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Kurz nach dem Mauerfall kam es in Göttingen zu großen Unruhen. Der Auslöser dafür war, dass eine Studentin auf der Flucht vor der Polizei von einem Auto überfahren wurde und starb. Bis zu dreitausend Polizisten aus ganz Deutschland versuchten damals, die Lage in den Griff zu bekommen Fast dreißig Jahre später wird an der gleichen Stelle ein Mann überfahren, der Fahrer übergießt das Auto mit Benzin, zündet es an und verschwindet. Kommissar Stürmer aus Göttingen ermittelt. Kurz darauf wird ein Mann ins Klinikum der Stadt eingeliefert - Diagnose Lungenpest. Drei französische Kommissare von Europol übernehmen den Fall, denn wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem Erreger um einen multiresistenten biologischen Kampfstoff aus sowjetischer Produktion aus der Zeit des Kalten Krieges. Schnell wird klar, dass die beiden Fälle zusammenhängen, Erich Lehmann, ehemaliger Elitesoldat der Staatssicherheit der DDR und ein "alter Bekannter" der Ermittler von Europol, wird als Fahrer des Wagens identifiziert. Dann geht ein Erpresserschreiben bei der Stadt Göttingen ein.
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Seitenzahl: 250
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Der Autor
Axel Rüffler, 1963 in Halle/Saale in der DDR geboren, machte eine Ausbildung zum Elektriker in den VEB Leuna Werken und reiste 1988 in die BRD aus. Danach absolvierte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger in der forensischen Psychiatrie, wo er bis heute arbeitet. Er entdeckte erst spät, im Alter von 50 Jahren, seine Leidenschaft am Schreiben, als er in der bierseligen Runde eines Bildungsurlaubes aufgefordert wurde, die Geschichten, die er erzählte, zu Papier zu bringen. Er sagte zu und begann am nächsten Tag seinen autobiografischen Roman „Letzter Ausweg Staatsfeind“.
Nach den Krimis „Abseits“, „Katzengold“ und „Aranea“ sowie der Satire „Karma Heil“ erscheint nun mit „Das Blaue Band“ sein vierter Kriminalroman.
Nun erscheint mit „Das Blaue Band“ der vierte Teil der Krimireihe. Nach Fällen, die sich durch halb Europa zogen, ist nun Göttingen der Schauplatz des neuesten Romans.
Viele der hier erwähnten Ereignisse entsprechen durchaus der Realität, vor allem die Gitter Projekte hat es wirklich gegeben. Nicht zu vergessen die perfiden biologischen und chemischen Kampfstoffe, die während der Zeit des Kalten Krieges entwickelt wurden und in den Wirren der Wende durchaus in falsche Hände geraten sein könnten.
Personen und Handlung des Kriminalromans sind jedoch frei erfunden. Übereinstimmungen mit real existierenden Personen sind daher nicht beabsichtigt.
„Bernd Hausmann ist tot!“
Moulin waren die Fragen noch deutlich anzusehen, die diese Meldung, die er gerade vom BKA telefonisch erhalten hatte, bei ihm aufwarfen. Gedankenversonnen war er, nachdem er an der Tür zu Simonds Büro in der Zentrale von Europol angeklopft hatte, ohne eine Antwort abzuwarten gleich eingetreten.
Simond schaute erschrocken über den Bildschirm seines PCs, an dem er, wie eigentlich jeden Tag in den letzten Monaten, die Unmengen an Daten auswertete, die ihr letzter Fall „Aranea“ hinterlassen hatte.
Mit einem leisen „Merde“ beendete Simond die Stille, die nach Moulins Information für geraume Zeit im Raum eingetreten war, „es ist also nicht vorbei. Wäre auch zu schön gewesen.“
Simond atmete tief ein, um danach langsam, mit den Händen hinter dem Kopf, auszuatmen.
„Ich habe gestern nochmal die Fahndungsergebnisse nach Klappblau abgefragt. Nichts, absolut nichts.“
„Unser letzter Fall und der Tod von Hausmann müssen nicht unbedingt was miteinander zu tun haben“, bemerkte Moulin zögernd, er war anscheinend selbst nicht von seiner Aussage überzeugt.
„Okay, und wie kommst du darauf?“, fragte Simond stirnrunzelnd.
„Nun, Hausmann wurde von einem Wagen überfahren, der Fahrer hat danach Fahrerflucht begangen. Also, ich meine, rein faktisch könnte das auch reiner Zufall sein.“
„Das glaube ich nicht“, Simond machte eine kurze Pause und kratzte sich am Kopf, bevor er weiterredete.
