Das Auto im digitalen Kapitalismus - Timo Daum - E-Book

Das Auto im digitalen Kapitalismus E-Book

Timo Daum

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Beschreibung

Der digitale Kapitalismus schickt sich an, ein neues Feld zu erobern: den Verkehr. Elektrischer Antrieb, geteilte Privatautos, selbststeuernde Fahrzeuge – für jede dieser Herausforderungen steht mittlerweile ein Unternehmen aus dem Silicon Valley: Tesla, Uber und Google. Die Kompetenz der traditionellen Autoindustrie ist dabei immer weniger gefragt. Was bedeutet es für die Mobilität der Zukunft, wenn Algorithmen und Daten eine immer größere Rolle spielen? Was für unsere Städte und unsere Lebensqualität? Befinden wir uns auf dem Weg in eine nachhaltige Digitalisierung? Das Buch skizziert den Stand der technischen Entwicklung, erläutert Strategien und Geschäftsmodelle der Digitalkonzerne und plädiert für einen kritischen Umgang mit den Herausforderungen, die damit einhergehen.

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Timo Daum
DAS AUTO IMDIGITALENKAPITALISMUS
Wenn Algorithmen und Datenden Verkehr bestimmen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2019 oekom verlag MünchenGesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Lektorat: Laura Kohlrausch, oekom verlagKorrektorat: Maike Specht, BerlinUmschlagkonzeption: www.buero-jorge-schmidt.deUmschlaggestaltung: Elisabeth Fürnstein, oekom verlagCovermotiv: Esther Gonstalla
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-633-7
Dieser Veröffentlichung liegt die Studie »Das Auto im digitalen Kapitalismus. Dieselskandal, Elektroantrieb, autonomes Fahren und die Zukunft der Mobilität« aus dem Jahr 2017 für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zugrunde, die vom Autor gründlich überarbeitet und aktualisiert wurde.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung – Der digitale Kapitalismus macht mobil
Auftritt von Tesla, Uber und Google
Das Auto als digitales Gerät
Grüner Kapitalismus?
Kapitel 1 – Das elektrische Auto
Tesla – ein Digitalkonzern, der auch Autos baut
Das Modell 3: der Durchbruch für Tesla?
Die Batterie: Speichern, Laden, Recycling
Das Erwachen der Autobauer
E-Mobilität in China
Die zweite Elektrifizierung
Kapitel 2 – Das automatische Auto
Der Weg zum automatischen Auto
Waymo gibt Gas
Tesla sagt Danke!
Autonomes Fahren in China
Autonome Fahrzeuge und ihre Auswirkungen
Autonome Shuttles – Lösung für die »letzte Meile«
Kapitel 3 – Das geteilte Auto
Eine neue Generation: Führerschein? Nein danke!
Uber: private Fahrzeuge – öffentlicher Service?
Das Amazon der Mobilität
MOIA – »Social Movement«
»Sharing«? Ja, aber bitte öffentlich!
Kapitel 4 – Das grüne Auto?
Der autoindustrielle Komplex
Der automobile Konsens
Grüner Kapitalismus
Der »Green New Deal«
Kapitel 5 – Das Auto in der Stadt
Jenseits der autogerechten Stadt
Madrid Central – eine Erfolgsgeschichte
Keine Angst vor Fahrverboten!
Daten von und für die Stadt
Die Rolle der Städte
Kapitel 6 – Das Auto in der Flotte
Zukunftsmodell Robo-Taxi
Das Silicon Valley setzt auf Flotte
Plattformkapitalistischer Passagiertransport
Schluss – Für eine neue Verkehrsordnung
Auswahlbibliografie
Anmerkungen
Danksagung
Über den Autor
Nachhaltigkeit bei oekom
Einleitung
Der digitale Kapitalismus macht mobil
»Im amerikanischen Traum kann jeder ein Eigenheim und ein paar Autos besitzen, und wir können fahren, wohin es uns verdammt noch mal gefällt. Es gibt gute Jobs für hart Arbeitende und weite Straßen für das Wochenende. Wir können uns sowohl nach oben als auch seitwärts bewegen.«1
ALEXIS MADRIGAL
Der Kapitalismus des 20. Jahrhunderts konnte die Sehnsucht nach Unabhängigkeit, Individualität und Freiheit des Einzelnen im Automobil kondensieren. Es vereint zwei Kernelemente kapitalistischen Glücksversprechens in einem device: Autonomie und Mobilität. Der American Way of Life ist ohne motorisierte Individualfahrzeuge und die sie bedingende Infrastruktur von Autobahnen und Vorstädten nicht denkbar. Auch heute noch sind Freiheit und Automobilität aufs Engste verknüpft. Dementsprechend werden Tempolimits oder Fahrverbote nicht etwa als politisch gestaltende Maßnahmen verstanden, sondern unmittelbar als freiheitsbedrohend dechiffriert.2 Das Festhalten am motorisierten Individualverkehr wird zusätzlich gestützt vom unerschütterlichen Glauben, Wohlstand und Wachstum seien untrennbar miteinander verbunden. Wenn auch die soziale Mobilität in weite Ferne gerückt ist: Beim Autofahren, der letzten Bastion des Egalitarismus, sind wir alle gleich – vom Wagentyp mal abgesehen.
