Dackelblick - Frauke Scheunemann - E-Book
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Dackelblick E-Book

Frauke Scheunemann

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Beschreibung

Wie findet man ein neues Herrchen für das Frauchen?

Herkules ist ein kleiner Dackel, und sein neues Frauchen Carolin ist der tollste Mensch auf der Welt, findet er. Nicht nur, dass sie ihn aus dem Tierheim gerettet hat, nein, sie riecht auch nach Sommer und Erdbeeren, lacht viel und hat nichts dagegen, wenn Herkules zum Kuscheln zu ihr aufs Sofa springt. Kurz: Das Leben eines Dackels ist schön. Oder besser – könnte es sein, gäbe es da nicht auch noch Thomas, Carolins Lebensgefährten. Den kann Herkules von Anfang an nicht riechen, denn Thomas ist herrisch, laut und hat etwas gegen Hunde. Außerdem behandelt er Carolin schlecht. So beschließt Herkules gemeinsam mit seinem neuen Freund Herrn Beck, seines Zeichens Kater und Menschenkenner, Thomas loszuwerden. Mit einem ausgebufften Plan gelingt dies den beiden sogar, und Carolin setzt Thomas vor die Tür. Leider ist sie seitdem wie ausgewechselt: Sie weint den ganzen Tag und hört dazu schauderhafte Musik. Schnell ist klar: Carolin braucht einen neuen Mann! Und genau den will Herkules für sie suchen. Aber wie findet man den Richtigen, wenn man in Sachen Männer und Liebe ganz andere Vorstellungen hat als sein Frauchen?

Eine turbulente romantische Komödie, erzählt aus der Sicht eines kleinen Dackels.

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Seitenzahl: 385

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Inhaltsverzeichnis
 
Lob
 
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
ELF
ZWÖLF
DREIZEHN
VIERZEHN
FÜNFZEHN
SECHZEHN
SIEBZEHN
ACHTZEHN
NEUNZEHN
ZWANZIG
EINUNDZWANZIG
ZWEIUNDZWANZIG
DREIUNDZWANZIG
VIERUNDZWANZIG
FÜNFUNDZWANZIG
 
Danksagung
Copyright
Wer nie einen Hund gehabt hat, weiß nicht, was Lieben und Geliebtwerden heißt.
Arthur Schopenhauer
 
 
 
Die genauste Vorstellung von der Machtlosigkeit des Menschen haben zweifellos Gott und der Dackel.
George Mikes
 
 
 
Ich würde eher auf einen Mann verzichten als auf meinen Dackel Felix.
Ingrid Steeger
EINS
Was für eine Absteige! Gut, ich hatte gewusst, dass es nicht das Grand Elysee sein würde. Aber diese Unterkunft ist wirklich das Letzte. Eine Zumutung. Muffig und dunkel. Und dreckig. Ich gebe mir Mühe, mich nicht genauer umzuschauen, aber der Schmutz meiner Vorgänger ist unübersehbar. Es ist offensichtlich, dass hier schon ziemlich lange nicht mehr saubergemacht wurde. Mir ist zum Heulen zumute – wie konnte ich nur in eine solche Lage geraten? Heute Morgen noch im Salon von Schloss Eschersbach, und jetzt das. Nun fange ich wirklich an zu heulen.
»Schnauze, du nervst!«, kommt es keine zwei Sekunden später von links.
Richtig: Das Schlimmste hatte ich noch nicht erwähnt: meine Zimmernachbarn. Fünf an der Zahl, die meisten von ihnen unglaublich verwahrlost. Und das nicht nur optisch. Ungebildeter Pöbel, der in einem Adligen wie mir natürlich gleich ein willkommenes Opfer ausgemacht hat. Mein Stammbaum reicht bis 1723, diese Ignoranten neben mir kennen vermutlich nicht einmal den Unterschied zwischen Markgraf und Markklößchen.
Vor meinem inneren Auge taucht mein Großvater auf. »Wo ein von Eschersbach ist, ist oben. Vergiss das nie!«, pflegte er zu sagen. Ach Opili, wenn du mich jetzt sehen könntest – ich bin definitiv ganz unten angelangt. Bei diesem Gedanken heule ich noch lauter. Irgendjemand muss mich hier einfach rausholen!
»Komm, Süßer, beruhige dich.« Eine Hand greift durch das Gitter und krault mich hinter den Ohren. »Gleich gibt es ein leckeres Fresschen, und dann sieht die Welt ganz anders aus. Der erste Tag ist für alle schlimm.«
Hm, eine nette Stimme. Interessiert gucke ich zur Seite, um festzustellen, zu wem sie gehört: Neben dem Zwinger steht eine junge Frau in einer Latzhose und lächelt mich aufmunternd an. Ihre Hand riecht nach gewöhnlichem Dosenfutter, trotzdem hat die Berührung etwas Tröstliches. Ich schlecke ihre Finger ab, sie beginnt zu kichern.
»Ja, ja, das schmeckt dir, nicht wahr?«, flüstert sie mir zu.
Oje, wenn die wüsste – an meinen verwöhnten Dackelgaumen habe ich bisher eigentlich nur frisches Herz und Pansen gelassen. Fertigfutter war die absolute Ausnahme, das gab es wirklich nur, wenn Emilia, unsere Köchin, krank war oder Urlaub hatte. Bei dem Gedanken an Emilia krampft sich mein kleines Herz zusammen, und ich muss ein bisschen winseln. Als ich mich heute Morgen von ihr verabschiedet habe, hat sie geweint. Weiß der Teufel, wie Menschen das immer hinbekommen. Aber zum ersten Mal in meinem Leben hätte ich viel dafür gegeben, auch ein paar Tränen vergießen zu können.
»Du Armer, noch so schlimm?«, erkundigt sich die Pflegerin mitfühlend. »Mach dir keine Sorgen, du bist so süß, wir finden bestimmt bald ein neues Frauchen oder Herrchen für dich. Versprochen!« Dann streicht sie mir noch einmal über den Kopf und zieht ihre Hand wieder durch das Gitter.
Ich drehe mich um und trotte in die andere Ecke des Zwingers. Dort wirft ein Sonnenstrahl noch ein einladend helles Fleckchen auf den Boden, und ich beschließe, es mir ein bisschen gemütlich zu machen.
Offenbar bin ich nicht der Einzige, der auf diese Idee gekommen ist: Bevor ich mich hinlegen kann, tritt mir ein riesiges schwarzes Irgendwas direkt auf die Pfoten.
»Kleiner, ich glaube, du verziehst dich besser auf die andere Seite. Hier ist mein Platz.« Um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen, kommen die letzten Worte nur als heiseres Knurren.
Was für eine lächerliche Töle! Meint die ernsthaft, sie könne mich in die Flucht schlagen? Mich, dessen Ahnen noch mit dem letzten Kaiser zur Jagd gegangen sind? Ich schüttle den Kopf.
»Ich glaube nicht«, entgegne ich so würdevoll, wie es mir unter diesen widrigen Umständen möglich ist, »dass in diesem Etablissement mit Reservierungen gearbeitet wird. Ich war vor Ihnen da, also werde ich mich auch auf diesen Platz legen. Sie gestatten?« Mit diesen Worten schiebe ich Mr. Irgendwas zur Seite und lege mich schnell hin. Er starrt mich völlig fassungslos an. So viel zivilen Widerstand hat er wohl noch nie erlebt. Zufrieden räkle ich mich. Opili hatte doch Recht – ein von Eschersbach ist eben auch oben, wenn er unten ist.
Während ich noch darüber sinniere, wann hier wohl mit der zweifelsohne eher bescheidenen Mahlzeit zu rechnen ist, verfinstert sich mein sonniges Fleckchen. Nanu, eine Wolke? Ich blicke nach oben, um festzustellen, was in aller Welt hier auf einmal diesen unerfreulichen Schatten wirft – und schaue direkt in das Gesicht eines ziemlich ungemütlich aussehenden Boxers. Er schiebt seine Nase ganz dicht an meine und verströmt dabei einen Geruch, dass es mir regelrecht den Atem verschlägt.
»Pass auf, du aufgeblasener Zwerg: Wenn du nicht neu wärst, wärst du jetzt ein toter Hund. Hier gelten unsere Regeln, besser du hältst dich daran. Also wenn mein Freund Bozo sagt, dass du dich verpissen sollst, dann …«, er kommt noch ein bisschen näher und schnappt blitzschnell nach mir.
Aua! Ein stechender Schmerz fährt durch mein rechtes Ohr. Hilfe! Der ist ja gemeingefährlich! Ich belle aufgeregt – offensichtlich bin ich unter militante und gewaltbereite Straßenköter geraten. Aber sosehr ich auch belle – niemand kommt. Nicht einmal die junge Frau in der Latzhose. Boxer und Bozo grinsen selbstzufrieden.
»Spar dir die Mühe. Die hört dich momentan nicht – ist zu den Katzen rübergegangen. Wir könnten dich jetzt richtig plattmachen, und niemand würde dir helfen. Ein toter Hund mehr in der Statistik dieser Bude. Wen interessiert das schon?«
Ich merke, wie sich meine Nackenhaare sträuben und es mir eiskalt den Rücken herunterläuft. Bozo, die schwarze Töle, baut sich wieder vor mir auf.
»Also, was ist jetzt? Wenn ich sage verpiss dich?«
»Dann verpisse ich mich?«, ergänze ich seinen Satz.
»Richtig. Hundert Punkte. Braves Hundchen.«
Bozo verpasst meiner empfindlichen Nase noch einen kräftigen Stüber mit seiner ungepflegten Pfote. Erschreckt springe ich zur Seite und laufe auf zittrigen Beinen in die andere Ecke des Zwingers. Dort sitzen noch zwei andere Hunde, die das Geschehen gelangweilt beobachtet haben. Mord und Totschlag scheinen hier an der Tagesordnung zu sein, jedenfalls interessiert sich niemand dafür, dass ich gerade Opfer eines Verbrechens geworden bin. Ein älterer Münsterländer rückt ein Stück zur Seite, als ich mich neben ihn setze. Immerhin nicht gleich der Nächste, der mich bedroht. Eine Weile hocken wir schweigend nebeneinander. Dann rückt er wieder ein Stück näher an mich heran und flüstert in mein Ohr: »Leg dich besser nicht mit den beiden an. Die sind echt gefährlich. Aber wenn du ihnen aus dem Weg gehst, lassen sie dich meistens in Ruhe.«
Aus dem Weg gehen? Das ist doch wohl ein Scherz. Dieser Zwinger ist ziemlich klein, und wir sind immerhin fünf Hunde. Offenbar ist dem Münsterländer auch gerade aufgefallen, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist. Jedenfalls grinst er mich jetzt verschmitzt an und murmelt: »So gut es eben geht, haha. Ich heiße übrigens Fritz.«
Ich sage erst einmal nichts. Unter den gegebenen Umständen habe ich wirklich keine Lust, mich zu unterhalten. Stattdessen lege ich den Kopf auf meine Pfoten und sehe Bozo und dem Boxer zu, wie sie sich auf meinem Sonnenfleckchen fläzen. Wahrscheinlich machen sie sich gerade über mich lustig. Eigentlich bin ich sehr gerne ein Dackel, aber in diesem Moment wäre ich viel lieber ein Kampfhund. Staffordshire, Pitbull oder irgendetwas anderes in Richtung Lizenz zum Töten.
»He«, Fritz knufft mich in die Seite, »sei nicht traurig. Die Pflegerin hat’s doch gerade gesagt: Du bist so ein richtiger Menschentyp, dich holt bald einer hier raus. Und dann zeigst du den beiden Idioten da drüben den Stinkefinger, denn die will garantiert keiner haben.«
Ich schaue Fritz nachdenklich an. Hoffentlich hat er Recht.
 
