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Eine unfassbare Tragödie, ein unbeschreibliches Opfer und eine unsterbliche Liebe.
Zwietracht trübt die Allianz zwischen den Fey und den Celieran zum schlechtesten Zeitpunkt: Die bösen Magier von Eld bereiten sich auf den großen Schlag gegen die Allianz vor. Vadim Maur, der hohe Magier von Eld, steht kurz vor der vollständigen Eroberung der Schwindenden Lande. Tod und Zerstörung überrollen Rains Heimat.
Rain Tairen Soul und Ellysetta tragen in diesen dunklen Zeiten die zusätzliche Bürde, dass sie nach wie vor nicht in der Lage waren, ihren Seelenbund zu vollenden. So lange ist Ellys Schicksal immer noch nicht geschrieben ... Aber sie wird alles dafür tun, um ihren Gefährten und ihr Volk zu retten.
Die Tairen Soul Saga - fesselnde Romantasy von New York Times Bestsellerautorin C. L. Wilson:
Band 1: Im Bann des Elfenkönigs
Band 2: Herrin von Licht und Schatten
Band 3: Die finstere Macht der Tairen Soul
Band 4: Königin der Seelen
Band 5: Das betörende Lied des Elfenkönigs
Das betörende Lied des Elfenkönigs erschien im Original unter dem Titel Crown of Crystal Flame.
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Seitenzahl: 782
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Karte
Widmung
Danksagung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Über die Autorin
Alle Titel der Autorin
Impressum
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Zwietracht trübt die Allianz zwischen den Fey und den Celieran zum schlechtesten Zeitpunkt: Die bösen Magier von Eld bereiten sich auf den großen Schlag gegen die Allianz vor. Vadim Maur, der hohe Magier von Eld, steht kurz vor der vollständigen Eroberung der Schwindenden Lande. Tod und Zerstörung überrollen Rains Heimat.
Rain Tairen Soul und Ellysetta tragen in diesen dunklen Zeiten die zusätzliche Bürde, dass sie nach wie vor nicht in der Lage waren, ihren Seelenbund zu vollenden. So lange ist Ellys Schicksal immer noch nicht geschrieben … Aber sie wird alles dafür tun, um ihren Gefährten und ihr Volk zu retten.
C. L. Wilson
DAS BETÖRENDE LIEDDES ELFENKÖNIGS
Aus dem amerikanischen Englisch vonMichael Krug
Für Kevin,
meine einzige wahre Liebe.
Ver reisa ku’chae. Kem surah, Shei’tan.
Die Veröffentlichung dieses Buches vollendet einen Traum, den ich über ein Jahrzehnt lang verfolgt habe. Zum ersten Mal begegnete ich Rain und Ellie 1999 zwischen freiberuflichen Arbeiten als IVR-Programmiererin und B2B-Marketingspezialistin. Ihre Geschichte nahm mich gefangen. Ich habe mich in sie, in ihre Freunde und in ihre Welt verliebt. Und ich bin so froh, dass Sie es auch getan haben.
Mein Dank geht an meine wundervolle Familie – meinen Mann Kevin, meine Töchter Ileah und Rhiannon und meinen Sohn Aidan – für ihre Unterstützung während all der langen Stunden des Schreibens und der schriftstellerischen Tätigkeiten. Besonders danke ich meiner Mutter Lynda Richter und meiner Schwester Dr. Lisa Richter für ihren unermüdlichen Einsatz beim Lesen unausgegorener Manuskripte und für ihre Unterstützung dabei, sie zu verbessern. Ferner geht mein Dank an alle, die im Lauf der Jahre dabei mitgewirkt haben, Rains und Ellies Geschichte so gut wie möglich zu gestalten, insbesondere an meine Seesternfreunde: Christine Feehan, Kathie Firzlaff, Diana Peterfreund, Betina Krahn, Sheila English, Carla Hughes und Sharon Stone. Meinem Dad, dem unvergleichlichen Ray Richter, danke ich dafür, dass er all die Jahre mein Web-Guru war. Ganz besonders danke ich meiner Agentin Michelle Grajkowski und meiner ehemaligen Lektorin Alicia Condon, denn vor vier Jahren seid ihr mit einer unveröffentlichten Autorin und einem Manuskript von gewaltigem Umfang, das sonst niemand in der Branche anfassen wollte, ein Risiko eingegangen. Zu guter Letzt danke ich meiner neuen Lektorin Tessa Woodward und meinem neuen Verlag, Avon Books. Ich freue mich auf eine hoffentlich lange und fruchtbare Zusammenarbeit.
Nord-Celieria, 24. Tag des Verados
Der Tod schnitt wie ein Messer über Ellysetta Baristanis einfühlsame Seele. Talisa Barrial diSebourne war gestorben, getötet vom Tairen-Gift in dem roten Fey’cha, den ihr Gemahl Colum auf ihren Fey-Seelengefährten Adrial vel Arquinas geschleudert hatte.
Von Colum diSebourne – Talisas Ehemann – fehlte jede Spur.
Der Geruch von Ozon, der Nachgeschmack mächtiger, mit explosiver Kraft entfesselter Magie, hing noch schwer in der Luft. Niemand brauchte Ellysetta die schrecklichen Ereignisse zu schildern. Sie hatte Colums hasserfüllte Wut und Talisas Tod gespürt. Und Adrials wilden, tödlichen Zorn. Sie hatte den Moment gefühlt, in dem Colums Wut in Grauen umgeschlagen war, hatte die unverkennbare Explosion von Adrials Magie gesehen und dann … nichts mehr. Gefühlsleere, benommenes, ungläubiges Schweigen, letztlich gefolgt von Kummer, Anklage und einem chaotischen Wirbel ungezügelter Gedanken und Empfindungen.
Colum hatte seine Gemahlin bei seiner Rückkehr aus dem Wald mit ihrem Fey-Geliebten ertappt und eine Reihe von Ereignissen in Gang gesetzt, die dazu geführt hatten, dass Talisa und Adrial nun tot waren. Und Colum … war einfach verschwunden.
»Mein Sohn.« Der Hohe Lord Sebourne – Colums Vater – trat in den offenen Bereich, wo sich sein Sohn befunden hatte. Sein Blick wanderte über die Lichtung. Angriffslustig streckte er das Kinn vor. »Wo ist mein Sohn?«
»Er ist fort«, antwortete Talisas Vater, der Hohe Lord Cannevar Barrial, mit rauer Stimme. »Sie sind alle fort.« Seine Söhne Luce, Parsis und Severn standen betroffen schweigend neben ihm. Er wischte die Tränen weg, die ihm in die Augen traten, und starrte seinen Nachbarn finster an. »Ich hoffe, du bist zufrieden, Sebourne.«
Rowan vel Arquinas kniete sich neben die Leichname Talisas und seines Bruders und richtete einen von Kummer gezeichneten Blick auf Ellysetta. »Bitte, Feyreisa, rette sie! Wenn es jemand kann, dann du.«
Rowans stockendes Flehen riss Ellysetta aus ihrer Starre. Sie überquerte das Feld und kniete sich neben die gefallenen wahren Gefährten.
»Rain, versuch es bei Talisa mit dem Shadar-Horn«, verlangte sie. Das gewundene Horn, das von den magischen Pferden namens Shadar stammte und ein Geschenk des Elfenkönigs Galad Falkenherz gewesen war, wirkte angeblich als Gegenmittel für jedes Gift – sogar für das unweigerlich tödliche Tairen-Gift.
»Ellysetta.« Rain, Ellysettas wahrer Gefährte, legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Es ist zu spät, Shei’tani. Sie sind bereits gegangen.«
Jäh schaute sie auf und suchte seinen Blick. »Ich muss zumindest versuchen, sie zu retten«, protestierte sie. »Das weißt du genau.«
Mitgefühl und Verständnis ließen seine Züge weicher werden. Ellysettas Gefährten, dem König der Fey, der einst in einem Anfall gramerfüllten Wahnsinns die Welt verbrannt hatte, waren weder der Tod noch der Wunsch fremd, ihn zu verhindern. »Wir können nichts tun. Sie haben den Schleier bereits passiert. Selbst wenn du ihre Seelen zurück in ihre Körper rufen könntest, würdest du sie nur als Dämonen herbeibeschwören, nicht als die Freunde, die wir kannten.«
Gebrüll ließ sie herumwirbeln. Lord Sebourne und Lord Barrial gingen mit gezogenen Schwertern aufeinander los. Auch all ihre Männer hatten Klingen in den Händen und wirkten bereit – ja sogar begierig darauf –, das Blut ihrer Landsleute zu vergießen.
»Was soll das werden?«, rief Ellysetta. »Habt ihr noch nicht genug vom Tod?«
Obwohl das Abkommen zwischen Fey und Celieria den Fey verbot, die Gedanken Sterblicher mit ihrer Magie zu beeinflussen – und obwohl Adrial vel Arquinas für ebendieses Verbrechen zum Tode verurteilt worden war –, tat es Ellysetta trotzdem. Sie wob ein Gespinst des Friedens über die wutentbrannten Männer und beraubte sie der sengenden Hitze ihres Zorns.
»Steckt die Schwerter in die Scheiden!«, befahl sie und legte Nachdruck in ihre Stimme. »Heute wird es hier kein Töten mehr geben. Lord Barrial, Rowan, kümmert euch um eure Verstorbenen! Lord Sebourne, trauert um Euren Sohn! Um der geliebten Menschen willen, die jeder von uns verloren hat, lasst Frieden zwischen uns herrschen!«
Obgleich Sebourne seine Klinge in die Scheide schob, vermochte nicht einmal Ellysettas Gespinst, seine Wut gänzlich zu besänftigen.
