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Christoph Markschies

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Beschreibung

In seinem vielgerühmten Standardwerk verortet der international renommierte Kirchenhistoriker Christoph Markschies das Christentum in der antiken Religionsgeschichte und kommt so zu neuen und überraschenden Antworten auf die Frage, warum sich das Christentum im römischen Reich so erfolgreich durchsetzen und schließlich die Antike überleben konnte. Der Autor bietet einen kompakten Überblick über die Verbreitung des Christentums und deren wichtigste Zentren und Epochen. Er schildert den Alltag und die Frömmigkeit antiker Christen von ihrer Geburt über Bekehrung und Taufe bis zum Tod, beschreibt Lebensformen wie Ehe und Familie, Askese und Mönchtum und erklärt die Besonderheiten der christlichen Gemeinschaften.

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Christoph Markschies

DAS ANTIKE CHRISTENTUM

Frömmigkeit • Lebensformen • Institutionen

 

 

 

 

 

 

 

 

C.H.Beck

 

 

ZUM BUCH

In seinem vielgerühmten Standardwerk verortet der international renommierte Kirchenhistoriker Christoph Markschies das Christentum in der antiken Religionsgeschichte und kommt so zu neuen und überraschenden Antworten auf die Frage, warum sich das Christentum im römischen Reich so erfolgreich durchsetzen und schließlich die Antike überleben konnte. Der Autor bietet einen kompakten Überblick über die Verbreitung des Christentums und deren wichtigste Zentren und Epochen. Er schildert den Alltag und die Frömmigkeit antiker Christen von ihrer Geburt über Bekehrung und Taufe bis zum Tod, beschreibt Lebensformen wie Ehe und Familie, Askese und Mönchtum und erklärt die Besonderheiten der christlichen Gemeinschaften.

ÜBER DEN AUTOR

Christoph Markschies, geb. 1962, ist Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen, der Erfurter, der Mainzer und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften sowie der Europäischen Akademie der Künste und Wissenschaften, der Academia Europaea und des Deutschen Archäologischen Instituts. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Hanns-Lilje-Preis der Göttinger Akademie (1994) und dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (2001). Bei C.H.Beck erschienen «Die Gnosis» (32010) sowie «Gottes Körper. Jüdische, christliche und pagane Gottesvorstellungen in der Antike» (2016).

INHALT

Einleitung

Danksagung

DAS ANTIKE CHRISTENTUM – RAUM UND ZEIT

Der geographische Raum der antiken Christentumsgeschichte – seine Prägung und Erschließung

Die Zeit: Gliederung und Abriß der Epoche

DAS INDIVIDUUM

Die Bekehrung zum Christentum

Geburt, Taufe und Tod

Das christliche Leben und seine Frömmigkeit

Der Umgang mit der Bibel

Gebet und Gottesdienstfrömmigkeit

Engel-, Heiligen- und Märtyrerverehrung; die Wallfahrt

Sonstige Ausdrucksgestalten der Frömmigkeit

Das Alltagsleben

LEBENSFORMEN

Ehe und Familie

Askese und Mönchtum

DIE GEMEINSCHAFT

Das Gemeindeleben

Übergemeindliche Strukturen und Kommunikationsformen

Die kirchlichen Ämter

SCHLUSS:WARUM HAT DAS CHRISTENTUM IN DER ANTIKE ÜBERLEBT?

Antike pagane Antworten

Antike christliche Antworten

Einige neuzeitliche Antworten

Richard Rothe

Adolf Hausrath

Ernst Troeltsch und Hans von Schubert

Adolf von Harnack

Warum hat das Christentum in der Antike überlebt?

Sieben Gründe für das Überleben des Christentums

Christentumsgeschichte und neuere historiographische Paradigmen

Christentumsgeschichte und Theologie

Schlußbemerkungen

ANHANG

Karte

Zeittafel

Glossar

Abkürzungen

Anmerkungen

Quellen und Übersetzungen

Auswahlbibliographie

Abbildungsnachweis

Personenregister

Ortsregister

Sachregister

EINLEITUNG

Das vorliegende Buch ist in zwei Auflagen zunächst unter dem recht poetischen Titel «Zwischen den Welten wandern» erschienen und hat inzwischen unter dem präziseren Titel «Das antike Christentum. Frömmigkeit, Lebensformen, Institutionen» seine feste Heimat im Verlag C.H.Beck gefunden. Für die hier vorliegende zweite Auflage im Münchener Verlagshaus wurde in den Inhalt, die Anmerkungen und die Bibliographie wieder nur sehr behutsam eingegriffen; für umfangreichere Korrekturen oder Aktualisierungen bestand keine Notwendigkeit. Die Anregung, im Buch noch deutlicher darzustellen, daß das Christentum in der Antike Menschen beeindruckte, weil es neben stabilen sozialen Netzwerken auch einen umfangreichen Reparaturbetrieb für individuelle Notlagen (wie beispielsweise zur Heilung von Krankheiten des Körpers und der Seele) organisierte, ist freilich aufgegriffen worden.[1] Dem dient ein eigenständiger, das Buch abschließender Essay zu den Gründen, warum das Christentum in der Antike überlebte, er ersetzt das bisherige knappe Schlußwort und ist in dieser Auflage erstmals enthalten.

Nach wie vor gilt, daß der Verfasser hier versucht hat, eine auf Institutionen und Lebensformen des antiken Christentums zugespitzte Darstellung zu schreiben. Ein entsprechendes Unternehmen ist seit Ende des vorletzten Jahrhunderts oft gefordert worden – so nannte Adolf von Harnack (1851–1930) die Institutionen «das Knochengerüst der Geschichte» –, aber bisher nur von wenigen durchgeführt worden, beispielsweise von Robert M. Grant[2] oder in sehr modifizierter Form als «ekklesiologische Typengeschichte» von Carl Andresen.[3] Man könnte im Blick auf den hier unternommenen Versuch auch von einer auf die Strukturen des antiken Christentums konzentrierten Geschichte sprechen, da außer den klassischen «Institutionen» der Christentumsgeschichte (als da etwa wären: Ehe, Amt, Konzilien usw.) auch jene historisch relevanten Phänomene in den Blick genommen wurden, die erst in den letzten Jahrzehnten die Beachtung gefunden haben, die ihnen zukommt: die Frömmigkeit einzelner Gemeindemitglieder und ganzer Gruppen, die Lebensformen, aber auch die verschiedenen Sozialgestalten von Christentum in der kaiserzeitlichen Antike. Eine auf Strukturen konzentrierte Geschichte ist keine Ereignisgeschichte im klassischen Sinne, behandelt beispielsweise nicht ausführlich die Thematik «Kirche und Staat» (und die juristische Seite der Christenverfolgungen), ist aber auch keine ausführliche Sozial- oder Geschlechtergeschichte des antiken Christentums und schon gar keine Theologie- oder Literaturgeschichte in nuce.[4] Antike christliche Autoren, Papyri, Inschriften und archäologische Quellen werden nur dann herangezogen, wenn sie – im beschriebenen Sinne – Strukturen des antiken Christentums zu erhellen vermögen.

Der ursprüngliche Titel «Zwischen den Welten wandern» sollte auf ein zentrales Element antiker christlicher Frömmigkeit aufmerksam machen, nämlich die schon sehr früh fixierte Erfahrung, daß sich die eigentliche Heimat der Christen im Himmel befindet[5]und sie doch zugleich in ganz konkreten politischen, sozialen und religiösen Verhältnissen auf Erden beheimatet waren. Diese Erfahrung der Differenz von irdischer und himmlischer Heimat prägte die Lebensäußerungen dieser Religion in der Antike durchgängig – trotz der vielen Modifikationen. Den Ausgangspunkt der hier vorgelegten Darstellung bildete freilich eine Beobachtung zur Wirkungsgeschichte: Bleibende Bedeutung für die Entwicklung europäischer Kultur seit dem frühen Mittelalter hat die christliche Kirche der römischen Kaiserzeit und Spätantike vor allem in drei Bereichen. Sie hat erstens dazu beigetragen, die Pluralität kaiserzeitlicher Kulte durch eine einheitliche neue Religion von großer gesellschaftsgestaltender Kraft abzulösen, die ihre Gläubigen in bisher ungewohnter Weise auf eine ganz bestimmte Gestaltung ihres individuellen Lebens (z.B.: Ehe- und Sexualmoral) verpflichtete und ebenso bis dahin ungewohnte Formen sozialer Verantwortlichkeit (z.B.: Witwenversorgung) hervorbrachte. Zweitens hat sie – in genau umgekehrter Tendenz – Beheimatung und gestaltende Identifikation der Christen in bzw. mit der eigenen Umwelt sozusagen «unterlaufen», indem sie die Gemeinde zur «besseren Moral der Enthaltsamkeit» aufrief und auch hier wieder Sozialgestalten solchen weltflüchtenden Lebens (z.B.: Einsiedlerkolonien oder Klöster) von großer Anziehungskraft entwickelte. Drittens hat die kaiserzeitliche und spätantike Kirche es verstanden, sich eine z.T. neben den Gemeinden florierende, nach antiken Maßstäben wissenschaftliche Theologie nutzbar zu machen. Diese bediente sich der Methoden und Denkfiguren antiker Philosophie, um Botschaften aus der kanonisch gewordenen Bibel Alten und Neuen Testaments verständlich werden zu lassen, und machte so das Christentum auch für Gebildete attraktiv.

