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Nur gemeinsam können sie die Dunkelheit besiegen!
Ellysetta fürchtet sich vor Magie, solange sie sich erinnern kann. Doch nun da Rain Tairen Soul, der König der Fey, sie als Seelengefährtin erkannt hat und sie heiraten will, kann sie ihre eigenen magischen Kräfte nicht länger leugnen.
Und Elly muss dringend lernen, diese Kräfte zu beherrschen, denn sie wird bereits von dunklen Mächten bedroht: Die bösen Magier der Eld wollen sie entführen und die Magie der schönen Frau für die eigenen Zwecke nutzen. Dabei schrecken sie vor nichts zurück. Schafft es Elly mit Rains Liebe, sich der Gefahr zu stellen und der Dunkelheit zu entkommen?
»Ich liebe dieses Buch!« Christine Feehan
Die Tairen Soul Saga - fesselnde Romantasy von New York Times Bestsellerautorin C. L. Wilson:
Band 1: Im Bann des Elfenkönigs
Band 2: Herrin von Licht und Schatten
Band 3: Die finstere Macht der Tairen Soul
Band 4: Königin der Seelen
Band 5: Das betörende Lied des Elfenkönigs
Herrin von Licht und Schatten erschien im Original unter dem Titel Lady of Light and Shadows.
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Seitenzahl: 687
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Karte
Widmung
Danksagungen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Anhang
Über die Autorin
Alle Titel der Autorin
Impressum
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Ellysetta fürchtet sich vor Magie, solange sie sich erinnern kann. Doch nun da Rain Tairen Soul, der König der Fey, sie als Seelengefährtin erkannt hat und sie heiraten will, kann sie ihre eigenen magischen Kräfte nicht länger leugnen.
Und Elly muss dringend lernen, diese Kräfte zu beherrschen, denn sie wird bereits von dunklen Mächten bedroht: Die bösen Magier der Eld wollen sie entführen und die Magie der schönen Frau für die eigenen Zwecke nutzen. Dabei schrecken sie vor nichts zurück. Schafft es Elly mit Rains Liebe, sich der Gefahr zu stellen und der Dunkelheit zu entkommen?
C. L. Wilson
HERRIN VON LICHTUND SCHATTEN
Aus dem amerikanischen Englisch vonBritta Evert
Für Christine Feehan, ein bewundernswertes Talent und ein noch bewundernswerterer Mensch. Deine Freundschaft ist für mich wie ein kostbarer Schatz.
Und für Diana Peterfreund, weil du so sehr an mich glaubst, mich nie im Stich gelassen hast und die einzige Person auf diesem Planeten bist, die noch aufgeregter war als ich, als ich »meiner Berufung« folgte.
Und für Lisa Richter, meine Schwester Lisette. Danke für alles. Du weißt, was ich meine.
Meinen speziellen Dank an die fantastischen Mitarbeiter von Dorchester Publishing, insbesondere an Alicia Condon, Renee Yewdaev, Erin Galloway, Brooke Borneman, Tim DeYoung und Diane Stacey. Alles, was ich von euch in den letzten Monaten an Enthusiasmus, Ermutigung und Unterstützung erhalten habe, war für mich von unschätzbarem Wert.
Wie immer möchte ich meinen Freunden und freundlichen Kritikern sowie meinen wundervollen Eltern danken. Besonders großen Dank schulde ich meinem Ehemann und unseren Kindern Ileah, Rhiannon und Aidan, weil sie immer Verständnis hatten für die langen Stunden, die ich in meinem Arbeitszimmer verbracht habe.
Ein Dankeschön an die Buchhändlerin Rosemary von Rosemary’s Romance Books in Brisbane, Australien, für ihre liebevollen und hilfreichen E-Mails. Rosemary, du bist fabelhaft!
Danke der hochbegabten Künstlerin Judy York, die meine Vorstellung von Rain, Ellysetta und den Tairen perfekt in ihren brillanten Cover-Illustrationen umgesetzt hat – und mir erlaubt, sie auf meiner Website zu verwenden.
Und noch einmal meinen Dank an die großartigen Männer und Frauen von Tampa Area Romance Authors (TARA), die seit Jahren meine literarische Familie sind. TARA bringt’s!
Ich träume von Schwingen und Fängen und Stolz,ich träume von Gift, stark und schnell.Ich träume von Liedern und Wolken und Glanz,von Flammen, die lodern so hell.Ich träume von Winden, so hoch und so klar wie Kristall.Ich träume von Feinden, flüchtend vormeiner Stimme Schall.
Tairen – Träume von Jion vel Baris, Tairen Soul
Ellysetta Baristani stand in der dunklen, von Feuer erhellten Höhle von Fey’Bahren, dem legendären Zuhause der Tairen. Nicht weit von ihr lagen sechs Eier mit ledriger Schale auf einer dicken, weichen Schicht aus heißem, schwarzem Sand. Ein dichter, pelziger, zimtfarbener Schwanz ringelte sich schützend um die Eier. Seine schwarze Spitze wippte rhythmisch auf und ab und wirbelte Wolken aus feinem schwarzem Staub auf, wenn sie den Sand streifte. Der Staub flog wie Nebeldunst um Ellie herum und überzog ihre Kleidung mit einer dünnen Schicht rußiger Asche. Ungeweinte Tränen schnürten ihr die Kehle zu und brannten ihr in den Augen.
Die Tairen waren vom Aussterben bedroht.
Ellie konnte nicht erklären, woher sie es wusste. Das Wissen war einfach da, und es schien vertraut, als wäre es schon seit sehr, sehr langer Zeit da.
Calah, das letzte Weibchen ihrer Art, wurde von Tag zu Tag schwächer und verbrauchte ihre schwindenden Kräfte im Kampf um das Leben von sechs ungeschlüpften Jungtieren. Die letzte Hoffnung auf eine Zukunft für die Tairen ruhte auf diesen winzigen, ungeborenen Wesen – drei davon weiblich –, deren Lebenskraft stetig abnahm, noch während ihre kleinen Körper im Ei heranreiften.
Das zimtfarbene Fell des Muttertiers war stumpf und verfilzt. Ihr stolzer Katzenkopf, der größer als Ellysetta war, ruhte müde auf ihren Vorderpfoten, und ihre leuchtend goldenen Augen waren geschlossen. Ihr gewaltiger Leib hob und senkte sich unter tiefen, schweren Atemzügen. Sie hatte seit zwei Wochen nichts gegessen. Merdrahl, ihr Gefährte, war vor Sorge außer sich. Ruhelos wanderte er zwischen dem Eingang und dem Gelege hin und her. Seine braunen Schwingen rauschten, seine schweren Pfoten bewegten sich nicht so lautlos wie sonst, als sie über den Sand strichen, und ein tiefes Grollen drang aus seiner mächtigen Brust und hallte wie Donner durch die Höhle. Sein dunkelbrauner Schweif rollte sich unablässig ein und aus und zuckte unruhig. Merdrahls Fell war struppig, seine Ohren angelegt, und von seinen Fängen tropfte das tödliche Gift der Tairen. Immer wieder blieb er stehen, um seine Krallen in das Felsgestein zu schlagen und einen zornigen Feuerstrahl auszustoßen.
Wenn Merdrahl irgendetwas hätte töten müssen, um seiner Gefährtin Frieden bringen und ihren Nachwuchs schützen zu können, hätte er es getan. Und Ellysetta hätte ihm geholfen.
Über ihr ertönte ein Knurren, und als sie aufblickte, starrte sie in die schillernden grünen Augen von Sybharukai, der Weisen. Sie war die Älteste aller weiblichen Tairen und Makai, der Stolz von Fey’Bahren. Sie kauerte sich auf einen Felssims und schlug ihre gezückten Krallen in das Gestein. Ihr dunkles, silbrig gesprenkeltes Fell schimmerte im flackernden Licht der Höhle wie Donnerwolken und Rauch. Die abgerundeten Spitzen ihrer Ohren zuckten unablässig, und ihr dunkelgrauer Schwanz peitschte rastlos durch die Luft, sodass die tödlichen Stacheln, die sich in seiner pelzigen Spitze verbargen, auf die Felsen ringsum schlugen. Ihre Flügel entfalteten sich, breiteten sich hoch über ihrem Rücken aus und schlugen zweimal. Die scharfe Kralle im Mittelgelenk jedes Flügels glänzte im fahlen Licht wie die gekrümmte Klinge eines Meicha.
»Ich werde eine Lösung finden, Sybharukai.« Eine tiefe, männliche Stimme gab dieses Versprechen in dem vollen, singenden Tonfall der Tairen.
Hitze loderte in Ellysettas Schoß auf, und Innenmuskeln erschauerten bei der Erinnerung an genossene Freuden. Sie drehte sich um und sah, dass Rain neben ihr stand.
Rainier vel’En Daris, Tairen Soul und legendärer Formwandler, der einst in wildem, rasendem Zorn über den Tod seiner geliebten Gefährtin Sariel die Welt in Brand gesetzt hatte.
Rain Tairen Soul, König der Fey, der vom Himmel herabgekommen war, um Ellysetta als seine Shei’tani, seine wahre Gefährtin, zu beanspruchen, die einzige Frau, mit der er ein Seelenband formen konnte, das noch stärker war, als es das Liebesband mit Sariel gewesen war.