Am nächsten Morgen fühle ich mich wie gerädert. Ich habe kaum geschlafen – und wenn mir doch mal für fünf Minuten die Augen zugefallen sind, hatte ich furchtbare Alpträume. Von Boxern und Pitbulls, die mich durch den Zwinger jagen, und riesigen Mengen Dosenfutter, das ganz abscheulich schmeckt. Müde trotte ich zu Fritz, der schwanzwedelnd an der Käfigtür steht.
»Morgen. Was bist du denn schon so wach und gut gelaunt?«, will ich von ihm wissen.
»Na, heute ist Besuchstag. Und falls tatsächlich ein Mensch auf der Suche nach einem Hund vorbeikommt, will ich gleich einen guten Eindruck machen. Bin ja nicht mehr der Jüngste, da ist es umso wichtiger, dynamisch und gut gelaunt zu wirken. Wirst schon sehen, Menschen mögen so was.«
Ob er damit richtigliegt? Eigentlich habe ich gar keine Lust, den dressierten Dackel zu geben. Aber der Gedanke, mich auf einen längeren Aufenthalt hier einzurichten, ist zugegebenermaßen furchtbar. Ich stelle mich also neben Fritz und wedele auch ein bisschen unmotiviert mit dem Schwanz hin und her. Und auf so eine billige Masche fallen Menschen herein? Unglaublich.
»Sag mal, wie heißt du eigentlich?«, will Fritz wissen.
»Carl-Leopold«, antworte ich knapp.
»Carl-Leopold? Komischer Name für einen Hund.«
»Finde ich nicht. Kommt eben ganz darauf an, aus welchem Stall man kommt.« Banause! Was weiß der schon von schönen Namen? »Ich bin ein von Eschersbach«, füge ich stolz hinzu.
»Von Eschersbach? Sagt mir nichts«, brummt Fritz nur und wedelt weiter.
Ich seufze. Wirklich ein Banause. Ein netter zwar, aber eben doch ein Banause. Gerade will ich anfangen, Fritz in die Grundzüge meiner Familiengeschichte einzuweihen, da klappt im Haus neben unserem Zwinger eine Tür. Augenblicklich bin ich wie elektrisiert. Nicht wegen des Geräuschs – schließlich herrscht in dieser Einrichtung ein Lärmpegel, dass einem Dackel eigentlich die zarten Öhrchen abfallen müssten. Nein, es ist vielmehr ein ganz unbeschreiblicher Geruch, der geradewegs auf meine Nase zuströmt. Auch Fritz scheint Witterung aufgenommen zu haben, denn er stellt sein blödsinniges Gewedel ein und presst stattdessen seine Schnauze durch die Gitterstäbe.
»Riechst du das auch?«, will ich von ihm wissen.
Er nickt.
»Toll, oder?«
»Ja, Wahnsinn!«, gibt er mir Recht.
»Das ist der schönste Geruch, den ich an einem Menschen je wahrgenommen habe«, stelle ich fest.
Dass dieser Geruch zu einem Menschen gehört, ist klar. Das riecht jeder Hund sofort. Aber was für ein Mensch ist das wohl, der so gut riecht? Nicht etwa profan gut wie Fleischwurst oder Schokokeks. Nein, eher wie … ich grüble nach … genau – wie ein schöner Sommertag. Ein glücklicher Sommertag. Ganz viel nach Blumen, ein bisschen nach Erdbeeren und ein Hauch Pfefferminz. Fantastisch.
»Wahrscheinlich sind wir gleich enttäuscht, wenn wir den Menschen sehen. Die blödesten Menschen riechen immer am besten«, meint Fritz fachmännisch.
»Echt?«, will ich wissen. »Da habe ich ehrlicherweise noch keinen Zusammenhang festgestellt. Das kann ich nicht beurteilen.«
»Doch, doch. Jede Wette.«
Gespannt blicken wir Richtung Tür. Und da kommt sie auch schon zu den Zwingern, gefolgt von der Latzhose. Fritz lag völlig daneben. Denn für einen Menschen ist sie wunderschön, wie ein Engel. Sie unterhält sich mit der anderen Frau und lacht dabei. Ihre Augen lachen mit – was besonders schön aussieht und bei den Menschen ziemlich selten ist. Meistens verziehen die beim Lachen nur den Mund. Was schade ist. Also, wenn ich lachen könnte, ich würde die Augen mitmachen lassen. Sieht eindeutig besser aus.
»Hm, also ein etwas kleinerer Hund soll es sein? Und gerne ein jüngerer?« Der Engel nickt.
Fritz lässt sofort die Ohren hängen. Er weiß, was das bedeutet: wieder kein Frauchen für ihn. Denn Münsterländer sind alles andere als klein – und ein junger Hund ist Fritz schon lange nicht mehr. Er senkt den Kopf. »Viel Glück!«, flüstert er mir noch zu, dann trottet er an mir vorbei. Natürlich tut er mir leid – aber vielleicht ist das wirklich meine Chance? Ich versuche es noch mal mit der Fritz’schen Taktik, wedele also aufgeregt mit dem Schwanz und versuche, möglichst freundlich zu bellen. Tatsächlich steuern die beiden Frauen jetzt direkt auf mich zu.
»Das hier ist zum Beispiel unser Junior. Haben wir gerade erst bekommen. Ungefähr ein halbes Jahr alt.«
Sie streckt ihre Hand durch das Gitter, ich schlecke sie gleich ab. Na, wenn das jetzt keinen guten Eindruck macht, weiß ich auch nicht. Der Engel beugt sich zu mir herunter.
»Na, was bist du denn für ein Süßer? So ein niedlicher Kerl!« Begeistert springe ich auf und ab.
»Ja, echt ein Hübscher. Ein Dackelmix.«
Autsch. Mix. Verdammt. Das tat weh. Ich höre augenblicklich auf, den begeisterten Hund zu mimen. Nicht, dass es nicht stimmen würde. Im Gegenteil. Fräulein Latzhose hat Recht. Und damit bringt sie meine Schmach auf den Punkt: Ich bin ein Mischling. Das Ergebnis von Mamas Affäre mit einem sehr schneidigen Terrierrüden. Genau deswegen bin ich hier. Denn ich bin zwar Carl-Leopold von Eschersbach. Aber ein reinrassiger Dackel mit den besten Papieren – das bin ich nicht. Für die Jagd gänzlich ungeeignet. Und für die Zucht sowieso. So hat es der alte Schlossherr Eschersbach gesagt, bevor er mich in einen Karton setzte und mich hierherfuhr. Emilia hat geweint, aber sie hatte ja schon meine Schwester genommen, und zwei Hunde waren ihr natürlich zu viel.
Offenbar habe ich angefangen zu winseln, denn jetzt streckt auch der Engel seine Hand durch den Käfig und streichelt mich.
»Och, du Armer, was hast du denn? Bist du traurig?« Wie peinlich. Ein Eschersbach weint doch nicht. Und dann noch vor einer so schönen Frau. Himmel, wo soll das noch enden? Aber offensichtlich war das genau das Richtige – denn jetzt richtet sich der Engel auf, zeigt auf mich und sagt: »Den will ich haben. Auf alle Fälle. Kann ich ihn gleich mitnehmen?«
Die Latzhose nickt. »Kommen Sie mit rein, dann erledigen wir die Formalitäten. Alle Impfungen hat er schon, er kommt von einem sehr gewissenhaften Züchter. Kleiner Betriebsunfall gewissermaßen.«
Bei den letzten Worten kichert sie. Und dafür würde ich sie sehr gerne in die Hand zwicken. Lasse es aber. Sonst muss ich nachher doch hierbleiben.
 
