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Nur gemeinsam sind ihre Seelen vollständig und nur gemeinsam können sie überleben.
Ein grausamer Krieg wütet, und die bösen Magier von Eld stehen kurz vor ihrem größten Triumph. Rain Tairen Soul und Ellysetta sind verstoßen worden, weil sie schwarze Magie eingesetzt haben, um die Tairen zu retten. Dennoch schrecken die beiden nicht vor dem Kampf mit den bösen Magiern von Eld zurück. Doch aufgrund der Schrecken, die Rain in der Schlacht erleben musste, steht er kurz davor, dem Wahnsinn zu verfallen. Und auch Elly befürchtet, nicht gegen die wachsende Dunkelheit in ihrer Seele ankämpfen zu können. Das Einzige, das sie retten kann, ist die Vollendung ihres Seelenbundes.
»Brillant!« Christine Feehan
Die Tairen Soul Saga - fesselnde Romantasy von New York Times Bestsellerautorin C. L. Wilson:
Band 1: Im Bann des Elfenkönigs
Band 2: Herrin von Licht und Schatten
Band 3: Die finstere Macht der Tairen Soul
Band 4: Königin der Seelen
Band 5: Das betörende Lied des Elfenkönigs
Königin der Seelen erschien im Original unter dem Titel Queen of Song and Souls.
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Seitenzahl: 648
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Karte
Widmung
Danksagungen
Für meine Leser
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Anhang
Über die Autorin
Alle Titel der Autorin
Impressum
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Ein grausamer Krieg wütet, und die bösen Magier von Eld stehen kurz vor ihrem größten Triumph. Rain Tairen Soul und Ellysetta sind verstoßen worden, weil sie schwarze Magie eingesetzt haben, um die Tairen zu retten. Dennoch schrecken die beiden nicht vor dem Kampf mit den bösen Magiern von Eld zurück. Doch aufgrund der Schrecken, die Rain in der Schlacht erleben musste, steht er kurz davor, dem Wahnsinn zu verfallen. Und auch Elly befürchtet, nicht gegen die wachsende Dunkelheit in ihrer Seele ankämpfen zu können. Das Einzige, das sie retten kann, ist die Vollendung ihres Seelenbundes.
C. L. Wilson
KÖNIGINDER SEELEN
Aus dem amerikanischen Englisch vonBritta Evert
Für Alicia Condon
Danke für alles – für die Telefongespräche
am späten Abend,
die kreativen Sitzungen, die langen Stunden,
in denen du mir unermüdlich geholfen hast,
dieses Buch zu verbessern.
Und vor allem danke, dass es dich gibt.
Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.
Ve sha beilissa te eiri.
Wie immer ein großes Dankeschön an meine Freunde und Verwandten, die mir mit diesem Buch geholfen haben:
Karen Rose, Bettina Krahn, meine Schwester Lisette, Elissa Wilds, meine Mutter Lynda Richter und meine Tochter Ileah. Falls ich jemanden vergessen haben sollte, liegt es an meinem schlechten Gedächtnis, nicht an mangelnder Anerkennung!
Danke all den großartigen Lesern, die Gedichte für meinen Lyrikwettbewerb eingesandt haben. Besonderen Dank schulde ich den Verfassern der Gedichte, die in das vorliegende Buch aufgenommen wurden: Sigrid Robinson, Janet Reeves, Ishshka Rubert, Suhad Saleh, Bridget Clarke, Asia Bey und Jessica Julian. Danke, dass Sie dazu beigetragen haben, die Welt von Eloran mit Ihrem Talent so sehr zu bereichern.
Dank an Judy York, die das Cover entworfen und mit ihrer künstlerischen Begabung Eloran zum Leben erweckt hat. Judy, dieses Cover ist ein Knüller!
Zu guter Letzt möchte ich meinem Vater Ray Richter danken, dem Computer-Genie, der mir zuliebe über Nacht zum Website-Guru wurde!
Herzlichen Dank, dass Sie sich für dieses Buch entschieden haben. Und danke all jenen, die mir in den wahrlich anstrengendsten Jahren meines Lebens mit ihren wundervollen Briefen Mut gemacht haben. Ihre Unterstützung war mir eine große Hilfe.
Danke für Ihr Interesse an Rains und Ellies Geschichte. Wie Sie wissen, besteht die Tairen-Soul-Serie jetzt aus fünf Bänden, also halten Sie Ausschau nach dem fünften und letzten Band, der demnächst erscheinen wird.
Besuchen Sie meine Website, www.clwilson.com, um sich über meine Neuerscheinungen auf dem Laufenden zu halten, an meinen Online-Programmen teilzunehmen und nach verborgenen Schätzen und magischen Überraschungen zu suchen. Ich hoffe, Sie nehmen sich die Zeit, mehr über die Fey und die Schwindenden Lande wie auch über andere Geschichten der Fey und meine nächsten Romane zu erfahren.
Ich würde mich freuen, von Ihnen zu hören. Schicken Sie mir magische Grüße – oder, falls Sie den nicht magischen Weg vorziehen, einfach eine E-Mail an cheryl@wilson.com.
Celieria – der Garreval
Sie war erst neun Jahre alt, und sie würde sterben.
Lillis Baristani klammerte sich an ihren geliebten Freund, den Fey-Krieger und Erdbändiger Kieran vel Solande, und vergoss Tränen der Angst an seinem Hals.
Rings um sie herum herrschten Chaos und Grauen. Magie, Schwerter und Pfeile aus Sel'dor schwirrten durch die Luft. Die Erde färbte sich rot von Blut. An den Ausläufern des Rhakis-Gebirges stürmten Dutzende monströser wolfartiger Tiere, sogenannte Darrokken, knurrend und mit gefletschten Zähnen zu der kleinen Schar der Fliehenden hinauf, während die Herren der bösartigen Tiere eine magische blau-weiße Feuerkugel nach der anderen schleuderten, um jeden Fluchtweg abzuschneiden.
Was von dem Magier-Feuer berührt wurde, zerfiel sofort … löste sich nicht auf, sondern verschwand einfach spurlos. Ganze Teile des Berges waren von einem Moment auf den anderen wie weggeblasen. Der Boden unter Kierans Füßen bebte und schwankte.
»Kieran!«, schrie sein Freund Kiel und zeigte nach oben. »Der Berg!« Eine weitere Salve des magischen Feuers hatte den halben Gipfel über ihnen zerstört. Die verbliebenen Felsen und Steine brachen mit dumpfem Grollen in sich zusammen und rollten in einer Woge aus Erde, Stein und Holz auf sie zu.
»Halt dich gut fest, meine Kleine«, wisperte Kieran. Lillis schlang ihre Arme fester um seinen Hals und presste sich so eng an ihn, dass ihre kleine Katze Schneepfötchen protestierend miaute und in dem Tragetuch, das Lillis sich umgebunden hatte, zu zappeln anfing. Kieran hob beide Hände, und sie konnte das Prickeln spüren, das entstand, als seine magischen Kräfte beschworen wurden. Kleine Funken von grünem Licht tanzten über ihre Haut, und in ihrem Inneren erwachte Lillis' eigene Magie.
Sie kniff die Augen zu und drückte ihr Gesicht an Kierans Hals. Bitte, Herr des Lichts, hilf Kieran!, betete sie. Ich will nicht, dass er stirbt. Oder Papa, Lorelle, Kiel oder ich.
Sie spürte, wie Kierans Hals unter ihren Lippen vibrierte, als er einen trotzigen Schrei ausstieß und seine magischen Gewebe auswarf. Die Magie wich schlagartig von ihm – und auch von ihr. Bitte, ihr Götter, bitte, bitte!
So unglaublich es schien – oder vielleicht war es tatsächlich ein Wunder –, der rutschende Berg erstarrte. Lillis riskierte einen kurzen Blick, um sich zu überzeugen, dass sie nicht platt gedrückt werden würden wie ein Butterkuchen, und schloss die Augen rasch wieder.
»Fünffache Gewebe, meine Brüder!«, rief Kieran. »Haltet uns das verdammte Magierfeuer vom Leib!« Auf einmal gab er einen Schmerzenslaut von sich, und Lillis spürte, dass er taumelte. Sie hob den Kopf und zwang sich, trotz ihrer Angst vor dem wilden Kampf, der um sie herum tobte, die Augen aufzumachen.
Ein Pfeil hatte Kieran getroffen. Bei dem Anblick des hässlichen schwarzen Metallhakens, der sich in seinen Schenkel bohrte, drehte sich ihr der Magen um.
»Steig runter, Lillis«, hörte sie im Geist seine Stimme murmeln. »Lauf zu deinem Vater! Kiel und ich halten sie auf.«
»Aber was ist mit dir?« Es war das erste Mal, dass sie mit jemandem auf telepathischem Weg sprach. »Du kommst doch auch mit, oder?«
»Bald … sowie Kiel und ich uns um diesen eldischen Abschaum gekümmert haben.« Aus einem Gesicht, das zu schön war, um einem Sterblichen zu gehören, schaute er sie aus seinen sonst stets fröhlichen blauen Augen mit so unverwandtem Ernst an, dass sie wusste, was er nicht laut aussprechen mochte. Er wandte den Kopf, um ihr Gesicht zu küssen und dann die dünnen Ärmchen, die so fest um seinen Hals geschlungen waren, und obwohl er keinen Finger rührte, spürte sie den geistigen Zwang, der sie drängte, ihren Griff zu lockern. Sie bemühte sich, dagegen anzukämpfen, aber ihre kindlichen Muskeln waren Kierans magischen Kräften nicht gewachsen. Ihr Griff löste sich, und sie glitt auf den Boden. »Geh, mein Kleines! Schnell!« Ein leichter Schubs unsichtbarer Hände stieß sie in Papas Richtung.