Doch die Mobilitätsindustrie und ihr icon product, das Auto, stecken in der Krise. Der Verkehr mit seinen ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Folgen stellt eines der drängendsten Probleme nahezu aller städtischen Ballungsräume weltweit dar. Hauptursache für Flächenverbrauch, Schadstoff- und Lärmbelästigung sowie Ressourcenverschwendung ist der weitgehend verbrennungsmotorisierte Verkehr. Allein die gefälschten Emissionswerte von Dieselfahrzeugen sind für den frühzeitigen Tod von 5000 Menschen pro Jahr in der Europäischen Union (EU) verantwortlich.3 Zudem sind jedes Jahr 1,25 Millionen Verkehrstote weltweit zu beklagen.
Während sich diese Situation überall auf der Welt zuspitzt, steht dem Auto in all seinen Aspekten ein tief greifender Wandel bevor. Seit der Geburtsstunde des modernen Automobils vor 130 Jahren, seit also Carl Benz 1886 zur ersten Fahrt mit dem Motorwagen Nummer 1 aufbrach, hat sich am Grundprinzip des Automobils nicht viel verändert: Ein von einem Verbrennungsmotor angetriebenes Gefährt, das sich im privaten Besitz befindet, wird von seinem (zumeist männlichen) Besitzer gesteuert. Und es sind ebendiese drei Charakteristika, die heute grundsätzlich infrage stehen.
Erstens zeichnet sich eine klare Perspektive auf nicht fossile Antriebe ab: Weltweit wird an konkreten Ausstiegsszenarien gearbeitet, in denen konventionelle Antriebe durch elektrische oder andere lokal emissionsfreie Antriebe ersetzt werden. Europaweit wird über Ausstiegsszenarien und -termine aus der fossilen Verbrennung nachgedacht. Umweltverbände erzwingen vermehrt Maßnahmen der Kommunen zur Reduktion von Schadstoffen, komplette Fahrverbote für Dieselfahrzeuge sind auch hierzulande nur noch eine Frage der Zeit. In den USA ist der Versuch, den Diesel als »saubere Alternative« zu etablieren, kläglich gescheitert. Der Dieselskandal läutete den Anfang vom Ende des Verbrennungsmotors ein, die Hinwendung Chinas zu einer nachhaltigeren Industriepolitik tut hier ein Übriges. Das lässt einen grundlegenden Umbau der Automobilbranche erwarten – mit vielfältigen Folgen für Umwelt, Verkehrsplanung, Infrastruktur, aber auch Fertigungsmethoden, Beschäftigung und Unternehmenskulturen.
Parallel zu diesen Entwicklungen auf der Antriebsseite zeichnet sich auch auf der Steuerungsseite ein epochaler Umbruch ab: Die unzuverlässigste Komponente des Hightechprodukts Auto – der Mensch am Steuer – wird durch Algorithmen ersetzt. Auch wenn die Digitalisierung in vielen Bereichen noch am Anfang steht, sind es derzeit insbesondere Unternehmen aus dem Silicon Valley, die fieberhaft an Softwarelösungen für das autonome Fahren arbeiten. Es ist absehbar, dass autonomes und teilautonomes Fahren innerhalb der nächsten Jahre zu einer Alltagstechnologie werden wird.