Sein langes schwarzes Haar fiel offen und glatt über seinen Rücken und umrahmte ein Gesicht von atemberaubender männlicher Schönheit. Die schwarze Ledermontur der Fey schmiegte sich an breite Schultern, schmale Hüften und lange, schlanke Beine. Seine tödlichen Schwerter und die Wurfmesser in den Gurten, die über seiner Brust verkreuzt waren, glänzten golden im flackernden Schein des Feuers. Seine lavendelblauen Augen glühten, und sein schöner Mund war grimmig zusammengepresst.
»Ich werde eine Lösung finden«, wiederholte er laut, aber immer noch an die majestätische graue Tairen gewandt. »Ich werde euch nicht enttäuschen.«
Er drehte sich um und marschierte durch den weichen Sand zu einer breiten Öffnung am Ende der Höhle. Ellie lief ihm nach, und zusammen folgten sie einem langen, gewundenen Gang durch den Berg, bis sie auf ein weites, von Sonnenlicht beschienenes Plateau hoch über den Schwindenden Landen hinaustraten. Ellie blinzelte und hob eine Hand, um ihre Augen vor dem gleißenden Licht der Großen Sonne abzuschirmen.
Als sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, schnappte sie vor Staunen nach Luft. Sie standen nahe beim Gipfel des steilen, dunklen Fey’Bahren, dem höchsten Vulkan der Feyls, der majestätischen Bergkette, die die nördliche Grenze der Schwindenden Lande bildete. Unter ihnen erstreckte sich meilenweit das wogende goldene Grasland der Ebene von Corunn. Ellie nahm den atemberaubenden Anblick tief in sich auf. Das Bild schien vertraut und doch neu, wie eine vergessene, jüngst aufgefrischte Erinnerung.
»Oh, Rain«, hauchte sie. »Wie schön es ist!«
Magische Kräfte brachten ringsum die Luft zum Vibrieren, als Rain die Verwandlung einleitete. Ellysettas Körper prickelte, als eine Woge von Energie sie umspülte und innen wie außen überflutete. Ein feiner grauer Nebel ballte sich um Rain, dann um sie beide, und sie warf den Kopf zurück, während sie von einem Glücksgefühl ergriffen wurde, das so intensiv war, dass es an Schmerz grenzte. Obwohl Rain, nicht sie, der Formwandler war, spürte sie, wie sich sein Körper auflöste, neu formte und ausdehnte, als wäre es ihr eigener. Sie fühlte das Echo seines erweiterten Wahrnehmungsvermögens, als seine Fey-Sinne noch schärfer wurden. Fell wuchs, Schwingen entfalteten sich, und Krallen bohrten sich in Fels.
Gleich darauf lichtete sich der Nebel, und ein prachtvoller, tiefschwarzer Tairen mit riesigen lavendelblauen Augen kauerte auf dem Sims, wo eben noch Rain Tairen Soul, König der Fey und Ellysettas Verlobter, gestanden hatte. Der Tairen breitete seine gewaltigen ebenholzschwarzen Flügel aus und stieß sich mit einem donnernden Brüllen vom Felsen ab.
Hinter ihm blieb Ellysetta, noch immer in ihrer menschlichen Gestalt gefangen, allein auf dem Felsvorsprung zurück. »Komm zurück, Rain!«, rief sie. »Lass mich nicht allein!«
Ellysetta fuhr aus dem Schlaf. Ihr Herz hämmerte, und Tränen liefen kühl über ihre Wangen. Das im Traum Erlebte hielt ihr Herz immer noch gefangen, und sie hätte weinen mögen vor Verzweiflung über die aussterbenden Tairen und die furchtbare, qualvolle Leere, die sie befallen hatte, als Rain davongeflogen war und sie auf dem Felsen zurückgelassen hatte.
»Schon wieder ein Albtraum, Shei’tani?« Der vertraute Klang von Rains geistiger Stimme ertönte leise und leicht belegt vom Schlaf in ihrem Kopf. Ein Arm legte sich um ihre Taille, und ein schweres, warmes Gewicht drückte sich in ihrem schmalen Bett an sie – und es waren eindeutig nicht ihre Schwestern Lillis und Lorelle, die sich, wie sie es manchmal taten, an sie kuschelten.
Sie wandte langsam den Kopf, und ihr stockte der Atem.
Zum ersten Mal in den letzten fünf Tagen lag beim Erwachen keine kleine Brautgabe neben ihr, sondern eine sehr, sehr große. In schwarzes Leder gekleidet, mit seiner hellen Fey-Haut und dem tintendunklen Haar lag Rain auf ihrem schmalen Bett neben ihr und hielt sie fest umschlungen.
Da sie überzeugt war, noch immer zu träumen, schloss sie die Augen, atmete tief ein und schlug sie wieder auf.
Rain war immer noch da, fest und warm, und presste sein Gesicht an ihren Nacken.
Sie sollte aufspringen und sich anziehen, bevor ihre Mutter hereinkam und sie beide hier vorfand, aber sie konnte sich einfach nicht rühren. Stattdessen blieb sie liegen und starrte ihn wie verzaubert an. Durch das Fenster ihres Schlafzimmers fielen die ersten blassen Strahlen der aufgehenden Großen Sonne. Der Tag brach an, und Rain Tairen Soul lag in ihrem Bett.
Seine Augen öffneten sich, und wieder verschlug es ihr den Atem. Das strahlende Lavendelblau seiner Iris glühte, seine von dichten, dunklen Wimpern umrahmten Augen wurden beherrscht von leicht länglich geformten schwarzen Pupillen, die mit jedem Moment katzenartiger wurden. Seine schlanken Gliedmaßen spannten sich an, und er zog sie noch enger an seine harte, breite Brust und seine kräftigen, von Leder umschlossenen Beine.
»Shei’tani?«, wiederholte er. »Hattest du wieder einen Albtraum?«
»Nein«, brachte sie heraus. Wenn Rain sie so eindringlich ansah, hatte sie keinerlei Verlangen, von den grauenhaften Visionen zu sprechen, die sie ihr Leben lang bis in den Schlaf verfolgten. Sie räusperte sich und wisperte: »Es war nur ein Traum.«
»Du hast geweint.« Er berührte ihre feuchten Wangen.
»Es war ein bedrückender Traum.«
Seine Hand glitt über ihre Kinnpartie, sein Daumen strich über ihre Lippen und zog ihre Konturen nach. Sein Blick folgte den Bewegungen seiner Hand und ruhte so unverwandt auf ihr, dass sie ihn wie eine zarte Liebkosung auf ihrem Gesicht spürte. Als sein Blick auf ihrer vollen Unterlippe verharrte, strahlten seine Augen noch etwas heller, und das Prickeln seiner Magie lief über ihre Haut. Ein unsichtbarer Mund ließ Küsse folgen. »Erzähl es mir!«
Atemlos von dem Zauber, den seine Hände und seine magischen Liebkosungen bei ihr wirkten, stammelte sie eine kurze Zusammenfassung ihres Traumes. Rains geistige Küsse hielten inne, als sie ihm von Fey’Bahren und den sterbenden Tairen und seinem Schwur vor der großen grauen Tairen Sybharukai berichtete, und hörten ganz auf, als sie ihm erzählte, wie er fortgeflogen war und sie auf der Felskante zurückgelassen hatte.
Er stützte sich auf einen Ellbogen und schaute sie unverwandt an. Sein Gesicht war ernst und bis auf das warme Leuchten seiner Augen völlig ausdruckslos. »Du hast geweint, weil du geträumt hast, dass ich dich allein lassen würde.«
»Nein, ich …« Ihre Wangen röteten sich, als er angesichts ihres kläglichen Versuchs, ihn zu belügen, die Augenbrauen hochzog. Die sterbenden Tairen hatten ihr das Herz zerrissen, aber nicht deshalb war sie tränenüberströmt aufgewacht. »Ich habe dich gebeten, bei mir zu bleiben, doch du bist einfach weggeflogen.«
Er legte sanft einen Finger an ihre Lippen, um sie am Weitersprechen zu hindern. »Ich würde dich nie verlassen, Shei’tani, aus welchem Grund auch immer. Mein Platz ist an deiner Seite, und so ist es seit dem Moment, als du nach mir gerufen hast.« Er fuhr durch die wilde Fülle ihrer flammend roten Locken.
»Ich … es war nur ein Traum.«
»Nicht einmal in deinen Träumen solltest du an mir zweifeln.«
Wie gebannt beobachtete sie, wie er seinen Kopf neigte. Langes schwarzes Haar fiel herab und umfing sie mit einem zarten Schleier, in dem es nur Rain und sie gab.
»Ver reisa ku’chae. Kem surah, shei’tani. Deine Seele ruft nach mir. Meine Seele antwortet, Geliebte.« Mit tiefer, bewegender Stimme murmelte er den Schwur der Shei’tanitsa, erst auf Feyan, dann auf Celerianisch. »Darauf musst du vertrauen, Ellysetta. Du musst mir vertrauen.«
Er beugte sich noch etwas weiter vor und eroberte ihren Mund. Die Illusion verflog und wurde von der Wirklichkeit ersetzt, einer Wirklichkeit, die noch viel schöner als alle Magie war.
Erbarmen! Ellies Lider senkten sich flatternd. Heiliger Herr des Lichts, war es möglich, von einem einzigen Kuss vor Glückseligkeit zu sterben? Es musste so sein, denn sie hatte keinen Zweifel daran, dass sie gerade gestorben und im Himmel des Lichts gelandet war.
