Die finstere Macht der Tairen Soul - C. L. Wilson - E-Book

Die finstere Macht der Tairen Soul E-Book

C. L. Wilson

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Beschreibung

Ein einziger Feind kann sie zerstören. Eine einzige Liebe kann sie vereinen.

Die magischen Tairen sterben - und nur eine kann sie retten: Ellysetta. Doch zahlreiche Bedrohungen umgeben die Braut des Königs der Fey wie dunkle Schatten. Ihr Verlobter, Rain Tairen Soul, wacht schützend über sie. Aber auch er kann nicht verhindern, dass Elly zum Schutz des Volkes schwarze Magie anwenden muss. Können die beiden die finstere Macht besiegen, ohne selbst in den dunklen Abgrund zu stürzen?

»Ausgezeichnet geschriebene Fantasy!« Chicago Tribune

Die Tairen Soul Saga - fesselnde Romantasy von New York Times Bestsellerautorin C. L. Wilson:

Band 1: Im Bann des Elfenkönigs
Band 2: Herrin von Licht und Schatten
Band 3: Die finstere Macht der Tairen Soul
Band 4: Königin der Seelen
Band 5: Das betörende Lied des Elfenkönigs

Die finstere Macht der Tairen Soul erschien im Original unter dem Titel King of Sword and Sky.

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Seitenzahl: 785

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Karte

Widmung

Danksagung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Anhang

Namensgebung

Über die Autorin

Alle Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Die magischen Tairen sterben – und nur eine kann sie retten: Ellysetta. Doch zahlreiche Bedrohungen umgeben die Braut des Königs der Fey wie dunkle Schatten. Ihr Verlobter, Rain Tairen Soul, wacht schützend über sie. Aber auch er kann nicht verhindern, dass Elly zum Schutz des Volkes schwarze Magie anwenden muss. Können die beiden die finstere Macht besiegen, ohne selbst in den dunklen Abgrund zu stürzen?

C. L. Wilson

DIE FINSTERE MACHTDER TAIREN SOUL

Aus dem amerikanischen Englisch vonBritta Evert

 

Für Lisette. Wo die Tairen sind …

Und für Mom,

weil ohne dich dieses Buch nie geschrieben

worden wäre.

Danksagung

Danke meinem wundervollen Dad! Als er sich bereit erklärte, meine Website in das kleine Datenverarbeitungsprogramm einzubringen, das wir gekauft hatten, ahnte er nicht, dass er bald als Webster, SQL-Guru, Photoshopper, JavaScripter, Flash-Programmer und Dreamweaver nicht nur zu einem Meister seines Fachs, sondern zum Superstar werden würde. Daddy, du bist mein Held!

Wie immer ein Dankeschön meinen fabelhaften Freunden, kritischen Partnern und einfallsreichen Kollegen Christine Feehan, Betina Kahn, Kathie Firzlaff, Sharon Stone, Diana Peterfreund und Carla Hughes. Danke meinem Ehemann Kevin und meinen Kindern Ileah, Rhiannon und Aidan für ihr Verständnis und ihre Rücksichtnahme.

Ein besonderes Dankeschön an die großartigen Leser, die Beiträge für meinen Tairen-Soul-Lyrik-Wettbewerb eingeschickt haben. Herzlichen Glückwunsch all den von Lesern gewählten Gewinnern! Die preisgekrönten Gedichte wurden zusammen mit einigen anderen, die ich aus den eingesandten Beiträgen ausgesucht habe, in King and Queen eingefügt, und zwar:

»Mages of Eld« von Michele Baird, Portland, Oregon,

»Tairen Song« von Lynda Hendrix, Wellford, South Carolina,

»Beyond the Faering Mists« von Bridget Clark, Warrington, Pennsylvania,

»Shei’tanitsa Reign« von Ariel Hacker, Monument, Connecticut.

Sämtliche Einladungen und preisgekrönten Gedichte sind auf meiner Website nachzulesen. Herzlichen Dank allen Damen, die uns gezeigt haben, welche Talente in ihnen schlummern!

Prolog

Eld – Bourra Fell

Zwei Primagi und sechzig Mann meiner Schwarzen Garde erschlagen, und doch habt ihr zwei es irgendwie geschafft, das alles zu überleben – während meine Beute entschlüpfen konnte.«

Im untersten Geschoss von Bourra Fell, der unterirdischen Festung, die sich in der Tiefe des dunklen Waldes im Herzen von Eld verbarg, schritt der Großmeister der Magier, Vadim Maur, auf dem von Sel’dor durchzogenen Boden einer kleinen, von Fackeln erhellten Zelle auf und ab. Vor ihm saßen zwei vom Kampf gezeichnete Männer, die an schwarze Metallstühle gekettet waren. Einer von ihnen trug die mit Blut und Schmutz beschmierten Überreste des scharlachroten Ornats eines Exorzisten, der andere zerfetzte und befleckte karmesinrote Lumpen, die einmal das seidene Gewand eines Sulimagus, eines reisenden Magiers, gewesen waren, der die außerordentlichen, uralten Künste der schwarzen Magie beherrschte und ausübte.

Vadim Maurs Schritte hielten abrupt inne. Prachtvolle, purpurrote Stoffbahnen wallten um seine hagere Gestalt. Langes, knochenweißes Haar fiel ihm auf die Schultern und betonte die Blässe eines Gesichts, das seit tausend Jahren kein Sonnenlicht mehr erblickt hatte. Eine beringte Hand schoss nach vorn, und dünne, klauenartige Finger schlossen sich um den geschwollenen Kiefer von Kolis Manza, Elds berühmtestem und hochgeschätztem Sulimagus, der bis vor wenigen Tagen in Celieria Stadt die Befehle seines Herrn Vadim Maur ausgeführt hatte.

Jetzt war die Schärpe des Sulimagus ihrer Juwelen – Ehrenabzeichen für seine Verdienste – beraubt und der zerrissene und zierdelose Stoffstreifen wie in Verhöhnung seiner einst so hohen Stellung als erfahrenster und begabtester Gehilfe des Großmeisters um die Kehle des Mannes geschlungen worden.

»Ergreift sie«, zischte Vadim. »Bringt sie zu mir. So lautete mein Befehl.« Lange, spitze Nägel bohrten sich tief in die Haut des Sulimagus. »Und du kehrst mit leeren Händen zurück.«

»Ihre Macht war zu groß«, protestierte Kolis schwach. »Nicht einmal die Primagi konnten ihr Widerstand leisten.«

»Zu groß?« Silbrige Augen funkelten vor Zorn, und weißer Raureif legte sich auf jede Oberfläche in Vadim Maurs Studierzimmer, als die Raumtemperatur in Reaktion auf die Stimmung des großen Magiers abrupt fiel. »Natürlich ist ihre Macht ungeheuer groß! Sie ist die Krönung meines Werks, an dem ich tausend Jahre gearbeitet habe! Der Tairen Soul, den ich geschaffen habe! Mein größter Triumph – und du hast sie dir durch die Finger schlüpfen lassen!«

»Was hätte ich noch tun können, Meister? Die Fey haben unsere Verteidigung durchbrochen.« Der Sulimagus hustete und stöhnte gleich darauf, als seine gebrochenen Rippen protestierten. »Ich habe versucht, sie aufzuhalten und den anderen genug Zeit zu verschaffen, um sie in den Brunnen zu bringen, aber dann … dann ist ihre Magie förmlich … explodiert. Sie hat uns alle völlig überrumpelt.«

»Schweig!« Vadims freie Hand schoss mit ungeheurer Wucht nach vorn. Trotz des hohen Alters des Großmeisters und seiner immer gebrechlicher wirkenden Erscheinung krachte seine Faust brutal in das Gesicht seines Gehilfen. Die schweren Ringe der Macht, die jeden seiner Finger zierten, verstärkten die Heftigkeit seines Schlags. Das Splittern von Knochen und das Knirschen von Knorpel hallten an den Steinwänden der Kammer wider. Blut spritzte Kolis aus Mund und Nase. Ein rasselnder Atemzug entrang sich seinen Lungen, als er in seinen Ketten bewusstlos in sich zusammensackte.

Vadim drehte sich zu dem Mann in der zerlumpten Exorzistenkutte um und zog einen Magier-Dolch mit gewellter Klinge aus seiner Gürtelscheide. Er packte eine Hand voll fettiger, brauner Haare, riss so fest an ihnen, dass der Kopf des Gefangenen nach hinten fiel, und hielt die rasiermesserscharfe Klinge des Dolchs an seine Kehle.

Wasserblaue, von kurzen, schwarzen Wimpern umrahmte Augen starrten ihn in stummem Entsetzen an. Frisches Blut lief aus beiden Nasenlöchern und Mundwinkeln des Mannes, und hässliche, dunkle Blutergüsse zeigten sich auf seinem Gesicht, das noch von früheren Schlägen verschwollen und verfärbt war. An seiner Kehle flatterte die Pulsader wie ein gefangener Spatz, und seine kräftige Brust hob und senkte sich unter kurzen, flachen Atemzügen.

Der Gefangene schluckte krampfhaft, und seine Kehle wurde noch enger an die scharfe Klinge des Magier-Dolchs gepresst. Selbst diese leichte Berührung fügte der Haut des Mannes einen neuen Schnitt zu. Aus der Wunde lief kein Blut. Das durstige, dunkle Metall des Dolchs trank jeden Tropfen, nichts wurde verschwendet, und der geschliffene, dunkle Edelstein im Knauf begann, rötlich zu flackern. Der Mann erstarrte in atemlosem Schweigen.

