Das antike Kreta - Angelos Chaniotis - E-Book

Das antike Kreta E-Book

Angelos Chaniotis

0,0
7,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Angelos Chaniotis bietet eine gut lesbare Einführung in Geschichte und Kultur Kretas vom 3.Jahrtausend
v. Chr. bis zur Spätantike. Er erläutert die Grundzüge der minoischen Hochkultur, beschreibt die Einwanderung der griechischen Stämme, die orientalischen Einflüsse auf die Entwicklung Kretas sowie Staat und Gesellschaft auf Kreta in archaischer und klassischer Zeit. Die Darstellung Kretas im Hellenismus als Pirateninsel und die Zeit der Insel unter römischer Verwaltung beschließen den Band.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Angelos Chaniotis

DAS ANTIKE KRETA

C.H.Beck

Zum Buch

Der Gründungsmythos unseres Kontinents ist unauflöslich mit der sagenumwobenen griechischen Insel Kreta verbunden: In Gestalt eines weißen Stiers entführt der verliebte Göttervater Zeus die phönizische Königstochter Europa über das Meer und setzt sie erst wieder an der Küste Kretas ab. Sie gebiert ihm drei Söhne – Minos, Rhadamanthys und Sarpedon –, die ihrerseits als bedeutende Gestalten der griechischen Mythologie auftreten. Vom Namen des Minos, der als König auf Kreta herrscht, leitet sich jener der minoischen Hochkultur ab (3000–​1450 v. Chr.), deren reiches archäologisches Erbe noch heute auf Kreta zu bewundern ist. Die Paläste der Minoer werden schließlich von mykenischen Griechen eingenommen. Doch auch ihre Herrschaft versinkt gegen Ende des 2. Jt. v. Chr. in schriftloses Dunkel, ehe sich seit dem 8. Jh. v. Chr. eine neue Kultur in einer Vielzahl von Gemeinden mit differenzierter Gesellschaftsstruktur und bald auch einem entwickelten Rechtswesen herausbildet. Auch wenn die Vorherrschaft einzelner Städte auf Kreta in den folgenden Jahrhunderten mehrfach wechselt und schließlich die Insel unter den Römern – nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal – zum Objekt einer Fremdherrschaft wird, so bleibt sie doch stets ein bedeutender Faktor der antiken Welt. Kretas wechselvolle Ereignisgeschichte und seine kulturgeschichtliche Vielfalt lässt Angelos Chaniotis in diesem Buch wieder lebendig werden.

Über den Autor

Angelos Chaniotis ist Professor für Alte Geschichte am Institute for Advanced Study in Princeton. Bis 2006 lehrte er Alte Geschichte an der Universität Heidelberg.