Wärme umspülte sie wie eine Flut und umschloss sie ebenso fest, wie seine Arme es taten. Sein Mund zog einen brennenden Pfad von ihren Lippen zu ihrem Kinn und von dort weiter nach unten zu der zarten Haut ihres Halses. Sie lehnte sich zurück, um ihre Kehle seinen Küssen darzubieten, und schnappte nach Luft, als ihre Gefühle sie um den Verstand zu bringen drohten. »Hör auf! Du musst aufhören. Meine Eltern …« Aber ihre Hände klammerten sich viel stärker an ihn, als sie ihn mit Worten zu vertreiben versuchte.
Sie spürte, wie die Macht in seinem Inneren wuchs, und wusste, dass der Tairen, das wilde Raubtier, das in ihm lebte, zum Sprung ansetzte, doch noch bevor sie auch nur daran denken konnte, sich zu fürchten, ließ er sie los und saß gleich darauf auf ihrer Bettkante.
Stöhnend beugte er sich vor und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Sie setzte sich auf und starrte auf die lange Linie seines Rückgrats, auf seine breiten, mächtigen Schultern. Straffe Muskeln, harte Knochen, Sehnen – alles an ihm bebte.
»Rain?« Sie streckte eine Hand nach ihm aus, aber ihre Fingerspitzen hatten seinen Rücken kaum gestreift, als er schon aufsprang und den Stapel Leder und Stahl neben ihrem Bett aufhob.
»Sieks’ta. Du hast recht, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, egal, wie sehr ich es mir wünschen mag. Zu meiner Verteidigung kann ich nur anführen, dass du mich einfach um den Verstand bringst. Du bist eine gefährliche Frau.« Hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Ärger, schüttelte er den Kopf, während er seine Ledertunika anlegte und die Bänder verschnürte. »Ich hatte nicht die Absicht, neben dir einzuschlafen.« Er warf durch das Fenster einen Blick auf den heller werdenden Himmel. »Und ich wollte auch nicht bis zur Morgendämmerung bleiben.«
»Warum bist du überhaupt hier?«
Die Hände, die die Bänder zuschnürten, hielten inne. Er drehte sich zu ihr um und fixierte sie aus schmalen Augen. »Du erinnerst dich nicht?«
Ellysetta schluckte nervös, weil ihr Gedächtnis einen Moment lang wie ausgelöscht war. Dann öffneten sich die Schleusen, und ihre Erinnerungen kehrten schlagartig zurück. »Natürlich erinnere ich mich.« Sie lachte, um zu überspielen, wie erleichtert sie war. »Es kommt nicht jeden Tag vor, dass die Tochter eines Holzschnitzers mit dem König und der Königin und den Oberhäuptern sämtlicher Adelsfamilien von Celieria speist.« Gestern Abend hatte sie ihren ersten offiziellen Auftritt als künftige Königin der Schwindenden Lande gehabt.
»Nach dem Bankett, meine ich«, drängte Rain. »Kannst du dich noch an deinen schlimmen Traum erinnern?«
Ihr Puls beschleunigte sich. Sie erinnerte sich an verschwommene Bilder eines Albtraums, der grauenhafter und erschütternder gewesen war als jeder andere, den sie jemals erlebt hatte – und das wollte etwas heißen. Ellie sah in ihren Träumen Dinge, die selbst kampferprobte Krieger aus der Fassung gebracht hätten.
»Er war sehr schlimm.« Unsicher schaute sie ihn an. Sie hatte vage Erinnerungen an Blut und Leichen und ihr völlig verwüstetes Zimmer. Ellie blickte sich um. Ihr Zimmer sah genauso wie immer aus, klein, jedoch ordentlich und sauber, und alles war an seinem Platz. Aber natürlich hätten die Fey inzwischen jeden Schaden repariert.
»Du bist im Schlaf angegriffen worden«, erklärte Rain, »und zwar von jemandem, der deine Träume als Zugang zu deinem Unterbewusstsein benutzt hat. Jemand, der höchstwahrscheinlich Azrahn ausgeübt hat.« Azrahn, die magische Beeinflussung von Seelen, die für die Fey streng verboten war und von ihren größten Feinden meisterhaft beherrscht wurde.
»Du glaubst, dass es ein Magier war?«
»Aiyah, das glaube ich. Es scheint eine logische Schlussfolgerung zu sein. Träume sind jener Ort, wo Azrahn und Mena – die Kraft des Geistes – einander begegnen, und nachts sind die dunklen Mächte von Azrahn am stärksten.« Er langte nach den Ledergurten, in denen Dutzende von Fey’cha, den Wurfmessern der Fey, steckten, und schnallte sie verkreuzt über seine Brust.
»Ich habe dir von meinen Anfällen erzählt«, murmelte sie, »und von dem Exorzismus, der in meiner Kindheit an mir vorgenommen wurde. Das habe ich noch niemandem erzählt.«
»Du hast es mir gesagt, und du kannst deine Angst, du wärst von einem Dämon besessen, getrost ablegen. Ich glaube, irgendjemand – du nennst ihn den Schattenmann – hat dich dein Leben lang verfolgt, und deine Albträume und Anfälle sind die Folge seiner Versuche, Zugang zu deinem Bewusstsein zu erlangen.«
»Diese Leiden haben lange, bevor ich nach dir rief, begonnen«, wandte sie ein. »Als ich noch die Tochter eines Holzschnitzers war, niemand, der die Aufmerksamkeit eines Magiers auf sich lenken könnte.«
Er durchbohrte sie mit einem eindringlichen Blick. »Ellysetta, ich bin der Tairen Soul, der mächtigste lebende Fey, und du bist meine wahre Gefährtin und mir in jeder Hinsicht ebenbürtig. Auch wenn du sie dein ganzes Leben lang verleugnet hast, ist deine Magie sehr, sehr stark. Sie ist es schon immer gewesen. Ein Teil deiner Macht muss die Aufmerksamkeit der Magier geweckt haben, obwohl sie offensichtlich nicht wussten, wer du bist und wo man dich finden kann.« Er bückte sich nach seinem breiten Schwertgehänge und gürtete es um seine Taille.
Ellie beobachtete, wie er die Gürtelschließe einhängte und die beiden Meicha, die Krummsäbel, in ihren Hüftscheiden richtete. Tief in ihrem Schoß regte sich ein leises Wohlbehagen. Rain zuzuschauen, wie er sich anzog und seine Waffen anlegte, beschwor ein Gefühl unglaublicher Nähe und Vertrautheit herauf. Der Anblick weckte frische Erinnerungen: Rain durch einen verschwommenen, sinnlichen Dunstschleier zu sehen, seine Arme zu spüren, die sich um sie schlossen, Sterne, die schwindelerregend über den Himmel wirbelten, eine brennende, endlose Leere. Andere Eindrücke folgten: Rains nackte Haut unter ihrer Hand, der schwere Duft von Zinnoberöl und Magie … und immer wieder Rain, der überall war und sie mit dem langsamen, unerbittlichen Brennen seines Körpers erfüllte, sie vervollständigte, indem er sie in Empfindungen versinken ließ, die köstlicher als alles waren, was sie je erlebt hatte.
»Rain«, sagte sie mit leiser, erstickter Stimme, »hast du … habe ich …« Ihr Gesicht wurde flammend rot. »Hast du letzte Nacht mit mir … geschlafen?«
Rain hielt inne. Sein Kopf fuhr hoch, und sein Blick begegnete ihrem. Dann machte er einen Schritt auf sie zu und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Seine Daumen strichen langsam über ihre Lippen und zogen die Konturen ihres Mundes nach. »Aiyah, Shei’tani, das habe ich.« Angesichts des zufriedenen Schnurrens seiner Stimme und der zarten Liebkosung seiner Daumen krampfte sich ihr Unterleib zusammen. »Und selbst wenn ich den Göttern in den nächsten zehntausend Jahren bei jedem Glockenschlag dankte, wäre es nicht genug, um ein so kostbares Geschenk zu würdigen.« Dann runzelte er die Stirn. »Obwohl unsere Vereinigung für mich vielleicht ein größeres Geschenk war als für dich, wenn du dich nicht daran erinnerst.«
»Ich erinnere mich.« Ihre Stimme war ein gepresstes Flüstern. Alles fiel ihr wieder ein. Vor allem das. »Sehr gut sogar.« Das plötzliche Funkeln seiner Augen jagte erneut heiße Schauer über ihren Körper. Sie wich zurück, um sich dem Zauber seiner Berührung zu entziehen.
»Unsere Körper haben sich nur im Geist vereinigt, Shei’tani. Ich habe das Versprechen, das ich deinem Vater gab, nicht gebrochen. Und glaub mir, noch nie ist es mir so schwergefallen, an meiner Ehre festzuhalten.«
Ellie zog irritiert die Augenbrauen zusammen, als ihr klar wurde, dass sie sich weder an das Ende des gestrigen Festmahls noch an den Heimweg erinnern konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren ihre Erinnerungen ganz klar, aber alles danach blieb verschwommen, als wären Teile der Nacht von Nebel umhüllt. Sie erinnerte sich an süßen blauen Wein, der erstaunlich stark gewesen war, und daran, wie warm ihr geworden war – sehr, sehr warm. O nein, was hatte sie getan? Hatte sie sich etwa unsterblich blamiert?
Sie schluckte. »Wie bin ich nach Hause gekommen?«
Rain wandte den Blick ab und drehte sich um, um nach den Langschwertern, die am Fenster lehnten, zu greifen und seine Arme in die Schulterhalfter zu schieben. »Ich habe dich getragen.«
»Weil mir unwohl war?« Sie betete inständig, dass ihre Erinnerungen nicht zutrafen.
