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Während seines Studiums gönnt sich Tim Uhlemann eine 9-monatige Auszeit in Dänemark und versucht, dem Geheimnis der dänischen Mentalität auf die Spur zu kommen. Dabei jederzeit mit im Gepäck: eine gesunde Portion Humor. Ausgehend von seiner eigenen Geschichte erzählt Tim Uhlemann von den Besonderheiten und Eigenarten des Landes und entwirft so ein Bild Dänemarks, das ebenso greifbar wie lebendig ist. Mit jeder Seite wird man mehr und mehr in sein persönliches Universum hineingezogen. Darüber hinaus ist »Die beste Reise meines Lebens« auch ein federleichtes Stück Bildungsliteratur über unseren nördlichen Nachbarn, eine kenntnisreiche Sezierung der dänischen Seele und Gesellschaft. Wie wurden die Wikinger zum friedfertigen Volk, warum ist das dänische Bildungssystem so überzeugend und wie steht Dänemark zu Europa? Lebendig, kurzweilig und voller Wortakrobatik schildert Uhlemann all die Absurditäten des Alltags, die ihm die dänische Kultur beschert. Unterhaltsam, kenntnisreich, lesenswert! Eine fundierte Liebeserklärung an das kleine, aber facettenreiche Land, wo die Gemütlichkeit zu Hause ist. Kurzum, ein bisschen Dänemark würde jedem von uns guttun. Das Buch, mit dem man nur noch eins will: einfach los! Auf nach Dänemark! Das eingeschmuggelte Vorwort von Nova Meierhenrich darf als »Amuse-Gueule« der Lektüre betrachtet werden.
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Seitenzahl: 402
Veröffentlichungsjahr: 2025
Tim Uhlemann
Tim Uhlemann
Die beste Reise meines Lebens
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Von Tim Uhlemann ist außerdem im Lau-Verlag erschienen:
Dänemark – Gekommen, um zu bleiben
Dänemark – Leben auf der schönsten Sandbank der Welt
Instagram: @timuhlemann
Bildnachweis: S. 10 Illustration von Christian Schuster (@schuster_illustrationen), S. 13 © Nova Meierhenrich (Katrin Schöning).
Sämtliche weitere Abbildungen und Fotos von Tim Uhlemann.
1. Auflage 2025
ISBN 978-3-95768-274-1
eISBN 978-3-95768-275-8
© 2025 by Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek
Lau-Verlag & Handel KG
Kirschenweg 10a
21465 Reinbek
E-Mail: [email protected]
www.lau-verlag.de
Alle urheberrechtlichen Nutzungsrechte bleiben vorbehalten.
Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.
Umschlagentwurf: pl, Lau-Verlag, Reinbek
Umschlagabbildung: Cover © Tim Uhlemann, Backcover © Patrick Lau
Satz und Layout: pl, Lau-Verlag, Reinbek
Vorwort von Nova Meierhenrich
Prolog
1. Nächster Halt: Abenteuer
2. Welcome to Odense
3. Lovely atmosphere Langeland
4. In love with Odense
5. Gekonnt leiden – Überleben auf dem Fahrradhighway
6. Skt. Jørgens Gade 33 B1 – Luxusgut Wohnen
7. Odense by night
8. Syddansk Universität – wer zu viel lernt, hat zu wenig Talent
9. Ringe Kost- og Realskole – Schule gefährdet die Freizeit
10. Odense BK – wenn Männer Emotionen zeigen
11. Wonderful Kopenhagen
12. Heiliger Beleuchtungswahn in Odense
13. Vamos! Vamdrup!
14. Heidi vs. Retro
15. Julefrokost – die Mutter aller Besäufnisse
16. Weihnachten – Nordisch by Hygge
17. Studieskolen – blød rabat – Nå sådan
18. Rustikale Leibesertüchtigung
19. Dänemark – das Mutterland des Ferienhaus-Urlaubs
20. Odense BK – VIP
21. Solveigh og Mette
22. Fantastic Århus
23. H. C. Andersen
24. Pelle Svensson
25. Fünen – der grüne Garten Dänemarks
26. Mittsommer – entzünde dein Feuer!
27. Auf Wiedersehen Dänemark
28. Hvide Sande – Riviera der Wikinger
Danke, danke, danke
Der Autor
Zur Bedienungsanleitung dieser Lektüre sei hinzugefügt: Dänemark – Die beste Reise meines Lebens ist die etwas andere Nachbarschaftskunde über das kleine Königreich. Die vorliegende Lektüre ist eine Art »Vor-Fortsetzung«. Es handelt sich bei diesem Prequel um die Vorgeschichte zu den bereits erschienenen Büchern Dänemark – Gekommen, um zu bleiben sowie Dänemark – Leben auf der schönsten Sandbank der Welt. Eine Erzählung, die als Fortsetzung zu den bereits bestehenden Werken erscheint, deren Handlung aber in der internen Chronologie vor diesen angesiedelt ist. Oder anders gesagt: Dänemark – Die beste Reise meines Lebens ist eine Fortsetzung der bestehenden Geschichte, erzählt diese aber in Form einer Vorgeschichte, wobei wir uns ins Jahr 2006 zurückbeamen. Wenn Sie wissen möchten, was mich zu meiner Dänemark-Auswanderung bewogen hat. Fangen wir also ganz von vorne an!
In diesem Sinne – beam me up Scotty
PS: Da ich gerne Bücher verkaufe, aber noch lieber zufriedene Leser habe, weise ich darauf hin, dass dieses Buch bereits 2010 unter dem Titel Lifestyle Dänemark im Handel erschienen ist. Es handelt sich hier um eine sanfte Aktualisierung, eine Neuausgabe mit geändertem Titel, neuem Cover und angepasstem Inhalt. Auch für alle, die Lifestyle Dänemark bereits gelesen haben – das Wiederlesen lohnt sich!
Bitte bedenken Sie, dass die meisten Fakten in diesem Buch aus dem Jahre 2006 entspringen. Zwischendurch entführe ich Sie bzw. begeben wir uns auf verschiedene Zeitebenen. Diese sind im Folgenden mit Kurzer Sprung in die Gegenwart gekennzeichnet.
Geben wir der Sehnsucht einen Namen: Dänemark!
Begleiten Sie mich auf die beste Reise meines Lebens und erleben Sie mit mir die Entdeckung der nordischen Lebensart!
Als interessierter DK-Liebhaber, der Sie aufgrund dieser Lektüre zu sein scheinen, wünsche ich Ihnen viel Spaß mit diesem federleichten Stück Bildungsliteratur. Begleiten Sie mich auf diese kleine Reise in das Leben und die Welt von inspirierenden Dänen: die beste Vorbereitung auf eine Begegnung mit der dänischen Art. Eingetaucht unter Nordlichtern. Willkommen in meiner Welt!
Romantik auf Dänisch!
Schuster Illustrationen – von begabter Hand gezeichnet! Das Gute an Kunst ist, sie verschönert die Realität.
Ich bin ein absolutes »Nordlicht«, ein »Dünen-Kind« seit meiner frühesten Kindheit – eigentlich noch bevor ich wirklich geschlüpft war. In jeder freien Minute in meinem Herzensland Dänemark unterwegs. Damals unter Beobachtung der Eltern, heute in bester Obhut von »Baghira«, meinem Van. Meist zieht es mich an die Westküste. Von ganz unten bis ganz oben. Ich mag es nordisch rau und für mich können Wellen und Dünen nicht hoch genug sein. Erste Amtshandlung beim Überqueren der Grenze: direkt an der ersten Raststätte eine Cocio Schokomilch samt Hot Dog mit knallig rotem Pølser zuladen. Traditionen wollen gepflegt werden! Und eigentlich wollte ich es immer wie Tim machen: Nicht nur immer wieder kommen, sondern einfach bleiben! Und wer weiß …
Tim Uhlemann jedenfalls hat sich auf den Weg gemacht, um den Dänen so richtig auf den Zahn zu fühlen. Mit Augenzwinkern berichtet er von seiner »Karriere« als Gastarbeiter in Dänemark. Sie haben die Bücher Dänemark – Gekommen, um zu bleiben sowie Dänemark – Leben auf der schönsten Sandbank der Welt bereits gelesen und interessieren sich dafür, wie es eigentlich dazu kam? Ja, alles hat eine Vorgeschichte!
