Crazy Doc - Rüdiger Schneider - E-Book

Crazy Doc E-Book

Rüdiger Schneider

4,8

Beschreibung

'Es geht turbulent zu in der Mondmannschen Anstalt auf dem Bonner Venusberg. Eine illustre Gesellschaft hat sich dort versammelt. Wo ist das wahre Irrenhaus? Dort oder draußen in einer aus den Fugen geratenen Welt? Ein Schelmenroman mit zeitkritischem Hintergrund.

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Namen, Figuren und Ereignisse des Romans entstammen der Phantasie des Autors. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder tatsächlichen Vorkommnissen sind rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

1

„Leute, holt die Kinder rein! Scharia kommt mit Feuerschein.“

Dr. Eugen Mondmann schüttelte den Kopf, faltete die Zeitung zusammen, legte sie auf dem Schreibtisch beiseite. Der Spruch, den er gerade gelesen hatte, bildete den Schluss eines Kommentars zu einem der jüngsten deutschen Gerichtsurteile. Zwei Salafisten hatten Scharia, islamische Sittenpolizei gespielt, eine Spielhalle betreten, „Allahu Akbar“, „Allah ist groß“ gerufen, die Gäste aufgefordert, diesen Ort des Teufels zu verlassen. Als alle panisch hinausgelaufen waren, hatten sie einen Molotowcocktail geworfen und die Halle abgefackelt.

Drei Monate auf Bewährung hatte der Richter gegeben. Ein mildes Urteil, zu milde, wie der Kommentator fand. Der Richter hatte es damit begründet, man müsse Rücksicht nehmen und die Rechtsauffassung der Scharia verständnisvoll ins Urteil einfließen lassen. Schließlich sei der Islam ein Teil der deutschen Kultur.

Solche Urteile häuften sich. Erst vor ein paar Monaten hatte eine Frankfurter Richterin die Klage einer Frau abgewiesen. Diese hatte gefordert, vor Ablauf des Trennungsjahres von ihrem gewalttätigen muslimischen Mann geschieden zu werden. Von dem Züchtigungsrecht hätte sie doch vor der Ehe gewusst, hatte die Richterin gemeint und die Klage abgewiesen.

„Jetzt versuchen sie schon, die Scharia zu integrieren“, hatte Mondmann da geknurrt.

Die Seitentür des Sprechzimmers wurde aufgeschoben. Hildegard Gabriel, Mondmanns Sekretärin, kam mit einer Tasse Kaffee.

„Sie sehen aber missmutig aus, Doc“, meinte sie und schob die Tasse vor Mondmann auf den Schreibtisch.

„Mag sein“, antwortete der. „Habe gerade einen Kommentar zum jüngsten Scharia-Urteil gelesen. Sie kennen dieses Urteil?“

„Sicher. Steht ja in allen Zeitungen. Muss man sich darüber wundern? Unsere Kanzlerin sagt doch, der Islam sei ein Teil der deutschen Kultur. Neugeborene islamische Mädchen werden immer häufiger Angela genannt. Aus dem C der CDU ist doch schon längst ein Halbmond geworden. Unser Christentum geht verloren.“

„Es steht auf dem Prüfstand“, meinte Mondmann. „Wen wundert’s? Im Westen tobt nur noch der Wahnsinn. American Way of Life! Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt so viel wie die restlichen 99. Die Welt da draußen ist das wahre Irrenhaus. Nicht wir hier. In unserer Psychiatrie herrschen friedliche Verhältnisse.“

„Die wünschte ich mir da draußen auch“, seufzte Hildegard Gabriel. „Wissen Sie, dass ich neuerdings Angst habe, abends alleine auf die Straße zu gehen? Immer mehr Frauen werden belästigt, angegrapscht. Die Muslime kennen überhaupt keinen Respekt.“

„Wir wollen nicht alle in eine Schublade stecken“, sagte Mondmann. „Es gibt solche und solche.“

„Bekommen Sie die Entwicklungen nicht mit, Doc? Wir sind mitten in einer Islamisierung. Die meisten Flüchtlinge sind junge Männer, kommen mit gefälschten Pässen oder werfen ihre Ausweise vorher weg. Multikulti, Integration! Unsere Politiker spinnen doch. Wie kann die Kanzlerin ein herzliches Willkommen rufen. Unsere eigenen Rentner verarmen, sammeln Flaschen, und da lädt diese Frau die halbe Welt ein mit Begrüßungsgeld. Wo man helfen muss, muss man natürlich helfen. Aber doch nicht so. So fahrlässig. Wer weiß, wer da alles ins Land kommt? Verzeihen Sie Doc, aber ich muss meinem Herzen einmal Luft machen. Sie scheint das weniger zu bekümmern.“