Und zu guter Letzt entstehen im Zuge der Digitalisierung neue Nutzungsarten, Bedürfnisse und Lifestyles, die in ihrer Gesamtheit das Modell der von Henry Ford ausgerufenen Mobilität des 20. Jahrhunderts transzendieren. Der Privatbesitz fossil betriebener Automobile wird durch eine Vielfalt an Eigentums- und Nutzungsmodellen zwischen Car-Sharing, Ride-Sharing, digital vermittelten öffentlichen und privaten Verkehrsoptionen zurückgedrängt. Neue Geschäftsmodelle entstehen, und neue Akteure treten auf den Plan, die sowohl die Automobilindustrie als auch die Städte und Gemeinden vor große Herausforderungen stellen.
Plattformkapitalismus
Der Begriff Plattform kommt aus dem IT-Bereich und bezeichnet dort eine Grundtechnologie, auf der andere Dienste oder Anwendungen aufbauen. Es handelt sich um Software- oder Hardware-Infrastrukturen, die Dritten zur Verfügung gestellt werden. Zentral für diese Geschäftsmodelle sind der Einsatz von Matching-Algorithmen, oft mit Methoden künstlicher Intelligenz unterstützt, sowie die Verwertung von Daten.4 Nutzerinnen und Nutzer haben dort eine dreifache Funktion: Sie sind einerseits Kunden der Plattform, stellen andererseits eine Datenressource für diese dar und werden schließlich durch das entstehende Profil und Aktivitätsdaten selbst wieder zum Produkt. Deren Aktivität wird als Feedback zurückgespeist ins System und dient zur Optimierung desselben.
Social-Media-Plattformen wie Facebook, App-Stores in mobilen Betriebssystemen und nicht zuletzt Anwendungen aus der sogenannten Sharing Economy wie Uber und AirBnB stellen solche Plattformen dar. Aufgrund des Netzwerkeffekts erreichen Plattformdienste schnell Monopolstellungen. Oft werden dabei kostenlose Dienste querfinanziert, etwa durch Werbung oder Userdaten-Auswertung. Die Eigentümer der Plattform bestimmen dabei die Nutzungsmöglichkeiten, sie orchestrieren durch das Design von Strukturen, Schnittstellen und Algorithmen die Interaktionsmöglichkeiten von Dritten und erlangen so eine asymmetrische Machtposition, besonders wenn die Plattformen in ihren jeweiligen Bereichen zu Monopolisten werden.5
Uber ist neben Airbnb das Paradebeispiel für ein digitales Unternehmen aus der sogenannten Sharing-Ökonomie. »Sogenannt« deshalb, weil ein Geschäftsmodell wie das von Uber überhaupt gar nichts mit sharing, also mit Teilen, zu tun hat, sondern eher mit Vermitteln. Die Firma gehört zu den aggressivsten plattformkapitalistischen Unternehmen weltweit, weil es nicht nur Arbeitsrechte, Regulierung und Gesetze ignoriert, sondern disruptiv vorgeht, also Märkte in ihrer gegenwärtigen Form zerstört und in seinem Sinne neu aufbaut. Uber verschiebt die Fahrzeugkosten (Eigentum, Wartung, Versicherung), die in traditionellen Unternehmen anfielen, auf die Fahrerinnen und Fahrer, diese sind »unabhängige Vertragspartner«, sozusagen Subunternehmer eines Franchisegebers, in diesem Fall Uber.6

Auftritt von Tesla, Uber und Google

Treiber diese Entwicklung ist weder die Automobilindustrie selbst noch in erster Linie eine breite gesellschaftliche Bewegung für eine Verkehrswende. Stattdessen drängen digitalkapitalistische Unternehmen aus dem Silicon Valley und anderswo mit Macht in den Verkehrssektor vor und versuchen, digitale Plattformen zu etablieren und mit ihren Geschäftsmodellen rund um digitale Dienste Marktdominanz zu erreichen. Wir konnten in den letzten Jahren den Aufstieg von Onlineunternehmen in die Riege der mächtigsten, finanzstärksten und profitabelsten Unternehmen der Welt beobachten. Aus den fünf größten Unternehmen der Internetökonomie – Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft – sind mittlerweile die fünf größten Unternehmen der Welt. Auch wenn es um Innovation geht, sind die großen fünf ganz vorne: Amazon, Alphabet, Facebook, Microsoft und Apple haben 2017/18 über 62 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben.7
Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich im Autosektor ab. Der Onlinehändler Amazon gab im Jahr 2016 erstmals mehr für Forschung und Entwicklung aus als der Volkswagen-Konzern.8 Insbesondere Tesla, Uber und Waymo (die aus dem »Google self-driving car project« hervorgegangene Tochterfirma des Suchmaschinengiganten Google) sind, was Forschung, Finanzmittel, Nutzerbasis und Innovationsfähigkeit betrifft, tonangebend. Sie sind es, die die Krise des Automobilismus alter Prägung am stärksten befördern. Diese Unternehmen wollen keine Autos verkaufen, sie wollen die Weltbevölkerung mit Mobilitätsdiensten versorgen, Automobile selbst werden zur Nebensache.