»Meister Baristani«, rief Kieran ihrem Vater laut zu, »nehmt die Mädchen! Geht mit den Shei'dalins in die Wandelnden Nebel! Lauft!«
Schneepfötchen fest an ihre Brust gepresst, stolperte Lillis über den unebenen Boden auf die ausgestreckten Arme ihres Vaters und die kleine Schar rot gewandeter Heilerinnen zu. Noch bevor sie die anderen erreicht hatte, sah sie aus dem Augenwinkel etwas Dunkles vorbeihuschen, und ein widerwärtiger Gestank stieg ihr in die Nase. Als sie den Kopf wandte, stellte sie fest, dass ein Darrokken auf sie zustürmte. Seine roten Augen glühten wie die Flammen des Dunklen Herrschers, und von seinen gelblichen Fängen tropfte giftiger Speichel. Überall aus dem räudigen Rückenfell der abstoßenden Kreatur quoll stinkender grüner Schleim. Lillis fuhr herum und lief davon, aber sie blieb mit einem Fuß zwischen zwei Felsstücken stecken und fiel hin. Schneepfötchen immer noch an die Brust gedrückt, schlug sie hart auf dem Boden auf. Ihre Ellbogen und Knie knacksten laut, und sie biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sich ihr Mund mit dem scharfen, metallischen Geschmack von Blut füllte. Gleich darauf sprang sie auf, aber ein stechender Schmerz schoss von ihrem Knöchel durch ihr Schienbein. Mit einem Schrei fiel sie im selben Moment wieder hin, als sich der Darrokken auf sie stürzte.
Einer der Fey-Krieger war mit einem Satz bei ihr, während gleichzeitig Fey'cha-Dolche mit roten Griffen von seinen Händen flogen. Die scharfen Klingen bohrten sich durch die dicke, ledrige Haut des Monsters, und der Darrokken brach tot zusammen.
»Ich hab dich.« Der Krieger, der das Untier getötet hatte, langte nach ihrem Arm, aber noch bevor er Lillis zu fassen bekam, griff ihn ein weiteres der Monster an. Seine Fangzähne drangen tief in das Bein des Kriegers, und der Fey taumelte. Noch im Fallen rollte er sich herum und landete mit gezückten Klingen auf beiden Beinen. »Lauf, Kind!«, rief er.
Es waren die letzten Worte des Kriegers. Im selben Moment, als er seine roten Fey'cha knurrend in den verletzlichen Bauch des Tiers stieß, schlug der Darrokken seine scharfen gelben Fänge in die Kehle des Kriegers und riss sie auf. Blut ergoss sich wie ein warmer roter Sprühregen über Lillis' Gesicht. Fey und Tier starben zusammen, kämpfend, stechend und um sich schlagend, bis der letzte Atemzug aus ihren Körpern wich.
»Lillis! Steh auf! Lauf!«, rief Kiel. Seine blauen Augen waren voller Furcht, seine blonden Haare mit Blut und Schlamm bespritzt. Zwei schwarze Pfeile staken wie groteske Stachel in seiner Schulter. »Lauf zu den Nebeln! Lorelle, Meister Baristani – ihr auch, los!«
Eine der Shei'dalins löste sich von der Gruppe und rannte zu Lillis. Von ihren Händen floss ein rasch heilendes Gewebe wie eine goldene Woge und linderte die Schmerzen des Mädchens. Die Frau half Lillis auf die Beine, während eine zweite das andere Mädchen, Lorelle, an der Hand nahm und zu den wogenden, schillernden Nebelschleiern lief, die die Schwindenden Lande bewachten. Noch mehr Darrokken stürmten den Berg hinauf und brachen durch die kleine Gruppe. Lillis kreischte entsetzt auf, als die Untiere ein halbes Dutzend Fey zerfleischten und drei der Shei'dalins den Berg hinunterjagten, direkt in die Arme der wartenden Eld.
Als sie den Rand der Nebel erreichte, drehte Lillis sich um und warf einen Blick auf den Kampf, der weiter unten tobte. Die verbliebenen Krieger, die ihren Fluchtweg sicherten, fielen schnell den mörderischen Kiefern der Darrokken zum Opfer, während die Magier unablässig den Berghang mit ihrem verheerenden Feuer bombardierten. Eine Woge von Fey-Kriegern brach durch den nebelverhangenen Pass des Garreval und rannte mit silbrig schimmernden Klingen schnell wie der Wind zu den anderen, um ihnen zu helfen.
Schwarze Eld-Pfeile verdunkelten den Tag zur Nacht, und Hunderte Fey-Krieger wurden getroffen. Einer von ihnen war Kieran.
»Kieran!«, schrie Lillis, als sie ihn zu Boden stürzen sah. »Kieran!« Sie wollte zu ihm rennen, aber die Shei'dalin hielt sie fest.
»Nei«, sagte die verschleierte Frau. »Du kannst nicht zu ihm. Er würde es nicht wollen. Er stirbt, damit du leben kannst.«
Mit unerwarteter Kraft stieß die Shei'dalin Lillis auf die wogenden Lichter der Wandelnden Nebel zu. »Schnell in die Nebel! Es ist unsere einzige Chance.«
Lillis wehrte sich mit Händen und Füßen gegen den Griff der Frau. Tränen liefen über ihr Gesicht, und sie rief immer wieder Kierans Namen, während die Shei'dalin sie weiterzog. Sie waren erst wenige Schritte gegangen, als vom Berg ein dumpfes Dröhnen erklang, das zu einem ohrenbetäubenden Tosen anschwoll.
Kierans Erdzauber brach in sich zusammen, und die ganze Bergspitze stürzte ein. Felsbrocken, zersplitterte Bäume und eine Erdwoge donnerten ins Tal. Der Boden unter Lillis' Füßen bebte, und mit einem Klagelaut taumelte sie in die schimmernde weiße Leere der Wandelnden Nebel.
Das Letzte, was sie sah, war Kieran, der einen Schrei ausstieß, als der Erdrutsch ihn verschlang.
Schwindende Lande, Wandelnde Nebel,Krieger der Fey, Kämpfer des Lichts.Schwindende Lande, Wandelnde Nebel,gegen das Dunkel, das ewige Nichts.
Tairen Soul, hoch am Himmel sie schweben und singen,Tairen Soul, mit Donnergebrüll und mächtigen Schwingen.
Schwindende Lande, Wandelnde Nebel,Krieger der Fey, voll Zauber und Macht,Schwindende Lande, Wandelnde Nebel,führt uns ins Licht aus finsterer Nacht.
Celieria – Orest
Zwei Wochen später
Ellysetta Baristani tauchte ihre Hände in die offene Wunde, die in der Brust des sterbenden Jungen klaffte. Ihre Finger schlossen sich um sein Herz und massierten verzweifelt das stille Organ, während von ihrer Seele weißgoldene Magie in das Innere des Verletzten floss.
Das schwindende Licht seiner Lebenskraft schmeckte warm und herb auf ihrer Zunge, wie ein von der Sonne gereifter Pfirsich, der zu früh vom Baum gepflückt wurde. So jung, so unschuldig. Er konnte nicht älter als vierzehn sein. Zu jung für all das. Zu jung für den Krieg. Zu jung zum Sterben.
Wie ihre Schwestern Lillis und Lorelle, die während der Schlacht um Teleon in den Wandelnden Nebeln verloren gegangen waren.
»Bitte, Mylady. Rettet ihn! Rettet meinen Aartys. Er ist alles, was mir geblieben ist.« Die Mutter des sterbenden Knaben stand mit verschwollenen, geröteten Augen schluchzend neben dem Tisch und zerknitterte mit gesprungenen Händen den blutgetränkten Saum der Schürze, die sie sich umgebunden hatte. Ihre Verzweiflung und ihr fassungsloses Entsetzen trafen Ellysettas empathische Sinne wie ein Hammerschlag.
Nicht, dass einige Hammerschläge mehr in dem emotionalen Aufruhr, der rings um die scharlachroten Heilungszelte auf den von Regenbogen und Dunstschleiern verhangenen Plätzen von Orests Oberstadt wogte, noch etwas ausgemacht hätten. Wie immer, wenn in der Nähe eine Schlacht tobte, machte es allein die Zahl der verwundeten und sterbenden Krieger dem Dutzend rot gewandeter Shei'dalins unmöglich, allen Frieden zu schenken. Nicht einmal das Tosen der gewaltigen Wasserfälle von Kiyeras Schleier konnte die Schmerzensschreie und das Flehen um Gnade übertönen.
»Ich tue, was ich kann, Jonna«, gelobte Ellysetta. Sie hätte der Frau gern versprochen, ihren Sohn zu retten, aber die letzten Wochen hier im Kriegsgebiet von Celierias Nordgrenze hatten sie eines Besseren belehrt. Der Tod, früher einmal ein Fremder, war zu einem nur allzu vertrauten Bekannten geworden.
Ellysetta hob den Kopf und begegnete über den leblosen Körper des Jungen hinweg Jonnas Blick. Die weinende Sterbliche war eine der Herdhexen, die sich um die Verwundeten und Sterbenden kümmerten. Der Tod war ihr genauso vertraut, wie er es mittlerweile Ellysetta war, aber das hielt sie nicht davon ab, ihn mit aller Kraft zu bekämpfen – oder um eine Rettung zu flehen, von der sie wusste, dass sie die Fähigkeiten aller sterblichen Heiler und aller Shei'dalins bis auf eine überschritt.