Und genau darüber erfahren wir jetzt mehr. Über Tims Vorgeschichte und wie es zu seiner Auswanderung kam, neugierig und mutig genug, das zu tun, wovon viele träumen, so wie ich.
Ein Einblick in das Leben Dänemarks aus der Nahsicht. Ein wilder Ritt und eine Reflexion über das Dänische und das eigene reisende Selbst. Dieses Buch macht nicht nur Lust aufs Unterwegssein, sondern auch aufs Entdecken, auf Perspektivwechsel. Eben darauf, es einfach zu machen. Inspirierend und ironisch erzählt der Autor von der Schwierigkeit, sich in Dänemark zurechtzufinden. Und zwar so, dass man meint, selbst am jeweiligen Ort zu sein. Mit Anekdoten, Ironie und Mut zur Lücke träumt man sich ins kleine Königreich.
Was dieses Buch so besonders macht, ist, dass man die Liebe des Autors zu diesem Land in jeder Zeile spüren kann. Beim Lesen entstehen sofort Bilder. Seine Begeisterung lässt das Land so lebendig erscheinen, dass man nur noch eines will: sofort hinfahren und so schnell nicht mehr abreisen. Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Falls das noch auf Ihrer Bucket List steht … worauf warten Sie noch?
Keine Frage: Uhlemann ist zwischen den Kulturen zu Hause und unterhält zuverlässig, mal mit feiner Beobachtung, mal mit turbulenter Action. Machen Sie sich gefasst auf eine rasante Reise quer durch Dänemark und all seine Besonderheiten. Schmunzeln ausdrücklich erlaubt!
Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit dieser vergnüglichen Reise ins Nachbarland, in dem die Fettnäpfchen unter jeder Türschwelle lauern. Eine fundierte Liebeserklärung an das kleine, aber facettenreiche Land, wo die Gemütlichkeit zu Hause ist. Mit seinem dritten Buch setzt Tim Uhlemann seiner Heimat Dänemark endgültig ein literarisches Denkmal. Danke für ganz viel Fernweh!
Hygge, Nova
Seit 28 Jahren steht Nova Meierhenrich als Moderatorin und Schauspielerin schon vor der Kamera und hat für alle großen und kleinen Sender des Landes gearbeitet. Ob Bravo TV, VIVA und MTV in den 90ern, die Formel 1, Oscars, Grammy, Golden Globes oder Filmfestivals in den 2000ern, ob große Samstagabendshows, Reise und Lifestyleformate oder intensiveTalkformate – Nova Meierhenrich kann aus der ganzen Bandbreite schöpfen und tut es bis heute. Als Schauspielerin konnte sie sich im Kino ebenso wie in TV-Filmen und -Serien Hauptrollen verwirklichen. Sie arbeitet darüber hinaus als Podcasterin und Hörbuchsprecherin für zum Beispiel »Die???« oder »TKKG«.
Im Jahr 2018 erschien ihr erstes Buch Wenn Liebe nicht reicht – wie die Depression mir den Vater stahl, welches gleich zum Spiegel-Bestseller wurde. In diesem Buch schreibt sie eindrücklich und einfühlsam über die langjährige Depressionserkrankung ihres Vaters, die in einem Freitod endete. Sie klärt auf über die Krankheit, enttabuisiert und gibt Hilfestellung für andere Betroffene und ihre Angehörigen.
Im Jahr 2022 erblickte ihr zweites Buch Endlich Laubengirl – mein Abenteuer Schrebergarten das Licht der Welt, in dem sie über ihre kleine Laubenwelt berichtet. Von DIY-Projekten wie dem Klo-Bau bis hin zum Anbau von Obst und Gemüse. In 2023 wurde Endlich Laubengirl beim Deutschen Gartenbuchpreis mit dem Sonderpreis für außergewöhnliche Leistungen ausgezeichnet.
Und wenn zwischen all dem noch Zeit bleibt, erkundet sie mit ihrem Van »Baghira« die Welt oder kümmert sich mit ihrem gemeinnützigen Verein »HerzPiraten« um herzkranke Kinder.
Mit dieser vorliegenden Lektüre ist die Trilogie infernale vollendet, zur Entschleunigung benötige ich nun erst mal Goethes Faust. Was Leichtes zur Entspannung – Sie verstehen.
In allen meinen Büchern stelle ich Behauptungen über Dänen und die Dänen auf, deren Grundlage sehr subjektive Beobachtungen sind, aus denen ich höchst allgemeingültig klingende Schlüsse ziehe. Als Rechtfertigung darf ich anführen, dass ich ein großer Fan dieses Landes bin, mittlerweile Dänisch spreche und sogar den schwierigsten dänischen Zungenbrecher Rødgrød med fløde fehlerfrei herunterbeten kann. Nun ja, und dann lebe ich natürlich seit mehr als 15 Jahren in Dänemark. Seit mehr als 15 Jahren wohne ich nun in Hvide Sande – ich lege mich fest: Gekommen, um zu bleiben! Es gibt Vorabend-Soaps, in denen weniger passiert. Selbst wenn wir etwas Dramatisierung von dieser Aussage abziehen: Es war bisher eine tolle Zeit. Mein privater Kosmos: eine Welt, die von der Sucht nach dänischen Geschichten geprägt ist. Jeder Mensch – ob er nun hier geboren ist, bereits seit vielen Jahren hier lebt oder Urlaub macht, hat seinen sehr persönlichen Blick auf Hvide Sande. Diverse Eindrücke und Erfahrungen setzen sich zu einem bunten Bild zusammen – und keines gleicht dem anderen. Man kann täglich beobachten, wie sich Menschen, die nach Hvide Sande kommen, verändern. Sie bringen ihren Alltagsstress mit, aber wenn sie einmal am Strand waren, verschwindet der sehr schnell. Was der Ort mit einem macht, es ist großartig. Hvide Sande ist auch deshalb so lebenswert, weil man nicht ständig Angst haben muss, etwas zu verpassen. Am Meer zu stehen und im selben Moment zu wissen, dass es etwas viel Größeres gibt als einen selbst, das löst bei mir eine innere Ruhe aus. Die Nordsee, unser Freiluftkino für die Seele.
Zusammen mit dem Schlag der Wellen, dem Tuten und Tuckern der Fischkutter und dem Kreischen der Möwen hat es sich in meinen Sinnen festgesetzt. Diese Geräuschkulisse, das Hallen von den Werften, wenn sie mit den schweren Hämmern auf die leeren Hüllen von Schiffen schlagen. Sperre beide Nasenflügel weit auf, schnappe ein paar kräftige Züge dieser Luft, die nach Salz und Fernweh schmeckt. Oder bloß nach Brackwasser. Der Hafen, das war mein Revier. Hier kenne ich jeden Winkel und jeden Kantstein. Das ist mein Abenteuerspielplatz, mein Kiez. Ich tauche gerne mal in der Brauerei Hvide Sande Bryghus ab, wo Geschäftsführer Niels Sangill mittlerweile 10 Biersorten vom Fass anbietet. Fast jedes Restaurant des Dorfes hat eines der Biere auf der Karte, ein perfektes Beispiel dafür, was es bedeutet, wenn lokale Produzenten zusammenarbeiten, um sowohl ihr eigenes Produkt als auch die gesamte Erlebnisbranche zu fördern.
So erstrebenswert es mir manchmal erscheint, in Regionen wie Mallorca zu ziehen, dort, wo die Sonne nie aufhört zu scheinen, so dankbar bin ich, dass unsere Zeit doch so deutlich in Abschnitte unterteilt ist. Durch den steten Wechsel lernen wir, unser dänisches Dasein zu schätzen, es intensiver zu genießen – anstatt auf Mallorca zu hocken in einer Wanne aus Sonnentagen, bis man eines Tages auf seine schrumpeligen Hände blickt. Es ist der stete Wechsel, der das Leben aufregend macht, die unterschiedlichen Qualitäten der Jahreszeiten. Selbst der mieseste Matsch-Tag taugt noch zum Espressoschlürfen inmitten einer Weinprobe. Sie sehen, ich habe mir das Leben hier oben ordentlich schöngelogen.