Vor dem Hintergrund dieser Wirkungsgeschichte des antiken Christentums ergibt sich folgende Gliederung des Bandes: Zunächst wird durch die Einführung in den geographischen Raum und in die Zeit ein äußerer Rahmen skizziert. Dabei werden die wichtigsten Etappen der Christianisierung des römischen Reiches mit besonderem Schwerpunkt auf sozialen, politischen und juristischen Aspekten vorgestellt. Darauf folgen drei Abschnitte, die sich mit dem Individuum, den zwischen Individuum und Gemeinschaft stehenden Lebensformen und schließlich der größeren Gemeinschaft beschäftigen. Ein zentraler Aspekt der Geschichte des antiken Christentums, nämlich die Umformung der christlichen Botschaft durch nach antiken Maßstäben wissenschaftlich gebildete Theologen – hier fallen gern Schlagworte wie das von der «Hellenisierung des Christentums» –, konnte im Rahmen dieser Darstellung nur sehr knapp behandelt werden.[6]

Daß auf zweihundertfünfzig Seiten nur ein Abriß zu Strukturen der antiken Christenheit geboten werden kann und manche Forschungsdiskussion oder ausführliche Begründung ausgeblendet werden muß, versteht sich eigentlich von selbst. In diesem Band hängt das aber auch damit zusammen, daß sehr ausführlich antike Texte zitiert werden, weil sie einer Darstellung mehr Plastizität und Realitätsnähe zu geben vermögen. Die teilweise ebenfalls recht umfänglichen Bezugnahmen auf die im Neuen Testament kanonisch gewordenen Schriften und auf Jesus von Nazareth erklären sich unter anderem dadurch, daß diese Darstellung von einem evangelischen Kirchenhistoriker verfaßt worden ist. Er ist der Meinung, daß die Intentionen Jesu bzw. die der ersten Christen nicht grundsätzlich oder von vornherein außerhalb der Mehrheitskirche und bei den von ihr ausgegrenzten sogenannten Häretikern bewahrt worden sind. Es liegen vielmehr bei den später so genannten «Orthodoxien» wie «Häresien» höchst komplexe Transformationsprozesse von einer auf die kleinen Verhältnisse Palästinas bezogenen jüdischen Lehre in eine eigene Religion für das ganze Imperium Romanum vor. Sorgfältige Analysen der Geschichte des antiken Christentums würden zeigen, daß diese Transformationsprozesse und theologischen beziehungsweise ethischen Entscheidungen der Mehrheitskirche in vielen – aber natürlich längst nicht allen! – Fällen höhere Plausibilität für sich reklamieren können als die der immer wieder gern ins Blickfeld gerückten Minderheiten.[7] In jedem Fall aber sind die vielen unterschiedlichen Formen von Christentum, die in der Gegenwart existieren, selbst nur als Transformationen der Antike – also als schöpferische Neu- und Umkonstruktionen einer antiken Religion – zu begreifen; deswegen lohnt die Kenntnis der bunten Vielfalt des antiken Christentums, um die Pluralität des Christentums in der Gegenwart zu verstehen.[8]

Dieser Neuauflage wurde, wie bereits angedeutet, auf Anregung von Ulrich Nolte ein Essay unter dem Titel «Warum hat das Christentum in der Antike überlebt?» beigefügt, der nicht nur abschließend antike wie zeitgenössische Erklärungen für den Aufstieg jener Religion während der hohen Kaiserzeit und Spätantike zusammenstellt, sondern nach dem Verhältnis von historischen und theologischen Zugangsweisen zu diesem Thema fragt. Der Essay geht auf die Antrittsvorlesung zurück, die sein Verfasser unter dem Titel «Warum hat das Christentum die Antike überlebt?» am 7. November 2001 in der Alten Aula der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität gehalten hat, und wurde im Jahre 2004 als kleines Büchlein separat publiziert.[9] Die dadurch bedingte Konzentration auf Forschungspositionen zum Thema, die in Heidelberg entwickelt worden sind, ist beibehalten, da auf diese Weise ebenso charakteristische wie einschlägige Beispiele in den Blick kommen. Vollständigkeit würde ohnehin ein eigenes Buch erfordern. Für den Wiederabdruck wurde der Essay allerdings gründlich durchgesehen und mit Blick auf die seither publizierte Diskussion zum Thema energisch überarbeitet.[10]

Ein letztes Wort zur Literatur, die am Ende des Bandes zusammengestellt wurde: Dokumentiert wurden vor allem die Quellen und brauchbare Übersetzungen dieser antiken Texte. Bei der Sekundärliteratur sind nur die allerwichtigsten Titel genannt. Vor allem diese Bibliographie wurde noch einmal vorsichtig aktualisiert.

Berlin und Jerusalem, im Frühsommer 2012

Christoph Markschies

DANKSAGUNG

Vielen Kollegen und Freunden habe ich dafür zu danken, daß diese aus Raumgründen an einigen Punkten etwas knappe Darstellung nicht noch holzschnittartiger geraten ist; ich erwähne besonders Hanns Christof Brennecke, Ekkehard Mühlenberg und Georg Schöllgen. Weiter nenne ich zwei ehemalige Mitarbeiterinnen meines Lehrstuhls in Jena: Ursula Reutter und Susanne Böhm. Bemerkungen zu den ethischen Rechtssätzen der Synoden entstammen teilweise meinem ersten Oberseminar an der Friedrich-Schiller-Universität. Das vorletzte Kapitel geht auf Vorträge und Diskussionen zurück, zu denen Emma Brunner-Traut in Tübingen eingeladen hatte, die Beobachtungen zu Baulichkeiten in Jordanien und Syrien auf einen Lehrkurs des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman. Die jetzt hinzugefügten Überlegungen zu den Gründen, warum das Christentum in der Antike überlebt hat, wurden während meiner Jahre in Heidelberg intensiv diskutiert, ich nenne gern einige Namen von Mitdiskutierenden: Ich danke insbesondere den Althistorikern Géza Alföldy (†), Angelos Chaniotis, Stefan Rebenich und Wilfried Nippel, den Theologen Friedrich-Wilhelm Graf, Wilfried Härle, Martin Hengel, Hans Reinhard Seeliger und Michael Welker sowie den Soziologen Hans Joas und Franz-Xaver Kaufmann. Bei der Durchsicht für die neuen Auflagen im Verlag C.H.Beck halfen vor allem Jan Bobbe und Henrik Hildebrandt vom Berliner Lehrstuhl. Die erste Fassung des Buchs wurde abgeschlossen anläßlich eines anregenden Aufenthaltes auf dem Zionsberg in Jerusalem im Frühjahr 1996; die Ergänzungen für die neue Auflage entstanden im Frühsommer 2012 ebenfalls in Jerusalem.

DAS ANTIKE CHRISTENTUM – RAUM UND ZEIT

Der geographische Raum der antiken Christentumsgeschichte – seine Prägung und Erschließung

Der geographische Schauplatz der antiken Christentumsgeschichte war für lange Jahre fast ausschließlich mit dem römischen Kaiserreich, dann mit dessen Nachfolgestaaten identisch. Nur ganz partiell sind die Nachbarreiche – etwa Persien und vor allem Armenien – betroffen gewesen, und im Unterschied zum europäischen Mittelalter betrieb die christliche Kirche auch kaum Mission außerhalb der Reichsgrenze. Weltmission hieß hier, die Grenzen des Imperium Romanum, des römischen Reiches, erreicht zu haben. Darin darf man kein christliches Spezifikum sehen – im Gegenteil: Die Christengemeinde zeigte sich in dieser Beschränkung als Glied einer antiken Welt, die neben dem imperium meist nur noch ein Barbarenoder Ödland kannte. Imperium war «oikoumene», die ganze bewohnte Welt. Orbis terrarum, Erdkreis, wurde mit orbis Romanus identifiziert. Wo – wie zum Beispiel in Trier – in der Wandelhalle einer Ausbildungseinrichtung eine Weltkarte an die Wand gemalt war,[1] konnte der Betrachter diese Identifikation auch nachvollziehen. Wer in der Hauptstadt Rom vor dem Mausoleum des 14 n. Chr. verstorbenen Kaisers Augustus stand und dort (oder an irgendeiner der anderen Stellen im Reich, wo er angebracht war) den Tatenbericht las, den der imperator kurz vor seinem Tode abgefaßt hatte, wurde bereits in der Überschrift jenes Textes an diese Vorstellungen erinnert: «[Bericht] der Taten des göttlichen Augustus, durch die er den Erdkreis der Befehlsgewalt des römischen Volkes unterwarf». Dank entsprechender Bemühungen des Augustus, so signalisierte bereits der Titel dieses – nach der besten erhaltenen Kopie im türkischen Ankara auch monumentum Ancyranum genannten – Textes, umfaßte das imperium nun die ganze bewohnte Welt, die «oikoumene». Die christliche Kirche hat, solange das römische Kaiserreich bestand, nur äußerst selten mit dieser Ideologie gebrochen und ihre Botschaft außerhalb der Staatsgrenzen verkündigt.