Ellysetta biss sich auf die Lippe. Aartys sollte nicht hier auf ihrem Behandlungstisch liegen, und sie wurde das quälende Gefühl nicht los, dass es zum Teil ihre Schuld war. Wenn es sie nicht gäbe, wären die Fey vielleicht nie in diesen neuen Magier-Krieg gegen ihren Feind aus alter Zeit angetreten. Wenn Ellysetta nicht wäre, hätte ihr wahrer Gefährte Rainier vel'En Daris heute Morgen nicht sein goldenes Horn erschallen lassen, um seine Fey-Krieger und die sterblichen Männer von Orest in den Kampf zu führen. Und wenn der Ruf seines Horns nicht erklungen wäre, hätte Jonnas Sohn nicht nach dem Schwert seines toten Vaters gegriffen und sich den Männern von Orest und seinen Idolen angeschlossen, dem strahlenden Volk der Unsterblichen aus den Schwindenden Landen.
Doch all das war passiert. Und jetzt waren sie hier, ein schwer verwundetes Kind, das im Sterben lag, und seine Mutter, die weinend um sein Leben flehte, und nur Ellysetta mit ihren magischen Kräften konnte Aartys vielleicht den Klauen des Todes entreißen.
»Halt seine Hand, Jonna!«, befahl Ellysetta. »Gib ihm deine Kraft! Rufe nach ihm! Höre nicht auf, ehe ich es dir sage.« Und dann fügte sie hinzu, obwohl sie es nicht hätte tun sollen: »Wenn es nur irgend möglich ist, Aartys' Leben zu retten, werde ich es tun.«
»Oh, Mylady!« Jonnas Lippen bebten, und Tränen liefen aus ihren Augen. »Danke, Mylady. Danke!«
Sie wollte um den Tisch herumgehen, aber Ellysetta hielt sie auf. »Nimm seine Hand, Jonna!« Die Aufforderung klang schroffer als gewöhnlich. Sie wollte nicht, dass die Frau vor ihr niederkniete und ihren Rocksaum küsste, wie es andere Celierianerinnen getan hatten, wenn sie Ellysetta angefleht hatten, einen geliebten Angehörigen zu retten. Sie war keine Gottheit, die man anbetete.
»Teska, Jonna. Bitte«, fügte sie sanfter hinzu. »Halte die Hand deines Sohnes! Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.« Und weil das stimmte, unterlegte sie ihre Worte mit einem spinnwebfeinen Faden geistiger Magie, der Druck auf die andere ausübte.
Jonna nahm sofort die Hand ihres Sohnes.
»Und bete, meine Freundin«, sagte Ellysetta, wobei sie innerlich hinzufügte: Für uns alle.
Gebete an den Herrn des Lichts kamen überstürzt aus dem Mund der sterblichen Heilerin.
Ellysetta warf einen kurzen Blick zu dem hochgewachsenen, grimmigen Fey-Krieger, der an der Kante ihres Behandlungstisches stand.
Gaelen vel Serranis trat wortlos vor und legte eine Hand auf ihre Schulter. Knisternde Energie strömte durch ihre Adern, als der berüchtigtste ihrer fünf persönlichen Beschützer ihr seine ungeheure Macht überließ. Die Heilung, die sie vornehmen wollte, erforderte mehr als ihre eigenen unvorstellbaren magischen Kräfte, und obwohl eine Shei'dalin normalerweise auf ihren wahren Gefährten zurückgriff, wenn sie Unterstützung brauchte, war Rain nicht an ihrer Seite, sondern auf dem Schlachtfeld, wo der König der Fey hingehörte.
Ellysetta schloss die Augen, klammerte die Außenwelt aus und beschwor ihre Magie. Ihre Macht reagierte auf ihren Ruf mit einem strahlenden weißgoldenen Leuchten, das die Fey als die Liebe einer Shei'dalin bezeichneten, eine Gabe des Heilens, über die Ellysetta Baristani in einem Ausmaß gebot, wie die Welt es seit dem Anbrach des Ersten Zeitalters nicht mehr erlebt hatte.
Hinter ihren geschlossenen Lidern ersetzte das pulsierende Schwingen der Fey-Sichtweise ihre natürliche Sehkraft, und Dunkelheit rang mit den glühenden Fäden der Energie, aus der alles Leben erschaffen war. Ellysettas Bewusstsein floss in blendend hellen Bahnen an ihren Armen hinunter in Aartys' sterbenden Körper und sank immer tiefer in ihn ein. Schnell und zielstrebig folgte sie den Fäden ihres heilenden Gewebes und stieg in den Brunnen der Seelen hinab, der schwarzen Finsternis, die sich jenseits der realen Welt befand, Heimat von Dämonen und Ungeborenen und der Toten, die auf den Übergang in ihr nächstes Leben warteten.
Als Ellysetta in die unendliche Dunkelheit und Stille des Brunnens eintauchte, sah sie das verblassende Licht von Aartys' Seele. Wenn sein Licht erlosch, war er verloren. Fest entschlossen, das zu verhindern, folgte sie ihm wie ein schillernder Glanz, der die schattenhafte Welt des Brunnens mit den Strahlen einer weißgoldenen Sonne erhellte.
»Aartys.« In der Hoffnung, ihn das Leid seiner Mutter fühlen zu lassen und in ihm den starken Wunsch zu wecken, zu ihr zurückzukehren, beschwor Ellysetta das Element Geist, jenes magische Gebilde aus Gedanken und Visionen. »Kämpfe, Aartys. Kämpfe um dein Leben!« Der Tod war letzten Endes nicht anders, als würde man ertrinken. Sowie der erste Schrecken vorüber war, ergaben sich die Sterbenden dem Gefühl von Betäubung und ließen sich einfach fallen, um wie Schiffwracks auf den Meeresboden zu sinken. »Gib nicht auf! Halte dich an mein Licht. Lass dich von mir zu deiner Mutter zurückbringen. Sie braucht dich. Ohne dich ist sie verloren.«
Ihr Gewebe war stark und ihr Befehl ebenso wirkungsvoll wie ihre heilenden Kräfte, aber Aartys reagierte nicht.
So müde, wisperte sein erschöpfter Geist. Sagt meiner Mutter, dass ich … Seine Stimme verebbte, und das schwache Licht seiner Seele begann zu flackern.
»Aartys!« Ellysetta setzte ihm nach. Die Stränge ihres magischen Gewebes spannten sich fast zum Zerreißen an, als sie dem Jungen weiter in den Brunnen folgte, tiefer als sich je eine andere Heilerin vorgewagt hatte, tiefer als sie hätte gehen sollen, ohne bei Rain Halt zu haben.
»Nimm meine Magie, Kem'falla«, hörte sie Gaelens Stimme. »Nimm, was du brauchst, aber beeil dich. Du bist schon zu lange dort.«
»Ayiah.« Sie ergriff die Magie, die Gaelen ihr überließ – die düsteren magischen Stränge, in denen rötliche Funken schimmerten. Azrahn, die verbotene Seelenmagie.
Ellysetta beeilte sich, da sie Gaelen nicht in Gefahr bringen wollte, indem sie sein Gewebe länger als ein bis zwei Minuten benutzte. Obwohl Gaelen der Meinung war, dass es das Risiko, Azrahn zu beschwören, durchaus wert war, wenn es darum ging, Fey-Leben zu retten, wussten sie beide, wie gefährlich diese schwarze Magie war. Ellysetta vereinte die kühlen, dunklen Stränge seines Azrahn mit ihren Strömen reiner Shei'dalin-Energie und Liebe, indem sie die Fäden aus eisigem Schatten und warmem, heilendem Licht miteinander verflocht.
Das neue Gewebe, das jetzt nicht nur ihre, sondern auch Gaelens Kräfte enthielt, erlaubte ihr, noch sehr viel weiter in den Brunnen hinabzusteigen. Aber so tief sie auch vordrang, Aartys blieb außer Reichweite.
»Es reicht, Kem'falla«, sagte Gaelen. »Uns läuft die Zeit davon.«
»Nur noch ein kleines Stück weiter!«
»Nei. Du bist schon zu lange von deinem eigenen Selbst losgelöst. Wenn du den Jungen jetzt nicht retten kannst, musst du ihn loslassen. Dein Leben ist zu wichtig, um es grundlos aufs Spiel zu setzen.«
Zorn regte sich in ihrem Inneren. »Grundlos?«
»Du weißt, was ich meine.«
»Jedes Leben ist kostbar, Gaelen.« Sie hatte zu viele Sterbende in den Armen gehalten, zu viele verzweifelte Angehörige getröstet, hatte mit ansehen müssen, wie ihre eigene Mutter von den Eld enthauptet worden war. Sie konnte den Gedanken an ein weiteres verlorenes – verschwendetes – Leben nicht ertragen, schon gar nicht bei diesem schönen Jungen, dessen helle Augen und dessen strahlendes Lächeln sie an ihre kleinen Schwestern erinnerten.
Nei, sie konnte und würde heute keine Seele mehr verlieren. Nicht an Magie, nicht an den Krieg, nicht an den dreimal verfluchten Brunnen der Seelen!
Kälte kroch durch ihre Adern. Hervorgerufen von ihrem Zorn, stieg Azrahn aus der tiefen, reichen Quelle in ihrem Inneren auf. Etwas drängte sich an ihren Willen wie ein lebendes Wesen, als wünschte das Azrahn in ihr, dass sie es einsetzte, dass sie seine dunkle, verbotene Macht willkommen hieß.
