Ein Leben mit dem Asperger-Syndrom - Tony Attwood - E-Book

Ein Leben mit dem Asperger-Syndrom E-Book

Tony Attwood

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  • Herausgeber: TRIAS
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

"Gratulation, Sie haben Asperger!" "Gratulation - Sie haben Asperger". So stellt Tony Attwood, einer der weltweit bekanntesten Asperger-Experten, seinen Patienten üblicherweise die Diagnose. Denn Asperger ist einfach eine andere Art, die Welt zu denken, zu fühlen und mit ihr zu kommunizieren. Dieses Buch begleitet Sie durch alle Klippen und Untiefen. Einzigartig in seiner Fülle erläutert es jede Facette von der Diagnosestellung bis zu sprachlichen und kognitiven Besonderheiten. Sprechen Sie "Aspergisch"? Menschen mit Asperger-Syndrom jonglieren virtuos mit Fakten oder Zahlen - im menschlichen Miteinander sind sie aber oft hilflos überfordert. Auch wenn das Innenleben eines "Aspies" ihm selbst und seinen Mitmenschen auf den ersten Blick seltsam und unverständlich erscheint, mit bewährten Hilfen gelingt die Verständigung. Erstmals beleuchtet Attwood die spezifischen Anliegen von Erwachsenen an Beruf und Partnerschaft. In diesem Buch finden Sie bewährte Strategien, die die soziale und emotionale Kompetenz fördern. Viele Betroffene erzählen humorvoll und ermutigend, wie sie ihren Weg gefunden haben.

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Seitenzahl: 775

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Der Autor

Tony Attwood ist seit über 25 Jahren praktizierender klinischer Psychologe. Er hat mit mehr als 2000 Menschen aller Altersklassen gearbeitet, die das Asperger-Syndrom haben. Attwood bietet Workshops an und leitet weltweit Kurse für Eltern, Fachkräfte und Menschen mit dem Asperger-Syndrom. Außerdem ist er ein überaus produktiver Autor von Artikeln und Büchern zum Thema. Von ihm stammt auch der Bestseller »Das Asperger-Syndrom: Wie Sie und Ihr Kind alle Chancen nutzen«, der in Deutschland ebenfalls im TRIAS-Verlag erschienen ist.

Widmung

In Gedenken an meine Großmutter Elsie May Dovey (1903–1987) und an meinen Großvater William Howard Dovey (1905–2000).

Danksagung

Ich möchte mich bei den folgenden Menschen für ihre Ermunterung, ihre Vorschläge und ihre Unterstützung bedanken, die es mir ermöglicht haben, mir das nötige Wissen anzueignen, um dieses Buch fertigzustellen: bei meiner Frau Sarah, die jedes Kapitel in meinem Manuskript nachbearbeitet hat, um sicherzustellen, dass meine Sätze einen Sinn ergeben und grammatikalisch korrekt sind; das ist keine leichte Aufgabe; bei den vielen Menschen mit Asperger-Syndrom und ihren Eltern, die die Herausforderungen beschrieben haben, mit denen sie Tag für Tag konfrontiert sind, sowie die Strategien, die sie nutzen, um dabei erfolgreich zu sein, sie sind meine Mentoren; bei meinen Freunden und Kollegen, die das Manuskript kommentiert und wertvolle Hinweise und Ermunterungen gegeben haben. Insbesondere möchte ich Kari Dunn, Michelle Garnett, Carol Gray, Isabelle Hénault, Kathy Hoopmann, Janine Manjiviona, Stephen Shore und Liane Willey danken, die ich hier in alphabetischer Reihenfolge aufführe. Ich möchte außerdem meinen Klienten, Freunden und Familienmitgliedern mit Asperger-Syndrom danken. Ihr seid der Sonnenschein in meinem Leben.

Tony Attwood

Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

Von Kindheit bis Erwachsensein – alles was weiterhilft

Aus dem Englischen übersetzt von Rainer Döhle

Inhalt

Vorwort

Vorwort des Übersetzers

1 Was ist das Asperger-Syndrom?

Wie zeigt sich die Andersartigkeit?

Wege zur Diagnose

Warum eine Diagnose einholen?

Kompensations- und Anpassungsstrategien

Welche Vor- und Nachteile hat die Diagnosestellung?

2 Die Diagnose

Die Entwicklung der Diagnosekriterien

Fragebögen und Skalen

Diagnostische Beurteilung

Die gegenwärtigen Diagnosekriterien

Asperger-Syndrom oder High-Functioning-Autismus?

Wie häufig ist das Asperger-Syndrom?

Warum ist die Diagnose bei Mädchen oft schwieriger?

Erwachsene diagnostizieren

Das »Diagnosepuzzle« zusammensetzen

Wie sicher ist die Diagnose?

3 Soziales Verständnis und Freundschaft

Zurückgezogenheit

Soziale Fähigkeiten untersuchen

Warum sind Freundschaften so wichtig?

Freundschaften fördern

Wie gut entwickelt sich das soziale Verständnis?

4 Hänseln und Bullying

Arten des Hänselns

Was ist Bullying?

Warum sind Asperger-Kinder oft Zielscheibe?

Erkennen, dass ein Kind gemobbt wird

Strategien gegen Bullying

5 Theory of Mind

Was bedeutet Theory of Mind?

Auswirkungen im Alltag

ToM-Fähigkeiten fördern

6 Gefühle verstehen und ausdrücken

Was ist anders?

Untersuchungsmethoden

Angststörungen

Depression

Wut

Liebe

Kognitive Verhaltenstherapie

Affektives Lernen

Kognitive Restrukturierung

Emotionaler Werkzeugkasten

KVT-Strategien einüben

7 Spezialinteresse

Ein bestimmtes Thema fasziniert besonders

Wie entwickelt sich das Spezialinteresse?

Wozu dient es?

Wie sehen andere das Spezialinteresse?

Wie kann man es beeinflussen?

8 Sprache

Welche Auffälligkeiten gibt es?

Die Kunst der Konversation

Umgang mit den sprachlichen Besonderheiten

9 Kognitive Fähigkeiten

Welche Besonderheiten gibt es?

Lernschwierigkeiten in der Schule

Schwache zentrale Kohärenz

Die kognitive Entwicklung fördern

Visuelles Denken und besondere geistige Fähigkeiten

10 Bewegung und Koordination

Welche Auffälligkeiten gibt es?

Wie kann man die Bewegungsfähigkeit verbessern?

Unwillkürliche Bewegungen und Tics

Autistische Katatonie

Geeignete Sportarten

11 Sensorische Empfindlichkeiten

Besondere Über- oder Unempfindlichkeit

Geräuschempfindlichkeit

Berührungsempfindlichkeit

Geschmacks- und Geruchsempfindlichkeit

Visuelle Empfindlichkeit

Weitere sensorische Besonderheiten

12 Leben nach der Schule

Studium

Beruf

13 Langfristige Beziehungen

Partnerwahl

Beziehungsprobleme

Wie man die Beziehung stärken kann

Wenn ein Elternteil das Asperger-Syndrom hat

14 Psychotherapie

Was ist hilfreich, was nicht?

Wer bin ich?

Die eigene Identität finden und stärken

15 Häufige Fragen

Welche Ursachen sind bekannt?

Wie und wann erklärt man dem Kind die Diagnose?

Wie sieht die Zukunftsprognose aus?

Wie könnte es Jack ergehen?

Service

Anmerkungen

Zitierte Literatur

Adressen, Webseiten und Buchtipps

Glossar

Stichwortverzeichnis

Liebe Leserinnen, liebe Leser

Dieses Buch bietet eine persön liche Sicht auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit dem Asperger-Syndrom. Es basiert auf meiner umfangreichen klinischen Erfahrung, der Kenntnis entsprechender Forschungsergebnisse und Veröffentlichungen und eigener Untersuchungen. Ich bin praktizierender Psychologe in einer Klinik und habe das Buch für Eltern, Fachkräfte und Menschen mit Asperger-Syndrom geschrieben. Dabei habe ich versucht, nicht allzu viele Fachbegriffe zu verwenden, sodass man den Text auch ohne psychologische Fachausbildung verstehen kann. Für Kollegen und Studenten, die weitere Informationen suchen, biete ich Quellenangaben, mit denen bestimmte Aussagen belegt werden und die zusätzliche Informationen bereitstellen. Sie finden auch zahlreiche Zitate aus Autobiografien von Menschen mit Asperger-Syndrom. Jedes Kapitel beginnt mit einem Zitat von Hans Asperger – dem Wiener Kinderarzt, der die Merkmale des Syndroms als Erster beschrieb – und endet mit einem Zitat von einem Menschen mit Asperger-Syndrom. Ich denke, dass denjenigen, die selbst das Asperger-Syndrom haben, das letzte Wort gebührt.