Vadims Mund verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. »Und nun zu dir, Fleischerssohn. Hast du dir tatsächlich auch nur den Bruchteil einer Sekunde eingebildet, dein erbärmliches, wertloses Menschenleben hätte für mich einen anderen Sinn, als bei der Ergreifung Ellysetta Baristanis zu helfen?« Vadim beugte sich vor und ließ seine silbrigen Augen zu dunklen, rötlich glimmenden, bodenlosen Abgründen der Finsternis werden, als er Azrahn, die verlockende und ungeheuer starke Zauberkraft der Magier, beschwor.

Den Brodson, Sohn eines Fleischers aus Celieria und ehemaliger Verlobter von Ellysetta Baristani, starrte in jene Zwillingsabgründe der Finsternis und wusste, dass er dem Tod ins Gesicht sah. Vor einigen Tagen hatte er in der Großen Kathedrale des Lichts schon einmal dem Tod von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Damals hatte Rain Tairen Soul einen Fey-Dolch aus der Scheide gezogen und Den angelächelt.

An jenem Tag hatte der Sohn des Fleischers sich umgedreht und war in den Brunnen der Seelen gesprungen, um zu entkommen. Jetzt – die Götter standen ihm bei! – konnte er nirgends mehr hingehen.

Der weißhaarige Großmeister der Magier lehnte sich noch weiter vor. »Der einzige Wert, den du nun noch für mich hast, besteht in den geringfügigen Dienstleistungen, die mir die Wächter des Brunnens als Gegenleistung für die Auslieferung deines verrotteten Kadavers anbieten werden.«

Ein winselnder Laut kam über Dens blutende Lippen. Er hatte beobachtet, wie die Wächter vorgingen … hatte gesehen, wie sie mit Toten und Sterbenden verfuhren. Nie im Leben würde er die gellenden, animalischen Schreie der eldischen Soldaten vergessen, die bei lebendigem Leib verschlungen worden waren. Frisches Blut war durch ihre Bandagen gesickert und hatte die ausgehungerten Dämonen angezogen, wie verwundete Tiere Distelwölfe anlocken.

Bei den Göttern, so wollte er nicht sterben! »Bitte …«

Schwarze Augen sprühten bösartige, rote Funken. Der Großmeister legte eine Hand auf Dens Brust, direkt über seinem Herzen, die Finger gekrümmt wie Krallen, sodass nur ihre Spitzen Dens Körper berührten. Alle fünf spitzen Nägel gruben sich tief in die Haut, als wolle der Magier Dens Brustkorb durchbohren und ihm das Herz herausreißen. Seine schwarzen Augen trübten sich. Dens Haut wurde dort, wo die bleiche Hand sie berührte, kalt wie Eis.

»Nein, wartet! Wartet!« Verzweifelt stemmte Den seine Füße auf den Fußboden und stieß seinen Stuhl zurück, um der eisigen Hand des Magiers zu entkommen. Ein Stuhlbein blieb an einer unebenen Stelle im Steinboden hängen, und Den kippte mit einem erstickten Schrei hintenüber.

Schmerzen explodierten in seinem Schädel, als er auf die Steine krachte. Seine Hände, die an den Gelenken mit Handschellen gefesselt waren, rieben sich schmerzhaft an den Metallschließen. Der Schock erschütterte seinen ganzen Körper, und ein schmales, längliches Päckchen aus wattiertem Stoff fiel aus der tiefen Tasche seiner Kutte und landete neben ihm auf dem Boden.

Die zwei blassen, kräftigen Wärter, die neben der Tür standen, eilten herbei, um den Stuhl zu packen und ihn mitsamt Den wieder aufzustellen. Einer von ihnen versetzte dem kleinen Päckchen einen Tritt, sodass es quer über den Boden schlitterte. Der Stoff glitt auseinander, und eine Hand voll langer Nadeln mit Kristallspitzen fiel heraus und rollte mit einem absurd heiteren Klingeln über den Steinboden.

Der Großmeister hielt inne. Seine Augen wurden schmal und ein wenig heller, sodass sich das albtraumhafte Schwarz in eine etwas weniger beängstigende Schattierung von kaltem, glitzerndem Silbergrau verwandelte. Er steckte seinen Dolch wieder in die Scheide und deutete auf die herumliegenden Exorzismus-Nadeln. »Bringt sie mir!«, befahl er.

Die beiden Wärter beeilten sich, seinen Befehl auszuführen, indem sie hastig die Nadeln aufhoben und sie ihrem Herrn brachten. Der Magier untersuchte sie gründlich. Die meisten der dunklen Kristalle an den Nadeln waren schwarz, aber einige von ihnen schimmerten rötlich.

Vadim Maurs Kiefer verhärtete sich. Er fuhr herum, packte Den mit festem Griff am Kinn und schüttelte ihn so kräftig, dass ihm schwarz vor Augen wurde. »Diese Kristalle haben Blut geleckt«, zischte der Magier. »In wessen Fleisch sind sie gebohrt worden, Sterblicher? In deines? Oder in das einer anderen Person?«

Den schluckte die bittere Galle hinunter, die ihm in die Kehle gestiegen war. »Ellie Baristani«, stöhnte er. »Sie riss sie sich aus dem Fleisch, um uns daran zu hindern, sie in den Brunnen zu bringen.«

Der Großmeister ließ Den los und richtete sich auf, hielt die Nadeln an seine Nase und atmete tief ein. Seine Augenlider senkten sich flatternd. Als er sie wieder aufschlug, lächelte er.

»Nun, Sterblicher, wie es scheint, wirst du dein elendes Leben doch noch einen Tag länger behalten.« Er löste die Schärpe, die um seine Taille geschlungen war, wickelte die Nadeln vorsichtig hinein und steckte das kleine Bündel in seine eigene tiefe Tasche. »Ich bestrafe diejenigen, die mich erfreuen, nicht, und diese Gabe hier ist in der Tat erfreulich.«

Der flache Atemstoß der Erleichterung, den Den ausstieß, war kaum aus seinen Lungen, bevor sich seine Brust neuerlich vor Panik zusammenschnürte, als der Großmeister einen Satz machte und seine knochige Hand um Dens Kehle legte.

»Der heutige Tag ist mein Geschenk für dich«, zischte der Magier. »Aber für das Leben nach dem morgigen Tagesanbruch gibt es einen Preis, Sterblicher.« Er hob das Magiermesser und drehte die scharfe, schwarze Klinge hin und her, sodass das Licht der Fackeln Schatten über das dunkle Metall huschen ließ. »Akzeptiere, mit meinem Mal gezeichnet zu werden. Stelle deine Seele bereitwillig in meinen Dienst. Sonst wirst du, wenn die Große Sonne aufgeht, einen Tod erleiden, der grausamer ist als alles, was du dir vorstellen kannst.«

Den wimmerte.

Der Magier lächelte, drückte die Messerspitze an Dens Handgelenk und ritzte ihm die Haut auf. Blut quoll aus der Schnittwunde und lief wie scharlachrote Tränen an Dens Arm hinunter. Der Magier zog das Handgelenk an seine Lippen. Den zuckte zusammen, als eine blasse Zunge aus Vadim Maurs Mund schoss und sein Blut aufleckte. »Antworte mir, Junge. Liefere mir deine Seele aus, oder stirb. Die Entscheidung liegt bei dir.«

Dens Hand bebte. Er zitterte am ganzen Leib. Wie hatte es so weit kommen können? Wie hatten all seine Pläne derartig fehlschlagen können?

Der Griff des Magiers wurde fester, und spitze Fingernägel bohrten sich in die weiche Haut von Dens Handgelenk. »Sprich, Sterblicher! Akzeptierst du mein Mal? Stellst du deine Seele aus eigenem freien Willen in meinen Dienst?«

Dens Träume von einem Leben in Luxus, in irgendeinem entlegenen Winkel der Welt, wo er sich an Ellie Baristanis magischen Fähigkeiten mästen könnte, zersplitterten wie Glas. Für ihn würde es keinen hochherrschaftlichen Besitz geben. Keine geschmeidigen, üppigen Dienerinnen, die jedes seiner Bedürfnisse befriedigten. Keine Edelleute, die bei ihm Schlange standen, um seine Gunst zu suchen. Es würde keine Ellie Baristani geben, die vor ihm auf den Knien lag, ihm die Füße küsste und ihn um Verzeihung bat, die sich zur Hure machte, um ihm gefällig zu sein.

Seine Augen schlossen sich. Seine Schultern hoben und senkten sich unter stummem, hilflosem Schluchzen.

»Ja«, flüsterte er.

»Ja, Meister«, korrigierte die zischende Stimme des Magiers.

»Ja, Meister.« Tränen stiegen Den in die Kehle und brannten unter seinen Lidern.

»Dann sag es. ›Aus eigenem freien Willen empfange ich Euer Mal und verpflichte meine Seele zum ewigen Dienst an Euch.‹«

Den konnte hören, wie er weinend die Worte nachsprach, die ihn für alle Zeiten verdammten. Heiße Tränen liefen über seine eisigen Wangen. Die kalten Lippen des Magiers pressten sich an sein Handgelenk und schmatzten widerwärtig, als der Magier Dens Blut aus der Ader saugte. Dann kam der noch kältere Druck jener klauenartigen Hand, die die Haut über seinem Herzen packte. Ein ekelerregend süßlicher Geruch stieg auf, schwer und erstickend wie Fässer mit faulem Obst. Reines, kaltes Eis bohrte sich scharf wie ein Messer tief in Dens Brust. Ein Wille, schwer wie Stein, lastete auf seinem.