Dieser Versuchung nachzugeben, würde sie einen hohen Preis kosten. Sie trug vier Magier-Male, die ihr der Großmeister der Magier von Eld beigebracht hatte, und jedes Mal, wenn sie Azrahn ausübte, riskierte sie, ein weiteres Zeichen zu empfangen. Nur noch zwei davon und ihre Seele, ihr Geist, ihr ganzes Wesen würden dem Magier von Eld gehören.
Dennoch war die Verlockung ungeheuer stark. Gaelens Magie enthielt nicht einen Bruchteil der Macht, über die ihre eigene verfügte. Sie könnte ein wenig Azrahn einsetzen … gerade genug, um den Jungen zu retten. Vielleicht schaffte sie es, so schnell zu sein, dass dem Großmeister keine Zeit blieb, sie zu spüren und sie erneut zu kennzeichnen.
Ja … ja, nur ein bisschen und ganz schnell. Eine Kleinigkeit. Er übersieht es bestimmt.
Der Lockruf war unwiderstehlich. Vage, wie aus weiter Ferne hörte sie, wie jemand ihren Namen rief, aber die Stimme verstummte bald. Verbotene Magie pochte in ihren Adern, und um sie herum pulsierte im selben Rhythmus die Dunkelheit des Seelenbrunnens. Ein gedämpftes Rauschen drang an ihre Ohren, ein rhythmisches Anschwellen und Verebben, als wäre sie ein Kind im Mutterleib und hörte das Blut durch die Adern ihrer Mutter strömen. Das Geräusch war hypnotisch … beschwörend …
Sie langte nach ihrem Azrahn und ließ sich von seiner köstlichen Kühle erfüllen.
»Ellysetta!« Eine wütende und nur zu vertraute Stimmte brüllte ihren Namen. Macht überflutete ihren Körper, und tief im Brunnen der Seelen flammte ihr Licht wie eine explodierende Sonne auf.
Die Wucht des Aufpralls katapultierte ihr magisches Gewebe tief in den Brunnen hinein, so tief, dass es an dem schwachen Licht, das Aartys' Seele war, vorbeischoss. Trotz ihrer Benommenheit hatte Ellysetta die Geistesgegenwart, die Zeit, die ihr noch blieb, zu nutzen, um ihr Gewebe über Aartys zu werfen und ihn festzuhalten, bevor ihre eigene Seele aus dem Brunnen gerissen und in ihren Körper zurückgestoßen wurde.
Die schillernde Leuchtkraft der Fey-Sicht verdämmerte zu Dunkelheit. Die Stille im Brunnen wich Stimmengemurmel und erstickten Schmerzensschreien, und in der Luft hing der Geruch von Blut und Schweiß und Qualen. Ellysettas Lider hoben sich flatternd, als ihre Sinne allmählich in ihren Körper zurückkehrten.
Sie war in einer warmen, festen, golden schimmernden Umarmung gefangen, aber weder das noch die sengende Hitze des glühenden violetten Augenpaars, das sie mit einem harten Blick fixierte, konnten den eisigen Schauern, die sie schüttelten, Einhalt gebieten. Blinzelnd starrte sie in das beängstigend schöne und sehr wütende Gesicht ihres wahren Gefährten.
»Rain, ich …«
Seine Augen loderten auf. Ihre Pupillen und das Weiß in ihnen verschwanden, und was blieb, waren die stürmischen lavendelblauen Tairen-Augen, die so hell leuchteten, dass sie einen dunklen Raum mit Licht erfüllt hätten. »Sag … kein … Wort.« Seine Nasenflügel bebten, und sogar seine langen, tintenschwarzen Haare knisterten vor mühsam unterdrückter Energie. »Sei einfach still.« Er war so aufgebracht, dass seine Verfassung nicht weit vom Rasenden Zorn entfernt war, der wilden, tödlichen Wut der Tairen.
Ein leises Keuchen lenkte sie ab. »Aartys!«, rief sie.
Kräftige Arme, die in schwerem goldenem, von Tairen geschmiedetem Stahl steckten, verstärkten ihren Griff. »Er ist am Leben und braucht deine Hilfe nicht.«
Sie wandte den Kopf, aber sie konnte den Jungen nicht sehen. Shei'dalins in scharlachroten Gewändern standen um den Tisch, auf dem er lag, und das Strahlen ihrer konzentrierten heilenden Kräfte war so hell, dass selbst sterbliche Augen es sehen konnten.
»Beylah sallan«, hauchte Ellysetta.
Diese Bemerkung war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Rain stellte sie unsanft auf den Boden, packte sie an den Armen und schüttelte sie so heftig, dass ihre Zähne klapperten. »Den Göttern sei Dank? Den Göttern sei Dank?« Sein Zorn loderte so heiß auf, dass beinahe Flammen aus seinem Kopf schossen. »Danke lieber Gaelen, dass er, wenn auch verspätet, vernünftig genug war, um mich zu rufen, als ihm klar wurde, was geschah.« Wieder schüttelte er sie. »Dummkopf! Spatzenhirn! Elender Dickschädel! Wie oft wirst du dich noch in Gefahr begeben?«
Sie zog finster die Augenbrauen zusammen. »Wer, ich?«, brauste sie auf. »Du hast es nötig!« Sie riss sich los und gab seinen bitterbösen Blick zurück. »Schimpfe ich etwa mit dir wegen all der Risiken, die du im Kampf eingehst?«
Rain straffte seine Schultern, die durch die Kriegsrüstung aus vergoldetem Stahl deutlich breiter wirkten, und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Versuch jetzt nicht, den Spieß umzudrehen. Ich bin der Verteidiger der Fey, und wir sind im Krieg. Es ist meine Pflicht, unsere Soldaten in die Schlacht zu führen.«
»Und ich bin eine Shei'dalin«, gab sie zurück. »Die mächtigste Heilerin, die wir haben. Es ist meine Pflicht, so viele Leben wie möglich zu retten.«
»Nicht um den Preis deines eigenen Lebens! Du warst drauf und dran, Azrahn zu beschwören, Ellysetta. Trotz der Gefahr – und trotz deines heiligen Eids, nie wieder Azrahn auszuüben, es sei denn, wir wären uns darin beide einig!«
Mehr noch als die unleugbare Wahrheit seiner Worte ließ der Schmerz in seiner Stimme ihren Zorn verrauchen. Sie hatte einen Eid abgelegt und ihn beinahe gebrochen – einen Eid, den sie Rain geleistet hatte. Ihre Schultern sanken herab, und sie legte eine zitternde Hand an ihr Gesicht.
Er hatte recht, aber bevor sie es zugeben und sich bei ihm entschuldigen konnte, stieß Jonna einen kurzen Schrei aus. Rain und Ellysetta drehten sich zum Behandlungstisch um. Die Shei'dalins hatten ihr Werk beendet und waren bereits im Gehen begriffen, und Aartys setzte sich gerade auf. Die Wunde, die in seiner Brust geklafft hatte, war spurlos verschwunden; selbst das getrocknete Blut und der Schmutz waren von der Magie der Shei'dalins weggewaschen worden. Seine Mutter hatte beide Arme um ihn geschlungen, und ihre Schultern hoben und senkten sich unter Schluchzern der Erleichterung und der Freude.
»Danke.« Tränen liefen über Jonnas Gesicht. »Danke, dass Ihr mir meinen Sohn wiedergegeben habt. Möge das Licht Euch segnen!«
Ellysetta tastete nach Rains Hand. Er hatte seine Panzerhandschuhe ausgezogen, und ihre Finger verschlangen sich mit seinen.
Seine Augen blitzten sie warnend an, aber Jonna schaute er gütig und verständnisvoll an. »Sha vel'mei, Jonna«, sagte er mit seiner tiefen, samtigen Stimme. »Wir freuen uns auch. Was dich angeht, Aartys …« Er richtete einen strengen Blick auf den Jungen. »Ich will dich nicht wieder auf dem Schlachtfeld sehen. Dein Schwert ist scharf, und dein Herz ist tapfer, aber ich brauche dich hier, damit du über deine Mutter und die Feyreisa wachen kannst.« Er legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »Für einen Krieger der Fey gibt es keine größere Ehre, als unsere Frauen zu beschützen. Nimmst du diese Ehre an?«
»Ihr wollt, dass ich helfe, die Feyreisa zu beschützen?« Die Augen des Jungen wurden groß und rund, und er starrte Ellysetta benommen an, ehe sein Blick zu Rain zurückkehrte. »Ja, Mylord Feyreisen«, erklärte er feierlich. »Ich nehme sie an.«
»Kabei. Gut. Dann ist das geklärt. Die Herren vel Jelani und vel Tibboreh« – er deutete mit einer Kopfbewegung auf die zwei grimmigen Fey, die sich an den Ecken von Ellysettas Behandlungszelt postiert hatten – »werden dir deine Pflichten erklären. Fürs Erste gehst du mit deiner Mutter, um dich ein bisschen auszuruhen und frische Sachen anzuziehen.«
»Aber die Feyreisa …«, begann Aartys.
»… braucht deinen Schutz im Moment nicht, da sie mich begleiten wird.«
Eld – Bourra Fell
Vadim Maur, Großmeister der Magier von Eld, schüttelte das vage Gefühl ab, ein fremdes Bewusstsein wahrgenommen zu haben, und zog den Teil seines geistigen Ichs, das er in den Brunnen der Seelen geschickt hatte, wieder zurück. Falls es sich bei der flüchtigen Wahrnehmung um das Mädchen gehandelt hatte, war sie nicht mehr da, und die Barrieren, die ihr Inneres vor seinem Zugriff schützten, befanden sich wieder an Ort und Stelle. Er konnte ihr Vorhandensein noch fühlen, mehr aber auch nicht.