Dieses Buch soll Eltern und Fachkräfte mit den aktuellsten Informationen ausstatten, damit sie einem Familienmitglied oder einer Person mit Asperger-Syndrom helfen können. Ich habe es aber auch zum persönlichen Nutzen von Menschen mit Asperger-Syndrom geschrieben. Meine Absicht ist es, dass das Lesen des Ratgebers es einem Menschen mit Asperger-Syndrom ermöglicht zu verstehen, warum er oder sie anders ist als andere, ohne sich deswegen entmutigt oder zurückgesetzt fühlen zu müssen. Es ist auch für andere wichtig, sich bewusst zu machen, dass es immer eine logische Erklärung für das exzentrisch erscheinende Verhalten von Menschen mit Asperger-Syndrom gibt. Dieses Buch erklärt die Logik und die Perspektive des Menschen mit Asperger-Syndrom.

Das Jahr 2006 war das hundertste Geburtsjahr von Hans Asperger, und je mehr ich die Welt entdecke, wie sie von Menschen mit Asperger-Syndrom wahrgenommen wird, desto mehr muss ich die Genauigkeit seiner detaillierten Beschreibung von vier betroffenen Kindern, Fritz, Harro, Ernst und Hellmuth, vor über 60 Jahren anerkennen. Ich habe Hans Asperger nie persönlich kennengelernt, doch habe ich großen Respekt vor seinem Verständnis und seiner Bewunderung einer bestimmten Gruppe von Kindern, die auch meine eigenen Helden sind. Vor ein paar Jahren traf ich seine Tochter, Maria Asperger-Felder, eine Kinderpsychiaterin in der Schweiz, und ich war bezaubert von ihren Geschichten über ihren Vater, seine Fähigkeiten und seine Persönlichkeit, vor allem aber über die Umstände, unter denen er in Wien Ende der 1930er-Jahre gearbeitet hat.

Maria gab mir eine der Arbeiten, die ihr Vater 1938 veröffentlichte, als er erstmals jene Merkmale beschrieb, die einige Jahre später als autistische Persönlichkeitsstörung bekannt wurden und die seit 1981 die Bezeichnung Asperger-Syndrom tragen. Als Kinderarzt im von den Nazis besetzten Österreich sprach er sich mutig gegen das zuvor eingeführte Gesetz »zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses« aus. Er vertrat die Meinung, dass durch Erziehung »die Gefahren gebannt werden können, die in der genetischen Veranlagung eines Kindes begründet liegen.« Er wollte die Kinder in seiner Klinik davor bewahren, ermordet zu werden und erklärte mit Vehemenz, dass ungewöhnliche Kinder nicht notwendigerweise minderwertig seien. Damit war er eindeutig ein Gegner der Nazis.

Es gibt also eine interessante Geschichte in Bezug auf die Entwicklung unseres Verständnisses von Kindern und Erwachsenen mit Asperger-Syndrom. Was aber sind unsere Hoffnungen für die Zukunft? Wir müssen innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Konsens finden, was die Diagnosekriterien angeht und wir müssen die Anzeichen des Asperger-Syndroms schon bei jüngeren Kindern sehr genau untersuchen, damit auch diese von frühen Interventionsprogrammen profitieren können. Die Regierungen müssen mehr Mittel für die Unterstützung von Kindern mit Asperger-Syndrom an der Schule bereitstellen, und sie müssen Erwachsenen mit Asperger-Syndrom helfen, eine Beschäftigung zu finden, die ihren Qualifikationen und Fähigkeiten entspricht. In unserer modernen Gesellschaft brauchen wir die Talente von Menschen mit Asperger-Syndrom und wir können Nutzen aus ihnen ziehen.

Mir macht Sorge, dass es in Regierungsbehörden kaum politische Strategien und Mittel gibt, die speziell auf Menschen mit Asperger-Syndrom ausgerichtet sind. Tatsächlich ist es bisweilen so, dass eine Diagnose von einem öffentlichen Arbeitgeber eher dazu benutzt wird, dem Betroffenen den Zugang zu Dienstleistungen zu versagen, statt ihn zu ermöglichen. Ich hoffe, dass das zunehmende öffentliche Bewusstsein für die Lebensumstände und die Fähigkeiten von Menschen mit Asperger-Syndrom die Entscheidungen der Politiker beeinflusst, besonders, da es bald eine riesige Anzahl Erwachsener mit Asperger-Syndrom geben wird, die eine diagnostische Beurteilung suchen wird, nämlich jene Generation, die bislang keine Gelegenheit hatte, diagnostiziert und verstanden zu werden.

In den nächsten zehn Jahren werden sich mehr Fachkräfte auf das Asperger-Syndrom spezialisieren und wir werden die Einrichtung örtlicher Diagnose- und Behandlungszentren erleben, die speziell auf Kinder und Erwachsene mit Asperger-Syndrom zugeschnitten sind. Wenn die Verbreitung des Asperger-Syndroms bei 1 von 250 Personen liegt, wird es auch genügend Überweisungen an Spezialisten geben, um ein nationales Netz von Kliniken und Fachkräften unterhalten zu können.

Wir brauchen eindeutig mehr Forschung im Bereich Asperger-Syndrom, vor allem bei Aspekten der sensorischen Wahrnehmung. Viele Menschen mit Asperger-Syndrom versuchen verzweifelt, ihre Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Geräuschen und andere sensorische Reize zu reduzieren. Gegenwärtig können Kliniker und Therapeuten wenig tun, um solche auditiven, taktilen und olfaktorischen Überempfindlichkeiten zu reduzieren. Wir müssen auch Programme entwickeln und evaluieren, mit denen die Fähigkeit, Freundschaften und Beziehungen einzugehen, ebenso gefördert wird wie die Fähigkeit, mit den eigenen Emotionen besser fertig zu werden und die Fähigkeit, Spezialinteressen konstruktiv umzusetzen.

Ich hoffe auch, dass es in Zukunft eine positivere und bestärkende Haltung gegenüber Menschen mit Asperger-Syndrom und ein zunehmendes Selbstbewusstsein der Betroffenen geben wird. Ich habe dieses Buch geschrieben, um das aktuelle Wissen, das wir über das Asperger-Syndrom haben, weiterzugeben, es wurde aber auch geschrieben, um vorhandene Einstellungen zu ändern. Wissen verändert Einstellungen, die umgekehrt auch wieder Fähigkeiten und Lebensumstände verändern können.

Brisbane (Australien), Januar 2008 Tony Attwood

Vorwort des Übersetzers

Für mich ist es eine Ehre, dieses Buch von Tony Attwood ins Deutsche zu übersetzen. Nicht ohne Grund wird Attwood von vielen autistischen Menschen in der englischsprachigen Welt mit etwas Augenzwinkern »Saint Tony« genannt – es gibt wenige Fachpsychologen auf dem Gebiet des Asperger-Syndroms, die zugleich ein so hohes Maß an Fachwissen haben und ein so tiefes menschliches Verständnis für die Perspektive von Menschen mit Asperger-Syndrom – für ihre Schwächen und Stärken – aufbringen. Ich durfte ihn vor einigen Jahren auf einem Autismuskongress in Magdeburg erleben und habe noch gut in Erinnerung, wie lebensnah er den Zuhörern die alltäglichen Sorgen dieser Menschen nahegebracht hat. Mittlerweile ist Attwood auch im deutschsprachigen Bereich längst ein Begriff. Sein erstes auf Deutsch erschienenes Buch »Das Asperger-Syndrom: Wie Sie und Ihr Kind alle Chancen nutzen« gilt hierzulande als Klassiker und ist immer meine erste Empfehlung für jeden gewesen, der sich über dieses Thema informieren will.

