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Meine Seele ist schwarz – und sie … sie passt nicht in meine Dunkelheit. Drei Jahre. So lange existiere ich nur noch – ein Schatten meiner selbst, gefangen in einem Anwesen, das einst mein Zuhause war. Schuld und Leere haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin: kalt, bitter, gebrochen. Jeder, der es wagt, mir zu nahe zu kommen, erkennt es irgendwann – und flieht. Jeder. Außer ihr. Olivia Carter sieht mich an, als könnte sie durch die Fassade blicken – als würde sie das erkennen, was ich um jeden Preis verbergen will. Und trotzdem bleibt sie. Sie sollte gehen. Bevor es zu spät ist. Bevor sie herausfindet, was sich wirklich hinter meinen Mauern verbirgt. Denn wenn sie die Wahrheit erfährt, könnte es uns beide zerstören. Doch Olivia stellt Fragen, die besser unbeantwortet blieben. Wühlt in Dingen, die längst begraben gehören. Und je länger sie bleibt, desto mehr gerät mein mühsam gewahrtes Gleichgewicht ins Wanken. Das Schlimmste? Ich will sie. Mit einer Intensität, die mich an den Rand des Wahnsinns treibt. Mit einem Verlangen, das stärker ist als die Warnungen in meinem Kopf. Doch ich weiß: Meine Dunkelheit wird sie verschlingen, wenn sie nicht rechtzeitig flieht. Ein "Broken Hero"-Liebesroman mit düsteren Geheimnissen und der Hoffnung auf Erlösung.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Titelseite
Prolog
1. Olivia
2. Matthew
3. Olivia
4. Matthew
5. Olivia
6. Matthew
7. Olivia
8. Matthew
9. Olivia
10. Matthew
11. Olivia
12. Matthew
13. Olivia
14. Matthew
15. Olivia
16. Matthew
Epilog
Bonuskapitel 1
Bonuskapitel 2
Bonuskapitel 3
Die Dunkelheit ist meine einzige Beständigkeit.
Sie wartet auf mich, wenn ich die Augen öffne, sie begleitet mich durch die endlosen Stunden, und sie ist der einzige Zeuge, wenn ich nachts schreie. Ich verdiene es nicht anders.
Heute Morgen fand ich wieder ihre Haarspange. Unter dem Sessel in der Bibliothek, als hätte das Haus beschlossen, mich zu quälen. Emilys Haarspange. Perlmutt und Silber. Sie trug sie an jenem Tag.
Ich sitze auf dem Boden, lehne meinen Rücken an die kalte Wand und drehe das kleine Stück zwischen meinen Fingern. Meine Hände zittern. Drei Jahre, und es hört nicht auf. Es wird wahrscheinlich nie aufhören.
Draußen vor dem Fenster tobt der Wind. Der Herbst in Maine zeigt seine Stärke. Die Bäume neigen sich, als würden sie vor mir zurückweichen. Selbst die Natur weiß, was ich bin.
Das Glas in meiner anderen Hand ist leer. Zum vierten Mal. Oder zum fünften? Die Flasche Whiskey steht auf dem Boden neben mir, ich habe sie bereits halb geleert. Doch es hilft nichts. Nichts hilft. Aber ich versuche es trotzdem, jeden verfluchten Tag.
James hat angerufen. Er schickt jemand Neuen. Eine weitere Pflegerin, die mich unterstützen soll. Eine weitere arme Seele, die ich vertreiben werde. Die letzte hielt zwei Wochen durch. Die davor keine vier Tage.
Heute kommt diese Carter. Olivia Carter. Ein weiterer Name auf meiner Liste. Eine weitere Person, die ich verletzen werde, weil Verletzen das Einzige ist, was ich noch kann.
Ich werfe die Haarspange gegen die Wand. Das leise Klirren, als sie zu Boden fällt, hallt in meinen Ohren nach wie ein Schrei.
Emily. Immer Emily.
Ich sollte damals mit ihr gestorben sein.
Die Welt wäre ohne mich sicherlich besser dran.
»Du musst verrückt sein.«
Sarah steht mit verschränkten Armen in meiner winzigen Küche und sieht zu, wie ich meine letzten Sachen in einen abgenutzten Koffer packe. Ihr Gesichtsausdruck schwankt zwischen Besorgnis und Unglauben.