Aber der geographische Raum der Geschichte der antiken Christenheit ist trotzdem nicht einfach mit dem des römischen Kaiserreiches identisch; sein ideelles Zentrum liegt anderswo, und das verschiebt in jeder Hinsicht die Gewichte. Kern und Metropole des paganen Reiches bildete bekanntlich das geographisch vergleichsweise zentral gelegene Rom – als urbs die Stadt schlechthin, andere Städte hießen oppidum, um den kategorialen Abstand deutlich zu machen. Auf Rom war das imperium in jeder Hinsicht zentriert, daneben bestanden nur noch wenige weitere Großstädte wie Alexandria oder Antiochia. Diese Städte waren wegen ihrer teils monströsen Zusammenballung ohne ihr Umland nicht lebensfähig. Neben der Hauptstadt waren viele andere Metropolen (wie beispielsweise Antiochien, Athen und Ephesus) auf Lebensmittelimporte angewiesen, die in den Händen von privaten, allerdings staatlich kontrollierten Geschäftsleuten lagen.

Das Christentum entstand aber gerade nicht dort, in Rom oder im Schmelztiegel der Kulturen, den die anderen größeren Städte bildeten. Es begann seinen Siegeszug durch die antike Welt vielmehr von einigen kleinen Dörfchen im nördlichen Palästina aus. Man kann noch heute den Wirkungsraum Jesu von Nazareth am Nordufer des Sees Genezareth an einem Nachmittag bequem ablaufen: Vier Kilometer Wegstrecke sind es von Kapernaum, seiner Heimat (Mt 9,1), nach Chorazin, wo er viele Wunder gewirkt hat, etwas über fünf Kilometer liegen zwischen Kapernaum und Bethsaida, wo Petrus herstammte.[2] Städte am See meidet Jesus, Wirkungsorte dieses einfachen Handwerkersohnes ohne theologische Ausbildung sind die galiläischen Dörfer. Und so nimmt es nicht wunder, wenn ein gebildeter Heide wie der römische Kaiser Julian die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu an ihre schlichten Ursprünge erinnert und durchgängig «Galiläer» nennt. Ein paar Heilungen in solchen Dörfchen – so der Herrscher polemisch – könne man kaum als große Taten bezeichnen.[3] Bedeutsamer noch als diese kleinen Örtlichkeiten, die für die reichsweite Christenheit schon bald weniger wichtig geworden sind und erst seit dem vierten Jahrhundert wieder in größerem Umfang von Pilgern besucht worden sind, wurde Jerusalem.

Diese aus der Perspektive eines gebildeten Römers fernab an der Peripherie des Reiches in einer relativ jungen und unruhigen Provinz gelegene jüdische Hauptstadt wurde zum Sitz der ersten größeren Gemeinde, die sich nach der Hinrichtung Jesu im Jahr 30 n. Chr. bildete. Das Neue Testament berichtet, wie die verstörten Anhänger durch Erscheinungen des Auferweckten erneut gesammelt wurden und ihn als Messias (Maschiach, griechisch «christos») bzw. Herr (griechisch «kyrios») bekannten (z.B. Lk 24,13–34). Schnell dominierten Verwandte Jesu diese Gruppe, und man erwartete getreu den biblischen Verheißungen seine baldige Wiederkunft auf dem Zionshügel mitten in Jerusalem (so auch Paulus, Röm 11,26f.). In den ersten Jahren der Geschichte des Christentums bildet Jerusalem nicht nur den ideellen, sondern auch den geographischen Mittelpunkt dieser jungen Gemeinschaft. Paulus trägt das Evangelium «von Jerusalem aus» (Röm 15,19) in die ganze bewohnte Welt und sammelt unter denjenigen Gliedern seiner Missionsgemeinden, die nicht aus dem Judentum stammen (sogenannte «Heidenchristen»), eine Kollekte «für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem». Erst als Jerusalem im Zusammenhang mit zwei jüdischen Aufständen 70 und 132–135 n. Chr. durch römische Truppen gründlich zerstört und Juden das Betreten der als Aelia Capitolina wiederaufgebauten Stadt untersagt worden war, ging die reale Bedeutung dieses ideellen Zentrums der Christenheit zeitweilig sehr stark zurück. Trotzdem hielt man in vielen Kreisen weiter daran fest, daß die endzeitliche Wiederkunft Christi auf dem Zion in Jerusalem zu erwarten sei. So erklärt der ursprünglich aus dem heutigen Nablus stammende, dann aber in Rom lehrende Justinus um die Mitte des zweiten Jahrhunderts seinem jüdischen Gesprächspartner, Jesus werde an demselben Ort wieder herrlich erscheinen, wo er einst durch seine äußerst schmachvolle Hinrichtung entehrt worden sei.[4]

Jerusalem als Zentrum der frühen Christenheit wurde nach seiner Zerstörung im Jahr 70 n. Chr. durch eine Reihe anderer Zentren abgelöst. Bezeichnenderweise befinden sich darunter diejenigen drei Orte, die wir – etwas anachronistisch – als antike «Großstädte» bezeichnen: Antiochia, Rom und Alexandria. Daneben spielen die zum Teil von Paulus auf seinen Missionsreisen gegründeten Gemeinden im dichtbesiedelten Zentrum der Provinz Asia (beispielsweise Ephesus, aber auch Smyrna) eine gewisse Rolle und gegen Ende des zweiten Jahrhunderts dann auch die Provinzialhauptstadt der Africa proconsularis, Karthago. Das Christentum hatte sich im Laufe von nur einer Generation aus einer ursprünglich im dörflichen Raum beheimateten Bewegung innerhalb der jüdischen Religion in eine zuallererst städtisch geprägte eigene Religion verwandelt. Diese recht drastische Änderung des Charakters dieser Gemeinschaft bildet ein erstes und frühes Phänomen der Akkulturation und hängt ohne Zweifel stark – wenn auch nicht ausschließlich – mit dem Wirken des im kleinasiatischen Tarsus geborenen Missionars Scha’ul (Saul) zusammen. Der besser unter seinem lateinischen Beinamen Paulus bekannte Theologe trug die christliche Botschaft auf drei Missionsreisen in sehr viele Orte im östlichen Mittelmeerraum, an der Ägäis und in Kleinasien: nach Zypern, in die südkleinasiatischen Landschaften Lykien und Pamphylien, ins mittelkleinasiatische Galatien und an die kleinasiatische Küste nach Ephesus und Milet. Er wandte sich mit seiner Predigt zunächst an die jüdischen Synagogengemeinden und bevorzugte wohl schon aus reisetechnischen Gründen eher die Städte, in denen sich solche Gemeinden fanden. Während sein Aufenthalt in Athen offenbar keine großen Wirkungen zeitigte, hinterließ er an der kleinasiatischen Westküste, in Korinth und an der makedonischen Küste (Thessaloniki, Philippi) blühende christliche Gemeinden, nachdem er in der Regel relativ schnell aus der Synagoge herausgeworfen worden war. In Rom traf er dann auf dem Wege zu seinem Prozeß etwa in den Jahren 60/61 n. Chr. auf eine schon existierende Gemeinde, in der er vielleicht noch eine Weile gelebt und gelehrt hat (nach Apg 28,30 mindestens zwei Jahre in einem städtischen Mietshaus), bevor er in Rom hingerichtet wurde. Die ganze paulinische Missionspraxis zeigt, wie römisch dieser kleinasiatische Jude dachte, der das begehrte Bürgerrecht also keineswegs nur als ein äußerliches Rechtsinstitut verwendete: Schon vor seiner letzten Reise richtete er seine Aufmerksamkeit auf die römische Gemeinde (Röm 1,10) und wollte bis in das lateinischsprachige Spanien missionieren. Das parthisch-persische Grenzgebiet, die nördlicheren Regionen der germanischen oder dalmatischen Provinzen interessierten ihn nicht; Alexandria, eine Konkurrentin, ja gelegentliche Feindin Roms, ließ er ebenfalls links liegen. Und trotzdem scheint es in dieser großen Bildungsmetropole, ebenso wie in Rom, schon Anfang des zweiten Jahrhunderts Christen gegeben zu haben – in beiden Fällen sind die Gemeindegründer nicht mehr namentlich bekannt. Aber an beiden Orten bestanden große jüdische Gemeinden, die intensiven Kontakt mit dem Mutterland und insbesondere dem Tempel in Jerusalem pflegten; über solche Kontakte dürfte sich das Christentum in beiden Städten ausgebreitet haben. So wie sich der geographische Rahmen des Christentums durch seine Verwurzelung in den großen Metropolen veränderte, wandelte sich auch die Gestalt dieser Religion: Sie partizipierte nun am kulturellen Klima dieser Städte, an deren Bildungsniveau und -einrichtungen, aber natürlich auch an der im Vergleich zu südgaliläischen Dörfern breiteren sozialen Schichtung.