„Kannst du dich erinnern, da war doch so ein Vorfall in Hamburg, als das BKA das Zeugenschutzprogramm schon als gescheitert bezeichnet hatte, als Hausmann von einem Autofahrer mit seinem alten Vornamen angesprochen wurde.“
„Und, was ist daraufhin passiert?“, entgegnete Moulin, „nichts! Hausmann war sich nicht sicher, er war damals abgelenkt gewesen durch eine Frau, die ihn an seine frühere Lebensgefährtin erinnert hatte. Als daraufhin die Möglichkeit in Betracht gezogen wurde, dass er sich ganz einfach aufgrund dieser Begegnung, zumindest für einen Moment, in seine alte Identität zurückversetzt sah, wurde beschlossen, erst einmal abzuwarten. Es war durchaus möglich, dass er sich einfach verhört hatte.“
„Auf Wiedersehen, Frau Schwartz. Oder, sagen wir besser Adieu.“
Regina schüttelte noch lange die Hand ihres Therapeuten, der sie über die Haftzeit in dem berüchtigten Frauengefängnis in Marseille bis hin zum offenen Vollzug begleitet hatte. Sie war für einen Moment versucht, Monsieur Richard, diesen Mann, der sie aus einem der tiefsten Punkte ihres Lebens herausgeholt hatte, zu umarmen.
Sie hatte ihren Lebensgefährten erstochen, das hatte sie lange Zeit nicht begriffen, besser, nicht begreifen wollen. Doch nach und nach war ihr klar geworden, warum ihr Gedächtnis sie im Stich gelassen hatte. Warum ihre Tat für sie quasi nicht existierte, so wie der ganze verhängnisvolle Tag, an den sie sich auch nach all den Therapiesitzungen nur lückenhaft erinnerte.
Regina wusste, wenn sie sich ihrer Vergangenheit nicht stellte, nicht hinterfragte, warum es überhaupt soweit kommen konnte, solange hatte sie keine Chance auf ein normales Leben. Der Schlüssel lag in ihrer Kindheit und in ihrer und Ralfs Vergangenheit, dieser Mann, der sie so über alle Maßen benutzt und instrumentalisiert hatte.
Sie hatte sich entschieden, sie wollte Frankreich hinter sich lassen und zurück nach Deutschland. Zwar waren die Zeiten, in denen sie dort gelebt hatte, auch nicht gerade rosig gewesen, aber das, was während ihrer langen Urlaubsreisen vorgefallen war, wollte sie unbedingt hinter sich lassen. Ein wenig Normalität wäre für den Anfang nicht schlecht. Eine kleine Wohnung irgendwo, vielleicht eine Arbeit, so etwas wie ein Bekanntenkreis, der in den letzten Jahren gar nicht existiert hatte. Und, ganz wichtig, ein Therapeut, zu dem sie ein ähnliches Vertrauensverhältnis aufbauen konnte wie zu Monsieur Richard, der ihren Neustart überhaupt erst möglich gemacht hatte.
Sie hatte auch schon eine Empfehlung, ihr Therapeut hatte eine ehemalige Kommilitonin vorgeschlagen und auch schon kontaktiert. Also sollte es wahrscheinlich so sein. Ihr nächster Lebensmittelpunkt war der Raum Göttingen.
„Sind Sie sicher?“
Professor Schramm schaute seinen Assistenzarzt streng an.
„Ja, leider“, antwortete dieser, „unsere Vorgehensweise mit der vorbeugenden Quarantäne war also nicht überzogen.
Obwohl die Symptome ja auch alles Mögliche hätten bedeuten können. Aber nachdem die Hautveränderungen in der Leistengegend und der Achselhöhle begonnen hatten, konnten wir in einer Gewebeprobe den Erreger Yersinia pestis isolieren.“
„Nun gut“, sagte Professor Schramm stirnrunzelnd, „wir müssen umgehend die Behörden informieren und uns auf weitere Fälle einstellen. Die schwarze Pest, eigentlich ist das sehr ungewöhnlich, die ist doch schon lange nicht mehr in Deutschland aufgetreten. Jetzt heißt es, keine Zeit zu verlieren.“
Der Abschied von ihrem Campingmobil war Regina nicht schwergefallen. Ihr Therapeut hatte ihr einen Mechaniker besorgt, der den Wagen nach der langen Standzeit wieder flottgemacht hatte. Als sie ein letztes Mal eingestiegen war, hatte sie doch noch kurz überlegt, ob sie ihn vielleicht behalten sollte. Sie hatte ja in Deutschland keine Bleibe. Dann begann jedoch der Wasserhahn an der Spüle zu tropfen, und alles war wieder da. Ralf, ihr Lebensgefährte, den sie im Affekt erstochen hatte, und der diesen Hahn schon lange hatte reparieren wollen.
Heute war ihr klar, warum er es nicht getan hatte. Regina bekam Gänsehaut. Vor allem aber ärgerte sie, wie blind sie bei allem, was Ralf betraf, gewesen war. Vielleicht hatte sie damals aber auch einfach blind sein wollen.
Doch langsam kam ihr Selbstvertrauen zurück und damit auch die bittere Erkenntnis, dass sie schamlos ausgenutzt worden war. Sie blickte sich noch ein letztes Mal um, stieg aus und schloss die Tür des Campers wie ein Kapitel ihres Lebens.
