Czordan und der Millionenerbe - Manfred Rehor - E-Book

Czordan und der Millionenerbe E-Book

Manfred Rehor

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Beschreibung

Der New Yorker Privatdetektiv Sam Czordan kommt nach Berlin, um hier seinen Lebensabend zu verbringen. Weit weg von seiner Vergangenheit und seinen Feinden. Doch als er mit einem Mord konfrontiert wird, lässt ihm sein beruflicher Instinkt keine Ruhe mehr. Czordan ermittelt. Zwei weitere Morde werden verübt, während Czordan auf der Suche nach dem Täter in das Geflecht sozialer Organisationen in Berlin eindringt. Behindert von Anwälten, Vereinsvorständen und der Polizei stellt er dem Mörder eine Falle.

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Table of Contents

Title Page

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Czordan und der Millionenerbe

Kriminalroman

von M. E Rehor

Imprint

„Czordan und der Millionenerbe“ von M. E. Rehor

Copyright 2011 - Text und Titelbild - M. E. Rehor

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-1012-5

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Sam Czordans zweiter Fall erscheint im Sommer 2012 unter dem Titel:

Czordan und der tote Maler

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Weitere Bücher von M. E. Rehor

Der Thymian-Mord - Kriminalerzählungen

Gerrit aus Neukölln - Kriminalroman

Freiheit und Liebe - Historischer Roman

Der Brief der Königin - Jugendroman

Der Nebelkontinent - Fantasyroman

Die Brückeninseln - Fantasyroman

Sannall der Erneuerer - Fantasyroman

http://tinyurl.com/merehor

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Die Personen und Begebenheiten in diesem Buch sind der Phantasie des Autors entsprungen. Ähnlichkeiten mit realen Personen oder Begebenheiten sind rein zufällig.

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Kapitel 1

An dem Abend, der uns den Drombacher-Fall bescherte, saß Czordan länger als üblich hinter seinem Schreibtisch. Er las wissenschaftliche Zeitschriften, beobachtete mich dabei aber aus den Augenwinkeln.

Ich ließ mich davon nicht beeindrucken, denn ich wusste, was ihn umtrieb. In aller Ruhe kontrollierte ich alte Rechnungen. Dabei stieß ich auf die Kosten für die Anschaffung meines Arbeitsplatzes. Der Preis des Bürostuhls, auf dem ich saß, überstieg mein Monatsgehalt. Der Alte achtete nicht aufs Kleingeld, das musste ich ihm zugestehen. Zumindest, wenn es sich um Sachwerte handelte. Eigentlich gingen mich die Belege nichts an, aber wenn Czordan keine Arbeit für mich hatte, suchte ich mir eben welche.

Um neunzehn Uhr schob ich den Aktenordner ins Regal zurück und griff nach meinem Jackett. „Feierabend!“

„Stopp!“ Czordan baute sich vor mir auf. Um mir ins Gesicht sehen zu können, musste er den Kopf in den Nacken legen. Sein struppiger, weißer Kinnbart zitterte. „Sig, wofür bezahle ich dir seit vier Monaten dein Gehalt?“

„Jedenfalls nicht für die Buchhaltungsarbeiten. Die erledige ich nebenbei. ‚Mitarbeiter in der Detektei‘ lautete, glaube ich, die Aufgabenbeschreibung.“

„Acht Stunden pro Tag steht in deinem Arbeitsvertrag. Du bist erst mittags gekommen. Also tue etwas für dein Geld.“

„Vorschläge?“

„Wir haben einen Klienten. Arbeite an dem Fall!“

„Ron recherchiert schon. Soll ich ihm dabei Händchen halten?“

Der Alte trat zurück, stemmte die Fäuste in die Hüften und blitzte mich aus seinen blassblauen Augen an. „Machst du dich lustig über die Arbeit eines Detektivs?“

„Keinesfalls. Sie ist zweifellos nützlicher und wertvoller, als man gemeinhin glaubt. Aber es gibt zur Zeit nun einmal nichts zu tun.“

„Dann erledige weiter den Bürokram“, forderte er.

„Das werde ich! Gerne, sorgfältig und bis zur letzten Minute meiner vorgeschriebenen Arbeitszeit.“

Czordan stapfte zurück zu seinem Schreibtisch und ließ sich auf den Stuhl fallen. Er sah nicht so aus, als würde er sich in absehbarer Zeit wieder daraus erheben.

Ich nahm mir den Ordner mit den Rechnungen wieder vor und blätterte geschäftig darin herum.

Eine Stunde später saßen wir immer noch so da. Ich sinnierte über die Höhe der Stromrechnung des Vorjahres. Czordan las zum dritten Mal die Titelgeschichte des aktuellen National Geographics-Magazins. Immer wieder blinzelte er nach der Uhr. Er hatte sich selbst ausmanövriert. Da ich an dem Abend nichts vorhatte, ließ ich ihn schmoren.

In dieser Pattsituation läutete es kurz nach 20 Uhr an der Tür.

Ich öffnete und streckte gleich helfend die Hand aus. Die Frau, die vor mir stand, schwankte bedenklich. Sie hatte so geladen, dass es unverantwortlich war, sie alleine auf die andere Straßenseite hinüber torkeln zu lassen. „Soll ich Sie nach Hause bringen?“, fragte ich.

„Lass das, Jungchen!“ zischte sie. Ihre Schnapsfahne war noch intensiver als der Gestank nach Schweiß, der sie umgab.

