Das blaue Nachthemd - Florian Lettre - E-Book

Das blaue Nachthemd E-Book

Florian Lettre

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Beschreibung

Der Mann ist glücklich, als er diese Frau kennenlernt. Endlich hat er ein Leben mit einer Frau. Die Frau ist sich nicht sicher, ob sie mit diesem Mann leben will. Doch sie bleiben zusammen. Sie haben ihre Arbeit. Und sie bekommen eine Tochter. Sie erleben, wie aus dem Mädchen eine junge Frau wird. Das Leben verändert den Mann und die Frau. Sie haben nicht damit gerechnet, alt zu werden. Aber sie werden alt und zum Schluss ist einer von beiden allein.

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Das blaue Nachthemd

von Florian Lettre

1.Er dachte daran, wie er R. das erste Mal gesehen hatte. Es war in einer Wohnung gewesen. Abends. Er hatte nicht hingehen wollen. Dann war er doch hingegangen. Ein Kollege hatte ihn eingeladen. Als er vor der Haustür gestanden hatte, war er sich noch unsicher gewesen, ob er hineingehen sollte. Er hatte gegen die Tür gedrückt, und sie war ganz leicht aufgegangen. So war er die Treppe hinaufgegangen und hatte in jedem Stockwerk die Türschilder angesehen. Im dritten Stock hatte er den Namen des Kollegen gefunden. Er hatte auf den Klingelknopf gedrückt und gewartet. Er hatte ziemlich lange gewartet. Musik war zu hören gewesen. Dann hatte sich die Tür geöffnet, und sein Kollege war da gewesen und hatte ihn umarmt und hineingeführt in die Wohnung. Der Korridor war ein langer Gang, von dem mehrere Zimmer abgingen. Es hing kaum Garderobe da. Es war Sommer, und die Männer hatten nur ein Hemd an oder höchstens eine dünne Jacke. Er hatte ein Hemd an und eine Cordhose. Er hatte meist ein Hemd und eine Cordhose an. Das Hemd wechselte er einmal in der Woche. Nur wenn er verschwitzt war, wechselte er es öfter. Er sah in zwei Zimmer hinein. Das erste Zimmer war die Küche. Auf dem Tisch in der Mitte standen Schüsseln, die gefüllt waren mit verschiedenen Speisen. Das nächste Zimmer war groß, und aus ihm kam die Musik. Es war voller Menschen. Einige tanzten. Andere standen zusammen und sprachen miteinander. Er kam sich etwas verloren vor. Bisher hatte er niemand entdeckt, den er kannte. Er ging zu einem leeren Stuhl, der an der einen Seite des Zimmers stand und setzte sich. Eine junge Frau kam vorbei und brachte ihm ein Glas Rotwein. Sie lächelte ihn an, als er sich bedankte. Die Fenster waren geöffnet und ließen kühlere Luft herein. Er konnte einen Hinterhof sehen, in dem ein großer Baum stand. Neben ihm saß ein junger Mann, mit dem er ein Gespräch begann. Er erzählte dem jungen Mann von seiner Arbeit in der Firma. Der junge Mann arbeitete in einer Firma, die etwas herstellte. Er verstand nicht genau, was das war. Die Musik war eine Musik, die ihm nicht besonders gefiel. Sie war laut und in erster Linie rhythmisch. Melodien konnte er nicht entdecken. Als er jung gewesen war, hatten sie nach anderer Musik getanzt. Er war immer noch jung, aber nicht mehr so jung wie damals. Er war immer noch an jungen Frauen interessiert, und er hatte schon einige Erfahrung mit jungen Frauen. Er hatte schon länger auf seinem Stuhl gesessen, als er unter den Tanzenden eine junge Frau entdeckte, die durch ihre Schönheit auffiel. Auffallend waren ihre großen dunklen Augen, zu denen die dunklen Augenbrauen passten, und das dichte dunkelblonde Haar. In ihren Bewegungen war etwas von einer verhaltenen Grazie. So eine Frau hatte er noch nie gehabt. Sie stand jetzt allein auf der anderen Seite des Raums. Er wusste, dass er kaum eine Chance hatte. Trotzdem stand er auf und ging an den Tanzenden vorbei auf die andere Seite. Er stand nun direkt neben der jungen Frau. Es war nicht das erste Mal, dass er eine Frau ansprach. Und das hier war nicht schwierig. Sie waren alle eingeladen. Jeder konnte mit jedem sprechen.

„Ein netter Abend“, sagte er. Die junge Frau sah ihn kurz an. Sie sagte zunächst nichts, und dann sagte sie:

„Ja.“ Mehr sagte sie nicht. In diesem kurzen Wort war so viel Ablehnung, und damit war die Sache entschieden. Er hatte das Gefühl, rot zu werden. Er blieb da, wo er stand. So niedergeschlagen war er lange nicht gewesen. Er hatte sich keine Chance ausgerechnet, aber so abgewiesen zu werden, deprimierte ihn zutiefst. Die junge Frau ging weg. Er stand nun allein. Er stand eine ganze Weile allein, und er fühlte sich nicht wohl. Er überlegte, ob er gehen sollte. Dann bemerkte er eine junge Frau, die am Büffet stand und einen Teller in ihrer Hand hielt. Er holte sich einen Teller und stellte sich neben die junge Frau.