Nach wie vor arbeite ich mit Menschen. Hautnah, ohne Filter. Bin weiterhin an der Frohsinns-Front von Henne Strand Camping & Resort tätig: als Lifecoach, Seelsorger, Depressionsbetreuer, Cheerleader, Touriführer aus Leidenschaft, Familienmitglied auf Zeit. Wer einmal erlebt hat, wie Feriengäste ausflippen können, wenn der Fernseher nicht funktioniert, möchte diesen Tag am liebsten aus seiner Chronik streichen. Genau das fasziniert mich an meinem Beruf. Das Beste bei solchen Jobs ist die Gelegenheit, wirklich tolle Menschen kennenzulernen, jeder Tag ist anders als der andere. Wenn ich Menschen eine Weile begleiten darf, mit Rat und Tat, mit Herz und Verstand (meistens zumindest). Das eine oder andere Mal entsteht daraus eine lebenslange Verbundenheit. Teilweise wird man zu Geburtstagen und Hochzeiten eingeladen. Manche Abreisen von Stammgästen sind sehr emotional, im gleichen Moment muss man wieder empfänglich sein für neue Gäste und neue Emotionen.
Diese Sandbank, das Meer, die Küste, Hot Dog, Hygge, Dünen, Kutter, Wind, Øl – all diese Begriffe lösen Bilder aus, ganze Assoziationsketten. Wir leben mit diesen Bildern und erzeugen sie sogar selbst, denn wir sind uns als Bewohner bewusst, dass wir alle Klischees vom Leben am Meer bedienen müssen, denn von diesen Bildern leben wir. Dieser Ort ist definitiv »instagramability«, hat außergewöhnlich gute Performancewerte. Der Sommer heißt bei uns Saison. Nichts geht mehr, der ultimative Kontrollverlust. Viele der Einwohner in Hvide Sande sind und bleiben einfache Dienstleister und üben sich in ausgeprägtem Understatement. In den Augen der Touristen gelten sie als eigene Spezies. Nach außen hin orientieren sie sich an den wachsenden Bedürfnissen der Gäste und geben ihnen das Gefühl, ein Teil dieses Naturwunders Hvide Sande zu sein. Sie lassen alle teilhaben, beherbergen sie, aber in Wirklichkeit leben die Eingeborenen in einem geschlossenen System, zu dem kein Gast und kein Kunde Zutritt hat (oder nur in den seltensten Fällen). Zugezogene werden freundschaftlich begrüßt und willkommen geheißen, es kann aber Jahre dauern (wenn überhaupt), bis man in diesem Kreis angekommen ist. Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft, in der ich mehr oder weniger auch nur dank Leni existiere. Von daher: Es liegt bestimmt an den hierarchischen Gegebenheiten, dass sich in der Regel Lenis Argumentation als die zwingendere herausstellt.
Es sind nicht nur die Natur und die Bewohner dieses Ortes. Laut Videncentret Bolius in Kopenhagen im Juli 2023 gilt die Fernwärmeanlage Hvide Sande als die günstigste Fernwärmeanlage Dänemarks. Die Eigentümer eines Standardhauses von 130 Quadratmetern mit einem Wärmeverbrauch von 18,1 MWh bezahlen hier im Jahr 2023 eine Gesamtrechnung von 3930 Kronen (525 Euro). Nochmals gut 1300 Kronen (170 Euro) weniger, als zum Jahresanfang erwartet. Am absolut teuersten Ende der langen Liste steht das Unternehmen Alborg Bygas, wo Besitzer eines Standardhauses damit rechnen müssen, dass die Heizkostenrechnung im Jahr 2023 gut 68000 Kronen (knapp 9000 Euro!) betragen wird.
Glück für die Menschen, die in Hvide Sande wohnen dürfen! Hvide Sande ist meine große Liebe. Von der trennt man sich nicht. Komme einfach nicht los von diesem Sandhaufen im Meer. Manchmal fühle ich mich wie ein Schiffbrüchiger, irgendwann über Bord gegangen und hier angespült. Wie es zu meinem Leben in Hvide Sande kam? Die vorliegende Lektüre erzählt es Ihnen. Vom Original zur Legende – beamen wir uns ins Jahr 2006 zurück! Bei Drucklegung dieses Buches bin ich siebenundvierzig, die vorliegende Lektüre schildert meine Welt als Endzwanziger, der sich auf das Abenteuer einlässt, ein halbes Jahr in Dänemark zu wohnen. Auch wenn man zwischendurch das Gefühl hat, Rosamunde Pilcher hätte hier Regie geführt, kann ich Ihnen sagen: Es ist alles so passiert (Abenteuer inklusive).
Liebesgrüße aus Hvide Sande, Sommer 2025
PS: Mit einer Durchschnittsgröße von 1,82 Meter belegt der dänische Mann Platz drei im Ranking der Körpergröße in Europa. Es ist mir sehr unangenehm, dass ich diesen Schnitt die letzten Jahre bedeutend nach unten gezogen habe. Die ersten Falten, vereinzelt graue Haare. Älter zu werden ist nun mal der einzige Weg, länger zu leben. Die Alternative wäre, tot zu sein. Langsam muss ich auch beim Lesen der Speisekarte die Arme ausstrecken – das ist halt so. Dem Unausweichlichen kann ich nicht entgehen, aber das altbekannte Grinsen ist noch da. Darauf erst mal ein Øl mit meinem dänischen Buddy Daniel Hoffe – diese dänische Naturgewalt, der Mick Jagger der dänischen Comedy, trägt maßgeblich zum dritten Platz der Dänen im Ranking der Körpergröße in Europa bei. Skål på Danmark!
Daniel Hoffe (@danielhoffe) – dänische Naturgewalt und klarer Fall von guter Typ
Oberhausen, November 2006
Aufwachen, mein Jung. Es ist keine Fußball-WM mehr. Keine Gauchos an der Abfahrt Gelsenkirchen-Buer, keine Alphornbläser an der B1, keine Sambatrommeln mehr am Dortmunder Kreuz, keine Wikinger mehr auf der A1. WM im eigenen Land, war das ein Spektakel. Die Welt zu Gast bei Ballautisten, hätte man zumindest vorher gedacht. Was waren die Diskussionen im Vorfeld doch eloquent. Die Abwehr ist nun mal unsere Achillesferse, gut Mittelfeld und Angriff auch. Und spannend war es. Der Ball wurde blind nach vorne gekickt. Die Kamera suchte erst mal wie wild den Ball. Dann die Frage: Steht da überhaupt jemand – und wenn ja, wie hölzern bis hüftsteif wird er den Ball unter Kontrolle bringen? Nein, nein, unsere ungraziösen elf Balltreter haben es allen gezeigt. Eine WM der Gefühle. Das Schönste daran war, dass sich diese Gefühle auf eine lockere, ungetrübte, fröhliche Art zeigten, die Fanmeile zum Wahrzeichen für Lebensfreude wurde. Ein Land färbte sich plötzlich schwarz-rot-gold, wie ein stolzer Pfau vor einem weltweiten Publikum präsentiert, angestrengte Patriotismusdebatten fanden, wenn überhaupt, nur noch in den Feuilletons statt. Auf der Straße und in den Stadien ist die verdruckste Scham im Umgang mit nationalen Symbolen offenbar einem unverkrampften Verhältnis gewichen. Dazu Grillgeruch, der überall wabert, Deutschland präsentiert sich unverkrampft und cool, fast hätte es zur ganz großen Heldentat gereicht.
Apropos Heldentat: Es ist der 1. November 2006, auf geht’s Richtung Norden. Mein Roadster ist präpariert auf Winter und vollgestopft bis unters Dach. Die 5-kg-Hanteln (wer wird schon gleich nach den Sternen greifen) dabei fachmännisch auf dem DVD-Recorder platziert.
Nun war es so weit. Meine Eltern winkten wie die Marshaller auf dem Vorfeld, als müssten sie den neuen Airbus A380 am Düsseldorfer Flughafen in die endgültige Parkposition einweisen. Ich starrte auf einen Zettel, klebend an meiner Mittelkonsole, beschriftet mit dem isländischen Sprichwort: »Nur dumme Kinder bleiben zu Hause.« Peu à peu servierte ich mir gedanklich alle Lebensweisheiten, die mir seit meinem Dänemark-Entschluss in meinem systemischen Umfeld feingeistig entgegengebracht wurden.
