Dämonenfinsternis - Nina MacKay - E-Book
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Dämonenfinsternis E-Book

Nina MacKay

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Beschreibung

An den letzten fünf Tagen des Jahres, den Dämonentagen, leben die Menschen in Furcht. Sobald das letzte Tageslicht versiegt, fallen Dämonen über die Erde her. Und jetzt liefern sich Menschen und Dämonen den letzten Kampf ... Obwohl Gesa offiziell die Königin der Hölle ist, sind Adrianas Probleme noch lange nicht gelöst. Ganz im Gegenteil, denn in der Nacht auf den 2. Januar erfährt die Weltbevölkerung, dass Adriana Astara die Schuld an der erneuten Öffnung der Höllentore trägt. Zu allem Überfluss kann Cruz sich nicht mehr an sie erinnern. Falls Adriana sich nicht Ahels Willen beugt, können sie die Weissagung aus dem Höllenfeuerlied nicht erfüllen. Und die Welt wird in nie dagewesener Dunkelheit versinken ...

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

1

2

3

4

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Eine Stunde zuvor

6

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8

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12

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16

17

Eine Stunde zuvor

18

Eine Stunde zuvor

Zehn Minuten zuvor

19

Eine Stunde später

20

21

Eine Stunde zuvor

Eine Stunde später

22

23

24

25

26

27

28

Einige Stunden später

Epilog

Vier Wochen später

Danksagung

Für Sabine, die mich jeden Tag zum Schreiben animiert.LIEBE!

1

Adriana konnte es nicht glauben. Es weder fassen noch verarbeiten, was gerade vor ihren Augen geschehen war. Während ihre Handflächen schwitzig wurden, schoss ihr Blick zwischen Ahel und Cruz hin und her. Nein. Das war ein Trick, oder Cruz spielte ihr einen Streich. Um sie herum schien sich die heiße Höllenluft mit prickelnden Funken aufzuladen.

Ihr Gehirn lieferte ihr massenweise Ideen, eine absurder als die andere, im verzweifelten Versuch, die Situation zu erklären. Doch eigentlich, wenn Adriana ehrlich zu sich selbst war, wusste sie, was soeben passiert war, und dass sie sich dieser Wahrheit stellen musste.

Gesa, die irgendwie blass wirkte, also in ihrem Fall blassviolett, trat neben sie und legte Adriana eine Hand auf die Schulter. Unter ihr knirschte der weiche Torfboden des Botanikums. Eben noch hatten sie und Gesa sich so mächtig und überlegen gefühlt. Als sie Ahel ausgetrickst hatten. Nachdem Adriana klar geworden war, dass Ahel tatsächlich auf Gesa in ihrem Brautkleid hereingefallen war und sie geheiratet hatte, in der Annahme, sie wäre Adriana. Nun hatte der Dämon den dazugehörigen Pakt zwar eingelöst, aber so modifiziert, dass Cruz von allen Leiden inklusive Liebeskummer geheilt worden war. Ahel hatte Adriana aus Cruz’ Gedächtnis gelöscht, damit er nicht mehr ihretwegen litt. Dieser verfluchte Teufelssohn! Adrianas Nackenmuskeln spannten sich an. Ihr Neoprenanzug klebte ihr auf der Haut.

»Verschwinde von hier, Ahel«, presste sie hervor. »Wir sprechen uns später.« Gewagt, dass sie hier die Befehle erteilte. Vor allem jetzt, da nicht sie Königin der Hölle geworden war, sondern Gesa, aber sie setzte darauf, dass Ahel seinen Triumph in Ruhe auskosten wollte, und außerdem standen sie mitten in Gesas Gewächshaus und nicht in seinem Reich.

»Gesa?«, fragte Cruz unvermittelt. »Was ist hier los und wer ist sie?« Mit seinem Kinn deutete er in Richtung Adriana, wobei sein Gesicht ausdruckslos wirkte, wie wenn er einen beliebigen Menschen anstarren würde.

Bei dieser Geste wurde Adriana übel.

Immerhin fuhr sich Ahel jetzt durch die Haare, wodurch er die Imitation seiner Cruz-Frisur ruinierte, und wandte sich zum Gehen.

»Wir sprechen uns noch. Du wirst meine Frau und die Mutter meiner Kinder, das verspreche ich dir, Adriana. Dann werde ich eben zwei Frauen haben. Eine fruchtbare steht mir zu, das wird Luzifer mir gewähren.«

Dieser irre Dämon! Am Rande erinnerte sich Adriana daran, dass Amon behauptet hatte, er könne riechen, dass Gesa unfruchtbar sei. Sie warf ihrer Freundin einen Seitenblick zu, die reglos dastand und dem roten Dämon hinterhersah, als wäre er nicht mehr als eine lästige Eintagsfliege.

Amon. Der Gedanke an ihn brachte schmerzhafte Erinnerungen zurück. Was für ein Wahnsinn. Amon, Ahels Sohn, den sie getötet hatte … Adriana rieb sich über die Stirn. Amon wäre die beste Option gewesen, um seinen Vater Ahel zu töten, aber diese Chance hatten sie vertan, weil Adriana zu impulsiv gewesen war. Nachdem Amon ihr den Kopf ihrer toten Freundin Dakota gebracht hatte.

Gesa schloss die Tür hinter Ahel. »Puh.«

»Gesa? Ist sie einer der Halbdämonen, die wir suchen?«, fragte Cruz. Neugier flackerte in seinen Pupillen.

Also erinnerte er sich immerhin noch an sein Ziel. Aber nicht an sie. Vor lauter Herzrasen sah Adriana auf einmal nicht mehr klar. Alles flimmerte. Dakota war tot, die Seele ihrer Mutter hatte Ahel in Gesas Tür eingesperrt und Cruz erinnerte sich nicht mehr an sie. Gerade, als sie sich wieder versöhnt hatten.

Unter einem Würgegeräusch beugte sich Adriana nach vorn und übergab sich in den nächstgelegenen Blumenkübel. Wie sollte sie das Eloy erklären, dem sie versprochen hatte, Dakota zu retten? Würden sich in Cruz jemals wieder Gefühle für sie regen? Wahrscheinlich nicht, da Ahel ihn ja von allem Herzschmerz geheilt hatte.

Seufzend reichte Gesa ihr wenige Augenblicke später ein feuchtes Tuch. Adriana konnte ungefähr erraten, was die Halbdämonin dachte. Um Cruz’ Herz wieder zu gewinnen, war sich zu übergeben wahrscheinlich nicht der beste erste Schritt. Besser, sie drehte sich gar nicht erst in dieser Verfassung zu ihm um.

Aber das war nicht mal das Schlimmste. Sie hatte nicht nur Cruz verloren, sondern auch die Höllentore geöffnet, weswegen in dieser Nacht erneut Dämonen auf die Erde strömen konnten und in diesem Moment Menschen töteten.

Während Adriana sich mit dem Tuch über Gesicht und Mund fuhr, zupfte Gesa an ihrem langen Zopf.

»Ich erkläre dir gleich alles, an einem sicheren Ort, Cruz. Und du, Adriana, solltest dich mit Drym und Savannah am Portal treffen, bevor die Nacht vorüber ist.«

Obwohl Adriana gern bei Cruz geblieben wäre, mit ihm gesprochen hätte, wusste sie, dass Gesa recht hatte. Sie hob den Kopf. Wie viel würde Gesa Cruz erzählen?

Sie fing ihren Blick auf. Die neue Königin der Hölle lächelte sanft, was Adriana beruhigte. »Ja, mit etwas Glück bringen Drym und Savannah die … Ware.« Da Gesa bereits zugegeben hatte, dass die Wände im Botanikum Ohren besaßen, sprach sie lieber nicht aus, dass sie darauf hoffte, dass ihre Freunde die Kinder aus Roseburg abgeholt hatten. Garrison und Rosie. Beide Halbdämonen, wenn sie sich nicht irrten. Kinder, die man ins Kinderheim verfrachtet hatte, nachdem sie ihren Vater getötet hatten.

»Adriana?« Unter Cruz’ Worten zuckte sie zusammen. Er hatte sie angesprochen.