„Ich weiß es noch nicht“, antwortete Mondmann. „Ist es denn wirklich so dramatisch? Aber beunruhigen tut es mich schon. Die Attentate. Erst neulich wieder in Paris. Länderspiele werden abgesagt. Ganze Städte lahmgelegt. Aber ob wir in einer Islamisierung stecken? Ich weiß es nicht. Ein friedliches Zusammenleben wäre ja möglich. Mir fällt da als Beispiel das portugiesische Faro ein. Das war einmal die für Christen und Muslime gemeinsame Stadt der Dichter und der Poesie, ‚Capital dos poetas e da poesia’. Wie schön! Bis so ein friesischer Kreuzritter, ein Christ, alles in Schutt und Asche legte.“

„Zusammenleben! Sie haben vielleicht Humor! Warum muss ich dann abends Angst haben? Wissen Sie, was eine meiner Freundinnen über die Kanzlerin gedichtet hat?“

„Nein.“

„Beim herzlichen Willkommensein lässt Mutti auch die Gangster rein.“

„Ja, ja“, entgegnete Mondmann. „Eine vertrackte Geschichte. Aber ist das Willkommensein nicht auch eine Geste christlicher Barmherzigkeit? Ich sag’ ja, das Christentum steht auf dem Prüfstand. ‚Gebt den Hungrigen zu essen, nehmt Obdachlose bei euch auf, und wenn ihr einem begegnet, der in Lumpen herumläuft, gebt ihm Kleider! Helft, wo ihr könnt, und verschließt eure Augen nicht vor den Nöten eurer Mitmenschen! Dann wird mein Licht eure Dunkelheit vertreiben.’ Jesaja, 58,7.“

Hildegard Gabriel zog die Augenbrauen hoch. „Wusste gar nicht, dass Sie so bibelfest sind.“

„Bibelfest? Nicht mehr so ganz. Könnte allerdings noch Matthäus hinzufügen. ‚Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.’ Na ja, ich hatte mal ein paar Semester Theologie als Nebenfach. Ist aber schon über dreißig Jahre her. Auf jeden Fall aber werde ich mich jetzt auch mit dem Koran beschäftigen müssen. Das ist ja das Manifest des Islam.“

„Das werden Sie in zehn Minuten schon können. Wir haben nämlich seit gestern einen muslimischen Patienten, einen Afghanen. Der kommt gleich in Ihre Sprechstunde. Ich bringe Ihnen gleich noch die Mappe mit den Informationen.“

„Ach, wusste ich noch gar nicht. Seit gestern?“

„Ja, seit gestern.“

„Und was hat er? Was fehlt ihm?“

„Machen Sie sich selbst ein Bild. Sie werden es sofort erkennen.“

2

Kaum hatte Hildegard Gabriel die Patientenakte geholt und war wieder gegangen, da klopfte es an der Tür des Sprechzimmers. Mondmann blickte auf, rief „Herein, bitte!“ Die Tür öffnete sich. Ein Mann mittleren Alters, mit schwarzem Haar und ebenso schwarzem Krausbart erschien, murmelte „Allahu akbar!“, drehte sich und kam rückwärts gehend auf Mondmann zu. Der sagte: „Grüß Gott!“ und auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch zeigend: „Bitte setzen Sie sich doch.“ Mondmann studierte das vor ihm liegende Blatt, blickte wieder auf, fragte: „Herr Suleiman Asbesi?“ Der Angesprochene nickte bestätigend.

„So“, begann Mondmann das Gespräch. „Sie sind seit gestern in unserem Haus. Ich sehe auch schon warum. Sie leiden unter zwanghaftem Rückwärtsgehen. Richtig?“

„Ja, so ist es. Ich verstehe es nicht, kann mich nicht dagegen wehren. Meine Beine haben sich verselbstständigt, gehorchen mir nicht mehr.“

„Das kriegen wir schon wieder hin“, tröstete ihn der Doc. „Seit wann haben Sie das denn? Gibt es einen besonderen Anlass, ein Ereignis, das Ihr Verhalten ausgelöst hat?“