»Meister?« Eine zaghafte, unterwürfige Stimme zu seiner Linken brach das Schweigen. »Was sollen wir mit ihm machen?«
Vadim schürzte verärgert die Lippen, entspannte sie aber sofort wieder, als er fühlte, wie die Haut aufplatzte und eine warme Flüssigkeit über sein Kinn lief. Wortlos tupfte er mit dem Saum seiner purpurroten Kapuze seinen Mund ab. Sein Körper war in den vergangenen Wochen gebrechlich geworden. Der Verfall hatte ihn fest im Griff, und nicht einmal die Behandlungen der mächtigsten Shei'dalins, die er gefangen hielt, konnten ihn noch aufhalten. Bald würde sich die Wahrheit, die im Rat der Magier bereits vermutet wurde, nicht länger verbergen lassen.
Seine Zeit lief ab.
Er betrachtete durch das Beobachtungsfenster den Sel'dor-Käfig und seine Insassen, einen jungen Mann mit wilden Augen, das letzte der fünf magisch begabten Kinder, an die er vor siebzehn Jahren die Seelen ungeborener Tairen gebunden hatte. Der Junge hatte vier der fünf Zweige der Fey-Magie gemeistert, in der Beherrschung des Elementes Geist aber nur den mittelmäßigen dritten Grad erreicht, sodass keine Möglichkeit bestand, dass er je zu einem Tairen Soul werden konnte mit der Fähigkeit, die Verwandlung zu beschwören. Aber seine Abstammung war rein und stark, und er hatte schon in früher Kindheit Azrahn ausüben können.
Vadim hatte ihn zur Zucht eingesetzt, doch in letzter Zeit, als sein körperlicher Verfall weiter und weiter fortschritt und Ellysetta Baristani ihm immer wieder entglitt, hatte er ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, den Jungen als Gefäß für die Reinkarnation seiner Seele zu verwenden, wenigstens so lange, bis die wesentlich mächtigere Ellysetta endlich in seiner Gewalt war.
Dieser Plan war jetzt gescheitert. Der Junge hatte den Verstand verloren, genau wie Tausende andere, in die Vadim im Lauf der Jahrhunderte die Seelen von Tairen transplantiert hatte. Der Wahnsinn setzte im Allgemeinen nach der Pubertät ein, begann mit Stimmen, die nur die Betroffenen hören konnten, und führte in weiterer Folge zu Tobsuchtsanfällen und schließlich zu vollständiger geistiger Verwirrung, Zerstörungswut und Tod.
Von all den Kindern, an die er die Seele eines Tairen gebunden hatte, hatte nur Ellysetta Baristani vierundzwanzig Jahre ohne ein Anzeichen von Geistesgestörtheit überlebt. Das machte sie zu einem unschätzbaren Preis, nicht nur als mächtiges Gefäß für Vadims reinkarnierte Seele, sondern auch als Schlüssel für seine jahrhundertelangen Forschungen und Experimente.
In der Zelle hielt sich der Junge den Kopf. Während er unverständliche Laute stammelte, riss er sich das Haar büschelweise aus, taumelte hin und her, warf sich an die Wand und kratzte sich sein eigenes Fleisch auf.
Vadims Hand ballte sich zur Faust. »Fesselt ihn, bevor er sich selbst noch mehr Verletzungen zufügt! Verwendet ihn zum Züchten, solange es möglich ist.« Zu viele Jahrhunderte waren darauf verwendet worden, magische Blutlinien miteinander zu kreuzen, um den Jungen wegzuwerfen, ohne aus ihm herauszuholen, was es noch zu holen gab. »Wenn er für die Frauen gefährlich wird, schickt ihn zu Fezia Madia.« Die Anführerin der Feraz-Hexen hatte sich in letzter Zeit über die mangelnde Qualität der Sklaven beschwert, die er ihr für ihre Opfergaben an den Dämonengott Gamorraz geschickt hatte. Der Junge mochte wahnsinnig sein, aber die starke Magie, die in seinen Adern floss, war nicht zu bestreiten.
Vadim verließ den Beobachtungsraum und ging zur Säuglingsstation, wo er kurz innehielt, um einen Blick auf die beiden Wiegen zu werfen, die an der Wand standen. Zwei Kinder mit hellen, strahlenden Augen starrten ihn an. Beide waren Jungen, und beide zeigten schon jetzt die eindeutige Veranlagung, eines Tages alle Elemente der Fey-Magie zu beherrschen. Jeder von ihnen hatte die Seele eines ungeborenen Tairen erhalten. Würden auch sie den Verstand verlieren? Oder hatte Vadim endlich das Geheimnis entdeckt, wie er seine eigenen Tairen Souls züchten konnte?
Nur die Zeit würde es weisen. Einstweilen stellten diese beiden Kinder eine weitere Generation ungeahnter Möglichkeiten dar, eine weitere Chance, seine Pläne wahr zu machen, auch für den Fall, dass Ellysetta Baristani ihm weiterhin entkam …
… oder für den Fall, dass sie derselben tödlichen Geisteskrankheit zum Opfer fiel wie ihre Vorgänger.
Celieria – Orest
»Wo gehen wir hin?«, fragte Ellysetta, als Rain sie von den Heilungszelten wegführte. Ihr Quintett von Bewachern machte Anstalten, ihnen zu folgen, aber ein scharfer Blick von Rain bewirkte, dass die fünf Krieger unvermittelt stehen blieben.
»Irgendwohin, wo du nicht in Schwierigkeiten gerätst.«
Er klang immer noch gereizt, deshalb machte sie ein kleines Friedensangebot. »Du bist mit Aartys sehr gut umgegangen.«
Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu, und ihr Ölzweig ging leise in Rauch auf. »Versuch nicht, diesen Tairen hier zu besänftigen, Shei'tani. Du wärst beinahe gestorben – oder Schlimmeres –, und das werde ich nicht so schnell vergessen.«
Ellysetta biss sich auf die Lippe. Sie war im Brunnen der Seelen zu weit gegangen, und irgendetwas hatte sie tatsächlich dazu gedrängt, die gefährlichste ihrer magischen Kräfte einzusetzen. Trotzdem, die Angewohnheit ihres wahren Gefährten, mit zweierlei Maß zu messen, gefiel ihr nicht. »Warum darfst du böse werden und ich nicht?«
Er starrte sie finster an. »Weswegen solltest du denn böse sein?«
Sie blieb abrupt stehen und riss ihre Hand aus seiner. »Soll das ein Witz sein? Ich bin deine Shei'tani – deine wahre Gefährtin –, und trotzdem fragst du mich das?« Sie wartete seine Antwort nicht ab. »Wie oft hast du es nur knapp geschafft, lebend nach Orest zurückzukehren? Wie oft bist du blutig und halb tot, mit gebrochenen Gliedern, zerfetztem Fleisch und genug Sel'dor-Pfeilen im Leib, um eine ganze Armee von Bogenschützen auszurüsten, in den See gestürzt? Du erwartest von mir, dass ich dich immer wieder zusammenflicke und in die Schlacht zurückschicke. Du und jeder andere Krieger, der auf meinem Behandlungstisch landet.«
»Du bist eine Shei'dalin, und das ist die Aufgabe einer Shei'dalin.«
»Genau! Du kämpfst da draußen.« Sie zeigte mit dem Finger auf den verbrannten, immer noch rauchenden südwestlichen Teil von Eld. »Und dort ist mein Schlachtfeld.« Sie drehte sich um und deutete auf die Heilungszelte. »Und ich bin genauso entschlossen, meinen Krieg zu gewinnen, wie du. Wenn das bedeutet, gelegentlich ein Risiko einzugehen, na schön, dann tue ich es eben – genau wie du!«
»Nur über meine Leiche!« Seine Zähne schnappten mit einem hörbaren Klicken zu. Er packte sie wieder am Handgelenk und legte ein derartiges Tempo vor, dass sie laufen musste, um mit ihm mitzuhalten.
Die schwarzen Fey'cha-Dolche jener Fey, die sich mit einem Eid auf ihr Blut zum Dienst an der Feyreisa verpflichtet hatten, waren wie immer quer über Ellysettas Brust geschnallt und hingen um ihre Hüften. Nun schlugen sie beim Laufen klirrend an ihre mit Stahlfäden durchwirkten scharlachroten Gewänder. Das Gefühl, wie ein Kind ausgeschimpft und an der Hand weggezerrt zu werden, steigerte ihren Zorn.
»Du bist einfach nicht fair!«, rief sie. »Ich mag zwar meine Flügel noch nicht haben, aber ich bin auch eine Tairen Soul, Rain. Ich habe das gleiche Verlangen, unser Volk zu verteidigen, wie du. Und die Tatsache, dass der einzige Feind, vor dem ich unsere Leute im Moment beschützen kann, der Tod ist, bedeutet nicht, dass meine Bemühungen weniger wichtig wären als deine!«
Seine Augen glühten so hell, dass sie beinahe violette Funken sprühten. »Habe ich das je behauptet? Habe ich Gaelen nicht erlaubt, die verbotene Magie auszuüben, damit du Leben retten kannst, die andernfalls verloren wären? Ich habe nichts dagegen, dass du Leben rettest. Doch ich lasse nicht zu, dass du dabei dein eigenes aufs Spiel setzt!«
»Aber …«
»Genug!«, donnerte er. »Ob es dir passt oder nicht, Ellysetta, ich bin der Feyreisen, sowohl dein wahrer Gefährte als auch dein König, und in dieser Angelegenheit wirst du mir gehorchen!«
Vor ihnen lag die offene Fläche am See, wo Rain und die Tairen abhoben und landeten. Vier majestätische geflügelte Katzen, von denen jede so groß wie ein Haus war, kauerten am Ufer im Gras und tranken von den kühlen Wassern von Kiyeras Schleier, den hundert Meter hohen Wasserfällen, die an der Westküste des Sees von den Felsen hinabstürzten.