»Dir war nicht unwohl.« Er rückte die beiden Schwerter auf seinem Rücken zurecht und neigte den Kopf, um sich mit verdächtiger Konzentration der Aufgabe zu widmen, die Gurte zu befestigen.
»Wenn ich nicht krank war, warum hast du mich dann getragen?«, wollte sie wissen. Er war ein Fey, und obwohl er die Wahrheit umgehen und Fragen mit weit mehr Geschick, als er gerade eben bewies, ausweichen konnte und würde, blieb die Tatsache bestehen, dass ein Fey nicht log. Wenn man auf einer Antwort beharrte, musste er die Wahrheit sagen.
Er seufzte und schaute sie an. »Du hast ein bisschen zu viel Pinalle erwischt.«
»Ich war betrunken.« Bei der Vorstellung krampfte sich ihr Magen zusammen. Jetzt war ihr wirklich unwohl. Himmel, wie sehr hatte sie sich vor all den Edelleuten, deren Unterstützung Rain so verzweifelt zu gewinnen versuchte, zum Narren gemacht?
»Nicht ganz.«
»Was soll das heißen? Was habe ich angestellt?«
»Du hast ein bisschen zu viel Pinalle erwischt.«
»Das sagtest du bereits!«
Er warf ihr einen Blick zu, der sie verstummen ließ. »Du hast zu viel Pinalle getrunken«, wiederholte er mit fester Stimme, »und dann noch einen Becher Keflee.« Er hielt inne, und ein leicht amüsierter Ausdruck trat in seine Augen. »Ich schlage vor, du vermeidest diese Kombination in Zukunft lieber«, bemerkte er trocken.
Ellie legte ihre Hände an ihre glühenden Wangen. »Was habe ich getan?« Er antwortete nicht sofort, und sie sah ihm an, dass er überlegte, wie viel er ihr erzählen sollte. »Sag mir bitte die Wahrheit, was es auch ist. Wenn du es nicht tust, male ich mir nur die schlimmsten Dinge aus und verliere darüber den Verstand.«
»Der Pinalle hat dir deine Befangenheit genommen«, gab er zu, »und der Keflee … Wusstest du, dass Keflee bei manchen Leuten wie ein Aphrodisiakum wirken kann?« Er wartete ihre Antwort nicht ab. »Du gehörst anscheinend zu ihnen, obwohl die Reaktion bei den meisten weit weniger stark ausfällt. Natürlich gab das Quintett deiner Beschützer erst, als es schon zu spät war, zu, dass sie von deiner … ungewöhnlichen Reaktion auf Keflee wussten. Nicht, dass es darauf noch angekommen wäre. Wer hätte gedacht, dass du ein magisches Netz dieser Art spinnen könntest?«
»Welcher Art?«, wisperte sie, obwohl sie es bereits wusste.
»Woran hast du gedacht, bevor ich dich hinaustrug?«
»O nein!« Sie verbarg ihr Gesicht an ihren hochgezogenen Knien und legte ihre Arme über ihren Kopf. Blut, das heiß wie Feuer loderte. Begehren, das sich zu unerträglichem Verlangen steigerte. Ein Verlangen, so stark, dass es zu einer Qual wurde.
»Die Wirkung deines Zaubers ließ erst in den frühen Morgenstunden nach. Gegen drei Uhr, um genau zu sein. Sieben Stunden unglaublich starken, unerbittlichen sexuellen Verlangens, Ellysetta. Das war das magische Netz, in dem sich gestern Abend bei dem Bankett jeder verfangen hat.«
Ihr Magen rebellierte. »Ich glaube, ich muss mich übergeben.« Am besten wäre es, jetzt zu sterben und es gleich hinter sich zu bringen, denn ganz bestimmt würde sie vor Scham sterben, wenn sie einem der Gäste des Banketts wieder begegnete. Sie hatte den Hochadel von Celieria hemmungsloser Wollust preisgegeben – schlimmer noch, den König und die Königin!
Rain stieß einen unterdrückten Fluch aus und trat zu ihr. Seine Daumen strichen über ihre Wangen und streichelten sie sanft. Scham und Reue kämpften gegen die ganz anderen Regungen an, die seine Berührung in ihr hervorrief. »Sieks’ta. Ich bin müde, und ich benehme mich sehr schlecht. Ich hätte dir die Wahrheit beibringen müssen, ohne dir solchen Kummer zu bereiten. Du bist für die Vorfälle von gestern Abend nicht verantwortlich zu machen. Dir war gar nicht klar, was du tust. Zuerst habe nicht einmal ich es begriffen.« Er fasste sie am Kinn und wartete, bis sie den Kopf hob und seinem Blick standhielt. »Eins jedoch steht unumstößlich fest: In dir schlummern große magische Kräfte. Daran kann kein Zweifel bestehen.«
Ellie nickte kläglich. Sie konnte die Wahrheit nicht länger leugnen. Aus irgendeinem Grund, durch eine boshafte Laune der Götter, besaß Ellysetta Baristani magische Kräfte. Und diese Kräfte schienen sich nicht mehr unterdrücken zu lassen.
»Du musst lernen, mit deinen Fähigkeiten umzugehen. Eine so große Macht wie deine kann in ungeschulten Händen gefährlich sein.«
»Gut«, wisperte sie. Wenn Lernen verhinderte, dass sie etwas so Peinliches wie am vergangenen Abend anstellte, würde sie eine sehr eifrige Schülerin werden. »Wenn wir in den Schwindenden Landen sind, nehme ich jeden Unterricht, den ich deiner Meinung nach brauche. Es tut mir leid, so ein Durcheinander angerichtet zu haben.«
Rain, der sich fertig angezogen hatte, betrachtete sie einen Moment lang. »Streck deine Hand aus, Ellysetta.« Zögernd gehorchte sie, und er legte einen kleinen Samtbeutel in ihre offene Hand. »Das ist dein heutiges Geschenk. Mach es auf.«
Sie löste die Seidenkordeln und kippte den Beutel um. Drei große, vollkommene Perlen, eine weiß, eine rosa, eine blaugrau, rollten in ihre Handfläche.
»Schön, nicht wahr?«
»Hast du sie gemacht?«
»Nei. Wenn die Magie nicht Teil des dargebotenen Symbols ist, sollen die Fey keine magischen Kräfte gebrauchen, um ihre Geschenke anzufertigen.« Er schnitt ein Gesicht. »Ein Brauch, der manchmal recht lästig sein kann. Ich musste einen ahnungslosen Glasbläser aus dem Bett holen, um die Kugel für das kleine magische Gebilde anfertigen zu lassen, das ich dir letzte Woche geschenkt habe.« Sein Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln. »Und gestern Nacht, als deine Magie eine sehr starke Wirkung ausübte, schien ein Bad im kalten Ozean eine gute Idee zu sein.« Er nahm die blaugraue Perle aus ihrer Hand. »Weißt du, wie eine Perle entsteht?«
»Durch ein Sandkorn, das in eine Auster gelangt.«
»Aiyah. Aus einem winzigen Sandkorn.« Er drehte die Perle zwischen seinen Fingern hin und her. »Alle Perlen entstehen als etwas Unangenehmes, von dem sich die Auster nicht befreien kann, obwohl sie es vielleicht gern möchte. Deshalb umschließen Austern diese Dinge, die sich nicht entfernen lassen, formen sie und glätten die scharfen Kanten, bis sie im Lauf der Zeit aus etwas Ungewolltem eine große Kostbarkeit gemacht haben.«
»Was willst du damit sagen? Dass sich die Adelsfamilien Celierias irgendwann darüber freuen werden, dass ich ihnen sieben Stunden der Wollust beschert habe? Oder dass es sich nach einigen Jahrhunderten als günstig erweisen wird, dass ich ganz allein das Bündnis zwischen Fey und Celierianern zerstört habe?«
Dieses Bündnis zu festigen, war der wahre Grund für das gestrige Bankett gewesen. Tausend Jahre lang waren Celieria und die Schwindenden Lande unerschütterliche Verbündete gewesen, aber in letzter Zeit waren in großen Gebieten Celierias starke Vorbehalte gegen die Fey laut geworden. Dahl’reisen – furchteinflößende ehemalige Fey-Krieger, die auf den Dunklen Weg geraten und aus den Schwindenden Landen verbannt worden waren – standen im Verdacht, im Norden des Landes celierianische Bürger ermordet zu haben. Viele mächtige celierianische Adlige forderten neue und offenere Beziehungen zu den Eld, den ältesten und bittersten Feinden der Schwindenden Lande, um Jahrhunderte der Einflussnahme der Fey auf Celieria entgegenzuwirken.
Der vergangene Abend war Rains Chance gewesen, das Vertrauen und die Unterstützung der celierianischen Edelleute zu gewinnen, bevor sie darüber abstimmten, ob die Grenzen zwischen Celieria und Eld geöffnet werden sollten … und was hatte sie getan? Ein Netz der Wollust über sämtliche Anwesenden gestülpt! Diese Demütigung würde man ihr nie verzeihen.
