Das bewusste Universum - Amit Goswami - E-Book

Das bewusste Universum E-Book

Amit Goswami

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Beschreibung

Die modernen Paradoxien der Wissenschaft lassen sich lösen - wenn man annimmt, dass das Universum nicht aus Materie, sondern aus Bewusstsein besteht. Amit Goswami zeigt in diesem längst zum Klassiker gewordenen Buch, dass die Verbindung zwischen den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft, etwa der Quantenphysik, und den uralten spirituellen Traditionen des Ostens auf ein neues, revolutionäres Weltbild hinausläuft. Das Universum ist zielgerichtet, sinn- und zweckvoll.

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Amit Goswami · Das bewusste Universum

Meinem Bruder, dem PhilosophenNripenda Chandra Goswami,gewidmet

Amit Goswami

in Zusammenarbeit mitRichard E. Reed und Maggie Goswami

DAS BEWUSSTEUNIVERSUM

Wie Bewusstseindie materielleWelt erschafft

Aus dem Amerikanischenvon Thomas Niehaus

Titel der amerikanischen Originalausgabe:The Self-Aware UniverseCopyright © 1993 by Amit Goswami,Richard E. Reed and Maggie GoswamiAll right reserved including the right of reproduction in whole or part of any form.This edition published by arrangement with Jeremy P. Tarchet, a member of the Penguin Group (USA) Inc.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Originalausgabe© 1997 Lüchow in J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, [email protected]

ISBN Print 978-3-89901-734-2ISBN E-Book 978-3-95883-034-9

Umschlaggestaltung: Margret Russer, MünchenUmschlagfoto: John Foxx/Getty ImagesSatz: Fotosetzerei G. ScheydeckerDruck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

Inhalt

Abbildungen

Prolog

Vorwort

Erster Teil

DIE VEREINUNG VON WISSENSCHAFTUND SPIRITUALITÄT

1. Die Kluft und ihre Überbrückung

2. Die herkömmliche Physik und ihr philosophisches Vermächtnis

3. Die Quantenphysik und der Abschied vom materialistischen Realismus

4. Die Philosophie des monistischen Idealismus

Zweiter Teil

DIE IDEALISTISCHE PHILOSOPHIEUND DIE AUFLÖSUNGDER QUANTEN-PARADOXIEN

5. Von Objekten, die gleichzeitig an zwei Orten erscheinen, und von Effekten, die ihren Ursachen vorausgehen

6. Schrödingers Katze und ihre neun Leben

7. Ich entscheide, also bin ich

8. Das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon

9. Die Zusammenführung von Realismus und Idealismus

Dritter Teil

SELBSTBEZÜGLICHKEIT:WIE AUS DEM EINEN VIELE WERDEN

10. Das Problem der Trennung von Geist und Körper

11. Auf der Suche nach dem Quanten-Geist

12. Paradoxien und verwickelte Hierarchien

13. Das »Ich« des Bewußtseins

14. Die Vereinung der Psychologien

Vierter Teil

DIE WIEDERVERZAUBERUNG DES MENSCHEN

15. Krieg und Frieden

16. Äußere und innere Kreativität

17. Das Erwachen der buddhi

18. Eine idealistische Theorie der Ethik

19. Glückseligkeit

Verzeichnis wichtiger Begriffe und Namen

Anmerkungen

Literatur

Allgemeines Wort- und Namensregister

Quellen- und Bildnachweise

ABBILDUNGEN

1. Der Quantensprung

2. Instabile Umlaufbahnen

3. Bohrsche Elektronenbahn und Quantensprung

4. Graphische Darstellung einer Welle

5. Harmonische Schwingungen einer stationären Welle

6. Wellenmodell des Atoms

7. Diffraktionsringe von Elektronen

8. Wellenpaket

9. Wahrscheinlichkeitsverteilung

10. Elektronenspur in einer Dampfwolke

11. Messung einer Elektronenbahn

12. Meine Frau und meine Schwiegermutter

13. Das Yin-Yang-Symbol

14. Das Doppelspalt-Experiment

15. Wellen-Interferenz

16. Interferenzmuster auf einem Beobachtungsschirm

17. Die Beobachtung des Teilchenbildes von Elektronen in einem Spalten-Experiment

18. Die »Welltikel«-Natur von Elektronen in einem Spalten-Experiment

19. Die W-Adler-Sequenz

20. Das Experiment der verzögerten Entscheidung

21. Das Paradoxon von Schrödingers Katze

22. Das Bohr-Heisenberg-Mikroskop

23. Der Vorgang des Sehens

24. Das Doppelspalt-Experiment mit aufgehängter Membrane

25. Quanten-Interferenz im supraleitfähigen SQUID

26. Die Von-Neumann-Kette

27. Das Gefangenen-Dilemma

28. Experimente mit polarisierten Photonen

29. Die Einstein-Podolsky-Rosen-Korrelation

30. Beobachtungen polarisationskorrelierter Photonen

31. Die Entstehung einer Bell-Ungleichung

32. Eschers Bildgalerie, eine verwickelte Hierarchie

33. Zeichnen von M. C. Escher

34. Der Uroboros

Prolog

Während meiner Promotion in der Quantenmechanik hatte sich ein Kreis von Studienkollegen gebildet, die stundenlang darüber diskutieren konnten, ob ein Elektron wirklich zur selben Zeit an zwei Orten sein kann. Ich konnte den Gedanken durchaus akzeptieren. Da ist die Quantenmathematik in ihrer Aussage trotz ihrer Komplexität eindeutig. Aber verhält sich ein gewöhnliches Objekt, etwas »Reales«, wie wir sagen, z. B. ein Stuhl oder ein Tisch, so wie ein Elektron? Wird gar, sobald niemand hinschaut, eine Welle daraus, die sich unentwegt ausbreitet?

Es hat nicht den Anschein, als verhielten sich Objekte, mit denen wir im Alltag zu tun haben, in so wunderlicher Weise, wie es für die Quantenmechanik nun einmal typisch ist. Unterbewußt neigen wir zu dem Denken, daß die makroskopische Materie etwas anderes ist als die mikroskopischen Teilchen und daß ihr konventionelles Verhalten Newtonschen Gesetzen unterworfen ist, also mithin der klassischen Physik. Viele Physiker zerbrechen sich über die Paradoxien der Quantenphysik nicht mehr den Kopf. Sie geben sich damit zufrieden, die Welt in klassische Objekte und Quantenobjekte aufzuteilen. Das war in meinem Fall nicht anders; mir war gar nicht klar, was ich da eigentlich anstellte.

Wer als Physiker Karriere machen möchte, hält sich besser nicht so sehr mit den Fragen und Rätseln der Quantenphysik auf. Quantenphysik, so wurde mir erklärt, macht man pragmatisch, d. h. man rechnet. Ich schloß einen Kompromiß, mit der Folge, daß die Fragen, die in jungen Jahren in mir genagt hatten, mehr und mehr in Vergessenheit gerieten.

Nachdem ich zum x-ten Male an heftigem Sodbrennen zu leiden hatte – was mit meiner leistungsorientierten Karriere zusammenhing –, erinnerte ich mich auf einmal wieder, welchen Spaß ich einst an der Physik gehabt hatte. Mir wurde klar, daß ich die geistige Kompromißlösung aufgeben mußte, auf die ich mich um der Karriere willen eingelassen hatte; ich mußte meine frühere Geisteshaltung wiederfinden, wenn mir ernsthaft daran gelegen war, das Universum zu verstehen und die Beschaffenheit der Realität zu erforschen. Dabei kam mir ein Buch des Philosophen Thomas Kuhn zu Hilfe. Er unterscheidet darin zwischen paradigmatischer Forschung und wissenschaftlichen Umbrüchen, die einen Paradigmenwechsel mit sich bringen. Ich hatte genug von dem paradigmatischen Forschen. Ich wollte an die äußeren Grenzen der Physik vorstoßen und Gedanken zu einem Paradigmenwechsel entwickeln.

Just zu dieser Zeit kam Fridjof Capras Buch Das Tao der Physik heraus. Zunächst war ich voller Neid und Ablehnung, aber auch zutiefst berührt. Ich erkannte bald, daß das Buch ein Problem anspricht, ohne es indes gründlich zu untersuchen. Capra gab sich zwar alle Mühe, die Parallelen zwischen mystischer und quantenphysikalischer Weltansicht herauszuarbeiten, ging der Sache aber nicht auf den Grund. Inwieweit es mehr als Zufälligkeiten sind, bleibt ununtersucht. Endlich wußte ich, was meine Aufgabe war.

Capras Einstieg in den die Realität betreffenden Fragenkomplex erfolgte durch die Elementarteilchenphysik. Ich wußte aber intuitiv, daß das Kernproblem unmittelbar in der Frage bestand, wie die Quantenphysik zu interpretieren sei. Also fing ich damit an, ohne allerdings zu ahnen, daß es solche interdisziplinären Ausmaße annehmen würde.

Zu jener Zeit leitete ich ein Seminar über physikalische Phänomene in der Science-fiction-Literatur (diese war nämlich schon immer eine Schwäche von mir). Eines Tages sagte eine Studentin zu mir: »Sie reden schon wie die Psychologieprofessorin Carolin Keutzer!« Die folgende Zusammenarbeit mit der Professorin brachte keine wesentlichen Erkenntnisse. Aber ich bekam eine Menge relevanter psychologischer Literatur in die Hand. Schließlich stieß ich auf die Arbeit von Michael Posner und seiner Gruppe, die sich an der Universität von Oregon mit Fragen der kognitiven Psychologie beschäftigten. Ihre Studien sollten für mich eine bedeutende Rolle spielen.