Mit bebenden Wangen wandte sie sich zu ihm um. Wie schön und unschuldig er aussah. Der Gedanke verschlug Adriana fast den Atem. Dieses kantige Gesicht mit den wachen Augen, die sie immer so verschmitzt angestrahlt hatten, so voller Liebe …

»Sind wir uns schon mal irgendwo begegnet?«

Adriana schluckte. Dutzende Male. Aber das sollte Gesa ihm erzählen. Oder vielleicht nicht. Nicht zu viel, bevor ihm davon schwindelig wurde. Also brachte sie nur leise hervor: »Du hast mich letztes Jahr während der Dämonentage vor Amon gerettet. Als er meine Freundinnen getötet hat.« Sie deutete auf die Stelle an ihrem Arm, wo die Ballonnarbe unter ihrem Neoprenanzug prickelte. Allein die Erinnerung an diese Nacht ließ ihre Augen feucht werden.

Nie im Leben hätte Rico sich erträumt, einmal in diese Lage zu geraten. Da sagten die Leute immer, er sei überdurchschnittlich intelligent, und nun das.

Fieberhaft wog Rico seine Möglichkeiten ab, wobei er nicht verhindern konnte, dass sein Körper wie ferngesteuert in Richtung Technikraum marschierte. Ein Summen in ihm trieb ihn an, kommandierte ganz offensichtlich seine Gliedmaßen.

Okay, ruhig bleiben. Vor fünf Tagen hatte ihn ein Delta-Dämon ins Bein gebissen. In der ersten Dämonennacht, als er sich gerade in Mollys Villa hatte retten wollen. Zwar war dieser Dämon danach direkt geköpft worden, doch nun musste sein Anführer die Rechte an dieser Markierung übernommen und sie aktiviert haben. Warum hatte Rico nicht daran gedacht, dass ein Biss auch als Dämonenmarkierung zählte? Eine Markierung, wie die von Dakota, durch die Ivan sie steuerte. Verflucht, wie dämlich er gewesen war.

Seine Hand rüttelte am Knauf der Tür. Sie war verschlossen. Immerhin. So leicht würde er sich nicht in den Raum mit dem Generator kommandieren lassen. Zumindest vermutete Rico, dass das Brummen im Technikraum auf einen Generator zurückzuführen war. Über seinem Kopf klonkte etwas. Zwar konnte er den Blick nicht selbstständig heben, doch er wusste instinktiv, dass das Geräusch aus den metallenen Lüftungsrohren gekommen war, die unter der Decke zwischen den Leuchtstoffröhren verliefen.

»Hey, Rico. Gott sei Dank, dir geht es gut.« Trippelschritte hinter ihm kündigten Mrs Twerbeed an. Wie hatte sie es nur hinbekommen, auf ihren hohen Absätzen den Bunker zu erreichen? Er an ihrer Stelle wäre in Strumpfhosen vor den Dämonen davongerannt. Kurz fiel in Ricos Erinnerung alles in sich zusammen, als er an die arme Mutter dachte, die es nicht vom Festzelt der BKOD bis zum Bunker geschafft hatte, weil sie vorher von Beta-Dämonen in zwei Hälften gerissen worden war. Er konnte nichts sagen. Nicht den Mund öffnen. Nicht auffällig blinzeln.

»Rico?«

Der fremde Wille, der ihn steuerte, gab ihm keinen Befehl, Mrs Twerbeed zu antworten, also blieb er stumm. Er musste sich auf dieses Problem zuerst konzentrieren, so viel war klar. Wenn er die Kontrolle über seinen eigenen Körper nicht zurückerlangen konnte, war alles andere erst mal nebensächlich. Der Delta-Dämon, der ihn gebissen hatte, war Teil von Ivans Clan gewesen. Damit musste Ivan nun ihn, Rico und Dakota unter seine Kontrolle gebracht haben. Wenn er das gewusst hätte, Rico hätte sich das Bein abgehackt oder amputieren lassen.

Immer noch rüttelte seine linke Hand am Türknauf. »Ich glaube, der Generator läuft nicht einwandfrei, den Geräuschen nach zu urteilen«, hörte er sich selbst sagen. »Ich möchte etwas überprüfen. Haben Sie einen Schlüssel zum Technikraum?«

Bitte nicht. Bitte lass Mrs Twerbeed keinen Schlüssel haben.

»Oh«, sagte die ältere Rezeptionistin zaghaft. »Da hast du wohl recht. Dieses Klirren.«

Also hatte sie nichts bemerkt. Keinen Verdacht geschöpft, weil Ricos Frage so untypisch tonlos über seine Lippen gekommen war? Konnte überhaupt jemand etwas merken? Vielleicht Eloy? In seinem Blickfeld war sein Freund jedoch nicht auszumachen und Rico fehlte die Kontrolle, um seinen Kopf zu drehen.

Wieder ein Klonk aus dem Lüftungsrohr über ihnen, was Mrs Twerbeed ganz offensichtlich falsch zuordnete. Verflucht. Das konnte gerade nicht wirklich passieren.

»Ich hole den Schlüssel, dann sehen wir uns das mal an.«

Ohne sich zu ihr umzudrehen, ahnte Rico, dass die gute Mrs Twerbeed, die die trockensten Plätzchen der Stadt backte, gerade mit ihrem sanften Lächeln an der Brillenkette um ihren Hals nestelte und dann auf dem Absatz kehrtmachte.

Nein, nein, nein. Mit aller Macht versuchte Rico seine Hände daran zu hindern, gegen seinen Willen zu handeln. Wenn er nur die Kontrolle über seinen kleinen Finger zurückgewinnen konnte, so wie er es in seinem Schlafparalysekurs gelernt hatte, dann konnte er von diesem Punkt ausgehend die komplette Kontrolle über seinen Körper zurückerlangen, dessen war er sich sicher. Nur der kleine Finger an seiner linken Hand.

Der kleine Finger, nur der kleine Finger.

Doch sein Mantra schien keine Früchte zu tragen. Es tat sich nichts. Keine Rückgewinnung irgendeines Muskels und erst recht von keiner Fingerkuppe. Aber er musste es weiter versuchen, und in dem Moment, in dem es ihm gelang, würde er den General oder wen auch immer bitten, ihn zu fesseln. Oder gegen eine Wand rennen und sich selbst vorerst das Licht ausknipsen. Beides hatte seine Vor- und Nachteile.

Drym hatte nichts gesagt. Den ganzen Flug über hatte er sich zurückgehalten. Doch jetzt war es genug. Keine Sekunde länger würde er es ertragen. Mit ausgestreckten Armen pflückte er sich Rosie von seinem Rücken und stellte sie direkt neben dem Eingang zur Höhle ab.

»Gut, der Spaß ist vorbei. Bitte mach mir die Zöpfe auf.«

Savannah kicherte. »Wieso? Steht dir doch gut. Und diese rosa Schleifchen betonen deine violette Gesichtsfarbe.«

Stöhnend richtete sich Drym zu seiner vollen Größe auf, klappte seine Flügel auf dem Rücken zusammen.

»Wirklich witzig.« Obwohl er ein ernstes Gesicht aufsetzen wollte, konnte Drym nicht anders, als in Savannahs Gekicher einzustimmen.

Selbst Garrison hob eine Hand vor den Mund, um sein Grinsen zu verbergen.

»Sie mag dich mit und ohne coole Frisur«, bemerkte Rosie in diesem viel zu ernsten Tonfall. Die Kleine war einfach gruselig. Viel reifer, als eine Fünfjährige sein sollte, und dazu war sie hellsichtig und empfing somit Bilder aus der Zukunft, wie sie bereits bewiesen hatte. Kurz schloss Drym die Augen. Wenn sie ihm die aufkeimende Romanze mit Savannah vermasselte, würde er … würde er sich nie wieder Zöpfe in seine Dreadlocks flechten lassen.

»Bitte hilf mir einfach, in Ordnung?« Sein Neoprenanzug quietschte, als er sich vor dem Mädchen auf dem Waldboden im Schneidersitz niederließ.

»Aber wir müssen uns beeilen, bevor der Halbengel kommt«, erklärte Rosie, die ihren Haifischrucksack zu Boden gleiten ließ. »Sie ist sehr traurig. Ihr müsst sie trösten.« Nach diesem Satz hielt die Kleine inne. »Ich bin sicher, deine Frisur würde sie aufheitern, Drym.«

Garrison schien das auch zu finden, denn er nickte, entblößte seine Zahnlücke. Die Bewegung ließ seine blonde Topffrisur wippen.