Ich denke, ich kann ganz gut beurteilen, wie authentisch Attwood die Lebensverhältnisse von Menschen mit Asperger-Syndrom beschreibt – ich habe nämlich selbst diese Diagnose. Leider war das Wissen um das Asperger-Syndrom lange Zeit alles andere als Allgemeingut; das ist auch der Grund dafür, warum ich selbst erst mit 31 Jahren überhaupt davon erfahren habe, dass es dieses Syndrom gibt. Wohl hatte ich den Film »Rain Man« gesehen und mit der Hauptfigur eine gewisse Seelenverwandtschaft empfunden, hatte aber doch Zweifel, ob die Bezeichnung »autistisch« auf mich wirklich zutreffen konnte. Erst Jahre später bin ich über das Internet darauf gestoßen, dass es auch eine Variante des Autismus gibt, die auf den ersten Blick meist unauffällig wirkt, eben das Asperger-Syndrom. Endlich hatte ich für viele meiner Schwierigkeiten einen Namen, ich fühlte mich vor allem erleichtert.

Nun hatte ich die Chance, eine wirksame Therapie bei einem Psychologen zu beginnen, der sich mit dem Thema Asperger-Syndrom auskennt (was leider nicht für alle Psychologen der Fall ist). Viele autistische Menschen haben Schwierigkeiten im Berufsleben, da es ihnen sehr schwer fällt, den sozialen Anforderungen an der Arbeitsstelle gerecht zu werden; so erging es mir früher auch. Eine dauerhafte Beschäftigung erschien mir angesichts meiner persönlichen Probleme illusorisch und ich schlug mich viele Jahre lang durch, wechselte von einem Job zum nächsten oder lebte von Sozialleistungen. Mein Selbstwertgefühl war meist im Keller, zumal es mir nie gelingen wollte, auch nur den Ansatz eines Freundeskreises aufzubauen. Die Diagnose veränderte daran einiges. Ich traute mir zu, ein Fernstudium zum Übersetzer zu absolvieren – diese Art des Studiums kam den Besonderheiten meines Asperger-Syndroms sehr entgegen –, das ich schließlich auch erfolgreich abschließen konnte.

Zugleich hatte ich aber auch den Wunsch, andere Menschen mit Asperger-Syndrom kennenzulernen. Das erwies sich als gar nicht so einfach. Im Jahre 2000, als ich meine Diagnose erhalten hatte, steckte die Asperger-Selbsthilfe in Deutschland noch in den Kinderschuhen. So suchte ich kurzerhand über das Internet selbst eine Hand voll erwachsener Menschen mit Asperger-Syndrom zusammen und rief eine Selbsthilfegruppe in Berlin ins Leben. Seither sind auch in Deutschland zahlreiche Selbsthilfetreffs entstanden, einige auf Initiative der Eltern, viele aber auch durch autistische Menschen selbst. Im Serviceteil finden Sie hilfreiche Adressen, z. B. des Vereins »Aspies e.V.«, der von Menschen mit Asperger-Syndrom gegründet wurde und für den ich mich sehr engagiere.

Der englischsprachige Raum ist, was die Hilfe und Selbsthilfe für Menschen mit dem Asperger-Syndrom angeht, immer ein Vorreiter gewesen. Hierzulande gibt es noch nicht im selben Maß Integrations-, Förder- und Therapieangebote. Und auch das deutschsprachige Literaturangebot ist nicht so umfangreich wie das englischsprachige. Daher finden Sie an entsprechenden Stellen im Buch Anmerkungen in [eckigen Klammern] zur Situation in Deutschland bzw. deutschsprachige Buchempfehlungen. Auch den Serviceteil habe ich entsprechend an die hiesigen Verhältnisse angepasst.

Wenn an einigen Stellen von »normalen« bzw. »betroffenen« Menschen die Rede ist, ist das keinesfalls wertend gemeint, sondern dient lediglich der Abkürzung der umständlichen Umschreibung: Menschen ohne Asperger-Syndrom bzw. Menschen mit Asperger-Syndrom.

Das Leben eines Menschen mit Asperger-Syndrom, wie es auch das vorliegende Buch beschreibt, ist mitunter facettenreich, hat aber wenig mit manchen spektakulären Klischees zu tun, die über autistische Menschen noch immer im Umlauf sind. Weder sind wir alle kleine Einsteins, noch leiden wir ständig an unserer Isolation. Wir sind Menschen, die oft auch Spaß am Leben haben, die den Ehrgeiz haben, ihr Leben eigenständig und erfolgreich zu gestalten; manche sind berufstätig und stolz, ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten zu können, manche leben auch in einer funktionierenden Partnerschaft. Auch wir leben also eine gewisse Normalität, zugleich aber gibt es viele Dinge, die jeden von uns einzigartig machen, und das sind nicht nur die manchmal etwas exzentrisch wirkenden Spezialinteressen und Tics.

Tony Attwood gelingt es, uns Menschen mit Asperger-Syndrom so darzustellen, dass wir als liebenswerte Individuen erscheinen, denen Respekt und Anerkennung gebührt. Dafür möchte ich ihm an dieser Stelle ausdrücklich meinen Dank aussprechen.

Berlin, Januar 2008 Rainer Döhle

1 Was ist das Asperger-Syndrom?

Es war ein Wiener Kinderarzt, der sich 1944 als Erster dem Studium des Asperger-Syndroms widmete, weil ihn die besonderen Fähigkeiten und Eigenarten dieser Kinder so faszinierten. Daher erhielt das Syndrom später auch seinen Namen. In diesem Kapitel wollen wir uns den Charakteristiken langsam annähern, indem wir uns die zahlreichen möglichen Wege, die letztendlich zur richtigen Diagnose führen, anschauen.

Wie zeigt sich die Andersartigkeit?

»Nicht alles, was aus der Reihe fällt, was also «abnorm» ist, muss deshalb auch schon «minderwertig» sein. «

Hans Asperger

Es klingelte an der Tür als Zeichen dafür, dass ein weiterer Gast zu Alicias Geburtstagsparty eingetroffen war. Ihre Mutter öffnete die Tür und sah hinunter auf Jack, der als letzter Gast kam. Es war der neunte Geburtstag ihrer Tochter und auf der Einladungsliste standen zehn Mädchen und ein Junge. Alicias Mutter war überrascht, dass ein Junge mit aufgenommen wurde, galten doch Jungen bei den Mädchen im Alter ihrer Tochter als doof und nicht wert, zur Geburtstagsparty eines Mädchens eingeladen zu werden. Alicia aber meinte, dass Jack anders sei. Seine Familie war vor kurzem nach Birmingham gezogen und Jack war erst seit ein paar Wochen in ihrer Klasse. Obwohl er versucht hatte, Freundschaften zu knüpfen, war ihm das bislang nicht gelungen.

Alicia schloss Jack gleich in ihr Herz

Die anderen Jungen hänselten ihn und ließen ihn an keinem ihrer Spiele teilnehmen. Letzte Woche saß er neben Alicia, als sie ihr Pausenbrot aß, und während sie ihm zuhörte, dachte sie, dass er ein netter und einsamer Junge sei, der von dem ganzen Lärm und der Hektik auf dem Schulhof etwas überfordert war. Er sah süß aus, eine Art jüngerer Harry Potter, und er wusste eine Menge über sehr viele Dinge. Sie schloss ihn gleich in ihr Herz, und ungeachtet der verblüfften Blicke ihrer Freundinnen, als sie ihnen sagte, dass sie diesen Jungen zu ihrer Party einladen wollte, hielt sie an ihrer Absicht fest, dass er kommen sollte.

»Mögen Sie Batterien?«

Und da war er nun, ein zurückgezogener Junge, der eine Geburtstagskarte und ein Geschenk hervorholte und sofort an Alicias Mutter weitergab. Sie bemerkte, dass er Alicias Namen auf dem Umschlag geschrieben hatte, allerdings war die Handschrift für einen Achtjährigen eigenartig unleserlich. »Du bist sicher Jack«, sagte sie und er antwortete nur mit ausdruckslosem Gesicht: »Ja.« Sie lächelte ihn an und wollte ihm vorschlagen, doch in den Garten zu Alicia und ihren Freundinnen zu gehen, als er sagte: »Alicias Geburtstagsgeschenk ist eine dieser Puppen, von denen meine Mutti sagt, dass sie jedes Mädchen gern hat; die hat sie ausgesucht, obwohl ich ihr eigentlich am liebsten ein paar Batterien geschenkt hätte. Mögen Sie Batterien? Ich schon, ich habe einhundertsiebenundneunzig Batterien. Batterien sind wirklich nützlich. Was für Batterien haben Sie denn in Ihrer Fernbedienung?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort: »Ich habe eine besondere Batterie aus Russland. Mein Papa ist Ingenieur, der hat an einer Ölpipeline in Russland mitgebaut und mir sechs AAA-Batterien mitgebracht mit russischer Schrift drauf. Das sind meine Lieblingsbatterien. Wenn ich ins Bett gehe, schau ich mein Kästchen mit meinen Batterien an und sortiere sie alphabetisch, bevor ich einschlafe. Meine Mutti sagt ja, ich solle lieber meinen Teddy im Arm halten, aber ich mag die Batterien lieber. Wie viele Batterien haben Sie?«