»Vielleicht bin ich das«, antworte ich und falte meinen letzten Pullover zusammen. »Aber die Bezahlung ist zu gut, um sie abzulehnen.«
»Es gibt einen Grund, warum sie so viel zahlen, Liv. Niemand bleibt dort.«
Ich zucke mit den Schultern, obwohl mein Magen sich zusammenzieht. Die Gerüchte über Blackwood Estate und seinen Besitzer sind mir nicht entgangen. Der reiche Erbe, der sich nach dem Tod seiner Verlobten vollkommen zurückgezogen hat. Das große, unheimliche Anwesen an der Küste. Die Reihe von Pflegekräften und Assistenten, die gekommen und schnell wieder gegangen sind.
»Ich brauche das Geld, Sarah. Du weißt das.«
Sarahs Blick wird weicher. Sie weiß es. Meine Schulden für die medizinische Versorgung meines Vaters haben mich fast in den Ruin getrieben. Sein Tod vor acht Monaten hat mir nichts hinterlassen außer Rechnungen und Erinnerungen.
»Es sind nur sechs Monate«, füge ich hinzu und versuche, überzeugter zu klingen, als ich mich fühle. »Ich schaffe das.«
»Das sagten die anderen vermutlich auch.«
Ich schließe den Koffer und richte mich auf. Durch das kleine Fenster meiner Mietwohnung kann ich den grauen Himmel über Boston sehen. Ein Sturm zieht auf.
»Ich bin nicht wie die anderen«, sage ich, mehr zu mir selbst als zu Sarah.
Sie seufzt und umarmt mich. »Pass auf dich auf, okay? Und ruf mich an. Jeden Tag.«
»Werde ich.«
Drei Stunden später fahre ich auf einer schmalen Küstenstraße, die sich durch dichte Wälder schlängelt. Der Regen trommelt auf das Dach meines alten Honda, und die Scheibenwischer kämpfen gegen die Regenmassen an. Mein GPS hat vor zwanzig Minuten den Dienst quittiert, aber die Wegbeschreibung ist eindeutig gewesen. Immer der Küstenstraße folgen, bis zum Tor.
Als es schließlich vor mir auftaucht, muss ich scharf bremsen. Zwei massive Steinsäulen ragen zu beiden Seiten auf, gekrönt von steinernen Adlern, deren Augen selbst durch den Regen hindurch zu glühen scheinen. Das Tor selbst ist ein kunstvolles Geflecht aus schwarzem Metall, die verschnörkelten Buchstaben »B« und »E« in der Mitte miteinander verwoben. Blackwood Estate.
Zu meiner Überraschung öffnet sich das Tor lautlos, als ich näher komme. Jemand erwartet mich.
Die Auffahrt windet sich durch einen verwilderten Park. Einst gepflegte Hecken sind zu bizarren Formen ausgewuchert, Statuen lugen wie Geister zwischen überwucherten Rosenbüschen hervor. Und dann, nach einer letzten Kurve, erhebt es sich vor mir: Blackwood Manor.
Ich parke vor dem Haupteingang und bleibe einen Moment sitzen, während meine Hände fest das Lenkrad umklammern. Mein Herz hämmert in meiner Brust. Noch kann ich umdrehen. Zurück nach Boston fahren und mir einen anderen Job suchen.
»Reiß dich zusammen«, murmle ich und greife nach meiner Handtasche. »Du brauchst diesen Job.«
Ich steige aus und renne durch den Regen zur überdachten Eingangstreppe. Die massive Holztür ist mit kunstvollen Schnitzereien verziert – Waldszenen, in denen sich bei genauerem Hinsehen Gesichter zwischen den Bäumen verbergen. Ich hebe den schweren Messingklopfer in Form eines Löwenkopfes und lasse ihn fallen.
Der Klang hallt durch das Haus wie ein Donnerschlag.
Die Tür öffnet sich so plötzlich, dass ich zurückweiche. Eine ältere Frau mit strengem Gesicht und grauem Haar, das zu einem perfekten Knoten gebunden ist, steht vor mir. Ihre dunkelgraue Kleidung lässt sie wie ein Relikt aus einer anderen Zeit erscheinen.
»Miss Carter«, sagt sie. Es ist keine Frage.
»Ja. Guten Tag. Ich bin Olivia Carter.«
Sie mustert mich von oben bis unten, ihre Lippen sind zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Ihre Augen verengen sich leicht, als versuche sie, etwas in meinem Gesicht zu lesen.
