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Alle Chancen für Ihr Kind
Ihr Kind entfaltet seine geistigen Fähigkeiten ganz normal, ist aber sehr zurückgezogen und manchmal wenig einfühlsam? Sind seine Bewegungen unbeholfen und schließt es keine Freundschaften?
Tony Attwood, der bekannteste Experte für das Asperger-Syndrom, erklärt verständlich, was betroffene Kinder auszeichnet, was sie brauchen und welche Potentiale sie haben. Eltern, Therapeuten und Lehrer erhalten viele Anregungen, um die Kinder besser zu erreichen und zu fördern.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 352
Veröffentlichungsjahr: 2022
Tony Attwood
5. Auflage 2022
Der Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus Autismus Deutschland e.V. ist erfreut über die Herausgabe der Übersetzung des Buches »Das Asperger-Syndrom« von Tony Attwood. Er begrüßt es sehr, dass dieses hervorragende Werk unseren Eltern und Fachleuten nun auch in deutscher Sprache zugänglich ist.
Leider gibt es in der Bundesrepublik Deutschland immer noch wenig spezielles Wissen über das Asperger-Syndrom. Gerade diese betroffenen Menschen, die zunächst nur durch ein eigenartig erscheinendes Sozialverhalten auffallen, benötigen häufig viele Jahre zur Diagnose-Erstellung. Bis dahin müssen sie sich unter schwierigsten Bedingungen in der Gesellschaft, in der Schule und bei der Arbeit zurechtfinden. Sie werden meist beiseite gedrückt und gemobbt. So vergeht wertvolle Zeit ohne Verständnis und die nötige Förderung für sie. Sie fallen bezüglich der Hilfestellung durch alle Maschen der Bürokratie.
Mit der Übersetzung dieses Praxis-Handbuches wird eine wichtige Lücke gefüllt. Der Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus Autismus Deutschland e.V. empfiehlt diesen Ratgeber sowohl Eltern als auch Fachleuten als eine wertvolle Hilfe für den Umgang mit Menschen mit dieser speziellen Ausprägung von Autismus.
Autismus Deutschland e.V.Bundesverband zur Förderung vonMenschen mit Autismus
Maria Kaminski(Vorsitzende)
Was ist eigentlich das Asperger-Syndrom? Bis vor wenigen Jahren kannte kaum jemand diesen Begriff, doch mittlerweile scheint es fast in jeder Schule ein Kind zu geben, das dieses Syndrom aufweist. Die erste Charakterisierung solcher Kinder wurde vor 66 Jahren von Hans Asperger, einem Wiener Kinderarzt, veröffentlicht. Er entdeckte ein einheitliches Muster von Fähigkeiten und Verhaltensweisen, das vor allem bei Jungen auftritt. Es beinhaltete einen Mangel an Einfühlungsvermögen, eine gering entwickelte Fähigkeit, Freundschaften zu schließen, die Bereitschaft, Monologe zu führen, die intensive Beschäftigung mit einem sehr speziellen Interessengebiet sowie unbeholfene Bewegungen. Doch seine Pionierarbeit wurde erst in den 1990er-Jahren international anerkannt. Bis vor Kurzem mögen Eltern und Lehrer zwar erkannt haben, dass ein Kind sich auffällig verhielt, aber weder wussten sie, warum, noch wussten sie, wo sie Hilfe bekommen konnten. Ich habe dieses Buch als Ratgeber für Eltern und Fachleute geschrieben, um ihnen bei der Erkennung und Behandlung von Kindern und Erwachsenen zu helfen, die unter dem Asperger-Syndrom leiden. Es basiert auf einer umfangreichen Sichtung der Fachliteratur und auf meiner Erfahrung als Klinik-Psychologe. In den vergangenen 30 Jahren bin ich mehr als tausend Menschen mit diesem Syndrom begegnet, die sich von ihrem Alter, ihren Fähigkeiten und ihrem sozialen Hintergrund sehr voneinander unterschieden. Immer wieder war ich beeindruckt von ihrer Geduld beim Erwerb von Fähigkeiten, die andere Menschen auf Anhieb erlangen. Auch zolle ich Eltern und Lehrern Respekt, die trotz mangelnder Hilfsmittel und Anleitung imstande sind, bei betroffenen Kindern wesentliche Fortschritte zu erzielen.
Tony Attwood
Titelei
Vorwort zur 1. Auflage
Vorwort des Autors
Die Diagnose
Typische Anzeichen
Beispielsituation: »Mögen Sie Deltics?«
Autistische Psychopathie
Diagnose Autismus
Einschätzskala und diagnostische Beurteilung
Schritt 1: Die Einschätzskala
Schritt 2: Die fachärztliche diagnostische Beurteilung
Sprachliche Fähigkeiten
Die australische Skala
Auswertung
Andere Krankheiten in Betracht ziehen
Diagnosekriterien
Sechs Wege zur Diagnose
Autismus in der frühen Kindheit
Wenn das Kind in die Schule kommt
Ein atypischer Ausdruck eines anderen Syndroms
Autismus oder Asperger-Syndrom bei Verwandten
Eine sekundäre psychologische Störung
Residuales Asperger-Syndrom bei Erwachsenen
Fehldiagnosen
Hilfebedarf
Das Sozialverhalten
Wichtige Diagnosemerkmale
Sozialverhalten und Kommunikation
Weitere Diagnosekriterien
Das Spiel mit anderen Kindern
Will Ihr Kind die Kontrolle behalten?
Zieht es sich auf dem Schulhof zurück?
Auffällige Verhaltensregeln
Betroffene wirken ungehobelt
Lerngeschichten
Was muss eine Lerngeschichte enthalten?
Schildern Sie die Abläufe in der Gegenwart
Beispiel für eine Lerngeschichte
Sinnvolle Förderprogramme
Was können Eltern tun?
Wie beginnt, führt und beendet man das Spiel?
Laden Sie einen Freund ein
Was können Lehrer tun?
Versuchen Sie, Vorbild zu sein
Fördern Sie mögliche Freundschaften
Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Lernen in Trainingsgruppen
Vorfälle nachspielen
Soziales Denken prüfen
Schilderungen, um soziales Denken zu prüfen
Situationen üben
Geschichten und Rollenspiele
Auf Freundschaften vorbereiten
Erste Phase: Vorschulalter
Zweite Phase: 5.–8. Lebensjahr
Dritte Phase: 9.–13. Lebensjahr
Vierte Phase: Adoleszenz
Was verstehen Betroffene unter Freundschaft?
Wie können Sie Ihr Kind unterstützen?
Der Betroffene muss sein Anderssein erkennen
Mögliche Schwierigkeiten im Kontakt
Verwirrung bei romantischen Beziehungen
Langzeitentwicklung
Orientierung an religiösen oder politischen Gruppen
Vereine
Als Erwachsene kommen Betroffene meist besser klar
Lernen, anderen in die Augen zu sehen
Den Gesichtsausdruck lesen lernen
Emotionen werden nicht erkannt
Mimik und Gestik verstehen
Gefühle benennen und wiedergeben
Strategien, die helfen, Emotionen zu verstehen
Das Gefühl »glücklich« erkunden
Ein glückliches Gesicht zusammensetzen
Spiele
Gefühle vorführen und erkunden
Erklären Sie Ihrem Kind subtile Signale
Einige Betroffene provozieren absichtlich
Strategien, die helfen, Emotionen auszudrücken
Messlatte für Emotionen
Unangebrachtes Lachen
Fehlinterpretationen
Wie kann man lernen, Gefühle zu offenbaren?