Die erste dieser Metropolen des römischen imperium, die das Christentum erreichte, war Antiochia, drittgrößte Stadt des Reiches nach Rom und Alexandria – selbst nach heutigen Maßstäben würde man angesichts der Bevölkerungszahl von einer Großstadt sprechen (geschätzt für Anfang des zweiten Jahrhunderts: 200.000 Freie, aber die Angabe bleibt sehr unsicher). Die am Orontes gelegene Stadt gehörte seit 64 v. Chr. zum römischen Reich und fungierte als Hauptstadt der Provinz Syria; auf ihren Straßen drängten sich vor allem Abkömmlinge der griechischen und makedonischen Kolonisatoren, Juden und Syrer aus dem Umland, aber auch Phönizier, Araber, Perser und Ägypter, ja selbst Inder, die der Handel hierher verschlagen hatte. Entsprechend bunt war das Gewirr der Sprachen, Kulturen und Religionen. Hier fiel die vermutlich aus der jüdischen Gemeinde herausgewachsene Gruppe derer, die sich zu Jesus als Messias bekannten, erstmals auch Nichtjuden als eine von der Synagoge getrennte Richtung auf. Man sprach in der Stadt von ihnen als Christiani (Apg 11,26). Da man mit dieser Art von Wortbildung auch amtlicherseits Parteiungen zu benennen pflegte, könnte es sich durchaus schon um eine offizielle Bezeichnung gehandelt haben; die Gruppe wäre von den Behörden dann nach ihrem mutmaßlichen Gründer bezeichnet worden (bzw. präziser nach dessen Messias-Titel, der schon wie ein Eigenname behandelt wurde). Ob das Christentum in Antiochia schnell auch die vornehmeren und gut gebildeten Gesellschaftsschichten erreicht hat, wissen wir mangels einschlägiger Nachrichten nicht: Am Ende des zweiten Jahrhunderts demonstriert jedenfalls Theophilus, ein Bischof der syrischen Provinzhauptstadt, einem heidnischen Freund die Vernünftigkeit des Christentums und die Lächerlichkeit der heidnischen religiösen Mythologien. Und er verrät auf nahezu jeder Seite dieser Apologie seine Bildung: «Herodot, Thukydides oder auch Xenophon»[5] werden bemüht, reichlich Dichterzitate sind über das Werk verstreut. Auch politisch hat man es nicht unbedingt mit einem Rebellen zu tun: Theophilus erweist dem Kaiser Ehre dadurch, daß er für ihn betet. Ein gebildeter Stadtchrist also, ein Kind seiner Metropole, steht Ende des zweiten Jahrhunderts, knapp hundertfünfzig Jahre nach ihrer Gründung, der christlichen Gemeinde Antiochias vor. Aber wirklich zuverlässige Nachrichten über das alltägliche Leben breiterer Kreise der Gemeinde liegen uns erst in der reichen Überlieferung von Predigten des «Kanzelstars» Johannes Chrysostomus († 407) vor, die er mit beträchtlicher öffentlicher Wirkung zwischen 386 und 397 in der Hauptkirche gehalten hat.

Noch viel stärker im Schatten bleibt mangels zuverlässiger Quellen das Bild für Alexandria, ebenfalls eine hellenistische Neugründung mit einer sehr bunt gemischten Bevölkerung und einer großen und bedeutenden jüdischen Gemeinde. Mit etwa 300.000 Freien schätzt man die Stadtbevölkerung für das erste Jahrhundert noch ein gutes Stück größer ein als die Antiochias. Da hier aber nicht nur die Gründung der christlichen Gemeinde, sondern auch ihre Geschichte im zweiten Jahrhundert an vielen Punkten völlig rätselhaft bleibt, haben moderne Gelehrte die Forschungslegende von einem völlig «häretisch» überformten Christentum in der Hafenstadt konstruiert, dessen Erinnerung die siegreiche ‹katholische› Kirche verdrängt habe.[6] In Wahrheit dürfte die christliche Gemeinde dort zunächst sehr stark aus Mitgliedern der jüdischen Bevölkerungsgruppe der Stadt bestanden haben;[7] man hat sogar zwei der fünf Stadtteile als «die jüdischen» bezeichnet. Nach blutigen Verfolgungen und einem Aufstand im Jahr 115 n. Chr. war diese sehr stark hellenisierte jüdische Gemeinde auf einen kleinen Rest zusammengeschrumpft und ging vermutlich im Zusammenhang mit einem weiteren jüdischen Aufstand 132–135 n. Chr. vollkommen unter. Die «große Zeit» der christlichen Gemeinde brach erst an, als sich mit Clemens († vor 215) und Origenes († 253/54) seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts zwei hochgebildete Theologen um die Synthese von Christentum und hellenistischer Kultur beziehungsweise Bildung bemühten. Die beiden Kategorien «Häresie» und «Orthodoxie» (bzw. «Katholizismus») werden dem in vieler Hinsicht experimentellen Denken dieser beiden großen Alexandriner ebensowenig gerecht, wie sie sich zur Klassifizierung von Nachrichten über andere Theologen aus jener Stadt eignen. Die wissenschaftliche Theologie ist im zweiten Jahrhundert noch viel zu jung, ihre Gestalt noch viel zu sehr im Fluß, um hier von «Norm» und «Abweichung» zu sprechen. Das Christentum paßte sich offenbar früh einem spezifischen Charakter der Stadt an: Da Alexandria schon aufgrund der beiden (trotz der Brandkatastrophe des Jahres 48 v. Chr. weiter blühenden) Bibliotheken des Serapeions und des Museions als die klassische Bildungsmetropole des Altertums bezeichnet werden kann, verwundert es nicht, wenn hier auch besonders gebildete christliche Lehrer auftraten. Clemens verfaßte zum Beispiel mit seiner Schrift «Der Pädagoge» eine Anweisung darüber, wie sich der bekehrte gebildete Heide sein Leben als Christ im Alltag einzurichten habe, und trug Argumente für die Vernünftigkeit der christlichen Lehre in Auseinandersetzung mit den wichtigsten griechischen Philosophien zusammen. Origenes, einer der produktivsten Schriftsteller des Altertums (seine Bibliographie umfaßte ca. 2000 Schriften), wirkte besonders über seine wissenschaftlichen Bibelkommentare und Predigtreihen; im palästinischen Caesarea, wohin er nach 230/231 übergesiedelt war, sammelte sich um ihn und seine umfangreiche Bibliothek eine Schule. Sie prägte Theologen bis weit ins vierte Jahrhundert hinein und führte zum Siegeszug einer «origenistischen» Theologie im Osten des Reiches. An der Existenz dieser Schule, aber auch an den verschiedenen Schulformen in Alexandria selbst sieht man, wie stark sich Kreise dieser Gemeinde auf Formen hellenistischer Bildung, Erziehung und Philosophie eingelassen hatten: Um berühmte Lehrer sammelten sich vor allem in der Philosophie seit Platons Zeiten Schulen, die auch nach dem Tode des Lehrers in dessen Sukzession («diadoche») standen. Die alexandrinische Gemeinde etablierte eine Schule, die neben christlichem Elementarunterricht (Erklärung des Glaubensbekenntnisses, Gottesdienstkunde, Einführung in die Sakramente) auch «höheren» theologischen Unterricht anbot. Allerdings darf man sich hier keine fest organisierte Hochschule nach mittelalterlich-neuzeitlichem Muster vorstellen.