„Ja, ich glaube schon. Es war vor zwei Wochen. Meine Frau, meine deutsche Frau, steht morgens in der Küche, macht Bratkartoffeln mit Spiegelei, wie ich mir das immer zum Frühstück wünsche. Sie trägt noch ihren Morgenmantel. Ich trete hinzu, umfasse sie von hinten an den Hüften. Sie sagt: ‚Ich will jetzt nicht.’ Das geht nicht, antworte ich. Ich werde dir dazu etwas aus dem Koran vorlesen. Ich gehe, hole den Koran, schlage die Sure Nummer zwei auf, komme zurück in die Küche und lese laut: 'Eure Frauen sind wie ein Ackerland für euch, also kommet zu eurem Ackerland, wie ihr wollt.' Was bedeutet das, meine Liebe? frage ich. Ich warte ihre Antwort erst gar nicht ab, lege den Koran beiseite, umfasse sie wieder an den Hüften Da dreht sie sich plötzlich um und haut mir die heiße Pfanne voll auf den Kopf. Ja, und seitdem kann ich nur noch rückwärts gehen. Es ist wie ein Zwang, dem ich nicht entkommen kann.“

„Verstehe“, sagte Mondmann. „Sie haben wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung erlitten, und zwar eine mit Verschiebung neuralgischer Punkte, die für die Richtung unserer Motorik zuständig sind. So etwas lässt sich manchmal nach Verkehrsunfällen beobachten. Dann können die Verunglückten entweder nur nach links oder nur nach rechts laufen. Bei Ihnen ist es die Richtung rückwärts. Unter uns, Herr Asbesi, so etwas sagt man einer deutschen Frau auch nicht. Ackerland. Das war sehr fahrlässig. Nun gut, das Kind ist in den Brunnen gefallen. Helfen wir ihm hinaus.“

„Ich kann also in Ihrem Haus zur Behandlung bleiben?“ fragte Asbesi.

„Selbstverständlich. Mit uns haben Sie eine gute Wahl getroffen. Sie sind in einer geschützten frauenfreien Zone. Wir erholen uns hier von dem Stress da draußen. Wir singen Karaoke, spielen Skat, Schach, Poolbillard und Snooker, Fußball gehört als Außensport auch dazu. Wir haben eine internationale Küche mit einem Spitzenkoch. Sie können Vorträge hören zu religiösen und philosophischen Themen, einmal am Tag mit mir sprechen, eine Trommeltherapie belegen oder auch Lachyoga. Sind Sie künstlerisch begabt, dürfen Sie malen und töpfern. Was würde ich Ihnen empfehlen? Nun ja, Fußball scheidet bei Ihnen aus. Aber mit dem Trommeln erzielt man verblüffende Resultate. Das empfehle ich Ihnen. Ich darf es Ihnen offenbaren. Ich habe es am eigenen Leibe erfahren. Ich war nämlich vor einem Jahr Patient in meinem eigenen Haus. Die näheren Umstände sollen hier nichts zur Sache tun. So viel sei Ihnen aber verraten. Mich hatte auch eine Frau um den Verstand gebracht. So, Herr Asbesi. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Wenn Sie wollen, sehen wir uns morgen wieder.“

Mondmann erhob sich, ging um den Schreibtisch herum, schüttelte Suleiman Asbesi die Hand. Der stand ebenfalls auf, sah sich orientierend um und ging dann, die Füße rückwärts setzend, Richtung Tür. Der Doc eilte ein paar Schritte voraus, drückte die Klinke, öffnete. „Wird schon“, murmelte er und klopfte seinem neuen Patienten aufmunternd auf die Schulter. „Was rückwärts geht, lässt sich auch wieder nach vorwärts orientieren.“

3

Am Abend stand Mondmann auf der Terrasse seines Hauses, sah ins Bergische, rauchte, hatte ein Glas Burgunder in der Hand, dachte nach. Die Temperaturen waren angenehm, noch nicht winterlich. Es war ein sehr milder November.

