Cuba Libre! - Klaus Muller - E-Book

Cuba Libre! E-Book

Klaus Müller

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Beschreibung

Es ist das Jahr 1961. Präsident Kennedy bereitet mit dem CIA und durch Unterstützung der Exilkubaner, die Rückeroberung Kubas vor. Alles natürlich streng Geheim und im Verborgenen. In New York trifft der Privatdetektiv Floyd Carlo zufällig seinen Freund Harry. Der ist scharf auf eine Nachtclubtänzerin, die er schon länger kennt und macht ihr ein folgenschweres Geschenk. Was Floyd Carlo anfangs nicht weiß ist, dass sein Freund Harry, als Kurier für die CIA arbeitet. Floyd Carlo wird, ohne dass er es eigentlich wollte, in einen immer größer werdenden Fall von politischen Machenschaften hineingezogen. Als sein Freund kurz darauf getötet wird, fühlt er sich verpflichtet, der Sache nachzugehen. Er ist ein Privatdetektiv der alten Schule und kämpft sich ganz in der Tradition eines "Film Noir", durch den Fall. Seinen Kampf muss er mit relativ wenig Verbündeten, gegen die Interessen der CIA sowie auch gegen die tödlichen Machenschaften der Kubaner führen. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht nur die Exilkubaner hinter ihm her sind, sondern, dass auch Castros Leute Interesse haben Geheime Pläne zurück zu bekommen. Pläne, die mit der Invasion Kubas zu tun haben und für alle Parteien einen großen strategischen Wert darstellen. Einen Wert, der sie über Leichen gehen lässt. Letztlich münden alle Interessen in New York in einem unvermeidlichen Showdown. Doch auf dem Weg bis dahin, muss Floyd Carlo viel Arbeit leisten, vielen Kugeln ausweichen und vielen Damen die Hand halten…

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Klaus Muller

Cuba Libre!

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Impressum neobooks

Prolog

Cuba Libre!

Klaus Muller

Die Invasion in der kubanischen Schweinebucht war ein hauptsächlich von den Vereinigten Staaten ausgehender, organisierter militärischer Angriff von kubanischen Exilanten auf Kuba.

Sie wurde am 17. April 1961 mit verdeckter Unterstützung durch die CIA von rund 1300 seit 1959 aus Kuba geflohenen Freiwilligen hauptsächlich von Guatemala aus durchgeführt.

Die Invasion hatte den Sturz der Revolutionsregierung unter Fidel Castro zum Ziel. Sie markierte einen Höhepunkt der gegen die Castro-Regierung gerichteten Aktionen der USA.

Die US-Regierung bestritt vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen zunächst jede Beteiligung an der Invasion. Vier Tage später übernahm Präsident John F. Kennedy die volle Verantwortung.

Die gescheiterte Invasion war nicht nur eine militärische, sondern auch und vor allem, eine politische Niederlage für die Vereinigten Staaten.

Neben scharfer Kritik im In- und Ausland und das verlorene Vertrauen in die nur 90 Tage alte Regierung unter Kennedy stärkte sie Castro in seinem Kampf.

Der vertrat nun offen, die bereits 1959 nach der Flucht von Diktator Fulgencio Batista eingeleitete kommunistische Ausrichtung der kubanischen Revolution.

Befürchtungen einer zweiten Invasion beschleunigten die weitere politische und militärische Annäherung Kubas an die Sowjetunion bis hin zur Eskalation in der später anschließenden Kubakrise1962.

Kapitel 1

New York, Donnerstag, 6. April 1961

Seit Stunden schüttete Harry einen Whisky nach dem anderen in sich hinein.

Pur, – na klar. Seine glasigen Augen sprachen Bände.

Schon am Nachmittag, als ich ihn in der Stadt traf, hatte ich seinen haltlosen Blick bemerkt.

»Hey Harry, wie geht’s denn so?«, begrüßte ich ihn.

»Geht so«, knurrte er zurück und stützte sich an einen Laternenpfahl.

Sein kariertes Jackett hing schäbig an ihm herunter und hatte offensichtlich die beste Zeit schon hinter sich.

»Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?«, versuchte ich, eine Unterhaltung zu beginnen.

Entweder war es seinem Zustand geschuldet, oder er dachte wirklich nach, bis er müde,

»Weiß nicht«, herausbrachte.

Harry machte einen verdammt abgerissenen Eindruck. Doch das konnte täuschen. Auch ich kannte Zeiten, in denen man sich gehen ließ, soff und sich herumtrieb.

Es war fast ein Jahr her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.

Kurz vor Weihnachten ist es gewesen. Ich traf ihn mit einem Mädchen beim Einkaufen. Beide erzählten mir, über die Feiertage in die Berge fahren zu wollen.

Sie bräuchten ohnehin nicht viel, witzelte er noch, da sie ohnehin kaum aus dem Bett herauskommen würden.

Seitdem hatte ich weder ihn noch das Mädchen wiedergesehen. Nicht einmal ihren Namen hatte ich gewusst.

Aber so wie es aussah, war es auch nicht wichtig gewesen, ihn zu behalten.

Und jetzt würde ich den Teufel tun, ihn auf sie anzusprechen.

»Lass uns irgendwo einen Drink nehmen, Harry«, schlug ich vor.

»Keine Zeit«, kam es trocken von ihm zurück.

Er wischte sich mit der Hand seine wirren, vollen, dunklen Haare aus der Stirn und machte Anstalten weiterzugehen.

Auch wenn ich auf das Gequatsche von Besoffenen nicht sonderlich scharf war, so wollte ich doch mit ihm reden.

Alte Zeiten und so. Und wir hatten, weiß Gott, viel über die alten Zeiten zu sprechen.

Schließlich kannten wir uns schon seit der Schulzeit. Auch wenn das schon verdammt lange her war!

»Was hast du denn Großes vor, Harry?«, bohrte ich weiter.

Etwas wacklig griff er in die Seitentasche seines Jacketts und zog unbeholfen eine pralle Brieftasche heraus.

Demonstrativ klappte er sie auf und hielt sie mir unter die Nase.

Eine ansehnliche Menge Scheine kam zum Vorschein.

»Einkaufen«, war alles, mit dem er diese Aktion kommentierte.

Ich staunte nicht schlecht.

»Aber das sind doch mindestens ein paar hundert Dollar«, schätzte ich.

»Eintausend!«, grunzte er.

»Junge, was willst du denn mit tausend Dollar einkaufen?«

Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so viel Geld auf einmal in der Tasche gehabt zu haben. Und offen gesagt, ich hätte es auch Harry nicht zugetraut.

Nicht so, wie er aussah!

Er steckte seine Brieftasche wieder zurück in die Jacke.

»Ich muss los«, stammelte er und wollte sich an mir vorbeischieben.

Ich hielt ihn am Arm fest und beugte mich seinem Gesicht entgegen.

Je näher ich ihm kam, desto deutlicher bemerkte ich, wie sehr er nach Whisky stank und unsicher auf seinen Beinen schwankte.

Schon oft hatte ich erlebt, dass Jungs wie er im Suff ihr Geld für einen Dreck ausgaben und dann, wenn sie wieder zu sich kamen, mit nichts dastanden.

Auch wenn wir nicht mehr die dicksten Freunde waren, so wollte ich ihn doch davor schützen.

Wenn es denn überhaupt sein Geld war, was ich noch nicht einmal wusste.

Aber vielleicht könnte ich das Schlimmste verhüten, dachte ich.

»Lass uns zusammen einkaufen gehen«, schlug ich vor, »und danach nehmen wir noch einen Drink.«

»Okay«, stimmte er zu und torkelte an mir vorbei.

Ich hatte keine Mühe ihm zu folgen, musste ihn aber häufig davor schützen, irgendwo gegen zulaufen, oder etwas umzurennen.

Obwohl er zu wissen schien, wo er hinwollte, hatte ich nach einer viertel Stunde das Gefühl, als irrten wir beide ziel- und planlos in der Stadt umher.

Alle meine Fragen nach seinem Einkaufsziel blieben allerdings unbeantwortet.