„Ein schönes Buffet“, sagte er. Die junge Frau sah ihn an.

„Ja, nicht schlecht.“ Sie hatte eine angenehme Stimme. Sehr freundlich war die Stimme nicht. Sie war nicht abweisend, aber ermuntert fühlte er sich nicht. Er musste jetzt etwas sagen, was zu einem Gespräch führen würde. Es war nicht einfach. Die Frau war völlig fremd.

„Die Musik ist nicht so mein Fall“, sagte er.

„Das ist heute so. Da kann man nichts machen. Wenigstens ist sie nicht so laut.“ Die Stimme war jetzt etwas freundlicher.

„Was hören sie gern für Musik?“

„Ach, ich gehe gern ins Konzert. Das darf man gar nicht sagen. Das klingt altmodisch.“

„Das finde ich nicht. Ich gehe auch gern in ein Konzert.“ Und dann erzählte er von seinem letzten Konzertbesuch. Sie sprachen über Bach und Mozart und über Mahler. Die Frau sagte, dass sie bisher keinen Zugang zu Mahler gefunden habe, dass sich das aber ändern könne. Sie standen jetzt in einer kleinen Nische und konnten sich so besser unterhalten. Er sah, dass die Frau in seinem Alter war. Sie war nicht besonders hübsch, aber auch nicht hässlich. Sie sah ganz normal aus. Sie trug einen dunkelbraunen Hosenanzug mit einer rosa Bluse, die nichts sehen ließ. Sie war schlank. Der einzige Schmuck war eine schlichte Kette, die gut zu dem Kleid passte. Die dunkelblonden Haare waren glatt nach hinten gekämmt und liefen dort in einen dicken Zopf aus. In ihrem Gesicht war etwas Strenges. Nur wenn sie lächelte, änderte sich das.

„IT“, sagte er. Sie sah ihn fragend an.

„Sie sind in der IT-Branche?“

„Ja.“

„Und? Gefällt es ihnen? Den ganzen Tag am Computer?“

„Das ist mein Leben. Was soll ich machen? Was machen sie? Oder ist das indiskret?“

„Ich habe nichts zu verbergen“, sagte sie und dabei war ein Lächeln in ihrem Gesicht. „Ich bin Lehrerin.“

„Deutsch und Geschichte?“

„Ja. Wie kommen sie darauf?“

„Sie sehen aus wie ein Gedicht. Ein schönes Gedicht. Das einem zu Herzen geht. Haben sie nette Kollegen?“ Sie zögerte etwas mit der Antwort. Dann sagte sie:

„Wir sind ein gutes Team. Natürlich gibt es manchmal Probleme. Wie überall.“

Sie tanzten dann doch noch. Sie hatte ihn auf die Tanzfläche gezogen. Als sie ihre Hand auf seine Schulter legte, war das die erste Berührung zwischen ihnen. Sie kam auch mit diesem schnellen Rhythmus zurecht. Er musste sich Mühe geben. Wenn sich ihre Blicke begegneten, versuchte er zu lächeln und zu ergründen, was sie dachte.

„Was denken sie?“ sagte er. Sie lachte.

„Nichts Besonderes.“

„Fühlen sie sich wohl? Geht es ihnen gut?“

„Ja.“

„Langweile ich sie?“

„Nein.“

„Ich kenne sie gar nicht.“

„Ich kenne sie auch nicht“, sagte sie.

„Ich finde sie sehr interessant.“ Sie sah ihn an, und jetzt war etwas wie Ironie in ihrem Lächeln.

„Sie sagten, sie kennen mich nicht?“

„Ich versuche mir vorzustellen, was sie für ein Mensch sind.“

„Das ist ganz einfach. Sie müssen mich fragen, was ich lese.“

„Was lesen sie?“

„Die beiden Männer.“ F. wusste zunächst nicht, wen sie meinte. Aber dann wusste er es doch.

„Mir gefällt Heinrich besser als Thomas.“

„Was lesen sie?“

„Christa Wolf“, sagte er.

„Was gefällt ihnen an Christa Wolf?“

„Sie hat so eine Art zu schreiben, die mir gefällt. Sie stellt Überlegungen über eine Sache oder eine Beziehung an und dadurch glaubt man, diese Beziehung besser zu kennen. Und sie? Was lesen sie?“

Sie hatten immer mehr Platz, weil sich immer mehr verabschiedeten. Sie sahen, wie der Hausherr im Korridor einzelne Paare verabschiedete.

„Es ist schon spät“, sagte F. „Was meinen sie? Was machen wir?“

„Wir gehen auch.“ Sie holten ihren Mantel und verabschiedeten sich. F.s Kollege sah sie lächelnd an. In seinem Blick war etwas von Einverständnis. Als ob er alles geahnt habe. Als ob er alles so arrangiert habe. Und dann waren sie auf der Treppe und schließlich vor der Haustür.