Sie ging ins Büro der Werkstatt und holte sich den Schlüssel ihres neuen Kleinwagens, gegen den sie das alte Campingmobil eingetauscht hatte. Sie startete den Motor und sah noch ein letztes Mal zurück. Vor ihr lagen tausendzweihundert Kilometer. Auf einmal hatte sie es sehr eilig, die Côte d’azur zu verlassen. Der Sehnsuchtsort vieler Menschen war für sie zum Alptraum geworden. Sie legte den Gang ein und fuhr los.
Regina schaute noch einmal auf die Adresse, die sie erhalten hatte, keine Ahnung, wo sie hier war. Nach dem letzten Dorf, durch das sie gefahren war, wähnte sie sich eher in Österreich auf einer Alm und nicht in Südniedersachsen. Die Landschaft wurde plötzlich schroffer, hügeliger, aber auch erheblich schöner als die durch intensive Landwirtschaft geprägte Kulturlandschaft, die sie auf ihrer langen Fahrt durchquert hatte. Auch ihre Heimatstadt Eisleben hatte in direkter Umgebung nichts Vergleichbares zu bieten.
Die Straße wurde nun immer schaler und rechter Hand bäumte sich ein Hügel derart auf, als wolle er den Eingang zum dahinterliegenden Tal kontrollieren und alle ungebetenen Gäste von diesem Flecken Erde fernhalten. Ein kleiner Bach plätscherte gemütlich auf der anderen Seite der Straße durch eine große Weidewiese, bevor er sich den Blicken in einem hügeligen Wald mit knorrigen alten Bäumen entzog. Hier musste es sein.
Es folgte noch eine enge Kurve und danach kamen eine alte Feldsteinscheune und ein großes Fachwerkhaus ins Blickfeld. „Brunhagen“, Regina hätte in diesem Moment keinen besseren Namen für diesen Ort ersinnen können, der sich hier vor ihr auftat.
Mechthild, ihre Therapeutin, hatte ihr diesen Hof empfohlen und auch schon mit der Besitzerin geredet. Pferdewirte wurden immer gesucht, und eine Unterkunft gab es auch. Mechthild hatte dort ihr Pferd zur Pension untergebracht. Überhaupt schien dieser idyllische Ort sehr beliebt bei hippen jungen Stadtmenschen zu sein, die mit ihren großen Limousinen und Geländewagen an diesem frühen Nachmittag schon zahlreich anwesend waren, um ihre Pferde auf dem Reitplatz oder in der Halle zu longieren oder in der waldigen Umgebung auszureiten.
Regina kannte diese Blicke zur Genüge. „Nicht schon wieder“, war der erste Gedanke, der ihr durch den Kopf schoss. Die Gespräche hatten schlagartig aufgehört, als sie ihre Autotür schloss, und die Blicke erschienen, vielleicht wegen dieser abrupten Stille, noch intensiver.
Regina versuchte, ihre Unsicherheit wegzulächeln und ging auf die Frau zu, die sie am geringschätzigsten anschaute. Klar wusste sie, dass sie immer noch gut aussah, aber nach der langen Haft war ihr Selbstbewusstsein, was solche Dinge betraf, noch ziemlich am Boden. Die graue Maus, die sie in den letzten Jahren mit ihrer Anstaltskleidung gewesen war, war sie zwar heute nicht mehr, doch ihr Outfit schien eindeutig nicht mehr auf dem neuesten Stand zu sein. Regina merkte, wie ihr warm wurde, und stellte unsicher ihre Frage.
„Entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, wo ich hier die Chefin finde?“
„Natürlich“, antwortete ihr selbstbewusstes Gegenüber wie selbstverständlich auf Französisch, nachdem sie nochmals auf das Nummernschild geblickt hatte.
„Da vorne im Haupthaus, klingeln Sie im Büro.“
Regina bedankte sich und ging in Richtung des großen Fachwerkhauses, die Frauen vertieften sich wieder in ihr Gespräch, und sie vernahm, während sie sich entfernte, noch ein paar Sätze.
„Was hast du da gesagt, Renate? Dein Mann hat einen Pestfall im Klinikum? Unglaublich!“
Simond stand vor dem Spiegel in der Diele seiner kleinen Wohnung und begutachtete seine Rasur, nachdem er sein Jackett angezogen hatte. Er hatte sich bewusst dafür entschieden, sein Leben zu ändern, was also nicht zuletzt dazu geführt hatte, dass er sesshaft geworden war. Sein alter Camper, der bei dem Anschlag auf ihn abgebrannt war, genau wie seine langen Haare, deren verkohlter Geruch ihm in letzter Sekunde das Leben gerettet hatte, das alles hatte seine kolossale Typveränderung bewirkt. Den Rastafari mit langem Bart und ziemlich in die Jahre gekommenen Wohnmobil gab es nicht mehr.
Das Ergebnis seiner Veränderung war einer der besten Kriminalanalytiker bei Europol, der zusammen mit seinen Kollegen schon einige spektakuläre Fälle gelöst hatte.