Als sie auf dem Platz anlangten, verlangsamte Rain sein Tempo. Ellysetta riss sich ein zweites Mal von ihm los, marschierte zum moosbewachsenen Rand der gepflasterten Fläche und kehrte ihm den Rücken zu. Ihre Lippen waren vor Ärger über seine Selbstherrlichkeit zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Für eine junge Frau, die die ersten vierundzwanzig Jahre ihres Lebens als schüchterne und folgsame Tochter eines armen Holzschnitzers und seiner Frau verbracht hatte, war Ellysetta äußerst widerspenstig geworden, was die Stimme der Autorität anging. Auch wenn diese Stimme einem König, angetrautem Ehemann und geliebtem Gefährten gehörte. Wenn ihre Mutter noch am Leben wäre, würde sie an der Dickköpfigkeit ihrer Adoptivtochter verzweifeln.
Am Ufer hob die größte der Tairen, eine weiße Schönheit mit Augen, die wie blaue Edelsteine funkelten, ihren schimmernden Katzenkopf, drehte sich um und kam zu ihnen getrottet. Ihr langer Schwanz schlug beim Gehen an mehrere Bäume und ließ in ihrem Gefolge Blätter herabregnen. Als sie den Platz erreichte, breitete sie ihre weiten Schwingen aus und stellte sich auf die Hinterbeine, um sich das Laub aus dem Fell zu schütteln. Ein tiefes, kehliges Schnurren drang aus ihrer Brust, und sie senkte den Kopf, um Ellysetta aus stürmischen blauen Augen zu fixieren.
»Du hast deinem Gefährten Kummer gemacht, Kätzchen«, tadelte Steli, Chakai des Stamms von Fey'Bahren. Die musikalischen Klänge der Tairen-Sprache tanzten wie silberne und goldene Lichter in der Luft und brachten die Gefühle panischer Angst und das Bild von Rain mit sich, wie er am Himmel herumwirbelte und nach Orest raste. »Du solltest ihn nicht so beunruhigen. Tairen, die um ihre Gefährten bangen, sind gefährlich – vor allem für so zerbrechliche Wesen wie Menschen.«
»Fang du nicht auch noch damit an, Steli!« Ellysetta verschränkte erzürnt die Arme vor der Brust. »Glaubst du etwa, ich habe keine Angst, wenn er dort draußen die Zielscheibe für Pfeile und andere Geschosse abgibt?«
Stelis Ohren zuckten, und ihr Schwanz peitschte den Boden. »Ellysetta-Kätzchen würde nicht die Welt in Schutt und Asche legen. Rainier-Eras hat es jedoch schon einmal getan. Wenn du ihm keinen Halt mehr gibst, würde er es wieder tun.«
Diese einfache, unbestreitbare Wahrheit nahm Ellysetta den Wind aus den Segeln. Vor tausend Jahren, nach dem Tod seiner ersten Gefährtin Sariel, hatte Rain Tairen Soul die Welt mit der Glut seiner Tairen-Flamme in Brand gesteckt und dabei in wenigen Augenblicken Tausende, in wenigen Tagen Millionen getötet. Für diesen Akt der Raserei hatte er mit siebenhundert Jahren des Wahnsinns und weiteren dreihundert Jahren Kampf, sich aus diesem Abgrund zu befreien, bezahlt.
»Rainier-Eras ist stolz«, fuhr Steli fort, »und er will seiner Gefährtin keine Angst machen. Er sagt Ellysetta-Kätzchen nicht, dass es von Tag zu Tag schwerer wird. Dass jeder Kampf das schwächt, was er in so langer Zeit aufgebaut hat.«
Ellysetta warf einen besorgten Blick über ihre Schulter. Rain stand ein kleines Stück entfernt mit hängenden Schultern da, rieb sich den Nasenrücken und war offensichtlich bemüht, sich wieder zu beruhigen. Sie hatte ihm eine Todesangst eingejagt, und seine Selbstbeherrschung hing in Fetzen. Fey-Krieger, die keine wahre Gefährtin hatten, litten die Qualen jedes Lebens, das sie genommen hatten – die Schmerzen, die Dunkelheit, die verlorenen Träume –, und auf Rains Seele lastete das Gewicht von Millionen. Geistige und seelische Disziplin war das Einzige, was ihn davor bewahrte, den Verstand zu verlieren, und ihr beinahe tödlicher Ausflug in den Brunnen der Seelen hatte ihn dieser schützenden Barriere beraubt. Tiefe Scham erfüllte sie.
Die Tairen beugte sich vor und stupste Ellysetta mit dem Kopf an. »Geh zu deinem Gefährten, Kätzchen. Er braucht dich jetzt mehr denn je.«
Ellysetta lief das kurze Stück zu Rain hinüber. Dichtes grünes Moos wuchs an den feuchten Kanten der Pflastersteine, die nass vom Nebel waren. Der Winter stand bevor, und bald würde sich der feine Sprühregen des Katarakts in eisige Kristalle verwandeln. Die Nächte würden länger, die Magier von Eld mächtiger werden. Trotz der tapferen Bemühungen von Lord Teleos' Soldaten hatte Celieria nicht die geringste Chance, ohne die Hilfe der Fey den Winter als freies Land zu überstehen. Die Macht der Tairen war das Einzige, was die Magier wirklich fürchteten.
Bis Ellysetta ihre Flügel fand, war Rain der einzige lebende Tairen Soul, der die Verwandlung in seine Tairen-Gestalt vollziehen und den Stamm in die Schlacht führen konnte. Und daher würde er immer und immer wieder kämpfen müssen, und seine Seelenqualen würden mit jedem Mal unerträglicher werden. Daran hatte Ellysetta bei ihrem Entschluss, Aartys zu retten, nicht gedacht. Sie hatte überhaupt nicht an Rain gedacht.
»Es tut mir leid, Shei'tan«, entschuldigte sie sich zerknirscht. »Ich hätte vorsichtiger sein müssen, wenn schon nicht mir, dann wenigstens dir zuliebe.«
»Das sagst du immer«, erwiderte er leise, »doch es hält dich nie davon ab, Dinge zu tun, von denen du weißt, dass du sie unterlassen solltest.«
Sie rieb sich die Stirn, hinter der es schmerzhaft zu pochen begann. »Ich hatte nie die Absicht, so tief in den Brunnen zu gehen, aber er ist doch noch ein Kind, Rain. Kaum älter als Lillis und Lorelle. Ich konnte ihn nicht sterben lassen. Kannst du das nicht verstehen?«
Er seufzte. »Natürlich verstehe ich das, Shei'tani. Besser, als du dir vorstellen kannst.« Er drehte sich zu ihr um. »Aber diesen Jungen oder Tausend andere zu retten, wird dir deine Schwestern nicht zurückbringen.« Er fasste sie an den Schultern. »Du musst aufhören, dich derartig in Gefahr zu begeben, Ellysetta. Es nützt weder deinen Schwestern noch deinem Vater etwas, wenn du stirbst oder deine Seele an die Magier verlierst.«
»Das weiß ich. Wirklich. Es ist nur so, dass …« Sie brach ab. Sie konnte seine Angst um sie fühlen, seine Liebe, seine Schuldgefühle, weil er sie den Gefahren des Lebens als Tairen Soul ausgesetzt hatte, sein Grauen, dass er nicht die Kraft haben könnte, sich zu beherrschen, wenn sie wieder einmal dem Tod so nahe war.
»Oh, Rain.« Sie schmiegte sich an ihn, lehnte ihre Stirn an den harten goldenen Stahl seiner Kriegsrüstung und legte eine Handfläche an seine warme, glatte Wange. Auch wenn sie nicht in der Lage waren, die Gedanken des anderen zu lesen, ehe ihr Bund vollendet war, konnten sie, wenn sie einander berührten, die Empfindungen des anderen so deutlich fühlen wie ihre eigenen.
Weil er der stärkste Fey und der mächtigste Tairen Soul war, den die Welt je gesehen hatte, vergaß man leicht, wie verletzlich er tatsächlich war, wie schmal die Linie, die ihn von dem Abgrund des Wahnsinns trennte.
»Sieks'ta, Shei'tan.« Es tut mir leid, Geliebter. Sie sandte ihm ihre Entschuldigung auf geistigem Weg, las nicht seine Gedanken, sondern teilte ihm ihre eigenen mit. Mit ihrer Hand an seiner Wange, ihrer Haut an seiner Haut, konnte er ihre Aufrichtigkeit und ihre tiefe Liebe zu ihm ebenso fühlen, wie sie spürte, dass sein Zorn verrauchte und Bedauern und Müdigkeit wich.