Strategien im Überblick
Die Sprache
Sprachliche Besonderheiten
Pragmatik oder die Kunst der Konversation
Gedankenpausen und Themawechsel
Unpassende Bemerkungen und Unterbrechungen
Fehlende spontane Nachfrage und Kommentare
Comic-Strip-Gespräche
Methoden, um Gespräche zu üben
Literarische Beschreibung des Asperger-Syndroms
Die wörtliche Interpretation
Verwirrung durch Redewendungen
Necken, Sarkasmus und Lügen
Prosodie oder die Sprachmelodie
Der Akzent wird nicht angepasst
Monotone Sprechweise verbessern
Weitere sprachliche Besonderheiten
Formelle Wortwahl
Idiosynkratischer Wortgebrauch
Das Aussprechen von Gedanken
Selbstgespräche als Probe
Auditive Beeinträchtigungen und Verzerrungen
»Selektive Taubheit»
Der Sprachfluss
Strategien im Überblick
Interessen und Routinen
Ungewöhnliche Spezialinteressen und Regeln
Horten ungewöhnlicher Gegenstände
Ältere Kinder sind von Verkehrsmitteln fasziniert
Ungewöhnliche und gefährliche Interessen
Rollenspiele
Personenverehrung in der Adoleszenz
Kleine Kinder brauchen Routinen
Interessen und Routinen als Diagnosekriterien
Mit Spezialinteressen und Routinen umgehen
Die Funktion von Spezialinteressen
Ein Mittel zur Entspannung
Umgang mit Spezialinteressen
Spezialinteresse konstruktiv verwenden
Das Spezialinteresse einbeziehen
Berufliche Nutzung
Finden Sie die positiven Aspekte
Fördern Sie das Interesse an Computern
Quelle der Entspannung und Mittel zur Identifikation
Wiederkehrende Routinen
Rituale gegen Angst
Stellen Sie Stundenpläne auf
Veränderungen bedeuten Stress
Sorgen Sie für Stabilität im Alltag
Strategien im Überblick
Motorische Unbeholfenheit
Welche Fähigkeiten sind betroffen?
Motorische Unbeholfenheit als Diagnosekriterium
Fortbewegung
Ball spielen
Gleichgewicht und manuelles Geschick
Unleserliche Handschrift
Hilfsmittel
Zu hastiges Arbeiten
Lockere Gelenke
Rhythmusgefühl
Nachahmung von Bewegungen
Das Tourette-Syndrom
Katatone und parkinsonsche Symptome
Dysfunktion des Kleinhirns
Strategien im Überblick
Die Kognition
Die »Theory of Mind«
Geschichten interpretieren
Wie wird ein Täuschungsmanöver interpretiert?
»Gedankenblindheit«
Schulaufgaben anpassen
Gedächtnis und Flexibilität des Denkens
Außergewöhnliches Langzeitgedächtnis
Flexibilität des Denkens
Unfähigkeit, aus Fehlern zu lernen
Einseitiges Denken
Fertigkeiten im Lesen und Rechnen
Außergewöhnliche Fertigkeiten im Rechnen
Berücksichtigen Sie die andere Denkweise
Streben nach Perfektion und Individualismus
Verminderte Aufmerksamkeit
Das Fähigkeitsprofil in Intelligenztests
Fantasie, Kreativität und visuelles Denken
Einsame Fantasiespiele
Wenn Kinder ihre Fantasiewelt als Realität ansehen
Visuelles Denken
Unterstützen Sie die Visualisierung beim Lernen
Einstein war ein visueller Denker
Strategien im Überblick
Die sensorische Empfindlichkeit
Die Klangempfindlichkeit
Das Unbehagen verstehen
Verschiedene Auslöser
Geräusche ausblenden und vermeiden
Musik und Lerngeschichten
Weitere sensorische Besonderheiten
Die Berührungsempfindlichkeit
Sensorische Integrationstherapie
Die Geschmacksempfindlichkeit
Die visuelle Empfindlichkeit
Nutzung der Farbsensitivität
Geruchsempfindlichkeit
Unempfindlichkeit gegenüber Schmerz und Temperaturen
Die Synästhesie
Strategien im Überblick
Service
Häufig gestellte Fragen
Ist das Asperger-Syndrom erblich bedingt?
Schwangerschaft oder Geburt als Ursache?
Ist ein spezieller Gehirnbereich funktionsgestört?
Können Eltern das Syndrom verursacht haben?
Das Familienleben wird vom Syndrom bestimmt
Geht das Syndrom mit anderen Störungen einher?
Wo beginnt die normale Bandbreite?
Kann eine Sprachstörung die Ursache sein?
Semantisch-pragmatische Sprachstörung
Geht das Syndrom mit ADHS einher?
Unterschiedliches Sozialverhalten
Unterschiedliches Konzentrationsvermögen
Ist es eine Form der Schizophrenie?
Es gibt klare Unterschiede
Paranoia und Wahn
Falsche Behandlung
Was ist »high-functioning autism«?
Pragmatische Diagnosestellung
Drückt sich das Syndrom bei Mädchen anders aus?
Schwierigkeiten in der Adoleszenz
Mädchen haben eine bessere Langzeitprognose
Wie kann man die Angst eines Menschen verringern?
Greifen Sie bei Angst ein
Körperliche Aktivität kann helfen
Sozialer Kontakt ist Stress
Alternative Unterrichtsmöglichkeiten
Medikamente können helfen
Kognitive Verhaltenstherapie und Desensitivierung
Methoden zur Angstkontrolle
Wie groß ist die Gefahr einer Depression?
Soziale Isolation
Depression und Aggression
Behandlung einer Depression:
Unpassender Gefühlsausdruck
Wie kontrolliert man Wut und Ärger?
Selbstbeherrschung durch Entspannungstechniken
Stress reduzieren
Wie soll man als Elternteil reagieren?
Lernen, anders zu reagieren
Nutzen Sie die Comic-Strip-Gespräche
Unerklärliche Ausbrüche
Wie verläuft die Adoleszenz?
Das Syndrom kann sich verstärken
Kann ein Betroffener normale Beziehungen führen?
Freundeskreis-Programm
Geringere Reife
Intime Beziehungen
Ehe- und Beziehungsberatung
Konflikte
Allein leben
Werden Betroffene häufiger kriminell?
Welche Einrichtungen und Programme sind nötig?
Pädagogische Berater und Spezialisten
Aufgaben eines pädagogischen Betreuers
Probleme und Hilfsmaßnahmen im Erwachsenenalter
Was können wir von Schulen und Lehrern erwarten?
Aufmerksamkeit gegenüber den Symptomen
Förderliche und ungünstige Rahmenbedingungen
Vermeiden Sie Schulwechsel
Besuch der höheren Schule
Hilft der Begriff »Asperger-Syndrom«?
Wie man das Syndrom erläutern sollte
Wie teilt man die Diagnose mit?
Andere Kinder und Eltern aufklären
Gespräch mit Geschwistern
Aufklärung des betroffenen Kindes
Positive Eigenschaften von Betroffenen
Welche Berufe sind geeignet?