Er trieb in einem schwarzen Fluss, rang keuchend um Atem und kämpfte verzweifelt darum, sich über Wasser zu halten, während ihn ein furchtbares Gewicht langsam und unaufhaltsam nach unten zog. Sein Kopf tauchte unter, und das schwere, ölige, schwarze Wasser des Flusses – so kalt und so grauenhaft süß – umschloss ihn. Seine Lungen brannten, als ihnen die Luft ausging und das Verlangen zu atmen überwältigend wurde. Er kämpfte, wehrte sich, versuchte, sich nach oben zu strampeln, aber das Gewicht hielt ihn fest und zog ihn immer tiefer hinunter.

Seine Welt bestand aus völliger Dunkelheit. Kein Licht. Keine Hoffnung. Nicht ein Hauch von Wärme. Seine Lungen standen in Flammen. Wenn er atmete, würde er ertrinken. Wenn er es nicht tat, würde er sterben.

Dens Mund öffnete sich, und er schnappte verzweifelt nach Luft. Ölige Dunkelheit strömte in ihn hinein, füllte seine Lungen, füllte sein ganzes Sein.

Mit einem letzten erstickten Schluchzen um sein verlorenes Leben gab Den Brodson auf.

Kapitel 1

Celieria – am Garreval

Sieben Tage, nachdem sie Celieria Stadt verlassen hatten, erreichten die Fey das Ende der Welt der Sterblichen. Als die kleine, aus Wagen und marschierenden Fey bestehende Karawane den Gipfel des letzten Hügels erreichte, stockte Ellysetta der Atem. Vor ihr dehnte sich eine weite, fruchtbare Ebene aus, von Hecken gesäumtes Ackerland und Felder, die sich über Meilen und Meilen erstreckten und deren üppiges Grün sich vor dem Hintergrund majestätischer, hoch aufragender Berge dramatisch abhob.

»Oh, Papa!«, hauchte Ellysetta.

»Das ist das Schönste, was ich je gesehen habe«, pflichtete Sol Baristani ihr leise bei, während er sich neben sie auf den Wagen setzte, in der Hand ein entzündetes Streichholz, das vergessen über dem gefüllten Endstück seiner Lieblingspfeife schwebte.

Gemeinsam betrachteten Vater und Tochter in andächtigem Staunen die hohen Berggipfel.

Auf den ersten Blick schienen die Berge eine geschlossene Kette zu bilden, aber Ellysetta wusste aus den unzähligen Geschichten, die sie gelesen hatte, dass es sich in Wirklichkeit um zwei Gebirgsmassive handelte. Das stolze Rhakis-Gebirge erstreckte sich von Norden nach Süden und stieß beinahe mit den mächtigen Ausläufern der Silbernebelberge zusammen. Nur eine knappe Meile trennte die beiden Höhenrücken, ein berüchtigter Pass mit dem Namen Garreval, das Tor zu den Schwindenden Landen.

Nebelfetzen wirbelten um die baumbestandenen Felsen und hochgelegenen Weideflächen der Silbernebelberge. Die Wolken, die sich über dem Rhakis-Gebirge ballten, waren weniger freundlich, sondern dunkel und regenschwer und in Richtung Norden, wo sich die zerklüfteten Berggipfel Eld näherten, brodelnd und gewitterträchtig. Diese weichen Wolken und düsteren Unwetter verschmolzen zu einem dichten, schimmernden Nebel, der über dem Pass zwischen den beiden Bergketten lag. Ein leichter Schauer überlief Ellysetta bei dem Anblick.

Die Wandelnden Nebel. Die magische Barriere, die die Schwindenden Lande umgab, unbezwingbar für alle bis auf die Fey.

Das Streichholz, das Sol über seine Pfeife hielt, brannte unbemerkt ab, bis er sich die Finger verbrannte. »Himmel und Hölle!«, japste er. Ärgerlich schwenkte er das Streichholz, bis es erlosch, warf die verkohlten Überreste aus dem Wagen und blies auf seine schmerzenden Finger.

Ellie unterdrückte ein Lachen, als sie sich zu ihm umwandte und nach seiner Hand langte. Es war nicht das erste Mal, dass sich ihr Vater die Hände an einem Streichholz verbrannt hatte, und es würde nicht das letzte Mal sein. Zu oft ließ er sich von schönen Dingen ablenken – und dank seiner Vorliebe für seine Pfeife häufig mit einem brennenden Streichholz in der Hand.

»Ist schon gut, Ellie, mein Mädchen«, protestierte Sol, als sie seine Hand ergriff.

»Ich weiß, Papa, aber Marissya hat gesagt, dass ich üben soll, wann immer sich die Gelegenheit ergibt.« Sie hielt die Hand ihres Vaters in ihrer eigenen und konzentrierte sich auf das gerötete Fleisch, indem sie versuchte, die Flut von Gedanken und Gefühlen abzublocken, die auf sie einstürmten, als sie seine Haut berührte.

Liebe. Sorge. Instinktive Furcht, in die sich Schuldgefühle mischten. Die strahlende Helligkeit und greifbare Magie der schönen Fremden, die neben ihm saß, war ihm immer noch nicht ganz geheuer.

Ellie verdrängte den schmerzhaften Stich, den seine Angst in ihr hervorrief, und versuchte, ihre Gedanken und Energien so zu bündeln, wie Marissya v’En Solande, die mächtigste Heilerin der Fey, es ihr gezeigt hatte. Während der wochenlangen Reise in Richtung Westen hatte Marissya täglich mehrere Stunden mit Ellysetta verbracht, um sie zu lehren, ihre eigenen starken Heilkräfte einzusetzen.

Obwohl Ellysetta immer noch viel zu lernen hatte, erfasste sie jetzt ganz bewusst die grundlegenden Muster der heilenden magischen Gewebe, die sie ihr Leben lang unbewusst gesponnen hatte. Marissya hatte ihr versichert, dass sie bald imstande sein würde, diese Gewebe je nach Bedarf zu spinnen und dabei nur so viel Macht zu gebrauchen, wie erforderlich war. Aber Zurückhaltung war etwas, womit Ellysetta nach wie vor Probleme hatte. Die starken inneren Barrieren, die ihre magischen Kräfte eingedämmt hatten, waren nicht mehr vorhanden, und die Zauber, die sie früher so unauffällig gewirkt hatte, sprudelten jetzt hervor wie ein Fluss durch einen gebrochenen Damm.

Marissyas Ermahnungen vor Augen, langte Ellysetta in ihren inneren Quell der Macht und beschwor behutsam die schimmernden magischen Stränge der Elemente, die sie brauchen würde. Rotes Feuer, um der Wunde Hitze zu entziehen. Grüne Erde, um das verletzte Fleisch zu heilen. Lavendelblauen Geist, um die Schmerzen zu nehmen. Und noch etwas hatte Ellysetta während ihrer Lektionen bei Marissya entdeckt. Ein inneres goldenes Strahlen, das Marissya die »Liebe einer Shei’dalin« nannte, jene geheimnisvolle Kraft, die nur den Frauen der Fey innewohnte. Sie bewirkte, dass sämtliche magischen Stränge einer Shei’dalin in einem warmen Goldton leuchteten. Kein Fey-Krieger konnte seine magischen Fähigkeiten auf diese Art beschwören.

»Diese besondere Kraft entspringt dem Mitgefühl und der Zuwendung der Fey-Frauen«, hatte Marissya ihr erklärt. »Es handelt sich nicht um einen siebten Zweig der Magie. Die Liebe einer Shei’dalin kann nicht gesondert eingesetzt werden, sondern begleitet den Zauber jeder Fey-Frau.«

»Und mache ich es auch so?«

An dieser Stelle hatte Marissya lachen müssen. »Feyreisa, du machst nichts so wie die anderen Fey.« Immer noch lächelnd, hatte sie hinzugefügt: »Ellysetta, wenn du deine Magie wirken lässt, erstrahlt sie in einem so hellen Glanz, dass ich wie geblendet bin.«

Als Ellie jetzt die Hand ihres Vaters hielt, bemühte sie sich, ihre magischen Kräfte zu beschwören und sie mit der Zurückhaltung wirken zu lassen, die Marissya versucht hatte, ihr beizubringen.

Sie fand die einzelnen Stränge, verwob sie zu einem lockeren heilenden Muster und »stieß« das Gewebe mit sanftem Nachdruck in die Hand ihres Vaters. Es prallte mit der Wucht eines Hammerschlags in sein Fleisch und loderte mit einem gleißenden Strahlen hell auf.

Ellysetta verzog das Gesicht, als ihr Vater erschrocken zusammenfuhr und die Augen aufriss.

»Das Licht stehe mir bei«, murmelte sie, bevor sie sich mit lauterer Stimme erkundigte: »Alles in Ordnung, Papa?«

Sol blinzelte ein paar Mal und unterzog sich einer sorgfältigen Musterung. Als er keine fehlenden – oder neu hinzugekommenen Körperteile – entdecken konnte, schenkte er ihr ein Lächeln. »Gut gemacht, Ellie. Der Finger ist so gut wie neu.« Er hielt ihr seine Hand hin, um es ihr zu zeigen.

Tatsächlich war der hässliche, rote Fleck auf seiner Fingerspitze verschwunden. Aber das war nicht das Problem. Ellysetta beobachtete, wie sich ihr Vater mit seiner frisch verheilten Hand durchs Haar fuhr und plötzlich mitten in der Bewegung innehielt.