»Ich bin Mrs. Jenkins, die Haushälterin. Kommen Sie herein. Sie tropfen auf die Veranda.«
Ich trete über die Schwelle und finde mich in einer riesigen Eingangshalle wieder. Eine breite Treppe aus dunklem Holz führt nach oben. Mrs. Jenkins nimmt meinen tropfenden Mantel mit spitzen Fingern entgegen und ich schlucke. Plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher, ob das hier wirklich eine gute Idee ist.
»Ihr Zimmer ist im Ostflügel vorbereitet worden. Mr. Blackwood hat angeordnet, dass Sie sich heute einrichten und ausruhen. Er wird Sie morgen beim Frühstück empfangen.«
»Oh«, sage ich, überrascht und erleichtert zugleich. Die Begegnung mit meinem neuen Arbeitgeber kann ich nach der langen Fahrt gut noch etwas aufschieben. »Danke.«
»Haben Sie Gepäck?«
»Nur einen Koffer, der noch in meinem Wagen liegt«, erwidere ich.
Sie nickt knapp. »Thomas wird ihn holen. Folgen Sie mir.«
Auch wenn ich keine Ahnung habe, wer genau das sein soll, denke ich mir, dass er auch einer der Angestellten hier ist. Sicherlich werde ich ihn noch kennenlernen.
Wir durchqueren mehrere Korridore, jeder prachtvoll und gleichzeitig bedrückend. Hohe Fenster lassen das graue Licht des Regentages herein, das auf antiken Möbeln und unzähligen Gemälden schimmert. Die Porträts an den Wänden folgen mir mit ihren Augen – Generation um Generation von Blackwoods, alle mit denselben markanten Zügen und dem gleichen intensiven Blick.
»Das Anwesen ist über hundertfünfzig Jahre alt«, erklärt Mrs. Jenkins, als wir einen weiteren Flur entlanggehen. »Die Blackwoods gehören zu den Gründerfamilien dieser Region. Mr. Matthew ist der letzte seines Namens.«
Ihre Stimme enthält einen seltsamen Unterton, als sie seinen Namen ausspricht. Etwas zwischen Sorge und Furcht?
»Der Westflügel ist tabu«, fährt sie fort und deutet auf einen verschlossenen Korridor. »Mr. Blackwood bewohnt ihn allein. Niemand betritt ihn ohne seine ausdrückliche Erlaubnis.«
»Verstanden«, sage ich.
»Das Frühstück wird um acht Uhr serviert. Das Mittagessen um eins. Das Abendessen um sieben. Mr. Blackwood nimmt seine Mahlzeiten manchmal in seinen Räumen ein. Sie werden in der Personalliste als persönliche Assistentin und Gesellschafterin geführt.«
»Gesellschafterin?«, hake ich verwundert nach, denn das stand nicht in der Stellenbeschreibung.
Mrs. Jenkins wirft mir einen scharfen Blick zu. »Mr. Sullivan hat die Anstellung veranlasst. Er meint, Mr. Blackwood brauche menschlichen Kontakt.«
Die Art, wie sie das sagt, lässt mich erschaudern.
»Hier sind Ihre Räume.«
Sie öffnet eine Tür am Ende des Korridors. Dahinter liegt ein überraschend großes Zimmer mit einem Himmelbett, antiken Möbeln und einem eigenen Badezimmer. Die Wände sind in einem sanften Blau gestrichen, die Vorhänge aus schwerem Samt.
»Das ist wunderschön«, sage ich ehrlich überrascht.
»Mr. Blackwood besteht darauf, dass sein Personal angemessen untergebracht wird.« Mrs. Jenkins’ Ton lässt keinen Zweifel daran, dass sie mich nicht als »angemessen« betrachtet. »Das Abendessen wird in einer Stunde serviert. Wenn Sie es vorziehen, können Sie auch hier essen.«
»Danke, aber ich komme gerne nach unten.«
Sie nickt knapp. »Wie Sie wünschen. Ihr Koffer wird gebracht werden.«
Sie wendet sich zum Gehen, hält dann aber inne, eine Hand auf der Türklinke. Für einen Moment scheint ihr strenges Gesicht zu weichen, und ich sehe etwas wie echte Besorgnis in ihren Augen.