Zwanzig Minuten später sitze ich sicher in der Box verstaut auf dem Rücksitz von Carolins Auto. Carolin – so heißt mein Engel. Habe ich bei der Verabschiedung mitgekriegt. Carolin. Ein schöner Name. Sehr edel. Wahrscheinlich – ach was – ganz sicher ist Carolin aus noblem Hause. So etwas merkt ein Hund wie ich einfach. Carolin jedenfalls ist gut gelaunt. Sie pfeift ein Lied und schaut ab und zu in den Rückspiegel, um nach mir zu sehen.
»So, mein Süßer, jetzt lernst du gleich dein neues Zuhause kennen. Ich bin sehr gespannt, wie es dir gefällt.«
Und ich erst! Ob es wohl so schön ist wie auf Schloss Eschersbach? Mit einem großen Park? Und vielen Kaninchenbauten? Das Auto wird langsamer, schließlich hält es an. Carolin öffnet die Tür und hebt die Box heraus. Jetzt habe ich den Geruch von Erdbeeren und Minze direkt vor der Nase und würde Carolin am liebsten von oben bis unten abschlecken. Aber noch muss ich mich gedulden, aus der schaukelnden Box herauszukommen.
Um mich herum wird es dunkler, und es schaukelt noch stärker: Carolin trägt mich eine Treppe hinauf. Ich versuche, mit meiner Nase durch das Gitter der Box einen ersten Eindruck von meinem neuen Domizil zu erschnüffeln. Auf alle Fälle scheint es ein Ort zu sein, an dem verschiedene Menschen leben. Und verschiedene Tiere. Auf Anhieb kann ich mindestens eine Katze ausmachen.
Jetzt stellt Carolin die Box ab, und ich höre, wie sie eine Tür aufschließt. Sie schiebt die Box mit dem Fuß ein Stück weiter. Dann nestelt sie am Deckel herum, öffnet ihn und hebt mich vorsichtig heraus.
»Et voilà! Hier wirst du von nun an wohnen. Schau dich ruhig um, kleiner Mann.«
Im ersten Moment sehe ich gar nichts – so hell ist es hier. Ich blinzele vorsichtig und versuche, mich an das Licht zu gewöhnen. Schemenhaft erkenne ich langsam, dass wir wohl in einem menschlichen Wohnzimmer stehen. Vor dem Fenster steht eine große Couch, die so aussieht, als könnte ein kleiner Dackel dort sehr bequem ein Nickerchen halten. Ob das bei Carolin wohl erlaubt ist? Im Schloss jedenfalls war es streng verboten. Was natürlich dazu führte, dass meine Schwester und ich nichts lieber taten, als auf das Sofa im Salon zu hopsen. Schon allein, weil es urkomisch war, wenn der alte Schlossherr trotz seines Gehstocks wie ein geölter Blitz auf uns zuschoss und wild mit ebenjenem Stock herumfuchtelte, um uns zu verscheuchen.
Ich trabe zum Sofa und schnuppere am Bezug. Hm, auch Erdbeeren und Minze. Aber noch irgendetwas anderes. Kein Tier. Eher noch ein Mensch. Tief tauche ich in den Geruch ein. Hm, habe ich nicht nur ein neues Frauchen, sondern auch noch ein Herrchen? Ein Frauengeruch ist das jedenfalls nicht. Während ich noch überlege, hebt mich Carolin hoch und setzt mich – ja! ja! ja! – auf das Sofa, sich selbst gleich daneben. Begeistert schlecke ich ihre Hände ab – diese Frau weiß ganz offensichtlich, was Dackel lieben. Sie lacht und zieht ihre Hände weg. Dann sieht sie mich nachdenklich an.
»So, mein Kleiner: Ich habe alles für dich besorgt: Körbchen, Leine, Fressnapf, Futter. Dann fehlt nur noch eins …« Ich schüttle den Kopf, für meinen Geschmack klang das ziemlich vollständig. »Du brauchst noch einen schönen Namen.«
Ich quieke überrascht – einen schönen Namen habe ich doch schon! Oder hat mich von Eschersbach einfach so im Tierheim abgestellt? Ohne noch ein paar Sachen über mich zu erzählen? So eine Herzlosigkeit!
Offenbar merkt Carolin meine Empörung, sie hebt mich auf ihren Schoß, dann gucken wir uns in die Augen.
»Hm, also, wie könnte so ein Kerlchen wie du wohl heißen? Wonach siehst du denn aus?«
Ich versuche, mich möglichst wirkungsvoll in die Brust zu werfen und sehr würdevoll auszusehen. Vielleicht kommt sie dann von allein auf Carl-Leopold? Zur Unterstreichung dieses Anblicks belle ich noch zweimal staatstragend. Los, Carolin, denk mal scharf nach!
»Auf alle Fälle bist du kein gewöhnlicher Hund – du scheinst mir wirklich Charakter zu haben. Innerlich bist du gewissermaßen viel größer, als du von außen aussiehst.«
Ja! Genau! Gleich hat sie’s! Majestätisch werfe ich den Kopf zurück.
»Ich hab’s! Ich nenne dich Herkules.«
Wie bitte? HERKULES? Alter Grieche statt alter Adel?
ZWEI
Herkules! Gut, Carolin mag keinen Geschmack haben, was die Namenswahl bei Dackeln anbelangt, und an diesen merkwürdigen neuen Namen muss ich mich auch erst mal gewöhnen. Ein Händchen für die richtige Wohngegend hat sie aber auf alle Fälle. Tatsächlich scheint das Haus, in dem ich jetzt wohne, fast so groß wie Schloss Eschersbach zu sein. Mein Gefühl, dass Carolin aus den besten Verhältnissen stammt, scheint also zu stimmen. Auch die Nachbarn residieren nicht gerade in bescheidenen Hütten. Direkt hinter unserem Haus beginnt ein Park. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob der Carolin allein gehört, denn er ist wirklich riesig. Als wir dort einen kurzen Spaziergang machen, kann ich überhaupt nicht erkennen, wo der Park endet – toll!
Und er ist nicht nur groß, es wartet auch das Abenteuer in ihm. Schon nach ein paar Schritten wittere ich die ersten Kaninchen und Eichhörnchen. Sofort will ich loslaufen, da erinnert mich ein unsanfter Ruck im Nacken daran, dass Carolin etwas für mich besorgt hat, was für mich völlig ungewohnt ist: eine Art Strick, den sie an meinem Halsband festgemacht hat. Aua! Was soll das denn? Ich drehe mich um, nehme das Ding in die Schnauze und zerre ein bisschen daran. Carolin kniet sich zu mir herunter.
»Na, Herkules? Magst du deine neue Leine nicht? Oder bist du noch nie so spazieren gegangen? Ich bin mir gar nicht sicher, ob so ein kleiner Hund wie du das gleich kann. An der Leine gehen, meine ich. Aber leider herrscht hier Leinenzwang, und ich kann dich nicht einfach herumlaufen lassen.«
