehnte. »Etwas anderes fällt mir gerade nicht ein.«

Cole nickte lächelnd. »Das ist der perfekte Name für den kleinen Kerl.«

Allie betrachtete das Lächeln und war sich inzwischen immer sicherer, dass dieses Gefühl kein Zufall gewesen sein konnte. Cole war umwerfend. Er war klug und gebildet, attraktiv und vor allem einfühlsam. Sie befanden sich auf derselben Wellenlänge, verstanden sich auf Anhieb, als wären sie füreinander geschaffen. Warum musste er dann unbedingt in dieser trostlosen Gegend leben, die sie schon bald wieder verlassen würde? Das Leben war einfach nicht fair!

Allie seufzte innerlich und sah zu Forrest. Der kleine Kerl blickte inzwischen munter in die Gegend und versuchte tatsächlich langsam, aufzustehen. Es sah ungeschickt und taumelig aus, als hätte er zu tief ins Schnapsglas gesehen. Allie musste herzlich lachen und hätte Forrest am liebsten dabei geholfen, mit seinen vier Beinchen klarzukommen. Aber er schaffte es schließlich ohne fremde Hilfe und stand breitbeinig unter dem Bauch seiner Mutter, um die Muttermilch zu trinken.

»Wir sollten die beiden jetzt allein lassen«, sagte Cole.

Allie nickte und verließ schweren Herzens die Box mit Forrest und seiner Mutter. »Mach’s gut, Forrest«, sagte sie leise. Doch Forrest tat so, als ob er sie nicht gehört hätte, und trank munter weiter.

Allie betrat mit Cole den Hof. »Wirst du wirklich heute Abend wieder abreisen?«, fragte er.

»Ich bin um drei mit dem Anwalt verabredet, um alles zu klären. Danach bin ich weg.«

»Es ist bereits nach vier.«

»Was?« Erschrocken sah Allie auf ihre Uhr. Cole hatte Recht. Es war später, als sie gedacht hatte.

»Bei einer Pferdegeburt kann man schon mal die Zeit vergessen«, schmunzelte Cole.

»Und was mache ich jetzt?«

»Zane wird irgendwo hier sein. Sein Auto steht da vorn.« Er deutete auf einen SUV, der auf einer Wiese vor dem Hof parkte.

»Danke, Cole, dass ich dir mit dem Fohlen helfen durfte«, sagte Allie lächelnd. »Vielen Dank für alles.« Sie spürte immer noch diese Zuneigung diesem Mann gegenüber, versuchte jedoch, sie zu überspielen.

»Du musst mir nicht danken. Du warst eine hervorragende Assistentin. Du wärst bestimmt auch eine gute Ranchbesitzerin.«

Sie runzelte die Stirn und schüttelte vehement den Kopf. »Ganz sicher nicht.«

»Überlege es dir, Allie. Das Leben hier hat auch Vorteile, selbst wenn du sie jetzt vielleicht nicht erkennst. Ich habe mehrere Jahre in Seattle gelebt und dort studiert, und ich hätte dort auch eine gutbezahlte Anstellung finden können, aber ich bin zurückgekehrt, weil ich die Menschen und das Leben hier liebe. Triff keine überstürzte Entscheidung! Ich würde mich jedenfalls freuen, dich hier zu haben.« Cole schenkte ihr einen intensiven Blick, der mehrere Herzschläge zu lange dauerte, um nur freundlich gemeint zu sein. Dann wandte er sich ab. »Wenn ich dich über die Ranch führen und dir alles zeigen soll, sag Bescheid.« Er zwinkerte ihr zu, und Allie spürte, dass ihr Herz erneut einen Schlag aussetzte.

»Okay, dieses Angebot nehme ich an, aber erst nach dem Gespräch mit dem Anwalt.« Gegen eine Tour über das Gelände mit einem verdammt attraktiven Veterinärmediziner war nun wirklich nichts einzuwenden, auch wenn sie das Erbe ausschlagen und in wenigen Stunden wieder nach Hause fahren würde.

»Dann bis später, Allie.« Cole lächelte, dann lief er über den Hof hinüber in ein weiteres Stallgebäude und verschwand darin.