Tesla Motors ist in den 15 Jahren seit seiner Gründung zum weltweit größten Hersteller von Elektroautos geworden. Gleichzeitig ist die vom PayPal-Gründer Elon Musk geführte Firma ein durch und durch digitales Unternehmen. Die Fahrzeuge sind im Grunde rollende IT-Produkte, die ständig mit Teslas Servern verbunden sind. Tesla hat ein digitales Ökosystem rund um die Fahrzeuge entwickelt, das in der Branche seinesgleichen sucht.9 Die Käuferinnen und Käufer der Fahrzeuge sind wie auf digitalen Plattformen gleichzeitig User, Versuchskaninchen für neue Features sowie Lieferanten von Trainingsdaten für Teslas Autopiloten, die durch künstliche Intelligenz gestützt werden.
Die Firma Waymo startete im Dezember 2018 den ersten kommerziellen Fahrservice mit vollautonomen Fahrzeugen. Das Google-Tochterunternehmen will ebenfalls selbst keine Autos bauen, dafür jedoch den »weltbesten Fahrer« kreieren – einen selbstlernenden Algorithmus, der nach dem Plan des Unternehmens einmal auf allen Fahrzeugen dieser Welt »laufen« wird. Waymo hat am ehesten das Zeug dazu, mit fahrerlosen Fahrzeugen im Weltmaßstab Geld verdienen zu können: Ihre Fahrzeuge haben bislang über 16 Millionen Testkilometer auf öffentlichen Straßen zurückgelegt.
Die vor gerade einmal zehn Jahren gegründete Firma Uber hat sich zum größten Fahrtenvermittler der Welt gemausert und operiert derzeit in 65 Ländern. Den Dienst des kalifornischen Unternehmens in Anspruch zu nehmen ist zum Taxifahren des digitalen Zeitalters geworden und to take an Uber zum stehenden Ausdruck. Die Firma aus San Francisco plant, privaten Autobesitz überflüssig zu machen, gar den öffentlichen Verkehr ebenfalls über seinen privat organisierten, algorithmischen matching service abzuwickeln. Uber, das außer einer Flotte an Testfahrzeugen für autonomes Fahren bisher gar keine eigenen Autos besitzt, will zum »Amazon des Transportsektors« werden und in den Klub der Unternehmen mit über einer Milliarde Nutzern aufsteigen.10
Alle drei Genannten sind Digital Natives durch und durch. Mit ihren disruptiven Geschäftsmodellen, ihren auf Algorithmen und Userdaten beruhenden Diensten, ihrer breiten Nutzerbasis und immensen Kapitaldecke treten sie an, eine klassische Branche das Fürchten zu lehren. Die Autoindustrie läuft Gefahr, von diesen neuen Playern aus der IT-Branche nicht nur Konkurrenz zu bekommen, sondern von diesen komplett verdrängt zu werden. Jenseits des Pazifiks treten zudem weitere Akteure auf den Plan, insbesondere chinesische Firmen, die den größten Auto- und Mobilitätsmarkt der Welt – Asien – im Stile der Plattformökonomie beherrschen wollen.