Jack sprach sehr eloquent

Sie antwortete: »Tja, das weiß ich nicht, wir müssen so einige davon haben...« und wusste nicht so recht, was sie als Nächstes sagen sollte. Ihre Tochter war ein freundliches und fürsorgliches Mädchen und sie begriff, warum sie diesen merkwürdigen kleinen Jungen als einen ihrer Freunde »adoptiert« hatte. Jack fuhr mit seinem Monolog über Batterien fort und erklärte, wie sie hergestellt werden und was man mit ihnen machte, wenn sie leer waren. Auch Alicias Mutter fühlte sich bald wie eine leere Batterie, nachdem sie einem Vortrag zugehört hatte, der ungefähr zehn Minuten dauerte. Obwohl sie ihm subtil signalisierte, dass sie woanders hingehen müsse und sie ihm schließlich sagte: »Ich muss jetzt gehen und das Essen für die Party vorbereiten«, sprach er weiter und folgte ihr in die Küche. Sie bemerkte, dass er, während er sprach, sie kaum ansah und dass sein Wortschatz für einen achtjährigen Jungen sehr ungewöhnlich war. Es war mehr, als würde sie einem Erwachsenen als einem Kind zuhören und er sprach recht eloquent, auch wenn er anderen offenbar nicht zuhören wollte.

Die Mädchen stellten ihm ein Bein

Schließlich sagte sie: »Jack, du musst in den Garten gehen und Alicia hallo sagen und jetzt aus der Küche gehen.« Dabei machte sie mit ihrem Gesichtsausdruck klar, dass es für sie keine Alternative gab. Er starrte einige Sekunden auf ihr Gesicht, als würde er ihren Gesichtsausdruck mühsam entziffern und entfernte sich dann. Sie sah aus dem Küchenfenster nach draußen und beobachtete, wie er über die Wiese auf Alicia zulief. Während er dabei durch eine Gruppe aus vier Mädchen lief, bemerkte sie, wie eine von ihnen ihm ein Bein stellte. Er fiel ungeschickt auf den Boden, alle Mädchen lachten. Doch Alicia sah, was passiert war und ging zu ihm, um ihm auf die Beine zu helfen.

Diese fiktive Szene ist typisch für eine Begegnung mit einem Kind mit Asperger-Syndrom.

Das Fehlen von sozialem Verständnis,

die begrenzte Fähigkeit, ein wechselseitiges Gespräch zu führen und

ein intensives Interesse für ein bestimmtes Thema

sind die Hauptmerkmale dieses Syndroms.

Am einfachsten versteht man das Asperger-Syndrom, wenn man es als die Beschreibung einer Person betrachtet, die die Welt anders als andere wahrnimmt und begreift.

Dr. Asperger beschrieb das Syndrom

Obwohl Ärzte erst seit kurzem diese Unterschiede beschreiben, so war doch das ungewöhnliche Fähigkeitsprofil, das wir heute als Asperger-Syndrom definieren, wahrscheinlich ein wichtiges und wertvolles Merkmal unserer Spezies im Verlauf ihrer gesamten Evolution. Erst im 20. Jahrhundert haben wir einen Namen gefunden, um solche Menschen zu beschreiben. Heute benutzen wir den diagnostischen Begriff Asperger-Syndrom, der auf die ungewöhnlich gut beobachtete Beschreibung von Dr. Hans Asperger zurückzuführen ist, einem Wiener Kinderarzt, dem 1944 auffiel, dass einige der Kinder, die in seine Klinik eingeliefert wurden, ähnliche Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen zeigten. Mitte der 1940er-Jahre wurde das psychologische Studium der Kindheit in Europa und in Amerika zu einem anerkannten und wachsenden Bereich der Wissenschaft, in dem es bedeutsame Fortschritte bei den Beschreibungen, theoretischen Modellen und Testwerkzeugen gab. Dennoch konnte Asperger keine Beschreibung und Erklärung für die kleine Gruppe einander ähnlicher und ungewöhnlicher Kinder, die ihn faszinierten, finden. Er schlug den Begriff »Autistische Psychopathen im Kindesalter« vor, wobei der Begriff »Psychopath« heute stark abwertend klingt und daher als Fachbegriff kaum noch üblich ist, damals aber allgemein eine Persönlichkeitsstörung bezeichnete, ohne notwendigerweise abwertend gemeint zu sein.

Typische Schwierigkeiten und besondere Fähigkeiten

Asperger war von Kindern mit einer autistischen Persönlichkeit offenbar fasziniert und beschrieb ihre Schwierigkeiten und Fähigkeiten mit einer bemerkenswerten Genauigkeit.1

Er beobachtete, dass die soziale Reife und das soziale Verständnis dieser Kinder verzögert waren und dass es in jeder Entwicklungsphase einige ungewöhnliche soziale Verhaltensweisen gab.

Den Kindern fiel es schwer, Freundschaften zu schließen und sie wurden oft von anderen Kindern gehänselt.

Es gab Beeinträchtigungen bei der verbalen und der nonverbalen Kommunikation, besonders bei den Aspekten der Sprache, die mit wechselseitiger Konversation zu tun haben.

Der Sprachgebrauch dieser Kinder war pedantisch und einige Kinder wiesen eine ungewöhnliche Prosodie (Sprachmelodie) auf, die die Tonlage, die Betonung und den Rhythmus der Sprache beeinflusste.

Die Grammatik und der Wortschatz waren wohl relativ fortgeschritten, aber der Gesprächsablauf war nicht altersgemäß.

Asperger beobachtete und beschrieb auch auffällige Beeinträchtigungen bei der Äußerung und der Kontrolle von Emotionen und die Tendenz, Gefühle zu intellektualisieren.

Die Empathie war nicht so reif, wie man aufgrund der intellektuellen Fähigkeiten des Kindes erwarten würde.

Die Kinder wiesen außerdem eine ichbezogene Beschäftigung mit einem bestimmten Thema oder Interesse auf, um das ihre Gedanken ständig kreisten.

Einigen der Kinder fiel es schwer, in der Klasse aufmerksam zu bleiben und sie hatten spezifische Lernprobleme.

Asperger bemerkte, dass sie mehr Unterstützung durch ihre Mütter bei Selbsthilfe- und Organisationsfähigkeiten benötigten, als man erwarten würde.

Er beschrieb eine auffällige Ungeschicklichkeit beim Gehen und bei der motorischen Koordination. Einige Kinder reagierten besonders empfindlich auf bestimmte Geräusche, Gerüche, Oberflächen und Berührungsreize.

Asperger vermutete eine erbliche Veranlagung

Asperger war der Ansicht, dass die Merkmale des Syndroms bei manchen Kindern bereits mit zwei bis drei Jahren erkannt werden konnten, auch wenn sie bei anderen Kindern erst einige Jahre später auffällig wurden. Auch einige der Eltern, besonders die Väter, wiesen vergleichbare Persönlichkeitsmerkmale auf. Asperger vermutete erbliche oder neurologische Ursachen statt psychologischer oder Umweltfaktoren.

Asperger hat die autistische Persönlichkeitsstörung als einen Teil des natürlichen Kontinuums menschlicher Fähigkeiten gesehen, mit fließenden Grenzen zur Normalität.

2

Asperger betrachtete die Störung als einen lebenslangen und stabilen Persönlichkeitstypus. Er konnte keine Desintegration oder Fragmentation des Bewusstseins beobachten, wie sie bei der Schizophrenie auftritt. Er bemerkte außerdem, dass einige der Kinder besondere Talente aufwiesen, die zu einer erfolgreichen Berufsausübung führen konnten, und dass einige lebenslange Beziehungen entwickeln konnten.

Wege zur Diagnose

Wenn heute ein Kind oder ein Erwachsener zur Diagnosestellung an einen Spezialisten überwiesen wird, können unterschiedliche Wege der Diagnosefindung hinter ihm liegen. Das Kind wies meist schon seit dem Kleinkindalter eine ungewöhnliche Entwicklungsgeschichte und ein ungewöhnliches Fähigkeitsprofil auf, auch wenn das Durchschnittsalter bei der Diagnose zwischen 8 und 11 Jahren liegt.3 Ich habe verschiedene Wege zur Asperger-Diagnose beobachtet, die bereits im Kleinkindalter, in späteren Phasen der Entwicklung oder gar erst im Erwachsenalter beginnen können.