»Na gut.« Drym schloss für zwei Sekunden die Augen. »Dann lassen wir diese Barbiefrisur auf meinem Kopf, wie sie ist. Soll ich dir deine Zöpfe neu flechten? Du siehst etwas durch den Wind aus, Rosie.« Er grinste sie an, worauf das unheimliche Mädchen lächelte.

Wie Rosie vorausgesagt hatte, hörte Drym kurz darauf Schritte in der Höhle. Und es roch nach Adriana. Genauer gesagt nach einer Adriana, die sich kürzlich übergeben hatte.

Savannah musste sie ebenfalls bemerkt haben, denn sie hob beide Augenbrauen und tauschte einen Blick mit Drym. Zwar verhinderten ihre Neoprenanzüge, dass man sie über lange Distanzen witterte, aber aus dieser Entfernung konnten sie jeden Schweißausbruch und Ähnliches riechen.

»Wir sind hier, Adriana«, sagte Rosie bestimmt, was Savannah zusammenfahren ließ.

Irgendwie niedlich, fand Drym. Andererseits auch verstörend, denn Rosie hatte Adriana noch nie zuvor gesehen. Doch dann schüttelte Savannah ihre roten Locken und quetschte sich durch den Eingang zur Höhle.

»Geht es dir gut?«, hörte er sie fragen. »Wir haben die Kinder.« Selbst durch die Höhlenwand konnte Drym den Geruch wahrnehmen. Zweifellos stank Adriana geradezu nach Verzweiflung.

Savannah kam ihr entgegen, gerade als Adriana ihr Handy an eine Powerbank anschloss, und führte sie aus der Höhle. Mit einer Hand stützte sich Adriana an der Höhlenwand ab. In der ständigen Furcht, sie könnte sich erneut übergeben.

»Wir haben dieses Mädchen und ihren Bruder hergeflogen.« Savannah verzog das Gesicht. Was das bedeutete, würde sie ihr sicher gleich erklären.

Draußen empfing Drym sie mit seinem offenen Lächeln. Er wirkte verändert, was nicht nur an den rosafarbenen Schleifen in seinen Dreadlocks lag. Und … waren das geflochtene Zöpfe auf dem Kopf des ehemaligen Elitesoldaten?

»Du siehst nicht gut aus«, begrüßte er sie mit geschürzten Lippen, um gleich weiterzufragen: »Was ist los? Hast du die Engel gefunden? Habt ihr Ahel ausgetrickst?«

Wieder wurde Adriana übel, doch sie verbot sich selbst, noch mehr Schwäche zu zeigen. Diese Abwärtsspirale konnte sie jetzt nicht lostreten. Es blieb schlichtweg keine Zeit dafür. Also fuhr sie sich mit dem Handrücken über den Mund.

»Wen habt ihr da mitgebracht?«

Offensichtlich schienen die zwei Kinder nur darauf gewartet zu haben, dass Adriana sie ansprach, denn sie stürzten in diesem Moment auf sie zu, als wäre Adriana ihre Lieblingskindergärtnerin. Adriana schätzte das Mädchen mit den dunkelblonden Zöpfen auf fünf Jahre und den Jungen auf sechs.

»Du bist es!«, jauchzte das Mädchen. Ohne irgendwelche Berührungsängste griff sie nach Adrianas Hand. »Ich bin Rosie und das ist Garrison und du bist unsere Erretterin.«

Erretterin. Das Wort ließ Adriana schlucken. Erretterin, das klang wie Erlöserin, wie die Schreier in den Portalen sie nannten. Und Cruz hatten sie als Erlöser bezeichnet. Nur … Für einen Moment schloss Adriana die Augen. Bisher hatten sie die Welt in ein noch größeres Chaos gestürzt. Sie hatte aus Versehen die Portale geöffnet, sodass ab heute jede Nacht Dämonen auf die Erde strömen konnten, und Cruz hatte Teile seines Gedächtnisses verloren. Adrianas Gedanken sprangen bis zur Erinnerung an ihre Visionen. Wenn sie nur gemeinsam mit Cruz die Armee gegen die Dämonen anführen konnte, wie sie es in der Vision gesehen hatte, musste sie sich nun doppelt anstrengen, um ihn für sich zurückzugewinnen.

»Hi«, sagte sie an die Kinder gewandt. »Schön, euch kennenzulernen.«

Savannah beugte sich zu Drym, der immer noch auf dem Boden saß, und wisperte etwas, das wie »Bei ihr verhalten sie sich gar nicht gruselig« klang.

Adriana musterte Savannah. Savannah, die alles geopfert hatte, um die Welt zu retten. Ihr Leben als Nonne gegen das einer Halbdämonin in der Hölle getauscht hatte. Im Gegensatz zu Savannah … Bittere Galle stieg in Adrianas Rachen empor. Wahrscheinlich war das nicht mehr nur das sprichwörtliche schlechte Gewissen.

»Wir wollten dich mit eigenen Augen sehen.« Rosie schlug einen Ton an, als wäre das doch selbstverständlich.

»Was gibt’s Neues?« Drym warf Adriana einen entsprechenden Blick zu, und sie wusste ja auch, dass sie den beiden ein Update schuldete. Bloß schmerzten die Worte viel zu sehr. Tief atmete sie durch, bevor sie den Mund öffnete, wobei sie merkte, dass die Worte herauswollten. Sie schnell auszusprechen hieß, es hinter sich zu bringen.

»Gesa hat Ahel an meiner Stelle geheiratet und er hat den Pakt erfüllt. Er wird uns gegen Luzifer beistehen, allerdings hat er Cruz’ Gedächtnis in Bezug auf mich gelöscht. Cruz weiß nicht mehr, wer ich bin.« Den letzten Satz hauchte sie nur ganz leise in die Nacht.

Eine kleine Hand schob sich in ihre. »Das wird schon wieder. Außerdem hast du jetzt auch noch uns«, flüsterte Rosie. Ihre kleinen Augen starrten sie ehrfürchtig an. »Und du bist ein Engel.«

»Halbengel.« Adrianas Mundwinkel zuckten eine Winzigkeit, doch sie brachte einfach kein echtes Lächeln zustande.

Im Gegensatz zu ihr sah Rosie mit ihrem niedlichen Gesicht und den Zöpfen deutlich mehr wie ein Engel aus als Adriana.

»Rosie ist hellsichtig. Sie kann die Zukunft zumindest in Teilen sehen.« Dryms Stimme klang etwas genervt, aber vielleicht bildete sich Adriana das auch nur ein.

Wirklich? In Adrianas Gehirn ratterte es. Hellsichtigkeit. Das klang ziemlich abgedreht. Dennoch … war es einen Versuch wert. Mit zitternden Knien bückte sich Adriana zu Rosie hinunter. Wind frischte auf und ein Zweig strich über Adrianas Hüfte.

»Was siehst du für Cruz und mich voraus?«

Daraufhin änderte sich die Miene der Kleinen. Sie unterbrach den Blickkontakt, streckte eine Hand nach dem Zweig an Adrianas Seite aus. Ziemlich teilnahmslos begann sie ein Blatt nach dem anderen abzupflücken. Herzförmige Blätter segelten zu Boden.

»Wir sollten die Reihenfolge einhalten«, sagte sie letztendlich in einem Tonfall, der absolut nichts verriet.

2

Adriana blinzelte. Hieß das, Rosie sah keine Zukunft für sie und Cruz? Reihenfolge … Genau das hatte ihre Mutter auch gesagt. Konnte Rosie das Gleiche meinen? Für die richtige Reihenfolge hielt ihre Mutter, dass Adriana zuerst die Engel und ihren Vater fand. Die Engel! Schnell brachte Adriana die anderen auf den neusten Stand, auch in Bezug auf Dakotas Tod, wobei sie die blutigen Details der Kinder wegen ausließ. Dass Gesa in einem Kleid voller Blut von Dakota geheiratet hatte, würde den beiden vermutlich Albträume bescheren.

»Du Arme. Was du durchmachen musstest!« Sobald Adriana geendet hatte, kam Savannah auf sie zugestürzt und zog sie in eine Umarmung. »Das wird schon wieder mit Cruz. Ihr zwei seid füreinander bestimmt.« Dabei drückte Savannahs Kinn hart gegen Adrianas Schulterblatt.

Zögerlich hob Adriana eine Hand, um den Rücken ihrer Freundin zu tätscheln. Die rote Haarmähne verdeckte ihr die halbe Sicht.