Das Auto als digitales Gerät

Ein neues Kapitel wird aufgeschlagen: Das Auto wird zum IT-Produkt, seine Nutzung zum digitalen Service, und seine Käuferinnen und Käufer werden zu Nutzerinnen und Nutzern. Sowohl beim autonomen Fahren als auch beim elektrischen Antrieb und insbesondere bei neuen Nutzungsmodellen sind durchgehend Kernkompetenzen der IT gefragt. Algorithmen, Datenverarbeitung in Echtzeit und ihre Optimierung mittels künstlicher Intelligenz, gekoppelt mit Nutzerfreundlichkeit und einer auf Plattformen organisierten Nutzerbasis: Das ist das Erfolgsmodell der Digitalkonzerne, übertragen auf den Mobilitätssektor. Als genuin plattformkapitalistische Unternehmen tragen Dienste wie Uber die Logik und Geschäftsmodelle aus der Netzökonomie in die Logistik und Mobilität. Das Gerät und seine Anschaffung werden zu einem Steinchen unter vielen im Mosaik der digitalen Kundenbeziehungen. Das Auto wird zum Computer und gleichzeitig zum Teil eines digitalen Netzwerks: dem Internet der Mobilität.
Mit den Millennials, also den nach 1980 Geborenen, tritt eine Generation auf den Plan, die mit dem Internet und digitalen Services groß geworden ist. Mit ihrer Affinität zu neuen Technologien und ihren veränderten Bedürfnissen und Ansprüchen an Mobilität befördern sie einen Wandel hin zu vernetzten Services und der Nutzung diverser Verkehrsmittel (Multimodalität). Dieser Übergang lässt auf eine inhärente und bereits manifeste Tendenz zum Abschied vom Führerschein und vom privaten Fahrzeugbesitz schließen.
In der deutschen Öffentlichkeit wird das Potenzial der IT-Firmen bisher trotz ihrer Marktvorteile erheblich unterschätzt. Waymo kennt hierzulande kaum jemand. Tesla wird erst ernst genommen, seit sie 2018 mit dem Model 3 zuverlässig ihre Produktionsziele erreicht haben und damit zum bis dato einzigen Serienhersteller elektrisch angetriebener Mittelklassewagen wurde. Und Uber darf bislang in Deutschland mit seinem wichtigsten Geschäftsmodell, dem Vermitteln von Fahrten mit Privatfahrzeugen, nicht antreten. Nur mit einem Trick, der Kombination aus Mietwagenangebot und Chauffeurservice, darf Uber überhaupt operieren, die Fahrzeuge müssen aufgrund dieser Konstruktion auch nach jeder Fahrt zurück zur Basis und können nicht unterwegs Kunden aufnehmen.
Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland haben die neuen Spieler auf dem Mobilitätsfeld aber spätestens seit 2018 die Nase vorn: Waymo sammelt Erfahrungen mit dem ersten vollständig autonomen Robo-Taxi-Service, Tesla konsolidiert sich als führender Elektroautohersteller auf allen wichtigen Märkten, und Uber geht an die Börse, ist fast ebenso viel wert wie Volkswagen und expandiert weiter. Die klassischen Autohersteller sind ihnen, was die Geschäftsmodelle angeht, um Jahre hinterher.
Der Wettbewerbsvorteil der Konzerne aus dem Silicon Valley – und das gilt in zunehmendem Maße auch für ihre chinesischen Pendants – zeichnen sich durch Kundennähe, Echtzeitinteraktion mit ihren Kunden und schnelles Ausliefern von Innovationen aus. Die Autopilotfunktion von Tesla etwa konnten sich die Nutzer vor drei Jahren bereits von Teslas Servern selbst herunterladen und freischalten – von einer solchen digitalen Produktaktualisierung sind die klassischen Hersteller noch Jahre entfernt. Auch beim autonomen Fahren hinken sie mehrere Jahre hinterher – in der digitalen Innovationswelt eine halbe Ewigkeit.
Die Produktion elektrischer Antriebe gefährdet die Dominanz der großen Automobilkonzerne zusätzlich, denn sie ermöglicht einen Abbau der hohen Eintrittshürden, die den Markt bislang kennzeichnen, und stellt vielen auch kleineren Akteuren eine Marktchance in Aussicht. In China sind bereits fast drei Millionen Elektroautos auf der Straße – die höchste Zahl weltweit. Auf Platz zwei folgen die USA, dann kommt Norwegen. Dort ist aktuell bereits jedes zweite neu zugelassene Auto ein Elektrofahrzeug.