Er brummelte jedes Mal etwas in sich hinein und machte seinen Arm wieder frei, wenn ich ihn in einen Supermarkt ziehen wollte.

Ich bemerkte, dass er sein rechtes Bein ein wenig nachzog. Nicht viel, aber doch so, dass ich mich fragte, warum es mir vorher noch nie aufgefallen war. Ich hätte es bemerken müssen. Also musste es, was auch immer die Ursache dafür war, neueren Ursprungs sein.

»Was ist nur in diesem Jahr mit dir passiert, Harry?«, dachte ich, während ich weiterhin an seinen Fersen hing.

Schlecht konnte es ihm jedoch nicht gehen, denn da waren immerhin diese tausend Dollar. Wenn, es denn sein Geld war.

Sicher, der äußere Eindruck sprach dagegen, aber was besagte das schon.

Als ich diesem Gedanken nachging, und schon gar nicht mehr damit rechnete, ging Harry schnurgerade in ein Geschäft hinein.

Ich war überrascht, hatte ich seinen Wunsch einzukaufen doch mittlerweile für eine Alkoholphantasie gehalten.

Um das Schild über dem Laden lesen zu können, trat ich einen Schritt zurück.

'Lucys Pariser Damenmoden', stand da über dem Eingang in dicken, goldenen Buchstaben auf einer schwarzen Tafel. Und wie zur Bestätigung protzten zwei üppig dekorierte Schaufenster zu beiden Seiten der Tür.

Ich folgte ihm.

Kaum war die Türglocke verebbt, kam auch schon eine Verkäuferin auf mich zugeweht.

»Womit kann ich dienen, Sir?«, wollte sie wissen und brachte eins dieser nichtssagenden, unverbindlichen Gesichter zustande.

Ich konnte nicht gleich antworten. Die Üppigkeit des Ladens, der Parfümgeruch, der allem anhaftete und eine sündhafte Kombination aus beidem, nahm mir den Atem.

Ich war noch nie in einem Geschäft wie diesem gewesen, da es in meinem Leben noch keine Frau gegeben hatte, der ich etwas schenken wollte, dass es hier zu kaufen gab.

Vielleicht war das auch etwas krank, doch so war es nun mal.

Aber bei Harry gab es offensichtlich solch eine Dame.

»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragte die Verkäuferin hartnäckig nach und ließ ihren Blick abschätzend an Harry rauf und runter gleiten.

Wie aus einem Traum erwachend, blickte ich sie an.

»Nein Danke«, antwortete ich, »ich bin mit dem Herrn hier.«

Dabei deute ich auf Harry, der mitten im Raum stand und in einem Kleiderständer wühlte.

Eine weitere Verkäuferin neben ihm, machte einen hilflosen, leicht panischen Eindruck. Sie hätte ihn wohl gerne an seinem Tun gehindert, traute sich aber offensichtlich nicht.

»Aber was suchen Sie denn, mein Herr«, hörte ich sie fast flehentlich fragen. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

Ich stellte mich zu den beiden.

Dankbar registrierte sie, dass ich zu Harry gehörte. Dankbar war sie aber wohl darüber, dass ich offensichtlich nüchtern war.

Da selbst mir Harrys Verhalten unerklärlich erschien, beschloss ich, ihr zu helfen, wenn ich konnte.

Ich tippte ihm auf die Schulter:

»Harry!«

Ich tippte noch mal.

»Harry!«

Er richtete sich auf und schaute mich gehetzt an.

»Harry, was suchst du denn? Willst du ein Kleid kaufen?«

Ich hatte den Eindruck, dass er, obwohl wir ja zwischendurch nichts getrunken hatten, noch besoffener war als vorher.

»Ja, ein Kleid«, antwortete er wie im Fieber, gab sich aber gleich wieder seiner Suche hin.

»Aber hier gibt es tausend Kleider, Harry«, versuchte ich ihn in die Realität zurückzuholen.

Er stierte ausdruckslos an mir vorbei.

»Silber!«, war das einzige Wort, das über seine Lippen kam.

Ich schaute mich mit der Verkäuferin fragend an und nahm Harry mit beiden Händen an den Schultern.

»Was heißt Silber, meinst du die Farbe?«

Wie in einer Erleuchtung wandte Harry sich an die Verkäuferin und sprach völlig klar.

»Das Kleid war Silber! Sie hatten ein silbernes Kleid in ihrem Schaufenster!«

Ich schaute die Verkäuferin an, die wiederum Hilfe suchend zu ihrer Kollegin blickte.

»Es war glatt und silbern«, bohrte Harry weiter. »Wie aus Metall!«

Seine Augen glühten vor Aufregung.

»Solch ein Kleid, wie Sie es beschreiben, hatten wir wirklich in unserem Schaufenster«, bestätigte die Verkäuferin und ging zu einem Ständer.

Sie griff hinein und zog ein dünnes, metallisch schimmerndes etwas hervor.

»Ist es das, was Sie meinen?« wollte sie von ihm wissen.

Alle schauten fragend in seine Richtung.

Wie vom Donner gerührt stand Harry mit offenem Mund da. Fast ehrfurchtsvoll betrachtete er das Kleidungsstück, das über den Arm der Verkäuferin zu fließen schien.

Langsam, immer wieder das Gleichgewicht suchend, ging er darauf zu.

Als er mit seiner schwitzigen Hand über das Material glitt, wich die Frau instinktiv einen Schritt zurück.

»Soll er doch ein Kleid kaufen, wenn es ihm Spaß machte«, dachte ich. »Ist hoffentlich sein Geld.«

Und Spaß schien ihm der Einkauf zu machen. Wie eine kostbare Reliquie nahm er es in den Arm.

»Wissen Sie denn, welche Größe die Dame hat?«, wollte die Verkäuferin wissen. Etwas in ihr schien sich zu sträuben, diesem besoffenen Kerl das Kleid zu verkaufen.

Harry glotzte sie an.

»Ist die Dame mehr zierlich, oder eher üppig?«, blieb sie hartnäckig.

Harrys Empörung über so viel Sachlichkeit in seinem Traum wurde deutlich.

»Es wird schon passen«, zischte er. »Packen Sie es ein!«

Die Verkäuferin zuckte mit den Achseln, nahm das Kleid, wickelte es in Papier ein und machte daraus ein kleines, mit einer Schleife verziertes Bündel.

Die Erleichterung, als Harry ihr die unglaubliche Summe von dreihundertfünfzig Dollar aushändigte, war deutlich in ihrem Gesicht zu sehen.

Er drückte das Päckchen an sein schmutziges Hemd vor der Brust und wir verließen den Laden so schnell, wie wir hineingekommen waren.

Zielstrebig schlug er den Weg Richtung Hafen ein, sodass ich Mühe hatte hinterher zu kommen.

»Hey, ich dachte, dass wir noch einen trinken gehen?«, rief ich, als ich neben ihm angekommen war.

»Ja, ja«, prustete er, ohne seinen Schritt zu verlangsamen.

»Mensch, Harry, für wen ist denn das Kleid? – Muss ’ne tolle Frau sein!«

Er blieb stehen und schaute mich an.

»Darauf kannst du einen lassen!«

Ich nahm ihn am Arm.

»Nun sag schon, wer ist es? Kenne ich Sie?«

»Was geht es dich an?«

»Erzähl schon, Kumpel, ich bin neugierig.«

Er schaute auf das Päckchen, das er noch immer vor seiner Brust zerknüllte.

»Rita«, antwortete er fast beschwörend und streichelte dabei liebevoll über das Papier.

Ich wollte mehr wissen.

»Rita, – wer? Es gibt viele Ritas!«

In seinem Kopf nahm er einen deutlichen Anlauf.

»Rita aus der Blue-Moon Bar«, gab er Auskunft und schaute mich mit seinen kleinen Schweineaugen fragend an.

»Kennst du sie?«

Ich hatte das Gefühl, dass in diesem Augenblick, jeder meiner Gesichtsmuskeln das tat, was er wollte.