Autismusdiagnose im Kleinkindalter

Lorna Wing, die zuerst den Begriff Asperger-Syndrom verwendet hat, war der Ansicht, dass eine neue diagnostische Kategorie benötigt wurde. Sie hatte beobachtet, dass einige Kinder, die eindeutige Anzeichen von schwerem Autismus in ihrer frühen Kindheit aufwiesen, bemerkenswerte Fortschritte erzielt hatten und dass sie sich als Folge einer frühen Diagnose und wirksamer Frühinterventionsprogramme weiter innerhalb des autistischen Spektrums voranbewegt hatten.4

Das Kind will aus der Isolation heraus

Das Kind, das vorher sozial isoliert und still gewesen war, wollte schließlich mit anderen Kindern spielen und redete in komplexen Sätzen. Während es sich vorher isoliert hat, war das Kind später motiviert, an sozialen Aktivitäten teilzuhaben. Nach vielen Stunden intensiver Programme, mit denen die kommunikativen Fähigkeiten gefördert worden waren, war das Problem nicht länger, wie man das Kind zum Sprechen ermutigen sollte, sondern eher, wie man es dazu bringen konnte, weniger zu reden und dafür mehr zuzuhören und besser auf den sozialen Kontext zu achten.

Begeisterung für ein bestimmtes Thema

Während es in der frühen Kindheit vielleicht eine ständige Beschäftigung mit sensorischen Erfahrungen gegeben hatte – wenn etwa das Kind vom sich drehenden Rad eines Spielzeugautos oder Fahrrades fasziniert war –, so war es nun von einem bestimmten Thema begeistert, zum Beispiel den Umlaufbahnen der Planeten. Die früheren Bewertungen und Beobachtungen des Spielverhaltens eines solchen Kindes hatten vielleicht zu dem Schluss geführt, dass bei dem Kind eine schwerwiegende intellektuelle Beeinträchtigung vorgelegen hatte, während nunmehr dem Kind ein Intelligenzquotient (IQ) im Normalbereich attestiert werden konnte.

Weiterentwicklung zum High-Functioning-Autismus

Peter Szatmari wies darauf hin, dass diejenigen Kinder mit Autismus, die in der frühen Kindheit eine funktionale Sprache entwickeln, auf ihrem Entwicklungsweg und in ihrem Fähigkeitsprofil schließlich jene Kinder mit einer typischen Ausprägung des Asperger-Syndroms erreichten.5

Zu einem bestimmten Zeitpunkt in der frühen Entwicklung des Kindes ist also Autismus die korrekte Diagnose. Doch eine bestimmte Untergruppe solcher Kinder mit Autismus kann im Alter zwischen vier und sechs Jahren eine beachtliche Verbesserung in ihrem Sprachgebrauch, Spielverhalten und in ihrer Motivation, mit Gleichaltrigen zusammenzukommen, erzielen.

Der Entwicklungsweg solcher Kinder hat sich also verändert und ihr Fähigkeitsprofil während der Vor- und Grundschulzeit entspricht demjenigen von Kindern mit Asperger-Syndrom.6 Diese Kinder, die dann mit High-Functioning-Autismus (HFA) oder Asperger-Syndrom diagnostiziert werden, profitieren eher von den Strategien und Hilfen, die auf das Asperger-Syndrom als von solchen, die auf Autismus ausgerichtet sind.

Erkennung in den ersten Schuljahren

Während der Untersuchung eines Erwachsenen frage ich diesen normalerweise, wann ihm zum ersten Mal aufgefallen ist, dass er anders als andere ist. Viele Erwachsene, die erst in späteren Jahren diagnostiziert werden, sagen, dass sie bei ihrer Einschulung das erste Mal das Gefühl hatten, anders zu sein. Ihre Familienmitglieder hätten sie verstanden und wären auch mit ihnen zurechtgekommen. Aber als von ihnen erwartet wurde, mit Gleichaltrigen in der Schule zu spielen oder mit einem Lehrer klarzukommen, erkannten sie, dass sie anders waren. Wenn ich dann diese Erwachsenen bitte, mir diese Unterschiede zu beschreiben, dann antworten sie meist,

dass sie nicht an den sozialen Aktivitäten Gleichaltriger interessiert waren,

dass sie nicht wollten, dass sich andere in die eigenen Aktivitäten einmischten und

dass sie die sozialen Regeln auf dem Pausenhof und im Klassenraum nicht begriffen.

Was fällt dem Lehrer auf?

Der Weg zur Diagnose kann damit beginnen, dass ein erfahrener Lehrer beobachtet, dass das Kind – das bis dahin noch keine erkennbaren typisch autistischen Merkmale gezeigt hat – soziale Situationen und Regeln nicht versteht. Das Kind wird dann auch als unreif beim Umgang mit den eigenen Emotionen und beim Ausdruck von Empathie erkannt. Es kann auch ein ungewöhnlicher Lernstil vorliegen, verbunden mit erstaunlichem Wissen in einem bestimmten Interessensgebiet des Kindes, aber bedeutsamen Lern- und Aufmerksamkeitsproblemen bei anderen intellektuellen Fähigkeiten. Dem Lehrer fallen vielleicht auch Probleme der motorischen Koordination auf, etwa eine schlechte Handschrift, Probleme beim Laufen oder beim Fangen eines Balls. Das Kind hält sich möglicherweise auch die Ohren zu bei Geräuschen, die anderen Kindern nichts ausmachen.

In der Pause vermeidet das Kind das soziale Spiel mit Gleichaltrigen oder es ist sozial naiv, aufdringlich oder dominierend. In der Klasse erkennt der Lehrer, dass das Kind offenbar die nonverbalen Signale nicht wahrnimmt oder versteht, mit denen Botschaften wie: »Nicht jetzt« oder »Das fängt an, mich zu langweilen« ausgedrückt werden. Das Kind kann dadurch auffallen, dass es andere häufig unterbricht oder dass es auf einen sozialen Kontext nicht altersgemäß reagiert. Dem Lehrer fällt auch auf, dass das Kind besonders ängstlich reagiert, wenn sich Routineabläufe ändern oder wenn es ein bestimmtes Problem nicht lösen kann.

Das Kind ist offensichtlich nicht intellektuell beeinträchtigt, ihm scheint es aber an sozialem Verständnis in Bezug auf seine Mitschüler zu fehlen.

Nicht nur das Kind, sondern auch der Lehrer benötigt Hilfe

Der Lehrer weiß, dass das Kind von Programmen profitieren könnte, die ihm beim Verständnis der sozialen Regeln im Klassenzimmer und auf dem Pausenhof helfen würden. Dabei benötigt der Lehrer auch Unterstützung durch Beratungslehrer, Zugang zu Fortbildungsmaßnahmen sowie zu Fachbüchern und Fachkräften im Bereich Asperger-Syndrom, um so die soziale Integration und den schulischen Erfolg des Kindes zu erleichtern. Der Lehrer benötigt also ebenso Hilfe wie das Kind.

Nach meiner klinischen Erfahrung wird die Mehrheit der Kinder mit Asperger-Syndrom auf diesem Wege erkannt. Das ungewöhnliche Fähigkeitsprofil und Verhalten des Kindes fällt zu Hause nicht auf, dafür erkennt ein Lehrer qualitative Unterschiede bei den Fähigkeiten und beim Verhalten im Klassenraum und auf dem Pausenhof. Es kommt daraufhin zu einem Treffen der Eltern mit Vertretern der Schule, bei dem die Eltern dazu ermuntert werden, eine Diagnose für das Kind einzuholen, um zum einen sowohl das ungewöhnliche Verhalten als auch sein Fähigkeitsprofil erklären zu können, und um zum anderen den Eltern und der Schule zu ermöglichen, Zugang zu angemessenen Programmen und Hilfen zu bekommen.

Vorherige Diagnose einer anderen Entwicklungsstörung

Ein weiterer Weg zur Diagnose ist der, dass die Entwicklungsgeschichte des Kindes eine Entwicklungsstörung beinhaltet, die mit dem Asperger-Syndrom in Verbindung gebracht werden kann. Die Diagnose einer Aufmerksamkeits-, einer Sprach-, Bewegungs-, affektiven, Ess- oder Lernstörung kann der Beginn eines Beurteilungsprozesses sein, der schließlich zur Diagnose Asperger-Syndrom führt.