Natürlich bestand die alexandrinische Gemeinde nicht nur aus solchen hochgebildeten Christen, im «sozialen Souterrain» der Stadt, im Ägypterviertel «Rhakotis», gab es auch Christen von ganz anderer Prägung. Leider partizipierte die Gemeinde auch an einer schon im Altertum heftig kritisierten Eigenschaft der Stadtbevölkerung, nämlich der besonderen Wut des «Volkszornes». Ende des zweiten Jahrhunderts führt der kleinasiatische Rhetor Dion Chrysostomus den innerstädtischen Frieden auf die Anwesenheit von römischen Truppen in Alexandria zurück: «Wie brächtet ihr es sonst fertig, die Hände voneinander zu lassen?»[8] Einen der letzten Auswüchse dieses berüchtigten Gewaltpotentials stellte der Überfall von christlichen Fanatikern auf die gefeierte pagane neuplatonische Philosophin Hypatia im März 415 dar: Sie wurde aus ihrer Sänfte gestoßen, nackt gesteinigt und ihr Leichnam zerstückelt und verbrannt.[9]

Ein sehr altes Zentrum der antiken Christenheit lag – ursprünglich wohl bedingt durch missionarische Aktivitäten des Paulus – in Kleinasien, genauer in Städten der Landschaften Asia, Lydia und Phrygia. Hier befand sich – neben Palästina – die dichteste Konzentration von christlichen Gemeinden, besonders in und um das Mäandertal, das als zentraler Verkehrsweg von den Häfen Milet und Ephesus ins Landesinnere diente. Neben diesen beiden Städten sind Magnesia, Tralles, Hierapolis, Kolossae, Laodicea und weiter nördlich Smyrna, Sardes, Philadelphia zu nennen. Wieder treten in der ersten Phase vor allem Theologen als Repräsentanten von Gemeinden in den Blick und vermitteln das Bild eines sehr bunten, aber immer noch stark vom Judentum geprägten Christentums. Der Bischof von Sardes, Melito, predigt vor 190 getreu der synagogalen Tradition in der Passa-Nacht über den Auszug der Israeliten aus Ägypten und die erste Feier des Passa mit der Schlachtung des Passalammes (Ex 12). Er deutet das alles als von Gott gesetztes Vorbild («typos») für Christi Leiden, Sterben und Auferstehen: «Nun begreift also, Geliebte, (…) wie sterblich und unsterblich es ist, das Geheimnis des Passafestes (…). Denn wirklich, die Schlachtung des Schafes und die Feier des Passafestes ist in Christus enthalten (…). Als Sohn wurde er geboren, als Lamm hinausgeführt, als Schaf geschlachtet und als Mensch begraben, von den Toten erstand er als Gott, von Natur Gott und Mensch.»[10] In dem für seine heißen Quellen berühmten Kur- und Badeort Hierapolis schrieb um 130 n. Chr. der Bischof Papias fünf Bücher «Auslegung von Herrenworten», eine leider verlorene monumentale Sammlung von Berichten über Jesus von Nazareth aus der mündlichen und schriftlichen Tradition. In den phrygischen Dörfchen oberhalb von Hierapolis etablierte sich um einen Propheten namens Montanus und einige Prophetinnen eine radikal-konservative Bewegung, die im letzten Drittel des zweiten Jahrhunderts versuchte, Theologie (hier vor allem die Erwartung einer baldigen Wiederkunft Christi), Ethik und Strukturen der Urgemeinde wiederzubeleben, und bis nach Nordafrika Einfluß gewann.

Angesichts der Bedeutung der urbs Roma für das Gesamtreich verwundert es nicht, wenn auch das stadtrömische Christentum schnell von sich reden machte. Die Geschichte der antiken Christenheit könnte insofern auch als Geschichte des wachsenden Einflusses und der sich schließlich etablierenden Dominanz dieser Stadt über die westliche Kirche und Theologie geschrieben werden. Als Paulus (60 oder 61 n. Chr.) nach Rom kam, traf er dort schon auf eine christliche Gemeinde. Sein Römerbrief zeigt, daß sich die stadtrömische Christenheit bereits von der Synagoge gelöst hatte und – wie in Antiochia – bald auch von ihrer paganen Umwelt als eigenständige Größe wahrgenommen wurde. Die junge Gemeinde versammelte sich in den Häusern wohlhabenderer Christen; wir kennen aus den Paulusbriefen sogar noch einige Namen, etwa den des Zeltmacher(?)-Ehepaares Prisca und Aquila (die Quellen erwähnen gegen die Konvention den Namen der Frau zuerst, offenbar spielte sie in den Gemeinden die gewichtigere Rolle). Eine freilich erst in spätantiker Zeit nachweisbare römische Tradition lokalisiert das Haus des Ehepaares auf dem Aventin. Paulus wurde wie auch Petrus vermutlich im Rahmen der neronischen Christenverfolgung (64 n. Chr.) mit vielen Gemeindemitgliedern hingerichtet. Fortan konnte sich die städtische Gemeinschaft der Christen auf eine stolze «apostolische Tradition» berufen – eine der Wurzeln für die Entstehung eines «päpstlichen» Anspruchs seit dem dritten und seine Durchsetzung zum Ende des vierten Jahrhunderts. Wir verfügen über Hinweise, daß die römische Gemeinde sehr bald Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten umfaßte: Der römische Konsul des Jahres 95, Titus Flavius Clemens, ein naher Verwandter des Kaisers Domitianus (81–96), wurde möglicherweise deswegen hingerichtet, weil er und seine Frau Christen waren.[11] Die Nachrichten aus der römischen Gemeinde des zweiten Jahrhunderts nennen vor allem die Namen freier Lehrer, die – der alexandrinischen Praxis vergleichbar – Schüler um sich sammeln, aber auch die von vornehmen Frauen, die in der Gemeinde aktiv werden. Abweichende theologische Meinungen wurden, von charakteristischen Ausnahmen einmal abgesehen, toleriert. Eine dieser Ausnahmen war der Lehrer Markion, der von der Gemeinde nach seinem Herauswurf 200.000 Sesterzen, die er einst der römischen Gemeinde bei seinem Eintritt gespendet hatte, wieder zurückerhielt.[12] Das Christentum war also offenbar schon im zweiten Jahrhundert auch ein in Oberschichten verbreitetes Phänomen.

Literarische Nachrichten über das Christentum in Nordafrika begegnen extrem spät, nämlich erstmals 180 n. Chr. In diesem Jahr wurden zwölf Männer und Frauen aus Scili vor den Statthalter in Karthago geführt und sechs davon hingerichtet. Scili ist offenbar so klein gewesen, daß es bisher nicht gelungen ist, den Ort zu lokalisieren. Dafür, daß das afrikanische Christentum sowohl von Reisenden aus Kleinasien und Syrien wie auch aus Rom etabliert wurde, gibt es kleinere Hinweise in späteren Texten. Die Gemeinden scheinen zu Beginn des dritten Jahrhunderts geographisch, sozial und institutionell ziemlich breit gestreut gewesen zu sein, freilich ist eine Quantifizierung dieser Angaben (etwa in der Art der traditionellen: ‹mehrheitlich in den Unterschichten›) nicht möglich.[13] In Karthago wirkt mit Quintus Septimius Florens Tertullianus († nach 220) der erste lateinisch schreibende christliche Schriftsteller, dessen Vater einen hohen militärischen Rang in der karthagischen Stadtkohorte einnahm.[14] Erste literarische Arbeiten wie eine Apologie datieren aus den Jahren vor der Jahrhundertwende. 213 brach Tertullian endgültig mit der Mehrheitskirche und schloß sich der ursprünglich aus Phrygien stammenden montanistischen Bewegung an, die allerdings ihren Charakter gegenüber den Anfängen gewandelt hatte: Die rigoristische Ethik war wesentlich stärker in den Vordergrund gerückt.

Auch in Gallien konnte das Christentum schon im zweiten Jahrhundert blühende Gemeinden vorweisen; einer der wichtigsten Theologen der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, der aus Kleinasien stammende Irenäus, amtierte zuerst als Presbyter und später als Bischof in Lyon. Dort schrieb er als sein wichtigstes Werk fünf Bücher «Widerlegung der gnostischen Häresie» (vulgo: «Gegen die Häresien»). Seit der Mitte des vierten Jahrhunderts machte die Region durch eine reiche Literaturproduktion auf sich aufmerksam. Es waren vor allem senatorische Kreise von hohem Bildungsniveau, die sich hier zu Wort meldeten.