Inhalt

Karte: Das minoische Kreta

Karte: Die Poleis des klassischen Kreta

Einleitung

1. «Ein Berg im Meer»: Die geographischen Grundlagen der Geschichte Kretas

Das Land

Das Meer

Die Kreter

2. Im Morgenlicht der Geschichte: Die minoische Hochkultur (ca. 3000–​ca. 1450 v. Chr.)

2.1 Das minoische Kreta: Entdeckung, Erfindung, Erschließung

2.2 Von den ersten Gemeinwesen zur zentralen Verwaltung: der Weg zu den «Palästen»

2.3 Das palastzeitliche Kreta: Verwaltung – Gesellschaft – Kultur – Religion

3. Die Einwanderung der griechischen Stämme (ca. 1450–​900 v. Chr.)

3.1 Die ersten (mykenischen) Griechen im Palast von Knossos und die Linear-B-Texte (ca. 1450–​1200 v. Chr.)

3.2 Das schriftlose Nachspiel und die Einwanderung neuer Stämme (ca. 1200–​900 v. Chr.)

3.3 Das Leben in den Zufluchtsorten

4. Brücke zwischen Orient und Hellas: Die kretische Renaissance (ca. 900–​630 v. Chr.)

4.1 Die Orientalisierung und das Alphabet

4.2 Neue politische Strukturen, soziale Institutionen und gesellschaftliche Gruppen

5. Die erstarrte Insel: Staat und Gesellschaft in Kreta zwischen Utopie und Wirklichkeit (ca. 630–​300 v. Chr.)

5.1 Die archaische Zäsur und das normative Zeitalter

5.2 Staat und Verfassung

Staatsform

Bürgerrecht

Politische Institutionen

5.3 Gesellschaftsordnung und soziale Institutionen

Erziehung

Männerhäuser und gemeinsame Mahlzeiten

Landbesitz und Erbschaft

Fremde und Apetairoi

Frauen

5.4 Die unfreie und abhängige Bevölkerung

5.5 Grundzüge und Wirkung des kretischen Rechts

6. Die Pirateninsel: Kreta in der hellenistischen Welt (ca. 300–​67 v. Chr.)

6.1 Der Krieg als Alltag

6.2 Die Ursachen der kretischen Kriege: Gesellschaftsordnung und Agrarverfassung

6.3 Auswanderung: Reaktion auf eine Krise

6.4 Die kretischen Seeräuber

6.5 Innenpolitische Konflikte und die abhängige Bevölkerung

6.6 Gesellschaft, Kultur, Religion, Mentalität

7. Kreta in der römischen Welt (ca. 67 v. Chr.–ca. 640 n. Chr.)

7.1 Die Eroberung Kretas durch die Römer

7.2 Verwaltung und politische Institutionen

7.3 Wirtschaftliche Erneuerung

7.4 Soziale Komplexität

7.5 Kulturelle Komplexität und Kulturbrüche

7.6 Die Spätantike und die Christianisierung

Ausgewählte Literatur

Allgemeine Werke

1. «Ein Berg im Meer»: Die geographischen Grundlagen der Geschichte und Wirtschaft Kretas

2. Im Morgenlicht der Geschichte: Die minoische Hochkultur

3. Die Einwanderung der griechischen Stämme

4. Brücke zwischen Orient und Hellas: Die kretische Renaissance

5. Die erstarrte Insel: Staat und Gesellschaft in Kreta zwischen Utopie und Wirklichkeit

6. Die Pirateninsel: Kreta in der hellenistischen Welt

7. Kreta in der römischen Welt

Abbildungsnachweise

Register

Karte: Das minoische Kreta

Das minoische Kreta

Karte: Die Poleis des klassischen Kreta

Die Poleis des klassischen Kreta

Einleitung

Verlieren wir uns in einem großen Gebäude, so sprechen wir in allen europäischen Sprachen von einem Labyrinth; will ein Franzose, Deutscher, Italiener oder Grieche seinen Atem für den bevorstehenden oder erhofften Kuss erfrischen und steckt eine Minze, ment oder menta in den Mund, so verwendet er ein Wort, das älter ist als die Ankunft der ersten Indogermanen in Europa; kauft er eine Hyazinthe, so nennt er den Namen einer Blume, die seit mindestens viertausend Jahren so heißt. Die ältesten erkennbaren europäischen Wörter hat uns das minoische Kreta vererbt. In diesem selten wahrgenommenen Tatbestand bewahrheitet sich in indirekter Weise ein Gemeinplatz: Kreta ist die Wiege der europäischen Kultur, seine Geschichte ein kleines Paradigma der komplexen Wege europäischer Geschichte. Schon die alten Griechen waren sich der Bedeutung Kretas für ihre Kultur bewusst – bewusster als der moderne Europäer. Auf Kreta war ihr größter Gott, Zeus, geboren worden und gestorben. Den Kretern schrieben sie die Entdeckung vieler kultureller Errungenschaften zu, von der Viehzucht bis zur Metallbearbeitung. Und wenn sie starben, erwarteten sie, dass ein Kreter in der Unterwelt über sie richten würde: Minos oder sein Bruder Rhadamanthys. Kreta hat Platon als Schauplatz seines Dialogs Nomoi gewählt, um die Gesetze seines Idealstaates darzustellen.