Herausforderungen im Arbeitsleben
Umgang mit dem Arbeitgeber
Wie sehen die langfristigen Zukunftsprognosen aus?
Nützliche Faktoren
Die Prognose ist oft zu pessimistisch
»Einzelgänger« und »Exzentriker«
Anschriften und Internetadressen
Weitere hilfreiche Webseiten
Bücher zum Weiterlesen
Fragebögen
Wie fühlst du dich heute?
Diagnosekriterien
Literaturverzeichnis
Deutschsprachige Titel
Internationale Titel
Anmerkungen
Die Diagnose
Das Sozialverhalten
Die Sprache
Interessen und Routinen
Motorische Unbeholfenheit
Kognition
Die sensorische Empfindlichkeit
Service
Autorenvorstellung
Sachverzeichnis
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Welche typischen Anzeichen gibt es und nach welchen Kriterien und Einschätzskalen richtet sich die diagnostische Beurteilung?
Sie sehen aus wie jedes andere Kind und sie verfügen über normale intellektuelle Fähigkeiten. Trotzdem scheinen sie andere Menschen nicht zu verstehen.
Ein Beispiel: Während ein Teenager vor der Kasse im Supermarkt wartet, bemerkt er über eine Frau, die vor ihm steht, laut: »Ist die aber dick!« Teilt man ihm in ruhiger Form mit, dass er so etwas nicht sagen darf, erwidert er ebenso laut wie zuvor: »Aber sie ist doch wirklich dick!« Der Teenager versteht weder die Verlegenheit von Mutter oder Vater noch die Wirkung seiner Bemerkungen auf die Gefühle der Frau. Ein solches Kind begreift gar nicht, warum man seinen Kommentar missbilligt – wo es doch eine genaue Beschreibung der Statur dieser Frau gegeben hat!
Häufig hat das Kind ein ausgeprägtes Interesse an einem Thema, seien es Verkehrsmittel, Tiere oder ein Bereich der Wissenschaft. Diese Interessen kommen und gehen, immer aber nehmen sie einen Großteil der Freizeit ein. Es kommt vor, dass ein vom Syndrom betroffenes Kind eine Redewendung wortwörtlich auffasst, wie zum Beispiel den Satz: »Du hast wohl die Sprache verloren?«. Oft hat das Kind eine übergenaue oder pedantische Ausdrucksweise und man hat den Eindruck, als spräche man mit einem menschlichen Wörterbuch.
In der Schule fällt ein ungleiches Profil der Fähigkeiten auf. Das Kind kann ein bemerkenswert gutes Langzeitgedächtnis haben, kann eine außergewöhnliche Konzentration an den Tag legen, wenn es um sein spezielles Interessengebiet geht, und hat seine eigene originelle Methode, Probleme zu lösen. Hingegen zeigt es unter Umständen wenig Motivation und Interesse für Aktivitäten, die seine gleichaltrigen Klassenkameraden faszinieren – eine Veranlagung, die auf spezielle Lernschwierigkeiten sowie auf motorische Unbeholfenheit hinweist. Im Klassenzimmer und auf dem Pausenhof ist das Kind meist isoliert und oftmals wird es von anderen Kindern gehänselt. Eltern wie Lehrer stimmen darin überein, dass ein solches Kind, das normal aussieht und normale intellektuelle Fähigkeiten hat, aus irgendeinem unerklärlichen Grund andere Menschen nicht zu verstehen und keine Beziehung zu ihnen zu finden scheint – zumindest nicht in dem Maße, wie es in seinem Alter eigentlich vorauszusetzen wäre.
Als der Postbote die Briefe für Haus Nummer 20 einstecken wollte, lief ihm ein junges Mädchen entgegen. Die Familie war erst vor Kurzem eingezogen, und er war neugierig auf die Namen und den Hintergrund der neuen Bewohner. Doch bevor er guten Morgen sagen konnte, stellte das Mädchen ihm die Frage: »Mögen Sie Deltics?« Im Stillen rätselte der Mann, was dieses Wort wohl bedeuten könnte, ob ein Deltic etwa eine neue Schokoladenmarke oder eine Figur aus einer Fernsehserie sei. Ehe er antworten konnte, fuhr das Mädchen fort: »Das sind die stärksten Dieselzüge. Der 2:30 Uhr von Kings Cross ist ein Deltic, ich habe 27 Fotos von Deltics.« Der Mann war erleichtert zu wissen, worum es ging, aber er verstand nicht recht, warum sie sich damit an ihn wandte. Das Mädchen erging sich nun in einer Beschreibung der Eigenschaften dieser ihm gänzlich unbekannten Lokomotive. Ganz offenbar interessierte es sie überhaupt nicht, was er von solchen Zügen hielt, und sie schenkte seinen höflichen Hinweisen, er müsse in seiner Runde fortfahren, keinerlei Beachtung. Schließlich blieb ihm nicht anderes übrig, als sie ziemlich brüsk zu unterbrechen und mit einem raschen »Auf Wiedersehen« davonzugehen. Er wunderte sich, dass dieses exzentrische Kind so viel über Züge wusste, und fragte sich, während er seinen Weg fortsetzte: »Warum meinte sie, ich würde mich für Züge interessieren? Sie hat mich kaum angesehen und mich ständig unterbrochen. Kann sie über nichts anderes sprechen? Sie war wie ein wandelndes Lexikon.«
Diese Szene ist zwar frei erfunden, doch ist sie typisch für die Begegnung mit einem Kind, das unter dem Asperger-Syndrom leidet: Der Mangel an sozialen Fähigkeiten, die begrenzte Möglichkeit, einen wirklichen Dialog zu führen, und ein intensives Interesse an einem bestimmten Thema sind wesentliche Züge des Leidens. Die Eltern solcher Kinder berichten, wie isoliert ihr Kind in der Schule ist und dass es nur wenige richtige Freunde hat. Diese Kinder scheinen die Körpersprache anderer Menschen nicht deuten zu können und machen Bemerkungen, die zwar richtig, aber möglicherweise peinlich sein können.
Lorna Wing war die Erste, die den Begriff Asperger-Syndrom in einem 1981 veröffentlichten Aufsatz verwendete. Sie beschrieb darin eine Gruppe von Kindern und Erwachsenen. Sie wiesen Merkmale auf, die dem Profil von Fähigkeiten und Verhalten ähnelten, die der Wiener Kinderarzt Hans Asperger geschildert hatte. In seiner 1944 veröffentlichten Doktorarbeit beschrieb er vier Jungen, die in ihren sozialen, sprachlichen und kognitiven (gedanklichen) Fähigkeiten ungewöhnlich waren. Er benutzte den Ausdruck »autistische Psychopathie«, um das zu beschreiben, was er als eine Form der Persönlichkeitsstörung ansah. Es ist interessant, dass er den Begriff »autistisch« verwendete wie auch ein Landsmann von ihm, Leo Kanner, der kurz zuvor in den Vereinigten Staaten eine eigene Darstellung autistischer Kinder veröffentlicht hatte. Beide Autoren schilderten dasselbe Symptommuster und benutzten denselben Begriff.