»Miss Carter.«
»Ja?«
»Mr. Blackwood ist nicht mehr der Mann, der er einmal war. Seit dem Unfall …« Sie bricht ab, presst die Lippen zusammen, als hätte sie bereits zu viel gesagt. »Seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie sagen oder tun. Und vor allem: Erwähnen Sie niemals Miss Richardson. Niemals.«
Mit diesen Worten geht sie und lässt mich allein in dem eleganten Zimmer zurück, das plötzlich viel zu groß und viel zu still erscheint.
Ich trete ans Fenster und sehe hinaus.
Was habe ich mir nur eingebrockt?
Sie ist da.
Ich höre ihre Schritte im Haus. Leicht und vorsichtig, als würde sie über ein Minenfeld gehen. Vielleicht tut sie das auch.
Vom Fenster meines Arbeitszimmers hatte ich beobachtet, wie sie ankam. Sie ist klein, fast zerbrechlich und ihre braunen Haare sind durch den Regen völlig durchnässt. Ich denke an das billige Auto, mit dem sie vorgefahren ist und die abgetragene Kleidung, die sie getragen hat. Sie passt nicht hierher, zwischen all die Pracht und den Verfall.
James hat wieder eine von diesen mitfühlenden Seelen gefunden Eine weitere hilfsbereite Samariterin, die glaubt, sie könne den leidenden Mann heilen. Sie kennen mich nicht und wissen nicht, dass es keine Rettung gibt.
Ich drehe das Whiskyglas in meinen Händen. Es ist mein Drittes heute Morgen. Oder Viertes. Was spielt es für eine Rolle?
Frau Jenkins klopft an meine Tür. Dreimal, kurz. Ihr einzigartiges Klopfen. Niemand sonst klopft auf diese Weise.
»Herein.«
Sie öffnet die Tür nur einen Spalt breit. Nie weiter. Sie fürchtet sich vor dem, was sie sehen könnte. Mit Recht.
»Miss Carter ist eingetroffen, Sir. Ich habe sie im Ostflügel untergebracht.«
»Schön für sie.«
»Werden Sie zum Abendessen herunterkommen?«
Eine berechtigte Frage. Manchmal vergesse ich, tagelang zu essen. Trinken vergesse ich nie.
»Wohl kaum.«
»Sir, Mr. Sullivan hat darauf bestanden, dass Sie—«
»Mr. Sullivan kann sich zum Teufel scheren.« Meine Stimme klingt rauer als beabsichtigt. Mrs. Jenkins zuckt zusammen. Ein Teil von mir schämt sich dafür. Ein anderer Teil genießt es. »Ich werde Miss Carter beim Frühstück treffen. Das muss reichen.«
»Wie Sie wünschen, Sir.«
Sie zieht sich zurück, schließt die Tür leise. Als würde ein lautes Geräusch mich in Stücke sprengen können.
Ich gehe zurück zum Fenster. Der Regen peitscht jetzt gegen die Scheiben, als wollte er einbrechen. Das Meer tobt in der Ferne, denn ein Sturm zieht auf.
Ein weiteres leises Klopfen.
»Was?«
Thomas, der Butler, tritt ein. Er hält ein Tablett mit einem Umschlag darauf. »Ein Kurier hat dies für Sie gebracht, Mr. Blackwood. Mr. Sullivan lässt ausrichten, es sei dringend.«
Natürlich tut er das. Bei James ist alles dringend. Außer damals, als es wirklich darauf ankam.
Ich nehme den Umschlag. Dickes Papier, teuer. James’ Handschrift auf der Vorderseite.
»Danke. Das wäre alles.«
Thomas verbeugt sich leicht und geht. Er hat weniger Angst vor mir als die anderen. Er hat mich aufwachsen sehen. Kennt den Jungen, der ich einmal war. Den Mann, der ich hätte werden sollen.
Ich werfe den ungeöffneten Umschlag auf meinen Schreibtisch. Was auch immer James will, kann warten. Alles kann warten.
Ich setze mich an den Flügel in der Ecke des Raumes. Er ist das Einzige, was ich aus dem Haupthaus mitgenommen habe, als ich in den Westflügel zog. Meine Finger gleiten über die Tasten. Ich beginne zu spielen. Meine Finger erinnern sich an Dinge, die mein Kopf vergessen will. Sie bewegen sich über die Tasten, völlig mühelos, während meine Gedanken wandern.
Zu Emily.
Zu der Nacht.
Zum Regen auf der Straße, den Scheinwerfern des entgegenkommenden Wagens. Zum Schrei, der nie endet.