Wie konnte es dazu kommen, daß innerhalb von knapp hundert Jahren das Christentum sich bereits in den drei großen Metropolen des Reiches, in den Städten an der kleinasiatischen Westküste und natürlich in Palästina ausgebreitet hatte, obwohl nur der Apostel Paulus und seine Mitarbeiter eine vergleichsweise planvolle Missionierung für den knappen Zeitraum von etwa zehn Jahren durchgeführt hatten? Und wie konnte sich im zweiten Jahrhundert die Ausbreitung fortsetzen in Städten Nordafrikas, an Rhône, Rhein und Mosel sowie der Schwarzmeerküste? Eine sozusagen flächendeckende Christianisierung begann freilich erst im vierten Jahrhundert. Mehr oder minder zufällige Nachrichten über christliche Gemeinden selbst in sehr abgelegenen Dörfern besitzen wir möglicherweise schon für das späte erste Jahrhundert: Der aus Syrien stammende Kirchenhistoriker Hegesipp berichtet in seinen «Erinnerungen» (aufgezeichnet Ende des zweiten Jahrhunderts), daß Kaiser Domitian mit Großneffen Jesu zusammentraf. Dabei erklärten diese Verwandten, ein Feld von neununddreißig Morgen mit eigenen Händen, d.h. ohne größere Mengen von Angestellten beziehungsweise Tagelöhnern, zu bewirtschaften.[15] Allerdings ist schwer zu entscheiden, ob Hegesipp eine über knapp hundert Jahre zuverlässig tradierte Erinnerung oder nicht eher eine Anekdote ohne historischen Wert überliefert. Sicherere Angaben stammen aus dem dritten und vierten Jahrhundert. Der palästinische Bischof Eusebius erwähnt so zum Beispiel ein kleines Dorf in der Nähe der Stadt Madaba (im heutigen Jordanien) namens Kariathaim und fügt hinzu: «nun ein ganz und gar christlichen Dorf».[16] Natürlich wissen wir nicht, warum, von wem und wie das Dorf christianisiert worden ist. Nur die Tatsache, daß es sich bei einem solchen ganz und gar christlichen Dorf zur Abfassungszeit der Schrift (zwischen 320 und 327 n. Chr.) noch um eine Besonderheit handelte, kann man dem Kontext entnehmen. Sozusagen aus dem historischen «Nichts» tauchen viele Orte als Ansiedlungen mit größeren christlichen Gemeinden erstmals auf einer Liste auf, die die Teilnehmer am ersten reichsweiten Konzil unter Konstantin (325 n. Chr. in der kaiserlichen Sommerresidenz Nizäa) nennt. Die etwa zweihundertzwanzig Bischöfe stammten vor allem aus den kleinasiatischen Regionen Bithynien, Asia, Lydien, Phrygien, Karien, Lykien, Pamphylien, Pisidien, Lykaonien, Kappadozien samt Kilikien, natürlich aus den «Stammregionen» Syrien, Phönizien, Palästina und der Arabia. Zwischen den wenigen Bischofssitzen am Nil, an der nordafrikanischen Küste und in Makedonien, Griechenland und Pontus liegen oftmals mehr als hundert, manchmal mehr als dreihundert Kilometer. Da kaum westliche Teilnehmer die Synode besuchten, hat man nicht einmal ein vollständiges Inventar der Städte mit größeren christlichen Gemeinden zu Beginn des vierten Jahrhunderts. Weitere Hinweise auf Orte, an denen Gemeinden existierten, finden sich in den Berichten über christliche Märtyrer. Aufgrund dieser Quellenlage läßt sich auch nur schwer sagen, ob die geschätzte Zahl von fünf Millionen Christen, die Ramsay MacMullen für den Beginn des vierten Jahrhunderts errechnet hat, zutrifft oder nicht viel zu hoch gegriffen ist.[17] Die Nachrichten fließen im Grunde sehr spärlich und meist im Zusammenhang mit legendarischen Berichten über einzelne Personen, wie ein Beispiel zeigen kann: Die Vita des Origenes-Schülers Gregor, genannt «der Wundertäter», – freilich wurde sie erst in den achtziger Jahren des vierten Jahrhunderts durch Gregor von Nyssa abgefaßt –, erzählt, wie dieser Gelehrte in der Mitte des dritten Jahrhunderts plötzlich die Einsamkeit aufgab und das Bischofsamt in Amasea/Pontus übernahm, einer Stadt, «die bis dahin so sehr in den Götzenwahn verstrickt war, daß unter den unzähligen Bewohnern der Stadt selbst und in der Umgegend sich nicht mehr als siebzehn fanden, die das Wort des Glaubens angenommen hatten».[18] Weil es regnete, betrat Gregor einen heidnischen Tempel, rief den Namen Christi an, «reinigte» die vom Geruch verbrannter Opfertiere belastete Luft durch das Zeichen des Kreuzes und betete die ganze Nacht im Tempel, woraufhin am nächsten Morgen der pagane Priester prompt mit seinem Gebet «scheiterte», weil die Geister des Tempels ausgezogen waren. Die Vita berichtet weiter, wie dieser Priester schließlich von Gregor überzeugt wurde – man schloß eine Art von Handel ab. Gregor gab ihm einen Brief an die Tempelgeister mit und befahl ihnen, noch einmal kurzfristig zu erscheinen.

Für die Missionsgeschichte ist diese Legende an wenigen Punkten auswertbar: Man erfährt, daß die außerordentlich kleine bischöfliche Gemeinde von Amasea durch das Wirken des origenistischen Lehrers stark gewachsen ist. Auch der Hinweis auf ein Haus, das Gregor von einem Vornehmen anfangs zur Verfügung gestellt wurde, und die Berichte über seine Tätigkeit als eine Art «Friedensrichter» sind wichtige Informationen. Man ahnt, daß der reiche Grundbesitz der Familie die Missionierung des Landes erleichterte und sich so im Pontus ein eher nichtstädtisches Christentum etablierte. Aber von flächendeckenden und zuverlässigen Informationen ist man gleichwohl weit entfernt.

Offenbar hat die christliche Gemeinde, obwohl ihr eine planmäßige Missionierungsstrategie für das imperium Romanum fehlte, doch eine so große Mobilität besessen, daß sie immer größere Kreise erreichte. Der Umfang dieser Mobilität ist beeindruckend: Adolf von Harnack trägt in seiner berühmten Missionsgeschichte allein sechsundzwanzig Namen von christlichen Theologen zusammen, die während des zweiten und frühen dritten Jahrhunderts aus allen möglichen Ecken des Reichs nach Rom gereist sind[19] – angesichts der Tatsache, daß uns höchstens zehn Prozent der einschlägigen christlichen Literatur noch erhalten sind, darf von der Spitze eines Eisbergs geredet werden. Schon diese Personen, als Lehrer sozusagen von Berufs wegen Missionare, sind ein deutliches Zeichen für die beträchtliche Mobilität des Christentums, aber nicht das einzige. In der antiken Umwelt erfolgten Ortswechsel und Reisen in friedlichen Zeiten fast ausschließlich aus ökonomischen Gründen oder im Verlauf einer Beamten- bzw. Militärkarriere (wenn man einmal vom nicht unerheblichen Bildungstourismus der gehobenen Schichten absehen will). So nimmt es nicht wunder, wenn das Christentum teilweise auch durch Soldaten und durch Kaufleute (aber nicht durch Sklaven) verbreitet wurde. Bei der Ausgrabung der am mittleren Euphrat in der Nähe der persischen Grenze gelegenen römischen Militärsiedlung Dura Europos fand man bauliche Überreste einer christlichen Gemeinde, die natürlich wesentlich aus Soldaten bestand. Und da einige Truppenteile aus bereits christianisierten Städten nach Dura verlegt worden waren (wie z.B. Teile der Legio III Cyrenaica, eventuell auch der X Fretensis, die in Ägypten, Palästina und Syrien tätig waren), dürfte das Christentum hier durch Soldaten eingeführt worden sein. Freilich zeigt die wesentlich qualitätvollere Ausmalung des Mithras-Kultraums von Dura, daß es sich bei dieser Mysterienreligion um einen klassischen und eingeführten Soldatenkult handelte,[20] während die Zuwendung von Soldaten zum Christentum und ihre Aufnahme durch die Religion (s.u. S. 136f.) durchaus noch nicht den reichsweiten Normalfall darstellte. Da sich Einheiten derselben Legionen allerdings auch in anderen Orten des syrischen Raumes befanden (etwa der III Cyrenaica in Jerasch/Gerasa, heute Jordanien), sollte die Bedeutung der Soldaten für die Missionierung weder unternoch überschätzt werden.

Neben dem Militär reisten Kaufleute durch das imperium, und auch sie dürften entscheidende Bedeutung für die Ausbreitung des Christentums gehabt haben. Ein ägyptischer Papyrus bewahrt uns beispielsweise den Gruß eines Irenäus an einen Geschäftsfreund;[21]der Brief ist in Rom entstanden, wohin sich der Absender nach dem Entladen seiner Kornlieferung in Puteoli oder Ostia begeben hatte. Seine Formulierungen zeigen, daß sich der Christ aus dem ägyptischen Faijum in die Hauptstadt an seine christlichen Schwestern und Brüder gewendet hatte: «Der Ort hat uns so aufgenommen, wie Gott es wollte» (vgl. die Paulusanspielung: 1Kor 12,18). Christentum und Geschäft ließen sich also durchaus verbinden. Eine entscheidende innere Voraussetzung christlicher Mission wird dabei gleichfalls deutlich: Sie wurde ermöglicht durch die große Bedeutung der Gastfreundschaft, die ja schon bei Jesus eine zentrale Rolle für den Glauben spielte (Mt 25,35–40). Auch die vergleichsweise späten Chroniken von Edessa und Arbela zeigen, daß das Christentum in diesen Städten Mesopotamiens z.T. durch Kaufleute verbreitet worden ist. Und da sich in den schriftlichen Quellen für diese Region unter den Christen nur sehr wenige jüdische Namen finden,[22] haben hier einmal nicht – wie in Alexandria oder Rom – die konvertierten Juden den Grundstein für christliche Gemeinden gelegt. Für die staatlichen Beamten, die, bedingt durch ihre diversen Versetzungen quer durch das Reich, quasi automatisch das Christentum in verschiedenste Regionen des imperium ausbreiteten, gilt Analoges wie für die Soldaten. Nahe dem Eingang zum Park der Villa Borghese in Rom steht heute der prächtige Sarg eines kaiserlichen Freigelassenen namens Marcus Aurelius Prosenes (Abb. 1). Zwei schreitende und geflügelte Eroten halten eine Inschriftentafel, aus der sich das Leben und die eindrucksvolle Karriere des Bestatteten rekonstruieren lassen. Der christliche Charakter der Inschrift ist zwar immer wieder bestritten worden, aber aufgrund eines Formulierungsdetails recht sicher. Prosenes wurde als Sklave geboren, aber von seinen Patronen, den Kaisern Mark Aurel und Commodus, irgendwann zwischen 177 und 180 freigelassen. Dadurch wurde er zum römischen Bürger, schuldete seinen Patronen dafür aber Ehrerbietung und Gehorsam. Vom Verwalter der staatlichen Weinversorgung stieg er auf zum Verwalter der kaiserlichen Gladiatorenspiele, darauf zum Verwalter des kaiserlichen Privatvermögens und dann der kaiserlichen Schatzkammer. Zum Abschluß seiner Karriere amtierte er als Kämmerer des Kaisers, starb 217 und erhielt seinen kostbaren Sarkophag von Menschen gestiftet, die er seinerseits freigelassen hatte. Prosenes ist ein Beispiel dafür, daß nicht nur die geographische Mobilität von Christen die Missionserfolge beschleunigte, sondern auch die soziale Mobilität in der kaiserzeitlichen Gesellschaft. Auch die eindrucksvollen Martyrien gewannen wahrscheinlich mehr Menschen für die Sache, als daß sie abgeschreckt haben – dazu aber unten ausführlicher, S. 117–122.