„Sie wohnen gegenüber“, sagte ich freundlich.

„Det wees ick! Ich will zum Tschsssordan.“ Sie drängte sich an mir vorbei ins Büro.

Ich ließ sie gewähren, weil ich sie vom Sehen kannte. Tag für Tag stand sie auf einen Besen gestützt vor dem Mietshaus auf der anderen Straßenseite, beobachtete alles und jeden und tratschte mit Passanten. Ihr verknautschtes Gesicht mit den zahnlosen Kiefern und ihre Kittelschürze waren Erkennungszeichen unserer Gegend; eben ein typisches Berliner Original. Vermutlich wusste sie mehr über uns als wir selbst - zumindest, was die Gerüchte betraf, die in Umlauf waren.

Sie zeigte mit dem Finger auf Czordan und folgte dann der so angedeuteten Linie bis zu seinem Schreibtisch. „Du! Du bist doch der Ami... Amerikaner. Ick habe nen Auftrag für dir.“

Ich schob ihr einen Stuhl in die Kniekehlen. Sie kippte nach hinten auf ihn.

Czordan umfasste mit den Händen die Lehnen seines Bürostuhls. Um zu verhindern, dass er einfach aufstand und das Büro verließ, bedachte ich ihn mit meinem breitesten Grinsen. Wenn er jetzt kniff, würde ich ihm das tagelang vorhalten. Er presste die Lippen zusammen, setzte sich aufrecht hin und schob die Zeitschriften beiseite. „Mein Name ist Samuel Czordan. Was kann ich für Sie tun?“

Ganz der korrekte Dienstleister. Er zeigte mir, wie man mit Klienten umgeht.

Die Frau wackelte mit dem Kopf, starrte dabei Czordan an und antwortete langsam und konzentriert: „Mir Geld verschaffen. Ick habe was gesehen, das die Polizei interessiert. Dafür will ich ne Belohnung.“

„Falls Sie Zeugin eines Verbrechens geworden sind ...“

„Bin ick.“

„... ist es Ihre Pflicht, das der Polizei mitzuteilen.“

„Will ich aber nicht.“ Ihre Augen funkelten. Mit jedem Wort wirkte die Frau nüchterner. „Und jetzt schick mich nicht zu nem Anwalt. Anwälte sind noch schlimmer. Ich traue niemandem.“

„Warum kommen Sie zu uns, wenn Sie niemandem vertrauen?“

„Da ist seit ein paar Wochen ein Schild ‚Detektei‘ an eurer Tür. Ich war noch nie bei einem Detektiv. Bin nur mal von einem im Kaufhaus erwischt worden, aber das will ich euch nicht anrechnen.“

„Sehr freundlich von Ihnen“, mischte ich mich ein. Ich saß wieder an meinem Platz und legte am PC einen neuen Eintrag in der Klientenkartei an. Fortlaufende Nummer zwei. Wenn schon, dann richtig. „Wie heißen Sie?“

„Gisela Ahner.“ Sie rasselte Anschrift und Geburtsdatum herunter, als wäre sie solche Befragungen gewohnt. „Beruf: Hauswartsfrau. Jedenfalls amtlich.“

„Hauswartsfrau nur amtlich?“

„Ja. Ich arbeite nämlich noch nebenher. Abends zwei, drei Stunden bei Joschi‘s. Bin natürlich nicht angemeldet. Ist mehr so ein Freundschaftsdienst.“

Czordan runzelte fragend seine Stirn, auf der auch so schon unzählige Linien eingegraben waren.

„Joschi‘s Curry-Imperium“, informierte ich ihn. „Ein Imbiss in der Nähe der Potsdamer Straße. Keine gute Gegend. Nachts dürften Huren und Freier die Hauptkunden sein.“

„Na, und?“, fuhr mich Frau Ahner an. „Sind auch nur Menschen. Jedenfalls, ich habe vorhin mal in ner ruhigen Minute das alte Fett weggebracht. Stehe in der dunklen Ecke zwischen den Müllcontainern, da kommt ein Auto. Ein Geländewagen, so ein ganz teurer. Eine Frau steigt aus. Auch ganz teuer. Ihr Fummel, meine ich. Dafür habe ich einen Blick.“

„Manche verdienen ganz gut beim Anschaffen“, warf ich ein.

„Quatsch. Das war keine von denen. Die kenne ich alle. Nee, die gehörte zu diesen jungen Frauen, bei denen man sich fragt, wen sie wohl geheiratet haben, um an so viel Geld zu kommen. Jedenfalls, ich denke noch, was will die hier? Da kommt ein Mann die Straße lang. Die beiden reden. Ich habe das Fett unter den Hausmüll gemischt und will gehen. Da schreien die sich an, der Mann zieht einen Revolver und zielt auf die Frau!“

„Sie haben die Waffe gesehen?“, fragte Czordan.

„Sag ich doch. Die beiden setzen sich ins Auto, sie ans Steuer, er neben sie, immer den Revolver in der Hand, und sie fährt los. Direkt auf mich zu. Fast hätte der Wagen mich erwischt. Aber der Müllcontainer war im Weg, es hat gekracht. Die Frau hat Gas gegeben und weg waren sie.“ Frau Ahner mummelte mit ihren eingefallenen Lippen, als redete sie weiter, sagte aber nichts mehr.