Auch China setzt voll und ganz auf Elektromobilität, von den zehn absatzstärksten E-Auto-Produzenten kommt die Hälfte von dort. Auch bei der Schlüsseltechnologie der E-Fahrzeuge, der Batterie, spielt China vorne mit: Das Land, das schon lange Zweiräder mit Verbrennungsmotoren aus seinen Städten verbannt hat, plant dreimal mehr Batteriefabriken als der Rest der Welt zusammen. Die Chinesische Kommunistische Partei versucht darüber hinaus, binnen weniger Jahre die wirtschaftliche Basis Chinas von einer auf Massenproduktion und niedrigen Löhnen basierenden Exportwirtschaft hin zu einem neuen Modell einer Art Netzwerkökonomie umzubauen. »Made in China 2025« heißt der strategische Plan, den Premierminister Li Keqiang und sein Kabinett im Mai 2015 beschlossen. In ihm steht die Etablierung plattformkapitalistischer Geschäftsmodelle, wie wir sie aus dem Silicon Valley kennen, in der Informations- und Kommunikationsbranche im Vordergrund. Bereits heute sitzen 9 der 20 größten Technologieunternehmen in China (die restlichen 11 in den USA). Innerhalb des nächsten Jahrzehnts China will unter anderem in Robotik, künstlicher Intelligenz und emissionsfreien Fahrzeugen weltweit führend werden.
Ein Blick auf die Entwicklung in der Computerbranche mag einen Hinweis auf die Frage geben, wer in dieser veränderten Branche in Zukunft die Nase vorn haben könnte. Hier sind die Hersteller von Software und Betriebssystemen mittlerweile tonangebend: Google, Apple, Microsoft. Die Hardwarehersteller (außer Apple) sind zu zweitrangigen, mit geringen Margen kämpfenden, von den Softwareunternehmen abhängigen Sekundanten geworden.
Die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg vergleicht den Effekt des E-Autos auf die Branche mit dem des iPhones. Genau wie die klassischen Autohersteller jetzt gab sich auch Microsoft-Chef Steve Ballmer damals sicher: »Das iPhone hat überhaupt keine Chance auf irgendeinen nennenswerten Marktanteil.«11
Apple gelang es jedoch innerhalb weniger Jahre, eine Branche bis zur Unkenntlichkeit zu verändern und etablierte Hersteller wie Nokia und Blackberry vom Markt zu verdrängen. Die Firma hat vor einigen Jahren das Wort »Computer« aus ihrem Firmennamen entfernt. Dies ist symptomatisch für eine generelle Entwicklung, in der Software wichtiger wird als Hardware. Und das nicht nur in der IT-Branche.
Auch beim Bundeswirtschaftsministerium macht man sich Sorgen, beobachtet man doch, dass »branchenfremde Digitalkonzerne versuchen, ein neues Ökosystem aus batteriebetriebenen, autonom fahrenden Fahrzeugen und Big-Data-Anwendungen zu etablieren«. Gelingt den deutschen und europäischen Autobauern nicht, diese Herausforderung zu parieren, »laufen sie Gefahr, in einem wachsenden Markt vernetzter Mobilität als reine Fahrzeugzulieferer in die zweite Reihe gedrängt zu werden«.12

Grüner Kapitalismus?

Die großen ökologischen Probleme unserer Zeit basieren zu großen Teilen auf der Erschöpfung von Schlüsselressourcen, dem exorbitanten Flächenverbrauch des autozentrierten Mobilitätsmodells sowie dem erheblichen Anteil an klimaschädlichen Emissionen durch die Herstellung und den Betrieb von Autos. Von der Automobilindustrie eingeführte Innovationen trugen bisher meist nicht zur Lösung dieser Probleme bei, weil sie weder auf geringere Emissionen noch auf geringeren Ressourcenverbrauch oder optimierte Nutzung abzielten. Sie führten eher zu mehr Leistung, mehr Gewicht, mehr zusätzlichen Funktionen und größeren Fahrzeugen und zementierten dadurch eine »imperiale Lebensweise«, deren nicht zu übersehendes Symptom die Epidemie überdimensionierter SUVs in den urbanen Zentren ist.13
Im Jahr 2030 werden voraussichtlich 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Die Städte der Zukunft werden dicht besiedelt und dringend auf nachhaltigen Städtebau angewiesen sein. Deshalb wird es in ihnen keinen Platz für Individualverkehr mit Verbrennungsmotoren mehr geben. Auch in den sich entleerenden ländlichen Räumen und urbanisierten städtischen Peripherien brauchen wir neue Mobilitätskonzepte. Die Städte und Gemeinden stehen diesbezüglich vor enormen Herausforderungen, die aber auch die Chance bergen, mit der autozentrierten Stadt- und Verkehrsplanung Schluss zu machen. Die Kommunen werden zudem zu wichtigen Akteuren, wenn es um eine der entscheidenden Ressourcen der digital gesteuerten Mobilität geht: die Generierung und Verarbeitung von Verkehrsdaten. Neue Mobilitätskonzepte erfordern zudem legislative und regulatorische Gestaltung. Um Menschen zu bewegen und ihr Habitat lebensgerecht zu gestalten, muss die Mobilität nachhaltig, postfossil und intelligent vernetzt sein und dabei Raum und Ressourcen optimal ausnutzen. Die Städte müssen hier ihre Gestaltungsspielräume (zurück-)erobern und wahrnehmen.