»Wer niemals losfliegt, wird nirgends landen«, »Will man zu neuen Ufern, muss man den Hafen verlassen«, »Die größte Sehenswürdigkeit ist die Welt, sieh sie dir an«. Oder um es gleich mit den Worten des berühmten dänischen Märchenerzählers H. C. Andersen zu sagen: »Meine Erziehungsschule ist das Leben und die Welt – ich muss reisen.«
Meine Innovationstour konnte beginnen, meine sechsmonatige Entdeckungsreise, auf nach Dänemark in das urbane Schaufenster Skandinaviens. Zu diesen Design-Dänen, diesen erstaunlichen Glückspilzen. Dafür, dass die Dänen gleich nebenan leben, wissen wir von ihnen eigentlich ziemlich wenig, außer dass sie laut World Happiness Report gefühlt die letzten 20 Jahre hintereinander zum glücklichsten Volk der Erde gekürt wurden. Zugeschrieben wird dieses Lebensglück der international bekannten Hygge, mit Sicherheit eine perfide Erfindung der dänischen Tourismusindustrie.
Ich habe dieses Land schon immer geliebt. Das fing bereits 1990 an, als ich mich als damals 13-Jähriger in die 14-jährige Pernille aus Herning verliebte (Camping-Romantik machts möglich). Dänemark war schon immer wie Seife für meine Seele – die Abgründe der dänischen Sprache mal ausgeklammert.
Meine Auswanderung auf Zeit steht bevor und ich bezeichne meinen Aufenthalt nicht nur als Triathlon aus »Feiern, Schlafen und Fastfood«, nein, ich möchte lernen, meinen Horizont zu erweitern, möchte die sozialen sowie gesellschaftlichen Strukturen Dänemarks kennenlernen.
Gestern Abend beim Abschiedsessen mit der Verwandtschaft erwähnte ich noch pflichtbewusst, dass ich einerseits das dänische Leben kennenlernen, andererseits aber auch das universitäre System in Skandinavien erleben möchte. Ein Leben, das wahrscheinlich um einiges aufregender und spannender ist als das Leben daheim. Alle Verpflichtungen und Rollen, die ich normalerweise in meinem Leben habe, bleiben daheim. Solche Abenteuer fordern Eigeninitiative, es bildet, führt uns an neue Orte, zu anderen Menschen. Vieles ist neu, manches anders, alles interessant.
Klammheimlich denke ich dabei an Tequila-Shots aus Bauchnabeln und durchtanzte Nächte – ein prototypisches Partysemester eben. Das Zelebrieren der »besten Zeit des Lebens«, der »Keiner kennt mich!« – Mentalität. Fernweh, Spontanität, Abenteuer – der ganze Spirit ungezügelter Freiheit lief als Film vor meinem geistigen Auge ab. Ich sehe es als echtes Privileg, eine Zeit lang ohne Probleme in einem fremden Land leben zu dürfen, das Leben vor Ort richtig authentisch kennenzulernen und jede Facette der Stadt abseits der Touristenorte zu erleben. Fremde Länder bereisen kann man sein gesamtes Leben, aber tatsächlich im Ausland wohnen, diese Möglichkeit bietet sich vielleicht nie wieder. Mein tollkühner Plan: So gut es geht die Sprache lernen, internationale Bekanntschaften knüpfen und ein bisschen Globetrotter-Lifestyle leben – und jede Menge Bock im Handgepäck. Irgendwann im Leben beginnen die ewigen Wiederholungen, und aus früheren Highlights werden allmählich funzelige Gewöhnlichkeiten. Es war Zeit für die Highlights. Ich bin der Kapitän meiner eigenen Reise. Der Reise nach Dänemark. Mein Land! Auf nach Odense, um das Meer, die Menschen, die dänische Kultur zu genießen und unentdeckten Spaßwelten zu begegnen.
Nach einigen Minuten Fahrt hatte ich Oberhausen, die Blume des Reviers, in diesem eigentlich nichtsnutzigen Monat November (es sei denn, man hat ein Faible für Orkantiefs und Grippewellen) auf der A2 Richtung Norden verlassen. Ich passierte ein Museum für Baustellenbedarf nach dem anderen. Lässig und voller Ignoranz für neugierige Blicke erreichte ich wie geplant nach knapp sechs Stunden kultivierten Fahrstils die deutsch-dänische Grenze. Zielsicher zog ich meinen neuen Personalausweis hervor, um ihn stolz dem dänischen Zollbeamten unter die Nase zu halten. Er schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an, als hätte er sich soeben einen siebenfachen Espresso direkt in die Augen geschüttet. Möglicherweise irritierte ihn der im November bis unters Dach vollgestopfte schönste Roadster der Welt, möglicherweise gehören hervorstehende Augen zu den Symptomen seiner Arbeit. Vergleichbar mit einem Reh, kurz bevor der 30-Tonner drüber rauscht. Vielleicht verwirrte ihn auch mein Anflug von Oberlippenbart, dieser erscheint mir selbst oft wie eine postpubertäre Auflehnung. Oder roch er meinen Restalkoholpegel des französischen Weinberges, den wir gestern pflichtbewusst noch weggenippt hatten? Wie der Stadtteilfürst hielt ich ein kurzes vertrautes Pläuschchen, schilderte mein Anliegen, mit der Bitte, passieren zu dürfen. Der pummelige Grenzbeamte brabbelte irgendwas mit einem unverwechselbar-sympathisch-melancholisch dänischen Akzent. Ich gab dem Uniformierten großzügig die Möglichkeit, noch mal zu zeigen, was er auf der Polizeischule gelernt hatte. Allein seine Erscheinung, sein Auftreten – welch eine Performance! Prädikat: sehenswert. Eine unvergessliche Perle der Mittagsunterhaltung. Andächtig schaute ich ihm zu, wie er mich ungelenk in sein kleines Königreich durchwinkte. Dieser Dokumentenprüfer – ein Juwel im Morast der November-Langeweile. Mit den kulturellen Unterschieden ist das so eine Sache: Nur weil ein Land gleich um die Ecke liegt, heißt das noch lange nicht, dass man es auch wirklich kennt.
Nun war es also so weit, dänischer Boden unter meinem Z3. Und es ist wie immer, wenn ich diese Stelle passiere. Ich fühle mich von jetzt auf gleich unheimlich entspannt und relaxed, nichts könnte mich in dem Moment aus der Ruhe bringen. Als wäre ich in eine andere Welt eingetaucht, von Hektik keine Spur. Der Himmel empfängt mich in einem Blau, wie es allenfalls Verliebte in den Augen ihrer Angebeteten erblicken. Selbst an die Geschwindigkeitsbegrenzung, max. 130 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen, hat man sich schnell gewöhnt. Aber bei Geldbußen, angefangen bei ca. 150 Euro bei geringen Geschwindigkeitsüberschreitungen, sollte man sich besser daran halten. Ich erblicke das erste Werbeplakat für einen Hot Dog, was mich nur daran erinnert, dass ich von nun an ein halbes Jahr auf Currywurst verzichten muss.
Kurze Zeit später liegt sie vor mir, die Lillebæltsbroen (Kleine-Belt-Brücke), die Jütland und die Insel Fünen verbindet. Best of Hygge? Ab aufs drittgrößte Eiland Dänemarks! Zwischen Kleinem und Großen Belt begeistern vor allem Dünen, märchenhafte Schlösser, hübsche Hafenstädtchen, Reetdachhäuser und ganz viel Natur. Fünen wirkt wie ein best of Dänemark und strömt Gemütlichkeit pur aus. Die Insel hat sich ihre ländliche Idylle bewahrt und gehört zu den eher unbekannten Regionen Dänemarks. Dabei lebt jeder zehnte Däne auf dieser Ostseeinsel. Eines von Fünens Wahrzeichen ist aus Beton und Stahl und liegt auf der Ostseite der Insel, die Storbæltsbroen (Große-Belt-Brücke), die viertlängste Hängebrücke der Welt, eine 18 Kilometer lange Überquerung der Meerenge zwischen Fünen und Seeland. 254 Meter hoch sind die zwei Pylone, gleichzeitig auch der höchste Punkt in Dänemark. 1998 eingeweiht, soll die Brücke mindestens 100 Jahre halten. Bis zu 36000 PKWs überqueren die Brücke täglich. Fünen liegt somit märchenhaft eingerahmt von den Meerengen Kleiner und Großer Belt. Die Lage, umgeben vom Meer, fördert ein besonders mildes Klima mit höheren Temperaturen und wenig Frost. Folge: Mittlerweile wird im Osten der Insel sogar Weißwein angebaut.