»Frieden?«, spie er hervor. »Den wird es geben, wenn Celieria und dessen König frei von der Beeinflussung und Kontrolle der Fey sind.« Er wandte sich dem König zu und verkündete: »Die Sebournes werden nicht länger neben diesen Fey-Rultschark kämpfen. Ich werde keinen einzigen Tropfen Sebourne-Blut mehr für sie vergießen, und ich werde ihnen nicht länger vertrauen. Ich bete zu den Göttern, dass Ihr bald die Kraft finden mögt, Euch von ihren Fäden loszuschneiden.«
Dann erhob Lord Sebourne die Stimme und brüllte: »Krieger von Sebourne! Steigt auf. Wir reiten nach Hause!«
Celieria – Kreppes 24. Tag des Verados
Talisas und Adrials Körper wurden wieder den Elementen überantwortet«, sagte Rain.
Nach dem Tod Talisas und Adrials marschierte die Armee des Königs weiter auf die große ummauerte Festungsstadt Kreppes zu, um sich auf den Krieg vorzubereiten. Rain und die Fey waren bei Lord Barrial und dessen Söhnen geblieben, um den endgültigen Abschied zu vollziehen und die Leichname ihrer Angehörigen zu den Elementen zurückzuschicken, denen sie entstammten.
Nun standen Ellysetta und er in den Gemächern, die Lord Barrial für Dorian bereitgestellt hatte, vor Celierias König, und Rain fürchtete, dass durch den Tod von Adrial, Talisa und Colum diSebourne an diesem Tag auf den Feldern von Nord-Celieria weit mehr als drei Leben zerstört worden sein könnten.
Erst vor einem Monat hatten die Fey erfahren, dass der böse Großmeister der Magier von Eld beabsichtigte, eine schreckliche Armee auf Celieria loszulassen. Ein Heer, das einer seiner Magier mit der sagenumwobenen Armee der Finsternis verglichen hatte, einer Millionen Krieger umfassenden Streitmacht, die imstande war, die Welt zu erobern. Rain und Ellysetta hatten mehrere Wochen mit dem Versuch verbracht, ein Bündnis zur Bekämpfung der Bedrohung zusammenzuflicken. Nun jedoch bestand aufgrund dessen, was Talisa, Adrial und Colum widerfahren war, die Gefahr, dass die kleine Armee, die zu scharen ihnen gelungen war, auseinanderfallen könnte.
König Dorian X. von Celieria, der sich nicht erhoben hatte, als Rain und Ellysetta eingetreten waren, betrachtete weiter die Pergamentbögen in seiner Hand, als hätte Rain nichts gesagt. Er ließ den König und die Königin der Fey vor sich stehen wie zu bestrafende Kinder, die vor den Schulleiter befohlen worden waren.
Verärgerung regte sich in Rain. Dorians Zorn war berechtigt. Rain wusste, er verdiente es, dafür getadelt zu werden, dass er Adrials Anwesenheit in Celieria Stadt vor dem König des Reichs verschleiert hatte – dennoch würde er keine Unhöflichkeit Ellysetta gegenüber dulden.
»Die Fey stehen zum Kampf bereit«, verkündete Rain vor Dorians geneigtem Haupt. »Aber bevor diese Schlacht beginnt, König Dorian, müssen die Feyreisa und ich wissen, welche Auswirkung unser gemeinsamer Verlust auf unser Bündnis haben wird.«
Die Hände an dem Pergament erstarrten. Der König von Celieria hob den Kopf. Ein Blick, so hart wie polierte Steine, prallte mit jenem Rains zusammen. »Für solche Bedenken ist es ein wenig spät, findet Ihr nicht?«
Die unterschwellige Gehässigkeit in Dorians Tonfall überraschte Rain. Seit seiner ersten Begegnung mit dem Nachkommen von Marissyas und Gaelens Schwester, Marikah vol Serranis, hatte er Dorian immer nur als zu schwaches, zu sterbliches Produkt einer großen Fey-Linie betrachtet. Ein Fey war Dorian höchstens der Abstammung nach, und er besaß kaum Eigenschaften eines starken Anführers oder kampferprobten Kriegers. Doch nun haftete Dorian eine neue Härte an, die Rain nie zuvor an ihm bemerkt hatte. Ein kaltes Funkeln in den Augen und unnachgiebige Entschlossenheit um die Kieferpartie.
Der vertrauensselige, gefällige Dorian vol Serranis Torreval hatte Rückgrat entwickelt – und damit eine entschieden weniger vorteilhafte Meinung über die Fey.
Rain breitete in einer beschwichtigenden Geste die Hände aus. »König Dorian …«
»Ihr wusstet es!« Dorian sprang auf die Beine und trat seinen Stuhl zurück. »Ihr habt die ganze Zeit über Adrial und Talisa Bescheid gewusst. Euch war bekannt, dass Adrial und die anderen nicht in die Schwindenden Lande zurückgekehrt waren. Und dass sie ihre Magie benutzten, um ihre Gegenwart vor Talisas Ehemann zu verbergen. Ihr wusstet es, und Ihr habt es gebilligt. Nicht nur das – Ihr habt Euch an ihrem Betrug beteiligt!« Er streckte einen Finger in Rains Richtung. »Ihr, der Ihr Euch der Fey-Ehre so sehr rühmt, habt mich, die Sebournes und die Barrials hintergangen.«
Rains Haut rötete sich. »Mir ist klar, wie das erscheinen muss …«
»Erscheinen?« Dorian lachte rau und freudlos. »Ihr habt so wortgewandt darüber gesprochen, unsere Bräuche zu ehren, unser Ehegelübde als genauso heilig wie das Eure zu betrachten, und gleichzeitig wart ihr in den Plan verstrickt, einem Mann das Eheweib zu rauben. Ist dies das Maß der Fey-Ehre? Ist sie so verkommen und wertlos geworden – oder ist es nur ein Anzeichen dafür, wie verkommen und wertlos Eure Ehre geworden ist?
Ellysetta schäumte an Rains Seite, doch mit einer leichten Berührung seiner Hand sorgte er dafür, dass sie schwieg. »Nei, Shei’tani. Dorians Zorn ist berechtigt. Ich habe ihn vorsätzlich getäuscht.«
»Ihr habt Euch auf mein Vertrauen verlassen … auf meinen Glauben an Eure Ehre«, fuhr Dorian hitzig fort. »Ihr habt mich manipuliert wie die Marionette, die zu sein mir meine eigenen Adeligen vorwerfen. Ihr habt mein Vertrauen in die Tugend der Fey – ja sogar meine Liebe zu meiner Tante Marissya und meine verwandtschaftlichen Bande mit den Fey – benutzt, um mich zu hintergehen. Ihr seid der Grund dafür, dass heute drei Leute gestorben sind! Hätte ich doch nur auf Tenn v’En Eilans Warnung vor Euch gehört!«
»Das reicht!«, rief Ellysetta. Ihre grünen Augen sprühten Funken. »Wie könnt Ihr es wagen, ihm die volle Verantwortung für die heutigen Vorfälle vor die Füße zu schleudern? Ihr, den genauso viel Schuld trifft wie ihn!«
»Ellysetta, Las.« Rain zog sie an sich, da er fürchtete, sie könnte Dorian etwas antun. »Dorians Zorn ist berechtigt. Ich habe ihn manipuliert und hintergangen. Und ich werde die Last von Adrials und Talisas Tod ebenso tragen wie die Last all der Leben, die meinem Schwert und meinen Flammen zum Opfer gefallen sind.« Auf dem privaten Verbindungsweg fügte er hinzu: »Vielleicht hatte Tenn recht, und ich bin wirklich vom rechten Weg abgekommen.« Der Anführer des Massan, des Regierungsrates der Schwindenden Lande, hatte ihm diesen Vorwurf gemacht, als er Ellysetta und ihn verbannte, weil sie die verbotene Magie Azrahn eingesetzt hatten. War er tatsächlich vom Weg des Lichts abgekommen und zu geblendet von seiner Liebe zu Ellysetta und seinem Hass auf die Eld gewesen, um es zu erkennen?
Sie wirbelte zu ihm herum. Entsetzen und Ablehnung seines stummen Geständnisses drängten ihre Wut in den Hintergrund. »Rain, nei. So darfst du nicht denken. Du bist ein Verfechter des Lichts. Zweifle nie daran.« Sie nahm sein Gesicht in die Hände und blickte ihm eindringlich in die Augen, als könnte sie ihn durch reine Willenskraft dazu bringen, ihr zu glauben.
Ellysetta wandte sich wieder an Dorian und sagte mit ruhigerer Stimme: »Wegen seines Kummers und seiner Schuldgefühle angesichts des entsetzlichen Verlusts von heute lässt mein Shei’tan widerspruchslos zu, dass Ihr ihn mit Schuld überhäuft. Aber ich tue das nicht. Welches schreckliche Verbrechen hat er schon begangen? Er hat einem Sterbenden gestattet, die letzten Monate seines Lebens über die Frau zu wachen, die er liebte. Wenn das ein Verbrechen ist, dann solltet Ihr zu den Göttern um den Mut beten, Euch so schuldig zu machen wie er!«
Zum ersten Mal, seit sie sein Zimmer betreten hatten, wirkte Dorian verunsichert. »Vel Arquinas war dem Tod geweiht?«
»Ellysetta«, raunte Rain eine leise Warnung. Der hohe Preis der Shei’tanitsa war eine gefährliche Wahrheit, die Fey Außenstehenden gegenüber niemals preisgaben.