Abb. 1: Grundriss des Palastes von Knossos

Den gebildeten Opernfan erinnert Kreta an Mozarts Idomeneo. Dem nüchterneren Historiker bietet sich Kreta als der Ort an, an dem man die Vielfalt der Institutionen der Griechen auf engem Raum studieren kann, der Ort mit den fast hundert unabhängigen Stadtstaaten, der Ort, von dem mehr archaische Gesetze erhalten sind als vom restlichen Griechenland zusammengenommen. Schauplatz der griechischen Geschichte sind immer überschaubare Landschaften gewesen, mit ihren geographischen Besonderheiten, kulturellen Grenzen und spezifischen Eigenschaften, mit ihren Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Die Betrachtung des Mikrokosmos einer Region erlaubt uns, die verschiedenen Phänomene in ihrem wechselseitigen Verhältnis besser zu erfassen. Einige griechische Landschaften bieten sich für derartige Untersuchungen an, aber keine andere lässt sich mit Hilfe schriftlicher Quellen seit dem 3. Jt. v. Chr. fast ohne Unterbrechung studieren. Texte in der ägyptischen Hieroglyphenschrift erwähnen eine Insel im «großen grünen Meer», deren Bevölkerung (in der ägyptischen Sprache Kefti bzw. Keftiu) mit den minoischen Kretern identifiziert wird. Seit dem frühen zweiten Millennium verwenden die Kreter ihre eigene Schrift; die in ihrer letzten Entwicklungsform geschriebenen Dokumente (Linear-B-Schrift) stammen von Sprechern einer frühen Form der griechischen Sprache. Ihre Texte geben uns Informationen über Wirtschaft, Religion, Gesellschaft und Ortsnamen (ca. 1400–​1300 v. Chr.). Es folgt eine schriftlose Periode von etwa fünf Jahrhunderten, die aber durch in griechischen Mythen erhaltene Rückerinnerungen und durch schriftliche Quellen aus anderen Gebieten einigermaßen mit Leben gefüllt wird. Die Kreter übernahmen vom Orient die Alphabetschrift um 800 v. Chr., und seither gibt es kontinuierlich schriftliche Zeugnisse. Als Insel im Zentrum des östlichen Mittelmeerraums ist Kreta eine geschlossene geographische Landschaft, von Griechenland, Kleinasien, Zypern und Ägypten aus leicht erreichbar. So ist Kreta bald kosmopolitisch, bald isoliert, mal die größte Macht in der Ägäis, mal vergessen in ihrer Peripherie, bald Initiator großer Innovationen, bald der konservativste Ort, mal als Ort der Gerechtigkeit berühmt, dann wieder als die Insel der Piraten und der Lügner verrufen.

Meine Kollegen Wolf-Dieter Niemeier und Diamantis Panagiotopoulos berieten mich für die Abschnitte über das bronzezeitliche Kreta. Mein Mitarbeiter Volker Schmidt trug wesentlich zur Verbesserung des Textes bei. Die Unterstützung von Dr. Stefan von der Lahr bei der Gestaltung des Manuskripts war unschätzbar. Allen gilt mein herzlicher Dank. Vor allem danke ich Jannis Sakellarakis, der mein wissenschaftliches Interesse an Kreta wie ein Hierophant geweckt hat.

1. «Ein Berg im Meer»: Die geographischen Grundlagen der Geschichte Kretas

Gegensätze charakterisieren das geographische Bild Kretas: Auf der einen Seite liegt die Insel an einer strategisch wichtigen Position im östlichen Mittelmeer; Aristoteles betrachtete diese Lage sogar als eine ideale Voraussetzung für die Ausübung der Herrschaft über alle Griechen. Auf der anderen Seite liegt Kreta jedoch am Rande des Ägäisbeckens, 100 km vom europäischen und 180 km vom asiatischen Festland entfernt, von den Hauptsiedlungsplätzen der Griechen isoliert. Die Kreter hielten sich oft von den wichtigsten Ereignissen der griechischen Geschichte – wie den Perserkriegen, dem Peloponnesischen Krieg, den Feldzügen Alexanders – fern. Kretas relative Isolation wird durch den Mangel an natürlichen Häfen verstärkt. Doch nicht die geographische Lage allein bestimmte die kretische Geschichte. Während die zahlreichen archäologischen und schriftlichen Zeugnisse die intensiven Außenbeziehungen der Kreter in minoischer Zeit (im 2. Jt. v. Chr.) und dann wieder zwischen 900 und 600 verraten, zeigt sich in anderen Perioden der introvertierte Charakter der kretischen Politik, vor allem aber in klassischer und hellenistischer Zeit (ca. 500–​67 v. Chr.) mit ihren zahllosen lokalen Konflikten.

Ein weiterer, auch geographisch bedingter Gegensatz Kretas liegt einerseits in der Tendenz zur Einheit und andererseits der Zersplitterung in zahlreiche Gemeinden. Die Tendenz zur Einheit ist der Insel immanent und drückt sich heute noch im ausgeprägten gesamtkretischen Patriotismus aus. Doch eine fast durchlaufende Kette von Bergen teilt die Insel vom Westen nach Osten. Das Bild dieser Insel prägen die Gebirge, die 4281 km2 von 8259 km2 Gesamtfläche einnehmen. Die Verbindung zwischen den wenigen großen Ebenen, den kleinen Küstenebenen und den für den Ackerbau sehr wichtigen Hochplateaus ist zwar immer möglich, aber die natürlichen Verkehrswege sind häufig schwer begehbar. Selbst während der venezianischen und türkischen Besatzungszeit gab es Landschaften, die wegen ihres gebirgigen Charakters völlig abgeschlossen waren und zum Zufluchtsort aufständischer Kreter wurden, wie etwa das Plateau von Lassithi. Im äußersten Westen Kretas galt die Region von Sphakia gar als das Königreich der schweigsamen Hirten, der unbeugsamen Krieger, der Banditen. Ausgedehnte Siedlungen mit entsprechend ausgedehntem, für den Ackerbau geeignetem Territorium findet man aufgrund des gebirgigen Charakters der Insel selten. In den meisten Gebieten entstanden daher viele kleine Siedlungsräume. Die große Zahl kretischer Siedlungen – politisch selbständig oder nicht – beeindruckte die anderen Griechen so sehr, dass sie seit Homer Kreta als hekatompolis, die Insel mit den hundert Städten, bezeichneten. Kreta war ein Paradies der Klein- und Kleinststaaten. So ist Kreta, mit den Worten eines modernen Geographen, R. Matton, gesprochen, ein «Berg im Meer», die Fortsetzung einer Gebirgskette, die die Balkanhalbinsel durchzieht. Meer und Berg bedingten in der historischen Zeit die Wirtschaft und die spezifische Kriegsart der Kreter. Sie waren Seeleute und Highlanders.