Doch die Nachbearbeitung des letzten Falles bereitete ihm zunehmend Kopfschmerzen. Klar war, dass nach dem Ende der DDR einige der Eliten dieses Unrechtsstaates schnell wieder in Lohn und Brot gefunden hatten. Gerade die Staatssicherheit war einer der besten, wenn nicht gar der beste Geheimdienst der Welt gewesen. Das hatte natürlich Begehrlichkeiten bei anderen Diensten geweckt, die einige der arbeitslos gewordenen Spezialisten rekrutiert hatten.
Doch was er und seine Kollegen im Rahmen der „Aranea“-Ermittlungen herausfanden, da taten sich Abgründe auf. Vor allem diese menschenverachtenden, perfiden Methoden brachten Simond immer wieder ins Grübeln. Diese Menschen waren zu allem bereit gewesen, um ihre Macht zu erhalten, viele der Mittel erinnerten an die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte, an Nazideutschland.
Simond hatte einen generalstabsmäßigen Plan entdeckt, mit dem die Staatssicherheit im Falle einer Rebellion tausende Menschen hatte internieren wollen. Aber warum hatten sie diese Pläne nach der Wende aufgehoben und sogar angefangen, diese zu digitalisieren? Das machte wenig Sinn.
Andererseits hatte man damals das gesamte Staatsgebiet der DDR nach möglichen Verstecken durchsucht, dieses Wissen war auch heute noch Gold wert. Viele dieser Schlupfwinkel befanden sich in der Nähe alter Burganlagen, die man innerhalb kürzester Zeit zu hochgesicherten Lagern hätte umfunktionieren können. Aber ausgerechnet die Unterlagen über die gefundenen Verstecke um diese Burganlagen herum waren kreuzgeschreddert worden. Das ergab auch keinen Sinn.
Doch je länger Simond sich mit dieser Organisation beschäftigte, umso klarer war ihm, dass nichts zufällig geschah. Dass diese Akten verschwunden waren, hatte etwas zu bedeuten, auch wenn er den Grund dafür noch nicht kannte.
Simond blickte auf die Uhr. Er nahm seinen Autoschlüssel, der unter dem Spiegel auf dem Schuhschrank lag, und hatte es auf einmal eilig. Er hatte sich mit Moulin zum Frühstück verabredet, und eines wusste er nach all den Jahren der Zusammenarbeit genau. Moulin hasste Unpünktlichkeit.
Er hatte gerade den Wagen gestartet, als sein Handy klingelte. „Moulin“ stand auf dem Display. Er stellte den Motor wieder ab und nahm das Gespräch an.
„Okay“, sagte er nach einer Weile, „Teamsitzung um neun Uhr, alles klar. Das Frühstück müssen wir verschieben. Die Pest, sagst du? Die ist doch schon lange ausgerottet. Seltsam.“
Simond saß noch eine ganze Weile da und überlegte, bevor er den Wagen erneut startete.
Regina hatte endlich einen Parkplatz gefunden. Das Gymnasium, welches vis a vis dem Haus lag, in dem sich die Praxis ihrer Therapeutin befand, hatte gerade Unterrichtsschluss. Eine Handvoll der Schüler machte sich mit dem Fahrrad auf den Nachhauseweg, der große Rest wurde von den Eltern mit dem Auto abgeholt, welche ziemlich ignorant die Parkplätze, in zweiter Reihe haltend, blockierten. Chaos, was den Verkehr betraf, war sie auch aus Frankreich zur Genüge gewöhnt, aber nicht diesen Grad an Sturheit und Rücksichtslosigkeit. „Vielleicht sollte ich das nächste Mal etwas eher losfahren“, ging es ihr durch den Kopf, als sie endlich einen Parkschein zog.
Regina war aufgeregt, heute hatte sie ihre erste Sitzung. Die Arbeit auf dem Reiterhof machte ihr Spaß, zumindest der Umgang mit den Tieren. Der Rest, diese hochnäsigen Reiterinnen, nun gut, das gehörte wohl dazu.
Sie hatte sich angewöhnt, nach der Arbeit meist noch einen Spaziergang zu unternehmen. Der angrenzende Wald lud regelrecht dazu ein. Sie genoss die Einsamkeit und die Ruhe, die sie während ihrer Haft so vermisst hatte. Manchmal stand sie nachts ganz einfach auf, ging vor die Tür, um den Sternenhimmel zu betrachten oder die Fledermäuse, die unweit in einer alten Feldsteinscheune wohnten und nachts bei den Pferdeställen auf Beuteflug gingen. Was für ein friedlicher Ort. In Vollmondnächten konnte man auch die Überreste der alten Burganlage erkennen, die sich unter einem alten Buchenwald versteckte, und nur im Winter, wenn die Bäume kein Laub trugen, vermochte man die Umrisse der gesamten Anlage nebst zuführender Hohlwege zu erahnen, die sich durch Erhebungen im Boden abzeichneten. Regina hatte eines Nachts angefangen, eine Skizze von diesem mystischen Ort anzufertigen, und in ihren Gedanken versetzte sie sich in längst vergangene Tage, als sie das Bild nach und nach fertigstellte.