»Aiyah, das war er«, bestätigte sie. »Es tut mir leid, Rain, aber es ist längst überfällig, dass er die Wahrheit erfährt. Immerhin ist er ein halber Fey.« An Dorian gewandt, fuhr sie fort: »In dem Augenblick, in dem Ihr Talisas celierianische Ehe bestätigt habt, war Adrials Leben vorbei. Es mag Euch nicht bewusst gewesen sein, doch indem Ihr ihm seine Shei’tani verweigert habt, wurde er von Euch zum Tode verurteilt.«
»Das ist doch lächerlich.« Dorian setzte eine finstere Miene auf und begann, auf und ab zu gehen. »Ganz gleich, was die Dichter behaupten, ein gebrochenes Herz hat noch niemanden umgebracht.«
»Vielleicht nicht unter Sterblichen, König Dorian«, entgegnete Ellysetta. »Aber für die Fey gilt das nicht. Wenn ein Fey seine wahre Gefährtin findet, bleiben ihm nur einige Monate Zeit, um den Bund zu vollenden, sonst stirbt er.«
Dorian hielt unvermittelt inne. Er drehte sich um und blickte unruhig zwischen dem Paar hin und her. »Ist das wahr?«, fragte er Rain.
Der seufzte, dann nickte er. »Aiyah, es ist wahr.«
»Aber Ihr müsst Euren Bund mit der Feyreisa auch erst vollenden. Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr im Begriff seid zu sterben?«
»So ist es.«
Verdutzt lehnte sich Dorian ans Fenster zurück und umfasste mit den Händen den Steinsims. »Wie lange bleibt Euch noch?«
»Nicht mehr lange. Vielleicht noch ein paar Wochen. Höchstens ein, zwei Monate.« Ellysetta ergriff Rains Hand. Er drückte sanft ihre Finger.
»Wenn das stimmt, warum höre ich dann zum ersten Mal davon?«
»Ellysetta hat mir einmal dieselbe Frage gestellt. Und meine Antwort an sie war dieselbe, die ich jetzt Euch gebe: Hättet Ihr eine so große Schwachstelle, würdet Ihr dann zulassen, dass diejenigen davon erfahren, die Euch vielleicht schaden wollen?«
Dorians Zorn flammte wieder auf. »Ihr denkt, ich will Euch schaden?«
»Ihr? Nei. Aber Ihr seid der König eines Volkes, das zunehmende Feindseligkeit gegenüber den Fey erkennen lässt. Es schien klüger zu sein, unsere Geheimnisse für uns zu behalten.«
»Da Ihr es nun wisst«, ergriff Ellysetta das Wort, »könnt Ihr jetzt verstehen, weshalb Rain so gehandelt hat? Es stimmt, dass er unseren Geistbändigern erlaubt hat, die Illusion zu weben, dass Adrial und Rowan die Stadt verlassen, während sie in Wirklichkeit bei Talisas Quintett blieben, verhüllt von einem Unsichtbarkeitsgespinst, um nicht entdeckt zu werden. Und aiyah, er hielt ihre Anwesenheit vor Euch geheim, damit Euch keine Schuld treffen konnte. Aber er tat es nicht, damit Adrial die Gemahlin eines anderen stehlen konnte, sondern damit Adrial die letzten Tage seines Lebens in der Nähe der Frau verbringen konnte, die er liebte.«
Dorian erlangte die Fassung wieder und betrachtete die beiden mit einer Mischung aus Argwohn und defensiver Verärgerung. »Selbst wenn vel Arquinas dem Tod geweiht war, ist das keine Entschuldigung. DiSebournes Gedanken so zu beeinflussen, um mit der Frau des Mannes durchzubrennen … Das sind keine Taten eines ehrenwerten Mannes – ob Fey oder Sterblicher.«
»Nei«, pflichtete Rain ihm bei. »Ihr habt recht. Und genau das ist der Grund, weshalb Adrial den Sheisan’dahlein begrüßt hätte, den Ehrentod der Fey, und weshalb kein Fey versuchen wird, ihn zu rächen. Was Adrial getan hat, war falsch. Niemand leugnet das. Doch sein Bruder Rowan hat uns mitgeteilt, dass er den ehrenvollen Weg wählen wollte. Er wollte seine Shei’tani bei ihrem Ehemann zurücklassen und in die Schwindenden Lande zurückkehren.«
Dorians Schultern sackten herab. »Ihr hättet zu mir kommen und mir vertrauen sollen. Hätte ich den Preis für den Seelenbund gekannt, hätte ich versuchen können, etwas zu tun, um vel Arquinas’ Leben zu retten. Jetzt ist es zu spät. Drei Leben sind verloren – darunter das des einzigen Erben eines hohen Adelshauses. Sebourne und seine Freunde werden dafür sorgen, dass ich meine Nachsicht gegenüber den Fey bereuen werde.«
»Das verstehe ich, Dorian, und ich werde tun, was ich kann, um es wiedergutzumachen, doch im Augenblick müssen wir uns den Kopf über eine weit größere Bedrohung als Sebournes Vergeltung zerbrechen. Falkenherz hat uns davor gewarnt, dass die Eld heute Nacht angreifen werden.«
»Heute Nacht? Ich dachte, Ihr hättet gesagt, der Angriff würde nächste Woche erfolgen.«
»Anscheinend haben sich die Dinge geändert.«
»Wie viele Elfen hat Falkenherz zu unserer Unterstützung entsandt? Werden sie überhaupt rechtzeitig eintreffen, wenn der Angriff schon heute Nacht stattfindet?«
Rain zögerte. Dieser Teil der Unterredung bereitete ihm noch größeres Unbehagen als Dorians Zorn. »Die Elfen kommen nicht.«
Der König runzelte die Stirn. »Lord Falkenherz denkt, die Danaer allein genügen gegen eine Armee der Größe, von der Ihr ausgeht?« Schon vor Wochen, nachdem sie Dorian gewarnt und aufgefordert hatten, seine Truppen zu scharen und nach Kreppes marschieren zu lassen, waren Rain und Ellysetta nach Süden gereist, um militärische Hilfe von den Danaern und den Elfen zu erbitten.
»Wir haben uns nie mit den Danaern getroffen. Falkenherz’ Elfen fingen uns ab, bevor wir Celierias Grenze überqueren konnten. Er versprach, er würde für uns mit den Danaern reden, aber selbst wenn sie zugesagt haben zu kommen, wird es Tage, vielleicht Wochen dauern, bis sie Kreppes erreichen.«
»Dann sind wir verloren.« Dorian begann wieder, auf und ab zu laufen.
»Die Festung wird schwer bewacht, und die Schilde sind stark«, sagte Rain. »Mit Euren zwölftausend Soldaten, Lord Barrials zweitausend Mann und meinen dreitausend Fey werden wir den Eld einen guten Kampf liefern. Die Magier werden keinen Fingerbreit celierianischen Bodens erobern, ohne einen hohen Preis zu bezahlen.«
»Verkauft mich nicht für dumm!«, herrschte Dorian ihn an. »Ich habe die Legenden über die Armee der Finsternis gelesen. Es heißt, sie war Millionen Mann stark.«
»Legenden werden im Lauf der Zeit oft ausgeschmückt.«
»Ja, aber selbst, wenn dieser Magier eine Armee von nur einem Zehntel dieser Größe aufgestellt hat, wären unsere siebzehntausend Mann zwanzig zu eins in der Unterzahl. Hätten die Elfen und die Danaer eingewilligt, mit uns zu kämpfen, hätten wir vielleicht eine Chance gehabt. Vielleicht. Doch so …«
»Wenn dieser Magier tatsächlich eine Armee geschaffen hat, die an die Legende heranreicht, können wir bestenfalls darauf hoffen, uns ihr entgegenzustemmen und so viele wie möglich zu töten, bevor wir überrannt werden«, stimmte Rain ihm unumwunden zu. »Und beten, dass unsere Niederlage die Elfen zum Handeln bewegt, was unser Gesuch um Hilfe nicht konnte.«
»Ihr müsst insgeheim die Hoffnung auf Erfolg hegen«, beharrte Dorian. »Wenn Ihr von einer sicheren Niederlage überzeugt wärt, hättet Ihr Eure Shei’tani nie hierhergebracht.«
»Sie ist hier, weil ich hier bin, aber wenn die Lage schlimm wird, bringt ihr Quintett sie in Sicherheit.«
Ellysetta erstarrte an seiner Seite. »Rain, ich werde dich nicht verlassen.«
»Darüber reden wir später.« Er sah sie nicht an.
»Nei, tun wir nicht. Weil es nichts zu bereden gibt. Ich werde dich nicht verlassen. Du bist verrückt, wenn du denkst, ich würde gehen.«
Sein Mundwinkel zuckte, und trotz des Ernstes der Lage warf er ihr einen kurzen Blick zu, aus dem sarkastischer Humor sprach. »Ich glaube, darüber sind wir uns ja bereits einig, Shei’tani, und ich werde jeden Tag verrückter.«
Sie sah ihn finster an. »Das ist nicht lustig.«
Dicke, bestickte Samtbahnen bedeckten das Glas der Fenster, um den Raum gegen die Kälte der verschneiten Winter des Nordens zu schützen. Dorian zog einen der Vorhänge zurück und starrte über die von Fackeln erhellten nördlichen Zinnen auf die Dunkelheit von Eld.