»Oh«, sagte er. Sol Baristani war in dem Alter, in dem bei vielen sterblichen Männern »sich das Laub zu lichten«, beginnt, wie er selbst es nannte. Noch vor wenigen Augenblicken war sein Haar recht schütter gewesen. Ohne den Blick von Ellysettas Gesicht zu wenden, strich er über den dichten Haarschopf, der ihm unvermutet gewachsen war. »Na ja … äh … nicht schlecht. Vorausgesetzt, dass es nicht giftgrün ist.« Er zog in gespielter Bestürzung die Augenbrauen zusammen und fügte mit unsicherer, fast furchtsamer Stimme hinzu: »Äh … es ist doch nicht grün, oder, Ellie?«

Seine Tochter seufzte. »Nein, Papa, ist es nicht.«

Mit einem Augenzwinkern tat er so, als atme er erleichtert auf. »Na dann, warum nicht?« Er lachte und tätschelte ihre Hand. »Das hast du gut gemacht, Ellie. Vielleicht hast du es mit deiner Magie ein bisschen übertrieben, aber der Finger ist geheilt. Und welcher Mann hätte nicht gern ein wenig mehr Haare, wenn ihm die eigenen allmählich ausgehen?« Er steckte sich die Pfeife in den Mund, zündete ein neues Streichholz an, hielt es an den Pfeifenkopf und paffte, bis der Tabak rötlich zu glühen begann und duftende Rauchwölkchen um sein frisch gewachsenes Haupthaar schwebten … und um ein Gesicht, das von einem Moment auf den anderen um mindestens zehn Jahre jünger geworden war.

Ellysetta zwang sich zu einem Lächeln. »Beylah vo, Papa.« Sterblichen neue Jugend zu schenken, gehörte nicht zu den Dingen, die Marissya ihr beigebracht hatte – aber anscheinend hatten die Muster des entsprechenden magischen Gewebes sehr viel mit denen eines ganz normalen Heilungszaubers gemeinsam.

Ein fröhliches Juchzen erklang rechts von Ellysetta. Der Fey-Krieger Kiel vel Tomar, das lange, silberblonde Haar zu einem Zopf geflochten, rannte mit Ellysettas neunjähriger Schwester Lorelle auf den Schultern an ihr vorbei, dicht gefolgt von Kieran vel Solande, Marissyas Sohn. Lorelles Zwillingsschwester Lillis thronte auf Kierans Schultern und kickte ihm mit den Fersen in die Brust, als wäre er eines der elvianischen Ba’houda-Pferde, die die Wagen der Karawane zogen. Ihre kleinen Finger krallten sich in seinen Schopf dichter, kastanienbrauner Haare.

Lillis und Lorelle trugen Miniaturversionen von Marissyas und Ellysettas Reisekostümen aus braunem Leder, die Kieran auf ihr stürmisches Drängen für sie hatte weben müssen. Kieran und Kiel gaben ihr Bestes, um die Kinder von ihrem Kummer über den Tod ihrer Mutter abzulenken, indem sie jeden Tag der Reise zu einem Erlebnis machten. Die Zwillinge hatten die Idee begierig aufgegriffen und auch noch die kürzeste Rast genutzt, um auf Erkundungstour zu gehen – stets unter wachsamen Fey-Augen natürlich, aber so gut wie nie an sauberen, trockenen Orten. Die Schatzkisten, die ihr Papa vor Jahren für sie geschnitzt hatte, quollen jetzt vor Reiseandenken über: kleine Steine, Wildblumen, Schneckenhäuser, Federn, kurz: alles, was ihre Aufmerksamkeit erregte.

Kieran sah lächelnd in Ellysettas Richtung. Seine Schritte stockten, als sein Blick auf Sol Baristani fiel. Dann schaute er Ellysetta an, die heftig errötete. Die Fähigkeit einer Shei’dalin, die Jugend von Sterblichen zu erneuern, war ein Geheimnis, das die Fey seit Jahrtausenden hüteten, und sie hatte es gerade vor aller Augen preisgegeben.

Zum Glück zupfte Lillis an Kierans Haar, bevor er eine Bemerkung machen konnte, und hopste auf seinen Schultern auf und ab. »Schneller, Kieran!«, rief sie. »Die beiden schlagen uns noch!«

Mit einem letzten Blick und einem Kopfschütteln wandte Kieran sich ab und raste hinter Kiel und Lorelle den grasbewachsenen Hügel hinunter.

Ellysetta schaute ihnen nach. Die Anspannung, die im Lauf der Woche in ihrem Inneren immer stärker geworden war, schnürte ihr die Brust ab. Sie näherten sich dem Ende ihrer Reise. Noch ein Tag, höchstens zwei, und sie würde zurücklassen, was von ihrer geliebten Familie geblieben war, um ihrem Ehemann durch die geheimnisumwitterten Wandelnden Nebel zu folgen und vielleicht niemals zurückzukehren.

Sol klopfte ihr auf die Hand und deutete mit dem Kinn in die Richtung, in der die Zwillinge verschwunden waren. »Es tut gut, sie wieder lachen zu hören.«

»Ja«, stimmte sie zu. Die Zwillinge hatten in letzter Zeit nicht viel Grund zur Freude gehabt.

»Sie vermissen ihre Mutter«, sagte Sol. »Mir zuliebe versuchen sie, zu lachen und zu scherzen, aber ich höre jeden Abend, wie sie in ihre Kissen weinen und darum bitten, dass sie zurückkommt.«

Ellysettas eigener Kummer wurde schlagartig wach. Ihr Gesicht verdüsterte sich, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich vermisse sie auch, Papa.« So streng ihre Mama manchmal auch gewesen war, Ellysetta hatte niemals an ihrer Liebe gezweifelt – und diese Liebe nie anders als von ganzem Herzen erwidert.

»Ach, Ellie.« Sol legte einen Arm um die Schultern seiner Tochter und zog sie an sich. »Mein Liebes. Wir vermissen sie alle.«

Sie schmiegte ihr Gesicht an seinen Hals, wie sie es früher so oft getan hatte, und weinte. Und ihr Vater hielt sie im Arm, wie er sie stets im Arm gehalten hatte, klopfte ihr auf den Rücken und wiegte sie, als wäre sie noch das kleine Kind, das auf seinen Schoß geklettert war und bei ihm Trost gesucht hatte, wenn es von schlimmen Albträumen geplagt worden war.

Sie weinte, bis keine Tränen mehr kamen, rieb sich, so gut sie konnte, die Augen trocken und redete auf ihn ein, wie sie es in dieser einen Woche so viele Male getan hatte. »Wollt ihr nicht doch mit uns kommen, Papa? Rain wird dir und den Mädchen freies Geleit durch die Wandelnden Nebel gewähren. Ihr könntet dort leben, bei uns und in Sicherheit.«

Sol seufzte. »Wir sind nicht Fey wie du, Ellie. Unsere Heimat ist hier in Celieria. Die letzte Bitte, die deine Mutter an mich gerichtet hat, bevor sie …« Seine Stimme wurde rau, und er schluckte den Kloß herunter, der ihm in die Kehle gestiegen war. »In dem Brief, den sie mir schrieb, bevor sie an jenem Tag in die Kathedrale ging, bat sie mich, dafür zu sorgen, dass die Zwillinge in Celieria, unter ihresgleichen, aufwachsen, falls ihr etwas zustoßen sollte.«

»Papa, darum hat sie dich gebeten, als sie immer noch überzeugt war, ich wäre von einem Dämon besessen und die Fey wären schlecht. Am Ende hat sie ihren Fehler eingesehen. Glaubst du nicht, dass sie auch in diesem Punkt ihre Meinung geändert hätte?« Diese Frage hatten sie seit ihrem Aufbruch aus Celieria Stadt schon tausend Mal besprochen. »Meinst du nicht, es wäre ihr lieber, die Mädchen in Sicherheit zu wissen, egal, wo sie leben?«

»Es war ihr letzter Wunsch, Ellie. Pscht.« Er legte einen Finger auf ihre Lippen, um weitere Einwände im Keim zu ersticken. »Diese Pflicht ist mir so heilig, als hätte ich es ihr an ihrem Totenbett geschworen. Solange die Möglichkeit besteht, dass die Mädchen in Frieden unter Leuten unserer Art leben, bleiben wir hier. Du bist eine Fey, Ellysetta. Du gehörst in die Schwindenden Lande. Wir sind Sterbliche und gehören hierher.« In seinen Augen lag Trauer, aber auch unbeugsame Entschlossenheit.

Als Ellysetta diesen Blick sah, wusste sie, dass sie verloren hatte. Ihr Vater war der liebevollste Mann, den sie kannte, aber wenn jener stählerne Ausdruck in seine Augen trat, bedeutete das, dass er seine Entscheidung getroffen hatte und dabei bleiben würde. Sie biss sich auf die Lippen, starrte auf ihre Hände, die sie im Schoß verschränkt hatte, und nickte. Sie wagte nicht, ihn anzuschauen, weil sie Angst hatte, die frischen Tränen, die unter ihren Lidern brannten, würden sich in heftigen, hilflosen Schluchzern Bahn brechen.

Ellysetta hörte, wie ihr Vater erneut seufzte, und sah aus dem Augenwinkel, dass er sich zu ihr umwandte. Seine Hand, kräftig und gebräunt und voller Schwielen nach all den Jahren als Holzschnitzer, legte sich auf ihre. Liebe, so tief und unerschütterlich wie Liebe nur sein konnte, strömte bei seiner Berührung in sie hinein, zusammen mit Stolz und Dankbarkeit und Worten, die in ihrem Kopf klar wie eine Glocke erklangen.

»Ich liebe dich, mein Ellie-Kind. Kein Mann könnte seine Tochter mehr lieben, und kein Vater könnte stolzer sein, als ich es auf dich bin. Auch wenn ich tun werde, was ich kann, um die Wünsche deiner Mutter zu achten, werde ich die Sicherheit meiner Kinder nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Wenn es Ärger gibt, passieren die Mädchen und ich die Wandelnden Nebel. Das ist mein Versprechen an dich.«

Obwohl sie durch ihre Tränen alles verschwommen sah, hob sie ihren Blick zu seinem und sah die Aufrichtigkeit, die sie durch die Berührung seiner Haut spürte. Es war mehr, als sie erwartet hatte. Sein Versprechen war ein Gelöbnis, das er als ebenso bindend betrachtete wie den Eid, den er seiner Frau geleistet hatte.