Das Silicon Valley sieht sich als Avantgarde eines grünen Kapitalismus, dem es gelingt, mithilfe bestehender Marktmechanismen einen ökologischen Umbau zu realisieren und dadurch die Klimakrise aufzuhalten. Smarte, vernetzte, algorithmen- sowie datenzentrierte Mobilitätskonzepte werden als grüne Alternative zum grauen Kapitalismus mit seiner Extraktion fossiler Energieträger, der Verschwendung von Ressourcen und den daraus resultierenden Umweltschäden dargestellt.
Ihr Potenzial für Nachhaltigkeit, verbesserte Ressourcenausnutzung und vernünftiges Management und die damit verknüpften Vorteile für Gesundheit, Lebensqualität und Umwelt lassen sich zwar nicht leugnen, allerdings geht es den neuen Akteuren vorrangig gar nicht um diese Effekte, sondern darum, die Hoheit über den Verkehr der Zukunft zu erlangen und durch die Etablierung und Beherrschung von algorithmen- und datengestützten Mobilitätsangeboten ihre Geschäftsmodelle erfolgreich zu installieren und so zu Mobilitätsmonopolisten zu werden. Der digitale Kapitalismus schickt sich an, eine klassisch industriell geprägte Branche mitsamt ihren Produktions- und Distributionswegen radikal zu verändern – und damit verbundene Lebensweisen, Vorstellungen und Identitäten gleich mit. Ob es innerhalb des Kapitalismus allerdings überhaupt die Möglichkeit gibt, aus der wachstumsfixierten Umweltzerstörung auszubrechen, eine Abkehr vom fossilen Raubbau hin zu einer nachhaltigen zirkulären Ökonomie zu erreichen, ohne die Grundprinzipien des Kapitalismus selbst infrage zu stellen, ist mehr als fraglich.
Das vorliegende Buch skizziert die drei zentralen Herausforderungen in Bezug auf die (Auto-)Mobilität der Zukunft, den Stand der technischen Entwicklung und die Geschäftsmodelle und Allianzen, die diese Entwicklung vorantreiben. Dabei stellen sich folgende Fragen für die Zukunft:
Wird durch den Elektroantrieb tatsächlich eine nachhaltigere Mobilität realisiert, oder läutet er nur die nächste Welle kapitalistischer Konsumgüterproduktion ein?
Werden Algorithmen und datengetriebene Services rund um das autonome Fahren tatsächlich Verkehr und Unfälle vermeiden, mehr Zeit für alle mit sich bringen und eine bessere Ressourcenauslastung ermöglichen, oder werden sie zu Profitmaximierung, Privatisierung des Verkehrs und anderen diskriminierenden Praxen führen?
Eröffnen Sharing-Modelle und digital vermittelte Nutzungsformen Möglichkeiten für mehr Nachhaltigkeit und Teilhabe, oder entsteht hier einfach nur der nächste plattformkapitalistisch deregulierte Dienstleistungsmarkt?
Kann es gelingen, die individuelle Mobilität in ein kollektives Gut zu transformieren und dadurch das Ende des Autos als Konsumobjekt, Statussymbol und »Waffe« einzuläuten?
Das sind die Diskussionen, die in den nächsten Jahren rund um die Mobilität zu einem entscheidenden Feld für gesellschaftliche Auseinandersetzungen werden und sich mit den Debatten um die sogenannte Smart City, die Plattformökonomie und das Recht auf Stadt überschneiden.