Meine Aufgabe erforderte nicht nur die Einbeziehung psychologischer Erkenntnisse, sondern auch die Berücksichtigung neuester Ergebnisse der Neurophysiologie. Der berühmte Delphinforscher John Lilly brachte mich mit einem passionierten Neurophysiologen zusammen. Lilly hatte mich zu einem Seminar eingeladen, das er in Esalen abhalten wollte. Und dort traf ich dann mit Frank Barr zusammen. Wenn meine Leidenschaft die Quantenmechanik war, dann war es bei Frank die Neurophysiologie. Ohne ihn hätte ich das Buch nicht beginnen können. Endlich hatte ich eine Ausgangsbasis – den Aspekt »Gehirn und Geist«.

Die Theorien zur artifiziellen Intelligenz ließen meine Ideen weiter reifen. Einer der herausragenden Theoretiker auf dem Gebiet der AI ist Doug Hofstadter. Er promovierte in Physik an der Universität von Oregon, meiner Lehrstätte. Als sein Buch herauskam, war mein Interesse daran natürlich besonders groß. Doug brachte mich mit seiner Arbeit auf einige wichtige Ideen.

Die bedeutsamen Zufälle hörten nicht auf. Durch zahlreiche Gespräche mit Ray Hyman, einem sehr aufgeschlossenen, skeptischen Kollegen, bekam ich Zugang zur parapsychologischen Forschung. Ein weiteres, sehr wichtiges Ereignis war meine Bekanntschaft mit den drei Mystikern Franklin Merrell-Wolff, Richard Moss und Joel Morwood im Sommer 1984 im kalifornischen Lone Pine.

Da mein Vater in Indien ein brahmanischer Priester und Guru war, wuchs ich in gewisser Weise mit dem Mystizismus auf. Schule und Universität mit ihrer herkömmlichen Ausbildung und einseitigen Spezialisierung brachten mich jedoch auf einen anderen Weg. Am Ende glaubte ich, daß die objektive Realität, so wie die konventionelle Physik sie definiert, die einzige Realität sei – daß alles Subjektive auf einen komplexen Tanz von Atomen zurückgehe, der nur darauf warte, von uns entschlüsselt zu werden.

Dagegen sprach man in Lone Pine von einem Bewußtsein, das seinen »eigenen Ursprung« habe und »eigenständig und konstitutiv« sei. Eine derartige Vorstellung vertrug sich nun überhaupt nicht mit dem, was ich wußte. Im Lauf der Zeit merkte ich aber, daß man auch wissenschaftlich arbeiten kann, wenn man vom Primat des Bewußtseins statt vom Primat der Materie ausgeht, und dann nicht nur die alten Quanten-Paradoxa ihr Ende finden, sondern auch solche neueren Datums aus Psychologie, Gehirnforschung und artifizieller Intelligenz.

Dieses Buch ist das Ergebnis meiner Forschungen, die ich in alle Richtungen hin betrieb. Fast 15 Jahre hat es gedauert, meine Vorein genommenheit gegenüber der klassischen Physik abzulegen und einen anderen Ansatz zugrunde zu legen. Das Buch entstand in der Hoffnung, daß meine Arbeit auch für andere Früchte trägt. Um in abgewandelter Form mit Rabindranath Tagore zu sprechen:

»Ich hab’ der Welt gelauscht,

Mit offenen Augen sie geschaut.

Ließ meine Seele in sie dringen,

Das Unbekannte im Bekannten suchend.

Und staune und singe – ganz laut.«

Natürlich haben noch viele andere an dem Buch mitgewirkt, so z. B. Jean Burns, Paul Ray, David Clark, John David Garcia, Suprokash Mukherjee, Fred Attneave, der inzwischen verstorben ist, Jacobo Grinberg, Ram Dass, Ian Stuart, Henry Stapp, Kim McCarthy, Robert Tompkins, Shawn Boles, Fred Wolf, Mark Mitchell, um nur einige zu nennen. Wichtig war auch die freundschaftliche Unterstützung, insbesondere von Susanne Parker Barnett, Kate Wilhelm, Damon Knight, Andrea Pucci, Dean Kisling, Fleetwood Bernstein, Sherry Anderson, Manoj und Dipti Pal, Geraldine Moreno-Black und Ed Black sowie von meinem Kollegen Mike Moravcsik und unserer lieben Freundin Frederica Leigh, die beide schon aus dem Leben geschieden sind.

Ein besonderer Dank geht an Richard Reed; er überredete mich, das Manuskript zu veröffentlichen, und legte es Jeremy Tarcher vor. Richard leistete außerdem wichtige Kritik und Hilfe beim Lektorieren. Meine Frau Maggie hat so viel zur Entwicklung und sprachlichen Gestaltung der Ideen beigetragen, daß dieses Buch ohne sie nie zustande gekommen wäre. Meinen ausdrücklichen Dank verdienen auch Aidan Kelly, Daniel Malvin und Bob Shepherd, die Verlagslektoren von J. P. Tarcher, Inc., und nicht zuletzt Jeremy Tarcher selbst, weil er sich den Glauben an dieses Projekt nicht hat nehmen lassen.

Vorwort

Vor nicht allzulanger Zeit glaubten wir Physiker, endlich am Ziel unserer Suche zu sein. Wir standen am Ende eines Wegs. Für uns war das mechanische Universum von glanzvoller Perfektion. Weil die Dinge schon immer so waren, verhalten sie sich eben so, wie sie sich verhalten; und sie werden sich auch zukünftig so verhalten, weil sie nun mal so sind, wie sie sind; usw. Es paßte alles in die hübsche Newton-Maxwellsche-Verpackung. Immer hatte man geeignete mathematische Gleichungen für die Natur der Dinge parat. Ein Symbol auf dem wissenschaftlichen Arbeitspapier und die Bewegung des kleinsten wie größten Objekts in Raum und Zeit entsprachen sich eins zu eins.

Ende des 19. Jahrhunderts meinte A. A. Michelson, daß die Zukunft der Physik dahin ginge, »die bereits erzielten Resultate um ein paar Dezimalstellen zu verbessern«. Fairerweise muß man sagen, daß Michelson glaubte, er würde den berühmten Lord Kelvin zitieren. Denn es war in der Tat Kelvin, der gemeint hatte, im Reich der Physik wäre alles perfekt, bis auf zwei dunkle Wolken, die den Horizont verhingen.

Wie sich zeigte, verdeckten diese zwei Wolken nicht nur die Landschaft Turners und Newtons, sondern verwandelten sie in eine verwirrende abstrakte Vision eines Jackson Pollock aus Tupfen, Klecksen und Wellen. Diese wolkigen Gebilde waren die Vorläufer der mittlerweile ins Rampenlicht getretenen Quantentheorie, die für alles eine Erklärung zu haben schien.

Und nun ziehen am Ende des 20. Jahrhunderts erneut Wolken herauf, die selbst die Welt der Quantenphysik verdunkeln. Das Newtonsche Weltbild hat wie ehedem seine Bewunderer, denn immerhin erklärt es ein ansehnliches Spektrum mechanischer Phänomene, vom Raumschiff bis zum Auto, vom Satelliten bis zum Dosenöffner. So wie sich das abstrakte Bild der Quanten dem Betrachter letztlich darbot, sind es scheinbar zufällige Tupfen (Quanten), die die physikalische Landschaft eines Newton entstehen lassen. Deshalb glauben viele von uns immer noch, daß es eine gewisse objektive mechanische Ordnung gibt, die selbst den Quanten-Tupfen, kurzum allem, zugrunde liegt.

Die Wissenschaft verfährt nach einer fundamentalen Annahme, wie die Dinge sind oder sein müssen, und genau diese stellt Amit Goswami gemeinsam mit Richard E. Reed und Maggie Goswami hier in Frage – nämlich daß »da draußen« eine reale, objektive Wirklichkeit existiert. Die zweifelhaften Wissenschaftspositionen des vorigen Jahrhunderts läuteten zwar eine neue Epoche ein, aber nun scheint sich nicht nur das Ende dieses Säkulums anzukündigen, sondern mit ihm das Ende der Wissenschaft, wie wir sie bislang kennen.

Diese objektive Realität ist von feststofflicher Natur. Sie setzt sich aus Dingen zusammen, die substantielle Eigenschaften besitzen, wie Masse, elektrische Ladung, Impuls, Drehimpuls, Spin, Raumlage und zeitliche Kontinuität, die als Trägheit oder als Energie zum Ausdruck kommen; und dringt man in die mikroskopische Welt ein, stößt man auf Attribute wie Seltsamkeit, Lieblichkeit und Farbigkeit. Und doch kommen immer wieder Unklarheiten auf. Denn trotz allem, was wir über die objektive Welt wissen, mit all ihren Windungen und Umkehrungen von Raum in Zeit und in Materie und mit ihren Schwarzen Wolken, den sogenannten Schwarzen Löchern – immer wieder stehen wir mit unserem hochtourig arbeitenden Verstand vor einem Haufen von Rätseln, Widersprüchlichkeiten und Puzzleteilchen, die einfach nicht zusammenpassen wollen.

Aber wir Physiker sind Dickköpfe und haben Angst, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wir schäumen unser Gesicht ein und achten sorgfältig darauf, daß wir alle überflüssigen »haarigen Annahmen« mit Occams Rasierer wegschaben. Was sind das für Wolken, die die Konsequenz der abstrakten Kunstform des 20. Jahrhunderts verschleiern? Zusammenfassend kann man in einem Satz sagen: Das Universum scheint ohne einen Betrachter nicht zu existieren.

In gewisser Hinsicht macht das sicherlich Sinn. Schon das Wort »Universum« ist ein menschliches Konstrukt. So mag es einleuchtend klingen, daß das, was wir als »Universum« bezeichnen, mit unserer Fähigkeit zur Wortbildung zusammenhängt. Aber geht diese Beobachtung über eine simple semantische Fragestellung hinaus? Gab es ein Universum, als noch keine Menschen existierten? Es scheint so. Gab es Atome vor der Entdeckung der atomaren Natur der Materie? Der Logik nach mußte es die Naturgesetze ebenso wie die gesetzmäßigen Kräfte, Ursachen usw. schon gegeben haben, als uns Atome und subatomare Teilchen noch nicht bekannt waren.