Tief atmend genieße ich die Aussicht. Einige stumme »Wow« später erreiche ich Fünen, den Garten Dänemarks, so sagen die Dänen selbst. Es ist eine sehr harmonische Landschaft. Seen liegen zwischen Eichen- und Buchenwäldern, dazwischen erstrecken sich hügelige weite Felder, liegen kleine und sehr saubere Dörfer, großartige adelige Landsitze und an der Küste, so weiß ich es von meinem Kurzbesuch im Sommer, viele verträumte Fischerdörfer. Inmitten dieser Perle in der Ostsee liegt mein Zuhause für die nächsten sechs Monate: die »Märchenstadt« Odense. Skandinavien wie aus dem Bilderbuch, wie gemalt. Und auch dort, wo man mal Industrie zu sehen bekommt, hat man nicht das Gefühl, dass es hässlich wirkt. Eigentlich ein Widerspruch in sich; aber die Dänen verstehen es, ihre Fabriken so zu bauen, dass man meint, sie seien dort gewachsen.
Die Natur zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Sonnenstrahlen fallen auf die Blätter, die sich bereits an den Spitzen in ein äußerst fotogenes herbstliches Gelb verfärbt haben. Rotgold funkeln die Wälder, die Blätter der Bäume breiten sich zu einem riesigen Teppich aus. Es fängt langsam an zu dämmern, Besinnlichkeit und Ruhe finden ihren Platz. Die Tage werden kürzer, die Menschen rücken ein wenig näher zusammen. Ich bin gespannt auf die Vorweihnachtszeit und den dänischen Alltag im Winter. Neue Menschen, neue Kultur, neue Eindrücke. Wie oft habe ich mir ausgemalt, wie es sein könnte. Vorteil: Wenn du im Ruhrgebiet klarkommst, dann hast du auf der ganzen Welt keine Probleme. Nächster Halt: Abenteuer!
PS: Viel hatte ich im Vorfeld über den dänischen Kaffeekonsum gelesen, der zu den höchsten in ganz Europa zählen soll. Bricht man den Kaffeekonsum der Dänen auf einen normalen Tag herunter, landet man bei durchschnittlich mindestens 4 Tassen pro Tag. Die Kaffeepause ist in Dänemark ein Heiligtum, die Affinität für das schwarze Gold extrem hoch. Neben dem Abendkaffee ist auch der Nachtkaffee in Dänemark durchaus populär, kurioserweise nehmen viele Senioren gerne ein Käffchen vor dem Schlafengehen. Zu einer Tasse Kaffee sagt man hier also nicht Nein, man trinkt sie aus. Die nordische Kaffeeliebe macht sich insofern bemerkbar, als bei Dänen vor lauter Vorfreude die Augen leuchten und bei Kaffeeduft die Nasenflügel wie bei einem Spürhund zu zittern anfangen. Dabei gilt zu beachten: Entkoffeinierter Kaffee? Nein danke! Entkoffeinierter Kaffee reicht einfach nicht aus, wenn man Extra-Power braucht, um sich durch den nächsten Regen oder die nächste Windböe zu kämpfen. Der Anteil von entkoffeiniertem Kaffee liegt in Dänemark bei unter 0,5%. Um mich im Vorfeld an den Kaffeekonsum der Wikinger zu gewöhnen, trug ich täglich eine 1-Liter-Thermoskanne am Mann. Mein Körper besteht nun mittlerweile aus 46% Kaffee. Ich fühle mich gut vorbereitet.
»Hallo, Tim! Hörst du mich?«, fragte Sussi mit ihrem unverwechselbaren Charme mit dänischem Sound.
»Wenn ›Hallo, Tim! Hörst du mich?‹ bislang alles war, ja.«
»Nicht wundern, ich habe keine neuen Stimmbänder, arbeite auch nicht verdeckt. Bin nur ein wenig erkältet. Wie lange brauchst du noch?«
»Befinde mich 5 Kilometer vor Odense, bin in zehn Minuten vor Ort!«, säuselte ich hocherfreut.
Nach siebeneinhalb Stunden erreichte ich meinen neuen Heimathafen. Zielsicher steuerte ich die Skt. Jørgens Gade 33 B1 an, wo mich Sussi bereits mit ihrem Freund Steen breit grinsend in Empfang nahm. Es lag hoffentlich nicht an meiner federleichten Daunenjacke, in der ich aussah wie eine laufende Luftmatratze.
Genauso wie Nova bin auch ich ein absolutes Dünen-Kind. Seit meiner frühesten Kindheit führte mich mein Weg in den Sommerferien an die dänische, jütländische Westküste, nach Hvide Sande. Damals unter Observation der Eltern, später in bester Behütetheit meines umgebauten Wohnmobils, ein alter VW LT74 mit Alkoven. Auch ich mochte es schon immer nordisch rau. Auf dem legendären Nordsø Camping, direkt zwischen Nordsee und Ringkøbing Fjord gelegen, lebten wir Jahr für Jahr unseren Camping-Traumurlaub. Im Jahr 1998 traf ich auf diesem Camping-Glück die damals 24-jährige Dänin Sussi, die sich für die Animation auf Nordsø Camping verantwortlich zeigte und an Herzlichkeit und zuvorkommendem Auftreten kaum zu überbieten war.
Aus dieser Leidenschaft für Land und Leute reifte in mir der Wunsch heran, einmal für ein Auslandssemester in Dänemark zu verweilen. Auch im Hochsommer 2006 war dieses Thema Usus unter uns verrückten Dänemark-Freunden. Entschlossen sagte ich zu (diese Entschlossenheit und Beherztheit kann an dem Wein gelegen haben, nur mit der guten Luft möchte ich das nicht erklären), meine Zelte ab dem kommenden Wintersemester für sechs Monate in Sussis Heimatstadt Odense aufzuschlagen und mich an der dortigen Universität zu immatrikulieren.
Zu diesem Zeitpunkt konnte ich allerdings noch nicht ahnen, dass meine Euphorie aufgrund deutscher Bürokratie einen herben Dämpfer erleiden sollte. Aber der Reihe nach: Das Zauberwort für ein Auslandssemester lautet Erasmus, das weltweit größte internationale Stipendienprogramm. Erasmus ist ein Förderprogramm der Europäischen Union für Studierende, die ein Auslandssemester in einem der 34 angebotenen Länder absolvieren möchten. Ich beginne das vollkommene Erasmus-Erlebnis. Du wirst nicht nur bei der Vorbereitung und Planung unterstützt, das Erasmus-Stipendium leistet auch finanzielle Unterstützung hinsichtlich Reise- und Aufenthaltskosten. Je nach Gastland erhält man zwischen 250 und 400 Euro im Monat. Ich entschied mich für Odense, Sussis Wohnort, mit der dort ansässigen Syddansk Universität, kurz SDU genannt. Das äquivalente dänische Diplomprogramm der Sozialarbeit wurde an der SDU ebenfalls angeboten. Dank Sussi hatte ich mich bereits im Vorfeld an das International Office der SDU sowie den dort zuständigen Koordinator Viggo Madsen gewandt. Viggo (in Sachen Rhetorik Halter des Schwarzen Gürtels, mindestens aber des 7. Dan) tat wirklich alles, um mir einen angenehmen Start in Odense zu ermöglichen. Er legte mir die Begrüßungsveranstaltung Anfang September ans Herz mit vielen Infos sowie die »Willkommens-Feier« mit dem Rektor, Schnittchen und Freibier. Bin dabei! Zudem lässt es sich Odense nicht nehmen und lädt alle Austauschstudenten zu einem Empfang im Rathaus mit dem Bürgermeister ein, Schnittchen und Freibier. Nehm ich mit! Darüber hinaus erhalten alle Exchange Students die ersten Wochen freien Eintritt im Retro, Odenses beliebtester Nachtclub. Zwar weder mit Bürgermeister noch Schnittchen, aber mit Bier! Ist notiert!