Doch nun musste sie erst einmal ihre Auflagen nach der Haftentlassung erfüllen und sich um ihre Therapie kümmern. Das Haus, welches genau an einer Kreuzung lag, machte einen gepflegten Eindruck, bis auf ein paar Graffiti, die auf die Mauer gesprüht waren, die das Grundstück umgrenzten. Diese fragwürdigen Verschönerungen waren in Frankreich auch sehr verbreitet, doch hier schienen sie sich nur auf einzelne Häuser oder Garagentore zu konzentrieren.
Regina schaute auf die Namensschilder der Klingeln und drückte den Knopf der Praxis. Als der Türsummer ertönte bemerkte sie, wie ihre Hand zitterte, als sie nach dem Türknauf griff.
Die Luft war abgestanden, wie in den meisten Empfangsräumen, doch hier kam noch die Stille dazu, die Regina auf erdrückende Weise ankündigte, sich hier nicht in einer normalen Praxis, wie beispielsweise beim Hausarzt, zu befinden. Dort waren es meist ältere Menschen, die es zu einer Art Lebenselixier gemacht hatten, sich über ihre Krankheiten auszutauschen, und das ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob dies die übrigen Anwesenden auch nur ansatzweise interessierte.
Aber Regina konnte auch nicht feststellen, dass die Gespräche der Wartenden durch ihr Erscheinen irgendwie abrupt aufgehört hätten. Die Stille hier war anders.
Eine junge Frau saß gegenüber dem Eingang und hatte die Fersen ihrer Füße mit auf ihren Stuhl gestellt und ihre Hände sichernd um die Beine gelegt. Sie wippte mit ihrem Kopf auf eine monotone Art, so dass Regina die Idee, dass der Rhythmus der Musik, die vermutlich aus den übergroßen Kopfhörern, die sich auf ihrem Kopf befanden, der Ursprung dafür sein konnte, gleich wieder verwarf. Zusätzlich brachte die junge Frau noch mit einer Mütze unter ihrer Kapuze und dunkler Brille zum Ausdruck, dass sie keinen Wert auf Kontakt zur Umwelt legte.
Ihr gegenüber saß ein älterer Mann, der aussah, als hätte er im Leben schon so einiges mitgemacht. Seine schwarze Kleidung machte zwar einen gepflegten Eindruck, war aber mit szenetypischen Details geschmückt. Die Ärmel und der Rücken seiner Lederjacke waren über und über mit Aufnähern von Rockbands aus den Siebzigern und Achtzigern gespickt, der vordere Teil mit Anstecknadeln, zwischen denen sich teilweise silberne Ketten befanden. Die Cowboystiefel, die lederne Schnürjeans und auch die Jacke waren zusätzlich mit Nieten verziert. Sein Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen, die Haare streng nach hinten gekämmt und ließen freie Sicht auf seine Ohren, die mit dem Tragen von mehreren Ohrringen schon an ihre Belastungsgrenze gerieten und aufgrund der Schwerkraft die Ohrläppchen auf ein unnatürliches Maß gelängt hatten. Auf seiner Wange war eine tätowierte Träne zu erkennen, aber auch die Hände waren mit unvollendeten und unansehnlichen Tattoos übersät, die auch durch die Totenkopf Fingerringe nicht an Seriosität gewannen. Dieser Mann hatte einige Zeit seines Lebens im Gefängnis verbracht, da war sich Regina sicher.
Sie hatte das Gefühl, dass dieser Mann sie gar nicht wahrnahm. Er war zu sehr damit beschäftigt, die Knie, welche durch die zerrissenen Jeans der jungen Frau ihm gegenüber zum Vorschein kamen, anzustarren.
Nun gut, dachte sich Regina, Augen zu und durch. Sie schaute verlegen auf ihre Uhr. Gut, dass sie gleich dran sein müsste.
Plötzlich drehte sich der Mann um und sah Regina an.
„Heh, was geht“, sagte er mit sonorer Stimme und wischte sich ausgiebig mit dem Daumen über sein rechtes Auge.
„Ich bin Johann, für meine Freunde Johnny“, und streckte Regina die Hand entgegen, nachdem er den Schlafsand, den er aus dem Auge gewischt hatte, sorgsam begutachtet und an die Hose geschmiert hatte.
Regina zögerte eine Weile und erwiderte dann unwillig den Gruß: „Regina“, sagte sie leise.
Die ganze Situation war ihr äußerst unangenehm.
„Kriegste auch Pola?“, fragte Johnny, und schaute sie von oben bis unten an, „ich kriege neun Meter, geht, oder? Früher musste ich mir den Scheiß immer besorgen, klarmachen, verstehste? Heute krieg ich das auf Rezept. Das ist schon geil. War hart in der Szene unterwegs, würde ich heute gar nicht mehr schaffen, guck mich doch an, oder? Könnte mich nicht mehr grade machen. Krieg meine Sozirente, mein Stoff und mache so kleine Geschäfte nebenher, verstehste? Alles legal, nich so wie früher. Und bei der Alten hier muss ich mich melden, einmal die Woche, geht, na, oder? Die ist korrekt, geht“, Johnny zeigte auf die Eingangstür und nickt mit dem Kopf. Plötzlich bekam er einen Hustenanfall, holte sein zerknittertes Stofftaschentuch aus der Hose, um seinen Auswurf darin zu entsorgen und zuvor natürlich ausführlich zu begutachten.