„Hier habe ich gestanden und wusste nicht, ob ich hinaufgehen sollte“, sagte F. „Wie war es bei Ihnen?“

„Ich bin mit einer Bekannten gekommen. Sie ist nicht lange geblieben.“ Sie gingen jetzt die Straße vor dem Haus entlang und hatten sich untergehakt. Sie waren ganz allein. Nur wenige Autos fuhren vorbei. Er war sich nicht sicher, wie er sich verhalten sollte.

„Haben sie morgen etwas vor?“ F. wusste, dass sich jetzt etwas entscheiden würde. Würde sie sich mit einer Ausrede verabschieden? Oder hatte sie wirklich etwas vor? Sie sah ihn nachdenklich an.

„Ich habe nichts vor.“

„Dann könnten wir uns morgen treffen.“

„Wenn sie wollen, können wir das machen.“ Sie wollte etwas mit ihm anfangen.

„Hier wohne ich“, sagte sie. Er war überrascht. Er wäre gern noch weiter mit ihr gegangen.

„Schade. Es ist so schön, mit ihnen zu gehen.“

„Holen sie mich morgen ab? Morgen Nachmittag?“ Sie wollte ihn nicht mit zu sich nehmen. Sie würden sich morgen sehen.

„Wie heißen sie eigentlich? Ich weiß nicht, wie sie heißen.“

„R.M.“, sagte sie.

„Ich heiße F.L.“, sagte er. „Dann bis morgen.“ Und dann gingen sie auseinander. Er sah sie in der Tür verschwinden. Er wartete, bis ein Fenster erleuchtet wurde. Es war im zweiten Stock. Langsam ging er die Straße zurück zu seinem Auto, das er stehen gelassen hatte. Er setzte sich hinein und fuhr langsam und ziellos durch die dunkle Stadt, die nur durch Laternen etwas erhellt war. Er glaubte, glücklich zu sein. Sie hatte ihn nicht mit zu sich genommen. Natürlich wäre er gern die Nacht bei ihr geblieben. Aber so war es auch nicht schlecht. Wenn sie mit ihm ins Bett gegangen wäre, dann wäre sie auch mit jedem anderen Mann ins Bett gegangen. Sie wollte ihn erst kennenlernen. Dachte er. Sie wollte sich das überlegen.

Er war jetzt zu Hause. In seiner Wohnung. Zu Hause war etwas anderes. Er zog sich aus und schlüpfte unter seine Bettdecke. Er war müde, aber die Gedanken ließen ihn nicht los. Er dachte an diese Frau, die nun in seinem Leben war. Er hoffte, dass sie in seinem Leben bleiben würde. Er hatte Frauen kennengelernt, die kamen und wieder gingen. Er wusste nicht, warum sie gegangen waren. Etwas hatte ihnen bei ihm nicht gefallen. Er wusste nicht, was es war. Sie hatten ihn wohl ausprobiert, und er war nicht das, was sie gewollt hatten. Er hätte mit ihnen leben können. Er konnte mit jeder Frau leben. Ganz stimmte das nicht. Es gab Frauen, da war er froh, wenn sie gingen. Es waren wenige. Die meisten Frauen waren für ihn ein Wunder. Ein großes Wunder. Er schlief ohne zu träumen.

2. Als er am nächsten Morgen erwachte, war alles wieder da. Die junge Frau in ihrem dunkelbraunen Hosenanzug und der Bluse, die nichts sehen ließ. Die schlanke Gestalt. Er war sich jetzt sicher, dass sie ein längliches Gesicht hatte und regelmäßige Gesichtszüge, die nicht sehr fein waren. Sie waren nicht grob aber eben auch nicht fein. Es war etwas Strenges in ihrem Gesicht. Sie war nicht sehr geschminkt gewesen. Sie hatte eine Stimme, die etwas bestimmendes und gleichzeitig melodiöses an sich hatte. Wollte sie wirklich etwas mit ihm anfangen? Er war sich jetzt nicht mehr so sicher. In der Nacht war er sich ganz sicher gewesen. Sie hatten sich verabredet. Sie würden sich am Nachmittag sehen. Er würde die junge Frau abholen. Und wenn sie nicht da war? Er hatte alles schon erlebt. Er hatte gewartet und schließlich umsonst gewartet. Warum hatte sie ihn nicht mit zu sich genommen? Sie waren keine Kinder mehr. Sie waren erwachsene Leute. Hatte sie eine große Enttäuschung erlebt? Musste sie erst wieder Vertrauen zu Männern fassen? Wollte sie überhaupt mit ihm schlafen? Sie hatten nicht über so etwas gesprochen. Er hatte sie mehrmals an sich gedrückt. Sie hatte sich das gefallen lassen. Aber sie hatte ihn nicht von sich aus an sich gedrückt. Sie war zurückhaltend gewesen. War das ihre Art? Oder hing das mit ihm zusammen? Hatte sie Vorbehalte gegen ihn? Er war kein attraktiver Mann. Er hatte rotblonde Haare. Er sah blass aus. Wie alle Rotblonden. Wollte sie ihn erst beobachten und sich dann entscheiden? Kam eine Prüfung auf ihn zu? In der er zum Schluss durchfallen würde? Sie sagten noch „Sie“ zueinander. Er war sich nicht sicher gewesen, ob er das ändern konnte. Er bekam auf einmal Hunger und machte sich etwas zu essen.