Ob ich Rita aus der Blue-Moon Bar kannte, wollte er im Ernst wissen. – Wer kannte Rita nicht!

»Die Stripperin?«, vergewisserte ich mich.

»Tänzerin«, verbesserte er und Speichel flog in meine Richtung.

Rita von der Blue-Moon Bar!

Mein Gott, und für diese Frau hatte Harry ein Kleid gekauft!

Fast jeder Junge über sechzehn Jahren in der Stadt kannte Rita.

Und nicht eben Wenige hatte ihre ersten Liebeserfahrungen mit ihr gemacht, – wenn man dem Gerede Glauben schenkte.

Einige wohl real, andere wiederum in der Fantasie unter ihrer Bettdecke.

Bei allen wurde sie nur Lovely Rita genannt.

Ich hatte sie schon oft tanzen sehen und war sicher, dass man für ein paar Dollar auch noch mehr als nur einen Tanz von ihr bekommen konnte.

Sie war ungefähr das Verruchteste, was es fast legal in dieser Stadt gab.

Ganze Legionen von prüden Ehefrauen hatten Angst um ihre Männer. Berechtigt und hoffnungslos, wenn man, die ganzen Geschichten glaubte.

Rita war eine Frau, das wusste jeder, die man für ein paar Dollar anständig ficken konnte und sie dann am besten schnell wieder vergaß. Der man aber auf keinen Fall ein Kleid schenkte!

»Lovely Rita, willst du das Kleid schenken?«, fragte ich immer noch ungläubig.

Sein Blick wurde härter.

»Halt die Fresse!«, pöbelte er, stieß mich zur Seite und ging weiter Richtung Hafen.

Jetzt wusste ich, worauf er zusteuerte.

Direkt vor uns tauchte der milchig blinkende Schriftzug der Blue-Moon Bar auf.

Das Licht mischte sich passend in den Fisch- und Teeratem dieses Viertels.

Es war 21.00 Uhr, als wir die Bar betraten.

Wenig Betrieb. Ein paar Seeleute an den Tischen, fünf Touristen am Tresen und ein paar Mädchen, die gerade noch gelangweilt, ihre Schicht begannen.

Wir setzten uns in die Ecke des Tresens, auf den Harry sein Päckchen legte.

Kaum hatten wir auf den Hockern Platz genommen, fuchtelte er mit den Armen unmissverständlich den Barmann herbei.

»Na Harry, wieder da?«, grinste der und schob ein Glas auf ihn zu. »Wie immer?«

Harry machte nur eine Handbewegung, die ihm bedeutete, das Glas zu füllen.

Die beiden schienen sich gut zu kennen. Es hatte etwas Vertrautes.

Der Barmann schenkte ein und schaute mich dabei fragend an.

»Auch Whisky, Sir?«

Ich nickte, woraufhin ich ein Glas bekam, das er unter dem Tresen hervorzauberte.

Doch noch ehe ich meins an die Lippen setzen konnte, hatte Harry seins schon heruntergestürzt und goss sich selbst aus der Flasche einen nächsten Drink ein.

»Lass die Flasche stehen«, keuchte er, bevor er den Whisky in seinen Hals schüttete.

»Soll ich das Päckchen für dich weglegen, Harry?«, wollte der Barmann wissen.

Elektrisiert schaute Harry hoch und legte schützend eine Hand auf das Paket.

»Rühr es nicht an!«, fauchte er.

Der Barmann lehnte sich leicht in meine Richtung.

»Wie heißen Sie, Sir? Oder ist das so geheim wie das Paket?«

Ich lächelte und zündete mir eine Zigarette an.

»Mein Name ist Floyd. – Floyd Carlo.«

»Okay, Floyd, ich bin Pinky. Eigentlich Pinkus, aber alle nennen mich Pinky. – Kennen Sie ihn schon lange?« Sein Kopf deutete mit einer kurzen Bewegung auf Harry.

Ich wusste nicht, ob es ihn etwas anging, aber warum nicht!

»Ja, schon eine ganze Weile.«

»Hab Sie hier aber noch nie mit ihm zusammen gesehen, Floyd«, stellte er richtig fest.

Ich blies den Rauch meiner Zigarette in die Lampe über uns.

»Ich war noch nicht oft hier.«

Pinky reckte sein Kinn hoch.

»Ist wohl nicht Ihr Ding, was?«

Ich leerte mein Glas, bevor ich antwortete.

»Ich geh’ nicht viel weg. Ist Harry oft hier?«, wollte ich jetzt von ihm wissen, um so vielleicht etwas mehr herauszubekommen.

»Harry?«, fragte er, als wenn er die Frage nicht verstanden hätte. »Harry ist jeden Abend hier, um sich die Titten von Rita anzusehen.«

Er klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

»Halt bloß die Schnauze!«, krächzte dieser zurück.

Pinky lachte und ging, um sich, um seine anderen Gäste zu kümmern.

Ich goss mir einen neuen Drink ein.

Harry und Rita, das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich wusste zwar nicht, wer in meinem Kopf nicht zu wem passte, aber vorstellen konnte ich es mir trotzdem nicht.

»Hast du denn was mit ihr?«, wollte ich wissen.

Er schüttete gerade den wasweißichwievielten Whisky in sich hinein.

»Nein.«

»Aber warum willst du ihr denn um alles in der Welt dieses Kleid schenken?«

Harry beugte sich in meine Richtung. So, dass ich Angst hatte, er würde nach vorn überfallen.

»Weil ich sie endlich ficken will«, schmatzte er mit seiner Whiskyzunge. »Und bei Gott, ich werde dieses geile Stück heute stoßen!«

Ich schaute ihn lange an. Nicht etwa aus Überraschung, nein – eher aus dem Gegenteil. Denn dieser Wunsch in Zusammenhang mit Rita erschien mir schon wieder fast normal.

»Ja, aber, dazu musst du ihr doch kein Kleid schenken! - Ein paar Dollar – und schon geht die Post ab.«

Harry setzte sich aufrecht hin.

»Halt die Fresse, was weißt du denn schon! Du glaubst doch auch, dass jeder es mit ihr machen kann!«

»Ja, das stimmt«, bestätigte ich seine Vermutung.

»Gar nichts weißt du!«, lallte er. »Rita bekommt keiner!«

Ich musste lachen.

»Willst du sagen, dass sie noch Jungfrau ist?«

Er soff sein Glas leer und donnerte es auf die Theke.

»Du blödes Schwein! Weißt du, was das Einzige ist, was all diese Wichser, die hier herumsitzen höchstens dürfen? – Wenn Sie Glück haben, dürfen Sie sich mal mit ihr unterhalten. - Und das auch nur, wenn Sie zahlen und gewinnen.«

Nach dieser Rede sackte er in sich zusammen.

Ich zündete mir erneut eine Zigarette an und blickte auf Harry.

»Und du willst heute wohl mehr als nur mit ihr reden.«

Er lallte etwas wie »Halt die Fresse!« und machte sich erneut über sein Glas her.

An der Decke wühlten einige Ventilatoren im Rauch.

Die Bar hatte sich in den letzten Minuten zunehmend gefüllt.

Die Stühle, die an den kleinen Tischen zwischen dem Tresen und der etwas erhöhten Bühne standen, waren jetzt gut besetzt.

Hauptsächlich Männer bemerkte ich. Kaum jemand würde seine Frau oder Freundin hier mit hernehmen.

Pinky stellte sich wieder zu uns.

»Alles klar, oder benötigt ihr beiden noch etwas?«

»Nein, nein – alles klar«, versicherte ich.

Er schaute grinsend auf Harry.

»Wann tritt hier eure Attraktion auf?«, fragte ich ihn.

»Rita?«

»Ja.«

Pinky schaute genussvoll auf seine Uhr.

»Ihre Show ist um 23.00 Uhr. Willst du auch mit ihr reden?«

Ich schob meinen Hut in den Nacken.

»Ich weniger. Aber ich glaube, mein Freund hat ihr heute einiges zu sagen.«

Pinky schaute mitleidig auf Harry.