Leider fand Hans Aspergers Beschreibung in Europa und in den Vereinigten Staaten in den folgenden 30 Jahren kaum Beachtung. Dennoch behandelte er auch weiterhin Kinder mit autistischer Psychopathie. Er eröffnete ein Heilpädagogisches Institut für solche Kinder, und eine Kollegin, Schwester Viktoria, leitete das erste Erziehungsprogramm in die Wege, das Sprachtherapie, Theaterspiele und Leibeserziehung mit einschloss. Tragischerweise kam sie um, als das Institut gegen Kriegsende von den Bomben der Alliierten zerstört wurde; aber Hans Asperger war auch weiterhin ein hoch geschätzter Kinderarzt. ▶ [1] Er starb 1980, nur wenige Jahre bevor das Syndrom, das seinen Namen trägt, internationale Anerkennung fand.
Sowohl Leo Kanner als auch Hans Asperger berichteten über Kinder, die kaum soziale Interaktion, fehlende Kommunikation und ein ausgeprägtes Interesse an speziellen Themen an den Tag legten. Leo Kanner beschrieb Kinder mit einem ausgeprägteren Autismus, wohingegen Hans Asperger über Kinder berichtete, die weit mehr Fähigkeiten besaßen. Dennoch beherrschte Leo Kanners Arbeit in der Folge unsere Auffassung vom Autismus, sodass die Diagnosekriterien einen auffallenden Mangel an Reaktionsfähigkeit auf andere Menschen und gravierende Sprachstörungen mit einschlossen. Es ist das typische schweigsame und unnahbare Kind. Der Psychologin Lorna Wing fiel auf, dass einige Kinder in den ersten Jahren ihres Lebens die typischen autistischen Züge aufwiesen, dass sie jedoch eine flüssige Redeweise hatten und den Wunsch äußerten, mit anderen in Kontakt zu treten.
Merkmale des Asperger-Syndroms
Lorna Wing ▶ [2] beschrieb die wesentlichsten Züge des Asperger-Syndroms wie folgt:
Mangel an Empathie (Einfühlungsvermögen)
naive, unzureichende und einseitige Interaktion
gering ausgeprägte Fähigkeit oder Unfähigkeit, Freundschaften zu schließen
pedantische, repetitive Redeweise
gering ausgeprägte nonverbale Kommunikation
intensive Beschäftigung mit Spezialthemen
unbeholfene und schlecht koordinierte Bewegungen und sonderbare Körperhaltungen
Einerseits hatten sie sich so weit entwickelt, dass die Diagnose des klassischen Autismus (gemäß den durch Leo Kanners Arbeit aufgestellten Kriterien) nicht mehr zutreffend war; andererseits hatten sie noch immer große Probleme mit subtileren sozialen Fähigkeiten und Gesprächen. Sie ähnelten mehr den Fällen, die Hans Asperger geschildert hatte. Seit den 1990er-Jahren herrscht die Auffassung vor, dass das Asperger-Syndrom eine Variante des Autismus und eine tief greifende Entwicklungsstörung ist. Das heißt, das Leiden beeinflusst die Entwicklung einer weit reichenden Palette von Fähigkeiten. Heute wird es als Untergruppe des autistischen Spektrums angesehen und hat seine eigenen Diagnosekriterien. Auch gibt es Grund zu der Annahme, dass es wesentlich häufiger vorkommt als der klassische Autismus und auch bei Kindern diagnostiziert werden kann, die niemals zuvor für autistisch gehalten wurden.
Um zur Diagnose Asperger-Syndrom zu gelangen, können Eltern eine Einschätzskala ausfüllen oder es erfolgt eine diagnostische Beurteilung durch Fachleute.
Nur wenige Eltern und Fachleute, das heißt Lehrer, Therapeuten und praktische Ärzte, kennen die Symptome des Asperger-Syndroms. Von daher ziehen sie es gar nicht in Erwägung, ein Kind auf tief greifende Entwicklungsstörungen hin untersuchen zu lassen.
Sicherlich sind die Standard-Einschätzskalen, die für den Autismus erarbeitet wurden, nicht für Kinder mit Asperger-Syndrom geeignet. ▶ [3] Glücklicherweise wurden zwei neue Skalen entwickelt, mit deren Hilfe sich herausfinden lässt, ob Kinder an diesem Syndrom leiden. Sie sind für Eltern und Lehrer konzipiert; die erste wurde in Schweden entwickelt ▶ [4], die zweite in Australien ▶ [5]. Sie basieren auf den offiziellen Diagnosekriterien der Fachliteratur über die damit verbundenen Merkmale und einer großen klinischen Erfahrung. Im Folgenden finden Sie die australische Skala für das ▶ Asperger-Syndrom.
Eine diagnostische Beurteilung nimmt viel Zeit in Anspruch und umfasst die Untersuchung spezifischer Aspekte der sozialen, sprachlichen, kognitiven und motorischen Fertigkeiten sowie qualitative Aspekte der Interessen des Kindes. Es kann auch ein Test stattfinden, bei dem eine Reihe psychologischer Verfahren zur Anwendung kommt. Darüber hinaus findet stets ein Gespräch mit den Eltern statt, um Informationen über die Entwicklungsgeschichte und das Verhalten ihres Kindes in speziellen Situationen zu erhalten. Eine weitere unschätzbare Informationsquelle sind Berichte von Lehrern sowie Sprach- und Ergotherapeuten.
Während der diagnostischen Beurteilung konstruiert der Spezialist Situationen, um spezifische Verhaltensweisen herauszufinden, und macht sich Notizen auf einer Kontrollliste für diagnostische Anzeichen. Wenn er das Sozialverhalten untersucht, hält er fest, inwieweit Reziprozität besteht, wie die andere Person in das Gespräch oder Spiel mit einbezogen wird, wann Augenkontakt erwartet wird; ferner die Palette der Gesichtsmimik und der Körpersprache. Er fragt das Kind, was es sich unter Freundschaft vorstellt, und bittet es, eine Reihe von Emotionen zu erkennen und auszudrücken. Die Eltern werden über das Verständnis ihres Kindes in Bezug auf die Regeln des Sozialverhaltens befragt, über seine Reaktionen auf den Druck von Gleichaltrigen, das Ausmaß seines Wettbewerbsgeistes und seine Fähigkeiten im Spiel mit anderen Kindern. In einem klinischen Umfeld ist es gewöhnlich nicht möglich, die Interaktionen des Kindes mit Gleichaltrigen zu beobachten; daher kann es angebracht sein, einen Besuch zu vereinbaren, bei dem das Kind im Klassenzimmer und auf dem Schulhof beobachtet wird. Erst so wird eine vollständige Beurteilung seiner sozialen Fähigkeiten möglich.