Ellysetta wandte sich mit einem Stöhnen ab und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
»Las, Shei’tani.« Rain legte eine Hand auf ihre Schulter und drehte sie sanft zu sich herum. »Wenn das der Weg ist, den uns die Götter gewiesen haben, werden wir ihn gemeinsam beschreiten.«
»Aber, Rain …«
»Pst.« Er küsste sie auf ihre Lippen, um ihren Einwand zu ersticken, und lächelte sie zärtlich an. »Hör auf mich, Ellysetta. Die Absichten der Götter sind nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen, doch glaub mir, wenn ich sage, dass selbst aus einem sehr unerfreulichen Anfang etwas unendlich Kostbares entstehen kann.« Er legte die Perle in ihre Hand zurück und schloss ihre Finger darum. »Ich glaubte, mein Herz würde immer Sariel gehören. Mein Wille war, nur so lange zu leben, bis ich meine Pflicht gegenüber den Fey erfüllt hätte und dann Sariel in den Tod folgen könnte. Und dann bist du in meine Seele getreten. Ich wollte diese Verbindung nicht, ich gebe es zu. Aber in diesen wenigen Tagen hast du unerwartete Veränderungen in mir bewirkt. Du hast mir das Lachen wiedergegeben, das ich vor tausend Jahren verloren habe, und du hast mich daran erinnert, dass es immer Hoffnung gibt.« Er strich mit einem Finger über ihre Wange. »Ich würde dich nie ändern wollen, Ellysetta. Für mich bist du bereits eine Perle von unschätzbarem Wert.«
»Aber das Bündnis … Ich weiß, wie wichtig es ist, doch seit dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben, mache ich alles nur noch schlimmer.«
Rain seufzte. »Wenn das Bündnis zwischen Fey und Celierianern die Aufregungen des gestrigen Abends nicht übersteht, war ihm ohnehin keine lange Lebensdauer mehr bestimmt. Würde ich etwas daran ändern, wenn ich könnte? Ja, natürlich. Wie du mir selbst erst gestern in Erinnerung gerufen hast, brauchen die Fey Celieria. Seit Jahrtausenden bewacht dein Land die Tore zu unseren Ländern. Aber die Fey brauchen auch dich. Ich brauche dich … und zwar mehr als jedes Bündnis. Alles, worum ich dich bitte, ist, dass du versuchst, in Einklang mit den Gaben zu leben, die dir solche Angst machen. Ich weiß nicht alles, was es über das Band der Shei’tanitsa zu wissen gibt, doch ich weiß, dass beide Seiten akzeptieren müssen, was in ihrem Inneren ist, bevor sie einander ihre Seelen öffnen, um den Bund zu vollenden.«
Ellie biss sich auf die Lippe und schaute die Perlen in ihrer Hand an. »Ich werde es versuchen, Rain.«
»Beylah vo. Ich muss kurz zum Palast, Shei’tani, doch ich komme so schnell wie möglich zurück, damit du dich nicht allein mit den Kaufleuten abgeben musst.«
Ellysetta wusste, was er unausgesprochen ließ. Er musste in den Palast gehen, um damit zu beginnen, den Schaden, den sie mit ihrem magischen Netz angerichtet hatte, wiedergutzumachen. »Ich komme schon allein zurecht. Bestimmt hast du heute Morgen Wichtigeres zu tun.«
»Bist du sicher, es zu schaffen?«
Dass er es nicht bestritt, bewies, dass sie recht hatte. Er machte sich Sorgen, wie die Adligen auf das, was Ellysetta mit ihnen angestellt hatte, reagieren würden. Und sie wollte die Schwierigkeiten, die sie ihm gemacht hatte, nicht vergrößern, indem sie sich nun wie ein verschrecktes Häschen an ihn klammerte. »Geh ruhig. Ich komme zurecht.«
»Beylah vo, Shei’tani.« Er hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. »Geh wegen des Vorfalls von gestern Abend nicht zu streng mit dir ins Gericht. Du magst ein paar Leute in Verlegenheit gebracht haben, aber letzten Endes war das, was du getan hast, harmlos. Das werden deine Landsleute erkennen. Außerdem«, fügte er hinzu, »können nur diejenigen, die selbst über magische Kräfte verfügen, wissen, dass du die Verursacherin warst.«
»Ich Glückspilz«, sagte sie trübe.
Er lächelte und küsste sie wieder, diesmal aber länger. Seine Lippen schmeichelten ihren, sich zu öffnen, und seine Arme hielten sie, bis sie nachgab und sich an ihn schmiegte. Als zwischen ihnen Funken der Leidenschaft zu sprühen begannen, stieß Rain einen bedauernden Seufzer aus und löste sich von ihr.
»Ich komme gegen Mittag zurück und nehme dich auf einen Flug mit.« Er schlüpfte zum Fenster hinaus und schwang sich mit einem Satz in den Himmel. Sein Körper wurde zu einer Wolke funkelnder Magie, um sich zu einem gewaltigen schwarzen Tairen zu formen, der mit mächtigen Flügelschlägen über den Morgenhimmel zog.
Als er fort war, legte sie ein blaues Musselinkleid an – eines ihrer eigenen Kleider, keine der modischen Kreationen aus Seide und Taft, die Lady Maryssia für sie in Auftrag gegeben hatte – und huschte leise die Treppe hinunter, um mit dem Frühstück anzufangen. Bevor die Händler kamen, musste sie sich umziehen, aber mindestens ein, zwei Stunden lang konnte sie einfach Ellie Baristani, die Tochter des Holzschnitzers, sein.
Vier hochgewachsene, bedrohlich wirkende Krieger hatten in den Ecken des kleinen Wohnraums der Familie Baristani Posten bezogen. Das schwarze Leder, in das sie gekleidet waren, verschmolz mit den Schatten des frühen Morgens, und der helle Schimmer ihrer durchscheinenden Haut brach sich in den Klingen der unzähligen Schwerter und Messer, die jeder von ihnen trug. Ein fünfter Krieger, dessen langes schwarzes Haar offen auf seine Schultern fiel, kauerte mit dem Rücken zu Ellie vor der Küchentür.
Ravel vel Arras, Anführer des Zweiten Quintetts, das Ellie bewachte, wenn Belliard vel Jelani und seine Männer anderwärtig beschäftigt waren, drehte sich zu ihr um. Ein Ausdruck, den Ellie nur als Verlegenheit deuten konnte, huschte über sein Gesicht, bevor seine Züge wieder zu der typischen unbewegten Maske der Fey versteinerten.
Ravel zeigte mit einer eleganten Handbewegung auf den Eiskasten in der Küche. »Die kleine Katze ist mit dem stärkeren magischen Gewebe, das wir zu Eurem Schutz ums Haus gelegt haben, gar nicht glücklich«, murmelte er. »Sie hat sich die ganze Nacht unter dieser kleinen Truhe versteckt und weigert sich hervorzukommen. Kieran wird gar nicht erfreut sein. Er und Bel haben uns eingeschärft, in ihrer Nähe vorsichtig mit unserer Magie umzugehen.«
Ellie unterdrückte ein Lächeln. Dass ein tödlicher Krieger Angst hatte, das Fell eines winzigen Kätzchens könnte sich sträuben, war irgendwie rührend. »Lass mich mal sehen.« Ellie trat in die Küche, hockte sich auf den Boden und spähte unter den Eiskasten. Darunter kauerte, dicht an die Wand gedrückt, ein winziges weißes Fellknäuel, das von einem Paar riesiger hellblauer Augen beherrscht wurde. Das Kätzchen fauchte und fuhr nadelspitze Krallen aus.
»Arme kleine Love«, schmeichelte Ellie. »Ich wette, die letzte Nacht war für dich noch aufregender als für mich.« Wie die Fey in der vergangenen Woche festgestellt hatten, konnte Lillis’ und Lorelles Kätzchen magische Kräfte wahrnehmen – und zu behaupten, dass sie es hasste, wäre untertrieben.
»Komm her, mein Kleines. Na komm! Miez, miez, miez!« In der Hoffnung, die kleine Katze packen zu können, langte Ellie unter den Eiskasten, aber sowie ihre Finger weiches Fell berührten, fauchte Love empört und schlug mit ihren scharfen Krallen zu. Ellie japste und riss ihre blutende Hand zurück.
Wie ein pelziger weißer Kugelblitz schoss Love unter dem Eiskasten hervor, jagte durchs Wohnzimmer und sprang die Treppe hinauf, um sich in Lillis’ und Lorelles Zimmer in Sicherheit zu bringen.
Ravel trat einen Schritt auf Ellysetta zu. Schon strömten das Grün des Elements Erde und das Lavendelblau geistiger Kraft von seinen Fingerspitzen, um die Blutung zu stillen und das Brennen der tiefen Kratzer zu heilen, die sich über Ellies Handrücken zogen. »Soll ich Marissya rufen?«
Ellie stieß ein ungläubiges, kleines Lachen aus. »Um einen Kratzer von einem Kätzchen zu heilen? Nein, danke, das geht schon.«
Ravel runzelte die Stirn, sodass sich seine dunklen Augenbrauen über seinen auffallend violettblauen Augen zusammenzogen. »Ich werde den Feyreisen informieren«, beharrte er. »Er wird Sorge tragen, dass Marissyas Terminplan einen kurzen Besuch zulässt.«
Ellie beherrschte sich noch rechtzeitig, bevor sie die Augen verdrehte. Sie war unter Ravels Obhut verletzt worden, und sein Instinkt als Fey ebenso wie sein strenger Ehrenkodex als Krieger verpflichteten ihn, dafür zu sorgen, dass ihre Wunde geheilt wurde. Er selbst konnte es nicht machen. Obwohl die Fey über ungewöhnliche magische Kräfte verfügten, konnten ihre Krieger im Gegensatz zu den Frauen der Fey keine Wunden heilen. Sie konnten nur Blutungen stillen und vorübergehend aufgeschürftes Fleisch verschließen.