Die Musik wird intensiver. Meine Finger drücken die Tasten fester, als ob sie selbst zu Werkzeugen meiner Selbstbestrafung werden.
Ich breche mitten im Takt ab und der Klang hallt im stillen Raum nach. Durch die halboffene Tür sehe ich sie.
Olivia Carter steht regungslos im Flur. Als sie bemerkt, dass ich sie entdeckt habe, reißt sie die Augen erschrocken auf. Hat sie mich belauscht? Ausspioniert?
»Sind Sie auf Erkundungstour, Miss Carter?« Meine Stimme klingt scharf.
Sie zuckt zusammen und ihre Wangen röten sich. »Verzeihen Sie, Mr. Blackwood. Ich habe die Musik gehört und …«
»Und dachten, Sie könnten einfach in einen privaten Teil des Hauses eindringen? Hat Mrs. Jenkins Ihnen nicht mitgeteilt, dass der Westflügel tabu ist?«
Sie richtet sich auf. In ihren Augen sehe ich etwas, das mich überrascht. Nicht Angst, sondern Trotz.
»Das hat sie. Aber die Tür stand offen, und ich wollte mich vorstellen, da ich morgen—«
»Sparen Sie sich die Ausreden.« Ich stehe auf und trete näher zur Tür. Nicht zu nah. Ich will sie nicht erschrecken. Noch nicht. »Was wollen Sie wirklich hier, Miss Carter? Geschichten sammeln über den verrückten Blackwood-Erben? Oder hat James Sie geschickt, um mich auszuspionieren?«
»Weder noch.« Ihre Stimme wird fester. »Ich bin hier, weil ich einen Job brauche, Mr. Blackwood. Nichts mehr und nichts weniger.«
Ich mustere sie. Im flackernden Licht der Wandleuchten kann ich sie besser sehen als zuvor. Sie ist nicht so zerbrechlich, wie ich zuerst dachte. Zudem hat sie klare grüne Augen, die meinem Blick nicht ausweichen.
»Einen Job.« Ich lache leise. Es klingt selbst in meinen Ohren bitter. »Dann lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben, Miss Carter. Packen Sie Ihre Sachen und fahren Sie zurück, woher Sie gekommen sind. Dies ist kein Ort für Sie.«
Ein Schatten huscht über ihr Gesicht, aber sie weicht nicht zurück. »Mit allem Respekt, Sir, ich entscheide selbst, welche Arbeit ich annehme oder ablehne.«
»Wie mutig.« Ich trete einen Schritt näher an die Tür. »Oder wie dumm.«
»Vielleicht beides.« Sie hält meinem Blick stand. »Ich werde morgen beim Frühstück sein, wie vereinbart. Gute Nacht, Mr. Blackwood.«
Sie dreht sich um und ich sehe ihr nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden ist.
Ich schließe die Tür und lehne mich dagegen. Mein Herz schlägt schneller als sonst. Eine seltsame Unruhe überkommt mich. Wut? Neugier? Ich weiß es nicht mehr. Es ist so lange her, dass ich irgendetwas außer Schmerz und Leere gefühlt habe.
Ich gehe zum Schreibtisch zurück und reiße James’ Umschlag auf.
Darin liegt ein einzelnes Blatt. Seine präzise Handschrift in schwarzer Tinte.
»Lieber Matt,
Ich hoffe, Miss Carter ist wohlbehalten eingetroffen. Sie kam mit den besten Empfehlungen und hat Erfahrung mit komplexen Situationen. Bitte gib ihr eine Chance.
Die Vorstandssitzung wurde auf nächsten Donnerstag verschoben. Deine Anwesenheit ist unerlässlich. Die anderen Teilhaber werden nicht länger akzeptieren, dass ich dich vertrete. Es geht um die Zukunft der gesamten Blackwood Holdings.
Du kannst nicht ewig vor der Welt davonlaufen, Matt.
Wir müssen auch über das Anwesen sprechen. Die Instandhaltungskosten sind nicht länger tragbar, wenn du darauf bestehst, nur einen kleinen Teil zu nutzen.
In Sorge,James«
Ich zerknülle den Brief und werfe ihn ins Feuer. Es dauert nur kurz, bis er vollständig in Flammen aufgegangen ist.
In Sorge? James war noch nie in seinem Leben in Sorge um irgendjemanden außer sich selbst.