»Es ist spät. Meine Kundschafter haben keine Armeen am Horizont gemeldet. Meine Generäle haben sich bereits zu Bett begeben. Ich schlage vor, Ihr tut das Gleiche. Wenn uns heute Nacht ein Angriff bevorsteht, ist es besser, uns dem Feind ausgeruht und kampfbereit zu stellen.« Dorian kam zurück und trat neben seinen Schreibtisch. »Lord Barrials Diener haben Gemächer für Euch und die Feyreisa vorbereitet. Ihr Quintett kann natürlich bei Euch bleiben, und Ihr könnt ein weiteres Quintett zu den Turmwachen postieren, aber lasst den Rest Eurer Truppen außerhalb der Mauern lagern. Ich bin nicht der einzige Celierianer, den die heutigen Ereignisse aufgewühlt haben. Die Gemüter sind erhitzt, und ich ziehe es vor, mögliche Konflikte zu vermeiden.«
»Selbstverständlich.« Rain nickte knapp, wie es als Höflichkeitsbezeugung zwischen Königen üblich war, dann reichte er Ellysetta ein Handgelenk für ihre Hand dar. »Wir möchten Euch keinen weiteren Kummer bereiten.«
Nachdem sie den König verlassen hatten, gingen Rain und Ellysetta hinaus zum Lager der Fey – Rain, um sich mit seinen Generälen zu treffen, Elysetta, um Rowans Kummer zu lindern, so gut sie konnte. Bei ihrer Rückkehr erwartete sie einer von Lord Barrials Dienern und führte sie zu geräumigen Gemächern im Westflügel der inneren Festung.
Nun lag Ellysetta in dem opulenten, mitten im Zimmer aufgestellten Bett in Rains Armen, geschützt vom fünfundzwanzigfachen Gespinst ihres Quintetts und den beeindruckenden Schilden von Kreppes, die jeden Tag bei Sonnenuntergang von selbst angingen. Im Kamin knisterte ein warmes Feuer, das den Raum mit einem flackernden Tanz von Schatten und Flammenschein erhellte.
»Wie geht es Rowan?« Rain strich mit einer Hand durch ihr offenes Haar.
»Er ist am Boden zerstört.« Ihr Kopf ruhte auf seiner Brust. Sie schmiegte sich dichter an ihn, brauchte das Gefühl seines um sie geschlungenen Armes, das Geräusch seines unter ihrem Ohr schlagenden Herzens. »Der Verlust seines Bruders nagt an seiner Seele. Bel bot an, ein Geistgeflecht zu Rowans Schwester zu weben, aber dadurch wurde es nur noch schlimmer. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, ihr sagen zu müssen, dass ihr Bruder von uns gegangen ist. Er gibt sich die Schuld an Adrials Tod. Ich weiß nicht, wie er darauf kommt. Nichts von all dem war seine Schuld.«
»Kummer folgt nicht immer der Vernunft. Und einen Fey trifft Kummer stets schwer. Unsere Art liebt niemals halbherzig.«
Die Fey taten nichts halbherzig. Diese Inbrunst machte einen Teil ihrer Anziehungskraft aus. Durch sie waren sie die wildesten Krieger, die treuesten Verbündeten, die leidenschaftlichsten Liebhaber. Und die hingebungsvollsten Gefährten.
»Ich gab ihm Frieden, so gut ich konnte«, erklärte sie. »Trotzdem mache ich mir Sorgen. In seinen Augen ist ein Ausdruck … ein Schatten, den ich nie zuvor darin gesehen habe. Fast so, als wäre ein Teil von ihm mit Adrial gestorben, während der Rest nur noch den Anschein von Leben wahrt. Ich glaube, er hat nicht die Absicht, die bevorstehende Schlacht zu überleben.«
»Ich rede morgen mit ihm.«
»Danke.« Rain kannte Verlust. Er wusste, was es hieß, sich den Tod zu wünschen. Ellysetta zeichnete ein Muster auf seiner Brust, fuhr mit ihrer Hand darüber und streichelte mit den Fingerspitzen über die seidenglatte Haut. Sie brauchte ihn nur zu berühren, damit die Welt für sie wieder in Ordnung war. »Rain …«
»Aiyah?«
»Was du vorhin zu Dorian gesagt hast … über meine Abreise, wenn die Schlacht erbittert wird …«
Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest. »Ich habe deinem Quintett bereits Anweisungen erteilt, dich in Sicherheit zu bringen, wenn die Zeit kommt.«
Sie rollte sich weg und stützte sich auf einen Ellbogen, damit sie Rains Gesicht sehen konnte.
»Lord Falkenherz hat gemeint, wir sollen zusammenbleiben«, erinnerte sie ihn. »›Weiche nicht von der Seite deines Gefährten! Ihr gebt euch gegenseitig Halt am Licht.‹ Das waren seine Worte. Und er hat außerdem gesagt, wir könnten die Dunkelheit nur gemeinsam besiegen.«
»Er hat viel gesagt. Dem meisten davon traue ich nicht.«
»Ich verstehe.« Ellysetta löste die Hand aus seiner, legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. »Wir verschweigen Dorian also Dinge, weil es unseren Zwecken dient, trotzdem erwartest du von ihm, uns unsere Verfehlungen zu verzeihen und dir zu vertrauen, als wäre nichts geschehen. Aber wenn wir es sind, die getäuscht werden – wenn Lord Galad den Fey etwas verheimlicht, weil es seinen Zwecken dient, wird dadurch jedes seiner Worte zweifelhaft?«
Totenstille kehrte ein, durchbrochen nur vom Knistern der Scheite im Feuer.
Rain setzte sich auf. Felle rutschten auf seinen Schoß, als er sich zu ihr herumdrehte. Seidiges schwarzes Haar ergoss sich über seine muskulösen Schultern. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Du findest, dass ich Dorian so behandelt habe, wie wir von Falkenherz behandelt wurden?«
Sie begegnete seinem Blick. »Ich finde, wir haben entschieden, welche Wahrheiten wir ihm mitteilen und welche wir für uns behalten, genau wie es die Elfen uns gegenüber getan haben. Und jetzt misstraut er uns so, wie wir den Elfen misstrauen. Trotzdem denkst du, er sollte unsere Täuschung einfach vergessen und widerspruchslos auf unseren Rat hören – während du nicht bereit bist, Lord Galad zu trauen.«
Rain setzte eine finstere Miene auf. »Das kann man nicht annähernd vergleichen. Falkenherz ließ tatenlos zu, dass deine Eltern tausendjährige Qualen der Folterung erleiden. Nur die Götter wissen, wie viele Leute er in den Tod geschickt hat. Und er weigert sich, die Finsternis zu bekämpfen, von der er weiß, dass sie kommt.«
»Und drei Leute sind tot, weil wir Adrial bei seiner Shei’tani bleiben ließen und seine Anwesenheit vor den Celierianern verbargen. Und obwohl dir gesagt wurde, dass wir uns dem Großmeister gemeinsam stellen müssen, willst du mich wegschicken und damit unsere Niederlage besiegeln.«
»Du verdrehst die Tatsachen. Ich will, dass du am Leben bleibst! Was ist daran so falsch?«
Ellysetta richtete sich auf und schlang die Arme um ihn. »Ich will nicht sterben, Rain. Aber ich lasse mich auch nicht wegschicken, damit du dich opfern kannst. Du brauchst mich.« Sie fuhr mit den Fingern durch sein Haar und strich die langen Strähnen aus seinem wunderschönen Gesicht. Der Wahn der unerfüllten Bindung beseelte ihn. Er kämpfte jeden Augenblick des Tages dagegen an, und ohne sie in seiner Nähe war der Kampf noch schwieriger. »Und ich brauche dich genauso sehr.«
Die vergangenen drei Wochen waren sie ständige Gefährten und nie länger als einige Minuten voneinander getrennt gewesen. Als er in dieser Nacht mit seinen Generälen beratschlagte, während sie losgegangen war, um Rowan zu heilen, hatte sie seine Abwesenheit immens gespürt. Mittlerweile hatte sie es sich angewöhnt, sich auf die Kraft zu verlassen, die sie von ihm bezog, wenn er bei ihr war, genau wie sie es sich angewöhnt hatte, sich darauf zu verlassen, dass Lord Falkenherz’ magischer Reif aus Blüten des Wächterbaums den Magier aus ihren Träumen fernhielt, wenn sie schlief. Allein diese letzte Stunde, die sie von Rain getrennt gewesen war, hatte ihr das Gefühl vermittelt, unvollständig zu sein. Sie hatte sich dabei ertappt, durch die Fäden ihres Bundes fortwährend nach ihm zu tasten, seine Gefühle zu sich zu ziehen und ihn mit den ihren zu trösten. Sie brauchte das Wissen, dass er in der Nähe war, dass es ihm gut ging und dass sie nicht allein war.
Es ängstigte sie sogar ein wenig, wie sehr sie ihn brauchte.
»Mich wegzuschicken wird mich nicht retten, Rain. Ohne dich, der mir Kraft verleiht, ist es nur eine Frage der Zeit, bevor der Großmeister meine Seele erbeutet.« Sie hatte bereits vier der sechs Magier-Male, derer es bedurfte, um eine Seele zu versklaven, dunkle Flecken auf der Haut über ihrem Herzen, die nur in Gegenwart der verbotenen dunklen Magie namens Azrahn zu sehen waren. Noch zwei Male, und sie wäre für immer verloren. »Auch wenn du es leugnen willst, du weißt es.«
Seine Züge fielen in sich zusammen. »Ich darf dich nicht verlieren.«
»Und deshalb darfst du mich nicht wegschicken. Denn die einzige Möglichkeit, mich je wirklich zu verlieren, ist, dass der Magier meine Seele bekommt. Außerdem«, fügte sie hinzu, »wenn du mich fortschickst, wohin soll ich gehen? Du bist die einzige Familie, die ich noch habe.«
Ellysetta war im Grunde genommen eine Waise. Ihre Mama – Lauriana Baristani, ihre Adoptivmutter – war von den Eld getötet worden. Ihr Vater und ihre beiden Schwestern, Lillis und Lorelle, irrten in den Wandelnden Nebeln umher. Ihre Fey-Eltern, Shan und Elfeya v’En Celay, die sie nie kennengelernt hatte, waren wie schon seit tausend Jahren Gefangene des Großmeisters der Magier von Eld. Abgesehen von Rain hatte sie keine Angehörigen.