Islamisierung? Ja, nein. Er wusste es nicht. Aber es hatte sich eine seltsame Nervosität über das Land gelegt. Eine zerrissene Mentalität. Er dachte an einen Urlaub, den er sich vor einem Monat für eine Woche gegönnt hatte. Da war er nach Málaga geflogen, mit einem Leihwagen die andalusische Küste, die Costa del Sol, entlanggefahren. In Estepona hatte er die erste Station gemacht, vom Balkon seines Hotelzimmers auf den westlich liegenden Felsen von Gibraltar geblickt. Hier waren im frühen Mittelalter die Araber nach Spanien gekommen, hatten es islamisiert. Hätte es nicht ein paar hundert Jahre später die Rekonquista, die Rückeroberung durch die Christen gegeben, wären die Araber über die Pyrenäen gekommen. War es jetzt wieder so weit? Moscheen schossen wie die Pilze aus dem Boden, während Kirchen geschlossen und Kreuze abgehängt wurden. Verdrängte der Islam das Christentum? Gab es das Christentum überhaupt noch? Oder war es vielmehr nur noch eine Hülle, ein dünnes Mäntelchen? War es nicht schon längst erledigt durch den American Way of Life, der die eigentliche Zielscheibe eines islamistischen Terrors war? War der nicht der Fluch einer bösen Tat, die Folge der Bombardierung Bagdads durch die Amerikaner? Jetzt hatte man mit einer neuen Völkerwanderung fertig zu werden. Die Flüchtlingsströme bestanden nicht nur aus Familien, sondern überwiegend aus jungen Männern. Ob man diesen die so genannte deutsche Leitkultur nahe bringen konnte? Ließ sich die arabische Machokultur umlenken zum deutschen Kuschelkurs? Waren das nicht nur fromme Wünsche deutscher Politikerinnen, die sich die Männer zurechtbiegen wollten? Mit den deutschen Kerlen konnte man so verfahren. Der deutsche Mann schob nicht nur den Kinderwagen. Er setzte sich auch selber hinein.

Der Doc dachte an Karla aus Köln, die er an einem der Abende in Estepona kennen gelernt hatte. Das war keine Affäre. Man hatte sich nur unterhalten. Karla war sechzig, bevorzugte junge, knackige Kerle, die sie sich mit ihrer ansprechenden Figur und ihrem finanziellen Wohlstand auch leisten konnte. Mondmann hatte an ihr geschätzt, dass sie das, was sie wirklich dachte, auch unverblümt aussprach. Karla kannte die Männer. Sie war in einem Kölner Büro beschäftigt gewesen, hatte sich aber als Domina ein besseres Brot verdient und den Bürojob an den Nagel hängen können.

„Was meinst du“, hatte sie an dem Abend in Estepona gesagt, „was diese jungen muslimischen Männer im Sinn haben? Integration? Lächerlich. Die wollen Frauen haben. Sprachkurse? Lächerlich. Die lernen Worte wie ‚Ficken, Frau, Auto, Geld.’. Das reicht denen.“

Und Karla hatte zu den Wünschen der Männer noch ganz andere Sätze gesagt, mit einem Vokabular, das eher in eine ungeöffnete Geheimkiste gehörte als ausgesprochen zu werden. Am zweiten Tag hatten sie gemeinsam einen Ausflug gemacht, waren mit ihrem Auto, einem feuerroten Porsche, ein Stück westwärts die Küste entlang gefahren bis nach Manilva und dann in die Berge abgebogen.

„Ich weiß nicht“, hatte Mondmann unterwegs einmal gesagt. „Es ist eine traurige Geschichte. Wenn wir Christen wären, müssten wir unsere Türen eigentlich für alle öffnen, die in Not sind. Der Reichtum ist bei uns ja da.“

Karla hatte gelacht, geantwortet: „Träum weiter, Junge! Du gehörst eher in den Vatikan zum Papst als in diese Welt.“

In irgendeinem der Bergdörfer hatten sie zu Mittag gegessen. „Sei mir nicht böse“, hatte sie ihm da eröffnet. „Heute Abend musst du alleine bleiben. Ich brauch mal wieder einen leckeren, schwarzen Kerl.“

Böse war er ihr nicht. Eher erleichtert. Sie war nicht seine Traumfrau. Den Domina-Job nahm er ihr nicht übel. Sollte sie doch die doofen Kerle ausbeuten. Warum nicht? Dass sie Afrikaner vernaschte, war auch in Ordnung. Denen konnte sie nicht auf der Nase herum tanzen. Das lief eher umgekehrt.

So hatte er am Abend alleine auf dem Balkon in Estepona gesessen, nach Gibraltar gesehen. War nicht seine Psychiatrie auf dem Bonner Venusberg die bessere, die barmherzigere Welt? Böse und ungleichmäßig war der Reichtum verteilt. Allein in Saudi Arabien saßen fünftausend muslimische Prinzen und lebten in Saus und Braus.

4

Dass Mondmann vor einem Jahr die Leitung der Klinik wieder übernommen hatte, grenzte an ein Wunder. Dreißig Jahre hatte er das Haus auf dem Bonner Venusberg geführt, das Modell einer frauengeschützten Zone eingeführt, sich in der Fachwelt einen Namen gemacht mit dem Mondmannschen Gesetz. Das besagte nichts anderes, als dass hinter jedem gescheiterten Mann eine Verrückte stand. Es war sozusagen die Umkehrung des Volksmundes, der behauptete, hinter jedem erfolgreichen Mann stehe eine starke Frau. Es gab aber nicht nur erfolgreiche Männer, sondern auch gescheiterte. Und für die galt, wie Mondmann aus der Anstaltspraxis wusste, ein anderes Gesetz. Eben seins, das Mondmannsche.