Am Nachmittag machte er sich fertig. Es war Sommer. Er entschied sich wieder für Hemd und Cordhose. Das Hemd war gestreift. Er zog es gern an. Und dann ging er zu seinem Auto und fuhr los. Es war nicht weit. Er parkte in einiger Entfernung von dem Haus. Er wollte noch etwas gehen, bevor er zu dem Haus kam. Die Straße sah jetzt anders aus als in der Nacht. Es waren mehr Leute unterwegs. Es war sonnabendnachmittags. Er ging zunächst auf der anderen Straßenseite. Er sah zu dem Fenster im zweiten Stock hinauf. Es war geschlossen. Er kam sich vor wie ein Eindringling. Dann überquerte er die Straße. Die Tür stand offen. Langsam ging er die Treppe hinauf in den zweiten Stock. Neben der Klingel waren zwei Schilder. Auf einem Schild stand R.M. Er war richtig. Er klingelte. Es rührte sich nichts. Er klingelte wieder. Es rührte sich nichts. Jetzt fiel ihm ein, dass sie keine bestimmte Zeit vereinbart hatten. Es konnte sein, dass sie unterwegs war. Er ging die Treppe hinunter. Er hatte kein gutes Gefühl. Er ging die Straße entlang bis zu einem Park. Dort setzte er sich auf eine Bank und wartete. Er wusste nicht, wie lange er warten sollte. Er hatte nur noch eine Chance. Er konnte noch einmal zu diesem Haus gehen und klingeln. Mehr war nicht möglich, ohne sich lächerlich zu machen. Er wartete und beobachtete die Leute, die vorbeigingen. Schließlich stand er auf und ging langsam zurück zu dem Haus. Das Fenster im zweiten Stock war weiter verschlossen. Dann stand er vor der Tür und klingelte. Er klingelte zweimal. Es passierte nichts. Er hörte die Klingel, aber es passierte sonst nichts. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Langsam ging er die Treppe hinunter und die Straße entlang zu seinem Auto. In der Nacht war er ziellos durch die Stadt gefahren und glücklich gewesen. Nun machte sich ein ganz anderes Gefühl breit. Er war niedergeschlagen. Sie hatte ihn an der Nase herumgeführt. Sie wollte mit ihm nichts anfangen. Sie hatte es ihm nicht selbst sagen wollen und hatte ihn deshalb vor der Tür stehen lassen. Oder hatte sie doch plötzlich weg gemusst? Sie hätte ihm eine Mitteilung an die Tür machen können. Er setzte sich in ein Restaurant und aß etwas. Es gab Kleinigkeiten, die er gerne aß. Dies war kein schöner Tag. Er hatte gut angefangen, und er hatte nicht gut geendet.

Er hatte dann eine Idee. Er kaufte zwei Konzertkarten. Eine Karte brachte er zu R.M. Er steckte sie in ihren Briefkasten und schrieb dazu, dass er sich freuen würde, wenn sie sich im Konzert treffen würden. Das Konzert war am Ende der Woche. Er fand diese Idee zeitweise großartig und zeitweise unsinnig. Manchmal stellte er sich vor, dass sie sich vor dem Konzert treffen würden wie alte Bekannte, und manchmal stellte er sich vor, dass er allein und deprimiert in dem Konzert sitzen würde. Er hatte noch andere Ideen. Er erwog, mit seinem Kollegen über R.M. zu sprechen. Wo sie als Lehrerin arbeitete. Er wusste nicht einmal, ob sie allein lebte. Er hatte das nur aus dem Schild R.M. geschlossen. Sicher war er sich nicht.

Der Tag des Konzerts kam näher und schließlich war es soweit, dass er sich fertigmachen musste und losfuhr. Er hatte während der letzten Tage nur selten daran gedacht. Aber nun war alles wieder ganz nah. Er hatte auch schon erwogen, nicht zu dem Konzert zu gehen. Dann würde sie sich entscheiden müssen, ob sie sich bei ihm melden würde. Er verwarf diese Idee. Nun stand er auf dem Platz vor dem Konzertsaal und sah sich vorsichtig um. Es waren nur wenige Leute zu sehen. Er ging langsam auf den Eingang zu, und stellte er sich an einem Fenster auf. Er beobachtete die Leute, die vorbeigingen. Die junge Frau war nicht dabei. Er wartete das zweite Klingelzeichen ab und ging in den Konzertsaal. Er fand seinen Platz. Der Platz daneben war leer. Das Konzert war ausverkauft. Als schon einzelne Türen geschlossen wurden, sah er sie hereinkommen und auf den freien Platz zusteuern. Er erhob sich und machte ihr Platz. Als sie sich gesetzt hatte, nahm sie seine Hand und begrüßte ihn freundlich lächelnd. Das Konzert begann. Er sah sie kurz an. Sie sah etwas abgehetzt aus. Sie hatte sich zurechtgemacht. Eine andere Kette als in der Nacht, aber auch passend. Das Kleid an diesem Abend dunkelrot mit rundem Ausschnitt. Etwas größer. Hochfrisur. Als er sie einmal länger ansah, erwiderte sie seinen Blick, und es war ein Lächeln in ihrem Gesicht. Offenbar war sie gern zu dem Konzert gekommen. Es war eine gute Idee gewesen. Er konnte sich der Musik nicht hingeben. Die Gedanken gingen in ihm wirr durcheinander. Was würde das für ein Abend werden? Würde es überhaupt ein Abend werden?Oder würde sie sich einfach verabschieden und verschwinden? Dann war Pause. Sie standen auf und gingen in das Foyer.