Sein Kopf senkte sich. Shei’tani. Das Wort entrang sich seinem geschundenen Geist voll Kummer und Verzweiflung. »Ich muss für deine Sicherheit sorgen.«
»Der sicherste Platz für mich ist an deiner Seite. Was immer geschieht, wir stehen es gemeinsam durch.«
Er schloss die Augen und nickte. »Dorch shabeila de.« So sei es. Sie zog ihn an sich, streichelte sein Haar und seinen Rücken, und Rain küsste sie zärtlich. Als jedoch die Zärtlichkeit in Leidenschaft überging und er mit ihr auf das Bett sinken wollte, hielt sie ihn zurück.
»Sollte das unsere letzte gemeinsame Nacht sein, Shei’tan, so will ich sie nicht hier in einem fremden Raum in einer alten Burg an der Grenze verbringen.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Wohin möchtest du?«
»In die Schwindenden Lande.« Als er verwirrt die Stirn runzelte, hob sie eine Hand. Der Lavendelschimmer des Elementes Geist, der Magie der Gedanken und der Illusionen, sammelte sich in ihrer Handfläche. »Ich möchte unsere letzte Nacht in Dharsa verbringen, umgeben von unseren Freunden und Familien, während die Tairen von den Dächern singen und der Duft von Amarynth in der Luft liegt.«
Rains Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als er verstand. »Ich denke, zu zweit können wir das einrichten.« Sein Gespinst gesellte sich zu ihrem, Fäden verschmolzen miteinander und breiteten sich über den Raum aus. Die Wände, das Bett, ganz Celieria verschwanden, wurden von der makellosen Schönheit Dharsas und der Gärten in der Nähe der goldenen Tairen-Halle ersetzt. Faerilas, das magiedurchwirkte Wasser der Schwindenden Lande, gurgelte in erlesenen Marmorspringbrunnen, und die Luft duftete nach Jasmin, Honigblüten und Amarynth, der Blume des Lebens. Die Fey sangen, und die Musik stieg in den lauen Abendhimmel empor. Feenfalter blinkten und funkelten zwischen den Blumen und Bäumen.
Und dort unter den großen Marmorbogen stand Ellysettas Familie: Mama, Papa und die Zwillinge. Ihre Fey-Eltern, Shan und Elfeya, gesund, unversehrt und frei, die Gesichter strahlend vor Liebe. Kieran und Kiel, Adrial und Talisa und Rains Eltern, Rajahl und Kiaria. Sogar die süße, scheue, sanftmütige Sariel, Rains erste Liebe, war da und tanzte mit den fröhlichen Fey-Maiden und den stürmischen Fey den Felah Baruk.
Rain und Ellysetta schlossen sich ihnen an. Sie tanzten und sangen, und später in der Nacht gingen sie hinaus in die duftenden Gärten und liebten sich unter den Sternen.
Über ihnen war der Himmel voll von Tairen, jenen majestätischen geflügelten Katzen.
Und die Welt war erfüllt von Freude.
Die Wandelnden Nebel
Lillis Baristani war nie zuvor in ihrem Leben glücklicher gewesen. Sie wusste nicht, ob sie gestorben und im Himmel des Lichts war oder ob die Wandelnden Nebel ein magischer Ort waren, an dem Träume wahr wurden. So oder so, sie wollte nie mehr von hier fort. Mama, diesen Sommer in der Kathedrale des Lichts gestorben, war da. Und Lillis verbrachte jeden Tag, ohne von ihrer Seite zu weichen. Sie saß neben ihr auf einer Holzschaukel im nebligen Garten, kochte und lachte mit ihr in der Küche, lag mit dem Kopf auf ihrem Schoß, wenn Mama ihr abends vorlas. Alles, was sie seit Mamas Tod vermisst hatte. Alles, was sie sich gewünscht hatte, wieder tun zu können.
Jeder Augenblick schien vollkommen zu sein, verzaubert. Und Mama war noch wundervoller, als Lillis sie in Erinnerung hatte. Es war, als hätte das, was an jenem Tag in der Kathedrale des Lichts geschehen war, Mama verändert, ihr die Angst und Missbilligung genommen, die so oft ihren Blick verfinstert hatten.
An diesem Abend kuschelten Lillis und Mama auf der Hängeschaukel aus Holz, die Papa auf der Rückseite des Hauses angebracht hatte. Sie wogten sanft vor und zurück, während sie im Garten den Tanz der Feenfalter beobachteten, die Schweife aus funkelndem Feenfalterstaub hinter sich herzogen. Während sie schaukelten, hörte Lillis sich selbst, wie sie gestand, dass Lorelle und sie Papa und den Fey ihre Magie offenbart hatten.
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, schlug sie sich eine Hand vor den Mund und wünschte, sie könnte sie zurücknehmen, doch statt des scharfen Tadels, mit dem Lillis rechnete, lächelte Mama nur und streichelte ihr Haar.
»Schon gut, mein kleiner Schatz«, meinte sie. »Ich hätte selbst vor langer Zeit die Wahrheit sagen sollen, aber ich hatte Angst.«
Lillis’ Augen weiteten sich. Angst? Mama? Sie fürchtete sich doch nie vor etwas. Lillis galt als der Hasenfuß der Familie. »Wovor hattest du Angst, Mama?«
»Oh, vor vielen Dingen.« Mama seufzte. »Am meisten davor, der Wahrheit über mich selbst ins Gesicht zu sehen. Und davor, dass dir, Lorelle oder Ellie dasselbe widerfahren könnte wie meiner Schwester.«
Lillis lehnte sich zurück und schaute überrascht zu ihrer Mutter auf. »Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hattest.«
»Sie ist vor langer Zeit gestorben.« Mamas Augen wirkten dunkel und traurig. »Ihr Name war Bessinita … meine süße kleine Bess … und ich liebte sie über alles.« Mama erzählte ihr, dass Bess, so wie Lorelle und Mama, eine Feuerbeschwörerin gewesen war, allerdings hatte sie im Alter von zwei Jahren versehentlich das Haus eines Nachbarn niedergebrannt. Die Dorfbewohner hatten darauf bestanden, Bess auszusetzen, das Kleinkind in den dunklen Verlaine-Forst zu bringen und dort dem Tod zu überlassen.
»Was hast du gemacht?«
»Ich konnte nichts tun. Damals war ich noch nicht einmal so alt, wie du es jetzt bist.« Sie ließ ihr Kinn auf Lillis Kopf sinken. »Ich habe gebetet und gebetet, dass jemand sie vor den Lyrant finden möge oder zumindest der Herr des Lichts seine Lichtmaiden schicken würde, auf dass sie Bess in den Himmel des Lichts trügen.«
Tränen verschleierten Lillis’ Sicht. »Arme kleine Bess.«
»Deshalb hatte ich immer solche Angst vor Magie, mein Schatz. Nicht, weil ich dachte, du oder Lorelle wären grässlich, weil ihr sie in euch tragt, sondern weil mir beigebracht worden war, Magie sei böse und könne auch Menschen, die sie besitzen, böse machen. Ich hatte solche Angst vor dem, was die Menschen vielleicht tun würden, wenn sie davon wüssten.«
»Aber jetzt hast du keine Angst mehr?«
Mama lächelte leicht. »Nein, mein Schatz. Als ich zuließ, dass Liebe mein Wegweiser wurde, verlor die Angst ihre Macht über mich.«
»Also bist du nicht böse auf uns, weil wir es verraten haben?«, fragte Lillis.
»Natürlich nicht.« Mama drückte einen Kuss auf Lillis’ Locken. »Ich bin sehr stolz auf dich und Lorelle, und auch auf Ellie. Ich liebe euch alle mehr, als ich es in Worte fassen kann.«
»Ich liebe dich auch, Mama.« Lillis schmiegte sich dichter an sie und schloss selig die Augen. Ihre Arme schlangen sich um Mamas Hals, um sie festzuhalten, und sie atmete Mamas besonderen Duft ein, den Duft von Liebe, Sicherheit und Heimat, wo nie böse Menschen kamen und nie Monster heulten. »Ich will dich nie wieder verlieren.«
Mama streichelte langsam und gleichmäßig über Lillis’ Haar. Ihr Herz pochte beruhigend unter Lillis’ Ohr. »Ich werde immer bei dir sein, Lillis-Kind. Komme, was wolle. Denk immer daran, falls du dich je allein fühlst oder dich fürchtest. Und erinnere dich auch daran: Wir alle sind Kinder der Götter. All unsere Begabungen kommen von ihnen. Ob wir im Licht oder in den Schatten wandeln, hängt davon ab, was wir aus unseren Begabungen machen. Die Entscheidung liegt bei uns. Wirst du Ellie das für mich ausrichten, wenn du sie wiedersiehst? Und sag ihr auch, dass sie sich von Liebe, nicht von Furcht leiten lassen soll.«
»Du kannst es ihr selbst sagen. Sobald Kieran und Kiel hier eintreffen, können wir alle aufbrechen, um Ellie gemeinsam zu suchen.«
Mama lächelte. »Ich denke, sie wird es besser verstehen, wenn es von dir kommt. Versprichst du es mir, mein Schatz?«
Lillis runzelte zwar ein wenig die Stirn, erwiderte jedoch pflichtbewusst: »Ja, Mama.«
»Und du wirst es auch nicht vergessen? Komme, was wolle?«
»Nein, Mama.«
Ihre Belohnung bestand aus einem Kuss und einer weiteren Umarmung. »Das ist mein süßes Lillis-Kind.«
Lillis schmiegte sich in die Arme ihrer Mutter und schloss selig die Augen, als Mamas Liebe und Wärme sie umfingen.