»In der Christ Venia Church bin ich auf die Idee gekommen, wo die Dämonen die Engel eingesperrt haben.« Mit diesem Satz erlangte sie auf einen Schlag die komplette Aufmerksamkeit ihrer vier Zuhörer, selbst Rosies.

Savannah ließ sie los.

»Wo?«, fragte Rosie. Also wusste die Kleine das nicht? Konnte nichts in Bezug auf die Engel vorhersehen?

Adriana biss sich auf die Lippen. »Wie viel Zeit bleibt uns noch bis zur First Daylight Hour?«

Drym legte den Kopf in den Nacken, als wäre er wütend, dass er bald in die Hölle zurückkehren musste und Adriana nicht weiterhelfen konnte. »Nur noch hundertacht Minuten.«

Schnell sah sich Adriana die eingegangenen Nachrichten auf ihrem Handy an. Nichts Neues von Rico, aber Pryatt Hershley hatte versucht sie anzurufen und ihr eine Nachricht hinterlassen. Die würde sie gleich abhören. Nach diesem Gespräch mit Drym und Savannah.

»Ich werde dieser Theorie nach Sonnenaufgang nachgehen. Wenn ich richtigliege, habe ich, ohne es zu ahnen, einige der Engel bereits kennengelernt.«

»Wir kommen mit.« Garrison straffte die Schultern. »Meine Schwester hat gesehen, dass wir bei dir bleiben werden, bis wir unseren echten Daddy finden.«

Hatte sie das wirklich gesehen? Adrianas Augenbrauen schossen in die Höhe. Erst jetzt verstand sie, warum Savannah Rosie als gruselig bezeichnet hatte.

»Ich möchte meinen Dämonenvater lieber nicht kennenlernen«, brummte Drym.

Nachdem Savannah zustimmend die Lippen verzogen hatte, drückte sie Dryms Hand.

Niedlich. Die beiden näherten sich immer mehr an. Adrianas Handy vibrierte in ihrem Rucksack und sie zog es mit einem geübten Griff heraus. Das Display zeigte Eloys Namen an. Gerade als sie überlegte, dranzugehen, sagte Rosie ein einziges Wort. »Dämonen.«

Rasch drückte Adriana den Anruf weg. Zwar war keiner von ihnen ein Mensch und damit Beute für Dämonen, doch als Halbdämonen zählten sie zum Feindbild, das Dämonen bevorzugt aus dem Weg räumen wollten. Und dass Adriana ein Halbengel war, schien von den Dämonen nur Luzifer zu wissen. Noch. Alle anderen rochen lediglich unreines Blut, also kein rein menschliches Blut an ihr.

»Adriana!« Es war Sylvans Stimme. Gott sei Dank. Der Beta schlüpfte aus der Höhle, strahlte sie an wie immer. Seine roten Augen leuchteten in der Dunkelheit wie die Rücklichter eines Autos. »Endlich.« Noch mehr Dämonen folgten ihm. Nacheinander kamen sie aus dem Portal. Ein schier nicht enden wollender Strom an Betas, Gammas, Deltas und Omegas. Adrianas eigener Dämonenclan.

»Keine Sorge, die gehören zu mir«, erklärte sie den Kids.

Sylvan ignorierte derweil Adrianas Halbdämonenbegleiter weitestgehend. »Ich habe mir erlaubt, Amons Clan in unseren zu integrieren.« Vor Stolz spannten sich die Mumienbänder vor Sylvans Brust. Aus seinem Körper quoll Sand, als würden die hellen Körnchen seine Emotionen verkörpern.

Quietschend vor Freude hopste ein einzelner Omega-Dämon auf sie zu. Mit wässrigen, leicht verformten Augen, die Adriana an Spiegeleier denken ließen. Lord Faulion. Er schmiegte sich an ihre Waden, was Adriana ein wenig an Tequila erinnerte. Aber der saß mit Eloy und Rico gerade im Bunker der Behörde zur Kontrolle von oberirdischen Dämonenaktivitäten, kurz BKOD.

Sofort ging Rosie in die Hocke und streckte eine Hand nach dem blauen Dämon aus, wuschelte durch sein Fell.

»Gut gemacht, Sylvan«, brachte Adriana hervor.

»Alle wollten in deinen Clan, du bist die mächtigste Alpha, das wissen alle.« Sylvan beugte sich ein Stück nach vorn und fuhr in verschwörerischem Tonfall fort: »Wegen dir tobt Ahel übrigens da unten gerade. Schlägt Luzifers Palast kurz und klein. Ein Springbrunnen voller Blut ist seinem Vater geradewegs ins Gesicht geflogen. Er will dich unbedingt als Zweitfrau. Ich weiß zwar nicht, warum du mit Gesa die Plätze getauscht hast, aber sicher war es ein brillanter Schachzug, um dich in der ganzen Hölle bekannt zu machen. Jeder Dämon und jede Seele kennt seit dieser Nacht deinen Namen.«

War es. War es sicherlich. Ein furchtbar toller Schachzug. Am liebsten hätte Adriana geseufzt, doch sie konnte vor den Dämonen ihre Maske nicht fallen lassen.

»Ich kann also auf euch zählen, ja? Ihr werdet mit mir die Macht ergreifen und meinen Anspruch auf den Thron unterstützen?« Eigentlich plapperte sie nur Sylvans Worte nach. Doch sie musste die Dämonen gleichermaßen beschäftigen und bauchpinseln. Ihre eigene Armee gegen Luzifer aufbauen. Sie sah sich um. Vier Halbdämonen, in der Hölle warteten Gesa und Cruz und Pryatt war auf dem Weg. Damit waren schon einige ihrer Mitkämpfer aus dem Höllenfeuerlied versammelt. Und dann die Engel …

Sämtliche Dämonen jubelten. »Auf jeden Fall! Wir werden der führende Clan der Hölle.« Sylvan reckte eine Mumienfaust.

Ihre Rufe wurden von einer Explosion nicht weit entfernt übertönt. Schreie. Waren etwa noch Menschen irgendwo in der Nähe? Draußen und nicht auf heiligem Boden?

»Ein Clan hat den Gastank eines Wohnhauses in der Nähe gesprengt«, sagte Rosie, nachdem sich alle umgesehen hatten. In der Ferne schien ein orangeroter Schein unter dem Nachthimmel zu glühen wie ein Jahrmarkt. »Die Menschen verbrennen.«

Der Gedanke ließ Adriana sich beinahe wieder übergeben, doch sie schluckte. Sie musste diese grausige Information so hinnehmen.

»Könnten wir noch jemanden retten?«, wollte sie von Rosie wissen.

»Nein, du würdest zu spät kommen.«

Sylvan und die anderen Betas fixierten das kleine Mädchen. Müllschluckermäuler rotierten und mindestens sechs Gammas schwebten näher an Rosie heran. Doch die Fünfjährige sah ihnen gelassen entgegen. Jedes andere Kind hätte sich bei den Monstern, die nur aus schwarzen Fetzen und Krallen zu bestehen schienen und sie aus leuchtend orangefarbenen Augen anglotzten, in die Hose gemacht.

Die Gammas tauschten verwirrte Blicke.

Gerade als sich Adriana überlegte einzugreifen, begann Sylvan erneut zu jubeln. »Verdamm mich, bilden wir den allerstärksten Clan, oder wie? Mit diesen Halbdämonen? Und dieser kleine Halbdämon hier sieht Dinge!«

»Er sieht Dinge!«, echoten einige Betas und Gammas.

Eigentlich war Rosie eine sie, aber Adriana schwieg, atmete tief durch, obwohl sie den Jubel gern gestoppt hätte. Als einige Delta-Dämonen sich auf ihre Rottweilerhinterläufe setzten und wie Jagdhunde losheulten, wurde es ihr aber doch zu viel.

»Wie gesagt, wir werden die Hölle regieren. Sie hat es auch gesehen. Und ich ebenso.« Adriana deutete auf Rosie und dann auf ihren eigenen Kopf, wobei sie hoffte, das Kind würde mitspielen und nicht widersprechen.

»Okay, okay, was können wir tun?«, fragte Sylvan, der vor Aufregung so heftig zitterte, dass Sand von seinen Schultern spritzte.