„Es ist sehr schön, dass sie gekommen sind“, sagte er.„Hoffentlich gefällt ihnen das Programm“.

„Es gefällt mir. Und danke für die Karte. Was bin ich ihnen schuldig?“

„Nichts. Ich habe sie eingeladen.“

„Danke“, sagte sie.

„Wie war die Woche?“

„Anstrengend. Das Abitur steht bevor. Die letzten Vorbereitungen.“

„Haben sie eine Abiturklasse?“

„Ja. Meine erste Abiturklasse.“

„Eine nette Klasse?“

„Einige Schüler sind schwierig. Manche sind sehr gut und strengen sich auch an.“

Sie sprachen weiter über die Schule, und F. erinnerte sich an seine Schulzeit. Ihn hatte schon immer interessiert, wie diese Zeit aus der Sicht der Lehrer aussah. Dann ertönten die Klingelzeichen, und sie gingen zurück auf ihre Plätze. Die Symphonie begann. Sie nahm auch F. gefangen. Hin und wieder sah er die Frau neben sich einen Moment an. Auch sie schien die Musik gefangen zu nehmen. Als der letzte Satz begann, wurde F. unruhiger. Die Entscheidung kam näher. Was würde aus dem Abend werden? Schließlich der Schlussapplaus. Er sah Freude in den Augen der jungen Frau. Er ging zur Garderobe und holte den Mantel der jungen Frau, den er schon kannte und der ihm vertraut war. Dann gingen sie zusammen zum Ausgang und standen auf dem Platz vor dem Konzertsaal. Es war ein milder Abend.

„Wollen wir noch etwas gehen?“ sagte er. Sie war einverstanden. Er nahm ihren Arm und auch das war ihr recht. Das Einverständnis aus der ersten Nacht war wieder da. Es war, als ob sie sich nie getrennt hätten. Sie kamen an einem Restaurant vorbei. Er schlug vor, noch etwas zu trinken. Sie gingen hinein und setzten sich an einen kleinen Tisch. Es war ein gemütliches Restaurant. Er bestellte einen roten Wein. Sie war damit einverstanden.

„Ich habe zweimal bei ihnen geklingelt. Es war niemand da. Ich war verzweifelt.“ Sie sah ihn ungläubig an.

„Das glaube ich nicht. Sie kennen sich mit Frauen aus. Da bin ich mir sicher. Ich musste zu einer Freundin. Das konnte ich nicht voraussehen. Es tut mir leid, dass sie umsonst gekommen sind.“ Sie schwiegen einige Zeit. Dann sagte sie:

„Ich habe ihnen von mir erzählt. Von meinem Beruf, von meinen Schülern. Jetzt erzählen sie von ihrem Beruf.“

„Mein Beruf ist nicht interessant. Ich sitze den ganzen Tag vor dem Computer. Vor Zahlen. Was soll ich da erzählen?“

„Sind sie zufrieden mit ihrem Beruf?“

„Heute muss man froh sein, wenn man nicht arbeitslos ist. Ich war einmal arbeitslos. Ein halbes Jahr. Das war furchtbar. Ich bin nicht aus dem Haus gegangen. Ich hatte Angst, dass man sieht, dass ich arbeitslos bin.“

„Leben sie allein?“

„Ja.“

„Warum? Sind sie gern allein?“

„Ich bin nicht gern allein. Ich würde gern mit ihnen zusammen leben.“ F. sagte das in einem lockeren Ton, der verschiedene Deutungen zuließ.

„Sind sie geschieden?“ sagte sie.

„Nein. Sind sie geschieden?“

„Ja.“

„Ach.“

„Ist das schlimm?“

„Nein. Sie werden ihre Gründe gehabt haben.“ F. sah die junge Frau an. Sie sah sehr ernst aus.

„Wir sagen immer noch „Sie“, sagte er. „Können wir das nicht ändern?“

„R.“ sagte die junge Frau. „Das weißt du bereits.“

„F., das weißt du auch bereits.“ Er näherte sich ihrem Mund, und ihre Lippen berührten sich.