Im Zuge der Bewerbung an der SDU muss man sich noch separat beim Accomodation Office für einen Wohnplatz bewerben. Es gibt die Wohnheime Birkeparken sowie Rasmus Rask Kollegiet, hier bekommt man von der SDU garantiert eine Wohnung zugewiesen. Wo genau man landet, ist Glückssache. Man kann den Vorschlag auch ablehnen und auf einen zweiten hoffen, jedoch wird dabei keine Unterkunft mehr garantiert. Die Zimmer in den Wohnheimen sind in der Regel ca. 15 Quadratmeter groß, Küche und Bad muss man sich mit ca. 12 anderen Studenten teilen. Ich sah mich schon mit vier Spanierinnen (Muy bien), vier Französinnen (Oh là là) sowie vier Italienerinnen (Sì, Sì, Sì) – interkulturelle Verständigung irgendwo zwischen Sangria, Champagner, Aperol Spritz und Bier, ganz im Sinne von Erasmus. Weiterer Vorteil des »Welcome Day« bzw. der offiziellen Opening Ceremony samt Intro-Week Anfang September: Bei diesen Orientierungstagen werden auch alle praktischen Fragen geklärt, wie Registrierung in Dänemark, CPR-Nummer (wenn man länger als 3 Monate bleibt, muss man eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen und erhält eine CPR-Nummer), Krankenversicherung etc. Bei der Erledigung der behördlichen Formalitäten ist die SDU ebenfalls sehr zuvorkommend.
Durch meine Vorbereitungen sah ich die Zusage für ein Erasmus-gefördertes Auslandssemester in Dänemark an meiner Universität, Campus Essen, als reine Formsache an (wie naiv kann man sein).
Durch das Akademische Auslandsamt meiner Heimuniversität musste ich allerdings erfahren, dass leider kein Austauschprogramm für den Studiengang Sozialarbeit zwischen den Universitäten Essen und Odense bestünde. Die Antwort meines Ansprechpartners Viggo Madsen in der Universitätsverwaltung Odense war eindeutig: »Wo ist das Problem? Entwerfen wir ein Austauschprogramm bzw. einen Kooperationsvertrag!« Unkompliziert dänisch halt. Von dieser in meinen Augen hervorragenden Idee war man dagegen in Essen weniger angetan. Es wäre nicht möglich, für nur einen einzelnen Studenten einen Vertrag aufzusetzen, erklärte man mir gequält höflich, aber unmissverständlich. Der Mitarbeiter des Akademischen Auslandamts, in seinem schicken International Office, war dabei, den kastrierten Pitbull zu geben. Man muss ihm das nachsehen, gedanklich beschäftigte er sich bereits mit Seminaren zum Thema Ruhestand. Es hätte ja nicht gleich ein Hochbegabten-Stipendium sein müssen, aber so gar nichts Offizielles? Da war er nun, mein Traum, geplatzt wie eine Seifenblase. Keine offizielle Bestätigung des Auslandssemesters, keine Unterkunft, keine finanzielle Unterstützung, keine keimfreie dänische Ostseeluft, keine Anerkennung der absolvierten Studienleistungen nach der Rückkehr. Das war meine ganz persönliche Verstörungstheorie (kurzer Sprung in die Gegenwart: Den Begriff der Verschwörungstheorie gab es im Jahr 2006 noch nicht). Das Leben ist kein Ponyhof, das war der Satz, den ich gedanklich vor mir herschob.
Zumindest bis zu meinem Telefonat mit Sussi kurze Zeit später. Sussi unterbreitete mir mit ihrem weichen dänischen Zungenschlag spontan den Vorschlag, doch als freier EU-Bürger nach Odense zu kommen. Sie würde mir ihr Appartement für sechs Monate zur Verfügung stellen und für diesen Zeitraum zu ihrem Freund Steen ziehen, darüber hinaus organisiert sie mir einen offiziellen Praktikumsplatz an der Schule, wo sie als Sozialarbeiterin tätig ist. Auch ohne die gütige Mithilfe von rotem Traubensaft und keimfreier dänischer Frischluft sagte ich entschlossen zu. Eine andere Entscheidung hätte mein Gewissen auch nicht zugelassen. Ich hätte es mir zumindest nie verziehen. Verrat am Leben. Verrat am Sein.
Ohne Erasmus-Stipendium machte es keinen Sinn, das Studium künstlich in die Länge zu ziehen. Ende September reichte ich meine Diplomarbeit ein, durfte mich somit Diplom-Sozialarbeiter nennen und stand nun vor den hoffentlich aufregendsten Monaten meines Lebens. Das sogenannte Buddy Programm Anfang September mit Semesterbeginn ließ ich mir dennoch nicht entgehen (es gab schließlich wieder viel Schnittchen und Freibier). Aber wer braucht schon ein Buddy Programm oder ESN Odense (Erasmus Student Network), wenn man mit Sussi seinen persönlichen Odense Buddy und Wegweiser hat. Und dann doch lieber das komfortable Appartement in der City als ein Zimmer im eher weniger schönen Wohnblock Birkeparken. Nur um die Formalitäten wie Registrierung und Beantragung der CPR-Nummer musste ich mich selbst kümmern, was ich auch ohne Hochbegabten-Stipendium für machbar hielt. Pflichtbewusst hatte ich mich mit unzähligen Reiselektüren zum kleinen Königreich eingedeckt, der Personalausweis war verlängert, der Handyvertrag auf Traveller Tarif umgeschaltet, mein Roadster mit Winterreifen präpariert und die Hausapotheke auf Vordermann gebracht. Auch ohne Erasmus war ich bereit für die Hygge-beseelten Dänen.
Das Wetter dagegen in Odense begrüßte mich weniger galant. 3 °C, Nieselregen, Windböen. Gefühlt auf der Haut: arschkalt. Ich erlebe die extreme Wechselhaftigkeit des dänischen Wetters innerhalb von zwei Stunden, sonnige Phasen wechselten sich in kurzem Rhythmus mit Regenschauern ab. Ich nahm es gequält locker, so wollte ich mich bei den beiden vor mir stehenden Wikingern nicht gleich als typischer Deutscher outen und über das Wetter meckern.
Steen, typischer dänischer Vertreter des sonnigen Gemüts, 40 Jahre jung, drei Kinder aus erster Ehe und Sussis derzeitiger Lebensabschnittspartner, packte gleich gekonnt und leichtfüßig mit an, sodass in wenigen Minuten meine sprichwörtlich sieben Sachen relativ trocken im ersten Obergeschoss ankamen. Typisch dänisch wurde ich empfangen. Zu der schummernden Wohnzimmerlampe von Louis Poulsen sagten sich fünf tanzende Kerzen Guten Abend, der frisch aufgekochte Kamillentee rundete die gemütliche Atmosphäre ab.
Nachdem sich Steen an meinem Schaumstoffball ziemlich schnell als fußballerischer Neandertaler entpuppte, teilte Sussi mir gleich kernig mein Entertain-Programm der nächsten Tage mit. Zwei Tage hatte ich zum Eingewöhnen, vom 3.–5. November folgt ein Abstecher in ein Ferienhaus auf Langeland, Sussis 33. Geburtstag feiern. Am 6. wird der Geburtstag mit ihren Eltern nachgeholt, ein Tisch beim feinsten Italiener der Stadt ist reserviert. Anschließend folgt am 14. mein erster Auftritt in der Kost- og Realskole in Ringe, meinem Praktikumsplatz für die nächsten sechs Monate (Sussi machte sich wirklich gut als meine Agentin). Dies alles wurde mir von beiden in einem sehr feinen Deutsch übermittelt. Dänen scheinen diesbezüglich wahre Sprachgenies zu sein. Englisch? Klar, spricht jeder. Deutsch? In den Touristenhochburgen spricht es fast jeder, aber auch in den ländlicheren Gebieten wird es sehr oft von Jung und Alt beherrscht. Dies liegt u. a. darin begründet, dass dem Dänen von klein auf eingetrichtert wird, mit ihrer Muttersprache, die gerade mal von knapp 5,8 Millionen Erdenbewohnern beherrscht wird, nicht weit zu kommen. Da der Däne an sich sehr reise- und abenteuerlustig ist, ist er auf das Erlernen anderer Sprachen nun mal angewiesen.