Celieria – Kreppes 25. Tag des Verados
Als der Wachturm von Kreppes sechs goldene Glockenschläge vernehmen ließ, erklommen Wächter, die nach erholsamem Schlaf aus dem Speisesaal kamen, die Stufen, um die Nachtwache abzulösen. Sanftes Licht der aufgehenden Großen Sonne erhellte von Krieg unberührte celierianische Felder und die perfekt angeordneten Reihen cremefarbener Segeltuchzelte, die sich fächerförmig westwärts und südwärts von den Burgmauern weg erstreckten. Jenseits des Heras im Norden blieben die Dunkeltannen- und Fichtenwälder von Eld bar jedes Anzeichens einer nahenden Armee.
»Seid Ihr ganz sicher, dass sie überhaupt kommen?«, wollte Dorian von Rain wissen, als die beiden Könige über die Schutzwälle gingen. »Ihr habt behauptet, der Angriff würde vergangene Nacht erfolgen, doch dem war nicht so.«
»Falkenherz sagte, der Angriff würde letzte Nacht erfolgen«, berichtigte Rain. »Ich weiß nicht, weshalb er falsch gedeutet hat, was er vorhersah.«
»Was, wenn Ihr Euch auch darüber irrt, wo der Angriff erfolgen wird? Was, wenn Celieria Stadt das wahre Ziel ist? Ich habe praktisch alle Verteidiger aus der Stadt abgezogen. Auf Euer Wort hin, dass ein Angriff unmittelbar bevorstünde, ließ ich die Hälfte meiner Armeen hierhermarschieren, die andere schickte ich mit meinem Sohn nach Kyningburg. Nur noch ein paar Garnisonen beschützen die Stadt. Bitte sagt mir, dass ich nicht den verheerendsten Fehler meines Lebens begangen habe!«
»Celieria Stadt war weder das Ziel, das der von uns gefangen genommene Magier nannte, noch das Ziel, das wir laut Falkenherz’ Warnung schützen sollten«, gab Rain zurück.
»Und doch stehen wir hier, und es ist weit und breit kein Feind in Sicht.« Der König von Celieria verschränkte die Arme vor der Brust. »Oder gibt es vielleicht noch eine Kleinigkeit zu wissen, die Ihr mir vorenthaltet? Irgendeinen Grund, weshalb Ihr mich hierhaben wollt und den ich Eurer Ansicht nach besser nicht kennen sollte?«
»Nei, gibt es nicht. Ich habe immer die Wahrheit gesagt. Ich mag Euch nicht alles erzählt haben, aber ich habe Euch nie belogen.«
»Ach, richtig. Ihr lügt ja nicht. Das wäre unehrenhaft. Stattdessen beeinflusst Ihr lieber und führt andere vorsätzlich in die Irre.«
Rains Muskeln spannten sich an, als Verärgerung in ihm aufstieg. Dorian hatte ein Recht auf Argwohn, doch das war eine bewusste Beleidigung. »Wollt Ihr mir das jedes Mal ins Gesicht schleudern, wenn ich Euch einen Rat erteile? Vergangene Nacht hat der Feind vielleicht nicht angegriffen, aber für mich besteht kein Zweifel daran, dass er es tun wird. Wir stehen vor der tödlichsten Schlacht unseres Lebens. Ob wir in der Lage sind, der Armee dieses Großmeisters einen schweren Schlag zu versetzen, wird davon abhängen, wie eng wir miteinander zusammenarbeiten und wie sehr wir einander vertrauen können.«
»Vielleicht hättet Ihr das bedenken sollen, bevor Ihr entschieden habt, mich zu hintergehen.« Ein heftiger Windstoß aus Norden ließ Dorians blauen Umhang von seinen Schultern wallen und zerrte dunkle Haarsträhnen aus seinem Zopf, die ihm ins Gesicht peitschten.
»Verdammt und zugenäht!« Leise fluchend stapfte Rain zur Zinnenseite der Festungsmauer. Er legte die Hände auf die Steinränder und umklammerte sie so fest, wie er die ausfransenden Ränder seiner Selbstbeherrschung festhielt.
Ellysetta befand sich mit ihrem Quintett unten im Lager, wo sie nach Rowan schaute und die Armeen der Fey und der Celierianer besuchte – angeblich, um zu sehen, ob Krieger geheilt werden mussten, in Wirklichkeit jedoch, um zu beginnen, Risse zu kitten und beschädigtes Vertrauen wiederaufzubauen. So wichtig das war, Rain hätte so klug sein müssen, diesen Rundgang mit Dorian nicht ohne sie anzutreten. Der unterschwellig ständig gegenwärtige Wahn der unerfüllten Bindung beeinträchtigte seine Fähigkeit, sich im Griff zu behalten, wenn er zu weit von Ellysettas Seite wich. Selbst der geringste Zwist entfachte den Zorn des Tairen in ihm – und in Anbetracht der Tatsache, dass die Vorstellung eines Tairen von Diplomatie darin bestand, seinen Widersacher auf offener Flamme zu rösten und seinen qualmenden Kadaver zu verspeisen, war das nicht besonders hilfreich.
Rain starrte über den Fluss nach Eld und zählte bis zehn. Der Feind, so hielt er sich vor Augen, stand nicht neben ihm, sondern lauerte dort jenseits des Flusses. Er klammerte sich an diese Wahrheit und benutzte sie, um die wachsende Bedrohung seines Tairen zurückzudrängen.
»Ich habe bereits eingeräumt, dass ich mich geirrt habe«, sagte er zum König von Celieria. »Aber vergesst nicht, die Entscheidung, die ich traf, erfolgte nach einem Sommer voll Schwierigkeiten im Umgang mit Eurem Volk. Ich hatte Euch davor gewarnt, dass Krieg bevorsteht, doch Ihr und Euer Rat habt meinen Bedenken keine Beachtung geschenkt und meine Warnungen in den Wind geschlagen, bis die Eld die Große Kathedrale des Lichts angriffen und meine Shei’tani entführen wollten.« Ellysetta wäre stolz darauf gewesen, wie ruhig und besonnen er klang, wie sachlich er seine Argumente darlegte, obwohl er nichts lieber getan hätte, als Dorian am Kragen zu packen und so lange zu schütteln, bis er zur Vernunft kam. »Die Fey-feindliche Gesinnung, die unter Euren Adeligen – und bei Eurer Königin – so augenscheinlich vorherrschte, war mir noch frisch im Gedächtnis.«
»Alles, was Annoura und diese Adeligen getan haben, war, mich davor zu warnen, dass die Fey die Gedanken Sterblicher beeinflussen würden. Und mir scheint, alles, was Ihr bei diesem Fiasko um Talisa und Adrial getan habt, war, ihnen recht zu geben!«
Rain atmete tief und bedächtig durch. »Wie ich schon sagte«, entgegnete er langsam. »Ich tat, was ich zu dem Zeitpunkt für das Beste hielt. Adrial blieb zwar bei seiner Shei’tani, aber ich versuchte sicherzustellen, dass Euch keinerlei Schuld treffen würde, sollte seine Anwesenheit entdeckt werden.«
»Also habt ihr mich zu meinem eigenen Besten belogen – und manipuliert?«
»Ihr und ich, wir beide sind Könige, Dorian. Ihr wisst so gut wie ich, dass in der Politik oft die Wahrheit das erste Opfer ist. Ich bezweifle, dass Ihr aufrichtig behaupten könnt, niemals Tatsachen beeinflusst oder verschleiert zu haben, um einen Konflikt zu vermeiden oder zu tun, was Ihr für richtig hieltet.« Als Dorian nicht sofort antwortete, wusste Rain, dass er einen Treffer erzielt hatte. »Fey lügen nicht. Dadurch sind wir im Umgang mit Sterblichen, die derlei Gewissensbisse nicht kennen, schwer im Nachteil. Deshalb haben wir gelernt, auf Messers Schneide der Wahrheit zu wandeln und Tatsachen zu verschleiern, die wir nicht preisgeben möchten. Es ist eine Überlebenstaktik, die sich für uns als notwendig erwiesen hat, wenn wir mit Eurer Art zu tun haben.«
»Ich gehöre zu Eurer Art – oder zumindest glaubte ich das immer.« Dorian war der Nachkomme von Marikah vel Serranis von den Fey, Gaelen vel Serranis’ Zwillingsschwester. »Aber anscheinend ist mein Blut nicht Fey genug, damit Ihr das Gleiche empfindet – oder mir so vertraut, wie ich Euch stets vertraut habe.«
»Setah«, knurrte Rain. »Genug.« Seine Hände schnitten mit einer knappen, herrischen Geste durch die Luft. »Was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Wollt Ihr zulassen, dass wir einander wegen Hybris ständig in den Haaren liegen, oder können wir uns darauf einigen, dass auf beiden Seiten Fehler begangen wurden, und weitermachen?«
»Hybris?« Dorian zog die Augenbrauen hoch. »Ist es Hybris, wenn ich wissen möchte, wie weit ich einem Verbündeten trauen kann?«
»Ihr könnt darauf vertrauen, dass wir Celieria gegen die Eld verteidigen!«, herrschte Rain ihn an. »Ihr könnt darauf vertrauen, dass wir uns gegen unseren gemeinsamen Feind stemmen und keine Gnade gewähren werden. Dass wir an Eurer Seite sterben werden. Ihr könnt darauf vertrauen, dass die Fey dieses Schlachtfeld nicht verlassen werden, solange noch ein einziger Eld-Soldat mit einer Waffe in der Hand aufrecht steht. Kann Euch das denn nicht reichen?«
»Ich schätze, es wird reichen müssen.«
So übellaunig und widerwillig es auch ausgesprochen wurde, es war der Klang von Kapitulation. Rain schloss kurz die Augen und atmete erneut lang und tief die eisige Luft des Nordens ein. Seine Nerven fühlten sich an, als wäre er einen Tag lang von den Geistbändigern der Kriegerakademie bearbeitet und gepeinigt worden. Sein Kopf schmerzte, und jeder Muskel seines Körpers war aufgrund der Anstrengung verspannt, die es ihn gekostet hatte, sein gefährliches Temperament und seine launischen Gedanken im Zaum zu halten.