„Nun können wir zusammen leben. Bei dir oder bei mir?“ Die junge Frau lachte, nachdem er das gesagt hatte. Seine Frage beantwortete sie nicht. Er hatte auch nicht damit gerechnet. Es wurde ein schöner Abend, und schließlich standen sie wieder auf der Straße vor dem Restaurant und gingen zu F.s Auto. Als sie vor dem Haus standen, das F. schon kannte, sagte die junge Frau:

„Ich danke dir für den schönen Abend. Ich war lange nicht so froh.“

„Wann sehen wir uns wieder?“

„In dieser Woche habe ich viel zu tun. Vielleicht zum Wochenende. Hier hast du meine Telefonnummer.“ Sie küssten sich, und dann ging F. zu seinem Auto, nachdem er beobachtet hatte, wie das Licht in einem Fenster im zweiten Stock anging. Er fuhr wieder ziellos durch die Stadt, und die Gedanken stürmten auf ihn ein. Er war zufrieden mit diesem Abend. Er hätte viel schlimmer ausgehen können. Sie war gekommen, und sie hatten zusammengesessen, und sie waren sich näher gekommen. Sie sagten jetzt „du“ zueinander. Sie hatte ihm ihre Telefonnummer gegeben. Sie konnte ihm nicht mehr entkommen. Er war sich jetzt sicher, dass sie eine großartige Frau war, und dass sie gut zusammen passten, und dass sie vielleicht zusammen leben würden. In der Nacht erwachte er einmal, und voller Freude dachte er an diese Frau.

3. Er dachte die ganze Woche an diese Frau. Er stellte sich vor, wie sie vor ihren Schülern stand und von den Jungen und natürlich auch von den Mädchen bewundert wurde. Die nicht wussten, dass die Frau Lehrerin eine neue Beziehung hatte. Und diese Beziehung war er. Er ging in eine Buchhandlung und kaufte sich einige Romane, die neu erschienen waren. Er hatte immer schon gern gelesen, aber in der letzten Zeit hatte er wenig Zeit zum Lesen gehabt.

Am Sonnabend war er zu Hause und gegen Mittag wählte er die Telefonnummer, die sie ihm gegeben hatte. Dann war ihre Stimme im Telefon.

„Wie war die Woche?“ sagte er.

„Anstrengend. Aber nun ist Wochenende.“

„Ich habe Sehnsucht nach dir. Ich würde dich gern sehen.“ Es gefiel ihm, dass sie jetzt „Du“ sagten.

„Woran hast du gedacht?“

„Ich gehe gern in den Stadtpark.“

„Holst du mich ab? Am Nachmittag. Ich bin zu Hause.“

„Ich freue mich.“

Dieses Mal würden sie sich treffen. Sie waren fest verabredet. Und tatsächlich hörte er ihre Stimme, als er vor dem Haus stand und geklingelt hatte. Sie würde gleich herunterkommen. Und dann kam sie die Treppe herunter, und sie gefiel ihm. Sie hatte ein buntes Kleid an, und der Ausschnitt war auch etwas größer. Sie blickte ihn freundlich an. Sie schien sich zu freuen. Sie ließen das Auto stehen und gingen zu Fuß. Bald hatten sie den Stadtpark erreicht. Sie setzten sich auf eine Bank unter einer alten Eiche. Er war jetzt etwas unsicher, wie er mit ihr sprechen sollte. Es gab noch viel, worüber sie sprechen konnten. Aber was war das Richtige auf dieser Bank unter diesem Baum.

„Du schüchterst mich etwas ein“, sagte er. „Ich möchte Eindruck machen. Aber ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich weiß zu wenig von dir.“ Sie drängte sich an ihn und suchte seinen Mund.

„Du musst dir keine Gedanken machen. Gib dich so, wie du bist.“

„Auf die Dauer kann man sich sowieso nicht verstellen. Als ich noch ganz jung war, dachte ich: Wie soll das gehen, immer mit einer Frau zusammenleben. Man ist nicht immer interessant. Man sitzt auch manchmal da und denkt über etwas nach.“

„Warst du noch nie in einer festen Beziehung?“

„Nein. Nicht in einer gemeinsamen Wohnung. Wie war das, als du verheiratet warst?“

„Zuerst waren wir verliebt. Das war eine schöne Zeit. Ich bin bei ihm eingezogen.“

„Wart ihr dauernd im Bett?“ Sie sahen sich an. Die Frau hatte Falten auf ihrer Stirn und ihr Mund war zusammengepresst.

„Jeden Abend“, sagte sie und lachte. Er wusste nicht, ob sie das ernst meinte.

„Du nimmst mich nicht ernst“, sagte er. „Du machst dich lustig über mich.“

„Ich denke nicht mehr so gern an diese Zeit. Sie hat kein gutes Ende genommen.“

„Dann sprechen wir nicht darüber. Wo bist du eigentlich groß geworden?“

„In T.“

„Im Gebirge. Im Wald. Ihr seid jeden Tag gewandert. Hast du Geschwister?“

„Ich habe zwei Schwestern. Meine Eltern sind tot. Hast du Geschwister?“

„Ich bin ein Einzelkind. Meine Eltern sind alt, aber sie leben noch. In S.“

„Das hört man nicht.“

„Ich bin schon lange hier. Da verlernt man die Sprache, die man als Kind gesprochen hat. Wolltest du immer schon Lehrerin werden?“

„Wir hatten einen Deutschlehrer, in den alle Mädchen verliebt waren.“

„Wie sah er aus?“

„Er sah sehr gut aus. Und sein Augen leuchteten, wenn er ein Gedicht rezitierte. Wir haben viele Gedichte gelernt.“

„Warst du eine gute Schülerin?“

„In Deutsch war ich gut. In Mathematik und Physik war ich nicht so gut.“

Sie sprachen noch über viele Dinge und sie hatten keine Schwierigkeiten miteinander zu sprechen. Ein Thema reihte sich an das andere. Schließlich standen sie auf und gingen langsam zurück bis zu dem Haus, in dem die junge Frau wohnte.