Doch genau diese Annahmen über die objektive Realität sind durch unser gegenwärtiges Verständnis der Physik in Frage gestellt. Nehmen wir ein einfaches Teilchen, das Elektron. Handelt es sich dabei um ein Materiekörnchen? Davon auszugehen, daß dem so ist und es sich entsprechend verhält, erweist sich eindeutig als falsch. Manchmal scheint es eine Wolke aus unendlich vielen möglichen Elektronen zu sein, welche als einzelnes Teilchen »erscheinen« – allerdings nur dann, wenn wir ein solches tatsächlich beobachten. Andere Male erscheint es wie ein sich wellenförmig ausbreitendes Wolkengebilde, das schneller als Licht sein kann, was Einsteins Auffassung völlig widerspricht, daß Materie nicht schneller als Licht sein kann. Aber Einstein kann beruhigt sein. Denn wenn es sich so bewegt, ist es eigentlich kein Materiestückchen.

Oder nehmen wir das Zusammenspiel zweier Elektronen. Selbst wenn beide Elektronen sehr weit voneinander entfernt sind, führen die auf sie gerichteten Beobachtungen entsprechend der Quantenphysik zu dem Ergebnis, daß es eine bestimmte Verbindung zwischen ihnen geben muß, die es ihnen ermöglicht, miteinander schneller als mit Lichtgeschwindigkeit zu kommunizieren. Doch bevor diese Beobachtungen gemacht wurden, war nicht einmal klar, wie eine solche Verbindung aussieht. Erst als sich ein Beobachter bewußt einschaltete, bekam man ein Bild davon. Und um ein drittes Beispiel anzuführen: Ein Quantensystem, wie es ein Elektron in einem gebundenen physikalischen Zustand darstellt, scheint zwar in einem unbestimmten Zustand zu sein, trotzdem läßt sich die Unbestimmtheit analysieren und in wohlbestimmte Komponenten zergliedern, die sich irgendwie zu der ursprünglichen Unbestimmtheit summieren. Nun schreitet ein Beobachter ein und läßt, indem er das Elektron schlichtweg beobachtet, die Unbestimmtheit zu einem definitiven, aber unvorhersagbaren Einzelzustand werden, gleich einem Alexander dem Großen, der mit einem einzigen Hieb den Gordischen Knoten zerschlug.

Doch damit nicht genug, denn es könnte sein, daß der Schwerthieb erst in der Zukunft niedersaust und entscheidet, welchen Zustand das Elektron in der Gegenwart einnimmt. Schließlich besteht nun sogar die Möglichkeit, daß in der Gegenwart gemachte Beobachtungen mithin unsere Aussagen über die Vergangenheit bedingen.

Demnach stehen wir erneut am Ende eines Wegs. Es gibt zu viele Quanten-Paradoxien, zu viele Experimente, die zeigen, daß die objektive Welt, die wie ein Uhrzeiger voranschreitet und die Zeit durcheilt – eine Welt, die sagt, daß etwas nicht gleichzeitig an zwei oder mehr Orten sein kann und Fernwirkungen, inbesondere auf kürzeste Dauer, nicht möglich sind –, eine Illusion, eine Schimäre unseres Denkens ist.

Dieses Buch könnte eine Antwort darauf geben, was wir statt dessen tun können. Der Autor stellt eine Hypothese auf, die unserer westlichen Denkweise so fremd ist, daß wir sie automatisch als Phantasterei eines östlichen Mystikers abtun möchten. Sie besagt zum einen, daß jede der oben genannten Paradoxien erklärbar und verständlich wird, wenn wir die liebgewonnene Hypothese aufgeben, daß es eine objektive, vom Bewußtsein unabhängige Realität »da draußen« gibt; zum anderen, daß das Universum ein »bewußtes« Universum ist und die physische Welt an sich vom Bewußtsein erzeugt wird.

Das Wort »Bewußtsein« schließt bei Goswami eine etwas tiefere Bedeutung mit ein, als wenn Sie oder ich es gemeinhin gebrauchen. Er versteht Bewußtsein als etwas Transzendentales – außerhalb von Raum und Zeit, auf keinen Ort beschränkt und alles durchdringend. Es ist die einzige Realität. Und dennoch ist es so, daß wir von ihr nur durch den Vorgang, der die materiellen und geistigen Aspekte unserer Beobachtungsprozesse hervorruft, etwas zu sehen bekommen, also allenfalls flüchtig.

Warum ist es für uns so schwierig, dies zu akzeptieren? Oder gehe ich zu weit, wenn ich das so sage? Vielleicht ist jene Hypothese für Sie selbstverständlich. Was mich betrifft, so komme ich mit ihr manchmal ganz gut zurecht. Aber dann stoße ich gegen einen Stuhl und ziehe mir eine Prellung am Bein zu. Schon kehrt jene alte Realität zurück, und ich »sehe« mich getrennt, indem ich die räumliche Position des Stuhls in ziemlich arroganter Weise erst von der meinen trenne und dann so richtig verfluche. Goswami geht dieses Problem vortrefflich an und hat oft amüsante Beispiele parat, um seine These zu veranschaulichen, daß das Ich und der Stuhl etwas ist, das dem Bewußtsein entspringt.

Goswami hat den Versuch unternommen, die uralte Kluft zwischen Wissenschaft und Spiritualität zu überbrücken. Was er über den monistischen Idealismus alles zu sagen hat und wie sich damit die Paradoxa der Quantenphysik auflösen lassen, ist äußerst umfassend. Auch der uralten Frage von Geist und Körper bzw. Geist und Gehirn geht er nach und macht deutlich, wie seine übergreifende Hypothese, daß alles Seiende Bewußtsein ist, die kartesische Trennung von Leib und Seele überwindet – und insbesondere wie es dazu kommt, daß ein einziges, alles in sich einschließendes Bewußtsein als viele getrennte »Bewußtseine« erscheinen kann. Wenn er am Ende erklärt, wie wir es schaffen, uns wieder durch unsere Umwelt verzaubern zu lassen, dann ist das gewiß ein Hoffnungsschimmer, der nötig ist, damit wir uns durch die dunklen Wolken ins 21. Jahrhundert vorantasten können. Er erklärt uns, welche Erfahrungen er selbst mit seiner Theorie gemacht hat, als er die mystische Wahrheit erkannte, daß alles Bewußtsein ist. Und dieses Wissen, daß es nichts außer Bewußtsein gibt, so sagt er uns, kann nur durch die eigene Erfahrung wahrhaftig verstanden werden.

Dr. phil. Alan WolfAutor von Parallele Universenund Körper, Geist und neue PhysikLa Conner, Washington

ERSTER TEIL

DIE VEREINUNG VON WISSENSCHAFTUND SPIRITUALITÄT

Die Verwirrung, unter der die Welt heute leidet, hat ein gefährliches Ausmaß angenommen. Unser Glaube an die spirituellen Aspekte des Lebens, daran, daß Bewußtsein, Werte und Gott lebendige Realität sind, geht infolge des erbarmungslos vorstoßenden Materialismus der Wissenschaften immer mehr verloren. So begrüßenswert die Vorteile einer Wissenschaft auf der Grundlage einer materialistischen Weltanschauung einerseits sind, so erbärmlich ist andererseits ihr Versagen, wenn es um die Befriedigung unseres intuitiven Wissens vom Reichtum des Lebens und von der Fülle seiner Bedeutungen geht.

Nach und nach haben wir während der letzten 400 Jahre den Glauben entwickelt, Wissenschaft könne nur auf der Vorstellung aufgebaut werden, daß alles aus Materie besteht – aus sogenannten Atomen im leeren Raum. Inzwischen ist es so weit gekommen, daß wir diesen Materialismus wie ein Dogma akzeptieren, ohne in geringster Weise daran Anstoß zu nehmen, daß die meisten Erfahrungen, die wir im Alltag machen und die uns vertraut sind, damit nicht erklärt werden können. Wir haben, um es kurz zu sagen, eine in sich widersprüchliche, unhaltbare Lebensanschauung. Wir leben in einem Dilemma, und deshalb verlangt es uns nach einem neuen Paradigma – nach einer Lebensanschauung, die Verstand und Geist, Ratio und Spiritualität in einer neuen Wissenschaft vereint. Aber bislang ist kein neues Erklärungsmodell erkennbar geworden.

Das hier vorgestellte Paradigma soll zeigen, wie wir eine Wissenschaft entwickeln können, die die Weltreligionen einschließt und in Einklang mit ihnen versucht, die gesamte »conditio humana« zu verstehen. Eigentlich ist dieses neue Paradigma nichts anderes als die Wiederentdeckung einer uralten Idee und ihre Überprüfung mit den Mitteln einer modernen Wissenschaft – die Idee, daß das Bewußtsein Grundlage alles Seienden ist, nicht die Materie.

Der erste Teil dieses Buchs ist eine Einführung in die neue Physik und eine moderne philosophische Darstellung des monistischen Idealismus. Auf diesen beiden Pfeilern versuche ich eine Brücke über die Kluft zwischen Wissenschaft und Religion herzustellen, damit es zu einem gegenseitigen regen Austausch und in der Folge zu einem neuen Paradigma kommen kann.

Erstes Kapitel

DIE KLUFTUND IHRE ÜBERBRÜCKUNG

Ich sehe ein eigenartiges, in Stücke gerissenes Zerrbild eines Menschen, der mir zuwinkt. Was tut er hier? Wie kann er in einem so fragmentarischen Zustand existieren? Wie er wohl heißen mag?

Als ob er meine Gedanken lesen würde, sagt der Gepeinigte: »Macht es in meinem Zustand einen Unterschied, welchen Namen ich habe? Sag’ einfach Guernica zu mir. Ich suche mein Bewußtsein. Oder steht mir etwa keines zu?«

Der Name sagt mir etwas. Ist Guernica nicht ein Meisterwerk von Pablo Picasso, das er aus Protest gegen die Bombardierung der gleichnamigen spanischen Kleinstadt durch die Faschisten malte?