„Der Wagen fuhr also davon.“

„Na, der Container ja wohl nicht. Das war eindeutig eine Entführung. Da geht es um Lösegeld. Davon will ich meinen Anteil haben. Schließlich habe ich es gesehen!“

„Sie möchten einen Anteil vom Lösegeld?“

„Jau!“ Sie stutzte. „Nee, von der Belohnung, meine ich. So von wegen sachdienliche Hinweise für die Polizei. Aber die nehmen mich nicht ernst, das kenn ich schon. Deshalb bin ich hier: Du regelst das für mich und bekommst Prozente. Ist das ein Angebot?“

„Das ist keine Arbeit für einen Detektiv!“, wehrte Czordan ab.

„Na, dann geh eben los und such den Entführer. Das ist Detektivarbeit, oder?“ Frau Ahner fuhr mit der Hand suchend über die Fläche von Czordans Schreibtisch. „Warum sitze ich hier eigentlich noch auf dem Trockenen?“

„Ich bringe Ihnen gerne ein Mineralwasser“, bot ich an.

„Hier bin ich verkehrt“, murrte sie.

„Haben Sie sich die Nummer des Wagens gemerkt?“, hakte Czordan nach.

„Nee, ging zu schnell. Aber die Farbe, das war so ungefähr Silber untenrum und oben Rosa. Ziemlich abartig, wenn de mich fragst. Und eine ordentliche Beule muss er haben, vom Müllcontainer.“

„Wenn es ein hochwertiger Geländewagen war, hat er höchstens eine Schramme“, korrigierte ich.

Czordan sah einen Moment lang starr vor sich ihn, bevor er mich entschlossen anwies: „Sig, ruf die Polizei an!“

„Nein!“, rief Frau Ahner.

Czordan warf ihr einen bösen Blick zu, was er sehr gut konnte. Er drehte dabei sein hageres Gesicht halb vom Licht weg, so dass es einen diabolischen Zug bekam. Frau Ahner verstummte.

Ich suchte das Revier in der Nähe von Joschi‘s aus dem Telefonbuch heraus und gab die Beobachtung von Frau Ahner durch, ohne ihren Namen zu nennen. Auf Rückfragen ließ ich mich nicht ein.

„Ihr bescheißt die Leute auch nur!“, giftete Frau Ahner. „Detektive, von wegen! Hätte ich mir denken können.“

Czordan hob belehrend den Zeigefinger: „Eine Belohnung wird erst ausgelobt, wenn eine Forderung des Entführers vorliegt oder zumindest jemand als vermisst gemeldet wird. So oder so erfährt die Polizei zuerst davon. Wir müssen also abwarten, bis es so weit ist. Vorher können wir nichts Sinnvolles unternehmen.“

Frau Ahner stand auf. Ihr Gesicht rötete sich und sie spukte andeutungsweise auf den Boden. „Faules Gerede!“

Damit konnte sie Czordan nicht beeindrucken. Im Gegenteil, er lächelte sie an. „Nein. Ein Detektiv muss warten können. Sig, drucke ein Vertragsformular aus.“

„Kommt sofort.“ Ich klickte mit der Maus auf das entsprechende Symbol auf dem Bildschirm.

„Ach was, Vertrag. Gib mir dein Wort als Amerikaner, dass de mich nicht reinlegen willst.“ Frau Ahner schwankte leicht.

„Glauben Sie Amerikanern mehr als anderen?“

„Logisch. Ich hab fünfzehn Jahre lang in der Clayallee geputzt, da lernt man die Menschen kennen. Also, was ist, gilt dein Wort?“

„Ja.“

„Das reicht mir. Nacht, zusammen.“

„Einen Moment noch!“

Frau Ahner drehte sich zu Czordan um.

„Der Mann mit der Waffe hat Sie vermutlich beim Wegfahren gesehen. Es kann sein, dass Sie sich in Gefahr befinden. Halten Sie sich von dieser Gegend in den nächsten Wochen fern.“

„Unsinn. Es war schon duster und ich stand hinter den Müllcontainern. Jetzt mach dich mal nicht wichtig.“

„Seien Sie trotzdem vorsichtig.“

Ich vollbrachte meine gute Tat für diesen Tag, indem ich sie über die Straße führte und bei ihr blieb, bis sie die Schlüssel aus der Schürzentasche gefummelt und das Schlüsselloch getroffen hatte. Dann kehrte ich ins Büro zurück und sah zu, wie Czordan seinen Schreibtisch aufräumte.

„Glückwunsch zum neuen Fall!“, lästerte ich.

„Das ist eine Ausgangssituation, wie sie jeder Detektiv schon erlebt hat“, belehrte er mich. „Daraus kann sich einiges entwickeln.“

„Wenn sich Frau Ahner in ihrem Rausch etwas eingebildet hat, entwickelt sich nichts.“

Er sah nicht auf, als er antwortete: „Aber falls sie wirklich ein Verbrechen beobachtet hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie in den nächsten Tagen ermordet wird. Das lehrt die Erfahrung.“

„Wie bitte?“

„Sie wird ermordet werden“, sagte er im Tonfall eines ungeduldigen Lehrers, der zum wiederholten Mal eine Selbstverständlichkeit vorbeten muss.