»Am meisten könntet ihr zu unserem Ziel beitragen, wenn ihr Ivan ausspioniert, und am besten Ahel gleich mit. Ich muss wissen, was sie vorhaben. Und wenn ihr euch traut, ein Auge auf Luzifer zu werfen …«

»Wir sind mutig!«, kreischte ein ziemlich kleiner Beta-Dämon, der nur noch ein Auge hatte. »Mutig, mutig.«

Sie nickte in Richtung Höhle, was die Dämonen glücklicherweise als Wink interpretierten. Unter einigen Verbeugungen entfernte sich Sylvan, nur Lord Faulion schnurrte noch an Adrianas Wade.

»Komm mit, Faulion!«

Der einäugige Beta stürzte sich auf den Omega-Dämon, holte aus, um ihn zu treten. Doch Savannah war schneller.

»Lass das gefälligst«, schnauzte sie ihn an, und schon traf ihre Schulter auf seine, was den Dämon aus dem Gleichgewicht brachte. »Wie heißt du?«

»Jelchior.« Es klang eher wie ein Wimmern.

»Jelchior, wir verhauen nur Dämonen außerhalb unseres Clans, alles klar? Und niemals wehrlose Omegas.« Savannah kniff die Augen zusammen. Unter diesem Blick hätten auch Adris Nerven versagt.

»Die … Familie ist tabu?«, stotterte Jelchior.

Interessant, wie sich Savannah gebärdete und den Beta in seine Schranken wies. Adrianas Blick fiel auf den jammernden Lord Faulion zu ihren Füßen. Er drehte sich so, dass er zu ihr emporsehen konnte. Unwillkürlich musste sie bei seinem Anblick an ihre Mom denken. Angelina Astara hatte Forschungen an Omega-Dämonen betrieben oder zumindest hatte sie Theorien aufgestellt und mit ihrem Gewebe gearbeitet.

Omegas sollst du um dich scharen, kam ihr der Satz ihrer Mutter wieder in den Sinn.

»Ist okay, wir sehen uns bald wieder«, flüsterte sie ihm zu.

Die schlumpfblauen Augen des Dämons wurden noch größer. Bald würde er sowieso verschwinden müssen. Die First Daylight Hour stand kurz bevor. »Wir treffen uns später im Palast. Richtet Gesa Grüße von mir aus.«

Wieder waren menschliche Schreie aus Richtung Stadt zu hören, weswegen Adriana den Blick von ihrem Clan abwandte. Vor einer Woche hatte sie selbst noch Todesängste vor Dämonen ausgestanden und heute unterstand ihr der größte Clan der Hölle. Dennoch … in diesem Augenblick töteten andere Dämonen Menschen auf der ganzen Welt, und nur weil sie so dumm gewesen war, mit ihrem Blut die Tore der Hölle außer der Reihe zu öffnen …

Kaum waren die Dämonen in der Höhle verschwunden, räusperte sich Rosie. Als sich Adriana zu ihr umwandte, strich ihr ein kühler Windhauch die Haare ins Gesicht. Dunkle Strähnen und eine dunkle Nacht. Eine viel zu dunkle.

»Wir müssen los, du und ich wissen, wohin. Keine Zeit zu verlieren.«

»Was sagst du da, Rosie?«, hakte Drym nach.

Adriana zupfte am Träger ihres Rucksacks, bevor sie eine Hand in die Tasche ihres Hoodies schob, um die Umrisse von Patamon nachzuzeichnen. Ihrer Lieblingsdigimonfigur.

»Rosie hat recht. Das werden wir tun, sobald die First Daylight Hour …«

»Nein, jetzt.« Rosie sah sie fest an. »Bald wird es zu spät sein. Und vorher müssen alle noch lebenden Engel hierherkommen. Dorthin, wo die Kameras sind.«

Adriana neigte den Kopf zur Seite. Was wusste die Kleine, von dem sie noch nichts ahnte? »Ist etwas mit den Engeln? Warum wird es bald zu spät sein?«

»Darüber solltest du dir jetzt noch keine Gedanken machen«, sagte Rosie. Das Mädchen griff wieder nach ihrer Hand. »Wir leihen uns ein paar E-Scooter am Parkplatz dahinten und fahren in Richtung Krankenhaus. Dann sind wir dort, sobald sie die Türen öffnen. Wir werden schneller als Luzifer sein.«

Dieses Kind war … unglaublich. Aber sie lag wahrscheinlich richtig. Wenn ihnen die Zeit davonlief … Aber was plante Luzifer?

Sie tauschte einen Blick mit Drym und Savannah. Seit die beiden voll entwickelte Alpha-Dämonen waren, konnten sie sich tagsüber nicht auf der Erdoberfläche aufhalten. Es brachte nichts, die beiden mitzunehmen. Nicht mal bis zum Parkplatz.

»Geht ruhig«, meinte Savannah mit einem Seitenblick auf Rosie.

»Okay, könntet ihr euch mit meiner Mom und Gesa treffen? Und mit Cruz natürlich. Irgendwie müssen wir ihn wieder in unser Team integrieren.« Sie schluckte. »Bitte sagt ihm nicht, dass wir so was wie ein Paar waren. Vermutlich würde ihn das zu sehr unter Druck setzen.«

Sanft drückte Savannah ihren Unterarm. »Er wird sich wieder in dich verlieben, keine Sorge.«

Daraufhin schlug Adriana die Augen nieder. Wie konnte sie sich da sicher sein? Ahel hatte Cruz von seinem Liebeskummer geheilt. Hieß das nicht, dass er sich auch nie wieder verlieben würde?

»Also, wenn ihr die Engel heute findet, wie werdet ihr sie befreien?«, hakte Drym leise nach.

Eine gute Frage. »Laut dem Höllenfeuerlied können sie sich nur selbst befreien«, sagte Adri. »Aber vielleicht können wir sie dabei unterstützen.«

»Du wirst das tun.« Rosie lächelte sie an. »Du kannst das schaffen.« Sie drückte ihre Hand.

Wenn Rosie gewusst hätte, was Adriana schon alles getan hatte … Oder wusste sie es vielleicht bereits? Mit zwei Fingern ihrer freien Hand massierte sich Adriana die Nasenwurzel. Nein, wenn Rosie ahnen konnte, dass nur wegen Adriana gerade überall Menschen zu Tode kamen, würde sie sie sicherlich nicht so begeistert anstarren.

»Wahrscheinlich könnte Weihwasser oder eine Segnung helfen, oder beides. Von Rico habe ich noch ein Fläschchen mit Weihwasser.« Sie deutete auf ihren Rucksack. »Notfallreserve.« Das Minifläschchen hatte sie beinahe vergessen, aber jetzt fiel es ihr wieder ein. Aus Ricos riesigem Vorrat hatte sie spontan das kleine Fläschchen mit seiner rosafarbenen Plastikummantelung in die Innentasche ihres Rucksacks gestopft. Es war kaum größer als eine Minitube Desinfektionsmittel und daher mit entsprechend wenig Weihwasser befüllt. Aber zur Unterstützung einer Segnung würde es reichen.

»Hört sich plausibel an. Bin gespannt, was ihr danach zu berichten habt. Treffen wir uns später auf der Brücke vor dem Palast?«

Adriana nickte. »Werden wir.«

Nachdem Drym seine Nackenmuskeln gelockert hatte, erhob er sich und drückte Garrisons Schulter. »Passt gut aufeinander auf, ihr drei. Die Menschheit zählt auf euch.«

Er lächelte Adriana an.

»Nur noch dreiundfünfzig Minuten bis zur First Daylight Hour«, sagte Savannah. »Ihr solltet euch beeilen.«

3

Nachdem sie sich von Savannah und Drym verabschiedet hatten, marschierte Adriana mit den Kindern in Richtung Parkplatz. Die Kids legten dabei ein erstaunliches Tempo vor. Woher wusste Rosie von Adrianas Plan? Hatte sie das gesehen, oder hatte ihr jemand erklärt, was als Nächstes anstand?

»Du solltest da drangehen«, sagte Rosie unvermittelt.

»Wie bitte?« Verwundert drehte Adriana den Kopf in ihre Richtung.

Im nächsten Moment vibrierte ihr Handy. Eloys Nummer. Dann musste es wirklich dringend sein, wenn er so hartnäckig versuchte, sie zu erreichen. Das Handy zitterte in Adrianas Hand. Wie sollte sie ihm beibringen, dass Dakota tot war? Dass sie als eine Art Warnung an sie im Auftrag von Luzifer ihr Leben hatte lassen müssen?

»Hi, Eloy«, nahm sie das Gespräch mit belegter Stimme an. Während sie versuchte, ihre Schritte nicht zu verlangsamen, drehte sich alles in ihrem Kopf. Was zum Teufel sollte sie ihm sagen?