Ich suche nach einer besänftigenden Antwort. »Nun, wenn Sie mir genau sagen, was Ihnen fehlt, kann ich Ihnen vielleicht helfen.«

Seine Augen leuchten auf. »Glauben Sie?« Sehnsüchtig blickt er mich an. »Wollen Sie sich meiner Sache annehmen?«

Etwas verwirrt frage ich: »Wem gegenüber? Und wo?«

»Drinnen. Sie haben gerade eine Feier, während ich hier draußen ohne mein Bewußtsein verlassen bin. Wenn ich es zurückbekomme, bin ich vielleicht wieder ein ganzer Mensch.«

»Wer sind diese Leute?« frage ich.

»Die Wissenschaftler, Sie wissen schon, die, die entscheiden, was real ist.«

»So, so. Dann ist es ja halb so schlimm. Ich bin nämlich Wissenschaftler. Und Wissenschaftler sind immer für alles offen. Ich geh’ mal rein und sprech’ mit ihnen.«

Die Leute auf der Party sind in drei Gruppen aufgeteilt, wie die Inseln des Bermudadreiecks. Ich zögere einen Moment, ehe ich entschlossen auf eine dieser Gruppen zugehe. Man unterhält sich dort rege über die Quantenphysik. Es müssen Physiker sein.

»Die Quantenphysik leistet doch nicht mehr, als Vorhersagen für die Ereignisse zu liefern, die wir im Experiment beobachten«, betont ein vornehm aussehender, leicht ergrauter Herr. »Warum sollen wir denn bei dem ganzen Gerede über Quantenobjekte Vermutungen anstellen, die wir gar nicht untermauern können?«

»Was Sie da sagen, ist doch ein alter Hut«, wirft ein anderer ein. »Es scheint, als sei eine ganze Generation von Physikern der Gehirnwäsche unterzogen worden, damit sie denken, eine adäquate Philosophie der Quantenphysik wäre schon vor 60 Jahren entwickelt worden.1 Dem ist einfach nicht so. Wer versteht denn schon die Quantenmechanik? Kein Mensch!« Sein Bedauern ist ihm deutlich anzusehen.

Allerdings finden diese Worte in der Diskussion kaum Gehör. Ein dritter Herr mit wildem Bartwuchs schaltet sich ein und meint im arroganten und autoritären Ton: »Rücken wir doch mal den Kontext zurecht. Was sagt uns denn die Quantenphysik? Daß sich Objekte durch Wellen darstellen. Objekte sind also Wellen. Und wie wir alle wissen, können Wellen zur gleichen Zeit an zwei oder mehr Orten sein. Beobachten wir dagegen ein Quantenobjekt, dann finden wir es einzig und allein an einer Stelle. Also hier, nicht aber da drüben, und schon gar nicht hier und da drüben gleichzeitig.«

Und aufgeregt gestikulierend fragt er: »Können Sie mir vielleicht in aller Einfachheit sagen, was das bedeutet?« Sein Blick fällt auf mich. »Was meinen denn Sie dazu, mein Herr?«

Diese Aufforderung bringt mich einen Moment lang aus der Fassung, aber ich finde mich rasch wieder zurecht und entgegne: »Nun, wie es scheint, haben unsere Beobachtungen, und demnach wir selbst, eine starke Wirkung auf Quantenobjekte.«

»Nein, nein, nein«, braust er auf. »Solange wir beobachten, gibt es diese Paradoxie nicht, daß das Objekt gleichzeitig an zwei Orten ist. Das haben wir erst wieder, wenn wir nicht beobachten. Offensichtlich können wir es umgehen, wenn wir versprechen, niemals Aussagen darüber zu machen, wo sich ein Objekt zwischen einzelnen Beobachtungen aufhält.«

»Aber was ist, wenn wir, unser Bewußtsein, wirklich eine nachhaltige Wirkung auf Quantenobjekte haben?« bohre ich nach, denn irgendwie, so scheint es mir, hat Guernicas Bewußtsein etwas mit dieser Spekulation zu tun.

»Das hieße doch: Geist über Materie!« schallt es wie aus einem Munde in der Gruppe. Es treffen mich Blicke, als hätte ich eine Gotteslästerung von mir gegeben.

»Aber meine Herren«, stammle ich, ohne mich weiterhin einschüchtern zu lassen. »Nehmen Sie doch mal an, es wäre so und wir könnten uns damit anfreunden.«

Ich erzähle ihnen von Guernicas Dilemma. »Schauen Sie, meine Herren, Sie tragen hier soziale Verantwortung. Seit 60 Jahren wissen Sie, daß die konventionelle, objektive Art und Weise, wie wir Physik betreiben, bei Quantenobjekten nicht funktioniert. Wir stoßen auf Paradoxa. Trotzdem geben Sie Objektivität vor, und die übrige Gesellschaft hat keine Chance zu erkennen, daß wir – unser Bewußtsein – aufs engste mit der Realität verbunden sind. Können Sie sich vorstellen, welche Auswirkung es auf die Lebenseinstellung eines gewöhnlichen Menschen hat, wenn Physiker unmißverständlich gelten lassen, daß wir von der Welt nicht getrennt sind, sondern statt dessen die Welt sind und dafür Verantwortung tragen müssen? Nur dann kann Guernica, nein, eigentlich jeder von uns, wieder zu seiner Ganzheit finden.«

Nun mischt sich der auffällig vornehme Herr wieder ein. »Ich muß sagen, wenn ich nächtens so ganz allein bin, habe ich auch manchmal meine Zweifel. Vielleicht verpassen wir ja eine Chance. Aber meine Mutter sagte schon, daß es im Zweifelsfall besser ist, so zu tun, als wüßte man von nichts. Für uns ist das Bewußtsein ein weißer Fleck. Es ist Sache der Psychologen, von diesen Leuten da drüben.« Er deutet in eine Ecke.

Ich lasse mich nicht abbringen: »Aber angenommen, wir definieren Bewußtsein als eine Art Organisation, die auf Quantenobjekte Einfluß hat, um ihr Verhalten wahrnehmbar zu machen. Ich bin sicher, daß diese Möglichkeit für Psychologen in Betracht kommen könnte. Warum gehen wir nicht gemeinsam zu ihnen? Lassen wir es doch mal auf einen Versuch ankommen. Vielleicht ist jetzt der richtige Augenblick, unsere separatistische Weltanschauung zu ändern.« Irgendwie bin ich inzwischen überzeugt, daß Guernica eine Chance hat, sein Bewußtsein wiederzuerhalten, wenn es mir gelingt, diese Leute aufzurütteln und unter einen Hut zu bekommen.

»Zu sagen, daß das Bewußtsein kausalen Einfluß auf Atome hat, heißt doch, die Büchse der Pandora öffnen. Damit würde die ganze objektive Physik über den Haufen geworfen. Das ganze System wäre in sich nicht mehr geschlossen. Unsere Glaubwürdigkeit wäre doch dahin.« Die Endgültigkeit, mit der das gesagt wird, ist nicht zu überhören. Jemand, dessen Stimme ich vorhin schon gehört habe, meint: »Wer versteht denn schon die Quantenmechanik? Kein Mensch!«

»Aber ich habe Guernica versprochen, daß ich mich für ihn verwenden würde, damit er sein Bewußtsein wiederbekommt! Hören Sie mir doch bitte einmal vollends zu!« protestiere ich. Aber das scheint niemanden zu interessieren. Ich bin für die Gruppe nicht mehr vorhanden, wesenlos, ohne Dasein – ohne Bewußtsein, wie Guernica.

Ich will es bei den Psychologen versuchen. In ihrer Ecke stehen viele Rattenkäfige und Computer.

Eine Frau ist gerade dabei, einem jungen Mann etwas zu erklären. Sie macht einen ziemlich kompetenten Eindruck. »Wir gehen davon aus, daß Gehirn und Geist zusammen so etwas wie ein Computer sind. Unsere Hoffnung ist, über das behaviouristische Wettrennen mit den Ratten hinauszukommen. Das Gehirn stellt sozusagen die Hardware des Computers dar und ist das einzig Reale. Wirklich. Außer dem Gehirn gibt es nichts. Allerdings ist es so, daß mit der Zeit in der Hardware des Gehirns verschiedene Zustände unabhängige Funktionen ausüben, so wie die Software bei Computern. Diese Zustände der Hardware sind nichts anderes als das, was wir als ›Verstand‹ bzw. ›Geist‹ bezeichnen.«

»Was ist dann das Bewußtsein?« will der junge Mann wissen.

Das kommt ja wie gerufen. Schließlich bin ich doch gekommen, um herauszufinden, wie Psychologen über das Bewußtsein denken! Wenn einer über Guernicas Bewußtsein Kontrolle hat, dann sie!

»Das Bewußtsein ist sozusagen die zentrale Steuereinheit, das Befehlszentrum des Computers«, gibt die Frau geduldig zur Antwort.

Diese Antwort scheint den jungen Mann jedoch nicht zufriedenzustellen. »Wenn wir alles, was wir an In- und Output leisten, mit Begriffen und Aktivitäten integrierter Computerschaltkreise erklären können, und das sogar prinzipiell, dann scheint doch Bewußtsein etwas absolut Unnötiges zu sein.«2

Jetzt kann ich mich nicht mehr zurückhalten. »Bitte geben Sie die Sache mit dem Bewußtsein nicht gleich auf. Ich habe einen Freund, der es unbedingt braucht.« Ich erzähle ihnen von Guernicas Problem.