Und dann hatte es ihn selber erwischt. Mit einer Malerin war er nach Lissabon geflogen. Erotisches Schokopainting sollte auf dem Programm stehen. Er hatte nicht Aufwand und Kosten gescheut, eine teure Hotelsuite mit Blick auf den Tejo gemietet, eine rauschende Liebesnacht am Cabo da Roca erlebt. Am nächsten Morgen aber lag er alleine im Doppelbett. Die Frau war weg. Von da an wusste er das meiste nur noch aus Erzählungen. Er hatte sich mit Schokolade bemalt, war nackt durch das Hotel gelaufen und hatte immer wieder den Namen der Frau gerufen. Maya, Maya. Aus der Lissaboner Psychiatrie hatte ihn nach ein paar Tagen der Banker befreit. Der Banker war der Vorsitzende des Konsortiums, das den Bau der Klinik finanziert hatte und die Gewinne einstrich. Mondmann kam als Patient ins eigene Haus, unterzog sich einer Trommeltherapie bei einem Senegalesen, den er selbst eingestellt hatte.

„Das kriegen wir schon wieder hin, Doc“, hatte Amadou gesagt. „Trommeln löst Energieblockaden, harmonisiert, bringt alle ihre Chakren wieder in Schwung. Auch die Menschen tönen, klingen, schwingen. Ich führe Sie wieder zu den Urklängen so wie damals, als Sie das Herz der Mutter schlagen hörten. Das waren die ersten Töne, die Sie wahrgenommen haben. Das Trommeln bringt Sie wieder ins Urvertrauen zurück, ruft die Erinnerung an das Archaische wach, erweitert Ihr Bewusstsein.“

Dann hatte der Senegalese seine Hand genommen, den Puls gefühlt. „Ich suche jetzt die geeignete Trommel für Sie. Nein, wir nehmen keine Conga oder Kalimba, auch keine Bongo. Vielleicht eine so genannte ‚talking drum’, eine Donno. Nein, auch nicht. Sie bekommen eine Urton-Trommel nach dem Goldenen Schnitt der Frequenzen. Die hat Obertöne in brillanter Qualität und lange, tiefe Bässe. Das ist genau richtig für Sie. Diese Trommel ist aus einem einheitlichen Stück harter Esche gefertigt und mit Dachshaut überspannt. Die tiefen Töne sind tiefer als tief, samtig, weich, wunderschön. Sie setzen Zeit und Raum außer Kraft, bringen Zentrierung und Erdung. Sie bekommen Ihr höchstmögliches Energiefeld. Die Urton-Trommel ist die richtige für Sie.“

Der Doc, zum ersten Mal die Trommel vor sich, strich mit der Hand vorsichtig über die Dachshaut, erzeugte mit den Fingern und schließlich mit der ganzen Handfläche die ersten Töne und Vibrationen, lauschte den Klängen und spürte tatsächlich, wie etwas in ihm antwortete und mitschwang. Minutenlang war er so mit dem ersten Ertasten und Erforschen der Trommel beschäftigt, dass er völlig vergaß, wo er war. Für eine erste kleine Weile waren Raum und Zeit außer Kraft gesetzt. Amadou hatte ihn lächelnd beobachtet, genickt und dann, als Mondmann eine Pause einlegte, gefragt:

„Sie wissen wirklich nicht mehr, was in Lissabon passiert ist, Doc?“

„Nein, Filmriss. Absoluter Filmriss. Was davor war, also die Tage davor, weiß ich noch. Auch noch, dass ich am Abend vor diesem Black Out mit Maya Romero am Atlantik war, am Cabo da Roca. Eine irre Nacht, romantisch, außergewöhnlich. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Wir fahren ins Hotel zurück, ins Barrio Alto. Nun ja, und am Morgen werde ich dann im Doppelbett wach, alleine. Maya ist verschwunden, unauffindbar. Ich habe ganz Lissabon nach ihr durchsucht.“

„Wissen Sie noch, wie Sie sich mit Schokolade bemalt und nackt durch das Hotel gelaufen sind?“