Man kann also die Missionsgeschichte des antiken Christentums mit «Bewegungsbildern» darstellen[23] und in solche Bilder noch zahlreiche Einzelpersonen und -schicksale integrieren. Beispielsweise berichtete ein Aberkius aus Hierapolis Ende des zweiten Jahrhunderts (er war damals zweiundsiebzig Jahre alt) in seinem berühmten Grabepigramm über solche Mobilität in Form von Reisen: Er kam «nach Rom, die Hauptstadt zu sehen (…). Und Syriens Ebene sah ich und alle Städte, (bis) Nisibis, nachdem ich den Euphrat überquert hatte; überall aber fand ich Glaubensgenossen». Freilich beschränkt sich auch Aberkius wie nahezu die ganze christliche Mission des Altertums auf das imperium. Nisibis, seit 162 n. Chr. wieder in römischen Händen und seit 195 Provinzhauptstadt der Mesopotamia, markiert die Grenze seiner Reisetätigkeit, die wahrscheinlich zugleich Missionstätigkeit war. Daß man es mit einem Christen zu tun hat, zeigt der Hinweis auf seine Reiselektüre: «Paulus hatte ich auf dem Wagen.»[24]

Abb. 1: Sarkophag des Prosenes – Rom, Park der Villa Borghese

Die christliche Mission machte sich die vorzüglichen verkehrstechnischen Bedingungen und engen wirtschaftlich-politischen Beziehungen innerhalb des Reiches zunutze – also das, was wir noch heute mit einem erstmals bei Seneca († 40 n. Chr., Vater des bekannteren gleichnamigen Politikers, Philosophen und Dichters) auftretenden Begriff als pax Romana bezeichnen: den Zustand politischen wie militärischen Friedens und wirtschaftlicher Prosperität, der im römischen Weltreich vor allem während der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts herrschte. Der hohe römische Offizier und Gelehrte Plinius der Ältere beschreibt – etwa zwanzig Jahre nach dem Tod des Paulus – als Pointe des «römischen Friedens», daß er «die Menschen verschiedener Länder und Völker einander bekannt gemacht» habe.[25] Man wird die christliche Mission und vor allem die vergleichsweise schnelle Ausbreitung der Bewegung als eine spezifisch religiöse Seite dieses Prozesses interpretieren können. Zwischen Rom und den verschiedenen eroberten Landstrichen bzw. Städten herrschten «Frieden, Eintracht und Freundschaft»;[26] dieser Trias entspricht auf seiten der Christen die enge Gemeinschaft zwischen den verschiedenen Ortskirchen, die an anderer Stelle ausführlicher behandelt wird (S. 188–198). Es ist allerdings teilweise üblich geworden, solche positiven antiken Zeugnisse über die pax Romana als «Zynismus der Herrschenden» zu interpretieren und durch die kritische Rede von einem Unterdrückungssystem, «begleitet von Strömen von Blut und Tränen, deren Ausmaß unvorstellbar ist», zu kontrastieren: «Das System als Sklaverei».[27] Natürlich schneidet die pax Romana, wenn man sie mit den Maßstäben neuzeitlicher europäischer Vorstellungen von gerechter Staats-, Wirtschafts- und Sozialordnung mißt, schlecht ab. Dieses Urteil darf aber die Tatsache nicht überdecken, daß in der Perspektive sehr vieler antiker Zeitgenossen mit ihr jedoch eine außerordentlich glückliche Zeit angebrochen war, weil die kulturell schon durch den Hellenismus verbundene Mittelmeerwelt nun auch politisch zu einer Einheit zusammenwuchs. Besonders Althistoriker haben auf diese positiv zu bewertende politische Integrationskraft des «römischen Friedens» hingewiesen. Schon organisationstechnisch wäre es unmöglich gewesen, ein Riesenreich von – Anfang des zweiten Jahrhunderts – über fünf Millionen Quadratkilometern als Okkupationsmacht ausschließlich mit ständigem brutalem Druck zu erhalten. Fast die Hälfte der römischen Armee, die in den Frontprovinzen stationiert war, rekrutierte sich bis ins zweite Jahrhundert aus einheimischen Hilfstruppen – müßte also sozusagen aus potentiellen Rebellen bestanden haben. In Wirklichkeit regierten in aller Regel nicht die Statthalter mit ihrem kleinen persönlichen Stab, d.h. ohne festen bürokratischen Apparat, die Provinzen des imperium, sondern unter ihrer Kontrolle die verschiedenen kommunalen Selbstverwaltungen der einheimischen Oberschichten. So existierten im Weltreich nicht nur die römische, sondern «unübersehbar viele, unterschiedlich aufgebaute Gesellschaften als ethnokulturelle Einheiten (Stadtgemeinden, Stämme u.a.), die oft einen kaum miteinander vergleichbaren Entwicklungsstand hatten und deren Sprachen, Rechtsordnungen, politische Kulte und dementsprechend auch Verhaltensnormen und -orientierungen verschiedenartig waren».[28] Die alltägliche Brutalität einer heute als «klassisch» bezeichneten Antike wurde – was Kritik am zu freundlichen Bild der pax Romana gern übersieht – durch diese eher gemildert als verstärkt: Ende des vierten Jahrhunderts wird zum Beispiel einem hohen römischen Militär, dem comes et dux Arabiae Flavius Bonus, von «seiner» Bevölkerung bescheinigt, «über uns in Frieden geherrscht und den Durchreisenden und dem Volk ständig Frieden und Sicherheit bewahrt» zu haben.[29] Solche und andere Texte zeigen, daß insbesondere an den unruhigen Grenzen des römischen Reiches und in den gewaltig ausgebauten Metropolen die Bevölkerung pax Romana eher als Segen denn als Fluch empfand. Daß die beginnende politische, wirtschaftliche und soziale «Reichskrise» am Ende des zweiten Jahrhunderts das vorherige «goldene Zeitalter» in mancher Hinsicht schnell beendete, vermochte diese grundsätzliche Beurteilung nicht umzustürzen. Hilfe in schwierigen Situationen erhoffte man nach wie vor vom Kaiser – und weniger von autochthonen Größen oder untergeordneten Stellen, wie eine zeitgenössische Appellation aus der Provinz zeigt: «Komm’ uns zu Hilfe, und, da wir armen Landleute (…) von ihrer Hände Mühen ihr Leben fristen, (…) habe Mitleid mit uns, damit wir nicht mehr leisten müssen, als wir nach dem Grundstatut Hadrians und den Briefen deiner Prokuratoren schuldig sind.»[30]

Natürlich stellt sich immer wieder die Frage, welche charakteristischen Unterschiede zwischen den verschiedenen regionalen Formen und Ausprägungen des Christentums im römischen imperium bestanden haben. Eine wirklich einschneidende politische, kulturelle und kirchliche Regionalisierung des Reiches setzte freilich erst in der Spätantike ein. Für die vorangehenden Jahrhunderte gilt: Je größer die Vergleichskategorien bei der Suche nach Regionalismen gewählt werden, desto unergiebiger wird die Fragestellung. So bleibt beispielsweise äußerst umstritten, ob und wie sich vor dem vierten Jahrhundert wirklich charakteristische Unterschiede zwischen den Christentümern der beiden Reichshälften ausweisen lassen.