»Adri, ich brauche deine Hilfe.« Man verstand Eloy ganz schlecht. Er keuchte mehr, als dass er redete, und schien sich beim Sprechen umzusehen, als würde er verfolgt werden oder so etwas in der Art.

»Was ist los, Eloy? Geht es dir und Rico gut? Und Tequila? Seid ihr im Bunker oder habt ihr es noch in die Kapelle geschafft?« Alarmiert spürte Adriana, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.

»Bunker«, keuchte Eloy. »Rico … ich glaube, etwas stimmt nicht mit ihm. Glaubst du, der Dämonenbiss könnte so etwas wie eine Markierung sein? Rico ist nicht er selbst, wirkt wie fremdgesteuert. Und er redet nicht mit mir. Trotz meiner Bedenken, die ich geäußert habe, lassen ihn die Angestellten in den Technikraum.« Eloys Worte stolperten übereinander. Obwohl es schwer war, ihm zu folgen, setzte Adrianas Hirn die Puzzleteile zusammen. Rico … sein Bein! Die Markierung. Sofort begann ihre eigene Ballonnarbe zu prickeln.

»Ich glaube, die Dämonen versuchen uns hier drin irgendwie auszuräuchern und benutzen Rico dafür. Oder sie wollen den Bunker knacken wie eine Raviolidose, um uns zu fressen.«

Natürlich. Dämonen waren bekannt dafür, Menschen in Kirchen durch ein Feuer ins Freie zu locken oder sonst wie zu töten, wenn sie nicht an sie rankamen. Das Feuer in der Stadt!

»Du musst ihn stoppen. Ist Major Kane bei dir oder sonst wer, der dir glaubt? Ihr müsst Rico fesseln.«

»Rico hat mir zugeflüstert, dass er mich und Tequila tötet, wenn ich das tue.«

»Eloy, sei ein Mann, tu es trotzdem!« Sie konnte es nicht fassen. Und in Eloy war sie bis vor Kurzem noch verliebt gewesen. »Wenn du Rico nicht aufhältst, werden die Dämonen alle in diesem Bunker töten!«

»In Ordnung, bitte schrei mich nicht an. Hast du Dakota retten können?« Eloys Stimme war kaum noch zu hören.

»Erzähle ich dir später, dafür bleibt keine Zeit. Hör mal, ihr müsst Rico einsperren oder fesseln oder am besten beides. Wir können ihn nur von dem Dämon befreien, der ihn steuert, wenn wir den Dämon bis in die fünfte Generation töten, oder das Mal aus Ricos Körper schneiden. Aber das wird vermutlich bedeuten, dass er den Unterschenkel verliert.«

Die Bisswunde war riesig, Adriana hatte sie selbst gesehen und notdürftig behandelt in der ersten Dämonennacht. Gut, darum musste sie sich später Gedanken machen. Ivan! Es war sein Clan gewesen, der Rico in der ersten Dämonennacht gejagt hatte. Ivan steuerte jetzt Rico, wurde ihr mit einem Schlag bewusst. Dieser Mistkerl!

»Lasst nicht zu, dass Ivan Rico benutzt, um euch umzubringen! Du musst nur noch ein paar Minuten durchhalten bis zur First Daylight Hour.« Aber das war Eloy sicherlich selbst klar. »Weniger als eine Stunde.« Eloy, Rico und Tequila befanden sich in diesem Bunker. Kurz schloss sie die Augen. Sie musste es einfach fragen. »Wie viele Menschen sind auf dem BKOD-Gelände gestorben? Was denkst du?«

»Einige. Genau kann ich es nicht sagen. Aber viele haben Rico und ich in den Bunker führen können. Ich würde sagen, etwa zwanzig hat sich ein Dämonenclan geholt. Und etwa fünfzehn sind verletzt.«

Zwanzig Tote, die auf ihr Konto gingen. Adriana wurde schlecht. Und das war nur ein winziger Teil derer, die sich heute Nacht nicht an einem sicheren Ort aufgehalten hatten.

»Bitte gib mir alle zehn Minuten ein Update, was bei euch im Bunker los ist, okay? Bis zur First Daylight Hour. Ich bin draußen in Portland, daher werden mich deine Textnachrichten erreichen. Sobald die Dämonen weg sind und wenn dir niemand in der BKOD-Zentrale helfen will, bringst du Rico ins Krankenhaus, falls das möglich ist. Ansonsten sperr ihn ein. Mrs Twerbeed wird dir sicher beistehen.«

Nach einer gemurmelten Zustimmung von Eloy legte sie auf. Dann würde sie ihm ein anderes Mal beibringen müssen, dass seine Freundin tot war. Arme Daki … armer Eloy.

»Rosie«, bat sie, ohne das Kind anzusehen, »kannst du mit deiner Gabe erkennen, ob meine Freunde im Bunker die Nacht überleben werden?«

»Ich sehe nicht alles«, antwortete Rosie, wobei sie so tat, als würde sie sich beide Hände vors Gesicht halten und dabei über eine unsichtbare Wurzel vor Adriana im Waldboden stolpern. Fantastisch, dieser Galgenhumor.

»Wie ist es so in der Hölle?«, fragte Garrison unvermittelt. Mit einer Hand fuhr er sich über seine blonden Haare, die wie ein Helm um seinen Kopf herumlagen und bis über seine Augen reichten. Er musste sie ein bisschen schütteln, um klarer sehen zu können. Die gleichen kleinen Äuglein wie seine Schwester. Eindeutig waren sie Geschwister. Hieß das, sie hatten denselben dämonischen Vater?

»Ja«, sagte Rosie unvermittelt. »Wir sind beide Halbdämonen. Gezeugt vom selben Vater. Dass du das fragen willst, kann ich sogar ohne meine Sicht erkennen.«

»Okayyyy.« Adriana dehnte das Wort wie den Gummi in ihrer alten Schlafanzughose. Und nach einem weiteren bettelnden Blick von Garrison begann Adriana zu erzählen. Wie es in der Hölle aussah, was Luzifer und seine Nachkommen so machten, wo die Seelen gefangen gehalten wurden. Lediglich ein paar grausame Details ließ sie aus, die nicht für Kinderohren geeignet waren.

Beinahe war Adriana erleichtert, als sie den Parkplatz erreicht hatten und sie damit aufhören konnte.

»Aha«, meinte Rosie, was Adriana als abschließendes Urteil interpretierte. »Aber Luzifer hat Cruz gefoltert und sein Sohn Ahel ist ganz schön eklig mit dir umgesprungen, nicht war? Und dieser Amon, den du getötet hast, hat vorher deine beste Freundin geköpft.«

Adriana versteifte sich. Neben ihr hustete Garrison, als müsse er sich gleich übergeben.

Vielen Dank auch, kleine Rosie.

Mit einem Mal fiel ihr wieder ein, was Drym über diese Geschwister gesagt hatte. Angeblich hatten Garrison und Rosie ihren Vater getötet. Ihren menschlichen Stiefvater. Aus dem Augenwinkel warf sie einem nach dem anderen einen Blick zu. Rosie, die gerade auf die zwei Scooter zumarschierte, als würde sie täglich damit fahren, und Garrison, der an Adrianas Hoodie zupfte.

»Hast du die Scooter-App, damit wir loscruisen können?«

»Was meinst du damit? Mein Gedächtnis der letzten Tage? Aber ich erinnere mich daran, wie wir uns auf die Suche nach Halbdämonen gemacht haben und wie wir Drym und Savannah gefunden haben. Außerdem, dass heute die Tore wieder aufgegangen sind für Dämonen, obwohl es der erste Januar ist.«

Der verständnislose Blick von Cruz raubte Gesa den letzten Nerv. Am liebsten hätte sie ihn geschüttelt. »Ahel hat dir dabei ein paar Lücken beschert.« Bei allen Feuern, was sollte sie noch sagen? So, wie Adriana sie angesehen hatte, wollte sie nicht, dass sie Cruz gegenüber preisgab, dass die beiden so etwas wie ein Paar gewesen waren. Immerhin hatte Gesa es geschafft, dass Cruz mittlerweile ruhig auf der Bank vor den Hochbeeten saß. Vollkommen entspannt, nur mit ein paar Fragezeichen im Gesicht.