»Danke, Ser Ravel«, sagte sie, »aber es sollte unmissverständlich klar sein, dass es sich nur um einen Kratzer handelt. Arme Love. Ich hätte wohl nicht nach ihr fassen sollen, doch normalerweise lässt sie sich von uns aufheben, wenn sie Angst hat.«
»Vielleicht hat sie Grund, mehr Angst als sonst zu haben«, verkündete eine grimmige Stimme.
Ellysetta zuckte vor Schreck zusammen, und als sie sich umdrehte, sah sie ihre Mutter in der Küchentür stehen. »Guten Morgen, Mama. Ich habe dich gar nicht gehört.«
Lauriana Baristani war bereits vollständig angezogen. Ihr hellbraunes Haar war im Nacken zu einem Knoten geschlungen, und ihr Körper steckte vom Hals bis zu den Zehen in einem praktischen weinroten Kleid. Sie musterte Ellie aus ihren grünbraunen Augen scharf von oben bis unten. »Wie geht es dir heute Morgen, Ellysetta?«
Ellie sank der Mut. Der eindringlich forschende Blick ihrer Mutter sagte ihr, dass sie nach einem Überbleibsel des furchtbaren Albtraums der vergangenen Nacht suchte, einem sichtbaren Zeichen des schrecklichen Makels, der Ellysettas leibliche Eltern – wer sie auch sein mochten – zweifellos bewogen hatte, sie in den Wäldern bei Norban auszusetzen, als sie noch ein Baby gewesen war.
Eine alt vertraute innere Anspannung befiel Ellie. »Sehr gut, Mama.«
»Wirklich?« Die Augen ihrer Mutter hatten schon immer zu viel gesehen. Das war einer der Gründe, warum Ellie zu einer so musterhaften und gehorsamen Tochter herangewachsen war. »Gestern Abend ging es dir alles andere als gut. Einen so schlimmen … Anfall hast du seit Hartslea nicht mehr gehabt.«
Schweigen senkte sich über die beiden. Sie sprachen nie von Hartslea, jener Stadt im Norden, wo sie vor vielen Jahren gelebt hatten, der Stadt, aus der sie nach dem Exorzismus an Ellie geflohen waren. Ellie war damals erst acht Jahre alt gewesen, aber sie konnte sich immer noch an den Geruch von Sagoblumen und Weihrauch, an das bösartige Glitzern langer Nadeln im flackernden Kerzenlicht, an das tiefe Scharlachrot der Gewänder der Exorzisten und an das fanatische Glühen ihrer Augen erinnern.
»Mir geht es gut, Mama«, wiederholte sie, während sie das Grauen ihrer Kindheit in den hintersten Winkel ihres Denkens verdrängte. Sie wollte nicht an diese furchtbaren Tage denken.
»Ellysetta …« Ihre Mutter streckte einen Arm nach ihr aus, hielt aber inne, als Ellysetta zurückwich. Ein Ausdruck von Schmerz huschte über Laurianas Gesicht, doch sie unterdrückte ihn schnell. »Ich mache mir Sorgen, Ellysetta, und du weißt, warum. Du weißt auch, dass ich alles tun würde, was in meiner Macht steht, um dir zu helfen.« Ihre Stimme wurde milder. »Ich liebe dich, mein Kleines. Ich will nur dein Bestes.«
Ellysetta senkte schuldbewusst den Kopf. Ihre steifen Schultern entspannten sich. »Das weiß ich doch, Mama, und ich liebe dich auch. Aber mach dir bitte keine Sorgen. Falls es eine Möglichkeit gibt, etwas gegen meine Albträume zu unternehmen, werden Rain und die Fey einen Weg finden, das hat Rain mir geschworen.«
»Das ist alles schön und gut, Ellie, doch was, wenn er es nicht kann? Magie ist eher die Wurzel deiner Probleme, nicht die Lösung.«
Ellie unterdrückte eine heftige Erwiderung. Mama verabscheute Magie ebenso sehr, wie Rain die Eld verabscheute. Wenn eines dieser Themen zur Sprache kam, war mit keinem von ihnen vernünftig zu reden.
Bevor Ellie eine Antwort einfiel, hörte sie die Stimme ihres Vaters rufen: »Guten Morgen, Ellie-Kind. Ich hoffe, du kochst uns gerade etwas Leckeres. Mein Magen ist so leer, dass ich einen Drachen verspeisen könnte.« Sol Baristani kam in die Küche und begrüßte seine Tochter mit einem warmen Lächeln und einer ungezwungenen Heiterkeit, die seine braunen Augen hinter den Brillengläsern nicht erreichte.
»Guten Morgen, Papa.« Dankbar für die Unterbrechung, die gerade zur rechten Zeit kam, legte Ellie ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn auf die Wange.
Er duftete eher nach Seife und frischer Wäsche als nach Holzspänen und Pfeifentabak, den vertrauten Gerüchen, die sie so sehr liebte, aber seine Umarmung war so liebevoll, dass ihr das Herz aufging – wie immer. Ihr Vater fragte sie nicht nach dem vergangenen Abend, und dafür liebte sie ihn umso mehr. Wenn sie darüber sprechen wollte, würde sie zu ihm gehen, so wie sie es von jeher getan hatte, und er hatte genug Geduld, um darauf zu warten. Außerdem mochte er die Fey im Gegensatz zu Mama. Trotz ihrer seltsamen Art und magischen Kräfte hatte er sie in seinem Haus willkommen geheißen, weil er wusste, dass Rain Tairen Soul der Mann war, von dem Ellie ihr ganzes Leben geträumt hatte.
»Ich wollte gerade das Frühstück zubereiten«, sagte Ellie. »Was meinst du, werden drei Eier ausreichen, um ein Loch von Drachengröße zu füllen?«
»Hm … mach lieber vier draus, und du kannst Würstchen und ein paar von deinen Maiswaffeln mit rösten, wenn du schon dabei bist. Ich fange heute ein bisschen später mit der Arbeit an.« Sol legte einen Arm um die Taille seiner Frau und küsste sie, bis sich die strengen Linien um ihren Mund entspannten.
»Papa! Papa!« Angekündigt vom Geräusch trappelnder Füße kamen Lillis und Lorelle die Treppe heruntergelaufen, rannten durch den kleinen Wohnraum und warfen sich ihrem Vater in die Arme. Hellbraune Locken fielen wirr über die Rücken der weißen Baumwollnachthemden der Zwillinge.
Sol umarmte die beiden und küsste sie auf ihre weichen Wangen. »Guten Morgen, ihr Süßen. Seid ihr zwei nicht der hübscheste Anblick, der einen Papa je begrüßen könnte?« Er ließ die Mädchen los und lächelte sie an. »Zieht euch eure Morgenmäntel an und lasst euch von Mama die Haare bürsten, dann könnt ihr mir helfen, den Tisch zu decken, während Ellie das Frühstück zubereitet.«
»Ja, Papa«, riefen die beiden einstimmig.
Ellysetta warf ihrem Vater ein dankbares Lächeln zu, als ihre Mutter die Zwillinge wieder nach oben scheuchte. Sie war froh über die Atempause, auch wenn sie wusste, dass die Befragung ihrer Mutter noch nicht beendet war.
Was gestern Abend auch passiert sein mochte – ob ein Magier sie attackiert hatte, wie Rain vermutete, oder ein Dämon von ihr Besitz ergriffen hatte, wie Mama befürchtete –, eins wusste Ellie mit Sicherheit: Der Schattenmann, der sie ihr Leben lang in ihren Träumen verfolgt, sie belauert und Nacht für Nacht, wenn sie schlief, nach ihr gerufen hatte, hatte sie endlich gefunden. Wer er war und was er von ihr wollte, wusste sie nicht, aber sie konnte das beklemmende Gefühl nicht abschütteln, dass die echte Gefahr erst begonnen hatte und alles noch viel, viel schlimmer werden würde.
Tausend Meilen nördlich von Celieria, in der unterirdischen Festung Boura Fell tief unter den dunklen Wäldern von Eld, schritt Vadim Maur, Großmeister der Magier und Oberhaupt des heimlich wieder einberufenen Hohen Rats der Magier, einen langen, breiten, von Fackeln beleuchteten Gang hinunter.
Hier unten war die schwere, dunkle Erde stark mit Sel’dor angereichert, dem schwarzen Metall der Eld, einer der wenigen Stoffe, die die Magie der Fey zu beeinflussen vermochten. Die Erde war zu einer glatten, undurchdringlichen Masse verstrichen und auf Wände, Decken und Böden verteilt worden, sodass diese Flächen mit einer fast zwanzig Zentimeter starken Schicht Sel’dor überzogen waren, verborgen hinter Mosaikkacheln in fortlaufenden, verschlungenen magischen Mustern.
Dies war nur eine der drei Ebenen in Boura Fell, und hier wurden Vadims gefährlichste, mit magischen Fähigkeiten begabte Gäste untergebracht.
Vadim Maur blieb vor einer der vielen mit Sel’dor beschichteten Türen stehen, steckte einen schweren schwarzen Schlüssel ins Schloss und wisperte einen Zauberspruch der Feraz. Die Türfüllung schillerte leicht, als die magischen Kräfte zu wirken begannen. Vadim drehte den Schlüssel herum und wartete, bis sich eine ganze Reihe von Sperren innerhalb der Tür klickend öffnete und zwölf schwere Riegel aus Sel’dor zwei volle Handspannen in die Felswand zurückglitten.