Als der Wagen seine Fahrt wieder aufnahm und die grasbewachsenen Hügel hinunter auf die fruchtbaren Ebenen des Garreval zurollte, betrachtete Sol die gewaltigen Berge und grünen Felder.

»Ein schöner Ort«, sagte er. »Ich glaube, deiner Mutter hätte es hier gefallen.«

Ellie legte ihren Kopf an seine Schulter. »Das glaube ich auch.«

»Die Schutzschilde sind aufgestellt. Der Durchgang durch den Garreval ist gesichert.« Belliard vel Jelani, Erster General der Schwindenden Lande, unterbrach die geistige Verbindung zu den Dutzenden Spähern der Fey, die in einem Radius von fünf Meilen um ihren Zielort ausschwärmten. Wie schon die ganze vergangene Woche hatten die Krieger den Weg der Karawane von Sterblichen frei gehalten und Schilde errichtet, um neugierige Einheimische ebenso wie Spione aus Eld von ihrer Spur abzulenken.

Noch vor gut drei Wochen hatten Celierianer mit ihren Familien die Straßen und Wege vom Garreval nach Celieria Stadt gesäumt, um die unsterblichen Fey auf ihrem alljährlichen Zug zur Landeshauptstadt zu beobachten. Diesmal würde kein einziger Sterblicher die Fey auf ihrem Marsch sehen oder sich daran erinnern.

Bel wandte sich zu Rain um, der mit gerunzelter Stirn in Richtung der Fey-Karawane starrte. »Rain? Ist etwas nicht in Ordnung?« Bels Hand bewegte sich instinktiv zu seinen Waffen, sodass seine Finger über den Griffen seiner Wurfmesser schwebten.

»Nei.« Mit unübersehbarer Überwindung wandte Rain seine Aufmerksamkeit seinem Freund zu. »Oder doch, aber nichts anderes als das, was uns belastet, seit wir Celieria Stadt verlassen haben. Sie weint wieder um ihre Mutter.«

Bel, der den Schmerz in Rains lavendelblauen Augen nicht sehen wollte, starrte auf seine Hände. Trotz all seiner Macht – die selbst nach den Maßstäben der Fey beeindruckend war – konnte Rain nichts gegen den Kummer im Herzen seiner geliebten Ellysetta tun. Sicher, er hätte sie in eine rosige Wolke vermeintlichen Glücks einspinnen oder einen der anderen Fey bitten können, ihr ihre Erinnerungen zu nehmen, aber das war nicht die Art der Fey. Rain waren ebenso durch seine Ehre wie durch seine Liebe die Hände gebunden, und er konnte nur das machen, was Fey-Männer seit Jahrhunderten taten – seiner Gefährtin zur Seite stehen und ihr mit seiner Liebe so gut als möglich Trost schenken.

»Du solltest zu ihr gehen«, meinte Bel.

Rain seufzte und schüttelte den Kopf. »Nei, im Moment braucht sie ihn mehr als mich – jemanden, der ihre Mutter genauso innig geliebt hat wie sie selbst.«

Bel kannte Rain lange genug, um aus seinen Worten herauszuhören, was ungesagt blieb. »Alles, was Lauriana Baristani tat, hat sie aus Liebe getan«, erinnerte er Rain sanft. »Und am Ende gab sie ihr Leben, um ihr Kind zu retten.«

»Das ist mir bewusst«, erwiderte Rain, »aber ich kann nicht eine Zuneigung vortäuschen, die ich nie empfunden habe.«

Bel stieß mit der Spitze seines schwarzen Lederstiefels einen großen, grasbewachsenen Erdklumpen weg. Lauriana war von Anfang an dagegen gewesen, dass Ellysetta den König der Fey heiratete, und sie hatte aus ihrer Meinung keinen Hehl gemacht, auch nicht Rain gegenüber. »Vielleicht«, sagte er schließlich, »braucht Ellysetta es nicht, dass du eine Liebe heuchelst, die du nicht empfunden hast. Vielleicht reicht es einfach, wenn sie weiß, dass du da bist und sie liebst.«

»Das weiß sie.« Rain ließ seinen Blick über das Tal wandern, das unter ihnen lag. »In den letzten vier Tagen hat es keine ungewöhnlichen Vorfälle gegeben, und niemand folgt uns, seit wir Celieria Stadt verlassen haben. Ich weiß nicht recht, ob ich erleichtert oder beunruhigt sein soll. Die Eld, die ich kannte, hätten uns nicht so leicht davonkommen lassen.«

Bel ging auf den Themenwechsel ein. »Vielleicht funktionieren unsere Ablenkungsmanöver.« Eine andere Gruppe von Fey war nach Norden aufgebrochen, in Richtung Orest. Sie führten einen durch magische Schilde abgeschirmten Wagen mit sich, um die Eld glauben zu machen, Ellysetta und ihre Familie wären bei ihnen.

»Hoffen wir es«, sagte Rain mit unbewegter Miene. »Aber wir sollten auf alles vorbereitet sein – und zwar nicht nur seitens der Magier. Wenn die Dahl’reisen erfahren, dass Ellysetta Seelen erneuern kann …«

Bel erschauerte. »Du glaubst doch nicht, dass Gaelen …« Er brach ungläubig ab, um gleich darauf einzuwenden: »Er ist Ellysettas Lu’tan.« Nachdem Ellysetta ihm seine Seele zurückgegeben hatte, hatte Gaelen mit seinem Blut geschworen, ihr zu dienen, und gelobt, sie sein Leben lang und über den Tod hinaus zu beschützen. Kein Lu’tan würde diesen Eid je brechen. »Gaelen ist wieder ein Fey. Seine Ehre ist wiederhergestellt worden. Vergiss nicht, dass Ellysetta ohne ihn bereits in den Händen der Magier wäre.«

Rains Kiefermuskeln spannten sich an. »Das habe ich nicht vergessen. Aber genauso wenig vergesse ich, dass ein einziger Blick auf sein unversehrtes Gesicht ausreicht, um seine Dahl’reisen-Freunde die Wahrheit erkennen zu lassen.« Von allen Fey trugen nur Dahl’reisen Narben davon, und auch das nur, wenn sie jene Tötung begingen, die ihre unsterblichen Seelen ins Dunkel stürzte. Als Ellysetta Gaelens Seele erneuert hatte, hatte sie seine Dahl’reisen-Narbe ausgelöscht. »Wie sehr du Gaelen auch als Beschützer vertrauen magst, du darfst in deiner Wachsamkeit nicht nachlassen. Man kann den Dahl’reisen nicht trauen, und sie könnten versuchen, Gaelens lange Bekanntschaft mit ihnen zu ihrem Vorteil auszunutzen.«

Rains Miene verdüsterte sich, und Bel spürte das kurze, schnell unterdrückte Anschwellen von Macht, die Reaktion auf unerfreuliche Gedanken – welche es auch sein mochten –, die Rain durch den Kopf gingen.

»Ich denke, ich kehre doch zu Ellysetta zurück«, sagte Rain.

Er trat zurück, und der flüchtige Funken Macht wurde zu einer gewaltigen Woge, als er die Verwandlung beschwor. Glitzernde graue Nebelschwaden hüllten Rain ein, und als sie sich zerstreuten, kauerte an seiner Stelle ein tiefschwarzer Tairen. Die mächtige geflügelte Katze richtete ein großes, schimmerndes Auge auf Bel, und in seinem Inneren erklang in den volltönenden, melodischen Klängen der Tairen eine dröhnende Stimme.

»Nach Teleon, Bruder, und morgen nach Hause.«

Ellysetta stieg gerade aus dem Wagen, um die letzte Meile über die grünenden Felder des Garreval zu Fuß zu gehen, als zwanzig Fey-Krieger an die Spitze des Zugs stürmten, um ihren Zielort zu sichern, den Außenposten, der auf dem Fundament der Ruinen der einstmals gewaltigen Festung Teleon stand. Lillis und Lorelle gingen rechts und links von ihr und klammerten sich mit ihren kleinen Händen an ihr fest.

Sie würde Rain für die Zeit mit ihrer Familie, die er ihr geschenkt hatte, immer dankbar sein. Er hätte sie in seiner Gestalt als Tairen direkt in die Schwindenden Lande bringen können, hatte es aber nicht getan. Da er wusste, wie sehr sie an ihrer Familie hing, hatte er alles für eine gemeinsame Reise arrangiert. Die elvianischen Ba’houda-Pferde, die auf Ausdauer und Geschwindigkeit gezüchtet wurden, waren viel schneller als die Reittiere der Sterblichen, doch als geflügelter Tairen und mit seinen magischen Kräften hätte Rain die tausend Meilen quer durch Celieria an einem einzigen Tag zurücklegen können.

Obwohl er immer noch jeden Morgen kleine Brautgaben auf ihrem Kopfkissen zurückließ, war diese zusätzliche Zeit mit ihrer Familie sein wahres Geschenk an sie, und sie bemühte sich, sich jede kostbare Erinnerung gut einzuprägen. Wie auch diese hier: die Mädchen, die an ihrer Seite durch das hohe Gras liefen, mit ihren braunen Locken, die bei jedem ihrer Schritte auf und ab hüpften. Die leichte Brise, die wehte, erfüllt vom Duft des Nebels, der von den Bergen kam, und dem Geruch nach warmem Gras, das im Wind wogte. Ellysetta drückte die kleinen Hände der Zwillinge und betrachtete die Grübchen, die sich in ihren Wangen zeigten, als sie vor Freude lachten.