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Die Bevölkerung hat ein gewisses Allgemeinwissen über die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und das Kind macht den Eltern und dem Lehrer vielleicht Sorge, weil es Probleme hat, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, es impulsiv und hyperaktiv ist. Die Diagnose ADHS erklärt die Schwierigkeiten des Kindes in diesen Bereichen, nicht aber dessen ungewöhnliche sozialen, sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten, die genauer durch die Diagnosekriterien für das Asperger-Syndrom beschrieben werden. ADHS wurde also korrekt als Erstes diagnostiziert, ist aber nicht die endgültige Diagnose.

Fachärzte haben schon vor längerer Zeit erkannt, dass Kinder mit Asperger-Syndrom auch Anzeichen von ADHS aufweisen können und dies wurde auch seither durch eine Reihe von Forschungsstudien und Fallberichten bestätigt.7

Die Diagnosen ADHS und Asperger-Syndrom schließen einander nicht aus. Ein Kind kann von der medikamentösen Behandlung und von Strategien profitieren, die für beide Störungen verwendet werden.

Ich habe Kinder mit Asperger-Syndrom beobachtet, die hyperaktiv waren, ohne dass dies notwendigerweise auf ADHS zurückzuführen war. Die Hyperaktivität kann auch eine Reaktion auf einen hohen Stresslevel und auf Angst sein, besonders in neuen sozialen Situationen, sodass es dem Kind unmöglich ist, still zu sitzen und zu entspannen. Es ist wichtig, einige Faktoren zu beurteilen, die die Aufmerksamkeitsspanne (wie etwa Motivation) und die Hyperaktivität beeinflussen, ehe man eine ADHS-Diagnose bestätigt.

Sprachstörung

Bei einem Kleinkind mit Asperger-Syndrom wird vielleicht zunächst eine Verzögerung der Sprachentwicklung festgestellt, sodass der erste Weg zum Logopäden führt, der Veränderungen feststellt, die der semantisch-pragmatischen Sprachstörung (SPSS) ähneln. Kinder mit einer SPSS haben relativ gute Sprachfähigkeiten in den Bereichen Syntax, Sprachschatz und Phonologie, sind aber schwach beim Gebrauch der Sprache im sozialen Kontext.8 Semantische Fähigkeiten sind insofern betroffen, als das Kind Aussagen wörtlich interpretiert.

Die diagnostische Abgrenzung zwischen dem Asperger-Syndrom und bestimmtem Sprachstörungen wie SPSS ist nicht sehr scharf.9 Eine Verzögerung bei der wahrgenommenen Sprache bei Kleinkindern wird oft mit Sozialisationsproblemen in Verbindung gebracht.10 Ein Kind, das Probleme damit hat, die Sprache einer anderen Person zu verstehen bzw. selbst verstanden zu werden, kann daraufhin ängstlich werden und sich in sozialen Situationen zurückziehen. Der Grund für den sozialen Rückzug ist dann eher die sprachliche Beeinträchtigung als das beeinträchtigte soziale Verständnis, wie es beim Asperger-Syndrom auftritt.

Es ist wichtig, dass man zwischen sekundären Folgewirkungen einer Sprachstörung und dem Asperger-Syndrom unterscheidet. Dennoch wird das Kind mit Asperger-Syndrom, das auch Anzeichen von SPSS zeigt, auch von SPSSProgrammen profitieren.

Bewegungsstörung

Ein Kind wird von den Eltern und Lehrern vielleicht als ungelenk erkannt, mit Problemen der motorischen Koordination und der Fingerfertigkeit. Das Kind hat Schwierigkeiten, sich die Schuhe zuzubinden, das Fahrradfahren zu erlernen, eine schlechte Handschrift, Probleme beim Fangen eines Balls und einen ungewöhnlichen oder unreif wirkenden Gang. Ein Beschäftigungs- oder Physiotherapeut bestätigt eine Verzögerung der motorischen Fähigkeiten oder eine bestimmte Bewegungsstörung, wobei sich nicht alle Auffälligkeiten damit erklären lassen.

Obwohl die Probleme mit der motorischen Koordination nur der Beginn des Weges zur Diagnose Asperger-Syndrom waren, kann das Kind dennoch von Programmen profitieren, die der Verbesserung motorischer Fähigkeiten dienen.

Einige Kinder mit Asperger-Syndrom können unwillkürliche, schnelle und plötzliche Körperbewegungen (motorische Tics) und unkontrollierbare Lautäußerungen (vokale Tics) entwickeln, die denen beim Tourette-Syndrom ähneln.11 Ein aufgrund motorischer und vokaler Tics vermutetes Tourette-Syndrom kann ebenfalls am Anfang des Weges zur späteren Asperger-Diagnose stehen.

Affektive Störung

Wir wissen, dass Kinder mit Asperger-Syndrom anfällig für die Entwicklung einer affektiven Störung sind12 und einige Kinder scheinen nahezu ständig ängstlich zu sein, sie leiden also unter einer generalisierten Angststörung. Kinder mit Asperger-Syndrom, die eher ihren Intellekt als ihre Intuition benutzen, um in sozialen Situationen zurechtzukommen, befinden sich in einem fast ununterbrochenen Zustand der Anspannung und Angst. Dies führt zu einem erhöhten Risiko, an mentaler und physischer Erschöpfung zu erkranken.

Angst

Das Kind hat vielleicht Kompensationsmechanismen entwickelt, um Angst erzeugenden Situationen wie dem Schulbesuch aus dem Weg zu gehen, indem sie den Schulbesuch verweigern oder in der Schule stumm bleiben.13 Es kann auch zu einer starken Angst- oder Phobiereaktion auf bestimmte soziale Situationen oder auf sensorische Erlebnisse wie dem Bellen eines Hundes oder auf Veränderungen im erwarteten Tagesablauf, etwa eine Änderung im täglichen Stundenplan, kommen. Es wird dann an einen Psychologen, einen Psychiater oder an den psychiatrischen Dienst verwiesen, der dann nach einer detaillierten und umfassenden Dokumentation der Entwicklungsgeschichte die Asperger-Diagnose stellt.14

Depression

Einige Kinder mit Asperger-Syndrom werden aufgrund ihrer sozialen Integrationsschwierigkeiten depressiv. Die depressive Reaktion kann internalisiert werden und zu Selbstkritik und sogar zu Selbstmordgedanken führen; oder sie wird externalisiert und führt dann zu Kritik an anderen und zeigt sich in Frustration oder Wutausbrüchen, vor allem, wenn das Kind Probleme hat, eine soziale Situation zu verstehen. Dann gibt sich das Kind selbst die Schuld: »Ich bin dumm« oder anderen: »Du bist schuld.« Diese Anzeichen einer Depression oder von Problemen mit der Frustrationsbewältigung können erste Zeichen für eine Entwicklungsstörung wie das Asperger-Syndrom sein.

Essstörung

Essstörungen können die Weigerung beinhalten, Nahrungsmittel mit einer bestimmten Konsistenz oder einem bestimmten Geschmack oder Geruch zu essen, weil eine sensorische Überempfindlichkeit besteht.15 Es kann auch ungewöhnliche Essensvorlieben geben oder bestimmte Routinen in Bezug auf Mahlzeiten oder die Art, wie das Essen präsentiert wird.16 Die Konsultation eines Kinderarztes wegen Problemen mit der Nahrungsaufnahme, wegen bestimmter Ernährungsgewohnheiten oder Gewichtsproblemen kann schließlich zu einer Diagnose Asperger-Syndrom führen. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass es beim Asperger-Syndrom überdurchschnittlich viele Fälle von Untergewicht gibt, die möglicherweise auf Ängste oder sensorische Überempfindlichkeit in Bezug auf das Essen zurückzuführen sind.17

Anorexia nervosa

Schwere Essstörungen wie Anorexia nervosa können mit dem Asperger-Syndrom in Verbindung stehen; ungefähr 18 bis 23 Prozent jugendlicher Mädchen mit Anorexia nervosa haben Anzeichen des Asperger-Syndroms.18 Daher können Bedenken wegen der Nahrungsaufnahme oder die Diagnose einer Essstörung der Ausgangspunkt für die diagnostische Beurteilung im Hinblick auf das Asperger-Syndrom sein.

Nonverbale Lernstörung

Möglicherweise werden bei einem Kind ungewöhnliche intellektuelle und schulische Fähigkeiten erkannt und der Test eines Neuropsychologen zeigt eine auffällige Diskrepanz zwischen verbaler Intelligenz und visuell-räumlicher Intelligenz. Wenn ein signifikant höherer verbaler IQ vorliegt, könnte die Diagnose nach eingehender Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten nonverbale Lernstörung (NLS) lauten.