Nach der Schlüsselübergabe und der Einweisung in die dänischen Wohngeheimnisse verabschiedeten sich beide ins ca. 20 Kilometer entfernte Ringe, Steens Wohnort. Sussi und Steen haben sich in Ringe, an der dortigen Kost- og Realskole kennengelernt – Sussi als Sozialarbeiterin, Steen als Lehrer. Steen bewohnt mit seinen drei Kindern ein schickes Haus direkt neben dem Internat, das von der Schule zur Verfügung gestellt wurde. Sussi hat sich kurzerhand für das nächste halbe Jahr dort einquartiert. Los Problemos? Weder für Steen noch für Sussi und für mich schon mal gar nicht.
Meine erste Amtshandlung, Sussi möge es mir verzeihen, ich entsorgte mit wenig schlechtem Gewissen den Kamillentee, der mich an frühere Jugendherbergsaufenthalte erinnerte. Der Stimmung entsprechend gönnte ich mir einen spanischen Ribera del Duero, einen schweren, geschmacksintensiven, vollmundigen Rotwein. Die Sterne, die mich von einem mittlerweile wieder wolkenlosen Himmel anlächelten, genoss ich von meiner Sonnenterrasse. Ein Traum von einer Studentenwohnung. Denn gerade als Student wird man sich diese vier Wände wohl kaum leisten können. Von der Ausstattung zwar recht funktional, aber absolute Toplage, schön ruhig gelegen und nur 500 Meter bis in die City. Die monatliche Kaltmiete für dieses Stadtpalais lag bei 800 Euro, nicht gerade günstig für knapp 60 qm Wohnfläche. Diese Suite konnte ich mir im Grunde auch nur leisten, da sich Sussi bereit erklärte, den monatlichen Kostenaufwand freundschaftlich zu teilen. Das hieß für mich wiederum: Traumappartement mitten in der City für erschwingliche 400 Euro monatlich. So erklärte ich mich dazu bereit, diese Wohnung kommissarisch für das nächste halbe Jahr zu übernehmen. So langsam erfassten die kalten Schatten der Nacht mein Domizil. Von oben schaute der »Große Wagen« auf mein momentan sonderbares Leben.
Am nächsten Morgen hatte sich jeder einzelne Grashalm mit Kristallen geschmückt, der Winter hat seine Visitenkarte eindrucksvoll abgelegt. Ich weiß gar nicht, warum die Fernsehmacher für Dokumentationen wie »Jenseits der Wärme« immer bis ins tiefste Sibirien aufbrechen. Das kommt dem hier schon sehr nahe. Sussi verkündete mir am Vorabend relaxed fröhlich, dass die gefühlte Temperatur, dank des in Dänemark fast immer arbeitenden Windes, heute –5 °C beträgt. Der gefürchtete dänische Windchill-Effekt. Sie sollte recht behalten! Schon nach wenigen Sekunden auf meiner Sonnenterrasse stellte ich auf Schnappatmung um. Mit leicht zusammengezogenen Gesichtszügen balancierte ich rückwärts wieder in meinen mollig warmen Partykeller, mein Parkett der guten Laune.
Skt. Jørgens Gade 33 B1
60 qm Hochgemütlichkeitstrakt
Nachdem ich mindestens alles einmal angefasst hatte, ging ich erst mal meiner protokollarischen Pflicht nach: Flaggenparade. Da ich mich die nächsten Monate auch als guter Gast präsentieren wollte, dekorierte ich in der Wohnung erst mal zwanglos einige Danebrogs, die dänische Nationalflagge. Hinsichtlich dieser ästhetischen Neu-Dekoration sollte ich bei jedem dänischen Gast schon mal gewonnen haben. In Dänemark gehört es nun mal zur patriotischen Pflicht, den Danebrog (Dännebro gesprochen) zu hissen. Dieses kleine Rechteck mit weißem Kreuz auf rotem Grund sieht man hier einfach überall. Gehisst vor vielen Häusern, in Fenstern hängend, benutzt als Dekoration bei allen feierlichen Anlässen. Der Danebrog hat eine lange Tradition, ist allgegenwärtig im dänischen Alltag. Der Patriotismus ist hier von absolut freundlicher Art. Die Dänen sind einfach davon überzeugt, selbst im schönsten Land der Welt zu wohnen, versuchen aber nicht, andere davon gewaltsam zu überzeugen. Keine Spur hier von einer Patriotismus-Debatte, die bei uns vor und nach der fröhlichen Fußball-WM erregt und breit debattiert wurde.
Der Danebrog
Der Danebrog, der Name der dänischen Nationalflagge, bedeutet so viel wie »dänisches Tuch« (vom altdänischen brog – »Stück, Tuch«). Der Legende nach fiel der Danebrog während der Schlacht bei Lyndaniz in Estland am 15. Juni 1219 vom Himmel. Sie soll dem damaligen Dänenkönig Waldemar II. in einem aussichtslosen Kampf noch zum Sieg verholfen haben.
Wahrscheinlicher ist aber die Version, dass die Flagge auf die Wikinger zurückzuführen ist, die ein rotes Tuch mit dem Namen Danebrog hissten.
Nachweisliche Verwendung fand die Flagge im 14. Jahrhundert unter der Herrschaft von Waldemar IV. Die rote Farbe war im Mittelalter ein Symbol für Reichtum, die weiße Farbe symbolisiert das Christentum. Der Danebrog gilt somit als eine der ältesten Nationalflaggen der Welt, wahrscheinlich sogar als die älteste, und blieb seit ihrer Einführung unverändert.
Der Danebrog wurde 1854 zur dänischen Staatsflagge erklärt. Dänemark führte als Erster die typisch skandinavische Kreuzflagge ein. Dieses skandinavische Kreuz ist die grundlegende Gemeinsamkeit der skandinavischen Flaggen. Auf den anderen skandinavischen Flaggen wurde das »Kreuz des Nordens« dann eingeführt, um den Zusammenhalt der nordischen Völkerfamilie zu symbolisieren.
Offizielle Beflaggungstage in Dänemark sind alle Geburtstage der königlichen Familie, alle kirchlichen Feiertage sowie die nationalen Gedenktage 9. April, Besetzung Dänemarks 1940 (bis 12 Uhr auf Halbmast, anschließend zwei Minuten Schweigepause, dann auf Vollmast), der 5. Mai, Dänemarks Befreiung 1945, der 5. Juni, Verfassungstag (Tag des Grundgesetzes) sowie der 15. Juni, der sogenannte Waldesmarstag, im Gedenken an den Danebrog (1219) und die Wiedervereinigung mit Südjütland (1920).
Und auch sonst hissen die Dänen ihren Danebrog zu jeder Gelegenheit, egal ob vorm Haus (ich habe noch nie ein Land mit so einer Fahnenmastdichte gesehen), dem Ferienhaus oder auch im Schrebergarten. Die Dänen sind verrückt nach ihrer Nationalflagge. Zu allen festlichen familiären Anlässen wird mit dem Danebrog geschmückt, egal ob Geburtstag, Hochzeiten oder Jubiläen. Der Weihnachtsbaum ist genauso mit kleinen Fähnchen geschmückt wie der Geburtstagskuchen mit Papierfähnchen, die Hauseingänge oder Lebensmittelpackungen.