Bei dem Wort »Leinenzwang« muss ich noch ein bisschen wilder auf dem Strick herumbeißen. Ich weiß zwar nicht genau, was das bedeutet, aber es klingt definitiv wie etwas, was sich gegen Hunde richtet.
»Ts, ts!«, sagt Carolin und dann streichelt sie mir ganz zärtlich über den Kopf. Ich lasse die Leine los und schaue sie an.
»Ich muss mir wohl ein Buch über Hundeerziehung kaufen. Oder vielleicht ein paar Stunden beim Hundetrainer buchen? Du bist nämlich mein allererster Hund überhaupt. Aber gestern hatte ich auf einmal das Gefühl, es wäre nett, so ein freundliches, treues Wesen um mich zu haben.«
Okay, das mit der Erziehung ist natürlich überflüssiger Unsinn, und ich hoffe, Carolin kommt noch von allein drauf. Aber das mit dem freundlichen, treuen Wesen trifft hundertprozentig auf mich zu. Wie auf alle von Eschersbach’schen Dackel. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass wir dafür berühmt sind. Ein von Eschersbach verlässt seinen Menschen nie. Nie! Merk dir das, Carl-Leopold!, höre ich Opili sagen. Was aber ist, wenn der Mensch auf einmal den Dackel verlässt? Dazu wäre Opili bestimmt auch nichts eingefallen, füge ich in Gedanken finster hinzu. Einen Moment will sich schlechte Laune bei mir breitmachen, aber da raschelt Carolin mit irgendwas in ihrer Tasche. Hmh, nicht mit irgendetwas – den Geruch kenne ich doch! Es ist Fleischwurst. Sie hält mir tatsächlich ein Stück davon unter die Nase.
»Hier, mein Schatz. Beginnen wir doch unsere erste Trainingseinheit in Sachen Spaziergang mit etwas Erfreulichem. Ich hoffe, du magst das.«
Ich schnappe mir den Wurstzipfel und springe gleich mal begeistert auf und ab. Carolin soll doch wissen, dass das auf alle Fälle die richtige Idee war.
»Das freut dich, nicht wahr? Vielleicht lassen wir das Leinentraining auch erst mal und besuchen stattdessen Daniel. Wird Zeit, dass du den kennenlernst. Um diese Uhrzeit ist er bestimmt gerade fleißig und vielleicht für ein bisschen Abwechslung dankbar.«
Schade, ich wäre gerne noch im Park geblieben. Auch mit Leine. Vielleicht hätten wir noch einen anderen Hund getroffen, den ich ein bisschen über die Nachbarschaft hätte ausquetschen können. Man will ja schließlich wissen, mit wem man es zu tun hat. Aber wenn dieser Daniel so wichtig ist – bitte, von mir aus!
Carolin geht genau den Weg zurück, den wir gerade gekommen sind, und ich gebe mir Mühe, brav an der Leine hinter ihr herzutrotten. Vielleicht kriege ich noch ein Stück Wurst, wenn ich ihr jetzt ein pädagogisches Erfolgserlebnis verschaffe. Tatsächlich dreht sie sich kurz zu mir um.
»Braver Herkules! Du lernst aber schnell!«, lobt sie mich. Leider ohne noch einmal in ihre Tasche zu greifen. Sei’s drum, Hunger habe ich ja eigentlich keinen.
Mittlerweile stehen wir wieder vor unserem Haus. Ob dieser Daniel auch hier wohnt? Carolin beugt sich zu mir und nimmt mich auf den Arm.
»So, ab in die Werkstatt!«
Werkstatt? Interessantes Wort. Was sich dahinter wohl verbirgt? Wir gehen tatsächlich ins Haus, aber anders als eben nicht die Treppe hoch, sondern vier Stufen hinunter. Dann öffnet Carolin die Tür – und wir stehen in einem Raum, der unglaublich nach Holz riecht. Ich schnaube erstaunt. Ob die Menschen auch Wälder haben, die sich in Häusern befinden? Und wohnen dann dort trotzdem Füchse und Kaninchen? Allerdings sehe ich überhaupt keine Bäume. Merkwürdig.
Aus einer Ecke des Werkstattdings höre ich jemanden pfeifen. Ob das Daniel ist? Carolin trägt mich in Richtung des Geräuschs. Wir kommen in einen Raum mit zwei großen Fenstern, in die gerade die warme Nachmittagssonne scheint. Direkt hinter den Fenstern beginnt eine Wiese, es sieht sehr hübsch aus. Vor den Fenstern steht ein großer Tisch, und hinter dem Tisch steht der Mensch, der so laut pfeifen kann. Er hält ein langes Dings in den Händen, das aussieht wie ein Ast mit langen Haaren. Als er uns sieht, legt er das Dings zur Seite und hört auf zu pfeifen.
»Oh, hallo! Hat sich da jemand zu uns verlaufen? Oder haben wir gerade Besuch?«
Carolin schüttelt den Kopf. »Weder noch: Wir haben einen neuen Mitbewohner. Darf ich vorstellen: Herkules – Daniel. Daniel – Herkules.« Mit diesen Worten setzt sie mich auf den Tisch neben das Dings.
»Bitte? Du hast einen Dackel gekauft?«
»Einen Dackelmix, ja.«
Ich kann nicht anders – ich muss an dieser Stelle einfach heftig den Kopf schütteln und empört knurren. Die beiden schauen mich erstaunt an.
»Hoppla, mag er vielleicht keine Männer?«, will Daniel wissen.
Carolin zuckt mit den Schultern und krault mich beschwichtigend hinter den Öhrchen. »Das will ich doch nicht hoffen. Im Tierheim haben sie jedenfalls nichts davon gesagt, und ich wollte ihn eigentlich tagsüber mit in die Werkstatt bringen.«
Daniel lächelt. »Na ja, vielleicht ist er ein stolzes Kerlchen und mag es nicht, wenn du seine Reinrassigkeit anzweifelst.« Die beiden lachen, und Carolin nimmt mich wieder auf den Arm.
Was, bitte, ist daran so komisch? Auch wenn ich noch nicht so viele Menschen kenne, eines steht fest: Diese Zweibeiner sind deutlich unsensibler als wir Hunde. Ein Gefühl dafür, was uns gerade bedrückt, haben sie ganz offensichtlich nicht. Mich beschleicht auf einmal das mulmige Gefühl, dass das ständige Zusammenleben mit so einem Menschen, nicht immer die reine Freude sein könnte. Immerhin war dieser Daniel schon mal auf der richtigen Fährte. Den Rest üben wir noch!
»Darf ich ihn auch mal halten?«
»Klar!« Carolin reicht mich hinüber. Daniel hat einen festen, aber nicht unangenehmen Griff. Er ist nur ein bisschen größer als Carolin und von hier oben kann ich sehen, dass sich seine hellen Haare wild über den ganzen Kopf locken.
»Na, Kleiner? Magst du mich etwa nicht?« Um das Gegenteil gleich mal klarzustellen, schlecke ich Daniel mit meiner Zunge übers Gesicht.