„Und was unternehmen wir dagegen?“

„Nichts. Die Polizei gewährt auf bloßen Verdacht hin keinen Personenschutz. Du könntest das übernehmen, aber dich brauche ich hier im Büro.“

„Das ist zynisch.“

„Ich nenne es Realitätssinn. Wenn Frau Ahner sich an meinen Ratschlag hält, ist sie sicher.“

„So viel Vernunft wird sie wohl haben“, sagte ich, ohne recht daran zu glauben.

„Zum Detektiv fehlt dir die Menschenkenntnis.“

„Wenn es nur das ist.“

Das war nun doch zu vorlaut. Czordan schüttelte drohend den Zeigefinger in meine Richtung, als er erwiderte: „Was kannst du denn? Kämpfen, schießen, Personen schützen. Deshalb habe ich dich eingestellt. Aber wahre Detektivarbeit hat mit Köpfchen zu tun. Mit Menschenkenntnis, tiefer Einsicht in die Seele Anderer wie in die eigene, und der Fähigkeit, logisch zu denken. Das macht den Detektiv aus! Nicht die Waffe im Schulterhalfter.“

„Tut mir leid, aber das stand nicht in der Annonce, auf die ich mich gemeldet habe.“

„Pah! Ich werde dich ausbilden. Die richtigen Anlagen für diesen Beruf hast du. Über das nötige Wissen verfüge ich.“

Das bot mir die seltene Möglichkeit, mehr über die Vergangenheit des Alten herauszufinden. Er erzählte nur gelegentlich davon und was er sagte, widersprach sich auch manchmal. Ich versuchte, ihn mit einer weiteren abfälligen Bemerkung aus der Reserve zu locken: „Da redete der Fachmann - auch wenn er bisher nur Inhaber einer ‚Wissenschaftlichen Auskunftei‘ war.“

Es funktionierte!

„In New York habe ich dreißig Jahre lang als Detektiv gearbeitet. Als private eye mit fünf Festangestellten! Erst hier in Berlin musste ich mir etwas Anderes einfallen lassen. Ich gebe zu, die Idee, mein Allgemeinwissen zu Geld zu machen, war nicht sonderlich erfolgreich. Also kehre ich nun zurück zu der Tätigkeit, für die ich über ein Talent verfüge wie wenige Andere. So oder so, die Investition in die Maschinen macht sich auf jeden Fall bezahlt.“ Czordan deutete auf die Tür, die in unsere Bibliothek und von dort aus in den Computerraum führte. „Jetzt geht es darum, das auch für die Investitionen in Menschen zu erreichen.“

Da er mich dabei ansah, schlussfolgerte ich, dass ich eine dieser Investitionen war. „Möge Ihre Rendite weit über dem Marktüblichen liegen. Was soll ich tun, um nicht als totes Kapital zu gelten?“

Er stand auf und streckte sich. „Arbeiten“, sagte er.

„Gut, ich bleibe noch eine Weile hier. Vielleicht kommt ein weiterer Klient herein getorkelt.“

„Du wirst ein Protokoll des Gesprächs mit Frau Ahner in den PC tippen. Anschließend fährst du zu diesem Imbiss und siehst dich dort um.“

Czordan ging durch die Hintertür nach oben in seine Wohnung.

Er hatte mich drangekriegt. Ich setzte mich an den Computer und schrieb auf, was mir im Gedächtnis geblieben war. Anschließend fuhr ich zu Joschi‘s, gönnte mir eine Currywurst und erkundigte mich nach der alten Frau, die sonst abends dort arbeitete.

„Ist heute früher gegangen“, war alles, was ich aus dem dicken Imbissbesitzer herausbekam. Als ich nachhakte, musterte er mich misstrauisch, wandte sich ab und fing mit einem anderen Kunden ein Gespräch an.

Leute aushorchen konnte ich also noch nicht. Aber da ich erst dabei war, das Detektivhandwerk zu erlernen, machte ich mir nichts daraus und begab mich auf die Suche nach den Müllcontainern. Sie standen fünfzig Meter vom Imbiss entfernt. Einer davon hatte eine waagerechte Schramme entlang der Vorderseite. Als ich mich bückte, um nach Farbresten zu suchen, die der Wagen vielleicht hinterlassen hatte, fühlte ich, dass ich beobachtet wurde. Langsam richtete ich mich auf.

Im Dunkel des nächsten Hauseingangs stand eine Frau und sah herüber. „Hallo, Süßer, einsam heute Abend?“, fragte sie mit osteuropäischem Akzent.

„Nein, aber neugierig“, sagte ich und ging auf sie zu. „Vorhin ist ein Wagen ...“

Sie verschwand blitzartig im Haus. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss. Ich hörte das leiser werdende Stakkato ihrer Stöckelschuhe, als sie durch den Hausflur davon rannte.

Kapitel 2

Am folgenden Tag erschien ich pünktlich um zehn Uhr im Büro. Das war normalerweise nicht meine Zeit, aber ich wollte guten Willen zeigen.

Czordan erwartete mich, was ungewöhnlich war. Ich fürchtete schon, er hätte schlechte Nachrichten über Frau Ahner, aber er wünschte nur knurrig „Guten Morgen!“ und ging mit seinem täglichen Stapel Zeitungen nach oben.

Auf dem Anrufbeantworter war keine Nachricht, also fuhr ich den PC hoch und überflog die Liste der Emails, von denen fast alle unerwünschte Werbung enthielten. Eine als wichtig gekennzeichnete Mail mit einem verschlüsselten Anhang stammte von Ronald Swoboda, dem freiberuflichen Detektiv, den Czordan als Hilfe angeheuert hatte.