»Was sagen Sie da? Bewußtsein? Soweit ist die kognitive Psychologie noch lange nicht.«3 Was ein schmuck gekleideter Herr da gerade einwirft, klingt wie ein Echo eines Physikers, mit dem ich früher befreundet war. »Wir wissen nicht einmal, wie wir es definieren sollen.«

»Ich kann Ihnen sagen, wie die Definition für einen Physiker lautet. Bewußtsein hat etwas mit Quanten zu tun.«

Das Wort »Quanten« läßt sie aufhorchen. Ich erkläre zunächst, daß Quantenobjekte Größen sind, die in Form von Wellen an mehr als einem Ort existieren und sich ausbreiten, und daß das Bewußtsein so etwas wie eine Dachorganisation sein könnte, die die Wellen so scharf einstellt, daß wir sie an Ort und Stelle beobachten können. »Und damit ist Ihr Problem gelöst«, bemerke ich. »Sie können die Definition von Bewußtsein der Physik entnehmen! Und vielleicht können Sie meinem Freund Guernica dann helfen.«

»Aber bringen Sie da nichts durcheinander? Sagen Physiker nicht, daß alles aus Atomen besteht – aus Quantenobjekten? Wenn Bewußtsein etwas ist, das ebenfalls aus Quantenobjekten besteht, wie kann es dann kausal auf sie einwirken? Denken Sie doch mal nach, Mann!«

Ich gerate etwas in Panik. Wenn diese Psychologen wissen, wovon sie reden, dann ist selbst mein Bewußtsein eine Illusion, von Guernicas ganz zu schweigen. Aber die Psychologen haben nur recht, wenn alles, also auch das Bewußtsein, wirklich aus Atomen ist. Plötzlich habe ich einen Geistesblitz. Ja, es gibt noch eine andere Möglichkeit, und schon platzt es aus mir heraus: »Sie gehen es ganz falsch an. Sie können nicht sicher sein, ob alles aus Atomen besteht – das ist eine Vermutung. Nehmen Sie doch mal an, alles, auch die Atome, setzen sich statt dessen aus Bewußtsein zusammen!«

Alle, die mir zugehört haben, scheinen völlig verdutzt zu sein. »Zugegeben, es gibt einige Psychologen, die so denken. Und was Sie da sagen, ist ganz interessant. Aber es ist nicht gerade wissenschaftlich. Wenn wir jedoch wollen, daß die Psychologie einen wissenschaftlichen Status bekommt, dann klammern wir das mit dem Bewußtsein besser aus – vor allem die Auffassung, Bewußtsein könnte die primäre Realität sein. Tut mir leid, Kollege.« Eigentlich klingt die Frau, die das soeben gesagt hat, ganz sympathisch.

Aber was Guernicas Bewußtsein betrifft, bin ich immer noch nicht weiter. In meiner Verzweifelung wende ich mich an die letzte Gruppe – die dritte Spitze des Dreiecks. Wie sich herausstellt, sind es Neurophysiologen (Gehirnwissenschaftler). Vielleicht sind sie imstande, es wirklich zu beurteilen.

Auch sie befinden sich mitten in einer Debatte über das Bewußtsein. Ich habe wieder etwas Hoffnung. »Bewußtsein ist eine kausale Entität«, höre ich. »Erst dadurch bekommt Existenz überhaupt Bedeutung. Sehen Sie das nicht auch so?« sagt einer der Anwesenden zu einem älteren, sehr hageren Mann. »Aber es muß ein Phänomen sein, das direkt mit dem Gehirn zusammenhängt, also nicht von ihm getrennt ist. Eine höhere, aus ihm erwachsende qualitative Erscheinungsform. Schließlich ist alles aus Materie. Etwas anderes gibt es nicht.«4

»Wie kann etwas, das aus etwas anderem zusammengesetzt ist, kausal auf das einwirken, woraus es beschaffen ist?« wendet der hagere Kollege mit einem englischen Akzent ein. »Das wäre wie eine Werbesendung, die sich selbst wiederholt, weil sie auf den elektronischen Schaltkreis des Fernsehers einwirkt. Das ist doch unerhört! Nein, das Bewußtsein muß eine vom Gehirn getrennte Entität sein, um einen kausalen Effekt darauf zu haben. Es ist etwas, das außerhalb der materiellen Welt liegt, etwas Separates.«5

»Aber wie kann es dann eine Interaktion zwischen beiden geben? Ein Geist kann auf eine Maschine keine Einwirkung haben.«

Ein Dritter, der sein Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hat, unterbricht die beiden unhöflicherweise und meint lachend: »Was Sie da beide reden, ist doch völliger Humbug. Alle ihre Probleme kommen einfach dadurch zustande, daß sie versuchen wollen, in einer an sich bedeutungslosen materiellen Welt Bedeutung zu finden. Die Physiker haben ganz recht, wenn sie sagen, es gäbe keine Bedeutung, keinen freien Willen, und alles beruhe nur auf dem zufälligen Spiel von Atomen.«

Sarkastisch erwidert der mit englischem Akzent sprechende Verfechter eines einer separaten Welt angehörenden Bewußtseins: »Und Sie denken wohl, daß Ihr Gerede Sinn macht! Sie sind doch selbst nur das Spiel der zufälligen, bedeutungslosen Bewegung von Atomen. Und trotzdem stellen Sie Theorien auf und glauben obendrein, ihre Theorien hätten etwas zu bedeuten.«

Nun mische auch ich mich in die Debatte ein. »Ich weiß, wie wir selbst in das Spiel von Atomen einen Sinn hineinlegen können. Wir brauchen nur anzunehmen, daß alles statt aus Atomen aus Bewußtsein besteht. Ja, was dann?«

»Woher haben Sie denn die Idee?« Ihre Frage klingt ziemlich herausfordernd.

»Aus der Quantenphysik«, antworte ich.

»Was wollen Sie denn mit der Quantenphysik auf der makroskopischen Ebene des Gehirns?« halten sie unisono und im autoritären Ton dagegen. »Quanten sind für die Mikrowelt gedacht, für die Atome. Atome bauen Moleküle auf, Moleküle Zellen und Zellen das Gehirn. Wir arbeiten jeden Tag mit dem Gehirn. Es ist vollkommen unnötig, hier die Quantenmechanik von Atomen anzuführen, um das auf oberster Ebene erkennbare, ja handfeste Verhalten des Gehirns zu erklären.«

»Aber Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Sie das Gehirn vollständig verstehen, oder? So einfach ist das Gehirn nicht. Hat nicht jemand mal gesagt, wenn das Gehirn so einfach wäre, daß wir es verstehen könnten, dann hätten wir eine so simple Natur, daß wir es doch nicht könnten?«

»Mag schon sein«, räumen sie ein. »Aber wohin soll denn die Idee mit den Quanten beim Bewußtsein führen?«

Ich erzähle ihnen, welchen Einfluß das Bewußtsein auf die Quantenwelle hat. »Wenn das Bewußtsein aus Atomen besteht, haben wir eine Paradoxie. Ändern wir aber unsere Ansicht hinsichtlich dessen, wie die Welt beschaffen ist, löst sich diese Paradoxie von selbst. Ich sage Ihnen, die Welt besteht aus Bewußtsein.« Ich kann meine Aufregung so wenig verbergen wie meinen Stolz über diese durchschlagende Idee. Ich möchte diese Leute unbedingt dafür gewinnen.

»Das Gute daran ist«, erkläre ich weiter, »daß die Allgemeinheit, wüßte sie wirklich, daß das Verbindende zwischen uns und der Welt nicht Materie, sondern Bewußtsein ist, ganz, ganz andere Einstellungen zum Leben bekäme. Krieg und Frieden, Umweltverschmutzung, soziale Gerechtigkeit, religiöse Werte und alle anderen menschlichen Probleme und erstrebten Ziele bekämen eine ganz andere Dimension.«

»Das klingt interessant, und ich habe sogar Sympathie dafür, glauben Sie mir. Aber Ihre Idee hört sich auch ein bißchen wie das Wort zum Sonntag an. Wie sollen wir religiöse Vorstellungen als wissenschaftliche Aussagen akzeptieren können, ohne unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren?« Es scheint, als frage er nicht mich, sondern sich selbst.

»Ich bitte Sie, lassen Sie dem Bewußtsein das, was ihm zusteht«, erwidere ich. »Ohne Bewußsein kann mein Freund Guernica kein ganzer Mensch sein. Und nach dem, was ich auf dieser Party heraushören konnte, ist er nicht der einzige, dem es so ergeht. Wie können Sie noch darüber debattieren, ob Bewußtsein überhaupt existiert? Ich finde, es reicht jetzt. Denn Sie wissen ganz genau, daß sich über seine Existenz nicht diskutieren läßt.«

»Schon gut«, meint der Kollege mit dem Pferdeschwanz kopfschüttelnd. »Wenn Sie mich fragen, ist es einfach ein Mißverständnis. Jeder von uns hat sich doch entschieden, ein Guernica zu sein. Ohne das geht es nicht, wenn man als Wissenschaftler arbeiten möchte. Wir müssen nun mal davon ausgehen, daß wir alle aus Atomen bestehen. Da kann unser Bewußtsein nur ein zweitrangiges Phänomen sein, eine Begleiterscheinung des Tanzes der Atome, ein Epiphänomen, mehr nicht. Das ist eben ein notwendiges Erfordernis, wenn wir Wissenschaft im wesentlichen objektiv betreiben wollen.«

Ich verlasse die erlauchte Versammlung, um zu Guernica zurückzugehen und ihm von meiner traurigen Erfahrung zu berichten. »Wissen Sie, Abraham Maslow hat einmal gesagt, ›Wenn man nur einen Hammer als Werkzeug hat, behandelt man allmählich alles, als sei’s ein Nagel.‹ Diese Leute haben sich daran gewöhnt, eine aus Atomen zusammengesetzte und von ihnen getrennte Welt zu sehen. Für sie ist Bewußtsein ein illusorisches Epiphänomen. Bewußtsein können Sie von denen leider nicht zugesprochen bekommen.«

»Aber wie ist es mit Ihnen?« fragt mich Guernica und sieht mich intensiv an. »Wollen Sie sich auch hinter der wissenschaftlichen Objektivität verschanzen? Oder wollen Sie etwas unternehmen, um mir zu helfen, meine Ganzheit wiederzugewinnen?« Er hält sich an mir fest und rüttelt mich.

Ich wache auf. Ich merke, es ist ein Traum gewesen. Langsam entsteht der Entschluß, dieses Buch zu schreiben.