Die Hauptmerkmale einer NLS sind Defizite in den folgenden Bereichen:

visuell-räumlich-organisatorische Fähigkeiten,

komplexe psychomotorische Fähigkeiten und taktile Wahrnehmung,

Anpassung an ungewohnte Situationen,

Zeitwahrnehmung,

mechanisches Rechnen

sowie soziale Wahrnehmung und Fähigkeiten der sozialen Interaktion.

Es gibt dagegen relative Stärken in den Bereichen

auditive Wahrnehmung,

Worterkennung, Auswendiglernen von Wörtern und

Buchstabieren.

Diese NLS-Merkmale weisen auf eine Fehlfunktion der rechten Hirnhemisphäre und Schäden an der weißen Hirnsubstanz hin.

19

Die Überlappung zwischen NLS und Asperger-Syndrom wird von Spezialisten intensiv beforscht und diskutiert.

20

Wenn das Kind mit NLS in der Folge die Diagnose Asperger-Syndrom erhält, helfen entsprechende Informationen dem Lehrer, den Lehrplan an den speziellen Lernstil des Kindes anzupassen.

Erkennung bei Jugendlichen

Während ein Kind zum Jugendlichen heranreift, wird seine soziale und schulische Umwelt immer komplexer und es besteht die Erwartung, dass es unabhängiger wird und zunehmend ohne fremde Hilfe auskommt. In den ersten Schuljahren besteht das Spiel mehr aus Handlung als aus Gesprächen, die Freundschaften sind zeitlich begrenzt und die Spiele relativ einfach mit klaren Regeln. Im Jugendalter basieren Freundschaften auf komplexeren zwischenmenschlichen und weniger auf praktischen Bedürfnissen; es geht nun mehr darum, jemandem zu vertrauen als darum, mit jemandem zu spielen.

In den ersten Schuljahren hat das Kind einen Lehrer für das gesamte Schuljahr und sowohl Lehrer als auch Kind lernen, wie sie die Signale des anderen zu verstehen haben und wie sie miteinander auskommen können. Es gibt auch mehr Führung, Flexibilität und Nachsicht in Bezug auf den Lehrplan und auf die vom Kind erwartete soziale und emotionale Reife. Das Leben ist relativ einfach und dem Kind ist weniger bewusst, dass es anders als andere Kinder ist. Seine Schwierigkeiten erscheinen vielleicht auch noch nicht besonders auffällig.

Die schulischen Anforderungen ändern sich

Bei einem Teenager treten die Schwierigkeiten bei der Planung, Organisation und rechtzeitigen Fertigstellung seiner Schularbeiten zunehmend zutage. Das kann zu einer Verschlechterung der Schulnoten führen, was den Lehrern und den Eltern auffallen wird. Die intellektuellen Fähigkeiten sind dabei nicht schlechter geworden, doch die Bewertungsmethoden, die von den Lehrern verwendet werden, haben sich geändert.

Geschichtswissen heißt nicht länger, dass man nur Daten und Fakten im Kopf speichert, sondern dass man fähig ist, Dinge im Zusammenhang darzustellen.

Im Deutschunterricht muss man lernen, Charakterdarstellungen zu erfassen und »zwischen den Zeilen« zu lesen.

Von einer Schülergruppe erwartet man, dass sie gemeinsam eine Ausarbeitung zustande bringt, während der Teenager mit Asperger-Syndrom sich nicht so einfach in eine solche Schülergruppe einordnen kann.

Die Verschlechterung der Noten und der sich daraus ergebende Stress können dazu führen, dass der Schüler an einen Schulpsychologen verwiesen wird, der dann die Anzeichen des Asperger-Syndroms erkennt.

Die Anzeichen des Asperger-Syndroms sind auffälliger, wenn der Betroffene Stress und Veränderungen ausgesetzt ist; und bei Jugendlichen gibt es größere Veränderungen, was die Erwartungen und Lebensumstände angeht.

Das Kind mag in den Jahren vor der Pubertät noch ganz gut klargekommen sein, doch die Veränderungen in der Art der Freundschaft, in der körperlichen Entwicklung sowie bei den schulischen Anforderungen und der Unterstützung können eine Krise auslösen, die dazu führt, dass man das Asperger-Syndrom entdeckt.

Der eigene Körper und die Freundschaften verändern sich

Die Pubertät ist außerdem auch eine Zeit der eigenen Neubewertung dessen, wer man ist und wer man sein möchte. Der Einfluss der Eltern wird geringer und der Einfluss durch die Gleichaltrigen und die Identifikation mit ihnen wird größer. Vom Teenager wird erwartet, dass er mit vielen verschiedenen Lehrern auskommt; und er soll schulische Leistungen erbringen, bei denen es mehr auf abstraktes Denken als auf reine Fakten ankommt. Probleme mit der sozialen Anpassung, der Akzeptanz und dem schulischen Erfolg können eine Depression auslösen oder zu Wut gegen die anderen oder gegen »das System« führen.

Der Jugendliche wird dann vielleicht zur Behandlung einer Depression oder einer Angststörung – zu der in diesem Alter auch eine Zwangsstörung gehören kann21 – einer Essstörung, wie zum Beispiel Anorexia nervosa, Aggressionsproblemen oder einer Verhaltensstörung an einen jugendpsychiatrischen Dienst verwiesen. Mir sind auch schon Kinder mit verschieden starken Ausprägungen von gleich vier Störungen, die als Gruppe auftreten, begegnet, nämlich Aufmerksamkeitsstörung-/Hyperakti vi täts syndrom, Asperger-Syndrom, Tourette-Syndrom und Zwangsstörung. Jede dieser Diagnosen ist korrekt und das Kind oder der Erwachsene benötigt eine Behandlung für alle vier Störungen.

Verdacht auf eine Verhaltens- oder Persönlichkeitsstörung

Schon Asperger beschrieb eine Untergruppe von Kindern, die aufgrund ihrer Verhaltensprobleme in der Schule zu ihm in die Klinik kamen, um dann die Diagnose autistische Persönlichkeitsstörung zu erhalten. Manchmal nehmen sich Kinder mit Asperger-Syndrom selbst eher als erwachsen war. Tatsächlich können solche Kinder im Klassenraum als eine Art Helfer des Lehrers auftreten und dann andere Kinder korrigieren und maßregeln. In Konfliktsituationen wenden sie sich seltener an einen erwachsenen Schiedsrichter, sondern nehmen eher »selbst das Heft in die Hand«. Diese Kinder lernen vielleicht, dass sie mit aggressiven Handlungen andere Kinder abschrecken und so dafür sorgen können, dass sie ungestört bleiben. Konflikte und Auseinandersetzungen mit Erwachsenen können durch Ungehorsam, eine ablehnende Haltung und die Schwierigkeit, Unterschiede im sozialen Status und in der Hierarchie zu erkennen, verschlimmert werden, was dazu führt, dass das Kind Autoritäten oder reifere Menschen nicht respektiert.

Das Kind mit Asperger-Syndrom ist oft unreif, wenn es um die Kunst zu verhandeln oder Kompromisse zu schließen geht. Und es weiß vielleicht nicht, wann es klein beigeben und um Entschuldigung bitten muss.

Das Kind akzeptiert eine bestimmte Schulregel nicht, wenn sie ihm unlogisch erscheint und legt es dann aus prinzipiellen Gründen auf einen Streit an. Das kann dazu führen, dass es schließlich eine lange Liste ernsthafter Konflikte mit Lehrern und schulischen Autoritäten aufweist.

Wenn der IQ die sozialen Defizite ausgleichen soll

Wir wissen, dass das Kind mit Asperger-Syndrom Schwierigkeiten mit der sozialen Integration in die Gruppe Gleichaltriger hat. Hat ein solches Kind dann auch noch überlegene intellektuelle Fähigkeiten, so kann das die Schwierigkeiten bei der Integration weiter verstärken. Solche Kinder mit einem außergewöhnlich hohen IQ kompensieren diese Schwierigkeiten möglicherweise dadurch, dass sie arrogant und egozentrisch werden und es ihnen sehr schwer fällt, eigene Fehler einzugestehen. Diese Kinder können dann besonders empfindlich auf jede Kritik reagieren, sind aber zum Teil selbst überkritisch anderen gegenüber, einschließlich der Lehrer, Eltern oder anderen Autoritätspersonen. Die Schule oder die Eltern suchen sich wahrscheinlich professionelle Hilfe, was dann zu einer Diagnose Asperger-Syndrom führt. Die Überweisung an einen Verhaltenspsychologen kann dabei der Ausgangspunkt für den Weg zur Asperger-Diagnose sein.