Der Danebrog ist allgegenwärtig
Selbst im Todesfall weht der Danebrog, dann allerdings aus Respekt vor dem Toten nur auf Halbmast. In Dänemark dürfen nur der Danebrog selbst bzw. die Nationalfahnen der anderen skandinavischen Länder gehisst werden. Die Flagge darf nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang (allerdings nie vor 8 Uhr und nie nach 20 Uhr) am Mast hängen und soll beim Abnehmen nicht den Boden berühren (wer auch nachts flaggen will, der muss diese beleuchten. Dänische Wimpel dürfen hingegen 24/7 am Mast hängen). Ausrangierte, ausgefranste Danebrogs dürfen nicht einfach in den Müll geworfen werden, sondern werden als Zeichen des Respekts verbrannt. Wer hier noch mehr ins Detail gehen möchte: Es gibt eine 64 Seiten lange Anleitung über den Flaggengebrauch in Dänemark. Sie merken: Flaggen sind in Dänemark eine durchaus staatstragende Angelegenheit. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Nationalfarben für ein unverkrampftes Dänisch-Sein stehen. Die Dänen identifizieren sich sehr stark mit ihrer Nationalflagge. Die Bedeutung der rot-weißen Farben des Danebrogs ist unpolitisch, locker und lässig. Es ist die einfache Konzentration auf die eigene Nationalität. Dänen sind einfach stolz auf ihre Fahne, ihre Hauptstadt Kopenhagen, auf ihre parlamentarische Monarchie als Staatsform sowie auf ihr Staatsoberhaupt, Königin Margrethe II.
Fertig geflaggt blicke ich nicht ganz ohne Stolz auf meinen 60-qm-Hochgemütlichkeitstrakt, hier blubbert die berühmte dänische Hygge leise vor sich hin. Gemütlichkeit hin oder her, Bewegung tut not, dachte ich mir (neuer Großangriff auf die Komfortzone). Meinen Gefühlen ambivalent gegenüberstehend, zwang ich mich in meine Joggingpeitsche und ohne zeitliche Zwänge und nur den Launen des Wettergottes unterworfen, ging es los auf kleine Odense-Entdeckungstour, direkt am Stadtwäldchen entlang, der grünen Lunge Odenses. Während meiner ersten Joggingreise über flaches dänisches Land (laut Sussi kann man stehend auf einer Bierkiste Fünen komplett überblicken), schwankte ich zwischen breiter Polarforscherbrust und Erfrierungsgefühlen an den Fingern. Der Wind kann hier immer frei und flach übers Land wehen. Aber seit der vierten Klasse, als ich meine Clique überredete, gestoßene Chilischoten ins Pausenbrot von Frau Hecht zu streuen, begreife ich mich schließlich als Macher. Eine Überzeugung, die mit schöner Regelmäßigkeit an den Klippen der Realität zerschellt.
Ich bewege mich so lächerlich langsam vorwärts, dass ich Angst habe, von einer Entenfamilie überholt zu werden. Es liegt mit Sicherheit daran, dass ich mir noch keine hautenge Hose gekauft habe, wie sie jeder professionelle Läufer besitzt. Vor dem nächsten Lauf hat somit der Kauf einer hautengen Hose, passender hautenger Oberbekleidung, High-Tech-Schuhen (mindestens in Neon-Gelb) sowie mindestens eines Stirnbands, einer Pulsuhr sowie einer Sport-Brille Priorität. Damit sollte ich doch mindestens dreimal so schnell vom Fleck kommen wie gewöhnliche Sonntagsläufer. Bevor ich das Fitnessstudio das erste Mal besuche, müssen noch mindestens drei, vier Kilo runter, bevor ich mich da blicken lasse. Sonst denkt am Ende noch irgendwer, ich würde ins Fitnessstudio gehen, weil ich es nötig habe.
Nach einigen entspannten Kilometern mit der Motorik eines alten Wallachs wollte ich gerade kehrtmachen, als eine junge blonde Dame an mir vorbeihuschte. Ich gab den Alpha-Rüden, meine Miene ließ Spuren von Lässigkeit erkennen. Mein erster Gedanke: An dieser kapitalen Gazelle musste ich dranbleiben. Erstens erschien mir ihr Tempo durchaus realistisch und zweitens konnte es einfach nicht sein, dass sie schneller war als ich. Dass es doch so sein konnte, erfuhr ich in schmerzhafter Weise knapp drei Minuten später. Entweder ich bin krank oder die ist gedopt, presse ich kaum hörbar hervor. Mein Herz pumpt wie ein hysterischer Blasebalg. Es fühlte sich an, als würde ich durch einen Strohhalm atmen, während ein Pferd auf meiner Brust sitzt. Mein ganzer Körper glühte unter der doch eher schwach durchschimmernden Sonne Odenses. Ich war eindeutig zu hochtourig unterwegs, hätte meine Prachtbeine besser vorab anständig temperiert. Oder ist das schon das schleichende Ende meiner sportlichen Laufbahn? Der beginnende Verfall? Nach diesem Desaster könnte ich meine Laufschuhe sofort verkaufen, bezweifle aber, dass der Markt für verschwitzte Treter Größe 42 gegeben ist.
Tief gedemütigt und nach Luft ringend, stellte ich mich zu Hause unter die heiße Dusche. Hatte ich heiß gesagt? Aus unzähligen Urlauben war mir zwar die Technik des handelsüblichen dänischen Duschsystems bekannt (man dreht an einem Ventil mit einem roten Punkt), mir blieb es aber versagt, das kühle Nass in eine mollig warme Wohlfühloase zu verwandeln. Und schon hatte ich die erste Schwachstelle dieser Wohnung enttarnt. Wo ist das Housekeeping, wenn man es mal braucht? Vom Erscheinungsbild erinnerte meine Haut an eine gerupfte Gans, das unwillkürliche Aufrichten der Körperbehaarung samt Gänsehaut glich einer Raufasertapete. Kurz korrespondierte ich mit Sussi, die mir in ihrem unverwechselbaren Deutsch mit dänischem Akzent erklärte, dass man nur morgens vor 9 Uhr relativ zügig warm duschen könnte, sich anschließend gute 30 Minuten gedulden müsste, bis wieder warmes Wasser an die Armatur geleitet wird (es hätte wohl was mit dem Fassungsvermögen des Boilers zu tun). So langsam dämmerte es mir, warum Sussi die Wohnung so großzügig temporär und aus reinster Nächstenliebe zur Verfügung stellte.
Nachdem ich meine lädierten Füße in fünf Liter mollig warmem abgekochtem Wasser badete (meine Füße nutzen diese Verschnaufpause zur unkontrollierten Umfangserweiterung), hieß es für mich erst mal Tasche packen. Ja, ja, Tasche auspacken war gestern, heute heißt es Tasche packen, denn ab morgen wartet Sussis Geburtstagssause auf mich – ab in die dänische Südsee nach Langeland! Abends rufe ich noch kurz zu Hause an: »Läuft total super für mich, key performance indicators alle on track, perspectives bestens.« Merke: Heute werden deutsche Wörter durch englische ersetzt, weils besser soundet.
Kurz denke ich noch über eine Agentur nach, die sich darauf spezialisiert, vielbeschäftigten oder wie in meinem Fall einfach nur faulen Klienten die Mühsal sportlicher Betätigung abzunehmen. Einer, der für mich joggt, der sich auf dem Fahrrad für mich abstrampelt, ein Mietsportler, der für mich Gewichte hebt. Fitte Menschen, die anstelle der zahlenden Kundschaft joggen, radeln oder Gewichte stemmen.
Mich überkommt plötzlich so etwas wie neugierige Entdeckerlust, Abenteuergeist, rastloser Expeditionseifer. Vom Feinstaub des Ruhrgebiets in die keimfreie Luft der dänischen Ostsee – es hätte bedeutend schlimmer kommen können. Ich schmeiße mich in das Abenteuer Leben – es wird schon gut gehen!
Am Morgen des 3. November um 8:30 Uhr in der Früh, quasi mitten in der Nacht, erreichte mich eine SMS meines alten, guten Schulfreundes Felix. Mit wärmenden Worten und nett umschrieben formulierte er: »Lieber Timaaaeeee, endlich findest du deine wahre Identität, viel Glück in deinem neuen Heimathafen. Grüß mir alle dänischen Jecken und genieß jede Sekunde, bis ich selbst beikomme.« Felix, mein Pendant während der Schulzeit, zusammen bastelten wir immerhin das Abitur. Ein absolut skurriler Typ, Meister der feinen Ironie, lebt als Fotograf und selbstständiger Werbefachmann seine innovative, progressive Seite voll aus. Und er brachte es mal wieder auf den Punkt. Ja, und wie ich jede Sekunde genießen werde. Ich war schon ordentlich verschossen in dieses kleine Land. Selbst meine Mutter studierte schon unseren Familienstammbaum, ob nicht doch irgendwann Wikingerblut nordischen Ursprungs dabei war.