„Nein, da beginnt der Filmriss. Ich weiß nicht mehr, was ich angestellt habe. Ich erinnere mich aber noch an den Zettel, den sie mir auf den Tisch gelegt hatte. ‚Wir sind zu einer Einheit verschmolzen. Jetzt kommt nur noch der Alltag, die Gewohnheit, die ich nicht ertrage und die uns töten würde. Deshalb muss ich gehen. Ich werde dich immer lieben.’ Ja, diesen Zettel habe ich bestimmt hundert mal gelesen und nichts verstanden. Warum haut sie ab, wo es gerade außergewöhnlich schön wird? Ach ja, und jetzt erinnere ich mich wieder an ein Detail. Vielleicht ist es nicht unwichtig.“

„Okay, erzählen Sie!“ forderte ihn Amadou auf.

„Nun ja, als Maya verschwand, hatte sie ihre Zigarettendose in der Küche der Suite liegen lassen. Vielleicht hat sie die Zigaretten vergessen, vielleicht aber auch absichtlich zurück gelassen. Ihre Zigaretten enthielten meist eine gewisse Portion Gras, Marihuana. Das hatte ich kennen gelernt, als ich sie das erste Mal besuchte. Da hatte ich mitgeraucht. Wir kamen auf die Idee, nach Lissabon zu fliegen, dort das Schokopainting als erotische, wenn man es so nennen will, Sonderveranstaltung zu versuchen. Ich hatte ein paar Töpfe im Fluggepäck, Pinsel, verschiedenfarbige Schokoladen. Die hatte ich mir im Kölner Schokoladenmuseum besorgt. So ein Set bekommt man allerdings auch im Internet. Kein Problem. Ich sollte Schmetterlinge und Blumen auf ihre Haut malen. Überall hin und das dann ablecken. Aber dazu kam es nicht. Außer den Blumen und Schmetterlingen hatte ich mir auch noch andere hübsche Motive ausgedacht. Zum Beispiel…“

„Doc, die Zigaretten! Sie wollten von den Zigaretten erzählen.“

„Ach so. Ja. Also, sie hat die Zigarettendose liegen lassen. Ich hatte mir eine Flasche Portwein genehmigt und dachte, wenn Maya weg ist, dann vergnüge dich wenigstens mit ein bisschen Gras. Ich rauche die erste Zigarette, mir wird schummrig, ich fange an grundlos zu lachen, dann beginnt mein Herz zu rasen, eine große Unruhe erfasst mich. Ich will mit dem Leihwagen, den wir am Flughafen gemietet hatten, wegfahren, irgendwohin. Wohin, weiß ich nicht, finde aber den Schlüssel nicht. Lachen und Panik wechseln sich ab. Ich habe so einen Zustand noch nie erlebt. Im Nachhinein weiß ich, da war kein Marihuana drin, sondern etwas anderes. Irgendeine verrückte Droge. LSD oder sonst etwas. Ich habe keine Ahnung. Von da an jedenfalls beginnt der Filmriss. Ich weiß nichts mehr, muss wie fremd gesteuert gewesen sein. Ich erinnere mich einfach nicht daran, dass ich mich mit Schokolade bemalt habe und nackt im Hotel herumgelaufen bin. Es ist wie ausgeblendet.“

„Doc, das mit der Zigarette ist doch wichtig“, warf Amadou ein. „Das ist keine Nebensächlichkeit. Ihr Zustand ist also von außen verursacht worden. Bis auf diesen Black Out sind Sie völlig normal. Sie gehören hier als Patient gar nicht hin.“

„Ich möchte mich aber ein bisschen erholen“, hatte Mondmann erwidert. „Und außerdem das Trommeln lernen. Danach verschwinde ich. Wir sind ja eine offene Klinik.“

„Verschwinden. Wohin denn?“

„Nach Sayalonga.“

„Sayalonga?“

„Spanien. In den Bergen. Etwa fünfzig Kilometer nordöstlich von Málaga. Ich habe dort eine kleine Finca. Bisher hatte ich sie meinen Patienten zur Verfügung gestellt. Jetzt brauche ich sie selbst. Ich habe über einiges nachzudenken.“

„Und wovon wollen Sie leben?“ fragte Amadou.