»So viel zum Thema ›mag keine Männer‹«, freut sich Carolin. »Du kommst doch ziemlich gut bei ihm an.«
»Dann bin ich ja beruhigt! Denn wenn wir hier demnächst unsere Tage zu dritt verbringen, wäre alles andere ja auch schlecht. Ein Dackel, der mich ständig in die Waden zwickt, hätte unsere Harmonie doch empfindlich gestört.«
Ah, verstehe. Daniel ist also das Herrchen zu meinem Frauchen. Wahrscheinlich habe ich ihn auch oben in der Wohnung gerochen. Ich habe schon öfter gehört, dass sich Menschen gerne zu zweit zusammentun und dann auch ganz lange so ein Paar bleiben. Fand ich bisher immer einen komischen Gedanken. Aber wenn ich die beiden so sehe, dann kann ich’s glatt verstehen. Sie wirken so … so vertraut miteinander. Fast wie mein Opili mit dem alten Eschersbach. Und die beiden sind immerhin fünfzehn Jahre zusammen zur Jagd gegangen. Mehr Paar geht gar nicht. Ob Carolin und Daniel auch zusammen jagen? Oder machen Menschenpaare andere Sachen zu zweit?
»Kurz etwas Dienstliches: Hat Frau Brolin noch mal angerufen?«, will Carolin von Daniel wissen. »Sie wollte eigentlich heute mit einem Cello zum Schätzen vorbeikommen. Soll restauriert werden, wenn sich das lohnt.«
Cello. Was für ein schönes Wort. So weich und trotzdem irgendwie … feurig. Was mag das sein? Und ob es irgendwas mit dem Dings zu tun hat, was Daniel vorhin noch in der Hand hatte? Na, ich werde es herausfinden, ich bin ab heute ja öfter in der Gegend.
»Ja, sie war kurz da und hat das Instrument hiergelassen. Ich habe es dir auf deinen Platz gelegt. Es war ihr aber nicht besonders eilig. Reicht völlig, wenn du sie Montag anrufst.«
»Ach gut. Wenn ich ehrlich bin, würde ich mir gerne den Rest des Tages freinehmen und Herkules sein neues Zuhause und die neue Umgebung zeigen. Einen kleinen Spaziergang im Park haben wir eben schon versucht, aber Herkules mag seine neue Leine nicht. Vielleicht übe ich gleich noch mal ein bisschen mit ihm.«
»Mach nur, bei mir gibt es auch nichts Dringendes. Jedenfalls nichts, was ich nicht ohne dich schaffen würde.« Daniel lächelt wieder und reicht mich an Carolin zurück.
Es ist schon toll, was für unterschiedliche Gesichtsausdrücke Menschen so hinbekommen. Ist natürlich auch viel einfacher, wenn man nicht so viele Haare um Augen und Nase herum hat. Jetzt gerade hat dieser Daniel meine Carolin so angeschaut, als würde er ihr auch gerne übers Gesicht lecken. Aber das machen Menschen anscheinend nicht. Habe ich jedenfalls noch nie bei ihnen gesehen. Auf und ab springen tun sie übrigens auch nicht. Komisch, oder? Dabei fühlt sich das so gut an, wenn man sich freut.
»Daniel?«
»Ja?«
»Das ist für dich okay mit dem Hund, oder?«
»Klar, mach dir keine Gedanken.«
»Ich meine nur – es war ja eine ziemlich spontane Idee, und eigentlich wollte ich dich vorher fragen. Aber dann war ich schon mal aus reiner Neugier im Tierheim und habe mich gleich in dieses kleine Kerlchen verliebt.«
»Der ist aber auch wirklich süß. Ich kann verstehen, dass du ihn gleich mitnehmen wolltest. Allein diese großen braunen Knopfaugen. Ich finde übrigens, man sieht kaum, dass er ein Mix ist. Schlappohren und relativ kurze Beine – ziemlich langen Rücken hat er auch. Also, wenn du mich fragst, der kommt bestimmt aus einer richtigen Dackelfamilie, viele andere Rassen sind da garantiert nicht mit drin.«
Daniel, du bist mein Mann! Am liebsten würde ich von Carolins Arm direkt zu Daniel springen und ihn noch einmal von oben bis unten abschlecken – so gut tut mir sein Kompliment. Ich habe das Gefühl, spontan um eine Pfotenbreite gewachsen zu sein. Stolz belle ich los.
»Das scheint dich ja richtig zu freuen! Carolin, ich glaube, du hast es hier mit einem sehr stolzen Exemplar zu tun. Wahrscheinlich müssen wir uns anstrengen, seinen Ansprüchen zu genügen.«
Wieder lachen beide, und Carolin krault mich noch einmal hinter den Ohren. »Tja, mein Süßer, dann will ich mir mal Mühe geben, damit du dich auch wohlfühlst bei uns.«
Als ich nachts in meinem neuen Körbchen liege, bin ich erschöpft, aber glücklich. Eine Stunde waren wir noch im Park spazieren und haben die Sache mit der Leine geübt. Um Carolin einen Gefallen zu tun, bin ich meistens brav hinter ihr her getrabt, nur ab und zu, wenn ich mir sicher war, an einem Kaninchenbau vorbeigekommen zu sein, habe ich mich auf den Hintern gesetzt und wild geknurrt. Schließlich habe ich auch einen Ruf als Jagdhund zu verteidigen. Aber mit gutem Zureden und einigen Scheiben Fleischwurst haben wir doch eine ziemlich große Leinenrunde im Park geschafft. Ein paar Hunde haben wir auch getroffen, aber mir war nicht nach reden. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag.
Bevor ich einschlafe, kommt Carolin noch einmal vorbei und legt mir eine weiche Decke ins Körbchen. Sie schmust ein bisschen mit mir, dann flüstert sie mir ins Ohr: »Weißt du, mein Süßer, eigentlich ist es eine Schande, dass ich mir nicht längst einen Hund angeschafft habe. Hier ist es wirklich ideal für ein Kerlchen wie dich. Tagsüber kannst du mit mir in die Werkstatt kommen oder in unserem Garten herumstromern. Und immer, wenn ich eine Pause mache oder freihabe, dann gehen wir hier spazieren. Na, wie klingt das?«, will sie dann wissen, und endlich – endlich! – kann ich ihr auch einmal übers Gesicht schlecken. Carolin kichert, streichelt mich noch einmal und wünscht mir eine Gute Nacht.
Hach, ich habe es richtig gut getroffen: ein nettes Frauchen, ein nettes Herrchen – eigentlich wieder eine richtig schöne Familie, ganz wie auf Schloss Eschersbach. Gut, es gibt keine Emilia, und Carolin hatte nicht etwa frischen Pansen besorgt, sondern beim Abendessen zur Feier des Tages eine Dose aufgemacht. Aber egal. Wenn das das bürgerliche Leben ist, dann kann ich mich damit anfreunden. Wenigstens scheint es hier ehrlich zuzugehen, und jemanden, der so kaltherzig wie der alte Eschersbach ist, habe ich hier noch nicht getroffen. Ja, das Glück der kleinen Leute, es hat etwas rundherum Beruhigendes. Der Adel kann mir gestohlen bleiben. Noch einmal denke ich an die leckere Fleischwurst, dann fallen mir die Augen zu.