»Er kommt jetzt seit fast einem halben Jahr jeden Abend her. Aber bis jetzt hat er, soviel ich weiß, noch kein Glück gehabt.«

»Glück?«

Pinky richtete sich auf und schob mir ein Schälchen mit Erdnüssen rüber.

»Du hast noch nichts von der 'Blue-Moon Tombola' gehört?«

Ich hatte nicht, und entsprechend muss wohl auch mein Gesichtsausdruck gewesen sein.

Pinky stützte sich mit seinen Ellenbogen auf die Theke und schob seinen Kopf dicht an mein Ohr.

»Dann werde ich dich mal aufklären. Siehst du das Zigarettenmädchen dort?«

Er machte eine Bewegung mit dem Kinn.

»Was ist mit ihr?«

»Siehst du auch den Zylinder auf ihrem Bauchladen?«

Natürlich sah ich ihn.

Pinky griff in die Erdnussschale und steckte sich ein paar davon in den Mund.

»Also, hör zu! In diesem Zylinder befinden sich einhundert Kugeln. Jede von ihnen, hohl.«

Er wischte mit einem Tuch über die Theke, bevor er mit einer beschwörenden Wichtigkeit fortfuhr.

»Bis auf eine!«

Pinky machte eine Pause, um meine Reaktion abzuwarten.

»Na, klingelt’s bei dir?«

Ich muss gestehen, bei mir klingelte gar nichts und mir ging das Getue der beiden ziemlich auf den Geist.

»Kannst du mal mit deinem beschissenen Quiz aufhören und mir sagen, worum es hier geht«, fuhr ich ihn an.

Pinky war sichtlich überrascht, dass ich immer noch nicht kapiert hatte und begann, mit einer, nur Barkeepern eigenen, Geduld zu erklären.

»Na, ist doch ganz einfach. Wenn du heute Abend exklusiv Ritas Gesellschaft haben willst, kaufst du für fünf Dollar eine Kugel bei dem Mädchen und hoffst, dass es keine leere ist.«

Er machte eine Handbewegung, als wenn nichts auf der Welt selbstverständlicher wäre.

»Also, wenn ich dich richtig verstehe, dann setzt sie sich, wenn ich die richtige Kugel habe, mit zu mir, wir trinken ein paar und wenn ich Glück habe, dann darf ich ihr an die Wäsche?«

»Ja, so könnte es laufen.«

»Und sie kommt wirklich mit?«, fragte ich ungläubig.

»Du darfst ihr eine Stunde lang Drinks ausgeben und mit ihr quatschen. Das gewinnst du. Alles Weitere ergibt sich, oder auch nicht.«

Pinky beugte sich jetzt etwas dichter an mein Ohr und spitzte die Lippen wie zum Verrat.

»Wenn du das willst, mein Lieber, solltest du dir etwas Anderes suchen. Ich habe bis jetzt noch nicht erlebt, dass sie jemanden von hier mitnimmt.«

Mein zweifelnder Blick veranlasste ihn wohl, seine Behauptung zu untermauern.

»Dein Freund hier hat es bis jetzt noch nicht einmal geschafft, dass sie mit ihm redet.«

»Und er kauft jeden Abend einige von diesen Kugeln?«

»Jeden Abend.«

»Und noch kein Glück gehabt?«

»Nicht einmal.«

Ich schaute stumm zu Harry hinüber, während Pinky sich wieder zu seinen anderen Gästen verzog.

Ich hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, als ich ihn so schwankend auf seinem Hocker sitzen sah.

Seine Augen wurden immer starrer. Er kam mir vor wie ein Kettenhund, der nur darauf wartet, losgelassen zu werden, um seine Zähne in eine Wade zu beißen.

»Na Harry, willst du heute wieder dein Glück versuchen?«

Ohne zu antworten, blickte er weiter Richtung Bühne, vor der jetzt noch ein dicker, schmutziger roter Vorhang hing.

»Aber was ist«, wollte ich wissen, »wenn es heute wieder nicht klappt?«

Es kam Leben in ihn.

Seine ganze, wie mir schien, letzte Kraft zusammennehmend, richtete er drohend den Zeigefinger auf mich.

»Wenn du gehen willst, dann geh, aber verschone mich mit deinem blöden Gequatsche!«

»Okay Harry, Okay«, wehrte ich ab und drückte ihn zurück auf den Hocker.

Er murmelte etwas und trank einen weiteren Whisky.

»Wie spät ist es?«, durchzuckte es ihn plötzlich.

Ich schaute auf meine Uhr.

»Kurz vor halb elf, Harry, kurz vor halb elf.«

Leben erwachte in ihm. Er fing an, sich aufzurichten und in den Raum zu blicken.

Er suchte etwas.

»Was ist los«, wollte ich wissen.

Er antwortete nicht, sondern schaute aufgeregt umher.

»Hey Kleine!«, grölte er plötzlich in Richtung des Zigarettenmädchens durch den Raum. »Komm her!«

Ich blickte mich um und sah, wie das Mädchen sich tatsächlich einen Weg durch die stehenden Leute bahnte.

»Zigaretten Sir?«, fragte sie, als sie bei uns angekommen war.

Harry rutschte vom Barhocker und hielt sich an ihrem Bauchladen fest.

»Ich will die Kugeln kaufen«, murmelte er und griff nach dem Hut.

»Halt Sir«, wehrte sich das Mädchen, »Sie wissen doch, dass ich erst ab halb elf verkaufen darf.«

»Es ist halb elf!«, blieb Harry hartnäckig.

Demonstrativ hielt sie ihm ihre Uhr vor das Gesicht.

»Erst in drei Minuten.«

Harry schaute weder auf die Uhr noch auf das Mädchen. So kurz vor seinem Ziel wollte er nicht aufgeben.

»Dann bleibst du hier jetzt bis halb elf stehen!«

»Na hören Sie mal.«

»Du bleibst hier stehen und rührst dich nicht vom Fleck!«, schrie er.

Ich ergriff den in die Hüfte gestemmten Arm des Mädchens und zog sie etwas an mich heran.

»Bleiben Sie ruhig«, bat ich sie. »Trinken Sie so lange ein Glas Sekt mit mir und geben Sie mir ein Päckchen Luckys.«

Ich versuchte zu lächeln, um sie etwas von dem rüden Ton meines Freundes abzulenken.

Pinky brachte den Sekt und wir stießen an.

Harry stand neben uns und ließ den Hut auf ihrem Bauchladen nicht aus den Augen.

»Jetzt, Mister, ist es halb elf«, sagte sie einen Augenblick später an meinen ständig in den Knien wippenden Freund gewandt. Und mit einem Griff in den Zylinder hielt sie ihm auch schon eine Kugel unter die Nase. »Macht fünf Dollar!«

Harry kam wie eine Schlange aus dem Loch.

»Was soll das, du Schlampe! Nimm das Ding weg!«, keifte er in ihre Richtung.

Sie schaute mich hilflos an, da sie nicht wusste, was sie falsch gemacht hatte.

»Das muss ich mir nicht gefallen zu lassen!«

Ich stand auf und legte meinen Arm um Harrys Schulter.

»Komm, hör auf mit dem Scheiß. Kauf jetzt deine Kugeln und beruhige dich. Also, wie viele willst du haben?«

Ich griff in den Zylinder, um ihn ein paar herauszuholen.

»Nimm deine Hände da weg, du Penner!«, pöbelte er, wobei mir Speichel von seinen feuchten Lippen ins Gesicht flog.

»Also wie viele?«

Mit hypnotischem Blick glotzte er auf den Zylinder.

»Alle!«, sagte er, ohne aufzuschauen.

Obwohl ich genau verstanden hatte, was er gesagt hat, musste ich nachfragen.

»Was willst du?«

»Ich möchte alle«, wiederholte er betont, gleichmäßig und ruhig.

Das Mädchen glotzte ihn an und schnappte hörbar nach Luft.

»Aber Sir«, brachte sie nach einer Weile heraus, »das würde fünfhundert Dollar kosten!«

Ich sagte nichts, da ich längst begriffen hatte, dass nichts auf der Welt ihn abhalten würde.