»Wir werden die restlichen Halbdämonen auftreiben und die Freunde aus dem Höllenfeuerlied, die uns helfen werden, sobald es zum zweiten Himmelskrieg kommt.« Gesa bemühte sich, ihre Stimme geduldig und souverän klingen zu lassen.

»Freunde? Also dieses Mädchen mit den dunklen Haaren eben ist kein Halbdämon, richtig? Du hast sie nicht im Zusammenhang mit Drym und Savannah genannt. Also ist sie …?«

»Ein Halbengel.« Beinahe hätte sie »Dein Halbengel« gesagt. Um ihre Hände zu beschäftigen, griff sie nach einer Schaufel. Die Erde, die daran klebte, war noch feucht. Durch den Rost darunter hätte man auch meinen können, es wäre getrocknetes Blut. Fasziniert starrte sie darauf.

»Gesa?«

»Hm?«

»Also bist du jetzt die Herrscherin über die Hölle?«

»Sieht wohl so aus.«

Cruz nickte nachdenklich. »Ich hatte einen Traum, bekomme ihn nur nicht mehr so ganz zusammen.«

»Nicht ungewöhnlich bei Träumen«, sagte Gesa. Sollte jemand zuhören, würde der Spion das hoffentlich ähnlich sehen und den Traum nicht für voll nehmen.

»Ja, schon. Im Grunde habe ich geträumt, dass ich gemeinsam mit einem Mädchen oder weiblichen Dämon, ich weiß es nicht genau … ein Heer an Dämonen gegen Luzifer in den Krieg führe und dass ich danach mit ihr über die Hölle regiere. Wenn das erledigt ist, werden sie mich begnadigen und ich kann wieder ein Mensch sein.« Cruz unterbrach sich, um seine violette Hand vor sein Gesicht zu heben und sie zu betrachten, als wäre sie ein Fremdkörper. »Ein ganz normaler Mensch.«

Er sagte es und sah sie danach so intensiv an, dass Gesa ganz heiß wurde. O nein, das war ursprünglich Cruz’ Traum über sich und Adriana gewesen. Und er hatte viel Geknutsche beinhaltet, wenn sie sich recht erinnerte.

»Gesa …«, begann er.

Doch gerade als sie die Schaufel fallen ließ, klopfte es.

Cruz’ Kopf fuhr herum.

»Wir sind’s. Drym und Savannah«, flüsterte Savannahs Stimme.

»Also an mich kannst du dich erinnern?« Als litte Cruz an einer Gehirnerschütterung, fuchtelte Savannah wenig später halb über ihn gebeugt mit der Hand in der Luft herum. »Wie viele Finger siehst du?«

»Alle deine Finger«, behauptete Cruz, dem das Spielchen sicherlich genauso auf die Nerven ging wie Gesa. »Und ja, ich kenne euch, bin ja nicht doof. Habt ihr euch die Kinder aus Roseburg schnappen können?«

Daraufhin tauschten Drym und Savannah einen Blick aus und begannen dann mit ihrem Bericht, der recht viele Codewörter enthielt, für den Fall, dass sie belauscht wurden.

Wie nahe die beiden sich standen und wie liebevoll Drym Savannah immer wieder betrachtete, kam Gesa recht verdächtig vor. Ekelhaft verdächtig. Dennoch musste sie grinsen.

»Müssen wir vor dir jetzt eigentlich knicksen?«

Gesa blinzelte. »Was?«

»Oh, Verzeihung«, begann Savannah erneut, wobei einer ihrer Mundwinkel hüpfte. »Müssen wir jetzt eigentlich vor Euch knicksen, Eure Majestät?«

Gesa warf ein Stück Torf nach ihr. »Nur, wenn du dich als mein neuer Hofnarr bewirbst.«

Savannah grinste. Nur Drym wirkte, als wüsste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte.

»Adriana ist mit diesen unheimlichen Kindern unterwegs zu … ihr wisst schon wem«, erklärte Savannah, sobald sie Gesas Blick bemerkte. »Deshalb macht sich Drym aktuell in die Neoprenhose.«

»Entschuldige mal, wer hat denn angefangen, Rosie in gruseligen Farben in mein Hirn zu zeichnen?«

»Du hast doch gehört, dass die beiden ihren Stiefvater getötet haben?« Savannah verschränkte die Arme vor der Brust.

»Eventuell warst du dabei und hast auch mitbekommen, wie Rosie erklärt hat, dass es Notwehr war. Und das glaube ich diesen Kids auch«, fügte Drym hastig hinzu.

»Also diese mörderischen Halbdämonen-Kids sind aktuell ganz allein mit Adriana auf dem Weg zu dem … Haus mit den kranken Leuten? Und das haltet ihr für eine gute Idee?« Mit dem Nagel ihres kleinen Fingers kratzte sich Gesa über eine ihrer Stirnfalten.

Da sie auf ihre Frage nur einige Ähs und Öhms erntete, ging sie davon aus, dass niemand darüber nachgedacht hatte.

»Mist.« Cruz sprang auf. »Ich fliege da jetzt hin und beschütze …«

»Genau, in nicht mal dreißig Minuten wirst du da draußen gegrillt und durch die Tür lassen sie dich ohnehin nicht rein«, unterbrach ihn Gesa. »Savannah, hast du noch dein Handy und kannst Adri eine Nachricht schreiben?«

»Nein, meine menschlichen Besitztümer liegen alle in der Kapelle.« Entschuldigend hob Savannah beide Handflächen nach oben, als wollte sie sich ergeben.

Dann waren wohl alle beteiligten Halbengel und Engel auf sich allein gestellt. Gesas Finger schlossen sich fester um den Griff ihrer Schaufel, ehe sie mit schnellen Bewegungen auf den Torfboden in ihrem Hochbeet einhackte. Sollte diese Fünfjährige Adriana töten, würde die Weltrettung abgesagt werden müssen.

Irgendein Lakai, den Mrs Twerbeed aufgetrieben hatte, brachte einen Schlüsselbund. Rico wollte den Kopf schütteln, »Nein!« rufen, die Hände von sich strecken, Abwehrbewegungen machen, doch wie erwartet, gehorchte ihm sein Körper nicht. Stattdessen nickte sein Kopf.

»Damit werden wir etwas anfangen können.« Fremdartige Worte aus seinem eigenen Mund.

Nein, nein, nein! Konnte denn nicht einer der beiden sein Hirn einschalten? Waren sie so verzweifelt, ihm den Zugang zum Technikraum zu gewähren? War kein richtiger Techniker mit ihnen hier unten eingesperrt? Vermutlich nicht, denn niemand der Teilnehmer des Fests schien daran geglaubt zu haben, dass eine weitere Dämonennacht eintreten würde.

»Nicht, dass uns gleich der Strom ausgeht.« Seine Mundwinkel hoben sich, was sich seltsam anfühlte, denn diese Geste passte nicht zu dem Sturm, der in Rico tobte, und auch nicht zu den Absichten, die hinter Ivans Motiven stecken. Ivan, dessen Marionette er nun war … immerhin … verzweifelt versuchte Rico einen Blick auf eine Uhr zu erhaschen … es konnte nicht mehr lange bis zur First Daylight Hour sein, wahrscheinlich weniger als eine Stunde. Und kurz vorher mussten die Dämonen über ihnen schon Richtung Hölle verschwinden. Das bedeutete, wenn Rico nur ein bisschen mehr Zeit schinden konnte … Mit aller Macht lehnte sich Rico nach hinten, versuchte seinen Körper aus dem Gleichgewicht zu bringen, nach hinten zu fallen. Ein kleines Schwanken stellte sich ein. Immerhin, besser als nichts. Doch sofort hatte sich sein Körper wieder gefangen. Ein Schwanken. Das hieß, es war möglich, die Kontrolle zurückzugewinnen! Wahrscheinlich nur für den Bruchteil eines Augenblicks, aber wenn er diesen Moment nutzen konnte! Rico strengte sich an, lehnte sich nach rechts, nach links, sogar nach vorn. Doch dieses Mal trugen seine Anstrengungen so gar keine Früchte. Vollkommen hilflos musste er zusehen, wie der Soldat vor ihm einen Schlüssel nach dem anderen ausprobierte.

Bitte, lass es den letzten Schlüssel sein. Und dann lass ihn im Schloss abbrechen, betete Rico in die Stille hinein. Natürlich hörte niemand seine Gedanken.

Der vierte Schlüssel war es. Exakt in dem Moment, in dem Ricos Gebet geendet hatte. Sicherlich ein mieses Omen.