Die Tür schwang nach innen auf, und Vadim betrat ein uneinnehmbares magisches Gefängnis, das wie das luxuriöse Boudoir einer Edeldame ausgestattet war. Zierliche, kostbare Möbel bildeten elegante Gruppierungen – in einer Ecke eine Bibliothek voller Bücher, in einer anderen weich gepolsterte Ottomanen, und am hinteren Ende des Raumes ein breites, mit leuchtenden Seidenstoffen drapiertes Bett, deren bunte Bahnen gut die Handschellen aus Sel’dor verbargen, die er nur noch selten benutzte, es sei denn, er war gerade in grausamer Stimmung. Unter der äußeren Schönheit der Einrichtung war jeder Zentimeter Holz, Metall, Papier und Stoff mit Sel’dor durchzogen.
Auf dem Bett lag eine Frau. Sie setzte sich auf, als Vadim hereinkam. Lange, flammend rote Ringellocken wogten über ihre Schultern und die dünne Seide, die ihre Brüste bedeckte. Große, dicht bewimperte goldene Augen, deren längliche Pupillen sich zu katzenartigen Schlitzen verengten, musterten ihn ausdruckslos.
Trotz des Sel’dor, das in jeden Gegenstand im Raum eingearbeitet war, trotz der zehn Sel’dor-Ringe in ihren Ohren und der mit scharfen Stacheln versehenen Schließen um ihre Knöchel und Oberarme, ja sogar trotz seiner eigenen ungeheuren Kräfte konnte Vadim ihre Macht deutlich spüren. Die Frau war atemberaubend schön. Allein der Anblick ihres unverschleierten Gesichts konnte Könige dazu bringen, vor ihr niederzuknien und ihr jeden Wunsch zu erfüllen – und zwar, ohne dass sie auch nur einen winzigen Teil ihrer unvorstellbaren Magie eingesetzt hätte.
Er trat einen Schritt auf sie zu. Sie zuckte unwillkürlich zusammen und wich zurück.
Wie um dieses kurze Anzeichen von Furcht zu überspielen, hob sich ihr Kinn. »Hast du eine schlechte Nacht hinter dir, Magier?« Ihre Augen huschten verächtlich über die versengte Haut auf seiner Gesichtshälfte. Ellysetta Baristanis Macht hatte sich in der vergangenen Nacht als so stark erwiesen, dass die Feuersbrunst, die sie in ihren Träumen hatte erstehen lassen, ihn tatsächlich in der realen Welt verbrannt hatte.
»Ganz im Gegenteil, meine Liebe, es war eine sehr gute Nacht. Obwohl ich bezweifle, dass du mir zustimmen würdest.« Vadim lächelte. Die Raumtemperatur sackte auf den Gefrierpunkt ab. Er trat noch einen Schritt näher, und sein Lächeln vertiefte sich, als ihre Anwandlung von spöttischem Trotz verflog und ihr ohnehin bleiches Gesicht alle Farbe verlor.
»Elfeya, mein Schatz, du hast Geheimnisse vor mir.«
In den Mannschaftsquartieren von Celierias Königspalast fand Rain Belliard vel Jelani und die anderen Krieger von Ellysettas Erstem Quintett immer noch in ihren Betten vor, wo sie die Exzesse der vergangenen Nacht ausschliefen. Auch sie waren Ellysettas magischem Netz nicht entkommen, und das Letzte, was Rain von ihnen gesehen hatte, war, dass sie in Richtung Rotlichtbezirk liefen.
Rain weckte sie mit ein paar gut gezielten Tritten.
»Beim sengenden Blute des Tairen«, murmelte Bel. Der Anführer von Ellysettas Eskorte und Rains ältester Freund rollte sich herum, setzte sich auf und rieb sich die Augen. Zerzaustes schwarzes Haar fiel ihm wirr über Gesicht und Schultern. Trübe kobaltblaue Augen blinzelten ins Licht. »Sei nett, Rain. In meinem ganzen Körper gibt es weder Muskeln noch Knochen, die mir nicht wehtun.«
»Ich musste Schlimmeres erdulden«, teilte Rain ihm mit, »erwarte also kein Mitleid von mir.«
»Der Gott des Lichts steh ihr bei«, stöhnte Rowan vel Arquinas, der Feuerbändiger in Ellysettas Quintett, und warf einen Arm über sein Gesicht. »Tut mir leid, dass ich dich wegen des Keflee nicht gewarnt habe. Nie wieder werde ich eine solche Information zurückhalten.«
»Denk dran, wenn du das nächste Mal auf die Idee kommst, mir einen Streich zu spielen, vel Arquinas«, warnte Rain ihn.
»Das werde ich. Das werde ich.« Rowan hatte am Vorabend zugegeben, dass er in der Hoffnung, mit diesem Wissen Rain einen Streich spielen zu können, Bel und die anderen dazu überredet hatte, Ellysettas extrem sinnliche Reaktion auf Keflee geheim zu halten. So zahm und gesittet, wie Rowan sich in der letzten Woche benommen hatte, hätte Rain eigentlich wissen müssen, dass er irgendetwas im Schilde führte. Im Kampf bewies dieser Fey tödlichen Ernst, aber ansonsten war er mehr als übermütig. Nur seine Geschwister Adrial und Sareika, die er beide absolut vergötterte, waren vor seinen Streichen sicher.
Kiel vel Tomar, Wasserbändiger des Quintetts, versuchte, sich auf seinen Ellbogen zu stützen, nur um gleich darauf blass zu werden und auf sein Lager zurückzusinken. »Kann ein Fey von zu viel Sex sterben?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Bel unumwunden. »Noch eine Stunde und wir hätten es alle bewiesen.«
»Was ist mit Adrial los?« Rain schaute zu Rowans Bruder, der immer noch bewusstlos auf seiner Pritsche lag.
Rowan zuckte die Schultern und rieb sich den Nacken. »Ihn scheint es am schlimmsten erwischt zu haben.«
»Bei Weitem«, pflichtete Kieran vel Solande ihm bei, während er über ein Dutzend zerknitterter rosa Karten aus seinem Hosenbund zog. Auf jeder stand der Name eines celierianischen Freudenmädchens und dazu die Bitte, sie bei seinem nächsten Aufenthalt in der Stadt wieder zu besuchen. Mit seinen vierhundert Jahren war der Sohn der Gefährten Marissya und Dax v’En Solande der jüngste Fey des Quintetts – aber er war so mächtig und so erfahren im Schwertkampf, dass Rain nicht gezögert hatte, ihn Ellysettas Quintett als Erdbändiger zuzuteilen. »Das magische Netz hat uns alle getroffen, aber keinen so stark wie Adrial.«
Rain betrachtete sie, die fünf Fey, die die Elite der Krieger seines Landes darstellten, und schüttelte den Kopf. In diesem Moment hätte ein Kind mit einem Holzschwert sie besiegen können. »Ihr stinkt nach Fusel. Habt ihr euch zu allem Überfluss auch noch betrunken?«
»Es schien eine gute Idee zu sein«, murmelte Rowan.
»Wir hatten gehofft, die Wirkung des magischen Netzes zu dämpfen.« Kiel sah ausgesprochen blass um die Nase aus. Nachdem er rasselnd Luft geholt hatte, sprang er auf und taumelte, so schnell er konnte, zu den Waschräumen am Ende des Ganges.
Rain unterdrückte ein Lachen. »Ich würde euch ja vorschlagen, Marissya um ein Heilmittel zu bitten, aber ich finde, ihr habt es alle verdient, noch ein bisschen länger zu leiden.«
Nachdem noch ein paar boshafte Bemerkungen ausgetauscht worden waren, wurde Rain ernst. »Lasst Adrial noch ein, zwei Stunden schlafen und weckt ihn dann«, sagte er. »Ravels Quintett bewacht Ellysetta, und sie wird von einem fünfundzwanzigfachen Schutzschild abgeschirmt, doch ich möchte, dass ihr zu ihr geht, sowie ihr euch erholt habt. Irgendetwas hat sie gestern Nacht angegriffen.«
»Was?« Bel schoss hoch. Auch Rowan und Kieran und sogar Kiel, der gerade aus dem Waschraum zurückgewankt war, wurden blitzartig wieder zu tödlichen Kriegern, und ihre Hände langten instinktiv nach ihren Waffen. »Warum hast du uns das nicht gleich erzählt?«
»Sie ist unverletzt«, beruhigte Rain sie. »Und auch wenn ihr dabei gewesen wärt, hättet ihr nichts ausrichten können. Der Angriff erfolgte über einen Traum.«
»Magier?«, fragte Kieran.
Rain nickte. »Höchstwahrscheinlich. Die Schilde konnten sie nicht schützen, und weder Ravel noch einer seiner Männer hat etwas gespürt, bis sie schreiend aufwachte.«
»Wir wecken Adrial und gehen sofort zu ihr.« Bels Gesicht war eine undurchdringliche Maske.
Wenn Fey-Männer wie ihre empathisch veranlagten Frauen die Gefühle anderer gespürt hätten, würde er jetzt von Bels Scham und Selbstverachtung wie von Wogen überspült werden, das wusste Rain. Der Krieger war Ellysettas eingeschworener Verteidiger – freiwillig durch Lute’asheiva, den Eid, der auf das Blut des Kriegers geschworen wurde, gebunden und verpflichtet, sie gegen jede Bedrohung zu beschützen –, und doch war er nicht an ihrer Seite gewesen, als sie angegriffen worden war.