Wir stehen heute in der Physik vor einem Dilemma. In der Quantenphysik – der modernen Physik – haben wir einen theoretischen Rahmen gefunden, worin sehr vieles aufgeht; unzählige Laborexperimente werden damit erklärt. Ungemein nützliche Technologien wie Transistoren, Laser, Supraleiter etc. gäbe es nicht ohne die Quantenphysik. Dennoch können wir uns aus der Mathematik der Quantenphysik keinen Reim machen, ohne experimentelle Resultate in einer Weise zu interpretieren, die von vielen nur als paradox, wenn nicht sogar als unmöglich bezeichnet werden kann. Betrachten wir einmal die folgenden Eigenschaften von Quanten:

• Quantenobjekte (z.B. Elektronen) haben die Eigenschaft, daß sie gleichzeitig an zwei und mehr Orten sein können (Wellennatur).

• Quantenobjekte haben die Eigenschaft, daß sie sich sozusagen erst dann in der normalen Raumzeit manifestieren, wenn wir sie als Teilchen beobachten (Wellenkollaps).

• Quantenobjekte haben die Eigenschaft, daß sie an dem einen Ort zu existieren aufhören und gleichzeitig an einem anderen in Erscheinung treten. Wir können nicht sagen, daß sie den dazwischenliegenden Raum auf normalem Wege durchquerten (Quantensprung).

• Eine durch unsere Beobachtung zustande gekommene Manifestation eines Quantenobjekts beeinflußt sein gebundenes Zwillingsobjekt – ungeachtet ihrer Entfernung voneinander (Quanten-Fernwirkung).

Wir können die Quantenphysik nicht mit experimentellen Meßdaten verbinden, ohne ein Interpretationsschema zu haben. Deutungen, Erklärungen oder Interpretationen hängen nun aber immer von der Philosophie ab, die wir auf das Rohmaterial anwenden. Die die Wissenschaft seit Jahrhunderten dominierende Philosophie des naturwissenschaftlichen bzw. materialistischen Realismus setzt voraus, daß nur Materie – bestehend aus Atomen oder letztlich aus Elementarteilchen – real ist und alles andere zweitrangige Phänomene der Materie sind und demzufolge nichts weiter als ein Tanz der Bauklötzchen, der Atome eben. Diese Weltanschauung wird Realismus genannt, weil Objekte als real gelten wie auch als unabhängig von Subjekten, sprich von uns oder unserer Beobachtungsweise.

Die Vorstellung, daß alle Dinge aus Atomen bestehen, ist jedoch eine unbewiesene Hypothese; sie basiert nicht auf irgendeinem unmittelbaren Beweis, daß dies tatsächlich für alle Dinge zutrifft. Wenn uns die moderne Physik mit einer Situation konfrontiert, die aus der Sicht eines materiellen Realismus paradox erscheint, übersehen wir häufig, daß die Paradoxien vielleicht deshalb auftreten könnten, weil unsere unbewiesene Annahme ein Irrtum ist. (Wir vergessen auch gerne, daß eine Hypothese nicht dadurch zum Fakt wird, daß sie seit langem aufrechterhalten wird, und wenn wir daran erinnert werden, nehmen wir es häufig übel.)

Viele Physiker vermuten heutzutage, daß mit dem materiellen Realismus etwas nicht stimmen kann, fürchten aber, sie könnten aus dem Boot fallen, in dem sie alle sitzen und das ihnen lange Zeit sehr gute Dienste erwiesen hat. Sie merken nicht, daß es immer mehr vom Kurs abkommt und infolgedessen neu navigiert werden muß.

Gibt es eine Alternative zur Philosophie des materialistischen Realismus? In all seinen Versuchen, die Existenz unseres Geistes zu erklären, kommt der materialistische Realismus, ungeachtet seiner Computermodelle, auf keinen grünen Zweig, insbesondere nicht, wenn es um das Phänomen des Selbstbewußtseins mit seiner kausalen Wirkungskraft geht. »Was ist Bewußtsein?« – diese Frage tut der materialistische Realist achselzuckend und mit einem höflichen »Tut nichts zur Sache« ab. Wenn wir allerdings all die Theorien wirklich ernst nehmen, die dieser bewußte Geist hervorbringt (die ihn negierenden Theorien eingeschlossen), dann spielt das Bewußtsein sehr wohl eine Rolle.

Seit der Zweiteilung der Realität in Geist und Materie durch René Descartes hat man immer wieder versucht, die Fähigkeit des bewußten Geistes, auf die Welt kausal einzuwirken, rational und innerhalb des kartesischen Dualismus zu erklären. Nichtsdestoweniger gibt es seitens der Wissenschaft zwingende Gründe, die gewisse Zweifel aufkommen lassen, ob eine dualistische Philosophie haltbar ist. Die Wechselwirkung zwischen Geist und Materie bedeutet, daß zwischen beiden Welten Energie ausgetauscht wird. Wir wissen aber, daß die Energie der materiellen Welt konstant erhalten bleibt. Demnach gibt es nur eine Realität. Und genau das bringt uns in die Zwickmühle. Denn wenn diese eine Realität von materieller Natur ist, dann kann es an sich kein Bewußtsein geben, höchstens als anomales Epiphänomen.

Die Frage ist also: Gibt es eine monistische Alternative zum materialistischen Realismus, wobei Geist und Materie integraler Bestandteil einer Realität sind, die nicht auf Materie beruht? Meiner Überzeugung nach ja. Die Alternative, die ich hier vorschlage, ist der monistische Idealismus. Diese Philosophie ist »monistisch« – im Gegensatz zu dualistisch –, und der philosophische Idealismus hat nichts mit »Idealen« zu tun, sondern mit Ideen und mit dem Bewußtsein davon; sie sind als die Grundelemente der Realität zu betrachten, nicht die Materie – diese ist nachrangig. Statt also davon auszugehen, daß alles (einschließlich des Bewußtseins) aus Materie besteht, wird nun postuliert, daß alles (einschließlich der Materie) im Bewußtsein existiert und vom Bewußtsein her manipuliert wird. Diese Philosophie sagt nicht, daß Materie nicht real ist, sondern daß die Realität der Materie der Realität des Bewußtseins nachrangig ist, das seinerseits allem Seienden zugrunde liegt – einschließlich der Materie.

Dank der Philosophie des monistischen Idealismus kann die Quantenphysik frei von Paradoxien interpretiert werden. Geistige Phänomene wie Selbstbewußtsein, Willensfreiheit, Kreativität, selbst die Fähigkeit zur übersinnlichen Wahrnehmung finden einfache Erklärungen, wenn das Problem der Trennung zwischen Geist und Körper im Gesamtkontext eines monistischen Idealismus und der Quantentheorie neu formuliert wird. Auf diese Weise können wir unsere Ganzheitlichkeit begreifen und verstehen, wie wir mit dem, was die großen spirituellen Traditionen seit Jahrtausenden vermitteln, ganz und gar im Einklang sind.

Der negative Einfluß des materialistischen Realismus auf die Lebensqualität des modernen Menschen ist enorm. Der materialistische Realismus konfrontiert uns mit einem Universum, das ohne spirituelle Bedeutung ist: mechanisch, leer und einsam. Für uns, die wir in dem Kosmos leben, ist das nicht gerade beruhigend, zumal uns das herkömmliche Wissen sagt, daß sich der materialistische Realismus über alle Religionen und Theologien hinweggesetzt hat, die der Realität neben der materiellen Komponente auch eine spirituelle zugeschrieben haben.

Faktisch sieht es jedoch anders aus, denn selbst der Wissenschaft zufolge besitzt die monistische Philosophie gegenüber der dualistischen Trennung von Geist und Materie eine nicht zu leugnende Überlegenheit. Längst existieren wissenschaftliche Daten, die eine monistische Philosophie nahelegen. Allerdings kann diese nicht im Materialismus, sondern nur im Idealismus begründet werden, wie ich in diesem Buch ausführen werde.

In der idealistischen Philosophie kommt dem Bewußtsein eine fundamentale Rolle zu; d. h., daß unsere spirituellen Erfahrungen als bedeutsam anerkannt und entsprechend eingestuft werden. Diese Philosophie stimmt mit einer Vielzahl von Interpretationen spiritueller Erfahrungen des Menschen überein, aus denen die verschiedenen Weltregionen hervorgegangen sind. Von diesem Standpunkt aus erkennen wir, daß manch ein Konzept, das verschiedenen religiösen Traditionen zugrunde liegt, ebenso stichhaltig ist wie die Deutung quantenphysikalischer Experimente.

Erkenne dich selbst, rieten Philosophen Jahrhunderte hindurch, die wußten, daß unser Selbst das ist, was die Welt organisiert und ihr Bedeutung verleiht. Sie wollten das Selbst im Zusammenhang mit der Natur erkennen. Das änderte sich vollkommen, als die moderne Wissenschaft den Weg des materialistischen Realismus einschlug. Statt Natur und Bewußtsein zu vereinen, wurden beide voneinander getrennt, was schließlich zu einer von der Physik abgespaltenen Psychologie führte. Laut Morris Berman vertrieben wir uns selbst mit dieser materialistisch-realistischen Denkweise aus der magischen, zauberhaften Welt, in der wir einstmals lebten, in einen fremden, unfreundlichen Kosmos hinein.6 Wie Ausgestoßene leben wir in dieser Fremde. Kein Wunder, daß wir riskieren, diese wunderschöne Welt durch Atomkrieg und Umweltzerstörung zu vernichten, denn nur ein Ausgestoßener würde so weit gehen. Das Gefühl, ausgestoßen zu sein, untergräbt unseren Ansporn, eine andere Perspektive einzunehmen. Wir werden so konditioniert, daß wir glauben, wir seien Maschinen und all unser Handeln und Tun würde von äußeren Reizen und vorausgegangenen Konditionierungen determiniert. Als Ausgestoßene haben wir keine Verantwortung und keine Wahl, und unser freier Wille ist nur eine Einbildung.