Bei Verdacht auf Asperger-Syndrom erstellt der Spezialist auch ein genaues Profil der sprachlichen Fähigkeiten. Das Muster schließt oft einen leicht verzögerten Sprechbeginn mit ein, aber wenn das Kind dann sprechen lernt, sind die Eltern zumeist schnell von seinen unaufhörlichen Fragen und seinen einseitigen Gesprächen genervt. Im Laufe der diagnostischen Beurteilung hält der Arzt fest, wie viele Fehler das Kind in den praktischen Aspekten der Sprache macht, das heißt, wie die Sprache im sozialen Kontext verwendet wird. Häufig ist zu beobachten, dass das Kind – wenn es nicht weiß, was es auf eine Frage antworten soll – nicht um eine Erläuterung bittet, sondern nur ungern zugibt, dass es keine Erwiderung weiß; in diesem Fall wechselt es oftmals zu einem Thema über, bei dem es sich auskennt, oder es zögert einfach sehr lange, bis es eine Antwort gibt. Die Sprechweise kann flüssig und gehoben sein, aber die Auswahl der Wörter ist ungewöhnlich – ein wenig pedantisch oder übermäßig förmlich. Das Kind kann einen merkwürdigen Tonfall haben, der nicht mit dem anderer Kinder seiner Umgebung übereinstimmt, oder auch eine überkorrekte Aussprache an den Tag legen. Wichtig ist auch, wie oft die Personalpronomen falsch verwendet werden, wann das Kind seinen Vornamen benutzt, statt mich oder ich zu sagen, wann es etwas wortwörtlich interpretiert und ob es seine Gedanken bei Gelegenheiten ausspricht, wo man eigentlich erwarten würde, dass es schweigt.
Der folgende Fragebogen ▶ [6] wurde für Kinder im Grundschulalter entwickelt. In diesem Alter fallen ungewöhnliche Verhaltensmuster und Fähigkeiten am häufigsten auf.
Jeder Frage oder Aussage folgt eine Skala von 0 bis 6, wobei 0 das gewöhnliche Ausmaß für Kinder dieser Altersgruppe, 6 das ungewöhnlichste angibt.
Soziale und emotionale Fertigkeiten:
Fehlt es dem Kind an Verständnis dafür, wie es mit anderen Kindern spielen kann? Beispiel: Es kennt die ungeschriebenen Regeln von sozialen Spielen nicht.
Vermeidet es den sozialen Kontakt lieber, wenn es die Möglichkeit hat, mit anderen Kindern zu spielen, etwa in der Schulpause? Beispiel: Es geht in einen abgelegenen Raum oder in die Bibliothek.
Ist sich das Kind sozialer Konventionen oder Verhaltensmaßregeln nicht bewusst und neigt es dadurch zu unangemessenen Handlungen und Bemerkungen? Beispiel: Es sagt etwas zu jemandem, ohne sich bewusst zu sein, dass diese Bemerkung womöglich verletzen könnte.
Fehlt es dem Kind an Empathie, d. h. dem intuitiven oder unmittelbaren Verständnis für die Gefühle anderer Personen? Beispiel: Es erkennt nicht, dass eine Entschuldigung einer anderen Person helfen könnte, sich besser zu fühlen.
Scheint das Kind zu erwarten, dass andere Leute seine Gedanken, Erfahrungen und Meinungen kennen? Beispiel: Es erkennt nicht, dass man etwas nicht weiß, weil man zu dem Zeitpunkt nicht mit dem Kind zusammen war.
Muss das Kind besonders ausgiebig beruhigt werden, insbesondere wenn Dinge verändert werden oder schiefgehen?
Fehlt es dem Kind an Feingefühl im Gefühlsausdruck? Beispiel: Das Kind zeigt eine für die Situation übermäßig starke Belastung oder Gefühlsbewegung.
Fehlt es dem Kind an Angemessenheit in seinem Gefühlsausdruck? Beispiel: Es versteht nicht, welches Ausmaß seines Gefühlsausdrucks bei verschiedenen Personen angemessen ist.
Ist das Kind nicht daran interessiert, an Wettkämpfen, Spielen oder Aktivitäten teilzunehmen?
Ist das Kind gleichgültig gegenüber dem Anpassungsdruck? Beispiel: Es folgt nicht der neuesten Mode bei Spielsachen oder Kleidung.
Kommunikative Fertigkeiten:
Interpretiert das Kind Bemerkungen wörtlich? Beispiel: Es wird durch Redewendungen wie »sich warm anziehen müssen«, »Blicke, die töten können« oder »jemandem die Augen öffnen« verwirrt.
Hat das Kind eine ungewöhnliche Sprachmelodie? Beispiel: Das Kind scheint einen ausländischen Akzent zu haben oder einen gleich bleibenden Tonfall, bei dem die Betonung der Schlüsselwörter fehlt.
Erscheint das Kind desinteressiert an den Kommentaren und Bemerkungen des Gesprächspartners? Beispiel: Es fragt nicht nach und nimmt nicht Stellung zu Gedanken oder Einstellungen des Gesprächspartners.
Tendiert das Kind in Gesprächen zu weniger Blickkontakt, als man es erwarten würde?
Ist die Sprache des Kindes übergenau oder pedantisch? Beispiel: Es spricht förmlich oder wie ein wandelndes Wörterbuch.
Hat das Kind Probleme, einen Gesprächsverlauf zu korrigieren? Beispiel: Wenn das Kind verwirrt ist, fragt es nicht nach, sondern wechselt zu einem vertrauten Thema oder benötigt eine Ewigkeit, um über eine Antwort nachzudenken.
Kognitive Fähigkeiten:
Liest das Kind Bücher vorrangig zur Information und scheint nicht an fiktiven Welten interessiert? Beispiel: Es ist ein gieriger Leser von Lexika und wissenschaftlichen Büchern, aber nur wenig an Abenteuergeschichten interessiert.
Hat das Kind ein ungewöhnliches Langzeitgedächtnis für Ereignisse und Fakten? Beispiel: Es merkt sich das Nummernschild von einem früheren Auto des Nachbarn, oder es erinnert sich deutlich an Vorgänge, die mehrere Jahre zurückliegen, egal wie jung es zu dem Zeitpunkt war.
Zeigt das Kind keine sozialen »So-tun-als-ob«-Spiele? Hiermit ist Folgendes gemeint: Andere Kinder werden in seine imaginären Spiele nicht einbezogen, oder das Kind ist verwirrt von den »So-tun-als-ob«-Spielen der anderen Kinder.
Spezifische Interessen:
Ist das Kind fasziniert von einem bestimmten Thema und sammelt es begierig Informationen und Statistiken dazu? Beispiel: Das Kind wird zu einem wandelnden Lexikon an Wissen über Autos, Landkarten oder Spieltabellen.
Ist das Kind übermäßig beunruhigt durch Veränderungen der Alltagsroutine? Beispiel: Es ist belastet, wenn es auf einem anderen Weg als gewöhnlich zur Schule geht.
Entwickelt das Kind fein ausgebildete Gewohnheiten oder Rituale, die in einer bestimmten Reihenfolge vollzogen werden müssen? Beispielsweise muss es immer seine Spielsachen aufreihen, bevor es zu Bett geht.
Motorische Fertigkeiten:
Hat das Kind eine schlechte motorische Koordination? Beispiel: Es ist ungeschickt im Ballfangen.
Hat das Kind einen merkwürdigen Gang, wenn es läuft?
Andere Merkmale: Kreuzen Sie bitte in diesem Teil an, ob das Kind folgende Merkmale zeigt.