Allie drehte sich mit einem kaum hörbaren Seufzen, das ihr selbst kaum bewusst war, um und lief auf den SUV des Anwalts zu. Sie hoffte, den Mann in der Nähe des Wagens vorzufinden, und wurde tatsächlich nicht enttäuscht. Ein Mann Anfang fünfzig, der zu seinem Anzug Cowboystiefel trug, stand an der Seite neben einem alten, baufälligen Schuppen und unterhielt sich mit dem Mann mit den grünen Augen, der Allie vorhin angesprochen hatte. Als der Grünäugige Allie bemerkte, hielt er mitten im Satz inne und verzog amüsiert den Mund.

»Hat sich deine neue Grundsituation etwas stabilisiert, Flusslady?«, fragte er sie mit einem verschmitzten Grinsen.

»Nein, nicht wirklich«, erwiderte sie. »Im Gegenteil. Und ich bin keine Flusslady« Sie wandte sich an den Mann im Anzug. »Sind Sie Zane Desplas?«

»Der bin ich.« Der Anwalt legte ein einnehmendes Lächeln auf, das zwar geschäftig ausfiel, aber dennoch nicht einschüchternd wirkte. Offenbar hatte er lange dafür geübt. »Sie müssen Allie Benning sein. Wir hatten telefoniert.«

»Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, aber es gab einen Notfall im Stall, da habe ich völlig die Zeit vergessen."

»Wie es aussieht, haben Sie schon die Initiative ergriffen und die Ranch erobert«, sagte der Anwalt mit einem verhaltenen Nicken seines Kopfes.

»Naja, so würde ich es nicht formulieren. Ich ... äh ... ich wurde eher gegen meinen Willen ins kalte Wasser geworfen.«

»Der Doc hat gelegentlich eine sehr überzeugende Art«, mischte sich der Mann mit den grünen Augen ein. »Ich wünsche dir jedenfalls viel Erfolg mit deiner Ranch, Allie. Wir sehen uns noch. Ich muss los. Bis bald, Mr. Desplas.«

»Bis bald, Wilson«, verabschiedete sich der Anwalt von Wilson.

»Es ist nicht meine Ranch! Und ich werde heute ...«, protestierte Allie, doch Wilson drehte sich weg und ließ sie einfach stehen, ohne auf ihre komplette Antwort zu warten.

»Wer ist das? Er ist sehr unhöflich«, sagte Allie zu Zane Desplas.

»Sein Name ist Wilson Redcliffe, er ist einer der Cowboys hier. Die meisten Männer in dieser Gegend besitzen eine etwas raue Art Frauen gegenüber. Rau aber herzlich, Sie werden sich schon noch daran gewöhnen.«

»Ich denke nicht. Ich ... wir müssen reden.«

Der Anwalt runzelte die Stirn, und Allie verspürte ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Gleich würde sie dem Mann sagen, dass sie das Erbe nicht annehmen wollte. Das würde ihm sicherlich nicht gefallen.

»Sie haben Zweifel?«, fragte Zane Desplas. »Das ist verständlich. Ich kann Ihnen aber versichern, dass Sie sehr viele helfende Hände finden werden. Niemand hier möchte die Ranch verlieren. Deshalb habe ich auch Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um Sie zu finden. Keiner wusste, dass Forrest eine Tochter hat. Er hatte mir damals nur erzählt, dass er verliebt gewesen sei und dass es ihm das Herz zerrisse, die Frau, die er liebte, allein lassen zu müssen und in den Golfkrieg zu fliegen. Niemand konnte ahnen, dass er nicht wiederkehren würde. Es tut mir leid, Allie, dass ich mich nicht schon früher auf die Suche nach Ihrer Mutter gemacht habe. Sie hätten mehr Zeit mit Ihren Großeltern verbringen können. Aber ich war mit meiner eigenen Familie beschäftigt. Es tut mir wirklich leid.« Er wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Das Thema nahm ihn offenbar sehr mit.