„Du möchtest mit mir schlafen“, sagte sie.

„Ja“, sagte er.

„Gibst du mir noch etwas Zeit? Aber wenn du unbedingt möchtest, kannst du heraufkommen.“ F. fühlte sich gefangen. Nach einiger Zeit sagte er:

„Wenn du noch warten willst, dann warten wir.“ Sie suchte seinen Mund und küsste ihn.

„Danke.“ Und dann ging sie die Treppe hinauf, und er stand allein. Er ging langsam zu seinem Auto. Was hatte das zu bedeuten? Immerhin hatte sie daran gedacht, mit ihm zu schlafen. Warum wollte sie noch warten? Weil sie geschieden war? Er wusste nicht, wann das gewesen war. Oder musste sie sich an ihn erst gewöhnen? War er so unsympathisch? Er wusste nicht, ob er froh oder niedergeschlagen sein sollte. Er war dann wieder in seiner Wohnung und sah auf die Straße und auf die Menschen, die vorübergingen. Er war immer noch allein. Aber es würde sich ändern. Er wollte jetzt unbedingt mit dieser Frau zusammenbleiben. Er begann sich zu überlegen, wie sie zusammenleben würden. Zum ersten Mal stellte er sich die junge Frau nackt vor. Sie hatte selbst davon gesprochen, dass sie zusammen schlafen würden.

4. Er hatte schon mit Frauen geschlafen. Er dachte an das erste Mal. Es war in seiner Studentenzeit gewesen. Er wohnte in einem Studentenheim. Es war ein Sonnabendabend gewesen. Die meisten Studenten waren unterwegs. Er saß im Aufenthaltsraum und machte sich etwas zu essen. Nach einiger Zeit kam eine Studentin herein und setzte sich zu ihm. Sie aßen zusammen, was er fertig gemacht hatte. Sie unterhielten sich über das Studium. Sie studierte Biologie und er Informatik. Sie kamen sich immer näher. Sie holte eine Flasche Wein aus ihrem Zimmer. Sie begannen zu trinken, und sie tranken immer weiter. Sie waren allein, und ihre Zimmer waren ganz in der Nähe. Das Mädchen hatte schon viele Reisen gemacht. Sie kannte viele Länder. Sie erzählte begeistert davon, was sie erlebt hatte. Sie hatte schon viel erlebt. Sie erzählte auch von Männern, mit denen sie zusammen gewesen war. Sie küsste ihn, und dabei fühlte er ihre Zunge in seinem Mund. Er hatte so etwas noch nicht erlebt. Sie sagte:

„Wollen wir in dein Zimmer gehen?“ Er wusste das noch ganz genau. Sie hatte das gesagt. Nun wusste sogar er, was sie wollte. Sie gingen zusammen in sein Zimmer. Alle Zimmer waren gleich. In seinem Zimmer hingen einige Fotos an der Wand. Das Mädchen zog sich aus. Ihre Brüste waren zu sehen, und dann waren die dunklen Haare zwischen ihren Schenkeln zu sehen. Er musste sich auch ausziehen, er hatte keine andere Wahl. Er hatte sich noch nie vor einem Mädchen ausgezogen. Er fand sich nicht schön. Jetzt musste er es tun, und es war nicht schwer. Dann standen sie sich gegenüber. Das Mädchen fasste sein steifes Glied an. Er fühlte sich wie ein Mann. Sie zog ihn auf ihr Bett und sein Glied zu sich hin. Er musste es nur hineinschieben. Es war ganz einfach. Er begann sich zu bewegen und kam sich etwas komisch vor. Er lag auf diesem Mädchen und bewegte sein steifes Glied in ihm hin und her. Es dauerte nicht lange, bis er kam. Er kannte das. Er rieb oft sein steifes Glied, bis er kam. Nun machte er das in diesem fremden Mädchen. Es war eng auf diesem schmalen Bett, auf dem sie dann lagen.

„Du hast das noch nicht oft gemacht“, sagte das Mädchen. Es klang nicht vorwurfsvoll. Es war nur so eine Feststellung.

„Nein, habe ich nicht“, sagte er. Er schämte sich etwas. Aber nicht sehr. Er war so stolz, dass er das geschafft hatte. „Ich danke dir“, sagte er.

„Bitte“, sagte das Mädchen. „Das erste Mal ist kostenlos.“ Sie rauchten zusammen und dann schliefen sie ein. In der Nacht wachte er einmal auf. Er war so glücklich. In den nächsten Tagen wartete er darauf, das Mädchen wieder zu sehen. Aber es wohnte gar nicht in dem Haus, in dem er sein Zimmer hatte. Er sah es nur einmal in der Universität. Es war mit anderen Studentinnen unterwegs. Er wagte nicht, dem Mädchen zu folgen. Es gehörte zu einer anderen Welt. Zu der hatte er keinen Zugang.