Ungewöhnliche Angst oder Unbehagen aufgrund
gewöhnlicher Geräusche, z. B. von elektrischen Geräten
eines Lichtstrahls auf der Haut oder der Kopfhaut
des Tragens bestimmter Kleidungsstücke
unerwarteter Geräusche
des Erkennens bestimmter Objekte
lauter, überfüllter Orte, z. B. Kaufhäuser
Eine Tendenz, zu klatschen oder zu schaukeln, wenn es erregt oder bekümmert ist
Fehlende Empfindlichkeit für geringfügigen Schmerz
Später Spracherwerb
Ungewöhnliche Gesichtsgrimassen oder -tics
Wenn die Mehrheit der Fragen mit Ja beantwortet wird und die Einschätzung zwischen zwei und sechs liegt (das heißt auffällig über dem normalen Wert), so bedeutet das nicht automatisch, dass das Kind das Asperger-Syndrom hat. Dennoch besteht diese Möglichkeit, und es empfiehlt sich eine Überweisung an eine Stelle, wo eine endgültige Diagnose erfolgen kann. Zweifellos werden die in den folgenden Kapiteln beschriebenen Strategien weiterhin relevant sein, da sie die Fragen der Einschätzskala aufgreifen.
Fähigkeiten und Interessen: Die kognitiven, das heißt die gedanklichen und das Lernen betreffenden Fähigkeiten werden genauso beurteilt. Man prüft, wie gut das Kind die Gedanken und die Gefühle anderer Menschen versteht; hierbei werden mehrere Geschichten zu Hilfe genommen. Von Bedeutung ist zudem, was das Kind gerne liest; man testet sein Langzeitgedächtnis für Einzelheiten und Bagatellen sowie die Qualität seiner fantasievollen Spiele – sowohl wenn es allein spielt als auch wenn es dies mit anderen tut.
Auch die speziellen Interessen des Kindes werden genauer untersucht. Relevant ist, ob sie typisch für ein Kind dieser Altersstufe sind und inwieweit sie im Gespräch und in der Freizeit eine vorherrschende Rolle einnehmen; ferner werden die Art und die Geschichte dieser Interessen festgehalten. Darüber hinaus befragt man die Eltern nach Reaktionen ihres Kindes auf Veränderungen in der Alltagsroutine, auf Unvollkommenheit, Chaos und Kritik.
Schließlich untersucht man die motorischen Fähigkeiten; das Kind wird ermutigt, einen Ball aufzufangen und herumzukicken, zu rennen, zu zeichnen und zu schreiben. Von Bedeutung für die Diagnose ist, ob irgendwelche merkwürdigen Handbewegungen gemacht werden oder ob das Kind hin und her schaukelt, insbesondere, wenn es glücklich oder gestresst ist; des Weiteren werden Zuckungen und Grimassen beobachtet.
Man fragt die Eltern nach jeder ungewöhnlichen Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen, Berührungen und Lebensmitteln sowie nach jeder auffälligen Empfindlichkeit gegenüber noch so geringfügigen Schmerzen oder körperlichen Beschwerden.
Schlussendlich untersuchen die Fachleute das Kind auf irgendwelche Anzeichen von Angst, Depression und das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom; es wird ermittelt, ob es noch ähnliche Kinder auf einer (oder beiden) Seite(n) der Familie gibt. Gleichermaßen von Bedeutung ist, ob irgendwelche wichtigen die Gesundheit betreffenden Vorkommnisse während der Schwangerschaft, der Geburt oder der frühen Kindheit zu verzeichnen waren.
Es muss betont werden, dass kein Diagnosemerkmal des Asperger-Syndroms ganz eindeutig ist; man findet kaum ein Kind, bei dem jedes einzelne Merkmal gleich stark ausgeprägt ist. Jedes Kind ist hinsichtlich der Ausprägung in jedem der angesprochenen Bereiche individuell verschieden. Ein Spezialist sollte deshalb unbedingt auch alternative Diagnosen und Erklärungen in Betracht ziehen.
Ein sozialer Rückzug und eine unzureichende Beteiligung am sozialen Geschehen können auch die Folge einer Sprachstörung sein. Sicherlich hat die semantisch-pragmatische Sprachstörung Gemeinsamkeiten mit dem Asperger-Syndrom.
Kleine Kinder mit spezifischen Lernproblemen und Entwicklungsverzögerungen können auch ein ungewöhnliches Sozialverhalten entwickeln, und man muss überlegen, ob das Profil ihrer Fertigkeiten und Verhaltensweisen mit ihrem Entwicklungsniveau im Einklang steht.
Es kommt auch vor, dass Kinder mit einem hohen Intelligenzquotienten das freie Spiel als langweilig empfinden, sich daraufhin beträchtliche Kenntnisse auf spezifischen Gebieten verschaffen und infolgedessen exzentrisch wirken; dennoch ist das Profil ihrer sozialen und sprachlichen Fähigkeiten innerhalb des Normalen und entspricht nicht dem von Kindern mit Asperger-Syndrom.
Die Differenzialdiagnose anderer Leiden, die dem Asperger-Syndrom ähneln oder mit ihm assoziiert werden, wird an dieser Stelle nur angedeutet. Es soll genügen, dass der Diagnoseprozess die Untersuchung einer ganzen Reihe von Erklärungen und alternativen Entwicklungsstörungen mit einschließt, die die Anzeichen bestätigen können, welche auf das Asperger-Syndrom hinzuweisen scheinen. Der Schlussteil dieses Prozesses besteht darin, die Informationen, die man bei der diagnostischen Beurteilung erlangt hat, auf die formalen Diagnosekriterien anzuwenden.
Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom
Kinder, die unter dem Aufmerksamkeits-Defizitsyndrom leiden, weisen oft einige Merkmale auf, die auf das Asperger-Syndrom hindeuten. Obwohl das zwei unterschiedliche Störungen sind, schließen sie sich nicht gegenseitig aus, und ein Kind kann von beiden betroffen sein. Es bedarf einer gründlichen Untersuchung einer breiten Skala von Fertigkeiten und Verhaltensweisen, um zwischen beiden zu unterscheiden. Außerdem muss man berücksichtigen, dass es Kinder gibt, die von Natur aus schüchtern, introvertiert oder ängstlich sind.
Weder Hans Asperger noch Lorna Wing legten ganz explizit die Kriterien für eine Diagnose fest, und zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keine allgemein gültige Vereinbarung. Fachleute haben die Wahl zwischen vier Kriteriengruppen: Zwei wurden von Organisationen entwickelt, zwei von Fachleuten. Die restriktivsten und strengsten Kriterien stammen von der WHO, die diese in ihrer zehnten Ausgabe der »International Classification of Diseases« veröffentlicht hat, sowie von der American Psychiatric Association, die sie in der vierten Ausgabe ihres »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« aufführt. Die am wenigsten restriktiven Kriterien wurden von Peter Szatmari und seinen Kollegen aus Kanada erstellt sowie von Christopher und Carina Gillberg aus Schweden. Im ▶ Serviceteil dieses Buches finden Sie die einzelnen Kriteriengruppen aufgelistet. Es ist Ansichtssache, welche Kriterien man anwenden möchte; ich selbst ziehe die der Gillbergs vor, da sie eindeutig, präzise und umfassend sind.
Forschungen zeigen, dass das Durchschnittsalter für die Diagnose bei acht Jahren liegt, doch reicht die Altersskala von Kleinkindern bis hin zu Erwachsenen. ▶ [7]
Ich habe mich im Laufe vieler Jahre auf die Diagnose und Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit Asperger-Syndrom spezialisiert; meiner Auffassung nach gibt es sechs verschiedene Wege, um eine Diagnose zu treffen.
Einer der Gründe, warum Lorna Wing eine größere Akzeptanz des Begriffs Asperger-Syndrom vorschlug, war die Erkenntnis, dass ein bestimmter Anteil der Kinder, die in den Vorschuljahren die typischen Anzeichen für Autismus aufwiesen, später bedeutende Verbesserungen in der Kommunikation und der Entfaltung ihrer Fähigkeiten zeigen.