Mein Blick richtet sich auf das Bild von Emily auf dem Kaminsims. Es ist das Einzige, das ich nicht umgedreht oder abgehängt habe. Ihr Lächeln, eingefroren in der Zeit, und ihre Augen, die stets den Eindruck erweckten, mich durchschauen zu können.
Was würdest du jetzt zu mir sagen, Em? Würdest du mich auch bitten, der Welt eine Chance zu geben? Einer Welt ohne dich?
Ich schenke mir noch einen Whiskey ein und gehe zurück zum Fenster. Der Sturm ist stärker geworden. Irgendwo dort unten, wo die Felsen am schärfsten sind, endete dein Leben, Em. Meines auch, mit dem Unterschied, dass ich weitermachen muss. Ich bin mir nicht sicher, wie lang ich es noch aushalte.
Ich denke zurück an Miss Carter. Sie wird es noch früh genug bereuen, nicht auf meine Warnung gehört zu haben.
Ich leere das Whiskeyglas in einem Zug. Das vertraute Brennen in meiner Kehle ist das Einzige, was mich noch daran erinnert, dass ich am Leben bin.
Aber das ist eine Lüge, die ich mir selbst erzähle, denn ich bin seit drei Jahren tot.
Ich schlafe kaum in dieser ersten Nacht im Blackwood Estate.
Das Heulen des Windes, das unaufhörliche Rauschen der Wellen und das gelegentliche Knarren des alten Hauses halten mich wach. Doch mehr noch als die Geräusche beschäftigen mich die Gedanken an die unerwartete Begegnung mit Matthew Blackwood.
Seine Augen. Ich kann sie nicht vergessen. Dunkel, fast schwarz in dem gedämpften Licht des Westflügels. Und in ihnen ein Schmerz, so tief und roh, dass er fast greifbar scheint. Hinter seiner Feindseligkeit liegt etwas Zerbrochenes, etwas, das nie richtig geheilt ist.
Als der erste schwache Lichtschimmer durch die schweren Vorhänge dringt, gebe ich den Kampf um Schlaf auf. Ich stehe auf, dusche und ziehe mich an. Ich habe mich für eine dunkle Jeans, eine weiße Bluse und einen marineblauen Pullover entschieden. Meine Haare binde ich zu einem ordentlichen Zopf und auf Make-up verzichte ich, abgesehen von etwas Lipgloss. Ich will kompetent wirken, nicht, als würde ich um Aufmerksamkeit betteln.
Um Viertel vor acht verlasse ich mein Zimmer. Das Haus wirkt am Morgen weniger bedrohlich. Sonnenlicht strömt durch die hohen Fenster. Der Sturm der Nacht hat sich gelegt, als wäre er nie dagewesen.
Mit Hilfe der Wegbeschreibung, die Mrs. Jenkins mir gegeben hat, finde ich den Speisesaal – ein beeindruckender Raum mit einer hohen, gewölbten Decke und einer langen Tafel aus poliertem Mahagoni, die mindestens zwanzig Personen Platz bieten kann. Am Kopfende ist ein einzelnes Gedeck aufgelegt.
Eine andere Tür öffnet sich, und Mrs. Jenkins tritt ein, in ihren Händen ein silbernes Tablett mit einer Kaffeekanne.
»Guten Morgen, Miss Carter.«
»Guten Morgen, Mrs. Jenkins.«
»Mr. Blackwood wird in Kürze hier sein. Er bevorzugt pünktliche Mahlzeiten.« Sie stellt das Tablett ab und mustert mich kritisch. »Haben Sie gut geschlafen?«
»Ja, danke.« Die Lüge kommt mir leicht über die Lippen.
Sie hebt eine Augenbraue, sagt jedoch nichts weiter. »Das Frühstück wird sofort serviert. Bitte nehmen Sie dort Platz.« Sie deutet auf einen Stuhl zur Rechten des Kopfendes.
Ich setze mich und versuche, meine Nervosität zu verbergen. Mrs. Jenkins gießt mir Kaffee ein und verschwindet dann wieder in Richtung Küche. Ich bleibe allein zurück in dem großen, stillen Raum, der mit seinem gedämpften Licht und den langen Schatten an einen Kirchenraum erinnert.
Punkt acht Uhr öffnet sich die Haupttür des Speisesaals.
Matthew Blackwood tritt ein.