»Nei, lasst Adrial schlafen. Quäl dich nicht, Bel.« Rain legte eine Hand auf die Schulter seines Freundes. »Es gibt nichts, was du hättest tun können, mein Freund.«
»Ich hätte dort sein müssen.«
»Dasselbe gilt für mich«, erwiderte Rain. »Aber ich war Meilen entfernt an einem Strand der Großen Bucht und versuchte verzweifelt, mich gegen ihr magisches Gewebe zu wehren, um meine Ehre nicht zu verlieren.«
Bels Augen wurden schmal. »Ich weiß, dass du das nicht so leicht nimmst, wie es scheint. Deine Gefährtin wurde angegriffen. Wo ist dein Zorn?«
Leichte Röte stieg in Rains Wangen. Ein Fey-Krieger müsste angesichts eines Angriffs auf seine Gefährtin rasend vor Zorn sein, aber Rains Ruhe war durch nichts zu erschüttern.
»Sie wollte es nicht.« In einer fast hilflosen Geste breitete er seine Hände aus. Das Blut von Millionen lag in diesen Händen, und doch konnte er das Schandmal in diesem Augenblick kaum erkennen. »Letzte Nacht erklang mein Lied für sie, und sie hat den ersten Faden zwischen uns gesponnen.« Um das Grauen ihres Albtraums zu beschwichtigen, hatte er Ellysetta ein Lied der Tairen vorgesungen. Die Musik hatte in ihrer Seele einen Widerhall gefunden, eine Wirkung, die es nur auf die wahre Gefährtin eines Tairen gab, und in einem Augenblick vollkommener seelischer Übereinstimmung hatte Ellysetta das erste zarte Band der Vereinigung zwischen ihnen geknüpft.
Noch jetzt trieb ihm die Erinnerung an diesen glückseligen Moment Tränen in die Augen.
Bel starrte ihn an. »Tränen«, murmelte er. »In Augen, die seit tausend Jahren nicht mehr geweint haben.« Sein strahlend blauer Blick wanderte über Rains Gesicht und suchte nach einer Veränderung, und sei sie auch noch so klein. »Das Band entsteht.«
»Aiyah«, gab Rain leise zu.
Rowan, Kieran und Kiel rückten näher. Ihre sonst so stoischen Mienen wichen einer Mischung von Staunen und Neid. Seit tausend Jahren, seit den verheerenden Magier-Kriegen, hatte kein Fey-Krieger mehr seine wahre Gefährtin gefunden, und es gab nichts, was sich ein Fey-Krieger sehnlicher wünschte. Aber die Gabe der Bindung einer Shei’tanitsa war so selten, dass einem Krieger normalerweise beschieden war, zu leben und zu sterben, ohne die Frau zu finden, die dazu geboren war, seine Seele zu ergänzen. Aus diesem Grund strebten Fey-Krieger seit Jahrhunderten danach, die Kunst der Magie und des Schwertkampfes meisterhaft zu beherrschen. Aus diesem Grund bemühte sich jeder von ihnen, der beste, der tapferste und ehrenhafteste aller Krieger zu sein – immer in der Hoffnung, sich der größten Gabe der Götter als würdig zu erweisen.
»Was empfindest du?«, wollte Rowan wissen.
Rain hob die Schultern und suchte nach den richtigen Worten. Das hier waren seine Freunde, seine Waffenbrüder, die Krieger, die geschworen hatten, Ellysetta mit ihrem Leben zu verteidigen. Obwohl Rains Gefühle sehr persönlich und intim waren, war das Wunder der Shei’tanitsa ein Schatz, den Fey, die um ihre Gefährtin warben, immer mit ihren alleinstehenden Waffenbrüdern geteilt hatten.
»Frieden«, sagte er schließlich. »Als wäre ich an einem warmen Frühlingstag auf einer Wiese mit weichem Gras aufgewacht und wüsste zum ersten Mal genau, wer ich bin und wozu ich mich auf dieser Welt aufhalte. Und Demut, als stünde ich vor dem Herrn des Lichts und breitete die ganze dunkle Hässlichkeit meiner Seele vor ihm aus und würde trotzdem von seinem Licht überschüttet, bis der letzte dunkle Fleck verblasst.« Ein Lächeln breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus. »Und Leidenschaft – besonders unter dem Einfluss ihres magischen Netzes –, aber darüber werde ich nicht mehr sagen. Manche Dinge sollten einem Fey und seiner Gefährtin vorbehalten bleiben.«
Die Krieger, die schweigend gelauscht und versucht hatten, sich ihren Neid nicht anmerken zu lassen, grinsten und lachten.
Bel legte eine Hand auf Rains Schulter. »Mögen die Götter deinen Weg erleuchten, Rain, und die Reise deiner Shei’tanitsa glücklich enden lassen.«
»Beylah vo, mein Freund.« Rain schloss seine Hände im traditionellen Gruß der Krieger um Bels Oberarme und zog ihn kurz an sich. Unter allen Fey gab es keinen, den er so sehr liebte wie Bel. Noch vor einer Woche hatte Rain um seinen Freund gebangt. Die Dunkelheit, die irgendwann alle Fey-Krieger ohne wahre Gefährtin verschlang, war knapp davor gewesen, auch Bel zu vereinnahmen. Aber Ellysetta – seine wunderbare, überraschende Ellysetta – hatte mit einer einzigen Berührung voll heilender Wärme mühelos Jahrhunderte des Todes aus Bels Seele gefegt, und jetzt konnte Bel wieder Freude empfinden.
Kieran, Kiel und Rowan folgten einer nach dem anderen Bels Beispiel, indem sie Rain an den Armen fassten und umarmten, ihm dafür dankten, dass er sein Glück mit ihnen teilte, und ihm alles Gute wünschten.
Als er sie verließ, bewegten sie sich mit neuem Schwung und schüttelten die Müdigkeit und die Ausschweifungen der vergangenen Nacht ab. Nur Adrial schlief noch, aber Rain bezweifelte, dass die anderen ihm noch lange Ruhe gönnen würden. Ellysetta war angegriffen worden, und die Ehre der Fey verlangte gebieterisch, dass die Krieger ihres Ersten Quintetts wieder den Platz an ihrer Seite einnahmen, um sie vor jeder Gefahr zu beschützen.
Kolis Manza, Schüler und Gehilfe des Großmeisters der Magier von Eld, stöhnte, als er wieder zu sich kam. Sein Schädel schien zu zerbersten, und in seinem Mund hatte er einen Geschmack, als hätte er seinen Durst in der Kloake gestillt. Er hustete und spuckte einen übel schmeckenden Schleimbatzen auf den Boden.
Bei den verlausten Eiern des Herrn des Lichtes! Das magische Gewebe dieser kleinen Hexe war mehr als beeindruckend gewesen.
Kolis stützte sich auf seine Ellbogen und verzog angewidert das Gesicht, als eine schlaffe Hand von seiner Brust in seinen Schoß rutschte. Zahlreiche Gliedmaßen schlangen sich um seinen Leib, nackte, mollige, weibliche Gliedmaßen. Sie gehörten den vier nackten, molligen, weiblichen Leichen, die wie welke Blätter kreuz und quer auf dem Bett lagen, die Augen weit offen und blicklos, in den Brüsten tiefe, klaffende Wunden, die erstaunlich wenig geblutet zu haben schienen. Bei jeder Frau fehlte der Zeigefinger der rechten Hand.
Kolis schob die toten Körper beiseite und stand auf. Sein Dolch lag zusammen mit einem kleinen, blutbefleckten Lederbeutel neben dem Bett auf dem Fußboden. Er bückte sich, um beides aufzuheben, und begutachtete den schwarzen Edelstein auf dem Knauf der Waffe. Der dunkle Stein erstrahlte in satten rubinroten Lichtern. Wenigstens waren seine nächtlichen Aktivitäten im Bett nicht verschwendet gewesen. Vier neue Seelen waren in dem Stein gefangen und warteten darauf, von ihm sinnvoll eingesetzt zu werden. Und da zurzeit so viele Fey Celieria heimsuchten, würde er sicher bald Verwendung für sie finden, zunächst einmal, um einen Pfad durch den Brunnen der Seelen zu öffnen, auf diesem Weg nach Eld zu reisen und dem Großmeister Bericht zu erstatten.
Trotz des Hämmerns in seinem Kopf verzogen sich Kolis’ Lippen zu einem zufriedenen Lächeln. Endlich hatte er den Beweis, den er im Auftrag seines Herrn Vadim Maur finden sollte: Die rothaarige Gefährtin des Tairen Soul verfügte über magische Kräfte – und zwar in sehr eindrucksvollem Ausmaß.
Obwohl nur die Oberhäupter von Celierias Adelshäusern zu dem Bankett am Vorabend eingeladen worden waren, hatte Kolis dem Ereignis im Körper von Jiarine Montevero beigewohnt, der hübschen celierianischen Hofdame, die Kolis im Austausch für Reichtum und Einfluss Zugriff auf ihre Seele gewährt hatte. Jiarine hatte genug Hexenblut in sich, das es ihm ermöglichte, mit ihren Augen die Machtströme zu sehen, die von Ellysetta Baristani ausgingen.