Kapitel 1
Das elektrische Auto
Der weithin unbekannte Franzose Gustave Trouvé sorgte im Sommer 1881 für Aufsehen auf den Straßen von Paris. Er war dort mit einem automobilen Dreirad unterwegs, das von einem Elektromotor angetrieben wurde. Ganze sieben Jahre später erst wagte sich Bertha Benz mit dem verbrennungsmotorbetriebenen Dreirad ihres Mannes Carl auf die Reise von Mannheim nach Pforzheim. In der Anfangszeit der Automobilisierung hatte der E-Antrieb also die Nase vorn – am Beginn des 20. Jahrhunderts waren 34.000 elektrische Autos in den USA unterwegs, mehr als benzingetriebene.1 In der Folgezeit änderte sich dies jedoch. Schon damals wurde das hohe Gewicht der Batterien als Problem empfunden, das mit der höheren Energiedichte von Mineralölprodukten nicht mithalten konnte, und kulturelle Faktoren wie die damals schon präsente »Reichweitenpanik« spielten ebenfalls eine Rolle. Die Verfügbarkeit billiger Kraftstoffe und die wirtschaftlichen Interessen der Ölindustrie dürften letztlich den Ausschlag dafür gegeben haben, dass es um das Elektroauto lange still wurde.
Fast ein Jahrhundert später versuchte es schließlich General Motors mit einem Elektrowagen, dem EV1 (Electric Vehicle 1). Mit dem vollelektrischen Zweisitzer konnte man 130 Kilometer weit fahren, bevor das Auto wieder geladen werden musste, und das Laden war an jeder beliebigen Haushaltssteckdose möglich. Trotz der werblichen Unterstützung durch Hollywoodstars war dem Projekt kein Erfolg beschieden. Einer Allianz aus Ölindustrie, Automobilindustrie und korrupten Regulierungsbehörden gelang es, das Projekt E-Auto auch diesmal erfolgreich zu torpedieren.2 Dass sich Autos mit Verbrennungsmotoren überhaupt durchgesetzt haben, ist eher auf kapitalistische Marktmechanismen zurückzuführen als auf die Technik selbst.
Otto- und Dieselmotoren sind in vielerlei Hinsicht misslungen: Ein Kraftstoff-Luft-Gemisch wird zur Explosion gebracht, die resultierende senkrechte Bewegung der Kolben muss hernach mittels einer Kurbelwelle in eine Rotation verwandelt werden, deren Kraftübertragung auf die Räder gleich wieder durch eine Kupplung unterbrochen werden muss, damit der Motor nicht gleich abstirbt. Die Motoren werden zudem selten im optimalen Drehzahlbereich betrieben, sind laut, müssen gekühlt werden und produzieren enorme Schadstoffmengen. Ein Großteil der Leistung geht als Abgaswärme, durch Kühlung, Reibung und Schall verloren, Bremskraftrückgewinnung gibt es nur Einzelfällen – die Liste an Designmängeln ist lang. Der Wirkungsgrad des Ottomotors liegt bei bescheidenen 25 Prozent, beim Diesel mit rund 33 Prozent etwas höher. Von zehn Liter Kraftstoff werden also nur etwa drei Liter zum Fortbewegen genutzt, der Rest verbrennt nutzlos.3 Die Verbrennerungetüme, die mit circa 80 Litern hochexplosiver Flüssigkeit beladen sind und meist von Amateuren gesteuert werden, verglich der Journalist Alexis Madrigal daher mit »Bomben auf Rädern«.4
Elektromotoren sind demgegenüber wesentlich einfacher aufgebaut, müssen nicht gekühlt werden, und es entstehen keinerlei Abgase im Betrieb, eine Abgasanlage ist nicht nötig. Es gibt kein Getriebe und keine Kupplung, Lärmdämmung ist nicht nötig, Bremskraft kann rückgewonnen werden. Mit einem Wirkungsgrad von nahezu 100 Prozent (bei der Umwandlung von elektrischer Energie in Bewegungsenergie) schneiden sie deutlich besser ab als der Verbrenner.5
Die Ökobilanz von E-Autos ist Gegenstand einer breiten Debatte.6 Drei Bereiche sind hierbei zentral: die Schadstoffemissionen im laufenden Betrieb, die CO2-Bilanz des für den Antrieb verwendeten Stroms sowie die Energie- und Rohstoffbilanz des Lebenszyklus der Fahrzeuge.