»Beylah vo, König Dorian.«
Dorian legte die Hände auf den kalten Stein und beugte sich über eine der tiefen Zinnenausnehmungen, als er nordwärts nach Eld blickte. »Ihr glaubt also wirklich, dass sie kommen?«
»Daran besteht für mich kein Zweifel. Der Magier, über den wir den Wahrspruch gefällt haben, sagte, der Angriff würde diese Woche erfolgen. Wenn die Eld unseren Aufmarsch hier in Kreppes beobachtet haben, besteht die Möglichkeit, dass sie eine andere Stelle wählen, um den Fluss zu überqueren. Aber lasst uns zumindest noch diese Woche abwarten, bevor wir davon ausgehen, dass unsere Auskünfte falsch sind.«
Dorian dachte darüber nach, dann nickte er knapp. »Na schön. Wir warten. Doch wenn wir diese Woche keine Anzeichen auf einen Angriff bemerken, habe ich keine andere Wahl, als meine Armeen zu verlegen. Andere Orte haben eine größere strategische Bedeutung als Kreppes.«
»Einverstanden«, erwiderte Rain. »Und ich werde meine Krieger dorthin schicken, wo Ihr uns am dringendsten braucht. Bis dahin halte ich es für das Beste, unsere Schlachtvorbereitungen fortzusetzen. Dass wir die Armeen der Eld nicht sehen, bedeutet nicht, dass es sie nicht gibt, das haben wir in Teleon und Orest gelernt.«
»Ich werde die Generäle anweisen, Euch jede Unterstützung zu gewähren, die Ihr braucht.«
Rain wandte sich zum Gehen, hielt jedoch noch einmal inne. »Dorian? Nebenbei bemerkt, müsste ich die Entscheidung erneut treffen, würde ich Euch von Adrial erzählen. Ihr habt recht. Ich habe Euch einen Bärendienst erwiesen, indem ich die Wahrheit vor Euch geheim hielt.«
Celierias König, der sterbliche Nachkomme einer uralten Fey-Linie, nickte, ohne sich umzudrehen. Rain ging, und König Dorian blieb ernst und einsam auf dem Festungswall zurück, wo die Morgensonne auf seiner Krone funkelte, während der Wind seinen Umhang im hellen Blau Celierias bauschte.
In einem kleinen Zelt mitten im gemeinsamen Lager der Verbündeten saß Ellysetta neben Rowan vel Arquinas, hielt seine Hand und teilte seinen Kummer über Adrials Tod. Tränen ergossen sich zügellos über ihr Gesicht. Sowohl Adrial als auch Rowan hatten in ihrem Ersten Quintett gedient, damals in Celieria Stadt, bevor sie erfahren hatte, dass sie eine Fey war, zu einer Zeit, als ihrer aller Leben noch glücklicher und sorgenfreier gewesen war.
Seit dem Tag, an dem sie ihnen begegnet war, hatten die Brüder Rowan und Adrial alles zusammen gemacht. Und wenngleich die siebzig Jahre, die zwischen Rowan und Adrial lagen, von Sterblichen wohl als unüberwindlicher Altersunterschied empfunden worden wären, waren sie nach den Maßstäben der Fey praktisch Zwillinge. Sie hatten einander sogar ähnlich gesehen – beide hatten schwarzes Haar, braune Augen und einen Hang zu Schabernack und Heiterkeit. Vor allem Rowan hatte eine Vorliebe für Streiche, die beinah einem Tairen zur Ehre gereichte.
Der Fey, der nun neben Ellysetta saß, war nur noch ein Schatten seiner selbst. All die Fröhlichkeit und das verschmitzte Schimmern in seinen dunklen Augen waren verschwunden. Stattdessen umgab ihn eine Wolke so überwältigenden Grams, dass Ellysetta nicht wusste, wie er sich überhaupt noch bewegen konnte.
»Ich habe ihn im Stich gelassen«, flüsterte Rowan. Seine Stimme klang durch all die vergossenen Tränen der Hilflosigkeit rau und brüchig.
»Oh, nei.« Ihr Kinn erzitterte unter einem plötzlichen Ansturm von Gefühlen. Sie schlang die Arme um ihn, als tröstete sie ein Kind. »Nei, Rowan, nei, Kem’ajian. Das hast du nicht. Er würde niemals wollen, dass du so etwas sagst – oder auch nur denkst.«
»Aber es ist so. Meine Mela hat mir aufgetragen, auf ihn aufzupassen. Ihn zu beschützen. Und das habe ich nicht getan.«
Ellysetta wollte nicht neugierig sein, doch da sie die Arme um Rowan gelegt hatte und ihre empathischen Sinne derart mit den seinen verflochten waren, konnte sie die lebhafte Erinnerung an den Tag nicht abwehren, an dem Rowans Mutter ihm zum ersten Mal den putzigen, zappelnden kleinen Adrial in die Arme gelegt hatte.
»Rowan, mein Sohn, begrüße deinen Bruder Adrial«, hatte sie gesagt.
Und Rowan hatte ihn so herzzerreißend vorsichtig gehalten und voll ehrfürchtigem Staunen auf ihn hinabgeblickt. In den großen, klaren, wissbegierigen braunen Augen des kleinen Adrial hatte bereits der Ansatz dessen gefunkelt, was große Magie werden sollte. Eine winzige, winkende Hand hatte Rowans Fingerspitze ergriffen und sich als feste Faust um sie geballt. Mit dieser Berührung floss ein strahlender Strom wortloser Gefühle: Geborgenheit, Vertrauen und vor allem unverfälschte, unschuldige Freude. Rowan war damals selbst noch kaum mehr als ein Jugendlicher unter den Fey gewesen – das Blut seiner ersten Schlacht musste seinen Stahl erst noch benetzen –, dennoch hatte er bereits bei dieser ersten Berührung schillernder, ungetrübter Unschuld gewusst, dass er jedes Schicksal erdulden, jeden Preis bezahlen, seine Seele sogar an den Dunklen Herrn höchstpersönlich verkaufen würde, wenn er dadurch seinen Bruder beschützen könnte.
Und dennoch war nun er noch hier, noch am Leben, während Adrial fort war. Rowan hatte versagt; er hatte das Versprechen an ihre Mutter, immer für die Sicherheit seines Bruders zu sorgen, nicht halten können.
Tränen sammelten sich in Rowans Augen und brachen sich als wahre Sturzflut Bahn. Heftiges Schluchzen schüttelte seinen Körper. Ein Schwert in die Brust hätte er mit kaum mehr als einem kurzen Keuchen hingenommen, doch der Verlust seines Bruders riss sein verletzliches Fey-Herz in Fetzen.
Ellysetta, die ihn festhielt und seinen Schmerz teilte, weinte ebenfalls. Er musste trauern, also trauerte sie mit ihm. Sie teilte seine Erinnerungen, teilte seine Qualen, nahm sie in ihrer Seele auf und gab ihm zurück, was er an spärlichem Frieden annehmen wollte. Ellysetta blieb bei ihm, tröstete ihn, sang ihm vor und weinte mit ihm, bis sie gemeinsam genug von seinem Kummer hatten abfließen lassen, dass Rowan in die dringend benötigte Ruhe des Schlafes sinken konnte, den sie für ihn wob.
Als sie schließlich aus dem Zelt trat, erwartete Rain sie davor. Wortlos breitete er die Arme aus, und mit einem neuen Anflug von Tränen warf sie sich ihm an die Brust.
»Oh Rain.« Sie schloss die Augen und klammerte sich an ihm fest, als könnte sie dadurch einen Teil seiner Stärke aufnehmen. Und vielleicht tat sie das sogar. Er verkörperte ihren Fels, ihren sicheren Hafen im Sturm, und in seiner Seele, seiner Liebe hatte sie alles Glück verankert, das ihr im Leben geblieben war.
Sollte ihm je etwas zustoßen … Der bloße Gedanke ließ sie erschauern.
Eld – Bourra Maur
Der Tairen Soul und seine Gefährtin befanden sich in Kreppes.
Ein unerwartetes Prickeln der Vorfreude regte sich im Bauch des Großmeisters Vadim Maur, als er die Neuigkeit von seinem Helfer Primagus Zev erhielt, einem der wenigen Magier, die seit ihren frühesten Tagen als ahnungslose Novizen bei ihm waren. Von allen lebenden Magiern war Zev derjenige, dem Vadim am wenigsten misstraute. Er war ein erfahrener Primagus, der seine Grenzen kannte – zu denen gehörte, dass er Azrahn nicht so vollendet beherrschte wie Vadim.
»Wie viele Tairen sind bei ihnen?«, fragte der Großmeister.
