Das Blut des Vampirs - Georgia Wingade - E-Book

Das Blut des Vampirs E-Book

Georgia Wingade

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Beschreibung

Es ist der ganz besondere Liebesroman, der unter die Haut geht. Alles ist zugleich so unheimlich und so romantisch wie nirgendwo sonst. Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen, Vampire und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen ziehen uns wie magisch in ihren Bann. Moonlight Romance bietet wohlige Schaudergefühle mit Gänsehauteffekt, geeignet, begeisternd für alle, deren Herz für Spannung, Spuk und Liebe schlägt. Immer wieder stellt sich die bange Frage: Gibt es für diese Phänomene eine natürliche Erklärung? Oder haben wir es wirklich mit Geistern und Gespenstern zu tun? Die Antworten darauf sind von Roman zu Roman unterschiedlich, manchmal auch mehrdeutig. Eben das macht die Lektüre so fantastisch... Im transsilvanischen Dragovac lebte die Familie unter erbärmlichen Bedingungen. Es gab zu wenig Arbeit, und wenn es welche gab, dann war sie miserabel bezahlt. Denn die Fürstenfamilie schöpfte alles an Geld ab, was möglich war, um ihren im Vergleich aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. Petras Großmutter sprach immer davon, dass dieser hemmungslose Clan verflucht sei zu einem Leben in Verdammnis. Auf dem Friedhof des Fürstenschlosses gab es eine Grabstätte mit einem Gedenkstein. Die Inschrift lautete: »Wenn dein Blut trocknet, ist dein Bett hier.« Jetzt erinnerte sich die alte Dame. Es hatte in der Pubertät begonnen – jenes undefinierbare Sehnen nach einem unbekannten Sein, einem anderen Denken und auch Fühlen. Dieses Gefühl der Leere, die auszufüllen war, verstärkte sich mit jedem Monat. Er hatte gehofft, er würde dieses undefinierbare Gefühl der Leere, des Unausgefülltseins mit den Jahren verlieren; es würde sich abschwächen und schließlich verschwinden. Alles vergebliche Hoffnung. Er ging zu verschiedenen Ärzten, wurde an Psychologen und Psychotherapeuten überwiesen; doch keiner der Seelenklempner war in der Lage, auch nur zu erkennen, was diesem seltsamen Patienten fehlte. Sie verschrieben ihm Kururlaube, versuchten es mit homöopathischen Mitteln und landeten schließlich alle bei Psychopharmaka, regelrechten Hämmern, die ihn betäubten, seine Sehnsucht aber nicht dämmen konnten. Schließlich musste er vor sich selbst eingestehen: Diese Sehnsucht war trotz aller Versuche, sie unter Kontrolle zu bekommen, immer ­stärker geworden, hatte sich zu einem Gefühlsturm aufgebaut, hatte schlußendlich eine Ausrichtung bekommen, eine geographische Richtung: nach Osten. Was das zu bedeuten hatte, blieb ihm zunächst rätselhaft. Dort im Osten Europas, genauer gesagt im Südosten, schien die Verheißung zu wohnen, dorthin strebte sein Fühlen. Das Ziel hieß Balkan. Er konnte dem nicht Widerstand leisten, er folgte ihm, als er gerade das einunddreißigste Jahr vollendet hatte. Aus den Vorschlägen, die ihm das Reisebüro präsentierte, suchte er sich absichtlich jene Reise heraus, die ihn am gemächlichsten dorthin führen würde, wo die Erfüllung lockte. Er wollte – ganz instinktiv – wissen, eigentlich besser verstehen, was da »gespielt«

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Moonlight Romance – 22 –

Das Blut des Vampirs

Er folgt dem Fluss der Versuchung

Georgia Wingade

Im transsilvanischen Dragovac lebte die Familie unter erbärmlichen Bedingungen. Es gab zu wenig Arbeit, und wenn es welche gab, dann war sie miserabel bezahlt. Denn die Fürstenfamilie schöpfte alles an Geld ab, was möglich war, um ihren im Vergleich aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. Petras Großmutter sprach immer davon, dass dieser hemmungslose Clan verflucht sei zu einem Leben in Verdammnis. Auf dem Friedhof des Fürstenschlosses gab es eine Grabstätte mit einem Gedenkstein. Die Inschrift lautete: »Wenn dein Blut trocknet, ist dein Bett hier.« Jetzt erinnerte sich die alte Dame. Da war auf einmal ihre Jugend zurück – und ihr früheres Leben in …