„Ganz einfach. Ich bin 65. Mich erwartet eine kleine Rente. Mein Haus im Bergischen werde ich verkaufen. Da habe ich eine finanzielle Reserve.“

Amadou wiegte bedenklich den Kopf. „Doc, alleine in den Bergen. Das hält doch niemand aus. Spanien. Sprechen Sie Spanisch?“

„Wenig. Aber das lässt sich ja ändern. Außerdem suche ich nicht die Einsamkeit, sondern nur für eine gewisse Zeit das Alleinsein. Das ist ein Unterschied. Einsamkeit ist unerträglich. Mit der Natur, mit dem Universum, mit dem All eins sein, ist etwas anderes. Außerdem gibt es in der Gegend genug Deutsche, die ausgewandert sind. Einsamkeit, wenn man sie nicht will, gibt es da nicht. Und die Spanier haben nicht die kühle Mentalität, wie wir sie hier vorfinden. Die haben ein Stück Afrika im Blut. Ich will auch den deutschen Winter nicht mehr, dieses Grau, die Nässe, die Kälte, die Armut an Licht. Das schlägt einem aufs Gemüt.“

„Sie wollen also Ihre Heimat verlassen?“

„Heimat? Was ist Heimat?“ entgegnete Mondmann. „Heimat ist da, wo ich mich wohlfühle. Hier wird es immer schwerer.“

Aber es kam anders. Amadou berichtete dem Banker von der Zigarette und dass mit dem Doc eigentlich alles in Ordnung sei. Der Banker wiederum berief das Konsortium ein und man überredete Mondmann, es wenigstens für zwei weitere Jahre zu versuchen, bis man eine andere Lösung gefunden habe. Auf seine Erfahrung mit dem speziellen Bonner Klinikmodell könne man nicht verzichten.

„Habe ich nicht meine Autorität verloren?“ hatte Mondmann eingewandt. „Ein Gescheiterter therapiert Gescheiterte. Ist ja so, als würde ein Bankräuber über den ethischen Umgang mit Geld reden.“

„Ach was!“ hatte der Banker abgewunken. „Ihre Patienten denken nicht groß darüber nach. Mit Ihnen läuft der Laden, und so soll es bleiben.“

Das war vor ziemlich genau einem Jahr gewesen.

5

Die einzige Frau im Haus auf dem Venusberg war Hildegard Gabriel. Sie war ein paar Jahre jünger als der Doc, Anfang 60, hatte vor zehn Jahren ihren Mann verloren und wollte mit dem, was sich Erotik oder Liebe nannte, nichts mehr zu tun haben.

„Meine Seelenruhe, Herr Dr. Mondmann“, hatte sie gesagt, „ist mir heilig.“ Dabei war sie nicht unattraktiv, verstand es, sich feminin zu kleiden, mit Blusen, die einen kleinen Einblick in ein üppiges Dekolleté erlaubten, mit langen Röcken, die eine ausgesprochen weibliche Hüfte umspielten. Die blonden Haare trug sie manchmal hochgesteckt, manchmal fielen sie auch locker bis auf die Schulter. Mondmann hatte Glück mit seiner Wahl gehabt. Hildegard Gabriel kümmerte sich mütterlich um ihn, war kompetent und fleißig. Die zahlreichen Überstunden, die sie absolvierte, entlohnte der Doc großzügig. Das Lissaboner Abenteuer hatte sie mitbekommen. Schließlich hatte sie Flüge und Suite gebucht und in ihrer mütterlichen Art auch den Kopf geschüttelt und den Doc gewarnt. „Sie kennen die Dame ja kaum. Und dann direkt so etwas. Wenn das mal gut geht!“

Es war nicht gut gegangen. Nachdem er sich eine Woche auf seiner Stube verkrochen hatte, hatte er endlich den Gang ins Sekretariat gewagt. Da hatte ihm der Banker schon signalisiert, dass ihn das Konsortium weiter als Leiter der Anstalt haben wolle. Trotz allem. Oder vielleicht auch gerade deshalb.

Hildegard Gabriel war von ihrem Stuhl am Schreibtisch aufgesprungen, auf ihn zugelaufen, hatte ihn umarmt.

„Ach, Doc, endlich sind Sie wieder da.“

Sie hatte einen prüfenden Blick auf ihn geworfen. „Na, krank sehen Sie nicht aus. Es geht Ihnen besser?“

„Alles okay“, antwortete er. „Bis auf die Erinnerung an den Black Out.“

„Habe ich Ihnen doch gleich gesagt. Konnte doch nicht gut gehen. Da kennen Sie diese Kellnerin gerade mal einen Tag und fliegen mit ihr nach Lissabon. Doc, Doc!“

„Malerin ist sie. Gekellnert hat sie nur nebenbei.“

„Egal. Jahrzehntelang sind Sie vernünftig und dann so etwas! Sie wissen wirklich nicht mehr, was Sie angestellt haben?“