Er wandte leicht den Kopf, um einen Kuss auf ihre Handfläche zu hauchen. »Mir auch«, sagte er. »Ich weiß, was für eine Belastung meine Angst um dich ist, und ich schäme mich dafür, dass du diese Last tragen musst. Du bist eine Tairen Soul, und das heißt, dass du mutig und unerschrocken bist, dazu geboren, diejenigen, die unter deinem Schutz stehen, zu verteidigen, aber du bist auch meine Shei'tani. Ich dachte, ich wäre stark genug, um zu ertragen, dass du auch den kriegerischen Zug deines Wesens akzeptierst. Jetzt weiß ich, dass ich es nicht bin. Ich kann nicht zulassen, dass dir etwas passiert – nicht einmal durch dein eigenes Handeln.«
Ellysetta zwang sich zu einem schwachen Lächeln. »Vielleicht sieht es anders aus, wenn unser Bund vollendet ist.«
»Vielleicht«, erwiderte er, doch er klang nicht sehr überzeugt.
Stelis Flügel flatterten. Die weiße Tairen stieß sie mit ihrer Nase an. »Zeit zum Fliegen, Rainier-Eras. Der Tag neigt sich seinem Ende zu.«
»Aiyah.«
»Wo fliegen wir hin?«, wollte Ellysetta wissen.
»Zum Kristallsee«, antwortete er.
»Die Quelle in den Bergen? Aber das ist Stunden von hier entfernt …« Sie brach ab und runzelte sorgenvoll die Stirn. Jede größere Stadt in den Schwindenden Landen hatte eine eigene Quelle, und von ihnen tranken die Fey, um neue Energie zu tanken und geschwächte magische Kräfte zu stärken. Die einzige derartige Quelle, die außerhalb der Schwindenden Lande existierte, war der Kristallsee, und seine mit Magie angereicherten Wasser speisten einen der Zuflüsse, die in Kiyeras Schleier und den Fluss Heras mündeten.
Wenn die Wasser von Kiyeras Schleier verschmutzt und nicht mehr mächtig genug waren, um Rains Magie oder seine Kraft neu zu beleben, dann …
Rain sah ihr an, was ihr durch den Kopf ging. »Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme«, versicherte er ihr. Fey logen nicht, was bedeutete, dass er die Wahrheit sagte – oder zumindest eine Lesart der Wahrheit. »Außerdem, wie lange ist es her, seit es uns gelungen ist, mehr als ein paar Stunden gemeinsam zu schlafen? Ich dachte, du würdest vielleicht ganz gern eine Weile vom Schlachtfeld und von den Heilungszelten wegkommen.«
»Das stimmt.« Die anderen Shei'dalins schlüpften alle paar Tage durch die Wandelnden Nebel, um im Frieden der Schwindenden Lande neue Kraft zu schöpfen. Ellysetta, die vom Magier gekennzeichnet und verbannt worden war, konnte sich diesen Luxus nicht gönnen. »Ich denke, wir könnten beide einen Besuch bei der Quelle brauchen«, sagte sie und trat zur Seite, um Rain Platz für die Verwandlung zu machen.
Er wartete, bis sie in sicherer Entfernung war, bevor er die Augen schloss und die Verwandlung beschwor. Ströme der Macht sammelten sich und wirbelten um ihn herum und verdunkelten sich zu einem grauen Nebel, der in allen Farben des Regenbogens schillerte. Die knisternde Energie seiner Macht überspülte Ellysetta wie eine heiße Woge. Sie schnappte unwillkürlich nach Luft und schloss mit einem wohligen Schauer die Augen, als Rains Fey-Körper verschwand, indem sein Fleisch und sein Bewusstsein in den Nebel der Verwandlung flogen und sich dann blitzschnell zu dem großen, geschmeidigen Körper seiner Tairen-Gestalt neu formten.
Als sich der magische Dunstschleier der Verwandlung auflöste, kauerte Rain Tairen Soul an der Stelle, wo eben noch Rain als Fey gestanden hatte – ein prachtvolles, majestätisches Geschöpf, das an eine der anmutigen schwarzen Dschungelkatzen erinnerte, die Ellysetta in illustrierten Büchern über ferne Länder gesehen hatte, nur dass seine Tairen-Gestalt gut und gern halb so hoch wie eine ausgewachsene Feuereiche war und mächtige, fledermausartige Flügel aus seinem Rücken wuchsen. Selbst nach Tairen-Standard war Rain ein eindrucksvolles männliches Exemplar mit einem Fell, das tiefschwarz wie ein sternenloser Mitternachtshimmel war, einer gewaltigen Flügelspanne und strahlenden Augen, die wie lavendelblaue Sonnen glühten.
Er senkte den Kopf, um Ellysetta mit diesem hellen, stürmischen Blick zu fixieren, und gab ein tiefes Schnurren von sich. Ihr Körper spannte sich an wie eine Faust, als eine Woge reiner, animalischer Hitze sie überschwemmte und jeden Nerv prickeln ließ. Sie mochte ihre Flügel noch nicht gefunden haben, aber die Tairen in ihrem Inneren erkannte ihren Gefährten und sehnte sich mit überwältigendem Verlangen nach ihm.
Sie befeuchtete ihre Lippen und versuchte, ihre Fassung wiederzufinden, während ein kehliges Schnurren aus Rains Kehle drang und er sie mit unverkennbarem Interesse beschnupperte. »Lass das!« Lachend gab sie ihm einen Klaps, bevor sie das Element Erde beschwor, um ihr Kleid in ein Gewand aus nietenbesetztem scharlachrotem Leder zu verwandeln. Die Gurte mit den Fey'cha blieben über ihre Brust geschnallt, die Dolche ihres Quintetts in dem Gürtel, der um ihre Hüften hing. Ein weiteres magisches Gewebe schuf einen Stoß silbriger Luft, der sie in den Ledersattel hob, den Rain auf seinem Rücken trug. Ellysetta legte die Gurte um. »Ich bin bereit.«
»Dann spinn dein Gewebe, Shei'tani. Um uns und um Steli herum.«
Ellysetta nickte und griff erneut auf ihre innere Quelle der Macht zurück. Das lavendelblaue Element Geist, die mystische Magie der Gedanken und Bilder, tauchte auf und wurde von Ellysetta in dichten Strängen zu einem Muster verflochten, das Gaelen vel Serranis den Fey erst vor wenigen Monaten beigebracht hatte. Sie warf das Gewebe aus wie ein Netz, erst um Steli, die prompt verschwand, dann um sich und Rain, sodass sie alle für sterbliche wie auch magische Augen unsichtbar waren.
Die anderen Tairen hatten sich vom Ufer des Sees zurückgezogen und trotteten über den Platz. Nur wenige Sekunden bevor Rain sich auf seine Fersen kauerte und sich in den Himmel katapultierte, schwangen sie sich in die Lüfte und überdeckten mit ihrer Bewegung das Rauschen des Windes, das möglicherweise einen Hinweis auf Rains und Stelis ansonsten geräuschlosen Start hätte geben können.
Umringt vom Stamm und geschützt durch den Schild, der sie unsichtbar machte, stiegen Rain, Ellysetta und Steli hoch über die Gipfel des Rhakis-Gebirges in die dünne, kühle Luft des Herbsthimmels auf. Im Norden bedeckte eine leichte Schneeschicht die hohen, schroffen Felsspitzen. Unter ihnen, gleich auf der anderen Seite des Heras', lagen immer noch dichte Rauchschwaden, Nachwirkungen der letzten Schlacht, über dem südwestlichen Landesteil von Eld. Was noch vor zwei Wochen ein befestigtes Dorf gewesen war, war jetzt verbrannte Erde, und in einem Umkreis von zwanzig Meilen war alles, ob lebend oder tot, nur noch Rauch und Asche. Trotzdem setzten die Eld ihren Kampf gegen die Legionen von Orest mit unerschütterlicher Entschlossenheit fort, indem sie die feindlichen Truppen Stück für Stück aufrieben, um sich dann in die dichten Wälder Elds zurückzuziehen, wohin ihnen dank ihrer Katapulte, die unablässig auf den Himmel zielten, nicht einmal die Tairen folgen konnten.
Im Westen schwebten die wogenden Nebelwände, die die Grenze zu den Schwindenden Landen darstellten, über den Berggipfeln. Rain flog nahe genug heran, dass Ellysetta das magische Prickeln spüren konnte, das von den Nebeln ausging. Ihre Finger schlossen sich krampfhaft um das Sattelhorn.
Von unten sahen die Nebel wie eine Front dunkler Gewitterwolken aus, die sich an die Gipfel des Bergmassivs drängten. Vom Himmel aus wirkten sie eher schön als Unheil verkündend, wie ein schillernder Schleier in allen Farben des Regenbogens, der sich nach oben erstreckte, so weit das Auge reichte.
Ob drohende Gewitterwolken oder schimmernder Schleier, Ellysetta erkannte in den Wandelnden Nebeln das, was sie tatsächlich waren: ein tödlicher magischer Schutzwall, der verhindern sollte, dass Feinde der Fey in die Schwindenden Lande eindrangen.
Die Nebel waren von den Fey erschaffen worden und würden niemals einem Unschuldigen bewusst Schaden zufügen. In Celieria gab es unzählige Legenden über jene, die unabsichtlich in die Nebel gewandert waren, nur um Jahrzehnte später wiederzukehren, unversehrt, um keinen Tag gealtert und voller Geschichten über die Gastfreundschaft des Strahlenden Volkes und die Festmahle in ihren Waldpalästen. Bei jenen, die weniger unschuldig waren, zeigten sich die Nebel nicht so freundlich. Ganze Armeen waren von ihnen verschluckt worden und nie mehr zum Vorschein gekommen.
Ellysetta verspannte sich unwillkürlich, als sie an die Schmerzen dachte, die sie in den Nebeln gelitten hatte. Sie wusste aus erster Hand, welche Qualen in jenen wabernden Wolkenschleiern lauerten. Wegen der vier Magier-Male, die sie trug, waren die Nebel für sie jetzt noch gefährlicher als der Brunnen der Seelen, und bei ihrer letzten Durchquerung hätte sie es beinahe nicht geschafft, lebendig herauszukommen.