Demonstrativ holte er ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und warf es dem fassungslosen Mädchen auf den Bauchladen.

»Harry«, versuchte ich ein letztes Mal einzugreifen.

Er schaute nicht einmal auf und griff sich den Zylinder, um ihn sich sofort an die Brust zu drücken.

»Noch ein Wort und ich schlag’ dir die Fresse ein!«, murmelte er und setzte sich zurück auf seinen Hocker.

Die Leute, die alles mitbekommen hatten und um uns herumstanden, verzogen sich wieder.

Sie hielten ihn wohl für einen Irren, oder was nicht noch alles. Und ich war mir jetzt nicht mehr sicher, ob sie mit ihren Vermutungen nicht tatsächlich recht hatten.

»Mensch Harry, die Frau will ich sehen, für die du fünfhundert Mäuse rausrückst«, versuchte ich ihn aufzuheitern.

»Die wirst du sehen, die wirst du sehen!«

Für ein Zehntel des Geldes hätte er die beste Hure der Stadt haben können. Das Geld für das Kleid, noch nicht einmal mitgezählt.

Harry begann die Kugeln aus dem Zylinder zu holen, sie langsam zu öffnen und nach der Einen zu suchen.

Ein paar Minuten später sah es so aus, als säße er in einem Berg von Eierschalen.

Und dann plötzlich hielt er sie hoch. Die Eine, von ihm so lange erwartete, unscheinbare Kugel.

Er öffnete sie behutsam und ließ den Gegenstand, der sich darin befand, in seine Hand gleiten.

Wie zum Triumph hielt er einen kleinen, goldenen Schlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe.

Seine Augen glänzten vor Wonne. Es war eine Glückseligkeit in ihm, der ich mich nur schwer entziehen konnte.

»Siehst du das hier?«, fragte er freudestrahlend und nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas.

»Okay, Harry, heute hast du es geschafft.«

Harry schloss die Hand zu einer Faust. Der Schlüssel wäre in einem Safe nicht sicherer gewesen.

Es waren noch fast fünfzehn Minuten bis zum Auftritt. Uns war beiden nicht nach einem Gespräch zumute.

Ich schaute mich um. Unter dem Hut begann meine Kopfhaut zu jucken. Durch die vielen Leute war es heiß geworden. Trotz der Menschen, der Drinks und der bunten Lichter schien es mir, als schwebe neben dem ganzen Tabakrauch eine erbärmliche Langeweile. Eine Langeweile, die jeden einzelnen der hier Anwesenden, zum Todgeweihten machte. Auserkoren, in der höchsten Verzückung zu sterben.

»Gleich geht es los.«

Harrys Worte rissen mich aus meinen Gedanken.

Und wirklich wurde in diesem Augenblick das Licht dunkler. Ein Scheinwerfer richtete sich auf den Vorhang.

Stille.

Harry rückte dichter an mich heran.

»Jetzt wirst du sie sehen, jetzt wirst du sie sehen«, flüsterte er.

Hundert Augen sogen an dem hellen Fleck auf dem Vorhang, der so vergänglich und so verlässlich war wie das Tageslicht.

Nur mit dem Unterschied, dass dieser Fleck alles um ihn herum vergessen ließ, um die Sinne für diesen einen Punkt zu schärfen.

Musik setzte ein. Langsam und rhythmisch.

Aus der Mitte des Vorhangs schlängelten sich zwei nackte Arme hervor und rissen ihn mit einer schnellen Bewegung auseinander.

Ein weiterer Schritt und Rita stand vor dem Publikum. Der Vorhang rauschte hinter ihr zusammen.

»My old flame«, begann sie zu singen. Ein Lied, das ich aus einem Hollywoodfilm der Dreißigerjahre kannte und darin, wie ich meinte, von Mae West gesungen wurde.

Ritas blonde, Superoxidhaare erinnerten an sie.

Mein Blick wanderte herunter zu ihren Fußgelenken. Um eins hatte sie eine Eisenschelle, die sie mit einem Schloss an eine Kette am Fußboden fesselte.

Mein Blick fiel auf Harry. Mit leuchtenden Augen schaute er sich das Ziel seiner Träume an.

»Na, sind das Titten?«, flüsterte er, ohne auch nur eine Sekunde in eine andere Richtung zu blicken.

In seiner Stimme klang Bewunderung, Gier und ein ganzer Haufen Traurigkeit, wie ich fand.

Ich sah wieder zur Bühne.

Es schien mir verständlich, dass man bei Ritas Anblick ans Vögeln dachte.

Sie hatte einen üppigen, aber keineswegs fetten Körper. Sie war nicht eins von diesen hauchdünnen, flachbrüstigen Modellen ohne Kontur. Und jeder Zentimeter ihres Körpers erschien mir wie eine schamlose Sünde. Eine Sünde, für die manch einer, Haus und Hof im Stich lassen würde.

»Oder eben Kleider kaufte und einen Haufen Geld ausgab«, dachte ich.

Sie hatte ein kanariengelbes, mit Paletten besetztes Kleid an, das die gesamte Schulterpartie frei ließ. Ihre großen Titten quollen aus dem Ausschnitt heraus und machten Anstalten, bei jeder Bewegung heraus zu hüpfen.

Wie ein geschmeidiges Raubtier, das sich seiner Wirkung bewusst war, glitt sie über die Bühne. Immer wieder zischte die Federboa über ihre Schulter oder an ihren Beinen entlang.

Voller Vorfreude begann Harry, den Schlüssel in seiner Hand zu schütteln und aufgeregt zu kichern.

Was machte ihn so sicher, dass er heute zu Schuss kommen würde?

»Bleib ruhig, Junge«, sagte ich und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Schau dir diese Schenkel und den Arsch an. – Nun sieh dir doch bloß diesen Arsch an!«, schwärmte er.

Ich musste zugeben, dass man Vergleichbares lange suchen müsste.

Die Musik ging ihrem Ende entgegen und Harry hielt es nicht mehr auf seinem Hocker.

Torkelnd, aber treffsicher wie ein Torpedo, bahnte er sich seinen Weg zur Bühne.

Die Musik verebbte und das Licht ging wieder an.

Unter Applaus schritt Rita an den Rand der Bühne.

»Guten Abend Jungs«, hauchte sie mit rauchiger Stimme und leckte aufreizend mit ihrer Zunge über das Mikrofon.

»Du bist gut in dem, was du tust«, dachte ich. Wenn Harry nur die Hälfte von dem bekommen würde, was sie hier auf der Bühne versprach, wäre es viel.

Sie bearbeitete das Mikrofon.

»Habt ihr denn auch artig eure Kügelchen gekauft?«

Alle Blicke richteten sich auf Harry, der mit triumphal erhobener Hand vor der Bühne stand.

Sie strich das Kleid an den Schenkeln glatt.

»Bist du der Glückliche heute?« Es schien mir, als wäre ein gewisses Wiedererkennen in ihrer Stimme.

Sie beugte sich nach vorn und ließ demonstrativ ihre vollen Brüste baumeln.

Harry hüpfte immer noch mit dem erhobenen Schlüssel vor der Bühne.

»Komm rauf hier«, forderte sie.

Unter lautem Gejohle der Zuschauer machte er sich daran, auf die Bühne zu klettern.

Rita zog ihn an einem Arm hoch, sodass er schwankend zwischen ihren Titten landete.

»Na mein Kleiner, hast du denn auch den Schlüssel, der die liebe Rita befreit?«, fragte sie und die Menge grölte.

Harry hielt den Schlüssel hoch.

»Geh auf die Knie und befreie mich«, forderte sie.

Rita stellte demonstrativ ihr Bein mit der Kette nach vorn.

Harry sackte auf die Knie und begann das Schloss zu öffnen, was ihm unter stürmischen Applaus der Leute gelang.

Rita drückte ihm den hohen Absatz ihres, jetzt freien Beines, in den Nacken.

Während sie eine berechtigte Siegerpose nach der anderen machte, blieb Harry demütig vor ihren Füßen liegen.