DREI
Am liebsten würde ich mir die Ohren zuhalten. Oder mich unter dem Sofa verkriechen. Denn was ich hier gerade erlebe, macht mir richtig Angst. Ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen habe, ist eben in unsere, also genauer gesagt, Carolins Wohnung gekommen und hat sofort begonnen herumzubrüllen. Ich bin fassungslos. Wer ist dieser furchtbare Kerl? Und wo steckt eigentlich Daniel? Will der sein Weibchen nicht beschützen? Vielleicht sollte ich ihn schnell suchen, damit er Carolin helfen kann. Dafür müsste ich allerdings an dem brüllenden Kerl vorbei, und das traue ich mich ehrlich gesagt nicht. Eine Unart, die ich an Menschen echt hasse? Dass sie so furchtbar laut sein können! Meine Ohren sind wirklich ausgezeichnet. Für meinen Geschmack müssten Menschen daher weder selbst so laut reden noch – was sie anscheinend auch sehr gerne machen – unglaublich laute Musik hören. Aber das nur nebenbei bemerkt.
In seiner aggressiven Art erinnert mich dieser Mann gerade sehr an Bozo und Boxer. Er ist riesig, ein ganzes Stück größer als Carolin. Und seine Haare sind genauso rabenschwarz wie Bozos Fell. Er macht die gleichen herrischen Bewegungen und hat den gleichen ungebildeten Tonfall. Anscheinend ein Proletarier reinsten Wassers, genau wie Bozo-Boxer.
Der Mann fuchtelt wild mit den Händen herum und zeigt – auf mich! Auweia!
»Du hast was?! Ich bin keine drei Tage auf einer Dienstreise, komme zurück, und du hast einen Hund gekauft?«
Der Kopf von Bozo-Boxer ist hochrot angelaufen. Irgendetwas sagt mir, dass ich bei ihm nicht ganz so gut ankomme wie bei Daniel. Aber das kann mir wohl egal sein. Hauptsache, mein Herrchen mag mich. Und hoffentlich kommt das bald. Auch mit den für gewöhnlich schlechten Menschenohren kann man diese Schreierei bestimmt in der Werkstatt hören. Jetzt stellt sich Carolin tapfer vor den Mann. Offensichtlich will sie mich verteidigen. Eine tolle Geste, aber so geht es nun wirklich nicht. Denn wenn hier jemand zu verteidigen ist, dann doch wohl mein Frauchen durch ihren tapferen Jagdhund. Es hilft nichts – ich muss mich in den Kampf stürzen.
Gerade will ich Anlauf nehmen, um mit einem gewagten Sprungmanöver eine möglichst gute Bissposition für eine empfindliche Stelle bei dem Kerl zu erreichen, da passiert das Unglaubliche: Carolin geht noch ein Stück näher an den fiesen Typen heran und streichelt ihm über den Arm.
»Aber, Schatz – wir waren uns doch einig, dass ein Tier eine gute Idee ist. Und da bin ich gestern spontan ins Tierheim gefahren. Bitte – sei nicht böse! Herkules ist doch so süß!«
Schatz? Da habe ich mich doch hoffentlich verhört. Denn Schatz sagen meines Wissens vor allem Menschenpaare zueinander. Wie zum Beispiel der Gärtner immer Schatz zu Emilia sagt, was in Ordnung ist, weil die beiden ja ein Paar sind. Sollte also Carolin zwei Männer haben? Und einer davon ist ausgerechnet dieser Prolet? Immerhin scheint Carolin ihn etwas beruhigt zu haben, er schreit nicht mehr ganz so laut.
»Du und deine spontanen Ideen. Kaufst ohne mich zu fragen einen Hund – was für ein Schwachsinn!«
»Na ja, ich dachte, wo du doch so häufig weg bist und weil wir doch den großen Garten haben. Und Herkules kann tagsüber mit in die Werkstatt kommen. Daniel hatte damit überhaupt kein Problem.«
»Natürlich hat der damit kein Problem. Der ist doch das Weichei vor dem Herrn. Wenn du vorschlagen würdest, dass ihr ab morgen in Strapsen im Laden steht, würde er dazu auch Ja und Amen sagen.«
»Mensch, Thomas – jetzt hör doch auf, immer auf Daniel rumzuhacken. Er ist vielleicht nicht so ein Macher wie du, aber ich könnte mir keinen besseren Partner vorstellen als ihn.«
Aha, der Mensch heißt Thomas. Und offensichtlich kennt er Daniel. Was für eine interessante Konstellation. Ob Menschen manchmal auch zu dritt zusammenleben? Man erzählt sich unter Dackeln, dass die Hunde in grauer Vorzeit in Rudeln zusammenlebten. Allerdings kamen da auf einen Rüden mehrere Damen. Vielleicht ist das in einem Menschenrudel – falls es das denn überhaupt gibt, anders. Vielleicht braucht jede Frau mehrere Männer? Es gibt noch viel zu lernen für einen jungen Hund wie mich. Das steht schon mal fest.
»Ja natürlich findest du keinen besseren Partner«, höhnt Thomas jetzt. »Gibt ja auch kaum Geigenbauer. Aber nur weil sich dein Herr Kollege in der Werkstatt alles von dir bieten lässt, trifft das auf mich noch lange nicht zu.«
Thomas lacht verächtlich auf. Carolin fängt an zu weinen, und mir wird langsam klar, dass Daniel und Carolin anscheinend gar kein Paar sind. Jedenfalls kein Liebespaar. Stattdessen ist Carolin wohl unbegreiflicherweise die Frau von Thomas und mit Daniel arbeitet sie nur zusammen. So muss es wohl sein. Oh, wie grauenhaft.
Ich bin jetzt völlig verwirrt und höre gar nicht mehr zu, was Thomas noch an Unverschämtheiten von sich gibt. Stattdessen muss ich fieberhaft nachdenken, wie es wohl kommt, dass Carolin und Thomas ein Paar sind. Den kann sich Carolin doch im Leben nicht freiwillig ausgesucht haben. Wie ist das bloß passiert? Ob es auch bei Menschen eine Instanz gibt, die Männer und Frauen zusammenwürfelt? Also quasi einen Züchter? Das hielt ich bisher für ausgeschlossen, Menschen waren für mich bisher die Wesen mit dem freien Willen. Aber wenn ich das hier so sehe, dann muss das bei Menschen noch irgendwie anders funktionieren. Und – das liegt auf der Hand – es funktioniert nicht gut.
 