Andernfalls wäre sie jetzt nicht hier in Orest, um ihre Magie auszuüben und Leben zu retten, sondern in den Nebeln, um jeden verfluchten Fingerbreit der magischen Barriere zu durchkämmen und sie notfalls sogar Faden um Faden auseinanderzureißen.
Denn irgendwo dort in jenem undurchdringlichen Gespinst wogender Nebelschwaden verlor sich die Spur ihrer letzten noch lebenden Angehörigen, und sie konnte nicht zu ihnen gelangen … oder auch nur feststellen, ob sie vielleicht noch am Leben waren.
Die Wandelnden Nebel
»Lorelle! Papa! Könnt ihr mich hören? Wo seid ihr?« Lillis Baristanis Stimme war heiser vom vielen Rufen, und ihre Augen waren rot und verschwollen von dem Meer an Tränen, das sie vergossen hatte.
Sie drehte sich im Kreis herum und kniff in dem vergeblichen Versuch, die dichte Masse von wogendem Weiß zu durchdringen, die Lider zusammen. Sie war schon sehr lange in den Nebeln – bestimmt Stunden, wenn nicht sogar einen Tag oder länger, obwohl man in diesem Dunst, der in seinem eigenen magischen Licht erstrahlte, jedes Zeitgefühl verlor. Jedenfalls hatte sie kein anderes Lebewesen mehr gesehen oder gehört, seit sich der Berg wie ein böses wildes Tier aufgebäumt und sie das Gleichgewicht verloren hatte und in die Wandelnden Nebel getaumelt war.
Noch nie in ihrem Leben war sie so allein gewesen. Immer war irgendjemand bei ihr gewesen, Lorelle oder Mama oder Papa oder Ellie.
So allein zu sein, war schrecklich. Fast noch schlimmer als die furchtbaren Darrokken oder die bösen Soldaten aus Eld, die Teleon überfallen hatten. Fast noch schlimmer als zu sehen, wie Kieran unter einem Berg von Erde, Felsen und entwurzelten Bäumen begraben wurde.
»Kieran?«, rief sie. »Kiel? Ist da jemand?«
Noch immer kam keine Antwort.
Lillis blinzelte Tränen aus ihren Augen und drückte ihr kleines Kätzchen an ihre Brust. »Sie kommen nicht, Schneepfötchen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand zu uns kommt.« Ihr schwarz-weißes Kätzchen miaute in der Schlinge, die Lillis sich um den Hals gehängt hatte, zappelte ein bisschen und bohrte die winzigen scharfen Krallen in die Wolljacke, die Lillis über ihrem Schürzenkleid trug.
Papa hatte ihr immer eingeprägt: »Wenn du dich jemals verläufst, meine Kleine, bleibst du genau dort, wo du bist. Deine Mama und ich kommen dich holen.« Aber Mama war tot – ermordet von den gleichen schrecklichen Leuten, die Teleon angegriffen hatten –, und Lillis hatte lang genug in dem blendenden Licht der Nebel ausgeharrt, um zu wissen, dass entweder keiner mehr am Leben war, um sie zu finden, oder dass die anderen am falschen Ort suchten.
Wie auch immer, hier konnte sie nicht bleiben.
Sie strich über Schneepfötchens weiches Fell und summte ein kleines Lied, das Ellie Lorelle und ihr immer vorgesungen hatte, wenn sie aufgeregt oder verängstigt gewesen waren. Die Melodie wirkte auf Lillis nicht so beruhigend wie früher, wenn Ellie das Lied gesungen hatte, aber Schneepfötchen hörte mit dem ängstlichen Maunzen auf.
»Ich wette, du bist hungrig und durstig, stimmt's?«, murmelte Lillis dem Kätzchen zu. »Ich bin's nämlich.« Sie schlang ihre dünnen Arme um das winzige Tier und schmiegte ihr Gesicht an das weiche Fell an seinem Kopf. »Na los, Schneepfötchen«, sagte sie. »Machen wir uns auf die Suche nach Papa und Lorelle!«
Rhakis-Gebirge
Wenn ich erst einmal meine Flügel habe, Rain, wirst du mich kaum noch vom Himmel herunterbekommen, fürchte ich.«
Ellysetta schloss selig die Augen, als sie auf der geschmeidigen Tairen-Gestalt ihres Gefährten in eine Wolkenbank tauchte. Kühl und feucht strichen die Dunstschleier über ihre Wangen und legten sich auf die langen Locken ihres flammend roten Haares. Sie hatten ihre Tarnung eine knappe Flugstunde nördlich von Orest aufgegeben, und jetzt jagten Rain und Steli Seite an Seite über den Himmel.
Ellysetta hielt sich an dem Sattel auf Rains Rücken fest und kostete das berauschende Erlebnis des Tairen-Fluges aus. Sie liebte es zu fliegen. Sie liebte das Gefühl köstlicher Schwerelosigkeit. Sie liebte die einsame Pracht des Himmels. Aber mehr als alles andere liebte sie die Stille, die nur vom Schlagen mächtiger Schwingen und dem Rauschen des Windes unterbrochen wurde.
Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr diese letzten Wochen im Krieg an ihren Kräften gezehrt hatten – die endlosen Tage und Nächte, in denen ständig Schlachtrufe und klirrende Schwerter und die Schreie der Verwundeten zu hören gewesen waren, die sie angefleht hatten, sie entweder zu heilen oder ihren Leiden schnell ein Ende zu setzen. Aber jetzt, eingehüllt in den Frieden des Tairen-Fluges, fühlte sie sich, als wäre ihr eine schwere Last von den Schultern genommen worden. Sie konnte wieder frei atmen.
»Wie weit noch?«, fragte sie. Die anderen Tairen, die ihren Abflug getarnt hatten, waren seit Langem verschwunden, und Rain und Steli flogen jetzt im Schutz der dichten, tief liegenden Wolken durch die eisigen Weiten der schneebedeckten Berge in Richtung Norden.
»Wir sind da«, verkündete Steli. Der weiße Körper der Tairen war vor dem wolkenverhangenen Gipfel eines verschneiten Berges kaum zu erkennen. Steli legte an Geschwindigkeit zu und steuerte den Berg direkt an. Kurz bevor sie hineinkrachte, verlagerte sie den Winkel ihrer Flügel und raste senkrecht nach oben. Wie ein Pfeil schoss sie in die Wolken und verschwand außer Sichtweite.
»Festhalten!«, warnte Rain. Den Bruchteil einer Sekunde später wiederholte er Stelis halsbrecherisches Manöver.
Ellysetta schnappte nach Luft, als ihr Magen bei dem abrupten Senkrechtflug einige Tairen-Längen zurückblieb. Sie brachen durch die Wolkendecke in den klaren blauen Himmel, wo die höchsten Gipfel aus einem Meer weißer Wolkenmasse ragten. Schwarze Flügel breiteten sich im Licht des späten Vormittags weit aus, als Rain der anmutigen weißen Gestalt Stelis folgte. Scheinbar schwerelos stiegen sie immer weiter auf, bis die beiden Tairen ihre Flügel anlegten und sich im Sturzflug in die Wolken zurückfallen ließen. Ellysetta klammerte sich am Sattel fest und lachte vor Entzücken.
Die Tairen brachen durch die Wolken in eine tiefe, enge Schlucht, folgten im Zickzackkurs den Kurven und Windungen des tosenden Stroms, der sich durch die Felsen schlängelte, und glitten dann über eine Reihe atemberaubender, weiß schäumender Wasserfälle zu dem weiten Becken in einer Talsenke zwischen fünf gewaltigen Bergen, deren schneebedeckte Gipfel sich im saphirblauen Wasser des Kristallsees spiegelten.
Eine aus dem gold geäderten grauen Felsgestein der Berge herausgemeißelte Stadt, die direkt aus der Bergwand zu wachsen schien, erhob sich am südwestlichen Ufer des Sees. Unverkennbar von den Fey erschaffen, aber offensichtlich seit langer Zeit dem Verfall preisgegeben. Schön und melancholisch lag sie in ihrer golden schimmernden, grauen, einsamen Pracht wie das Monument einer einstigen Großmacht vor ihnen.
»Dunelan«, sagte Rain. »Die erste Stadt, die von den Fey verlassen wurde. Sie wurde gegen Ende des Zweiten Zeitalters aufgegeben und nur noch gelegentlich als militärischer Vorposten genutzt. Nicht weil wie in Lissilin ihre Quelle versiegt war, sondern weil zu wenige übrig waren, um hier zu bleiben. Ich nehme an, damals hätte uns klar werden müssen, dass unser Volk im Niedergang begriffen ist.«
Rain und Steli neigten ihre Schwingen, um ihre Geschwindigkeit zu verringern, und landeten genau nördlich der uralten Stadt auf dem felsigen Ufer des Sees. Steli stapfte zum Wasser, hielt ihre Nase dicht darüber und schnurrte wohlig, als sie den schweren Duft von Magie einatmete, der die Luft über dem See schwängerte. »Starke Quelle. Sehr mächtig. Gut für Rainier-Eras und Ellysetta-Kätzchen.«
Sie steckte eine Pfote hinein und quiekte empört. »Kalt!« Bilder einer weißen Tairen, die über und über mit Eiskristallen bedeckt war, begleiteten den Ausruf.
Ellysetta ließ sich lachend von Rains Rücken gleiten. »Es ist ein Bergsee, Steli. Was hast du denn erwartet?«
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