Daß die beiden Hälften voneinander getrennt waren, zeigt schon ein Blick auf die Sprachen. Spätestens seit dem frühen dritten Jahrhundert haben wir es mit einer «offiziellen» Zweisprachigkeit des Christentums zu tun. In der römischen Gemeinde freilich dauerte die Durchsetzung der lateinischen Sprache (anstelle der vorher dominierenden griechischen) noch wesentlich länger, sie erfolgte in einem vom Beginn des dritten bis in die Mitte des vierten Jahrhunderts währenden Prozeß. Lateinische christliche Texte (wie z.B. die Übersetzung des «Hirten des Hermas», einer teils apokalyptischen, teils ermahnenden Schrift) aus dem zweiten Jahrhundert wirken sprachlich entsprechend unbeholfen. Auch dem ersten lateinisch schreibenden Theologen, Tertullian, merkt man stellenweise noch an, wie er darum ringt, theologische Phänomene in der lateinischen Sprache zum Ausdruck zu bringen. Es ist zwar umstritten, ob er einzelne charakteristische Begriffe wie etwa trinitas («Trinität») selbst gebildet hat, aber in jedem Falle ist er erster Zeuge für eine ganze Reihe von Ausdrücken der christlichen Latinität. Seit dem Anfang des dritten Jahrhunderts entspricht der Befund bei den Christen der Lage im Gesamtreich: Westlich einer Linie, die sich vom Zusammenfluß von Donau und Save herab nach Süden zog, sprach man lateinisch (etwa in Pannonien, Dalmatien und der Tripolitana), östlich davon griechisch (von der Moesia bis in die nordafrikanische Cyrenaica). Diese zunächst rein sprachliche Trennungslinie zwischen Osten und Westen gewann tiefere politische Bedeutung, als sich im vierten Jahrhundert die Verwaltungsteilung des imperium in eine östliche und westliche Hälfte dynastisch verfestigte. Was Diokletian, Kaiser seit 284, gerade hatte vermeiden wollen, war spätestens seit dem Tod des Theodosius (17.1.395) eingetreten: Eine Dynastie stellte beide Kaiser, aber keiner der theodosianischen Nachkommen besaß hinreichende Autorität, die Reichseinheit funktionsfähig zu halten. So schlugen die beiden Hälften zunehmend eigene Wege ein – und auch innerhalb der Kirche vertieften sich Spannungen zwischen Westen und Osten, die seit dem vierten Jahrhundert besonders virulent waren. Sie haben im Ergebnis zum definitiven Schisma, d.h. zur Kirchenspaltung und gegenseitigen Exkommunikation, zwischen Rom und Byzanz im Jahre 1054 geführt.

Neben dieser Spaltung in eine östliche und eine westliche Hälfte existierte aber auch eine scharfe Trennung zwischen dem eigentlichen Mittelmeergebiet und dem «Hinterland», das sich an den Reichsgrenzen in östlicher Richtung erstreckte: Landstriche Ägyptens und Palästinas, Syrien und natürlich Mesopotamien, Armenien oder Georgien. Es scheint kein Zufall zu sein, daß in der Mitte des fünften Jahrhunderts eine theologische Spaltung aufbrach, die sich schließlich zwischen dem mediterranen Kernraum und diesen Außenregionen verfestigte. Daß man diese nach einem Detail ihrer Christologie «monophysitisch» (oder besser: «miaphysitisch») genannten Kirchen der Randgebiete des Reiches als eine «dritte Welt christlicher Erfahrung» bezeichnet hat,[31] ist ein recht unglücklicher Einfall. Er verdeckt nämlich die reiche theologische und geistige Tradition solcher für stadtrömische Augen tatsächlich an der Peripherie liegenden Städte wie Edessa (heute das türkische Urfa) oder Seleukia-Ktesiphon (Tel Umar, sechzig Kilometer nördlich von Babylon). Außerdem spielt für diese Kirchenspaltung nicht zuletzt der Gegensatz zwischen der stärker von Klöstern und ländlichen Ortschaften bestimmten Provinz und eher bischöflich geprägten Metropolen eine Rolle – mithin eine Differenzierung innerhalb der großen geographischen Regionen.[32]

Antike christliche Autoren spiegeln diese Unterschiede zwischen Stadt und Land wider – der antiochenische Prediger Johannes Chrysostomus (er wurde «Chrysostomus», «Goldmund», wegen seiner außerordentlich beliebten Predigten genannt) wendete vermutlich nur gängige Vorurteile ins Positive, wenn er bei einer Predigt für Taufbewerber in den neunziger Jahren des vierten Jahrhunderts über die Umlandbewohner erklärt: «Wir wollen also nicht allein auf ihre äußere Erscheinung und auf ihre Sprache achten und dabei ihre Tugend übersehen, sondern wir wollen ihr engelgleiches Leben genau kennenlernen, ihre weise Lebensführung. Denn alle Unmäßigkeit und Gefräßigkeit haben sie von sich gewiesen, aber nicht nur dies, sondern auch die übrige lässige Lebensart, die in den Städten herrscht. Sie essen nur so viel, wie sie für die Erhaltung des Lebens brauchen, und die ganze übrige Zeit widmen sie dem Hymnengesang und dem ständigen Gebet; auch dadurch ahmen sie das Leben der Engel nach (…). Schaut nur diese einfachen Menschen an, die kein großes Wissen haben, sondern nur vom Ackerbau und von der Landwirtschaft etwas verstehen und nichts auf irdische Dinge geben, sondern an die überirdischen Güter denken. Sie verstehen es, über die unsagbaren Güter nachzudenken, und wissen genau Bescheid über das, was sich die Philosophen, die sich auf ihren Bart und ihren Stock etwas einbilden, überhaupt nie vorstellen können.»[33] Trotz solcher Zeugnisse sollte aber der Gegensatz zwischen Stadt und Land auf der anderen Seite auch nicht überzeichnet werden. Beispielsweise darf man das Bildungsniveau des dörflichen Christentums nicht unterschätzen. So zeigt ein Papyrusfund aus der unterägyptischen Mönchsstadt Oxyrhynchos, daß die «Widerlegung der gnostischen Häresie» des Irenäus von Lyon, ein wichtiges, griechisch verfaßtes theologisches Werk des gallischen Bischofs, schon wenige Jahre nach seiner Entstehung in der ägyptischen Provinz (im doppelten Sinne des Wortes) kursierte.

Die erheblichen sprachlichen und – nicht allein dadurch bedingten – theologischen Verständigungsprobleme zwischen den verschiedenen geographischen Regionen löste man innerhalb der Kirche genauso, wie sie auch im privaten Bereich, in der Wirtschaft oder durch staatliche Institutionen bewältigt wurden: Zweisprachige Theologen – wie der erwähnte Tertullian – vermittelten; eine große Zahl griechischer Texte wurde von einzelnen begabten lateinischen Theologen in die Sprache der westlichen Reichshälfte übersetzt; auf den großen gemeinsamen Bischofsversammlungen der östlichen und westlichen Theologen seit dem vierten Jahrhundert mit bis zu fünfhundert Teilnehmern wurde aus der jeweiligen Verhandlungssprache simultan gedolmetscht. Zu Beginn des zweiten Jahrhunderts entstanden Bibelübersetzungen in die verschiedenen Volkssprachen des Reiches (z.B. Syrisch, Koptisch, etwas später dann auch Georgisch, Armenisch, Äthiopisch und Arabisch), zunächst wohl vielfach als ad-hoc-Übertragungen von Texten im Gottesdienst.

Schon an diesen vergleichsweise äußerlichen Details läßt sich erkennen, wie wenig eine starre Teilung in zwei Hälften der Wirklichkeit des antiken Christentums gerecht wird: Einerseits gibt es eine die Teile übergreifende «mediterrane Koine»[34] bei vielen Erscheinungen oder Bewegungen des Christentums, beispielsweise beim Mönchtum. Zum anderen ist eine Zweiteilung noch nicht differenziert genug, wie man bereits an der Sprachenfrage sieht: Neben den zwei Hauptsprachen in den beiden Reichshälften besaßen natürlich in den eroberten Provinzen des imperium auch Volkssprachen wie das Koptische in Ägypten oder das Syrische ihre Bedeutung, auch in theologischer Hinsicht. In den größeren Städten und bei Behörden wurde in diesen Provinzen griechisch oder lateinisch gesprochen – die offizielle Zweisprachigkeit dokumentieren die Inschriften –, aber in den ländlichen Gemeinden und Mönchssiedlungen bediente man sich der Volkssprachen. In den größeren Städten wurden selbst die Predigten gelegentlich in die Volkssprache übersetzt; so dolmetschte man im vierten Jahrhundert in Antiochia für die aus dem Umland in die Metropole gekommenen Bauern die Predigten in der Hauptkirche simultan ins Syrische. Es ist dann ein Ausdruck der zunehmenden Auflösung der Zentralgewalt seit dem vierten Jahrhundert, daß sich theologische Literatur immer stärker auch statt des Griechischen dieser Volkssprachen bedient und nicht mehr nur Übersetzungen ursprünglich griechischer Texte vorgenommen werden.