»Carolin, du machst dir da etwas vor. Das mit Thomas und dir funktioniert einfach nicht. Hat es nie. Wird es nie.«
»Woher willst du das so genau wissen? Nur weil du Psychologin bist, kannst du noch lange nicht in die Zukunft sehen.«
»Ne, nicht weil ich Psychologin bin. Sondern weil ich deine beste Freundin Nina bin, die sich das ganze Elend jetzt schon vier Jahre anschaut.«
Wir sitzen, beziehungsweise Carolin und Nina sitzen, ich liege, in einem Café. Dorthin ist Carolin mit mir nach dem Streit mit Thomas gefahren. Kurze Zeit später ist diese Nina dazugekommen. Und seitdem ist es ziemlich interessant, denn Carolin und Nina unterhalten sich exakt über das, was mir heute auch schon sehr zu denken gegeben hat: Was will Carolin eigentlich mit Thomas? Nina mag Thomas offensichtlich auch nicht. Aber anders als ich macht sie es nicht an seinem unsympathischen Geruch und seiner lauten Stimme fest, sondern hat noch viele andere Gründe aufgezählt, von denen ich die meisten gar nicht so ganz verstanden habe. Aber egal – unterm Strich kommen Nina und ich zu dem gleichen Ergebnis: Der geht gar nicht. Carolin verteidigt ihn allerdings tapfer, aber Nina hält weiter dagegen.
»Ich meine, mal ganz ehrlich, Carolin: Jetzt hast du dir schon aus lauter Verzweiflung einen Hund gekauft. Was kommt als Nächstes?«
Hey! Geht das etwa gegen mich? Ich knurre vorsichtshalber ein bisschen. Carolin beugt sich zu mir runter.
»Ist schon gut, Herkules. Nina meint es nicht so.«
Nina rollt mit den Augen. Das kann ich von meinem Platz neben Carolins Stuhl genau sehen. »Doch, ich meine es genau so, wie ich es sage! Was dir fehlt, ist ein Mann, der dich genauso liebt wie du ihn. Dafür ist so ein doofer Dackel garantiert kein Ersatz.«
Doofer Dackel? Weiß die eigentlich, wen sie hier vor sich hat? Mit einem Knurren ist es eindeutig nicht mehr getan, ich springe von meinem Platz auf und belle Nina einmal energisch an. Sie zieht erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Hoppla, scheint wirklich so, als ob er mich verstanden hätte. Okay, das Letzte nehme ich zurück. Du bist kein doofer Dackel. Aber bei Ersterem bleibe ich – den doofen Thomas kannst du nicht wettmachen. Auch wenn du zugegebenermaßen ganz niedlich bist.«
Na also, geht doch. Ich lege mich wieder hin.
»Herkules ist kein Liebesersatz. Mit Thomas hat das gar nichts zu tun. Ich wollte schon lange einen Hund.«
»Quatsch. Das war eine typische Sublimierung.«
»Ja, ja, die Psychologin weiß es genau.«
Ich weiß nicht genau, was Psychologin bedeutet, scheint aber irgendetwas Gefährliches zu sein. Jedenfalls hat Carolin es schon ein paar Mal zu Nina gesagt, und es klang, als hätte Nina eine ernste Krankheit. Mindestens Zwingerhusten. Die Arme, dabei sieht sie so gesund aus – rosige Hautfarbe, große klare Augen, ich wette, sie hat auch eine ganz kalte Nase. Und ihre braunen Haare glänzen. Aber falls es doch eine Krankheit ist, hoffe ich, Carolin steckt sich nicht an und wird dann auch psychologisch.
»Also, reden wir doch mal Klartext: Du bist nicht glücklich mit Thomas und wirst es auch niemals sein. Behalte den Hund – aber trenn dich von dem Kerl.«
Genau, so machen wir es! Ich stehe auf und wedele mit dem Schwanz. Leider ist Carolin nicht so begeistert von diesem Rat wie ich – sie fängt an zu weinen.
»Du verstehst mich nicht. Thomas und ich – wir gehören einfach zusammen. Ich weiß es ganz genau. Allein, wie wir zusammengekommen sind: Das war Schicksal!«
Aha – Schicksal! Ein mysteriöses Wort. Sollte das die Instanz sein, die Menschen zusammenbringt? Und wenn ja, wie konnte das Schicksal bei Carolin so danebenliegen? Ich versuche mir, das Schicksal in Person vorzustellen. Vielleicht sieht es so aus wie der alte von Eschersbach. Streng. Angsteinflößend. Ein bisschen rechthaberisch. Wenn Schicksal allerdings so ist wie von Eschersbach, dann könnte es sich tatsächlich auch mal irren. Immerhin ist dem Alten bei der Einschätzung meiner Wenigkeit doch auch ein schwerer Fehler unterlaufen. Hätte er mich sonst ins Tierheim gebracht?
Mit einem Mal interessiert mich das Gespräch zwischen Nina und Carolin nicht mehr so sehr. Meine Gedanken sind wieder auf dem Schloss: Bei Mama, meiner Schwester Charlotte und Emilia. Wie es ihnen wohl geht? Zum ersten Mal seit den letzten drei aufregenden Tagen fühle ich eine merkwürdige Sehnsucht. Vermisst mich meine Familie? Oder reden sie schon nicht mehr über mich? Ob Charlotte auch gut schlafen kann, wenn ich nicht neben ihr im Körbchen liege? Ach, Charlotte, werde ich dich jemals wiedersehen?
»Hey, Herkules, was ist denn los mit dir? Geht es dir nicht gut?«
Anscheinend habe ich angefangen zu jaulen. Jedenfalls haben Carolin und Nina aufgehört sich zu unterhalten, und Carolin hebt mich auf ihren Schoß. Erstaunt schaue ich direkt in ihr Gesicht. Ihre Augen sind ganz rot – Menschen weinen zwar leicht, aber offensichtlich bekommt es ihnen nicht. Ich schlecke schnell ihre Hände ab. Alles in Ordnung soll das bedeuten, aber trotzdem guckt Carolin ganz besorgt.
»Hm, was er wohl hat?«
Nina zuckt mit den Schultern. »Vielleicht ist er auch nicht so glücklich mit Thomas? Immerhin würde der ihn am liebsten rausschmeißen.«
WUFF! Wie bitte? Thomas will mich rausschmeißen? Lande ich also morgen wieder im Tierheim? Bei Bozo und Boxer?
 