Gerade deshalb ist es so wichtig, daß wir unser Weltbild genau überprüfen. Jeder einzelne von uns sollte sich fragen: Warum werde ich von nuklearer Vernichtung bedroht? Warum wird immer noch zu dem barbarischen Mittel des Krieges gegriffen, um Streitigkeiten in der Welt zu lösen? Warum kommt es in Afrika immer wieder zu Hungersnöten, wenn allein die USA so viele Nahrungsmittel erzeugen können, um die ganze Welt zu ernähren? Wieso habe ich eine Weltanschauung (bzw. wieso bin ich in eine Weltanschauung verbohrt?), die zwischen mir und meinen Mitmenschen große Trennwände errichtet, obwohl wir doch alle genetisch, geistig und spirituell ähnlich ausgestattet sind? Wenn ich den materialistischen Realismus ablege, weil er überholt ist, und statt dessen eine Weltanschauung prüfe, wie sie die Quantenphysik zu fordern scheint, könnte ich dann mit der Welt wieder eins werden?

Wir müssen mehr über uns wissen. Wir müssen wissen, ob wir unsere Perspektive verändern können – ob unser geistiger Aufbau es zuläßt. Kann uns die moderne Physik und die idealistische Philosophie des Bewußtsein neue Anstöße und Kontexte für eine Veränderung geben?

Zweites Kapitel

DIE HERKÖMMLICHE PHYSIK UNDIHR PHILOSOPHISCHES VERMÄCHTNIS

Es ist schon einige Jahrzehnte her, als der amerikanische Psychologe Abraham Maslow die Bedürfnisse des Menschen hierarchisch ordnete. Wenn der Mensch seine Grundbedürfnisse befriedigt hat, die sein Überleben sichern, hat er die Möglichkeit, höher geordnete Bedürfnisse zu erfüllen. Nach Maslow ist das höchste Bedürfnis, wonach der Mensch streben kann, der Wunsch nach Selbstverwirklichung, d. h., sich selbst zu erkennen und die eigenen Tiefen auszuloten.1 Da viele Menschen in der westlichen Welt die untersten Sprossen der Maslowschen Leiter bereits hinter sich haben, sollte man meinen, daß sie inzwischen dabei sind, begeistert die oberen zu erklimmen und der Selbstverwirklichung oder einem spirituell erfüllten Leben näherzukommen. Aber dem ist nicht so. Was ist an Maslows Argument falsch? Als Mutter Theresa in den 80er Jahren die Vereinigten Staaten besuchte, sprach sie davon, daß ihrer Beobachtung nach die Amerikaner zwar materiell gesegnet, geistig jedoch völlig verarmt sind.

Maslow ließ außer Acht, welche Konsequenzen sich aus einem nicht hinterfragten Materialismus ergeben, wie er heute in der westlichen Welt und Kultur vorherrschend ist. Die meisten Menschen in den westlichen Ländern nehmen die Idee, daß wir in einer materialistischen Welt leben, als wissenschaftlich gegeben hin. In einer Welt, in der alles aus Materie besteht und diese die fundamentale Realität darstellt, sprießen immer neue materielle Bedürfnisse. Es entsteht nicht der Wunsch nach spiritueller Fortentwicklung, sondern nach immer mehr, immer größeren und immer besseren Dingen: größere Autos, bessere Wohnungen, neueste Modetrends, tollste Unterhaltungen und allerlei technologischer Firlefanz. In einer derartigen Welt werden unsere spirituellen Bedürfnisse oft nicht erkannt, oder sie werden verleugnet oder sublimiert, sofern sie überhaupt noch aufkommen. Wenn Materie das einzig Reale ist, wie uns der Materialismus weismacht, dann sind materielle Besitztümer die einzig passable Grundlage für ein glückliches und gutes Leben.

Natürlich sagen unsere Religionen, unsere spirituellen Lehrer und unsere literarischen Traditionen und Künste, daß das nicht der Fall ist. Bestenfalls führe der Materialismus zu einer krankmachenden Übersättigung, schlimmstenfalls aber zu Kriminalität, Krankheit und anderen Übeln.

In den westlichen Ländern tragen die meisten von uns beide Ansichten zugleich mit sich herum. Sie leben mit diesem Konflikt, indem sie einerseits ganz gierig an einer materialistischen Konsumkultur teilnehmen, sich aber anderseits deswegen in gewisser Weise selbst verachten. Und wer sich vielleicht noch einigermaßen als religiöser Mensch betrachtet, weil das, was er sagt und denkt, aus seiner religiösen Überzeugung kommt, wird nicht ganz ableugnen können, daß er nur allzuoft gegen seine Absichten handelt. Wir sind nicht imstande, selbst die elementarsten Lehren der Religionen – wie den liebevollen Umgang mit unseren Mitmenschen im Alltag – überzeugend umzusetzen. Andere lösen diese kognitive Dissonanz scheinbar durch religiösen Fundamentalismus oder durch einen gleichermaßen fundamentalistischen Wissenschaftsglauben.

Alles in allem leben wir in einer Krise – weniger in einer Glaubenskrise als vielmehr in einem Zustand der Konfusion. Wie es dazu gekommen ist? Ich denke, weil wir den Materialismus als sogenannte wissenschaftliche Weltanschauung akzeptiert haben. Indem wir so sehr überzeugt sind, wissenschaftlich sein zu müssen, ähneln wir dem Trödelhändler in der folgenden Geschichte: In einem Trödelladen findet ein Kunde ein Instrument, das er nicht kennt, und will wissen, was es ist.

»Oh, das ist ein Barometer«, sagt der Ladenbesitzer. »Daran können Sie erkennen, ob es regnen wird.«

»Und wie soll das funktionieren?« fragt der Kunde neugierig.

Doch das weiß der Trödelhändler selbst nicht. Aus Angst, sich zu blamieren und kein Geschäft zu machen, wenn er es zugäbe, meint er, »Sie halten es einfach zum Fenster raus und holen es dann wieder rein. Ist es naß, wissen Sie, daß es regnet.«

»Aber dazu brauche ich doch kein Barometer. Das weiß ich auch, wenn ich meine Hand raus halte«, gibt der Mann zu bedenken.

»Das, mein Lieber«, so der Trödler, »das wäre eben nicht wissenschaftlich.«

Wir denken, wir sind wissenschaftlich, sind es aber gar nicht. Um wirklich wissenschaftlich zu sein, müssen wir uns erinnern, daß die Wissenschaft sich immer verändert hat, wenn neue Entddeckungen gemacht wurden. Ist der Materialismus die richtige wissenschaftliche Weltanschauung? Meiner Ansicht nach nicht, auch wenn Wissenschaftler auf diese Frage im allgemeinen eher mit Verwirrung reagieren.

Die Konfusion des Wissenschaftlers ist auf eine Katerstimmung zurückzuführen, denn seit Isaac Newton vor über 400 Jahren den Anstoß zur klassischen Physik gegeben hatte, war man mit ihr immer bestens gefahren. Newtons Theorien brachten uns jedoch auf einen Kurs, der zu dem Materialismus führte, der die westliche Kultur heute dominiert. Die Philosophie des Materialismus, die bis in die Zeit des griechischen Philosophen Demokrit (ca. 460–370 v. Chr.) zurückreicht, findet ihre Entsprechung in der Weltanschauung der klassischen Physik, die mal als materialistischer, mal als physikalischer oder wissenschaftlicher Realismus bezeichnet wird. Obgleich die klassische Physik in diesem Jahrhundert formal von einer neuen wissenschaftlichen Disziplin, der Quantenphysik, abgelöst wurde, wird die alte Philosophie der klassischen Physik, die Philosophie des materialistischen Realismus, immer noch weithin akzeptiert.

Die klassische Physikund der materialistische Realismus

Bei einem Besuch des Palastes von Versailles war der französische Mathematiker und Philosoph René Descartes (1596–1650) von den vielen automatischen Anlagen im Garten des Palastes ziemlich beeindruckt. Angetrieben von unsichtbaren Mechanismen, sprudelte Wasser, spielte Musik, vergnügten sich Meerjungfrauen, und aus einem Becken tauchte der mächtige Neptun auf. Beim Betrachten dieser Wasserspiele kam Descartes auf die Idee, daß auch die Welt etwas Automatisches sein könnte.

Descartes stellte danach eine stark modifizierte Version von seinem Weltbild auf, daß die Welt eine Maschine sei. Seine berühmte Philosophie des Dualismus teilte die Welt in eine objektive und eine subjektive Sphäre. Die eine, repräsentiert durch die Materie, wurde zur Domäne der Wissenschaft, die andere, repräsentiert durch den Geist, zur Domäne der Religion. Auf diese Weise betrieb Descartes eine von der Macht der orthodoxen Kirche freie, wissenschaftliche Forschung. Von Aristoteles übernahm er die Idee der Objektivität, die im wesentlichen davon ausgeht, daß die Dinge unabhängig und getrennt vom Geist (oder Bewußtsein) existieren. Dies ist gemeint, wenn im weiteren vom Prinzip der starken Objektivität die Rede ist.

Descartes’ Vorstellung von der Welt als Maschine sollte auch in die Physik eingehen. Aber so richtig wurde die materialistische Weltanschauung mit dem daraus folgenden Prinzip der kausalen Determiniertheit erst durch Newton und seine bis ins 18. Jahrhundert folgenden Erben etabliert. Hiernach gilt, daß anhand der Bewegungsgesetze und der Anfangsbedingungen (d. h. wo sich ein Objekt gerade befindet und welche Geschwindigkeit es zu diesem Zeitpunkt hat) jede Bewegung eines Objekts genau vorhergesagt werden kann.

Das Weltbild eines Descartes und Newton läßt sich ganz einfach verstehen, wenn man sich das Universum wie einen dicken Haufen großer und kleiner Billiardkugeln vorstellt, die sich in einem dreidimensionalen Tischgestell – dem Weltraum, wie wir sagen – befinden. Wenn wir alle Kräfte kennen, die auf jede dieser Kugeln zu jeder Zeit einwirken, dann können wir aufgrund ihrer Anfangsbedingungen genau berechnen, wo jeder dieser Körper nachher sein wird bzw. vorher war.