Nach einer Weile durfte er sich mit ihrer Hilfe erheben.

Er grabschte ihre Hand und zog sie von der Bühne in Richtung unserer Plätze.

»Nicht so stürmisch, mein Kleiner«, stolperte Rita hinter ihm her.

»Du blöder Hund machst es doch schon wieder falsch«, dachte ich, als ich sein schweißnasses Gesicht vor mir sah.

Wild gestikulierend, winkte er Pinky heran, dessen breites Grinsen die Situation deutlich unterstrich.

»Gib uns eine Flasche und zwei Gläser«, keuchte Harry.

»Hey, hey«, machte ich mich bemerkbar und erhob mich.

Wie ein breiter Frosch glotzte er mich von unten herauf an.

»Das ist Floyd«, quakte er und machte eine etwas abfällige Bewegung mit dem Kopf in meine Richtung.

»Freut mich, Sie mal kennenzulernen«, log ich nicht einmal und ergriff Ritas Hand.

»Hey Floyd«, lächelte sie und etwas an ihrem Blick ging mir deutlich unter die Haut.

Harry zog an ihr und drückte ein Whiskyglas, das er viel zu voll geschenkt hatte, in ihre Hand.

»Komm, trink mit mir«, forderte er und stieß mit seinem Glas an ihres, sodass etwas überschwappte und auf ihre Brüste kleckerte.

Noch bevor sie ihr Glas überhaupt an den Lippen hatte, war seins schon wieder leer.

Sie drückte ihn gegen ihren Busen und trank dann selbst in einem Zug aus.

Harry schmatzte verzückt zwischen ihren Brüsten. Fast sein ganzes Gesicht verschwand zwischen den beiden gewaltigen Möpsen.

Rita kicherte und ließ ihn gewähren.

Ich beschränkte mich darauf, die ganze Szene zu beobachten.

Nach ein paar Augenblicken fing Harry an, an ihrem Arsch herumzufummeln.

Zu meiner Überraschung bekam er etwas auf die Finger, als er zu stürmisch wurde.

Zerzaust, wie aus einem Traum erwachend, blickte er sie an.

Deutlich sichtbar liefen wirre Gedanken durch seinen alkoholisierten Schädel.

»Ich habe was für dich«, pustete er atemlos.

Er griff hinter sich und beförderte sein gehütetes Päckchen nach vorn.

»Für dich«, erklärte er und hielt es ihr unter die Nase.

Wenn es schon tausend waren, die ihr an den Arsch oder die Brüste gegrapscht hatten, oder die meinten, dass sie nach einem Drink die Beine breit machen würde, so war Harry glaube ich der Erste, der ihr wirklich etwas schenkte.

Vorsichtig schlug sie ihre roten Krallen in die Beute.

»Hey Harry, ist das für mich?«

»Ja klar!«

Fast beiläufig sagte er es so, als hätte er nur zufällig etwas für sie dabei.

Doch ich sah, wie genau er sie, trotz seiner Alkoholumnebelung beobachtete.

Seine Augen glitten an ihr herab und nahmen Maß. Maß für das, was sie jetzt langsam begann auszupacken.

Wie aus einer reifen Schote platzte das silberne Kleid plötzlich aus dem Papier heraus.

Harry war so aufgeregt, dass er sich beim Saufen verschluckte.

Röchelnd und nach Luft japsend hing er am Tresen, ließ Rita aber nicht aus den Augen.

»Hey, du wirst uns doch so kurz vor dem Ziel nicht noch verrecken«, lachte Pinky hinter der Bar und schlug ihm mit der Hand auf den Rücken.

Wie aus einem Gewehrlauf schnellte Harry nach vorn, ergriff Pinky an der Krawatte und zerrte an seinem Hals.

»Dir Drecksau werde ich …«, zischte er, bis ihn seine Beine im Stich ließen und er mit dem Kopf auf den Tresen knallte.

Langsam, fast wie in Zeitlupe, rutschte er auf den Fußboden.

Es schien, als habe Rita von alledem nichts mitbekommen. Sie hielt sich das Kleid vor den Körper, wendete und drehte sich im Schein der matten Lampen.

Ich stand auf und fasste Harry unter die Arme, um ihm hoch zu helfen.

Pinky rieb seinen Hals.

»Bring den Verrückten bloß raus!«

»Lass gut sein«, beruhigte ich ihn, »ist schon alles okay.«

Harry stützte sich bei mir ab und fingerte in Ritas Richtung.

Wie zum Dank nahm sie seine entgegen gestreckte Hand und legte sie auf ihren Busen.

»Das ist wirklich ein tolles Kleid«, quietschte sie und drückte sich an Harry.

Das Kleid hing wie ein Sandwichbelag zwischen ihnen.

»Du musst es für mich anziehen«, kam Harry jetzt endlich zu dem eigentlichen Punkt des Abends.

»Das werde ich sicherlich auch tun«, lachte Rita und kraulte ihn unter seinem Kinn.

»Jetzt!«, forderte seine Stimme ohne Zeit.

Sie schaute ihn etwas verwirrt an.

»Aber Harry, ich kann mich doch jetzt nicht umziehen.«

Er griff ihre Hand und drückte sie zwischen seine Beine.

Ich hatte das Gefühl, dass seine Augen in den letzten Minuten noch feuchter und glotzender geworden waren.

»Was glaubst du, was das hier ist?«, fragte er und schob sein Becken nach vorn.

Ich erwartete jeden Augenblick Ritas Hand in seinem Gesicht und machte mich fertig, um einzugreifen.

Zweifellos würde Harry gewalttätig werden und ihr an die Gurgel gehen.

Ein paar Sekunden vergingen und nichts passierte.

Rita schaute ihn an und drückte ihre Hand etwas fester an seinen Schwanz.

»Hey, wieso bist du denn so aufgeregt, mein Kleiner?«

Harry starrte sie an. Die Beule in seiner Hose sprach Bände.

»Zieh das Kleid an!«

Ritas Augen verengten sich. Der Mund verzog sich zu einem feinen Lächeln.

»Nimm eine Flasche mit«, sagte sie ihm und ging, ohne mich noch einmal anzuschauen.

Harry grabschte sich die halb volle Flasche Whisky und trottete hinterher.

Wild torkelnd, fand er schließlich die Tür, durch die sie verschwunden war.

Mit einem Pfiff ließ ich die Luft durch die Zähne entweichen.

»Gib mir noch einen Drink, Pinky«, bat ich.

»Na, hat der Hurensohn es endlich geschafft?«

»Sieht so aus«, antwortete ich und zündete mir eine Zigarette an.

Ich rauchte und mein Blick heftete sich an die Tür, durch die beide verschwunden waren.

»Wo geht’s da hin?«, wollte ich wissen.

»Zur Garderobe«, bestätigte Pinky meine Vermutung.

Nach einer halben Stunde rutschte ich von meinem Hocker herunter.

»Willst du gehen«, wollte Pinky wissen und blickte vielsagend in Richtung Garderoben. »Du solltest ihn vielleicht besser mitnehmen.«

Ich nickte, legte ein paar Scheine auf den Tresen und schlug die Richtung ein, in die Harry verschwunden war.

Hinter der Tür schloss sich ein dreckiger Flur an, von dem mehrere Türen abgingen.

Es stank nach Urin, abgestandenem Bier und Qualm.

Als wäre es ihr peinlich, erhellte eine matte Glühbirne den Gang.

Ich ging an den Türen vorbei, bis ich vor einer stand, auf der ein Pappschild mit Ritas Namen angebracht war.

Ich drehte den Türknauf, woraufhin die Tür einen Spalt aufsprang.

Ich hörte Geräusche, die genauso unidentifizierbar waren wie das Parfüm, das mir entgegenströmte.

Die Tür ging weiter auf. Das Licht im Raum schien mehr zu verbergen als zu erhellen. Aber es war genug, um die Szenerie im Raum zu beleuchten.

Ich wusste nicht genau, was ich erwartet hatte, aber sicher etwas anderes als das, was ich zu sehen bekam.