Als wir wieder zu Hause sind, bin ich immer noch ganz beunruhigt. Ob mich Carolin tatsächlich wieder zurückbringt? Das wäre furchtbar. Vielleicht komme ich doch nicht darum herum, mich mit Thomas gutzustellen. Ich beschließe, mich von meiner besten Dackelseite zu zeigen, wenn ich ihn das nächste Mal sehe. Das geht mir zwar gegen den Strich, denn ein von Eschersbach kriecht grundsätzlich nicht zu Kreuze – aber andererseits war mein letzter Akt zivilen Ungehorsams auch nicht gerade ein voller Erfolg und endete bekanntermaßen mit einem schmerzhaften Biss in mein Öhrchen.
Momentan allerdings scheint Thomas gar nicht zu Hause zu sein. Carolin ruft jedenfalls nicht nach ihm, sie stellt nur kurz ihre Tasche ab und greift dann wieder nach dem Wohnungsschlüssel.
»Wir gehen nochmal kurz in die Werkstatt, Herkules.« Dann öffnet sie die Tür. »Komm, Süßer!«
Nichts lieber als das! Ich freue mich, Daniel wiederzusehen und laufe schwanzwedelnd hinter Carolin die Treppe hinunter.
Unten angekommen, muss ich allerdings feststellen, dass es immer noch sehr nach Holz, aber nicht unbedingt nach Daniel riecht. Komisch, wo steckt der nur? Während Carolin zu einem der Tische geht und dort ein wenig herumräumt, laufe ich los und suche Daniel. Ich stelle fest, dass die Räume hier in der Werkstatt ganz ähnlich wie in Carolins Wohnung angeordnet sind: Zwei in einander übergehende auf der einen Seite, ein dritter dahinter, dann ein langer Flur und hinten noch einmal ein Zimmer. Dort riecht es besonders stark nach Wald – und als ich hineinschnuppere, sehe ich, dass sich hier ganze Stapel von Holz türmen. Merkwürdig – was will Carolin bloß mit so viel Holz? Von Eschersbach sammelt Flaschen in seinem Keller, und der Mann von Emilia sammelt diese kleinen bunten, viereckigen Papierstücke mit den gezackten Rändern, aber Holz? Es gibt offensichtlich nichts, was Menschen nicht sammeln.
»Herkules, wo steckst du denn?«, ruft Carolin den Flur hinunter. Ich trabe aus dem Holzzimmer. »Na, was machst du denn im Holzlager? Riecht gut, oder?« Ich lege mich vor Carolins Füße, und sie streichelt mich kurz. »Oder suchst du Daniel?«
Als ich diesen Namen höre, wedele ich mit dem Schwanz. Carolin soll gleich mal wissen, was ich mir unter einem netten Herrchen vorstelle.
»Ah, daher weht der Wind. Daniel ist nett, nicht? Aber es ist Wochenende, und da arbeiten wir normalerweise nicht. Ich muss auch nur kurz ein paar Sachen erledigen, die seit deinem Einzug bei mir liegengeblieben sind. Dann gehen wir eine Runde spazieren, versprochen. Du kannst dich so lange ein bisschen im Garten umschauen, bis ich fertig bin, okay?«
Ein guter Plan, denn den Garten habe ich noch gar nicht inspiziert. Überhaupt – bis auf Wohnung und Werkstatt ist das Haus noch gänzlich unbekannt für mich, und ich freue mich schon darauf, es nach und nach zu erkunden. Carolin geht zu einem der Fenster im zweiten Raum und öffnet es. Erst jetzt sehe ich, dass von dort zwei Stufen hinauf in den Garten führen. Schnell springe ich sie hoch und sitze sofort im Gras. Herrlich – wie das am Bauch kitzelt! Die Sonne scheint mir auf die Nasenspitze, und ich muss niesen. Carolin lacht.
»So, dann viel Spaß – ich lasse die Tür auf, du kannst also reinkommen, wenn dir langweilig wird.«
Keine Sorge, Carolin, das wird garantiert nicht passieren! Ich trabe los und beschnuppere den riesigen Baum, der seitlich vorm Haus steht. Hm, interessant. Offensichtlich war hier schon längere Zeit kein Hund mehr, denn es ist absolut nichts markiert an diesem Stamm. Ich hole das sofort nach und hebe gleich mal mein Beinchen. Oft habe ich das noch nicht gemacht und an so einem breiten Stamm schon gleich gar nicht, deshalb sieht das Ganze bestimmt noch ein bisschen amateurhaft aus. Aber egal, das kann ich hier schließlich ausgiebig unter Ausschluss der Öffentlichkeit üben. So lange, bis ich es genauso gut hinkriege wie die erwachsenen Rüden, die ich dabei schon heimlich beobachtet habe. Total lässig sind die: laufen an einem Baum vorbei und heben – als wäre es keine große Sache – einfach ihr Bein.
Ich versuche es noch einmal auf der anderen Seite, ist schließlich wichtig, dass man es mit beiden Beinen hinkriegt. Gar nicht so leicht, das! Nur gut, dass mich keiner sieht.
»Na, Kleiner?«, tönt es in diesem Moment von direkt über mir. »Das schaut noch ganz schön wackelig aus. Machst du wohl noch nicht so lang, he he!«
Wer, zum Teufel, ist das? Ich gucke nach oben und sehe in der Baumkrone eine dicke, schwarze Katze. O nein, welch Schmach! Ein heimlicher Beobachter und dann ausgerechnet noch eine Katze!
»Im Übrigen sind das hier mein Garten und mein Baum – ich möchte dich also auffordern, dieses Rumgepinkel hier zu unterlassen. Es ist ekelhaft und stinkt.«