Bei den Göttern, sie liebte sie so sehr! Wenn den beiden ihretwegen jemals etwas zustoßen sollte …

»Keine trüben Gedanken, Shei’tani.« Die Ermahnung glitt auf einem mittlerweile vertrauten geistigen Pfad in ihr Inneres.

Ellysetta blickte zu der großen, geflügelten schwarzen Katze auf, die über den Kamm eines nahe gelegenen Hügels flog und rasch näher kam. »So trübe sind sie gar nicht«, erwiderte sie. »Nicht schwarz, nur ein bisschen grau.«

Sie konnte es ihm nicht verdenken, dass er das Schlimmste vermutete. Seit ihrer Abreise aus Celieria Stadt hatte sie keinen inneren Frieden gefunden. Der Großmeister der Magier mochte nicht wissen, wo sich Ellysetta Baristani befand, aber trotz Rains Anwesenheit und der fünfundzwanzigfachen Schutzschilde, die die Fey jeden Abend um das Lager errichteten, hatte er es mehr als einmal geschafft, zu ihrer Seele vorzudringen, wenn sie träumte. Es war ihm nicht gelungen, sie mit einem weiteren Magier-Zeichen zu versehen, doch jedes Mal, wenn er sie fand, fuhr sie mit der rasenden Mordlust des Tairen, der auf Tod und Rache sinnt, aus dem Schlaf.

Infolgedessen hatte sie die meisten Nächte hellwach verbracht und war mit Rain über den mondhellen Himmel geflogen.

»Ich habe nur daran gedacht, wie sehr ich meine Schwestern vermissen werde, wenn wir fort sind. Und ich kann nicht aufhören, mir Sorgen um ihre Sicherheit zu machen.«

»Kieran und Kiel werden nicht zulassen, dass ihnen auch nur das Geringste zustößt.« Die beiden Fey und zweihundert ihrer Landsleute würden auf Lord Teleos’ Familiensitz in der Nähe des Garreval bleiben, um über Ellysettas Familie zu wachen.

Rain stieß in rasantem Sturzflug von der Anhöhe hinunter und vollzog mitten im Flug die Verwandlung, sodass er im Laufschritt in seiner schlanken, in schwarzes Leder gekleideten Fey-Gestalt landete. Einige wenige schnelle Schritte, und er war bei ihr.

Allein bei seinem Anblick und der Glut in seinen lavendelblauen Augen stockte Ellysetta der Atem. Alle Fey waren fantastische Erscheinungen, aber der legendäre Rain Tairen Soul überstrahlte sie alle. Er war ein unsterblicher König, dessen unverhüllte Fey-Schönheit die Sinne betörte, mit einem Gesicht von atemberaubend männlicher Vollkommenheit. Nur die kräftigen Knochen, die sich unter der Haut abzeichneten, und die Aura einer tödlichen Bedrohung, die ihn umgab, bewahrten es davor, allzu hübsch zu sein.

Er war ein Tairen Soul, der Stärkste und Einzigartigste aller Fey, ein Meister sämtlicher fünf Bereiche der Fey-Magie, und imstande, die Verwandlung in den magischen, Feuer speienden Tairen der Schwindenden Lande zu vollziehen.

Er war ihr wahrer Gefährte, die zweite Hälfte ihrer Seele, und wenn Ellysetta endlich den Mut und das bedingungslose Vertrauen fand, die erforderlich waren, um die dunkelsten Seiten seines und ihres eigenen Wesens zu akzeptieren – rückhaltlos jeden Gedanken, jede Furcht, jede Scham und jede Bösartigkeit in ihrem Inneren preiszugeben –, würden sich ihre Seelen für alle Ewigkeit vereinen. Wenn sie das nicht schaffte, würde ihre unvollständige Bindung Rain in den Wahnsinn treiben und ihm letzten Endes den Tod bringen.

Doch trotz dieses Wissens strahlte Rains Liebe offen und unverhohlen aus seinen Augen, als er näher kam, und entfachte Ellysettas Sinne. Sie fing an zu zittern. »Shei’tan.« Bevor Ellysetta Gelegenheit hatte, sich zum Narren zu machen, warf sich Lillis mit einem entzückten Juchzen in Rains Arme und zerstörte den berauschenden Zauber, der ihre große Schwester in seinen Bann geschlagen hatte.

»Dürfen wir heute wieder mit dir fliegen, Rain?«, fragte Lillis, während Lorelle angesaust kam, Rains freie Hand packte und aufgeregt auf und ab hopste.

Ellie unterdrückte ein Lachen. Lillis und Lorelle hatten ihre Furcht vor Rain und seiner Macht völlig abgelegt. Er war ein Teil ihrer Familie geworden. Was unter anderem bedeutete, dass er ein hilfloses, männliches Wesen geworden war, das sie spielend um den Finger wickeln konnten.

Rain seinerseits hatte gelernt, sich in ihrer Gegenwart zu entspannen und zuzulassen, dass sie an die Sanftmut der Fey rührten, die auch in seinem Herzen wohnte. Obwohl er ein Mann war, der seine Feinde erbarmungslos ausmerzen konnte, lachte er jetzt zusammen mit den Zwillingen und strahlte wie ein Mann, der die Dunkelheit nie erlebt hatte.

»Erst einmal wollen wir euch sicher in eurem neuen Zuhause wissen, Ajinas. Dann nehme ich euch wieder mit auf einen Flug.«

Er musste noch lernen, Nein zu sagen.

»Hurra! Hurra!« Lorelle warf ihre Arme hoch und tanzte begeistert um ihn herum.

»Dürfen wir in unserem neuen Zuhause wieder ein Kätzchen haben?«, fragte Lillis und klapperte mit ihren Wimpern. »Wo wir doch Love zurücklassen mussten.«

Kieran hatte die Mädchen davon überzeugt, dass die kleine Katze namens Love – oder Liebchen, wie Lillis und Lorelle sie auch nannten – mit ihrer ausgeprägten Aversion gegen Magie zu bemitleiden wäre, wenn sie in den Schwindenden Landen oder so nahe bei dem starken Zauber der Wandelnden Nebel leben müsste. Widerwillig hatten sie zugestimmt, Love in Celieria Stadt zu lassen und der Obhut von Gaspare Fellows, Königin Annouras Zeremonienmeister, anzuvertrauen.

Rain lächelte. »Ein neues Kätzchen? Ich denke, das dürfte sich machen lassen. Vielleicht für jede von euch ein eigenes, hm?«

Lillis umarmte ihn stürmisch und sprang dann aus seinen Armen, um mit ihrer Zwillingsschwester zu Kiel und Kieran zu laufen und den beiden zu erzählen, dass sie wieder fliegen würden und Rain gesagt hätte, dass sie neue Kätzchen bekommen würden.

Ellie blickte ihnen kopfschüttelnd nach. »Irgendwann wirst du lernen müssen, was der Unterschied zwischen liebevoller Zuneigung und sklavischer Ergebenheit ist.«

Er hauchte einen Kuss auf die Innenfläche ihrer Hand. »Lass mich ihnen an Geschenken und Freiheiten geben, was ich vermag. Ihr Leben wird schon bald sehr eingeschränkt sein. Teleos!« Rain winkte Devron Teleos zu, dem celierianischen Adligen mit den Fey-Augen, der neben den wahren Gefährten Marissya und Dax v’En Solande stand und schweigend auf die Stelle starrte, wo sich das neue Zuhause der Familie Baristani befand. »Wie lange ist es her, seit Ihr am Garreval wart?«

Teleos verzog den Mund. »Ich achte darauf, jedes meiner Besitztümer mindestens einmal im Jahr aufzusuchen, doch wie Ihr seht, gibt es hier kaum etwas, das mich anlocken könnte.«

Unter ihnen, auf den unteren Ausläufern des Rhakis-Gebirges, erhoben sich auf dem Geröll silberblauer Steine die Ruinen einer ehemals großartigen Festungsanlage: Teleon, der einstige Stammsitz des Hauses Teleos. Nach tausend Jahren lag seine einstmals weithin gerühmte Schönheit noch immer vergessen und unter Trümmern begraben. Die von Fey erschaffenen Türme und Zinnen waren eingestürzt, ihre Überreste von Flechten, Moosen und dichten Grasbüscheln überwuchert. Ein kleiner Außenposten, ein aus Steinen und unverkennbar von Menschenhand errichtetes Gebäude, stand am Fuß der Berge auf einer leichten Anhöhe, nicht weit von den Überresten dessen, was früher einmal das prachtvolle Tor in die ummauerte Stadtfestung gewesen war. Rauch stieg in der Mitte des Dachs aus einem Abzug.

Ellysetta versuchte, sich ihre Bestürzung nicht anmerken zu lassen. Das war das neue Heim ihrer Familie?

Als könne er ihre Gedanken lesen, sagte Lord Teleos: »Ich komme mir wie ein äußerst schäbiger Gastgeber vor, wenn ich meinen Gästen eine derart primitive Unterkunft anbiete.« Der celierianische Lord, Nachfahre von Rains seit Langem verstorbenem Freund Shanis Teleos, betrachtete grimmig die Überreste seines einst so prächtigen Landsitzes. »Rain, seid Ihr sicher, dass die Familie der Feyreisa auf einer meiner komfortableren Besitzungen nicht besser untergebracht wäre?«

Rain lächelte und schüttelte den Kopf, sodass sein glattes, schwarzes Haar wie Seide über seine Schultern strich. »Nei, für unsere Zwecke ist es wie geschaffen.«

»Das hier war einmal ein Ort großer Schönheit«, sagte Lord Teleos traurig. In der Zeit vor der Entstehung der Nebelwände war seine Familie eng mit den Fey befreundet gewesen, und die zahlreichen Fey-Ahnen in seinem Stammbaum hatten Devron und all seinen Vorfahren Fey-Augen, schimmernde Haut und eine Lebensspanne beschert, die weit länger als die normaler Menschen war. Teleon, früher einmal ein Besitz von unvergleichlicher Pracht, war ein Geschenk der Fey an ihre Freunde und Verwandten im Haus Teleos gewesen.