Ron arbeitete an einem Fall von Industriespionage. Czordans ‚Wissenschaftliche Auskunftei‘, die nur aus ihm selbst bestand, recherchierte unter anderem für eine Hightech-Firma in Berlin-Adlershof. Als deren Chef sich beiläufig beklagte, dass die chinesische Konkurrenz wichtige Patente und Infos über Verfahrensabläufe in kürzester Zeit in die Hände bekam, bot Czordan an, die undichte Stelle in der Firma zu finden. Das war der Auslöser, der zur Gründung der Detektei führte.

Seit einigen Tagen war Ron unterwegs, um sich das Umfeld des Betriebes genauer anzusehen. Sein Bericht erwies sich als fünf Seiten lange Aufzählung von Orten, Uhrzeiten und Beobachtungen. Ich formatierte das Dokument um und druckte es für Czordan aus. Der Alte las nicht gerne am PC. Dann ging ich Rons Informationen gründlich durch. Das einzig Chinesische, das er entdecken konnte, war das Chinarestaurant, in dem die Mitarbeiter der Firma mittags aßen, weil der Betrieb keine Kantine hatte.

Ansonsten bot sich das übliche Durcheinander menschlicher Beziehungen: Der Vorsitzende des Vorstandes, ein Mensch namens Raineri, verheimlichte seine Vorliebe für lederbekleidete käufliche Frauen; das war der Mann, der Czordan beauftragt hatte. Der Leiter der Entwicklungsabteilung hatte ein Verhältnis mit seiner Sekretärin. In der Wohnung der Chefbuchhalterin lebte ein illegal eingereister junger Kubaner. Der Chef der Qualitätssicherung betrog seine Frau mit einem achtzehnjährigen Azubi. Ron war sicher, er würde noch mehr herausfinden, wenn man ihm genügend Zeit ließ.

Die meisten Führungskräfte dieser Firma waren also wegen ihres Privatlebens erpressbar und kamen als Informanten der Chinesen in Frage. Ron riet, sie rund um die Uhr zu beschatten.

Als Czordan kurz vor zwölf herunterkam, um die Post durchzusehen, legte ich ihm Rons Bericht vor. Er überflog ihn, grunzte abschätzig und warf ihn in den Aktenvernichter, der das Papier mit einem hässlichen Geräusch zu Schnipseln verarbeitete. „Ron hat nicht verstanden, worauf es ankommt“, sagte er. „Fahr hin und prüf es nach.“

„Gerne. Was soll ich prüfen?“

„Wenn sich die Mitarbeiter in dem Restaurant wie in einer Kantine fühlen, dann reden sie dort auch über berufliche Themen.“

„Und die Serviererinnen hören mit einem undurchdringlichen asiatischen Lächeln zu und berichten es weiter.“

„Was spricht dagegen?“

„Die Serviererinnen in Berliner Chinarestaurants stammen überwiegend aus Vietnam und verstehen kaum genug Deutsch, um die Bestellung aufzunehmen.“

„Finde heraus, ob das dort auch so ist!“

Das klang wie ein Befehl, also machte ich mich auf den Weg.

In Treptow kurvte ich mit dem Firmenwagen eine Viertelstunde in der Umgebung des Wissenschaftszentrums Adlershof herum, bevor ich einen Parkplatz entdeckte. Ein paar Hundert Meter weiter befand sich das Restaurant.

Es unterschied sich in Nichts von anderen preiswerten Chinarestaurants: bunte Dekoration, exotische Hintergrundmusik, Gerüche von verwirrender Vielfalt.

Ich sah mich nach einem Platz um, von dem aus ich den Raum überblicken konnte. Am besten geeignet war ein kleiner Ecktisch. Aber dort saß bereits ein unscheinbarer Mann vom Typ Versicherungsvertreter vor einer riesigen Portion Kanton-Ente. Es war Ron. Ich ignorierte ihn und wählte einen Fensterplatz.

Das Restaurant war nicht gut besucht. Um die Sprachkenntnisse des chinesisch aussehenden Kellners zu testen, verwickelte ich ihn in eine Diskussion über das Dessert. Ich bestand auf gebackenen Pfirsichen mit Honig, was es aber nicht gab. Der Mann sprach annehmbar Deutsch, war aufgeweckt, freundlich, kannte sich aber nicht aus in der Speisekarte. Mit asiatischer Hartnäckigkeit verwies er mich auf die Nummern und wollte nur hören, welche ich wünsche. Seine zwei Kollegen sahen von der Theke her amüsiert zu und tuschelten miteinander, bis ich nachgab und bestellte.

Während ich auf meine ‚Acht Kostbarkeiten‘ wartete, kam eine Gruppe junger, dynamischer Menschen herein. Ron hob als Zeichen eine Augenbraue: Das waren also die Mitarbeiter der Firma. Sie setzten sich an einen langen Tisch und bestellten, ohne einen Blick in die Karte zu werfen. Sofort wurden Getränke serviert, alle alkoholfrei. Die drei Kellner blieben in der Nähe des Tisches stehen und warteten auf weitere Wünsche.

Diese Gäste fühlten sich hier erkennbar wohl, sie unterhielten sich und lachten. Als das Essen kam, wurden sie ruhiger. Ihrer Mimik nach sprachen sie nun auch über ernstere Themen, also vermutlich Berufliches. Dem Essen folgte eine Runde Cappuccino, dann bezahlten sie.