„Nein. Wie weggeblasen.“

„Nun ja. Dann müssen Sie eben mit der Lücke in Ihrem Gedächtnis leben.“

„Kein Problem. Ich weiß ja aus den Erzählungen, was passiert ist. Was machen meine Schäfchen?“

„Unverändert. Der Professor sammelt nach wie vor Autokennzeichen. Donrath kommt jeden Abend mit einem Säckchen voll Steinen, die er für Meteoriten hält. Heppekausen buddelt nach Möhren, um die Abstammung des Menschen von der Möhre zu beweisen. Meisenheimer musste allerdings in die geschlossene Psychiatrie.“

„Meisenheimer?“

„Der, dessen Frau sich einen Afrikaner aus dem Urlaub mitgebracht hatte.“

„Ach ja, richtig. Er war aus seinem eigenen Haus vertrieben worden. ‚Du nix hier wohnen!’ hatte der schwarze Mann gesagt. Was ist denn passiert?“

„Stellen Sie sich vor, seine Frau hat ihn hier besucht. Aber zusammen mit dem Schwarzen. Da ist er durchgedreht, wollte den beiden an die Gurgel.“

„Durchtrieben von der Frau. Hat sie absichtlich gemacht. Sie will das Haus. Aber so einfach ist das nicht.“

„Ja. Und dann hat Ihnen Konrad Vogel einen Brief geschrieben. Das ist der, den Sie auf den Jakobsweg geschickt hatten.“

„Ja, ja, ich weiß.“

Hildegard Gabriel hatte ihm einen Brief überreicht. Der Umschlag war noch geschlossen. Der Doc betrachtete Briefmarke und Stempel, runzelte die Stirn.

„Granada? Was soll das denn? Wo ist der denn gelandet? Na ja, werde ich später lesen. Frau Gabriel, Sie werden mich übrigens noch nicht los. Das Konsortium will, dass ich die Anstalt weiter leite. Traurig?“

„Doc!“ Sie sah ihn vorwurfsvoll an. „Das ist endlich mal wieder eine gute Nachricht. Ich mache Ihnen einen Kaffee. Oder dürfen Sie nicht, weil Sie irgendwelche Medikamente nehmen?“

„Ich trommel nur. Medikamente brauche ich nicht.“

Hildegard Gabriel versorgte die Kaffeemaschine mit Wasser und Kaffeepulver. „Doc“, sagte sie. „Die Männer würden auch gerne wieder einen Vortrag von Ihnen hören. Sie fragen andauernd danach.“

„Mal sehen. Ich hab’ aber noch kein Thema.“

„Brauchen Sie auch nicht. Machen Sie doch aus dem Stegreif. Sprechen Sie über weibliche Manipulationstechniken oder nennen Sie Ihren Vortrag ‚Ohne Frau zum Glück’. Irgendetwas wird Ihnen in der Richtung schon einfallen. Unsere Klienten warten darauf. Die brauchen wieder Zuspruch.“

Hildegard Gabriel hatte ihm eine Tasse mit Kaffee zugeschoben. „Zwei Würfel Zucker sind schon drin. Wie immer“, sagte sie. Der Doc hatte den Löffel genommen, den Kaffee gegen den Uhrzeigersinn gerührt, die Stirn gerunzelt, sinnend in den kreisenden Strudel geblickt, der sich in der Tasse bildete und gesagt: „Ich könnte es dieses Mal auch ganz anders machen. ‚Ohne Frau geht nix!’ Wäre doch auch ein attraktiver Titel.“

Den Vortrag hatte er ein Jahr vor sich hingeschoben, ihn nicht gehalten. Statt dessen kam er auf das Thema „Stress beim Hoffen auf die große Geliebte und dann besonders bei ihrer scheinbaren Ankunft“. Aber auch darüber hatte er nicht geredet. Es war ihm zu kompliziert. Außerdem fühlte er sich auf diesem Gebiet wie ein gebranntes Kind.

6

Vogels Brief hatte damals noch ungeöffnet vor ihm auf dem Schreibtisch gelegen, als es an der Tür klopfte. Bevor Mondmann „Herein!“ rufen konnte, öffnete die sich. Ein Kopf lugte hervor, Lippen öffneten sich, brachten ein lang gezogenes „Aaah“ hervor. Es war Kaplan, der Mathematikprofessor. Er richtete sich auf, betrat das Sprechzimmer, schloss die Tür hinter sich, blieb stehen.

„Hallo, Herr Mondmann! Wo waren Sie denn? Ich vermisse unsere Gespräche.“