Nur zögernd fiel das Licht aus dem Flur auf den Körper, der in dem silbernen Kleid wie hingegossen aussah.

In einer bizarren Drehung lag Rita auf dem Fußboden.

Ihre Augen blickten weit und glanzlos an die Zimmerdecke.

»Du arme, verführerische Hure«, dachte ich und betastete dabei meinen 45er in der Achselhöhle.

Ich stieß die Tür weiter auf und schaute mich um.

Soweit ich sehen konnte, war Harry nicht da.

Ich trat neben Rita und blickte auf sie hinunter.

Genau an der schönsten Stelle zwischen ihren Brüsten, war ein

kleines, dunkles Loch.

Es sickerte noch Blut aus der Wunde, das schließlich im Teppich unter ihr versank. Das Dekolleté ihres Kleides war aufgerissen, sodass eine Brust sich ungehemmt nach oben recken konnte.

Aber selbst diese riesigen Dinger, denen man sonst gerne ein Eigenleben bescheinigte, waren jetzt leblos.

»Verdammte Scheiße, Harry«, dachte ich, »was hast du angestellt?«

Von Frauen wie Rita hatte ich erwartet, dass sie sogar, wenn sie tot waren, eine Zigarette im Mund hatten. Aber diese Leiche hatte nichts von ihrem früheren Leben zurückgelassen.

Süßer Geruch von Blut und Parfüm stieg mir in die Nase. Ich beugte mich herunter und legte meine Hand auf ihren Hals.

Ein wenig Wärme hatte sich gehalten, sie konnte kaum länger als fünfzehn Minuten tot sein.

An ihrer linken Schläfe klebte verkrustetes Blut. Vermutlich hatte sie einen Schlag erhalten, bevor sie erschossen wurde.

Es wollte mir nicht in den Kopf, dass Harry die Kleine umgelegt haben sollte. Ich wusste, wozu Leute fähig wurden, wenn sie nur besoffen, genug waren. Aber das hier?

Als ich mich erhob, wurde mir klar, dass ich mit drin hing. Und es würde mit Sicherheit eine Menge Ärger und Arbeit auf mich zukommen, für die mich wieder einmal kein Mensch bezahlen würde.

Und gerade jetzt hätte ich ein paar Dollar gut gebrauchen können. Mein Konto war so blank, wie der Hintern eines Babys.

Ich fingerte eine Lucky aus der Schachtel und zündete sie an.

Mein Blick fiel noch einmal auf Rita.

»Okay, du bist mit allem durch«, dachte ich. »Für mich geht der Mist aber wohl gerade erst los.«

Ich trat zurück auf den Flur und schloss die Tür.

Aus der Bar dröhnte mir Musik entgegen. Ich musste mit Pinky reden, das wusste ich. Sonst hätte es einen noch größeren Alarm gegeben als es ohnehin schon geben würde.

Als ich mir den Weg durch die Leute, an den Tresen bahnte, verfluchte ich diese ganzen, gottverdammten Kneipen und Bars, in denen sich wie in einem Filter, der Dreck sammelte.

Und etwas von diesem Dreck blieb immer an einem kleben, wie ein alter Kaugummi unter einem Schuh.

Pinky grinste mich an.

»Na, noch nicht fertig?«, wollte er wissen und schob mir einen Whisky rüber.

Ich setzte mich auf einen Hocker und nahm einen großen Schluck.

»Noch einen?«

Ich winkte ab.

»Pass auf, Pinky«, begann ich, »es wird hier gleich einen Haufen Ärger geben.«

Er beugte sich mit hochgezogenen Augenbrauen vor und verströmte eine Ruhe, die nur erfahrenen Barkeepern eigen ist.

»Was gibt’s?«, wollte er wissen.

Ich strich mir mit der Hand über das Kinn. Es war mir klar, dass der nächste Satz der Startschuss für enorm viel Ärger sein würde.

»Hinten im Raum liegt Rita, – jemand hat sie kalt gemacht.«

Pinky schaute zur Tür, die zu den hinteren Räumen führte. So, als erwarte er Rita, die durch diese Tür kommt und mich Lügen strafte.

Aber es kam niemand.

Ich spürte seine Gedanken.

»Harry?«, krächzte er.

Ich zuckte mit den Schultern.

Er griff mich am Revers meines Mantels und zog mich fast spielerisch halb über den Tresen.

»Wo ist das Schwein?«, wollte er wissen und ich hatte das Gefühl, dass ich besser daran tat, eine gute Antwort zu haben.

»Hey, bleib ruhig Mann, ich weiß nicht, wo er ist. Hinten jedenfalls nicht.«

Pinky ließ mich los.

Zurück auf meinen Hocker zündete ich mir erst einmal eine Zigarette an.

»Gib uns noch einen«, sagte ich und deutete auf die leeren Gläser.

Ohne mich aus den Augen zu lassen, goss Pinky voll.

Er setzte an und schüttete seinen Drink in einem Zug in sich hinein.

»Ich werde das Schwein finden!«

Sein Glas zersprang auf dem Fußboden.

»Nicht du Pinky«, erwiderte ich. »Nicht du wirst ihn finden, sondern ich.«

»Dann musst du dich aber sehr beeilen, Floyd. Denn, wenn ich den Dreckskerl vor dir finde, hat er eine Kugel im Schädel!«

Ich glaubte ihm jedes Wort. Ich konnte nicht einmal ausschließen, dass ich es nicht selbst tun würde.

Obwohl, da war noch ein kleiner Zweifel in meinem Kopf, den ich um nichts in der Welt hätte erklären können.

»Aber was hatte er für einen Grund, sie umzulegen?«

Pinky kam mir wieder bedrohlich nahe.

»Solche Spinner wie er haben tausend Gründe. Und wenn sie keinen haben, dann machen sie es auch ohne.«

»Harry ist kein Killer«, behauptete ich.

Pinky riss die Augen weit auf und spitzte den Mund:

»Weißt du was Blueboy, – mehr oder weniger ist das heutzutage jeder.«

Ich konnte Harry nicht ernsthaft verteidigen und griff in meine Manteltasche, zog eine Karte heraus und schob sie über die Theke.

»Was soll das?«, fragte er giftig.

»Die gibst du der Polizei.«

»Willst du abhauen?«

»Ich gehe und suche Harry. Etwas sagt mir, dass er von dieser ganzen Sache hier nichts weiß.«

Pinky nahm die Karte und steckte sie in seine Westentasche.

»Ich kenne dich zwar noch nicht lange, Floyd, aber ich glaube, du bist ein blöder Hund!«

Ich stand auf und ging zum Ausgang.

»Verdammt richtig«, dachte ich, »verdammt richtig.«

Kapitel 2

Es war eine schäbige Gegend. Sie erschien mir genauso schäbig, wie der Grund, aus dem ich hier war.

Der Hauseingang bot etwas Schutz gegen den Nieselregen. Ich lehnte an einer Mauer und beobachtete die Fenster in dem Haus gegenüber.

Harrys Wohnung, um genau zu sein.

Ich hatte schon viele Nächte in der Kälte gestanden und als Privatdetektiv alles Mögliche beobachtet, was man sich nur vorstellen konnte. Aber heute Nacht war alles dunkler, grauer und nasser als sonst. Ich wollte nicht hier sein. Aber es fühlte sich so an, als wäre ich es einem alten Freund schuldig. Der alten Zeiten wegen, wenn man so will.

Nichts tat sich. Alles lag in bleiernem Grau. Vereinzelt fuhr ein Auto vorbei und ich trat etwas weiter zurück in den Hauseingang.

Ich zündete mir eine Zigarette an und beobachtete eine Katze, die mit einer Maus zwischen den Zähnen über die Straße lief und hinter Mülltonnen verschwand.

Ich stellte mir die Frage, ob ich in dieser Geschichte die Katze, oder die Maus war.

Der Unterschied zwischen Katzen und Privatdetektiven ist, dass Katzen immer Katzen sind, aber ich war mal Jäger und mal der Gejagte.