»Meinen herzlichsten Dank«, sagte die fremde Stimme aus Ricos Mund. Ziemlich steif, doch das schien weder den Soldaten noch Mrs Twerbeed misstrauisch zu machen. »Dann wollen wir doch mal sehen, was dieses Klirren verursacht. Am besten, Sie lassen den Schlüssel bei mir.« Ohne es verhindern zu können, streckte Rico eine Hand aus.

Nein, gib ihm den Schlüssel nicht! Er wird sich darin einschließen und den Bunker für morgen unbrauchbar machen oder die Dämonen hereinlassen!, wollte Rico schreien. Ohne Erfolg.

Etwas umständlich nestelte der Soldat daraufhin am Schlüsselbund. Rico fiel auf, dass der Junge mehrere kahle Stellen am Hinterkopf aufwies, obwohl er die dunklen Haare kurz geschoren trug.

Wahrscheinlich kommt er aus Mexiko, überlegte Rico. Und wahrscheinlich wird er von seinen Kameraden gemobbt. Kein Wunder, dass er alles tat, was andere von ihm verlangten.

Ricos Finger zuckten, trieben den Soldaten dazu an, schneller zu machen.

Konnte man eigentlich in seinem eigenen Körper ohnmächtig werden vor lauter Stress, wenn der Körper physisch noch funktionierte? War das, wie in einem batteriebetriebenen Hasen zu stecken, der einfach weitermachte?

»Stop!« Eloys Stimme schallte vom anderen Ende des Bunkers herüber, so jedenfalls hörte es sich an. »Nicht! Tun Sie das nicht.«

Der Dämon ließ Rico nicht mal den Kopf drehen.

Vielen Dank für nichts.

»Schlüssel«, knurrte Rico. »Sofort.«

Also wollte er sich tatsächlich einschließen. Doch der Soldat starrte einfach nur in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war.

Fußgetrappel kündigte an, dass Eloy auf sie zugesprintet kam. »Halten Sie ihn auf, er ist von einem Dämon besessen.«

»Wie?« Vollkommen perplex drehte sich Mrs Twerbeed zu Eloy um, so viel bekam Rico mit. »Rico hat uns alle gerettet und uns hier hineingeführt. Wie sollte er da besessen sein?«

»Ich weiß auch nicht, aber seit ein paar Minuten scheint etwas nicht mit ihm zu stimmen. Die Dämonen müssen ihn gerade erst übernommen haben.« Eloy kam direkt neben Mrs Twerbeed zum Stehen.

Rico lachte dunkel auf. »Ich bitte dich. Wenn, dann bist du hier der Besessene. Warum sonst willst du mich davon abhalten, den Generator zu reparieren?«

Die Blicke der Umstehenden schossen zwischen ihnen hin und her. Ein paar Zivilisten und ein weiterer Uniformierter mit Militärmütze näherten sich interessiert der Szene, die sie ihren Zuschauern boten.

»Wer ist besessen?«, erkundigte sich der Fremde mit dem Namensschild, das ihn als Captain Fields auswies.

»Der.« Schneller, als Rico reagieren konnte, deutete seine Hand in Richtung Eloy. »Er hat eine Markierung von einem Dämon. Schauen Sie, da, an seinem Arm.«

»Das ist eine Narbe von einem Armbruch«, beteuerte Eloy. Panik schien Besitz von seinen Gesichtszügen ergriffen zu haben. Den Eindruck machte es zumindest. »Rico wurde am 27. Dezember gebissen. Von einem Delta-Dämon. Am linken Unterschenkel. Schauen Sie nach.«

»Vor so vielen Tagen?« Der Captain schnalzte mit der Zunge. »Wäre ungewöhnlich, wenn er uns erst rettet und dann den Dämonen ausliefert.«

4

Entgegen ihren Erwartungen schickte Eloy keine Nachrichten mehr. Auch als Adriana ihn anrief, reagierte er nicht. Was war da nur los? Er hatte doch versprochen sich in kurzen Abständen zu melden?

Die Kinder teilten sich einen Scooter, obwohl das eigentlich verboten war. Aber wer würde schon in einer Dämonennacht kontrollieren, wie viele Personen auf einem Elektroroller durch die Stadt flitzten?

In der Innenstadt sah es wahrhaft gespenstisch aus. Als wären sie mitten in eine Zombieapokalypse hineingeraten. Autos schienen hastig vor sicheren Häusern abgestellt worden zu sein. Tote Menschen lagen halb auf dem Bürgersteig und halb auf der Straße. Aber nicht allzu viele. Vermutlich hatten die Dämonen zuvor schon genug von ihnen gefressen und waren in der sechsten Dämonennacht nicht mehr so aktiv wie sonst. Als sie an einer Kirche vorbeifuhren, hörten sie Dämonen kichern und mit Steinen auf die Fenster werfen. Irgendwo schrie eine kreischende Sägeblattstimme »Schmutziges Blut!«, doch ein Alpha antwortete sofort: »Das ist Ahels Braut und damit Luzifers Schwiegertochter, also Pfoten weg.«

»Warum fliegt sie nicht?«, fragte ein Beta, doch die Antwort darauf hörte Adriana schon nicht mehr.

Sie bogen auf eine der Hauptstraßen Portlands ein und ab hier folgte Adriana dem Weg, den auch ihr Bus genommen hätte.

Glücklicherweise schwiegen die Kids die ganze Fahrt über, was Adriana die Chance gab, die eigenen Gedanken zu ordnen. In ihrem Rucksack befand sich nur eine winzige Phiole mit Weihwasser, und sie konnte nur hoffen, dass es genug war, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Dennoch kam das Krankenhaus viel zu früh in Sicht, und irgendwie wünschte Adriana, sie könne noch länger über all das nachdenken, was sie zu tun hatte. Wenn sie sich nur nicht verkalkuliert hatte!

Vor dem Memorial Grace Hospital im Süden der Stadt stieg sie auf die Bremse, lehnte ihren und auch den Roller der Kinder ordentlich an die Wand neben dem Fahrradständer.

Ein Blick auf ihre App verriet ihr, dass es noch vierzehn Minuten bis zu First Daylight Hour waren. Zeit, es noch einmal bei Eloy zu versuchen.

Noch ehe sie ihr Handy ganz aus der Tasche ihres Hoodies gefischt hatte, trat Garrison näher an sie heran.

»Keine Sorge, wir sind hier sicher«, murmelte ihm Adriana zu.

»Du vielleicht«, sagte Garrison leise. »Du bist Luzifers Schwiegertochter und führst den größten Dämonenclan an.«

Seufzend starrte sie auf den Jungen hinab. Zugegeben, sie standen auf einem dunklen Parkplatz, der nur von wenigen Laternen erhellt wurde, vor ihnen das vollkommen verrammelte Krankenhaus.

»Ich beschütze euch.« Sie tätschelte ihm die Schulter. »Und Rosie hat sicher auch keine Bilder von deinem Tod empfangen, oder?« Sie warf der Kleinen einen Blick zu.

»Ich sehe nicht alles«, antwortete Rosie tonlos. »Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Garrison lebend in dieses Krankenhaus reinkommt.«

Eine tolle Hilfe. Gerade so konnte Adriana ein Schnauben unterdrücken.

»Weißt du, was?« Sie ging vor Garrison in die Hocke, suchte dabei nach etwas in ihrer Tasche. »Schau mal, das ist Patamon.« Sie hielt die kleine braune Digimonfigur mit den Fledermausohren hoch, genau auf Garrisons Augenhöhe. »Der wird auf dich aufpassen, okay? Hat Superkräfte.«

Daraufhin strahlten Garrisons Augen und er griff nach der Spielfigur.

»Pfff«, sagte Rosie. »Ein Digimon, das sich wie du in einen Engel verwandelt. Findest du das nicht ein wenig abgedroschen?«

In Zeitlupe richtete sich Adriana wieder auf. Einfach weil sie mehrfach ein- und ausatmen musste, um sich zu beruhigen.

»Nein, ich halte das für eine gute Idee, auch rein psychologisch«, bemerkte sie, während Garrison die Figur andächtig in den Händen drehte.

Mit dem Kinn deutete Adriana auf Rosies Bruder, hob dann beide Augenbrauen, was bei Rosie aber nur ein Augenverdrehen als Antwort hervorrief. Für ihr Alter war Rosie schon ziemlich dreist. Und weit.

Ende der Leseprobe