»Aiyah, das war es«, bestätigte Marissya. »Ich erinnere mich an die Terrassengärten und die vielen Springbrunnen. Es erinnerte mich an Dharsa.«

Lord Teleos betrachtete die Ruinen seines Familiensitzes aus düsteren Augen. »Ich habe mir immer gewünscht, meine Vorfahren hätten es wieder errichtet, nachdem das Gift aus den Kriegen weggespült war, aber vielleicht ist es besser, dass sie es nie versucht haben. Sterbliche Hände hätten dem Teleon von früher nie gerecht werden können.« Er seufzte. »Manche Dinge, die verloren gingen, bleiben lieber vergangen.«

Rain gab einen Laut von sich, der etwas zwischen einem Grollen und einem Lachen war. »Und manche Dinge verdienen es, wieder aufzuerstehen.« Kleine Lachfältchen bildeten sich um seine Augenwinkel. »Ihr habt gesagt, wir könnten es bewohnbar machen, Devron.«

Teleos’ Augenbrauen zogen sich zusammen. »Teleon wiederherstellen, meint Ihr?«

»Aiyah te nei.« Ja und nein. Und nach dieser geheimnisvollen Antwort lächelte Rain und fuhr fort: »Kommt. Ich glaube, Ihr werdet feststellen, dass Ihr doch kein so schäbiger Gastgeber seid.«

Marissya, Dax, Teleos und Ellysetta, die vor Neugier fast platzten, folgten Rain, als er die letzte halbe Meile zum Fuß der Berge voranging.

In der Nähe des Tors, das in den kleinen Vorposten führte, standen zwei Dutzend celierianische Soldaten entlang der Außenmauer Spalier. Jeder von ihnen trug auf seinem Helm das Abbild eines springenden Tairen und einen scharlachrot gesäumten, weißen Waffenrock mit dem Wappen des Hauses Teleos – einem goldenen Tairen, der sich vor einer aufgehenden roten Sonne auf einem weißen Feld abhob. Wimpel in Weiß, Scharlachrot und Gold flatterten im Wind.

Sie schritten durch das offene Tor, aber als Lord Teleos den Weg zum Hauptgebäude einschlagen wollte, hielt Rain ihn zurück. »Nei, Dev, nicht in diese Richtung.«

Bel kam herbeigelaufen, als die kleine Gruppe gerade um die Ecke des Hauptgebäudes bog und auf die rückwärtige Mauer zuging. Als Ellysetta sich umdrehte, um ihn zu begrüßen, stellte sie fest, dass Bel stirnrunzelnd den Berg betrachtete, der hinter der steinernen Einfriedung des Vorpostens in die Höhe ragte. Der schimmernde Glanz der Nebelwände war sehr hell, fast wie ein Schatten, der nicht aus Dunkelheit, sondern aus Licht bestand. Obwohl menschliche Augen es nicht erkennen würden, war die ganze Bergwand mit schillernden, wogenden Strängen eines magischen Gewebes überzogen.

Rain warf einen Blick über seine Schulter und lächelte, als er Bels verdutzte Miene sah. Die rückwärtige Steinmauer des Vorpostens lag vor ihm. Rain machte noch einen Schritt nach vorn. Die Luft um ihn herum kräuselte sich wie Wasser in einem Becken.

Mit einem weiteren Schritt trat Rain durch die Mauer und verschwand aus dem Blickfeld.

»Bei den Flammen des Lichts!«, entfuhr es Devron. Nach einem kurzen Blick auf Marissya und Dax lief er hinter Rain her, indem er sich kopfüber in etwas stürzte, das massiver Stein zu sein schien. Wieder flimmerte die Luft, dann war auch Lord Teleos verschwunden.

»Ein Trugbild aus dem Element Geist«, stellte Kiel fest, während er seinen Blick über die Bergwand wandern ließ. Von Rain oder Lord Teleos war nichts zu sehen, nur die rückwärtige Mauer des Vorpostens und dahinter die eingestürzten Überbleibsel von Teleon, hohe, dichte Grasbüschel und kleine Gruppen knorriger Bäume, die im Wind hin und her schwankten.

»Ziemlich clever«, bemerkte Bel. »Sie nutzen den magischen Schatten, den die Nebel werfen, um das Energiefeld des Gewebes zu verbergen. Nicht einmal ein Meister unter den Geistbändigern würde es sehen, bis er fast mit der Nase daran stößt.«

»Na?«, sagte Kieran mit einem breiten Grinsen und hielt Lillis seine Hand hin. »Worauf warten wir noch? Mal sehen, was sich dahinter versteckt.«

Mit einem fröhlichen Lachen legte sie ihre Hand in seine und lief mit ihm den Trampelpfad hinauf. Lorelle packte Kiel an der Hand und riss ihn mit sich, als sie den beiden dicht auf den Fersen folgte.

Ellysetta, Bel und Sol kamen als Nächste. Als sie durch den wogenden magischen Vorhang traten und ihr Blick auf die Szenerie dahinter fiel, blieb Ellysetta vor Staunen der Mund offen stehen.

»Der Herr des Lichts steh mir bei«, flüsterte Sol Baristani und betrachtete ehrfürchtig die strahlende Pracht, die sich seinem Auge bot. »So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen.«

»Es ist wie ein Zauberschloss aus einem Fey-Märchen«, hauchte Ellie.

Sie standen in dem offenen Torbogen einer Bergfestung von ungeheuren Ausmaßen und unvergleichlicher Schönheit. Silberblaue Steine stiegen hoch in den Himmel auf, ein faszinierendes Beispiel für das Geschick und die Baukunst der Fey. Mit Zinnen gekrönte Mauern schützten üppige, in anmutigen Terrassen angelegte Gärten mit Blumen und Bäumen, Springbrunnen und duftenden Sträuchern. An jedem Turm und entlang der Außenmauern, die direkt an der Bergwand verliefen und den oberen Teil der Anlage mit mehreren Schutzschilden und einer silbrig blauen Schönheit umgaben, flatterten Fahnen in den leuchtenden Farben des Hauses Teleos.

»Ellie! Papa! Kommt her, und schaut euch das an!« Lillis und Lorelle standen mitten in einem kleinen Park, der sich in den Bogen der zweiten Innenmauer schmiegte. Lachend tanzten sie unter den anmutig geneigten Ästen von Kirschbäumen, von denen blassrosa Blütenblätter herabrieselten. Kieran und Kiel standen in der Nähe und beobachteten die Kinder mit einem nachsichtigen Lächeln.

Lord Teleos stand wie vom Donner gerührt neben Rain, als Ellysetta und Sol den äußeren Burghof überquerten und sich zu den Zwillingen gesellten. »Ihr habt es getan«, sagte er. »Ihr habt Teleon in seiner alten Pracht wiederauferstehen lassen.«

»Nicht ganz«, gab Rain zu. Er riss seinen Blick von Ellysetta und den Mädchen los und wandte seine Aufmerksamkeit Devron Teleos zu. »Einige der Gärten und Gebäude auf der mittleren Ebene sind noch geistige Gewebe, aber die Mauern und Tore sind real … und ebenso wie das Herrenhaus auf der obersten Ebene gut zu verteidigen.«

»Trotzdem ist es eine unglaubliche Leistung. Wie habt Ihr das nur geschafft?«

»Auf den großen Kriegsfesten Chatok und Chakai hinter den Nebeln sind dreitausend Fey stationiert. Während unserer Reise durch Celieria sind sie hergekommen, um ein angemessenes Zuhause für die Familie der Feyreisa zu schaffen. Und um Teleon erneut für den Kampf zu rüsten.«

Lord Teleos drehte sich überrascht zu ihm um. »Ihr glaubt, dass die Eld hier zuschlagen werden? Obwohl die Wandelnden Nebel jede Hoffnung auf ein Eindringen in die Schwindenden Lande zunichtemachen?«

Rain schaute über den gepflasterten Hof auf den unteren Garten, wo Ellysetta, Sol und die Zwillinge gerade einen Springbrunnen mit Statuen tanzender Mädchen betrachteten, von deren schlanken Fingerspitzen klares Wasser wie ein Schleier in ein kleines Becken hinabfiel.

Sein Gesichtsausdruck wurde hart. »Wenn die Eld kommen«, sagte er, »dann nicht, um sich Zugang durch die Wandelnden Nebel zu verschaffen.«

Kapitel 2

Im Leid erstarrt die blutgetränkte Erde,aus Felsen bitt’re Tränen fließen.In Feldern, die einst grün, ruht unterstillem See aus Glas der Liebe Grab,umlodert von des Tairen Flammen,umdunkelt von der Träume Tod.Dort kämpfen noch die Schattender großen Könige von einst,dort tanzen leise holde Maidenzum Lied der Liebe, die hier starb.

Sariels Klageliedvon Avian aus Celieria

Ellysetta stand auf dem Altan eines luxuriös ausgestatteten Schlafzimmers im oberen Stockwerk eines von Teleons mächtigen Türmen und starrte zu den Wandelnden Nebeln hinaus. Vor einigen Stunden hatte die untergehende Sonne die Nebelschleier in flammendes Rot getaucht, sodass es schien, als senke sich ein feuriger Vorhang über die Welt. Jetzt war es Nacht geworden, und die Nebel bildeten vor dem Dunkel eines nahezu mondlosen Himmels eine wogende, in allen Farben des Regenbogens schillernde Wand.