Regina war einfach nur froh, als eine Tür geöffnet wurde und eine Frau erschien, die ihren Namen aufrief.
„Bis zum nächsten Mal, Süße“, rief ihr Johnny mit einem süffisanten Blick hinterher, um sofort danach wieder zu der jungen Frau, die ihm gegenübersaß, zu gaffen.
„Ça va, Moulin?“, Simond setzte sich nach dem Begrüßungsritual neben seinen Kollegen an den ovalen Tisch im Konferenzraum. Er nahm einen großen Schluck aus der Kaffeetasse, die er sich, bevor er Platz nahm, noch an dem aufgestellten Buffet eingeschenkt hatte.
„Sieht nach was Größerem aus, Moulin“, er deutete noch zur Unterstützung seiner Ahnung auf das Frühstücksbuffet.
„Das ist eigentlich nicht normal. Oder wussten die, dass wir Frühstücken gehen wollten?“
„Ja, klar“, antwortete Moulin schmunzelnd, „das wird der Grund sein.“
Er nahm einen Bissen von seinem Croissant, das er zuvor in seinen Kaffee getunkt hatte.
Nach und nach trudelten immer mehr Kollegen ein, der Raum füllte sich. Simond konnte auf Anhieb einzelne Kollegen drei Abteilungen zuordnen, der Abteilungsleiter Terrorismus, Grundler, war ebenfalls eingetroffen. Dieser hielt noch hektisch zwei kurze Unterhaltungen, um sich danach an das Pult zu stellen, an dem ein Kollege von der Technik zuvor schon einen Laptop mit dem Beamer im Raum verbunden hatte und noch kurz die passende Datei öffnete.
Grundler überflog nochmals konzentriert sein Referat und klopfte dann mit seinem Schlüsselbund auf das Rednerpult. Langsam wurde es ruhig im Raum und die restlichen Anwesenden setzten sich.
„Danke“, begann Grundler, „Kolleginnen und Kollegen, dass Sie es so schnell möglich gemacht haben, hier zu erscheinen. Ich weiß, dass die meisten von Ihnen bis über beide Ohren in Arbeit stecken. Aber das, worum es hier geht, macht es notwendig, dass wir uns sofort damit beschäftigen.“
Er betätigte die Maus und startete den Beamer. In großen Buchstaben stand „Pest“ auf der Leinwand, und schlagartig hörte auch das letzte Getuschel auf.
„So, meine Damen und Herren“, begann Grundler konzentriert, „ich hätte nie gedacht, dass ich im Laufe meiner Karriere einmal über dieses Thema referieren würde.“
Er unterstrich mit seinem Laserpointer die übergroße Überschrift.
„Ich gehe davon aus, dass jeder schon mal etwas von dieser Krankheit gehört hat. Die Geißel der Menschheit, die über Jahrhunderte hinweg Millionen von Menschen getötet hat. Allein in Europa wurde durch sie zwischen dem dreizehnten und dem sechzehnten Jahrhundert die Bevölkerung um schätzungsweise ein Drittel dezimiert. Damit Sie aber doch einen komplexen Überblick über die Seuche erhalten, habe ich da mal was vorbereitet und als Skript ausdrucken lassen, so dass Sie sich nachher ein Exemplar mitnehmen können.
Nun, wir sitzen hier zusammen, weil in Deutschland, genauer in Göttingen, ein Fall der Pest aufgetreten ist. Einige Erreger sind in Hochsicherheitslaboren in den USA und Russland künstlich hergestellt worden, und zwar in einer antibiotikaresistenten Form. So ist es nur zwingend, dass wir uns bei Europol gründlich mit diesem Fall beschäftigen müssen. Meine Abteilung Terrorismus kommt auf den Plan, da in den Wirren der Wende in der damaligen Sowjetunion einiges an nuklearem, biologischem sowie chemischem Waffenmaterial verschwunden ist. Wir reden bei den biologischen Waffen auch über Pesterreger, und, nicht zu vergessen, Pocken. Wir haben noch keine Hinweise befreundeter Geheimdienste über mögliche Verdachtsszenarien, woher die Pesterreger kommen könnten. Einzig ein vager Zusammenhang zu einem Fall in den Achtzigern könnte sich als mögliche Spur erweisen. Damals wurde in Brunhagen in der Nähe von Göttingen eine alte Frau tot aufgefunden. Sie lag dort im Wald in der Nähe einer alten, zerstörten Burganlage und wurde erst nach mehreren Tagen durch spielende Kinder entdeckt. Es handelte sich bei ihr um eine pensionierte Archäologin, die früher an der Universität in Göttingen tätig gewesen war. Sie war aus einem Altersheim verschwunden und nach Aussage der Mitbewohner schon öfter in der alten Burgruine unterwegs. Sie sei begeistert gewesen von den Dingen, die sie dort herausgefunden hatte. Vor allem hatte sie die Bedeutung hervorgehoben, die dieser Ort im Mittelalter innehatte. Bei dieser Burg sollte es sich um einen ehemaligen Bischofssitz handeln, der im Verbund mit anderen Burgen und einem Netz aus Wachtürmen sowie Niederburgen, norddeutsch Güntgenburgen, eine gigantische Anlage darstellte.