Im Tageslicht sieht er anders aus als in der dämmrigen Beleuchtung von gestern Abend. Größer. Eindrucksvoller. Seine dunklen Haare sind noch feucht von der Dusche und ich mustere ihn. Sein markantes Gesicht zeigt keinerlei Emotion und ich bin mir nicht sicher, was genau mich in den nächsten Monaten erwarten wird. Er trägt eine schwarze Hose und ein dunkelgraues Hemd, beides von offensichtlich teurer Qualität, aber nachlässig getragen. Seine Augen, die ich in der Dunkelheit für schwarz gehalten habe, sind in Wirklichkeit von einem intensiven Blaugrau.
Er bleibt kurz in der Tür stehen, während sein Blick auf mich gerichtet ist. Etwas wie Überraschung huscht über sein Gesicht, als hätte er nicht erwartet, mich tatsächlich hier vorzufinden.
»Miss Carter.« Seine Stimme klingt rauer als am Abend zuvor. »Sie sind pünktlich.«
»Mr. Blackwood.« Ich nicke leicht. »Guten Morgen.«
Er setzt sich an den Kopf der Tafel. Seine Bewegungen wirken kontrolliert, aber angespannt, wie die eines Raubtieres, das sich zurückhält. Mrs. Jenkins erscheint sofort mit einem weiteren Tablett und stellt eine Tasse schwarzen Kaffee vor ihn.
»Danke, Mrs. Jenkins«, sagt er, ohne aufzublicken.
Sie nickt und verschwindet erneut. Kurz darauf bringt sie zwei Teller mit einem englischen Frühstück – Eier, Speck, gebratene Tomaten, Pilze und Toast. Alles perfekt angerichtet und ich frage mich, wer das alles essen soll.
»Wird noch jemand zu uns stoßen?«, frage ich, nachdem wir eine Weile schweigend gegessen haben.
Matthews Mundwinkel zucken. »Sie meinen, ob jemand zu Ihrer Rettung kommen wird? Nein, Miss Carter. Es sind nur Sie und ich.«
Seine Stimme trieft vor Sarkasmus, aber ich lasse mich nicht provozieren. »Ich meinte nur, dass der Tisch sehr groß ist für nur zwei Personen.«
»Früher war dieser Tisch gut gefüllt.« Etwas Dunkles huscht über sein Gesicht. »Aber das ist lange her.«
»Ihre Familie?«
Er sieht mich scharf an. »Sie wurden nicht eingestellt, um Fragen zu stellen, Miss Carter.«
Ich lege meine Gabel nieder und sehe ihm direkt in die Augen. »Eigentlich bin ich mir nicht ganz sicher, wofür ich eingestellt wurde, Mr. Blackwood. Die Stellenbeschreibung war vage.«
Ein kurzes, humorloses Lachen entkommt ihm. »James hat ein Talent für Vagheit, nicht wahr?« Er trinkt einen Schluck Kaffee. »Sie sind hier, weil James der Meinung ist, ich bräuchte Gesellschaft. Obwohl ich ihm wiederholt versichert habe, dass ich keine will.«
»Und was denken Sie, wofür ich ansonsten hier bin?«
Seine Augen verengen sich leicht. »Sie sind hier, um zu scheitern, Miss Carter. Wie alle vor Ihnen. Die Frage ist nur, wie lange Sie durchhalten werden.«
Die Kälte in seiner Stimme soll mich einschüchtern, aber ich spüre noch etwas Anderes. Es wirkt beinahe wie ein Test und ich zweifele, ob ich ihn bestehen werde.
»Ich bin nicht leicht zu vertreiben, Mr. Blackwood.«
»Wir werden sehen.« Er schiebt seinen halb leeren Teller von sich. »Was hat James Ihnen über mich erzählt?«
Die plötzliche Frage überrascht mich. »Nicht viel. Er sagte, Sie bräuchten jemanden, der Ihnen bei der Korrespondenz hilft, Sie bei Bedarf begleitet und nun ja, Gesellschaft leistet.«
»Und über den Unfall? Hat er darüber gesprochen?«
Mein Herz schlägt schneller. Ich erinnere mich an Mrs. Jenkins’ eindringliche Warnung, Emily nie zu erwähnen.
»Er sagte, dass Sie einen schweren Verlust erlitten haben. Mehr nicht.«
Matthew beobachtet mich intensiv, als würde er nach Anzeichen einer Lüge suchen. Nach einem Moment nickt er kaum merklich.
»Gut. Behalten wir es dabei.« Er steht abrupt auf.