Hinter ihr erklang das Klappern von Stiefeln auf Stein, und sie warf einen Blick über die Schulter. Immer noch in seiner schwarzen Ledermontur und vollbewaffnet, seine Fey-Haut hell und durchscheinend wie Perlen im Mondlicht, kam Rain näher. Er hatte sich mit Teleos, Bel, Kieran und Kiel zusammengesetzt, um über die Verteidigung von Teleon zu sprechen und sich ein Bild von der Stärke der Truppen auf Teleos’ übrigen Besitzungen zu machen.

Ein Krieg stand bevor. Sosehr sich manch einer auch scheute, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, es bestand kein Zweifel mehr daran. Sie konnten nur beten, dass ihnen Zeit genug blieb, um alle Vorbereitungen zu treffen, bevor es an Celierias Grenzen zum offenen Kampf kam.

Und obwohl es ein schrecklicher Wunsch zu sein schien, hatte Ellysetta insgeheim gebetet, dass die Eld ihren ersten Schlag an einem weit entfernten Teil Celierias wie Orest oder Celieria Stadt führten und den Fey genügend Zeit blieb, um Lillis, Lorelle und ihren Vater aus dem Land zu schaffen und hinter den Wandelnden Nebeln in Sicherheit zu bringen.

Jetzt schien ihr diese heimliche Bitte unbedacht. Die Hexen des Nordens – von denen es in Hartslea, der Heimatstadt ihrer Kindheit, trotz der starken Präsenz der Kirche eine ganze Menge gegeben hatte – glaubten, dass ein Wunsch, der anderen Schaden zufügte, demjenigen, der ihn aussprach, dreifaches Unheil bringen würde. War die Hoffnung, die erste Schlacht in diesem Krieg möge woanders stattfinden, das Gleiche, wie anderen Schlechtes zu wünschen? Bei dem Gedanken erschauerte Ellysetta.

»Ist dir kalt?«, fragte Rain. Seine Augen wurden schmal. »Oder sind deine wandernden Seelen zurückgekehrt?«

Ellysetta litt häufig unter unerklärlichen kalten Schauern, die ihr wie eisige Spinnen über den Rücken krochen. Diese Schauer – oder wandernden Seelen, wie Rain sie nannte – waren allerdings bedeutungslos im Vergleich zu den grauenhaften Albträumen und erschreckenden Anfällen, die sie ihr Leben lang gequält hatten und die Ellysetta selbst immer als unglückliche Veranlagung abgetan hatte. Rain jedoch hielt das eigenartige Auftreten dieser Schauer nicht für so harmlos wie Ellysetta.

»Nichts dergleichen«, beteuerte sie. »Nur ein sorgenvoller Gedanke wegen des Krieges.«

Seine Arme schlossen sich fester um sie. »Deine Familie ist in Sicherheit. Die Fey werden gut auf sie aufpassen.«

»Ich weiß.« Und das stimmte. Kieran und Kiel würden ihr Leben geben, um ihre Familie zu beschützen. Alle Fey, die auf Teleon blieben, würden das tun.

Rain strich mit seinem Daumen über ihre Unterlippe und neigte den Kopf, um der kleinen Liebkosung einen Kuss folgen zu lassen. »Ich habe heute Nacht noch etwas zu erledigen, ehe ich in die Schwindenden Lande zurückkehre. Ich hatte gehofft, du würdest mich begleiten, aber vielleicht möchtest du stattdessen lieber hierbleiben und versuchen, ein bisschen Schlaf zu finden.«

»Nein, es geht mir gut.« Sie nahm seine Hand. »Du weißt, dass ich nicht schlafen kann, wenn du nicht bei mir bist.« Er war ihr Talisman gegen den Zugriff des Magiers von Eld auf ihre Träume, und sie fürchtete sich davor, einzuschlafen, ohne dass Rain an ihrer Seite lag, sie in seinen Armen hielt und vor den sehr realen Schrecken der Nacht beschützte.

»Dann lass uns gehen – und nimm deinen Umhang mit!«

Kurz darauf schwebten sie hoch über Teleon am nächtlichen Himmel. Ellysetta breitete ihre Arme aus und wandte ihr Gesicht zu den Sternen empor. Rain schuf mit dem Element Feuer ein leichtes Gewebe, um sie zu wärmen und vor der kühlen, dünnen Luft, die an ihnen vorbeiwehte, zu schützen.

»Festhalten!« Der knappe Befehl war die einzige Warnung, die sie erhielt, bevor Rain seine Tairen-Ohren flach an den Kopf legte, einen heißen Feuerstrahl ausspie, der die Nacht erhellte, dann seine gewaltigen Flügel an seinen Körper presste und im Sturzflug nach unten schoss.

Ellysetta jauchzte vor Freude und klammerte sich an den hohen, geschwungenen Sattelknauf, als sie das ebenso beunruhigende wie berauschende Gefühl völliger Schwerelosigkeit befiel. Zusammen stürzten sie und Rain nach unten und kamen dem Boden, der viele Meilen unter ihnen lag, immer näher. Der mondhelle Himmel wurde silbrig weiß, und feine Wassertröpfchen benetzten Ellysettas Gesicht, als sie in eine Wolkenbank tauchten. Sie fing die würzig-frische Kühle der Wolke mit ihrer Zungenspitze auf und kostete die stärkende Süße.

Ein, zwei Herzschläge später brachen sie durch die Wolkendecke und fanden sich in der frischen, klaren Dunkelheit der Nacht wieder.

Tairen-Schwingen breiteten sich aus und strafften sich, und der wilde, tollkühne Sturzflug wurde zu einem atemberaubenden Aufstieg. Wieder stieß Ellysetta einen Schrei aus, einen atemlosen, keuchenden Laut, und packte den Sattelknauf. »Rain! Ich glaube, ich habe irgendwo auf dem Weg meinen Magen verloren.«

Der mittlerweile vertraute kehlige Klang eines Tairen-Lachens mischte sich in das Rauschen des Windes in ihren Ohren. »Halt dich lieber wieder fest. Das hier ist sogar noch besser.«

Magische Stränge schlangen sich um sie, um sie gut festzuhalten, während Rain mit einem Schub durch Magie erzeugter Energie dahinjagte. Die Welt flirrte an ihnen vorbei, bis Rain sie mit einem leichten Verlagern der Flügel in einer Spirale nach unten trudeln ließ. Die schattenhafte Erde und der mondhelle Himmel wirbelten vor Ellysettas benommenen Augen wie in einem Kaleidoskop vorbei.

Eine andere Frau hätte vielleicht vor Angst geschrien und ihn angefleht, sofort aufzuhören, aber Ellysetta warf nur den Kopf zurück und lachte vor Glück. Das Gefühl unbegrenzter Freiheit strömte wie eine starke Droge durch ihre Adern.

Sie würde vom Fliegen nie genug bekommen. Die grenzenlose Freude an tanzenden, leise wispernden Winden, der Kitzel, durch dunstige Wolken zu tauchen und so hoch aufzusteigen, dass sie mit ihren Fingerspitzen beinahe Sternenstaub berühren konnte … Fliegen war so unvorstellbar schön, dass es all ihre Ängste und Sorgen vertrieb. Na ja, korrigierte sie insgeheim, fast alle.

»Rain, glaubst du wirklich, dass ich in Fey’Bahren einfach in die Nisthöhle gehen und mit meinen magischen Fähigkeiten die Jungen der Tairen von ihrem Leiden, was es auch sein mag, heilen kann?« Das nämlich war der Grund, warum Rain nach Celieria gekommen war und nach ihr gesucht hatte. Ohne dass die Außenwelt etwas davon ahnte, hatte eine geheimnisvolle Krankheit seit Jahrhunderten Tairen-Jungen, die noch nicht aus dem Ei geschlüpft waren, getötet und ihre Zahl dezimiert, bis nur noch ein gutes Dutzend der großen Katzen am Leben war. Das Auge der Wahrheit hatte Rain nach Celieria geschickt, um dort den Schlüssel für ihre Rettung zu finden.

Sie, Ellysetta Baristani, war dieser Schlüssel. Auch wenn keiner von ihnen tatsächlich wusste, wie sie dieses Wunder bewerkstelligen sollte.

»Ich weiß, dass es sich nicht nach einem großartigen Plan anhört«, gab er zu, »aber die Tairen haben noch nie eine unserer Heilerinnen in die Höhle gelassen – nicht einmal Marissya. Du jedoch bist sowohl eine Tairen Soul als auch meine wahre Gefährtin. Du wirst in der Lage sein, die Höhle zu betreten und die Jungen zu behandeln – etwas, das noch keine andere Shei’dalin je vermocht hat.«

»Das setzt voraus, dass ich weiß, welchen Zauber ich gebrauchen muss, wenn ich dort bin – und wie ich es anstellen soll.«

»Aus diesem Grund wird Marissya uns nach Fey’Bahren begleiten – um deine Ausbildung fortzusetzen und dich bei der Heilung der Tairen zu beraten. Aber vielleicht wirst du ihre Hilfe gar nicht brauchen. Ich habe gehört, dass du Ravels neuen Feuerbändiger heute Nachmittag, als ich mit deinen Schwestern fliegen war, mühelos geheilt hast.«

Sie lachte kurz auf. »O ja, geheilt habe ich ihn allerdings. Ich habe diese Wunde verschwinden lassen, als wäre sie nie da gewesen.«

»Siehst du, du …«