Die meisten der Leute gingen, aber zwei blieben sitzen. Sie waren in ein Gespräch vertieft. Einer lieh sich einen Block von einem Kellner und skizzierte etwas. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis auch diese beiden aufbrachen. Das Blatt mit der Skizze ließen sie liegen.

Mein Kellner nahm es, zerknüllte es und steckte es sich in die Tasche. Erst dann dachte er daran, auch bei mir zu kassieren. Einigen Minuten nach Ron verließ ich das Restaurant. An der nächsten Ecke trafen wir uns.

„Hat der Alte dich geschickt?“, fragte er.

„Ja. Du hast nicht die richtige Einstellung zur Arbeit. Dir nur auf Spesen die Wampe voll zu hauen, genügt nicht. Du wirst fürs Recherchieren bezahlt.“

„Das hat er nicht gesagt!“

„Deshalb sage ich es. Czordan sagt, die Kellner sind die Industriespione.“

„Quatsch. Die turnen zwar ständig um den Tisch herum, aber nur, weil sie von den Stammgästen regelmäßig Trinkgelder bekommen. Ich habe in den letzten Tagen etliche Gespräche zwischen diesen Typen von der Firma mitgehört. Die verwenden so viele Fachbegriffe, dass ich nur aus dem Gehörten nicht einmal sagen könnte, um welches Gebiet es geht.“

„Man soll nicht von sich auf Andere schließen.“

„Und das sagst ausgerechnet du mir?“

„Schauen wir mal, was die Kellner machen, wenn die Mittagszeit vorüber ist. Gibt es einen Hinterausgang?“

„Klar. Bin schon unterwegs.“ Ron schlenderte in die nächste Querstraße.

Ich holte den Wagen, fuhr bis vor das Restaurant und hielt gegenüber in der zweiten Reihe. Der Verkehr war schwach, es störte also nicht sonderlich. Ich schaltete das Autoradio ein und machte es mir bequem. In solchen Momenten kam mit lästiger Regelmäßigkeit der Reflex wieder hoch, nach einer Zigarette zu greifen. Aber ich rauchte seit zehn Jahren nicht mehr und das war gut so. Zufrieden mit mir selbst beobachtete ich den Verkehr und überlegte, wie ich Czordan dazu überreden könnte, einen größeren Wagen für die Detektei anzuschaffen. Der Kleinwagen mit dem Firmenlogo seiner ‚Wissenschaftlichen Auskunftei‘ war für Beschattungsaktionen nicht sonderlich geeignet.

Nach einer Viertelstunde kam Ron aus der Nebenstraße. Er marschierte den Gehsteig entlang von mir weg. Gleich darauf erschien der Kellner, der mich bedient hatte. Ich wartete, bis er die nächste Ecke erreichte, ließ den Wagen anrollen und folgte ihm. Der Mann ging ohne Umwege auf den Eingang eines etwa achthundert Meter entfernten Vier-Sterne-Hotels zu.

Ich ließ den Wagen in der zweiten Reihe stehen und ging hinüber. Durch die Glastüre sah ich, wie der Empfangschef ihm den Zimmerschlüssel aushändigte. Zurück im Wagen wartete ich, bis Ron einstieg, und fuhr los.

„Hat der Alte also Recht“, sagte Ron. „Ein Zimmer in dem Hotel kostet pro Tag mehr, als ein Kellner in der Woche verdient. Wo fährst du hin?“

„Zurück ins Büro.“

„Sollten wir nicht im Hotel versuchen, den Namen des Chinesen herauszubekommen? Vielleicht wird sein Zimmer sogar von einer chinesischen Hightech-Firma bezahlt. Das wäre ein Beweis.“

„Wer in diesem Hotel würde einem Fremden solche Infos geben?“

„Der Portier. Solche Leute haben ihren Preis.“

„Den Czordan bezahlen müsste. Besser, wir fragen ihn vorher.“

„Schleimer“, sagte Ron. „Du willst ihm doch nur brühwarm erzählen, dass du es warst, der dem Kellner auf die Schliche gekommen ist.“

„Während du nicht bemerkt hast, was sich direkt vor deiner Nase abspielt. Wie soll ich das bei deiner Spesenabrechnung berücksichtigen? Ich schlage vor, alle Essen gehen auf deine Kosten.“

„Von mir aus. Dann reiche ich euch stattdessen die Arztrechnung ein. Ich musste jeden Tag ein riesiges Menü verdrücken. Als Vorwand, lange da drin sitzenzubleiben. Das ist meiner Verdauung nicht gut bekommen.“

„Ich spendiere dir eine Tasse Kräutertee. Das muss reichen.“

Ron schimpfte noch, als ich den Wagen in der Tiefgarage parkte.

„Sig, schreib das auf, aber in einer Form, die man dem Klienten vorlegen kann“, sagte Czordan. „Ron, das war noch nicht alles, du hörst von mir.“

Ron wollte etwas sagen, aber Czordan kam ihm zuvor, indem er aufstand und kopfschüttelnd durch die hintere Tür das Büro verließ. Von dort gelangte man in ein Treppenhaus, das nach oben in seine Wohnung führte.

„Was werde ich von ihm hören?“, fragte mich Ron erstaunt.