Anfangs sah es nach einer natürlichen Todesursache aus, da die Frau angeblich verwirrt gewesen sei, von sensationellen Gängen und Höhlen geredet hatte, die sie entdeckt hätte. Erst nach einer routinemäßigen Obduktion fand man heraus, dass sie an der Pest gestorben war, da die untypischen inneren Blutungen nicht zu erklären waren. Die Veränderungen auf der Haut, genauer im Bereich der Achseln und Leiste, waren, durch fortgeschrittene Verwesung und Tierfraß, anfangs übersehen worden.
Diesen Vorfall hatte man damals geheim halten können, was ich bei dem neuen Fall in Göttingen für nahezu unmöglich halte.
Nun zu den möglichen Parallelen, die auch Zufall sein könnten. Bei dem infizierten Mann handelt es sich um einen Frührentner, der Hobbyarchäologe war und sich die letzten Wochen, laut Aussage seiner Frau, mit Grabungen an der Burg Plesse in der Nähe Göttingens beschäftigt habe. Sie gab an, er habe irgendwelche verschütteten Gänge entdeckt.
Das Interessante ist, dass diese Burg zu dem vorher beschriebenen Verbund gehörte, und beide Anlagen befinden sich im ehemaligen Zonenrandgebiet, das heißt, nahe der ehemaligen Grenze zwischen BRD und DDR. Im kalten Krieg wäre dieses Gebiet das erste gewesen, wo sich im Falle eines Angriffes die ersten Szenarien der ABC-Kriegsführung mit voller Wucht abgespielt hätten.
Soviel zur vorläufigen Arbeitsthese. Ich würde vorschlagen“, fuhr Grundler fort, „dass unter der Leitung der Kollegen Simond und Moulin, die noch im Rahmen der Aufbereitung des letzten Falles ‚Aranea‘ dabei sind, Staatssicherheitsunterlagen zu sichten, nun auch nach Hinweisen auf Anschlagsszenarien mit Pesterregern zu suchen, und!“, Grundler machte eine längere Pause, bis das störende Murmeln im Raum verstummt war, „und vor allem nach Hinweisen, wenn es denn solche Szenarien gab, was daraus in den Wirren der Wende geworden ist.“
Simond schaute Moulin fragend an. Dieser sah nach den Ausführungen Grundlers auch nicht zufrieden aus. Hatten sie doch die letzten Monate ausschließlich mit diesen Akten und deren Auswertung zugebracht, eine Aufgabe, die an Stupidität kaum zu übertreffen war. Aber eigentlich standen sie mit dem Abschluss einzelner, besonders sorgsam geschredderter Papierakten kurz vor dem Ende. Die ganze Angelegenheit noch einmal von vorn zu beginnen?
Simond ließ unabsichtlich einen deutlich hörbaren Seufzer los, was Grundler veranlasste, mit gerunzelter Stirn nochmals in seine Richtung zu blicken.
„Ich weiß, Kollegen, das sind nicht die Arbeiten, weswegen Sie zu Europol geholt wurden. Doch Ihre Erfolge sprechen für Sie. Niemand hat so viel Erfahrung mit diesem Geheimdienst wie Sie. Und, glauben Sie mir eins, die Zeit drängt. Wenn noch ein Fall der Pest auftritt, wird es eng. Dann können wir voraussichtlich eine Panik nicht verhindern.“
„Okay“, sagte Simond nickend, was Grundler sogleich als Zustimmung wertete und seine Gesichtszüge veranlasste, sich sichtbar zu entspannen, „es geht also um Burgen im ehemaligen Zonenrandgebiet“, wiederholte er. „Da war schon was, aber jetzt nicht in diesem Zusammenhang. Eher waren dort Internierungslager für politisch Andersdenkende geplant, und vor allem war das in Burgen im ehemaligen Ostdeutschland. Gut, wir nehmen uns das Ganze nochmal vor“, Simond und Moulin nickten sich zu.
„Super“, Grundler war sichtlich erleichtert, „ich habe gewusst, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Sie sagen mir bitte noch, wen Sie mit in ihrem Team haben wollen. Das reicht in den nächsten Tagen. Wie ich hörte, steht Ihr letzter Fall ja kurz vor dem Abschluss.“
„Schau mal, Moulin.“
Simond legte die Blätter zur Seite, die das Team, welches die kreuzgeschredderten Stasiakten wiederherstellte, nach den neuen Suchkriterien nochmals durchgearbeitet und markiert hatte. Er hatte diese Akten bereits mehrfach gelesen.