Kreta galt im Altertum als eine dicht besiedelte Insel. Die wichtigsten Siedlungen mit dem größten Teil der Bevölkerung befanden sich in der Nähe der wenigen größeren Ebenen (Gortyn, Phaistos, Lyttos) oder der kleinen Küstenebenen (Knossos, Kydonia, Lato), etwa in einer Höhe von ca. 200–​400 m, häufig nicht unmittelbar am Meer – wohl aus Sicherheitsgründen. Nur in den Dunklen Jahrhunderten (ca. 1200–​900 v. Chr.) kennt man eine große Zahl von Zufluchtsorten in den Bergen (§ 3.3), und wieder zur Zeit der arabischen Angriffe (7.–9. Jh.) beobachtet man einen Rückzug der Bevölkerung ins Innere der Insel. Umgekehrt lässt sich seit dem späten 4. Jh. v. Chr. eine zunehmende Bedeutung der am Meer liegenden Städte beobachten, eine Entwicklung, die mit dem berüchtigten Seeraub der Kreter zusammenhängt. Als Teil des Imperium Romanum erlebte Kreta seit dem späten 1. Jh. v. Chr. eine lange Periode des Friedens und der Sicherheit, die den Siedlungen am Meer größere Bedeutung zukommen ließ. Aber auch wenn die meisten städtischen Zentren verständlicherweise nicht auf den Bergen lagen, bestand ihr Territorium hauptsächlich doch aus gebirgigen Gegenden.

Das Land.  Die wirtschaftliche Bedeutung der kretischen Berge hängt mit der wichtigsten Aufgabe der zahlreichen Gemeinwesen Kretas – in der Bronzezeit ebenso wie im Hellenismus – zusammen, nämlich der Gewährleistung ihrer Selbstversorgung. Die Autarkie einer Gemeinde setzt nicht so sehr ein ausgedehntes als vielmehr ein für mehrere Zweige der Landwirtschaft geeignetes Umland voraus. Die kretischen Landschaften bieten an sich diese Vielfalt, und so war die Insel trotz ihres gebirgigen Charakters in bestimmten Perioden für Fruchtbarkeit und Menschenreichtum berühmt. Die Milde des Klimas und der Wasserreichtum sicherten trotz der geringen Ausdehnung der Anbauflächen in der Regel gute Ernteerträge.

Kreta besitzt eine einzige ausgedehnte Ebene, die Mesara, einige kleinere Ebenen, z.B. Kastelli, und etliche Küstenebenen. Zumindest in bestimmten Perioden wurde Getreide auch in den fruchtbaren Hochplateaus (Lassithi, Askyphou, Omalos, Nida) angebaut. Der antike Naturkundler Theophrast (um 300 v. Chr.) berichtet, dass die Insel einst regen- und bevölkerungsreicher war; die Winter waren milder, und so konnte man auch auf den Hochplateaus, z.B. in der Ida-Hochebene (heute Nida), Getreide anbauen, was zu seiner Zeit nicht mehr möglich war. Eine kurzfristige Klimaänderung, vielleicht auch die wachsende Unsicherheit infolge der ständigen Kriege, führte zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Aktivität in den Bergen. Mittels Terrassierung konnte man zudem an den Abhängen der Berge und Hügel Anbauflächen gewinnen. Der Ackerbau wurde auf den Bergen als Mischwirtschaft betrieben – zusammen mit dem Olivenbau (bis zu einer Höhe von 800 m), dem Weinbau (bis zu einer Höhe von 1200 m) und der Haltung von Kleinvieh.