„Keine Ahnung. Wenn er mit deiner Leistung unzufrieden wäre, hätte er das gleich gesagt, und zwar mehr als deutlich. So gut kenne ich ihn inzwischen. Alte Leute sind eben manchmal wunderlich.“

„Lass ihn das besser nicht wissen.“

„Ich habe es ihm schon auf den Kopf zu gesagt. Er hat nur gelacht.“

„Pass auf, dass dich deine große Klappe nicht diesen Job kostet“, riet mir Ron, bevor er nach Hause ging.

Ich holte mir ein Glas Cola und begann mit der Arbeit. Am PC tippte ich den gewünschten Bericht über unsere Beobachtungen, druckte ihn für Czordan aus und deponierte das Papier gut sichtbar auf seinem Schreibtisch.

Anschließend fahndete ich im Internet erfolglos nach Informationen über chinesische Firmen, die in derselben Branche tätig waren wie unser Auftraggeber. Es war kaum etwas auf Deutsch oder Englisch zu finden. Immerhin entdeckte ich auf einer Behördenseite die Einreisebedingungen für Chinesen. Auch die druckte ich für Czordan aus.

Um meinen Beinen die notwendige Bewegung zu verschaffen, gönnte ich mir einen ausgiebigen Spaziergang. Als ich nach einer Stunde wieder ins Büro zurückkam, lagen die Ausdrucke noch an derselben Stelle.

Gegen sechzehn Uhr schaute Gregoria vorbei, um den Maschinen im Computerraum den Puls zu fühlen. Alle arbeiteten wie gewohnt störungsfrei. Wir unterhielten uns über die Chancen für einen warmen Sommer und andere wichtige Dinge, bis ihr Handy uns unterbrach. Bei einem ihrer Kunden war der Server abgestürzt, also machte sie sich auf den Weg.

Um nicht aus Langeweile auf trübsinnige Gedanken zu verfallen, begann ich, die Aufträge durchzusehen, die Czordan für seine ‚Wissenschaftliche Auskunftei‘ an Land gezogen hatte. Das meiste war für mich unverständlich, aber der Mensch wächst mit seinen Aufgaben, also tippte ich die mir rätselhaften Passagen in verschiedene Suchmaschinen und erarbeitete mir nach und nach ein Verständnis dafür, um was es eigentlich ging. Anschließend sah ich mir an, was Czordan sich bereits zu diesen Themen notiert hatte. Was auch immer sonst im Kopf des Alten vorgehen mochte: Er verfügte über ein enormes Faktenwissen. Ich glaubte ihm gerne, wenn er behauptete, viele der abertausend Bände seiner privaten Bibliothek habe er nicht nur ein Mal gelesen.

Zwanzig nach sechs kam er herunter. Er hatte glasige Augen, seine dünnen weißen Haare standen wirr nach oben weg, Essensreste hingen in seinem Ziegenbart. Etwas Unverständliches vor sich hin grummelnd griff er sich die Papiere vom Schreibtisch und verschwand wieder nach oben.

Er verpasste so um wenige Minuten den zweiten Besuch von Frau Ahner. Sie war angetrunken und drehte sich suchend mit tapsenden Bewegungen um sich selbst, nachdem sie das Büro betreten hatte: „Is dein Chef nich da? Macht nichts, sag ich es eben dir: Meine Tochter ...“

Ich führt sie zu einem Besucherstuhl.

„Also, die Renate, was meine Tochter ist, die lebt in Dortmund. Hat ihre Arbeit verloren und kellnert nur noch, verdient nicht viel. Die soll nach Berlin kommen. Weil, mein Herbert wird senil. Parkinson, sagt der Arzt. Ist zu anstrengend für mich allein.“

„Verständlich“, sagte ich. „Möchten Sie ein Glas Wasser?“

„Hör auf, mich zu veräppeln, das ist ernst! Die Renate soll kommen und meinen Herbert pflegen. Sie kann bei uns wohnen oder sich ne Wohnung in der Nähe suchen. Geht ja alles, wenn man Geld hat.“

„Sie meinen die Belohnung.“

„Genau, Blondköpfchen, ich meine die Belohnung. Ich brauche sie dringend, für die Renate, weil das mit meinem Herbert ...“

„Habe ich verstanden. Herr Czordan wird gleich morgen früh noch einmal nachhaken, damit Sie die Belohnung so schnell wie möglich bekommen. Soll ich Sie heimbringen?“

„Nee, ich muss jetzt Arbeiten gehen. Zum dicken Joschi. Hab ich ihm versprochen.“ Sie stemmte sich hoch und ging zur Tür.

„Herr Czordan hat Ihnen davon abgeraten.“

Sie schüttelte sich, als hätte sie auf etwas Bitteres gebissen. „Auf die Ratschläge von Männern höre ich schon lange nicht mehr. Man muss selbst entscheiden, was man tut. Ich gehe arbeiten.“

„Ich fahr Sie hin.“

„Danke, is nett gemeint, aber ich geh zu Fuß. Die Zeit habe ich noch. Mache ich immer so. Bis ich dort ankomme, bin ich wieder klar im Kopf. Nen schönen Abend noch.“

Ich sah ihr nach. Mit jedem Schritt in die Dunkelheit ging sie sicherer und aufrechter. Eine Aufgabe, und sei es nur der Verkauf von Currywurst, gibt dem Menschen eben doch etwas, das er braucht. Mit diesem erhebenden Gedanken machte ich Feierabend.