Er wusste nicht genau, wann er sich wieder bei der jungen Frau melden sollte. Er wartete einige Tage und wurde immer unsicherer. Schließlich rief er am Abend an. R. war am Telefon. Ihre Stimme klang nicht sehr freundlich. Sie hatte viel zu tun. Er fragte nicht, wann sie sich wieder treffen würden. Er wagte es nicht. Er war sehr niedergeschlagen nach diesem Gespräch. Er dachte immer wieder an den letzten Abschied vor dem Haus der jungen Frau. Da hatte sie ihn geküsst. Und im Stadtpark hatten sie sich so gut verstanden. Wenn er darauf bestanden hätte, hätten sie zusammen geschlafen. Und nun war das in weite Ferne gerückt. Er versuchte, das alles zu verstehen. Es gelang ihm nicht. Er rief nicht wieder an, er wartete. Es dauerte bis zum nächsten Wochenende. Da meldete sie sich. Es war das erste Mal, dass sie bei ihm anrief.

„R.“, sagte sie. Er sagte zunächst nichts. Er wartete darauf, was sie sagen würde. Sie sollte merken, dass er verstimmt war.

„Bist du noch da?“ sagte sie.

„Ja, ich bin noch da.“

„Ich dachte, du freust dich, dass ich dich anrufe.“ Er wartete wieder etwas. Dann sagte er:

„Ich freue mich sehr. Ich bin überglücklich.“ Er legte einen leichten Sarkasmus in seine Stimme.

„Bist du mir böse?“

„Nein.“

„Was hast du? Ich merke, dass etwas nicht stimmt.“

„Ich bin etwas traurig.“

„Wegen unseres letzten Gesprächs? Ich hatte sehr viel zu tun. Das habe ich dir gesagt. Ich hatte auch Ärger mit einem Schüler.“

„Das tut mir leid.“ Nach einer Pause sagte sie:

„Entschuldige.“

„Du brauchst dich nicht entschuldigen. Ich muss sensibler sein. Alles meine Schuld.“ Er sagte das. Es war nicht die Wahrheit. Sie lachte und sagte:

„Wir haben uns versöhnt?“

„Ja.

„Wann sehen wir uns?“

„Wie du willst.“

„Dann komm doch herüber. Oder passt es dir nicht?“

„Doch. Ich komme.“ Er legte auf. Er war glücklich. Sie hatte ihn zu sich gerufen. Er fuhr sofort los. Erst als er schon vor der Tür stand, überkamen ihn Zweifel. Was würde das für ein Abend werden? Was stand ihm bevor?

Sie öffnete und sah sehr ernst aus. Zum ersten Mal sah er ihre Wohnung. Sie war nicht groß. Der Korridor war dunkel. Sie gingen schnell weiter in das Wohnzimmer. Einfach eingerichtet. Möbel aus Kiefernholz. Ein gemütliches Sofa mit bunt karierten Kissen. An der Wand ein Regal mit Büchern. Auf dem flachen Tisch zwei Gläser. Die beiden großen Fenster, die er von unten erleuchtet gesehen hatte. Sie setzten sich gegenüber.

„Willst du etwas trinken?“

„Gern.“

„Einen Roten?“

„Gern. Geht es dir nicht gut?“ Sie holte eine Flasche und schenkte ein. Sie sah abgespannt aus.

„Es ist mir schon besser gegangen.“

„Du hattest Ärger mit einem Schüler?“ Und dann sprachen sie über diesen Schüler und die Probleme, die es mit ihm gab. F. wollte immer mehr wissen. Er wollte ihr das Gefühl geben, dass er daran interessiert sei. Dass er ein Gesprächspartner für sie sei. Sie kamen dann auf die Kollegen von R. zu sprechen und auf den Rektor und auf andere Schüler und deren Eltern, die R. beim Elternabend kennengelernt hatte. Der Wein tat seine Wirkung bei ihm und bei ihr. Ihr Gesicht hatte sich aufgehellt, und ihre Augen leuchteten jetzt manchmal. F. stand auf und trat an eines der großen Fenster. Er sah hinaus auf die Straße und auf die Bäume am Rande der Straße. Leute gingen auf der Straße, und Autos fuhren vorbei. Die junge Frau trat neben ihn, und so sahen sie gemeinsam auf die Straße. Der Wein hatte ihn mutiger gemacht. Er legte seinen Arm um ihre Schultern, und sie entzog sich nicht. Und dann küsste er sie, und auch dabei entzog sie sich nicht. Und dann lag seine Hand auf einer ihrer Brüste. Jedenfalls dort, wo er ihre Brüste vermutete unter dem dünnen Hemd. Sie sagte, dass sie etwas betrunken sei, und er sagte, dass er auch etwas betrunken sei. Sie machte sich los und ging in ein anderes Zimmer, das er noch nicht gesehen hatte. Es dauerte eine Weile, bis sie ihn rief. Sie lag auf ihrem Bett unter einer Decke und winkte ihm, er solle zu ihr kommen.

„Wir machen das jetzt“, sagte sie.

„Einfach so“, sagte er. „Ich ziehe mich dann aus.“