Die philosophische Tragweite des Determinismus wurde im 18. Jahrhundert von dem französischen Mathematiker Pierre-Simon de Laplace sehr gut erkannt: »Ein intelligenter Geist, der weiß, wie sich sämtliche Kräfte, von der die Natur beseelt ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt verhalten, und der den Zustand der Körper, die die Natur bilden, zu diesem Zeitpunkt kennt, könnte die Bewegungen der größten Körper des Universums wie die der kleinsten Atome in ein und dieselbe Formel fassen, sofern er von solcher Unermeßlichkeit wäre, diese Daten analysieren zu können: Ein solcher Geist wüßte gewiß alles und hätte die Zukunft wie die Vergangenheit vor Augen.«2

Laplace schrieb außerdem ein sehr erfolgreiches Buch über Himmelsmechanik, das ihn so berühmt machte, daß Napoleon ihn zu sich in den Kaiserpalast bestellte.

»Monsieur Laplace«, sagte Napoleon, »wie kommt es, daß Sie in Ihrem Buch nicht ein einziges Mal Gott erwähnt haben?« (Zu jener Zeit erforderte es die gute Sitte, daß in jedem wichtigen Buch »Gott« ein paarmal vorkam. Offensichtlich wollte Napoleon wissen, welch kühner Mann dieser Laplace war, daß er mit so einer ehrwürdigen Tradition zu brechen gewagt hatte.) Daraufhin soll Laplace die klassische Antwort gegeben haben:

»Aber, Ihre Majestät, warum denn? Ich habe diese Hypothese doch gar nicht gebraucht.«

Laplace verstand ganz richtig, was die klassische Physik und ihr kausal-deterministischer mathematischer Rahmen implizierte: In einem Newtonschen Universum braucht man keinen Gott!

Neben den beiden fundamentalen Prinzipien starker Objektivität und kausaler Determiniertheit baut die klassische Physik noch auf einem dritten auf, das Albert Einstein entdeckt hat. Einsteins Relativitätstheorie dehnte die klassische Physik auf Körper aus, die sich mit hoher Geschwindigkeit bewegen, und erklärte, daß die höchste in der Natur vorkommende Geschwindigkeit die des Lichts sein müsse. Auch wenn die Lichtgeschwindigkeit mit 300.000 Kilometern in der Sekunde enorm ist, ist sie dennoch begrenzt. Damit wird gesagt, daß alle Wirkungen zwischen Materie und Objekten, die in Raum und Zeit vorkommen, lokal begrenzt sind. Jede Wirkung muß im Raum eine Strecke Stück für Stück mit einer begrenzten Geschwindigkeit zurücklegen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang vom Prinzip der Lokalität.

Als Descartes die Welt in Materie und Geist teilte, verzichtete er stillschweigend darauf, die Religion zu attackieren. Ihr war die Oberherrschaft über die geistigen Dinge überlassen, wenn dafür die Wissenschaft über die materiellen Dinge regierte. Diese stillschweigende Übereinkunft hielt über 200 Jahre. Bis mit dem wachsenden Erfolg der Wissenschaft, die Umwelt in den Griff zu bekommen und Vorhersagen über sie zu treffen, es schließlich geboten erschien, die Gültigkeit religiöser Lehren in Frage zu stellen. So begannen Wissenschaftler insbesondere die geistige bzw. seelische Seite des kartesischen Dualismus anzufechten. Die Liste von Postulaten des materialistischen Realismus wurde um das Prinzip des materialistischen Monismus erweitert: Das heißt, alle Dinge in der Welt, Geist und Bewußtsein inbegriffen, sind aus Materie (oder aus Verallgemeinerungen von Materie, wie Energie oder Kräftefelder). Unsere Welt ist durch und durch Materie.

Bis heute weiß natürlich niemand, wie sich Geist und Bewußtsein aus Materie ableiten lassen. Also nahm man ein weiteres Postulat auf, von dem man sich etwas versprach: das Prinzip des Epiphänomenalismus.Demgemäß sind alle den Geist betreffenden Phänomene als Epiphänomene erklärbar, also sozusagen als Sekundärphänomene der Materie, indem sie auf vorausgegangene physikalische Umstände reduziert werden. Die Grundlage dieser Idee ist, daß das, was wir Bewußtsein nennen, lediglich etwas ist, was zum Gehirn gehört, eine Eigenschaft, die sich aus der Betrachtung des Gehirns auf einer bestimmten Ebene von selbst ergibt.

Zusammenfassend können wir sagen, daß die Philosophie des materialistischen Realismus auf fünf Prinzipien beruht:

1. Starke Objektivität

2. Kausale Determiniertheit

3. Lokalität

4. Naturwissenschaftlicher bzw. materialistischer Monismus

5. Epiphänomenalismus

Man bezeichnet jene Philosophie auch als wissenschaftlichen Realismus. Damit wird impliziert, daß der materialistische Realismus für die Wissenschaft von wesentlicher Bedeutung ist. Die meisten Wissenschaftler glauben immer noch daran, wenn auch mehr oder weniger unbewußt und der Tatsache zum Trotz, daß es längst Erkenntnisse gibt, die den genannten Prinzipien widersprechen.

Man muß sich von Anfang an klar darüber sein, daß die Prinzipien des materialistischen Realismus metaphysische Postulate sind, reine Annahmen über die Natur des Seins, also keine Schlußfolgerungen, zu denen man auf experimentellem Wege gelangt ist. Wenn es experimentelle Erkenntnisse gibt, die eines dieser Postulate widerlegen, dann muß auf ein solches Postulat eben verzichtet werden. Ähnlich ist es auch, wenn es vernünftige Argumente gibt, durch die ein bestimmtes Postulat argumentativ geschwächt wird. In diesem Fall muß die Gültigkeit des Postulats in Frage gestellt werden.

Eine große Schwäche des materialistischen Realismus besteht darin, daß die damit zusammenhängende Philosophie subjektive Phänomene ganz und gar auszuschließen scheint. Wenn wir an dem Postulat starker Objektivität festhalten, ist von dem im kognitiven Bereich experimentell ermittelten Datenmaterial vieles einfach nicht zulässig. Verfechter des materialistischen Realismus sind sich dieses Mangels sehr wohl bewußt. Deshalb hat man sich in den letzten Jahren viel mit der Frage befaßt, ob geistige Phänomene (einschließlich des Selbstbewußtseins) auf der Basis von Modellen, d. h. materieller Apparaturen – man denke nur an Computermodelle –, überhaupt begriffen werden können. Hintergrund für solche Modelle ist die Idee, daß der Geist eine Maschine, ein Apparat ist.

Können wir einen Computer bauen,der Bewußtsein hat?

In der Zeit nach Newton bestand für die Wissenschaft die Herausforderung darin, soweit wie möglich an die von Laplace beschworene allwissende Intelligenz heranzukommen. Die Erkenntnisse, die die klassische Physik mit Newton erbrachte, erwiesen sich als so durchschlagend, daß man meinte, von einer Allwissenheit nicht mehr weit entfernt zu sein. Denn nach und nach enthüllten Wissenschaftler zumindest teilweise einige der sogenannten letzten Geheimnisse – wie unser Planet entstand, woher Sterne die Energie haben, zu verglühen, wie sich das Universum bildete und wie sich das Leben reproduziert.

Schließlich gingen die Nachfolger von Laplace daran, den menschlichen Geist, das Selbstbewußtsein und überhaupt alles zu erklären. Mit ihrem deterministischen Verständnis hatten sie überhaupt keine Zweifel, daß der menschliche Geist als Teil einer Welt, die in ihren Augen ohnehin eine Maschine war, gar nichts anderes sein konnte als ebenfalls eine klassische Maschine im Sinne Newtons.

Zu ihnen gehörte auch Iwan Pawlow. Es befriedigte ihn sehr, daß seine Hunde seinen Glauben an die Maschinenhaftigkeit des menschlichen Geistes zu bestätigen schienen. Pawlow bimmelte mit einer Glocke und schon tropfte seinen Hunden der Speichel aus dem Maul, ohne daß ihnen Futter hingestellt worden war. Pawlow erklärte, die Hunde so abgerichtet zu haben, daß sie jedesmal, wenn die Glocke läutete, einen vollen Futternapf erwarteten. Das war wirklich sehr simpel, einen Reiz auszulösen, die Reaktion zu beobachten und, wenn es eine ist, die man erwartet, durch Belohnung zu verstärken.

So wurde die Idee geboren, daß der menschliche Geist eine einfache Maschine wäre, mit einfachen und sich eins zu eins verhaltenden Ein- und Ausgabeparametern, die auf der Basis von Reiz-Reaktion-Verstärkung funktionieren. Diese Vorstellung wurde heftig kritisiert, mit der Begründung, daß eine sich so einfach verhaltende Maschine keine solchen geistigen Prozesse wie das Denken bewerkstelligen könnte.

Die cleveren »klassischen Maschinisten«, denen die Idee einer komplexen Maschine mit internen Zuständen in den Kopf gekommen war, konnten einfach propagieren: Etwas Denken gefällig? Hier haben Sie es! Sehen Sie sich mal an, wie selbst so ein einfaches Mobile sich verhält: Macht es nicht Spaß, zu beobachten, wie es immer wieder anders auf Wind und Luftbewegungen reagiert? Warum wohl? Eben weil jede Reaktion, zusätzlich zu dem spezifischen Stimulus, buchstäblich von dem zahlreichen Nebeneinander der verschiedenen internen Zustände der Flügelchen abhängt. Auf das Gehirn übertragen, sind diese internen Maschinenzustände gleichbedeutend mit dem Denken, dem Fühlen usw. – Vorgänge, die nichts anderes sind als Epiphänomene interner Zustände der komplexen Maschine, die das menschliche Gehirn darstellt.