Es war das letzte Mal, dass ich Frau Ahner sah.

Kapitel 3

Mittwochmorgen kam Czordan nicht herunter, um sich seine Zeitungen zu holen. War der große Detektiv indisponiert? Was ja bei seinem Alter von rund siebzig Jahren durchaus vorkommen konnte. Vielleicht leistete er sich deshalb einen Angestellten, also mich, der das Büro am Laufen hielt.

Ich war mir im Klaren darüber, dass ich mit meiner Arbeit mein Gehalt nicht annähernd erwirtschaftete. Was sich Czordan dabei gedacht hatte, einen ehemaligen Personenschützer für das Büro anzuheuern, wusste nur er allein. Auch als Detektiv war ich eigentlich ungeeignet. Das war ein Job für jemanden wie Ron, der vom Typ her unauffällig war. Mit meiner kräftigen Statur, den kurzen blonden Haaren und meiner Vorliebe für gut geschnittene Anzüge fiel ich dagegen sofort ins Auge.

Um elf erschien Gregoria mit einem Satz Kabel, die sie im Computerraum installierte. Sie sagte etwas von „besserer Dämpfung“, aber ich hörte nicht zu, weil ich von dieser Technik zu wenig verstand.

Als sie fertig war, setzte sie sich auf Czordans Stuhl. Sie war so klein wie er, aber vier Mal so schwer. Trotzdem war sie mit ihren achtundzwanzig Jahren eine attraktive Frau. Was auch an den hellroten Haaren und ihrem blassen Teint lag, der sie frisch und kühl wirken ließ. Im Gegensatz zu ihrer türkischen Freundin Ayse, die eher der dunkle, feurige Typ war - aber das ist ein anderes Thema.

„Deine Geschäfte gehen gut“, stellte ich fest. Gregoria verdiente ihr Geld als selbständige IT-Beraterin, wobei sie mehr vom Aufstellen und Betreuen der Computer lebte, als von der Beratung.

„Wie kommst du darauf?“

„Dein neuer Wagen. Eine Klasse besser als der letzte.“

„Geleast. Stimmt, es läuft im Moment alles rund. Was nicht heißen soll, dass ich ausgelastet bin. Habt ihr in der Auskunftei irgendwelche technischen Anfragen, die ich bearbeiten kann?“

„Im Moment nicht. Außer, du verstehst etwas von neuassyrischer Kanalbautechnik. Ein reicher Hobbyarchäologe bezahlt Czordan dafür, bestimmte Einzelheiten darüber in Erfahrung zu bringen.“

„Nicht mein Gebiet. Hat sich Czordan schon zu meiner Idee geäußert?“

„Er will lieber Detektiv sein, als in weitere Computerkapazität zu investieren. Obwohl auch eine Detektei ein elektronisches Gedächtnis gut gebrauchen kann.“

„Jeder braucht das heutzutage. Die drei Mal achthundert Terabyte werden nicht mehr lange reichen. Ich könnte euch einen neuen RAID ...“

Ich hob die Hände. „Ich ergebe mich. Lass uns über etwas Schöneres reden.“

„Ayse braucht mal wieder Geld. Czordan kann sie zurzeit wohl nicht beschäftigen?“

„Sie könnte höchstens mir die Arbeit wegnehmen.“

„Verstehe. Aber vielleicht kennt er jemanden, der eine Sekretärin sucht.“

„Czordan kennt vermutlich eine Menge Leute. Aber ich glaube nicht, dass darunter Geschäftsleute sind.“

„Sondern?“

„Wenn ich das wüsste. Sein Privatleben ist mir so unbekannt wie der Stand seines privaten Bankkontos.“

„Wie wäre es, wenn Ayse und ich in der Detektei mitarbeiten? Wir könnten Leute beschatten oder was man sonst so treibt als Detektiv.“

„Ich werde deinen Vorschlag wohlwollend prüfen und ihn höheren Orts vortragen“, versprach ich.

„Tu das. Ein wenig Abwechslung wäre meinem Befinden ganz zuträglich.“

Wir kamen nicht dazu, weiter zu tratschen, weil das Telefon klingelte. Der interne Klingelton, also konnte es nur Czordan sein.

„Guten Morgen!“, grüßte ich ihn.

Gregoria zwinkerte mir zu, denn es war kurz vor zwölf Uhr.

Ich lauschte seinen gegrunzten Anweisungen und legte dann auf. „Er will Zeitungen und Post hochgebracht haben“, berichtete ich.

„Tu deine Pflicht. Ich gehe.“

Ich ließ Gregoria hinaus und schloss hinter ihr ab.

In der Post war ein Schreiben aus den USA, Absender eine Smith Agency in Danbury, CT. Vermutlich erwartete er das so dringend. Durch das hintere Treppenhaus ging ich nach oben in den ersten Stock. Dort hatte sich Czordan drei Wohnungen zu einer großen Suite umbauen lassen. Selbstverständlich mit Schallschutz, Klimaanlage und was sonst noch alles Standard war in New York - wenn man ihm Glauben schenkte. Da ihm das Haus gehörte, konnte ihm keiner dreinreden.

Das Treppenhaus war durch Bewegungsmelder und Kameras gesichert. Auch das war angeblich in New York so üblich. Ich brauchte nicht zu klingeln. Als ich vor der Tür stand, öffnete sie sich von alleine.