Sämtliche Burgen entlang des Eisernen Vorhangs, auf die man in den Akten gestoßen war, waren mit „Augustus“ gekennzeichnet. Zwar waren auch Burgen an der Grenze zur Tschechischen Republik aufgeführt, allerdings fehlte bei denen dieser zusätzliche Vermerk.
Simond hatte sich nochmals mit den Aufzeichnungen zu Augustusburg beschäftigt, vielleicht fand er da den Zusammenhang, warum die Burgen im Zielgebiet mit „Augustus“ markiert waren. Doch vorerst war er an diesem Vermerk hängengeblieben, „Kommandoaktion Blaues Band“. Zuständig dafür war ein Genosse Oberst E. Lehmann gewesen.
Simond tippte mit dem Finger auf den Namen, als er Moulin das Blatt über den Schreibtisch schob.
„Meinst du, das kann ein Zufall sein?“
„Hey, Süße!“
Nein, nicht schon wieder, dachte sich Regina, als sie den Warteraum ihrer Psychologin betrat. Johnny hatte sich eine Maske aufgesetzt, eine schwarze Augenabdeckung mit Sehschlitzen, die er durch einen langen, schwarzen Schnabel ergänzt hatte, der seine Nase abdeckte.
„Geht, oder?“, Johnny lachte laut, was jedoch durch einen schweren Hustenanfall jäh unterbrochen wurde. Er riss sich die Maske vom Gesicht und holte hektisch sein zerknittertes Taschentuch aus der Hosentasche, um den Auswurf darin zu entsorgen. Als er sich diesen gerade anschauen wollte, kam schon der nächste Anfall.
„Scheiße“, ging es Regina durch den Kopf, als sie registrierte, dass sie die Einzigen im Warteraum waren, „hoffentlich erstickt der jetzt nicht.“
Sie klopfte an die Tür zum Behandlungsraum und wartete ab. Niemand öffnete, kein Laut war zu hören. War dort unten nicht eine Arztpraxis, ein Psychiater oder so? Sie überlegte angestrengt und ging zum Fenster, ohne wirklich zu wissen, was sie dort wollte. Vielleicht aufmachen und um Hilfe schreien, falls sich dieser Johnny nicht wieder erholte. Sie blickte sich nochmals um.
Johnny war blau angelaufen und röchelte wie eine kaputte Orgelpfeife. Regina kam ihm instinktiv zu Hilfe, obwohl sie ihn in diesem Moment als noch unangenehmer empfand. Sie klopfte ihm auf den Rücken, während sie versuchte, genügend Abstand zu lassen, und ballte deswegen die Fäuste, um trotzdem effizient zu sein.
Johnny schaute sie fragend an. Vielleicht hatten die Schläge ja ihre Wirkung, oder der Hustenanfall hatte von allein aufgehört. Seine Augen wurden immer größer.
„Hey, Süße, jetzt kannste aber wieder aufhören, auf den Rücken, da stehe ich nicht so drauf.“
Er grinste, als wäre nichts gewesen, und zwinkerte Regina zu.
„Süße, wenn du willst, ich mache Business in getragenen Höschen, kannst ja mit einsteigen, Süße.“
Regina hatte das Gefühl, dass ihr die Luft wegblieb. Sie ging zum Fenster und öffnete es so schnell sie konnte. Sie schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Das kann doch alles nicht wahr sein, ging es ihr durch den Kopf.
Für einen Moment war sie in Versuchung, einfach zu gehen. Eine ausgelassene Therapiestunde würde schon keine Konsequenzen haben, und das nächste Mal konnte man ja den Termin so legen, dass dieser fürchterliche Mensch nicht da war.
Regina öffnete die Augen.
„Süße, mach doch das Fenster zu, oder willste, dass ich mich erkälte? Dann musst du mich aber pflegen!“, Johnny lachte süffisant.
Sie hatte sich die passende Antwort gerade zurechtgelegt, als aus der unteren Etage ein älterer Mann auf die Straße trat. Er hatte einen beträchtlichen Bauchumfang, ansonsten aber eine recht athletische Figur. Er trug einen halblangen Haarschnitt und einen langen Vollbart. Irgendwie hatte Regina den Eindruck, dass sie ihn schon einmal gesehen hatte, nicht zuletzt wegen der Art, wie er sich bewegte.
Der Mann schaute sich mehrfach um, als legte er keinen Wert darauf, gesehen zu werden. Regina wollte das Fenster schließen, was dieses mit einem laut knarzenden Geräusch widerspenstig über sich ergehen ließ.
Plötzlich blickte der Mann zum Fenster hoch. Regina lief ein eiskalter Schauer den Rücken herunter. Diese Augen, in die sie blickte, würde sie ihr Leben lang nicht vergessen. Das war Erich!
Sie war sich nicht sicher, ob er sie ebenfalls erkannt hatte. Der Mann ging schnellen Schrittes über die Straße, stieg in einen alten braunen Kombi und fuhr davon.
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