Das Kind, das sich zuvor zurückgezogen und unter schweren Sprachstörungen gelitten hatte, entwickelte im Laufe der Zeit eine flüssige Sprechweise und ist somit in der Lage, sich – mit einer gewissen Unterstützung – in eine normale Klasse zu integrieren. Es steht nicht mehr abseits, ist nicht mehr stumm, und sein Verhalten und seine Fähigkeiten stimmen mit der Diagnose des Asperger-Syndroms überein. ▶ [8]
Diese Verbesserung kann mit bemerkenswerter Schnelligkeit erfolgen und noch vor dem Alter von fünf Jahren eintreten. ▶ [9] Es ist nicht klar, ob dies bei manchen Kindern ein natürliches Phänomen ist oder ob es frühen Interventionsprogrammen zuzuschreiben ist (wahrscheinlich trifft beides zu). Dennoch war die vorige Diagnose auf klassischen Autismus bei dem kleinen Kind richtig, aber das Kind hat gemäß des autistischen Kontinuums Fortschritte gemacht – bis zu dem Erkrankungsgrad, den wir Asperger-Syndrom nennen.
Es ist ganz wichtig, dass die Diagnose auf Autismus regelmäßig überprüft wird, damit man feststellen kann, ob die genauere Diagnose nun Asperger-Syndrom lautet und ob das Kind an entsprechende Förderstellen überwiesen werden sollte.
Es ist gut möglich, dass die Entwicklung des Kindes in den Vorschuljahren ohne Auffälligkeiten vonstatten ging und dass weder Eltern noch Ärzte jemals in Betracht zogen, das Kind könnte autistisch sein.
Dennoch ist der erste Lehrer, den das Kind hat, mit den Maßstäben für normales Verhalten und normale Fähigkeiten bei kleinen Kindern vertraut und beobachtet, dass das Kind das Spielen mit anderen meidet, die Regeln des Sozialverhaltens innerhalb der Klasse nicht versteht, ungewöhnliche Sprechgewohnheiten hat und eine außergewöhnliche Fantasie an den Tag legt, sich ferner von einem bestimmten Thema ganz besonders angezogen fühlt und sehr unbeholfen beim Zeichnen, Schreiben oder Ballfangen ist. Es kann sich zudem störend und aggressiv verhalten, wenn es in nicht vermeidbare Nähe zu anderen Kindern gerät oder wenn es auf etwas warten muss.
Zu Hause benimmt sich das Kind möglicherweise ganz anders; es spielt mit seinen Geschwistern und interagiert in relativ normaler Weise mit seinen Eltern. Doch unter ihm nicht vertrauten Umständen und im Zusammensein mit Gleichaltrigen treten die Anzeichen stärker hervor. Diese Kinder haben zwar die klassischen Symptome, doch sehen ihre Lehrer keinen wirklichen Grund, sie an Spezialisten zu verweisen. Sie werden ihre ganze Schulzeit hindurch als sonderbar angesehen und versetzen ihre Lehrer immer wieder in Erstaunen.
Eins von 300 Kindern zeigte Asperger-Syndrom
In einer in Schweden durchgeführten Studie wurde eine für Lehrer konzipierte Einschätzskala verwendet, mit der sie Kinder in ihren Klassen erkennen sollten, bei denen Verdacht auf Asperger-Syndrom bestand. Solche Kinder wurden dann einer diagnostischen Beurteilung unterzogen, wobei man die üblichen Kriterien anlegte. Ursprünglich war man davon ausgegangen, dass etwa ein Kind unter tausend das Asperger-Syndrom aufweist (eine ähnliche Häufigkeit wie beim Autismus). Die Studie ergab jedoch, dass das Asperger-Syndrom unter 300 Kindern etwa einmal vorkommt. ▶ [10] Es ist also viel häufiger als Autismus und folglich kann bei der Mehrheit der Betroffenen vorher keine Diagnose auf Autismus gestellt worden sein.
Es ist möglich, dass die frühe Entwicklung des Kindes und seiner Fähigkeiten als ungewöhnlich erkannt wurde und dass die Untersuchung den Verdacht auf eine bestimmte Störung nahelegt. Das Kind hatte beispielsweise eine verzögerte Sprachentwicklung oder es wurde von einem Sprachtherapeuten behandelt. Doch eine sorgfältige Beobachtung der sozialen und kognitiven Fähigkeiten des Kindes sowie seiner Interessengebiete lässt darauf schließen, dass das Profil komplexer ist und hier eher die Diagnose Asperger-Syndrom zutrifft. Vielleicht war bei dem Kind zuvor schon das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom diagnostiziert worden, was zur Annahme verleitete, dieses eine Syndrom erkläre alle anderen Merkmale. Manchmal wird ohne Schwierigkeiten ein anderes Leiden erkannt, wie eine zerebrale Lähmung oder die Neurofibromatose (Recklinghausen-Krankheit). Obwohl den Spezialisten auffällt, dass das Kind einen atypischen Ausdruck aufweist, reichen ihre Kenntnisse über das Asperger-Syndrom nicht aus, um diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Schließlich erkennt ein Spezialist die Symptome, oder die Eltern lesen etwas über das Syndrom und wenden sich an die dafür zuständige Stelle.
Falls also eine Diagnose gestellt wurde, so schließt sie nicht aus, dass noch ein zweites Leiden – wie das Asperger-Syndrom – vorliegt; klinische Erfahrungen und Forschungsstudien haben bewiesen, dass es Kinder mit zweifacher Diagnose gibt.
Wird bei einem Kind die Diagnose auf Autismus oder Asperger-Syndrom gestellt, so unterrichtet man seine Eltern bald darauf von den unterschiedlichen Formen, in denen diese Erkrankung ihren Ausdruck findet. Solche Informationen werden aus der Fachliteratur oder aus Gesprächen mit Spezialisten oder anderen Eltern einer örtlichen Selbsthilfegruppe bezogen. Möglicherweise erhebt sich dann die Frage, ob noch ein weiteres Familienmitglied das Asperger-Syndrom haben könnte. Es gibt Familien, in denen mehr als ein Kind unter dem Syndrom leidet oder wo das Syndrom in mehreren Generationen beobachtet wurde, sodass sie Erfahrungswerte haben.
Ein Kind mit Asperger-Syndrom wird während der Grundschulzeit möglicherweise als etwas exzentrisch oder zurückgezogen eingestuft, weist aber keinerlei Anzeichen auf, die eine Überweisung zwecks einer Diagnose nötig machen. Das kann sich im Teenageralter ändern. Die Versuche des Heranwachsenden, an den Aktivitäten Gleichaltriger teilzunehmen, können zu Depressionen führen, weil der Betroffene vielleicht verspottet wird. Ein Jugendpsychiater erkennt dann schnell, dass es sich hierbei um die sekundäre Folge des Asperger-Syndroms handelt.