Diagnose bei einem Verwandten

Wenn jemand die Diagnose Asperger-Syndrom oder Autismus erhält, werden die Eltern und Verwandten die Familiengeschichte nach Anzeichen für eine zum autistischen Spektrum gehörende Störung hin untersuchen.

Die jüngste Forschung zeigt, dass 46 Prozent der Verwandten ersten Grades eines Kindes mit Asperger-Syndrom ein ähnliches Fähigkeits- und Verhaltensprofil aufweisen

22

, wenn auch in einem subklinischen Ausmaß, d. h. mehr in Form einer Persönlichkeitsvariante als in der eines Syndroms oder einer Störung.

Nachdem bei einem Kind die Diagnose Asperger-Syndrom bestätigt wurde, wird möglicherweise auch eines der Geschwister oder ein anderer Verwandter des Kindes an den behandelnden Spezialisten für eine Diagnose verwiesen. Die Diagnose wird dann vielleicht bestätigt; und der klinischen Erfahrung nach gibt es in manchen Familien Kinder und Erwachsene mit dem Asperger-Syndrom innerhalb derselben Generation oder in verschiedenen Generationen. Dies wurde auch in einigen der Biographien erwachsener Asperger-Betroffener bestätigt.23

Die Untersuchung kann aber auch zeigen, dass die Merkmale zu wenig ausgeprägt sind, um eine Asperger-Diagnose zu rechtfertigen, oder dass die Person nur bestimmte Züge aufweist.

Manchmal öffnet ein Fernsehbericht einem die Augen

Ein entsprechender Bericht im Fernsehen oder einer Zeitschrift kann der Ausgangspunkt für manche Menschen sein, um sich oder ein Familienmitglied untersuchen zu lassen. In Australien habe ich kürzlich die Merkmale des Asperger-Syndroms in einer live ausgestrahlten Fernsehsendung erklärt und im Sender ging daraufhin eine Flut von Anrufen von Eltern ein, die die Merkmale des Asperger-Syndroms bei ihrem erwachsenen Kind wiedererkannten, das aufgrund seines Alters niemals Zugang zu diagnostischem Fachwissen gehabt hatte, wie das heute für Kinder der Fall ist.

In den nächsten Jahren werden wohl noch viele Erwachsene ein mögliches Asperger-Syndrom bei sich abklären lassen.

Manchmal erkennt auch der Lebenspartner aufgrund eines Medienberichts, dass eine Asperger-Diagnose das ungewöhnliche Hobby und die Schwierigkeiten mit Empathie und sozialen Fähigkeiten des Partners erklären könnte. Dabei muss man im Hinterkopf behalten, dass viele Frauen glauben, dass ihr Mann nicht versteht, was sie denken oder fühlen und dass viele männliche Eigenschaften als Anzeichen für das Asperger-Syndrom gedeutet werden könnten. Dennoch sind die Überweisungen von Patienten durch Paartherapeuten angestiegen, die zunehmend erkennen, wenn es sich um echte Anzeichen für das Asperger-Syndrom handelt, die ein Paar zur Beratung zu ihnen geführt haben.24

Probleme im Arbeitsleben

Auch wenn ein Betroffener vielleicht einen Hochschulabschluss erlangt, können fehlende soziale Fähigkeiten sich negativ beim Bewerbungsgespräch, bei den sozialen Aspekten des Arbeitslebens – also jemanden nicht zu lange anzuschauen oder sich zu dicht neben ihn zu stellen – und der Teamfähigkeiten auswirken. Eine Arbeitsstelle zu bekommen und sie dann auch zu behalten, kann also ein Problem darstellen. Die persönliche Beurteilung durch eine Berufsberatungsstelle, die Arbeitsagentur oder die Personalabteilung eines Betriebes kann der erste Schritt in Richtung auf eine Diagnose des Asperger-Syndroms sein. Wahrscheinlich besteht auch unter den Langzeitarbeitslosen ein hoher Anteil an Asperger-Betroffenen.

Ein weiterer Weg in Richtung auf eine Diagnose im Bereich des Arbeitslebens ist eine Veränderung in den Erwartungen am Arbeitsplatz. Das kann etwa die Beförderung auf einen Vorgesetztenposten sein, der zwischenmenschliche Fähigkeiten erfordert oder die Übertragung von Verantwortlichkeiten, zu denen auch Planungs- und Organisationsfähigkeiten gehören, die bei manchen Erwachsenen mit Asperger-Syndrom kaum vorhanden sind. Auch die Nichteinhaltung vorgegebener Verfahrensweisen, Probleme mit dem Zeithaushalt und fehlender Respekt vor der organisatorischen Hierarchie können ein Thema werden.

Warum eine Diagnose einholen?

Das Kind mit Asperger-Syndrom wird sich in jungen Jahren noch nicht bewusst sein, dass es anders ist als gleichaltrige Kinder. Den Erwachsenen und den anderen Kindern dagegen wird es zunehmend auffallen, dass dieses Kind sich nicht wie andere Kinder verhält, wie sie denkt oder spielt. Der erste Gedanke von Erwachsenen ist dann vielleicht, dass sich das Kind bewusst ungezogen und egoistisch verhält, während die Kinder vielleicht denken, dass dieses Kind eben einfach etwas komisch ist. Wenn es für dieses Verhalten keine Diagnose oder Erklärung gibt, werden andere moralische Urteile fällen, die auf das Selbstwertgefühl des Kindes eine negative Wirkung haben und die zu unangemessenen Einstellungen führen werden. Das Kind wird nach und nach erkennen, dass es die Welt auf eine ungewöhnliche Weise wahrnimmt. Das betrifft nicht nur die unterschiedlichen Interessen, Prioritäten und den unterschiedlichen sozialen Wissensstand, sondern auch die häufige Kritik an dem Kind durch Gleichaltrige und Erwachsene. Normalerweise wird dem Kind mit Asperger-Syndrom etwa im Alter von sechs bis acht Jahren klar, dass es anders als andere ist.

Das Kind kann daraufhin Denkweisen und Ansichten entwickeln, mit dem es das Gefühl, ausgegrenzt, sozial isoliert und unverstanden zu sein, kompensiert.

AUS DEM LEBEN

»Die anderen machen mir Angst und verwirren mich«

Claire Sainsbury war etwa acht Jahre alt:

»Dies ist eine meiner lebhaftesten Erinnerungen an meine Schulzeit; ich stehe, wie üblich, in einer Ecke des Schulhofs, so weit wie möglich entfernt von anderen Kindern, die mich umrempeln oder anschreien könnten, ich starre in die Luft und bin ganz in meine Gedanken versunken. Ich bin acht oder neun Jahre alt und langsam wird mir klar, dass ich in einer unsagbaren, aber durchdringenden Art und Weise anders war.

Ich verstehe die Kinder um mich herum nicht. Sie machen mir Angst und verwirren mich. Sie wollen mit mir nicht über interessante Dinge reden. Ich dachte damals immer, dass sie eben dumm waren, aber inzwischen begreife ich allmählich, dass etwas mit mir selbst nicht stimmte.«25

Kompensations- und Anpassungsstrategien

Ich have vier Kompensations- oder Anpassungsstrategien ausgemacht, die von Kindern mit Asperger-Syndrom als Reaktion auf die Erkenntnis, dass sie anders sind als andere Kinder, entwickelt werden. Die verwendete Strategie hängt von der Persönlichkeit des Kindes, seinen Erfahrungen und Lebensumständen ab.

Jene Kinder, die dazu neigen, Gedanken und Gefühle zu internalisieren, entwickeln meist Anzeichen von Selbstschuldzuweisung und Depressionen oder

sie nutzen stattdessen ihre Fantasie und ein vorgestelltes Leben, um sich eine andere Welt auszumalen, in der sie erfolgreicher sind.

Jene Kinder, die Gedanken und Gefühle eher externalisieren, können entweder arrogant werden und andere für ihre eigenen Schwierigkeiten verantwortlich machen, oder

sie sehen andere nicht als die Ursache, sondern als die Lösung für ihre Probleme und entwickeln die Fähigkeit, andere Kinder und Charaktere nachzuahmen.

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