Allie schluckte perplex. »Ich ... äh ... Sie kannten meinen Vater?«

»Ja, sehr gut sogar. Er war zwei Jahre älter als ich und lange Zeit ein Vorbild für mich. Wegen ihm bin ich auch zur Navy gegangen, habe aber später einen anderen Weg eingeschlagen, wie Sie sehen können. Sein Tod hat uns alle sehr mitgenommen.«

»Wie war er so?«, fragte sie leise. Ihre Mutter hatte ihr schon viel über ihren Vater erzählt, aber es waren immer dieselben Geschichten gewesen: wie sie sich kennengelernt hatten, dass er klug, gebildet, charmant, sexy und liebevoll gewesen sei und sie auf Händen getragen hätte. Allie hätte nie gedacht, dass sie jemals etwas anderes als diese alten Geschichten hören würde, weil ihr Vater noch vor ihrer Geburt getötet worden war. Um ehrlich zu sein, sie lechzte nach ein paar neuen Informationen – und dann auch noch von jemandem, der nicht hoffnungslos verliebt in ihn gewesen war.

»Forrest war sehr beliebt in Boulder, jeder mochte ihn. Obwohl er in der Schule früher eher unauffällig in seinen Leistungen war. Aber wollen wir uns nicht irgendwohin setzen?« Er deutete auf das Haus, das Allie noch nicht betreten hatte.

»Okay«, stimmte sie zu. »Gehen wir. Ist das das Haus, in dem er aufwuchs?«, fragte sie, als sie gemeinsam auf die Eingangstür zuschritten.

»Ja, das ist das Haus der Familie Harris. Es ist ein Gebäude der dritten Generation. 1870 wurde hier das erste Haus errichtet, damals eine einfache Blockhütte. Sie brannte 1893 vollständig ab und wurde durch ein neues, größeres Haus ersetzt. Das hielt sich bis 1932, dann hielt es Mr. Harris für an der Zeit, ein größeres Gebäude zu errichten, da er hoffte, mit vielen Nachkommen gesegnet zu werden. Doch der Segen blieb aus, er bekam nur einen Sohn, Sam. Sam bewohnte das Haus mit Laura und hatte zwei Söhne. Der älteste Sohn sollte eigentlich die Ranch fortführen, doch er kam bei einem Jagdunfall ums Leben. Und das Schicksal von Forrest kennen Sie inzwischen.«

»Ich bin also der letzte Zweig der Familie«, sagte Allie nachdenklich und betrachtete die einfache Diele des Hauses, in das sie eingetreten war. Sie war schlicht gehalten, nur ein Spiegel und eine Garderobe befanden sich darin. An den Haken hingen mehrere warme Jacken.

»Ja, sie sind der letzte Zweig der Familie Harris. Ohne Sie müsste die Ranch zur Versteigerung angeboten werden, das wäre wirklich schade.« Er klang ernst.

»Es ist eine Rinderranch?« Allie erkannte ihre Stimme kaum. Sie klang heiser, als würde es ihr schwerfallen, solche Fragen auszusprechen. Dass sie sie überhaupt formulierte, kam ihr so vor, als würde sie schon ernsthaft in Erwägung ziehen, die Ranch zu übernehmen. Das war absurd!

»Ja, jede Menge Rinder. Außerdem noch Pferde, aber diesen Zweig sollten Sie abstoßen. Er ist unrentabel.«

»Ich habe überhaupt keine Ahnung von Viehzucht.«

»Sie würden es lernen. Mr. und Mrs. Harris haben ordentliche Bücher geführt und alles gut durchschaubar hinterlassen. Sie hätten keine Mühe, alles zu erfassen.«

In diesem Moment kam Allie eine Idee. »Könnte ich einen Verwalter einsetzen, während ich in L.A. bin und alles nur aus der Ferne beobachte?«

»Das wäre eine Möglichkeit, ich wüsste allerdings nicht, woher Sie einen fähigen Verwalter nehmen könnten. Aber gut, der würde sich vielleicht finden lassen.« Er klang nachdenklich, als würde er abwägen, wo er einen solchen Verwalter auftreiben sollte. »Sie müssten trotzdem alles regeln, finanziell und anderweitig, und die Entscheidungen treffen.

---ENDE DER LESEPROBE---