Das Schlimmste an diesen Jobs war das ewige Warten. Ich glaube, ich habe mein halbes Leben herumgestanden und auf etwas oder jemanden gewartet.

Und ich war nicht einmal sicher, ob ich mir heute überhaupt wünschte, dass jemand kam.

Ich wusste, wenn nicht Harry, so würde mit Sicherheit die Polizei bald auftauchen.

Und ich wollte ihn, verdammt noch einmal, vor ihnen sprechen. Denn etwas an diesem Fall passte nicht zusammen. Ich hatte keine Anhaltspunkte, weder für noch gegen Harry. Aber mein Bauch sagte mir ganz deutlich, dass er in eine Sache hineingeraten war, aus der er jetzt allein nicht mehr herauskam. Und worin genau er steckte, das wollte ich mir von dem Einzigen erklären lassen, der dazu wahrscheinlich in der Lage war. Vielleicht war Harry schuldig, vielleicht auch nicht. Ich wollte es wissen.

Ich warf meine Zigarette auf den nassen Boden vor mir und trat sie aus. Mit leichten Schritten überquerte ich die Straße und ging in das gegenüberliegende Treppenhaus hinein.

Es roch nach Pisse und Katzen. - Kein Licht. Ich vermied es, das Treppengeländer zu berühren.

Ein paar Minuten und hundert Treppenstufen später stand ich vor Harrys Tür. Sie sah so aus, wie er heute Abend, dreckig und abgenutzt.

Ich griff in den Mantel und zog meine 45er heraus. Mit dem Daumen entsicherte ich die Waffe.

Jetzt war noch Zeit, umzudrehen und zu gehen. Ich würde morgen vor der Polizei meine Aussage machen und der Fall wäre für mich erledigt gewesen.

Doch schon in der nächsten Sekunde spürte ich den Türknauf in meiner Hand und wie ich ihn mit leichtem Druck nach links drehte.

Ein leiser Klick war zu hören und die Tür sprang einen Spalt weit auf. Ich verharrte mit erhobener Pistole und horchte in die Wohnung hinein.

Nichts zu hören.

Drinnen war es so ruhig, wie ich es erwartet hatte.

Langsam, und bemüht keine Geräusche zu machen, schob ich die Tür weiter auf und betrat die Wohnung.

Durch die Fenster zur Straße fiel etwas Licht. Ich schloss die Tür hinter mir und schaute mich um.

Es stank nach alten offenen Flaschen, Feuchtigkeit und vergammeltem Essen.

Mein Blick richtete sich auf das Bett, das auf der, den Fenstern gegenüberliegenden Seite des Zimmers stand.

Die Fenster waren noch nicht dreckig genug und die Straßenlampen tauchten das Zimmer gnädig in ein gelbes Zwielicht.

Minutenlang verharrte ich bewegungslos im Türrahmen und beobachtete die reglose Gestalt auf der Matratze.

An der Wand über dem Bett hing eine billige, leicht verblichene Kopie von Van Goghs Sonnenblumen. Es schien mir, als wäre das Bild nach Hause gekommen.

Es hätte keinen besseren Platz dafür geben können! Wie ein unerfüllter Wunsch einer vergangenen, besseren Zeit.

»Du hast dich nicht weit genug verkrochen, Harry«, dachte ich.

Langsam steckte ich meine Kanone zurück ins Halfter und ging auf das Bett zu.

Meine Augen hefteten sich auf die dort liegende Person, während ich eine Lucky Strike aus der Schachtel nahm und sie mir zwischen die Lippen steckte. Ich riss ein Streichholz an und entzündete die Zigarette. Meine Hand mit dem Streichholz sank tiefer und beleuchtete das Gesicht.

Harry, wie erwartet, wer sonst?

Auf dem Bauch liegend, das Gesicht seitlich gedreht, lag er auf dem Bett und schlief.

Speichel tropfte aus seinem geöffneten Mundwinkel.

Ich sog den Rauch meiner Zigarette tief ein und blies ihn an die Decke des Zimmers.

Es stieg Wut, gepaart mit Traurigkeit in mir hoch.

Am liebsten hätte ich diesen Drecksbastard durch den Raum geprügelt, aber in Anbetracht seines Zustands erschien mir dieser Wunsch wenig sinnvoll.

Ich merkte, wie sich meine anfängliche Wut, je länger ich auf ihn herabschaute, in Mitleid umwandelte. Was wusste ich schon, was passiert war, oder was ihn hier hatte letztlich enden lassen.

Wie oft stand ich selbst schon vor einem Absturz. Wer weiß, vielleicht hatte ich einfach immer nur etwas mehr Glück.

Es gibt Kinder, die kommen ohne Schutzengel auf die Welt. Und bei einigen, bleibt es das ganze Leben so.

Ich griff zu einer kleinen Drahtlampe an der Wand und schaltete das Licht an.

Es schien mir, als würde das Licht erst richtig die Trostlosigkeit dieses Raumes freilegen.

In dieser Umgebung musste ein Mann verzweifeln. In dieser Umgebung musste jeder verzweifeln!

Aber trotzdem alledem, ich traute Harry zu, dass er sich jeden Tag bis zur Bewusstlosigkeit besoff, sich vollschiss und bepisste, oder sogar eine Lady vergewaltigte. – Das war eine Sache, aber ein Mord war eine ganz andere!

Ich ging hinüber zu einer kleinen Abseite, in der sich ein überfülltes Waschbecken und ein Kochherd befand.

Zwischen all den Küchenresten und leeren Flaschen entdeckte ich ein halbwegs sauberes Glas.

Ich nahm es, füllte es mit Wasser und ging zurück ans Bett.

Eine kurze Sekunde Zögern, dann goss ich es Harry mit einem Schwung ins Gesicht.

Er zuckte zusammen und fing an, während er prustete, sich mit der linken Hand über das Gesicht zu wischen. Langsam, ohne dabei seinen weiteren Körper zu bewegen, erhob er ganz langsam seinen Kopf. Die Augen waren nur zwei glasige Schlitze, die ein erbärmliches Leben bescheinigten.

Ich stellte das Glas zur Seite und griff ihn an seinen Hemdkragen, um ihn daran von der Matratze hochzuziehen.

»Komm hoch, du blöder Idiot«, zischte ich und setzte ihn aufs Bett.

Von alledem nahm er mit taumelndem Kopf nicht viel wahr.

»Harry«, rief ich und schlug ihn ins Gesicht. »Harry, wach auf, verdammt!«

Er glotzte mich an.

»Gib mir was zu trinken«, röchelte er mir mit seinem stinkigen Atem entgegen.

Ich packte ihn fester.

»Das Einzige, was du bekommst, ist was in die Fresse!«

Sein Kopf schlackerte von einer Seite auf die andere, während ich ihn schüttelte.

»Hör auf!«, rief er und befreite sich mit einer Armbewegung aus meinem Griff.

Er schaute mich an, und plötzlich schien es, als würde sein restlicher Verstand anfangen zu arbeiten.

»Was willst du von mir?«, lallte er.

Ich setzte mich neben ihn auf das Bett.

»Komm, Harry, rede mit mir. Jetzt ist noch Zeit, bevor die Bullen kommen. Du weißt, wie die sind, – lass mich versuchen, dir zu helfen.«

Er glotzte mich verständnislos an.

»Bullen?«

Ich stand auf und ging zum Fenster.

»Harry, wir haben nicht mehr viel Zeit, bis sie hier auftauchen.«

Ich warf einen Blick hinter den Lappen, der einmal eine Gardine gewesen ist, hinaus auf die Straße. Es war alles ruhig. Vielleicht wusste Pinky nicht einmal die Adresse von Harry, fiel mir ein. Das konnte mir nur recht sein, so blieb uns etwas mehr Zeit. Verlassen wollte ich mich darauf allerdings nicht.

»Also was ist, spuck’s schon aus«, forderte ich ihn auf und drehte mich wieder um.

Harry rappelte sich langsam hoch und stützte sich jetzt auf den kleinen Tisch, der zwischen uns stand.