Werden diese Zustände diagnostiziert und behandelt, ist der Spezialist möglicherweise der Erste, der die Symptome des Asperger-Syndroms erkennt. Oft ziehen sich die vom Syndrom Betroffenen während ihrer Adoleszenz ganz in ihre eigene Welt zurück, sprechen mit sich selbst und verlieren das Interesse an sozialen Kontakten und an Hygiene. Unter Umständen besteht der Verdacht, sie könnten eine Schizophrenie entwickeln, aber eine sorgfältige Untersuchung ergibt, dass ihr Verhalten nicht psychotisch, sondern eine verständliche Reaktion auf das Asperger-Syndrom während der Adoleszenz ist.
Viele junge Erwachsene mit diesem Syndrom berichten von starken Angstgefühlen. Der Betroffene kann sogar Panikattacken oder Zwangshandlungen entwickeln (zum Beispiel wäscht er sich aus Angst vor Ansteckung häufig die Hände).
Heutzutage, da wir das Asperger-Syndrom besser kennen und verstehen, werden nicht nur Kinder oder Jugendliche an entsprechende Spezialisten verwiesen. Manche Erwachsene bitten aus eigenem Antrieb um eine diagnostische Beurteilung. Für einen Spezialisten ist es dann wichtig, zuverlässige Informationen über die Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu erhalten, die der Erwachsene als Kind hatte. Eltern, Verwandte oder Lehrer können eine Quelle für unschätzbares Wissen sein, wenn es darum geht, die Erinnerungen, die der Erwachsene an seine Kindheit hat, aufzufrischen.
Es kommt vor, dass psychiatrische Institutionen für Erwachsene einen Menschen anhand seiner Symptome auf atypische Schizophrenie oder Alkoholismus diagnostizieren. Die Häufigkeit von Schizophrenie bei Menschen mit Asperger-Syndrom ähnelt der Häufigkeit dieser Krankheit bei der allgemeinen Bevölkerung, aber die Symptome können bei manchen Menschen, oberflächlich gesehen, ähnlich sein – was zu Fehldiagnosen führt.
Manchmal ist Alkoholismus ein Anzeichen für eine Depression oder den Versuch, die eigene Angst zu überwinden, die man im Beisein anderer hat; in diesem Fall trinkt der Betroffene sich Mut an. Manchmal kann hier aber auch die Diagnose auf Asperger-Syndrom gestellt werden.
In sehr seltenen Fällen kommt es vor, dass ein am Asperger-Syndrom Leidender eine Straftat begeht; oft steht diese dann im Zusammenhang mit seinem speziellen Interesse. Beispielsweise war ein junger Mann von Zügen fasziniert, und während er einmal auf einem Bahnsteig stand, entschloss er sich, eine Lokomotive zu »stehlen«. Nach der Tat wurde stark bezweifelt, dass er böse Absichten gehabt habe; er war lediglich von der Lok ungeheuer fasziniert gewesen. Daher kann es vorkommen, dass bei strafrechtlichen Verfahren vor Gericht ein psychiatrisches Gutachten eingeholt wird.
Schlussendlich wird in den Arbeitsämtern bei der Stellenvermittlung klar, dass Menschen mit einer starken Ausprägung des Syndroms besondere Hilfe bei der Arbeitsvermittlung benötigen; ihr Personal kann daher die Betroffenen zur Diagnose überweisen und eine spezielle Berufsberatung empfehlen.
Es gibt sechs Wege zur Diagnose. Ungeachtet dessen, ob bei dem Kind oder dem Erwachsenen, um das/den Sie sich Sorgen machen, bereits eine Diagnose gestellt wurde – die folgenden Kapitel werden Ihnen weitere Informationen über die Merkmale des Syndroms liefern. Darüber hinaus zeige ich Strategien auf, mit deren Hilfe gewisse Fähigkeiten gelernt werden können, die nicht betroffene Personen ohne Schwierigkeit erringen, die von einem Menschen mit Asperger-Syndrom jedoch oft mit einiger Mühe erworben werden müssen.
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Der Umgang mit Anderen gestaltet sich zwar nicht einfach, aber es ist möglich, die Betroffenen dabei zu unterstützen und z. B. auf Freundschaften vorzubereiten.
Die Gesellschaft beurteilt Menschen danach, wie sie aussehen, sich benehmen und sprechen. Ein Betroffener fällt wegen seines Sozial- und Sprechverhaltens auf.
Eine erwachsene Frau mit Asperger-Syndrom beobachtete als Kind, wie neue Bewohner in das auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindliche Haus einzogen; sofort rannte sie zu einem der Kinder. Aber anstatt einer gewöhnlichen Begrüßung und der Frage »Hallo, hast du Lust, mit mir zu spielen?« verkündete sie: »Neun mal neun ist 81!« ▶ [11] Das exzentrische Sozialverhalten solcher Menschen kann sehr auffällig sein.
Die Diagnosekriterien versuchen ganz grundsätzlich, das ungewöhnliche Profil der Fähigkeiten und Verhaltensmerkmale des Asperger-Syndroms zu definieren. Dabei beziehen sich alle Merkmale auf gestörte Sozialverhaltensweisen. 1989 arbeiteten Carina und Christopher Gillberg sechs Kriterien heraus, die auf ihren in Schweden durchgeführten Untersuchungen basierten. Zwei der Kriterien beschreiben Aspekte des Sozialverhaltens.
Das erste Kriterium wird »soziale Beeinträchtigung« genannt. Sie liegt vor, wenn ein Kind mindestens zwei der folgenden Merkmale aufweist:
die Unfähigkeit, mit Gleichaltrigen zu interagieren
der mangelnde Wunsch, mit Gleichaltrigen zu kommunizieren bzw. in Kontakt zu treten
ein fehlendes Verständnis für soziale Signale
ein sozial und emotional unangebrachtes Verhalten
Ein anderes Kriterium erkundet die nonverbale Kommunikation, spiegelt aber auch Beeinträchtigungen im Sozialverhalten wider, wenn das Kind mindestens eines der folgenden Merkmale aufweist:
begrenzte Gestik
unbeholfene/linkische Körpersprache
eingeschränkte Mimik
unangemessener Ausdruck
sonderbarer, starrer Blick
Im selben Jahr veröffentlichten Peter Szatmari und seine Kollegen aus Kanada Diagnosekriterien, und in drei von fünf Fällen werden ungewöhnliche Arten des Sozialverhaltens beschrieben. ▶ [12] Sie heben verschiedene Aspekte hervor, denen die Gillbergs keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatten, und zwar: die Schwierigkeit, die Gefühle anderer zu erspüren; das Nichtansehenkönnen anderer Menschen; die Unfähigkeit, »Botschaften mit den Augen zu geben«; die Angewohnheit, zu nahe an andere Leute heranzutreten.
1990 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation eigene Diagnosekriterien für das Asperger-Syndrom. Sie betonte darin, dass das freie Spiel des Kindes einen Mangel an gemeinsamen Interessen, Aktivitäten, Emotionen und Verhaltensanpassungen aufweisen kann, die dem sozialen Kontext entsprechen.
Die neuesten Kriterien wurden 1994 von der American Psychiatric Association veröffentlicht. Ihr erstes bezieht sich auf eine qualitative Beeinträchtigung bei der sozialen Interaktion, die viele Merkmale miteinschließt, die bereits in den vorigen Kriterien beschrieben wurden; ihrer Meinung nach kann es dem Kind auch an einer sozialen und emotionalen Reziprozität fehlen: Mit anderen Worten, das Kind dominiert die Interaktion, vermag nicht auf andere einzugehen.