»Nur der Tairen Soul, Großer Meister.«
»Elfen?«
»Keinerlei Anzeichen.«
Fezai Madia hatte sich damit gebrüstet, dass die Plünderungstaktiken ihrer Feraz an Elvias Südgrenze Falkenherz und seine Lakaien beschäftigen würden. Vielleicht hatte sie doch recht.
»Primagus Soros?«
»Erwartet Eure Befehle, Großer Meister.«
»Hervorragend.« Vadim erhob sich hinter seinem Schreibtisch, streckte sich und genoss das jugendliche Ziehen geschmeidiger Muskeln in seinem neuen, vor Leben strotzendem Körper. Gethen Nour, der Primagus, dessen Leib Vadim Maur nun bewohnte, hatte gut auf seine fleischliche Hülle geachtet. Ein Jammer, dass er nicht so gewissenhaft auf seine Arbeit geachtet hatte. »Zev, alter Freund, es ist an der Zeit, sich auf Eroberung vorzubereiten.«
»Ja, Großer Meister.«
»Komm mit.« Vadim schritt aus seinem Arbeitszimmer, dicht gefolgt von Zev, der hinter ihm hereilte. Violette und blaue Gewänder fegten über schwarzen Stein, als die beiden Magier zur obersten Ebene von Bourra Fell emporstiegen. Dort hatten sich in einer großen Kammer mit Deckenöffnungen, die sich über vier Tairen-Längen durch den Fels zum Waldboden darüber erstreckten, einhundert Feraz versammelt, die unlängst aus Koderas eingetroffen waren. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes sprachen bunt gekleidete Fezaros, die Reiterei der Feraz, mit ihren eingesperrten Zaretas, jenen flinken, gelbbraunen Katzen ihres Wüstenlandes, auf denen sie ins Gefecht ritten. Näher an der Tür vertrieben sich zwanzig Feraz-Hexen, die von ihrer Anführerin Fezai Madia geschickt worden waren, damit die Zeit, dass sie versuchten, die Magier und Soldaten zu umgarnen, die Vadim mit ihrer Bewachung beauftragt hatte.
Als die Hexen Vadim erblickten, kamen sechs der dunkeläugigen Schönheiten mit wogenden Hüften und flatternden Seidenschleiern auf ihn zu. Knöchelglöckchen bimmelten bei jedem Schritt eine erotische Einladung. Sie umringten ihn und strichen mit seidigen, duftenden Händen über seine Brust, seine Arme und seinen Rücken. Die Luft um ihn wurde schwer, warm, süßlich und berauschend.
»Endlich schicken sie uns einen Hübschen.«
»Seht euch seine Hände an! Was für starke Hände!« Kleinere, weibliche Handflächen streichelten in einer geheuchelten Liebkosung über parfümierte Haut. Brüste rieben sich an seinem Arm. Feuchte Lippen wanderten mit flüchtigen Berührungen über seinen Hals, seinen Kiefer, seine Ohren.
»Bist du überall so stark, Zaro?« Geschickte Finger stahlen sich flink unter seine Gewänder und tasteten nach dem Verschluss der Seidenhose, die er darunter trug.
In seinem alten Körper war Vadim größtenteils gefeit gegen die Verführungszauber von Feraz-Hexen gewesen, doch die Lust, die durch seinen neuen, jungen Leib brandete, als die Hexen ihre Hinterlist trieben, zeigte ihm deutlich, dass dies nicht mehr zutraf. Und sie bescherte ihm ein neues Verständnis für Gethen Nour, den Primagus, dem dieser Körper vor Vadim gehört hatte. Er hatte Nours endlose fleischliche Ausschweifungen immer verabscheut – ein mächtiger Magier bändigte seine Triebe und ließ sich nicht von ihnen beherrschen –, aber wenn dieses heißhungrige Verlangen die Kraft war, gegen die Nour ständig angekämpft hatte, dann wunderte es Vadim nicht, dass er ihr so oft unterlegen gewesen war.
Nun jedoch war nicht der rechte Zeitpunkt, sich solchen Trieben hinzugeben. Was die Magier mit Azrahn bewirkten – die Versklavung der Seelen Schwacher –, erreichten Feraz-Hexen durch Verführung. Ließ sich ein Mann vom sinnlichen Zauber einer Feraz-Hexe überwältigen, konnte sie ihn ihrem Willen unterjochen, ihn mit ihrer Berührung, ihrem Geruch, ihrem Körper versklaven, bis er sich das eigene Fleisch vom Leib reißen würde, um sie zu erfreuen.
Mit mehr Anstrengung, als er zugeben wollte, unterdrückte Vadim die durch seine Adern rasende Lust und fing das Handgelenk der Hexe ab, die seine Hose öffnete.
»Genug«, sagte er. »Das Ergebnis eines Machtkampfs gegen mich würde dir nicht gefallen, meine Liebe. Frag Fezai Madia, was der letzten Hexe widerfahren ist, die versucht hat, Vadim Maur ihrem Willen zu beugen.«
Die Hexe erstarrte in seinem Griff, und ein Großteil des sinnlichen Versprechens verschwand aus ihrem wunderschönen Gesicht. Zurück blieb ein argwöhnischer Ausdruck. »Ihr seid Chazah Maur?«
»So ist es.«
»Aber mir wurde gesagt, Chazah Maur sei ein alter Mann. Kein so junger und« – ihr Blick wanderte über ihn – »dazoor.«
Seine Lippen verzogen sich. Wie so viele Wörter der Sprache der Feraz war auch dazoor eines mit vielen Bedeutungen. Bezog es sich auf einen Gegenstand, beispielsweise ein Haus, hieß es robust, für seinen Zweck gut gebaut. Wurde es für einen Mann verwendet, bedeutete es an sich dasselbe, doch da die Feraz-Hexen Männer nur in zweierlei Hinsicht als brauchbar betrachteten – Muskelkraft und Paarung –, kam als Sinnübersetzung eher etwas wie »stark und besteigbar« heraus.
»Ich fasse das als Kompliment für meine neue Gestalt auf, Fezaiina, aber sei versichert, ich bin derselbe Magier – mit derselben Macht – wie zuvor. Ich schlage also vor, dass du und deine Schwestern euch eure Verführungskünste für die Celierianer und die Fey aufhebt. Ich brauche meine Männer und Magier bei klarem Verstand und unter meiner Kontrolle. Ich wäre gar nicht erfreut, müsste ich feststellen, dass ihr das beeinträchtigt.«
»Zim, Chazah.« Die Hexe schlug den Blick nieder und neigte den Kopf. »Wie Ihr befehlt.«
»Gut. Und jetzt klärt mich auf, wie es um den Trank steht, an dem ihr gearbeitet habt. Ist er bereit?«
»Der Trank wurde von Eurem Primagus Grule in Koderas geprüft und für gut befunden«, antwortete die Hexe. »Meine Schwestern und ich warten auf den Rest unserer Zutaten, dann können wir beginnen, den Trank in der für Euch erforderlichen Menge herzustellen.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Sobald eintrifft, was wir brauchen? Drei Tage, Chazah.« Dann fuhr die Fezaiina mit einer Hand über seine Schulter, weil keine Feraz lange an sich halten konnte. »Zeit genug für andere Dinge, hm?«
Er packte sie erneut am Handgelenk, und diesmal verdrehte er es so heftig, dass der verführerische Ausdruck in ihren Augen in ein gefährliches Funkeln umschlug. »Stell mich nicht auf die Probe! Ich sorge dafür, dass ihr bekommt, was ihr braucht. Ihr kümmert euch darum, euer Versprechen zu erfüllen.« Damit stieß er sie von sich.
Die Fezaiina rieb sich das Handgelenk und musterte ihn unter den langen Wimpern hervor. »Zim, Chazah.«
»Beobachte sie!«, befahl Vadim Zev, als sie den Raum verließen. »Achte darauf, dass sich diesen Frauen niemand nähert, ohne vorher gegen Feraz-Zauber geschützt worden zu sein. Und lass sie nie mehr als einmal von denselben Männern bewachen!«
»Ja, Großer Meister.«
»Stell sicher, dass sie bekommen, was sie für den Trank brauchen! Ich will in vier Tagen zwanzig Fässer davon haben.«
»Ja, Großer Meister.«
»Und sorg dafür, dass unser Freund, der Herr des Todes, gut gefüttert wird. Ich will, dass er bis Ende nächster Woche stark und gesund ist. Mein Gefühl sagt mir, dass wir ihn bald brauchen werden.«
Zev verneigte sich widerspruchslos. »Selbstverständlich, Großer Meister. Ich kümmere mich unverzüglich darum.«
Als der Aufruf kam, dem Herrn des Todes etwas zu essen zu bringen, dem ältesten und kostbarsten Gefangenen des Großmeisters, sorgte die Umagi Melliandra dafür, dass sie dafür auserwählt wurde. Eine Woche war vergangen, seit der Herr des Todes den Großmeister beinahe getötet hatte, und wenngleich sie sich praktisch an der Wand festbinden musste, um sich davon abzuhalten, zu ihm zu gehen, war sie ihm bis jetzt bewusst ferngeblieben. Sie konnte es sich nicht leisten, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, indem sie sich ständig als Erste anstellte, um den mächtigsten Gefangenen in Bourra Fell zu versorgen. Die Küchenmeisterin würde misstrauisch werden, und Melliandras sorgsam geschmiedete, stille Pläne der Freiheit wären vereitelt.
Mit dem Tablett in den Händen eilte Melliandra die gewundenen Treppen zur tiefsten Ebene von Bourra Fell hinab und zur letzten Tür am Ende des langen, dunklen Gangs. Dort weilte hinter der mit Sel’dor verstärkten Tür in einem engen Käfig aus dornenbewährten Sel’dor