Es hatte in der Pubertät begonnen – jenes undefinierbare Sehnen nach einem unbekannten Sein, einem anderen Denken und auch Fühlen. Dieses Gefühl der Leere, die auszufüllen war, verstärkte sich mit jedem Monat. Er hatte gehofft, er würde dieses undefinierbare Gefühl der Leere, des Unausgefülltseins mit den Jahren verlieren; es würde sich abschwächen und schließlich verschwinden. Alles vergebliche Hoffnung.

Er ging zu verschiedenen Ärzten, wurde an Psychologen und Psychotherapeuten überwiesen; doch keiner der Seelenklempner war in der Lage, auch nur zu erkennen, was diesem seltsamen Patienten fehlte. Sie verschrieben ihm Kururlaube, versuchten es mit homöopathischen Mitteln und landeten schließlich alle bei Psychopharmaka, regelrechten Hämmern, die ihn betäubten, seine Sehnsucht aber nicht dämmen konnten.

Schließlich musste er vor sich selbst eingestehen: Diese Sehnsucht war trotz aller Versuche, sie unter Kontrolle zu bekommen, immer ­stärker geworden, hatte sich zu einem Gefühlsturm aufgebaut, hatte schlußendlich eine Ausrichtung bekommen, eine geographische Richtung: nach Osten. Was das zu bedeuten hatte, blieb ihm zunächst rätselhaft. Dort im Osten Europas, genauer gesagt im Südosten, schien die Verheißung zu wohnen, dorthin strebte sein Fühlen.

Das Ziel hieß Balkan. Er konnte dem nicht Widerstand leisten, er folgte ihm, als er gerade das einunddreißigste Jahr vollendet hatte. Aus den Vorschlägen, die ihm das Reisebüro präsentierte, suchte er sich absichtlich jene Reise heraus, die ihn am gemächlichsten dorthin führen würde, wo die Erfüllung lockte. Er wollte – ganz instinktiv – wissen, eigentlich besser verstehen, was da »gespielt« wurde.

Was das kosten sollte, war ihm nicht wichtig. Das spielte einfach keine Rolle, er buchte die Senatorsuite, denn er wollte es bequem, ja luxuriös haben, wie er es auch im täglichen Leben gewohnt war.

Die Reise begann am 14. Juli, einem Sonntag.

Das Ziel: Der Unterlauf der Donau.

*

Die Stadt Passau empfing sie an jenem Sonntag mit strahlend-blauem Himmel. Für einen Julitag war es fast schon zu heiß; das Thermometer am Bahnhof zeigte um die Mittagsstunde bereits 33 Grad. Der Shuttlebus zum Schiff, den sie gebucht hatte, würde sie erst in zweieinhalb Stunden aufnehmen und zur Anlegestelle bringen. Da sie das schwere Gepäck, zwei Koffer, per Zubringer-Service geschickt hatte, war sie unbeschwert. Sie beschloss, das Handgepäck in einem Schließfach zu verstauen und ein wenig durch die Stadt zu bummeln.

Da sie keinen Stadtplan zur Hand hatte, fragte sie kurz entschlossen nahe des Bahnhofs einen Taxifahrer nach dem Weg zum Dom. Sie hatte schon viel gehört über dieses gotische Bauwerk mit seinen drei Zwiebeltürmen, dem spätgotischen Chor und der üppigen barocken Innenausstattung. Über eintausend Skulpturen befanden sich angeblich im Kirchenschiff und den Seitenkapellen. Aber wovon alle in Passau und auch außerhalb schwärmten, war die Orgel. Die größte Domorgel der Welt, die der Organist hier ertönen lassen konnte. Heute am Sonntag bestand vielleicht die Chance, zuzuhören. Und sei es nur von außen.

Unterwegs ließ sie sich von einem kleinen italienischen Café am Ludwigplatz locken, wo man draußen sitzen und einen Cappuccino oder ein kühles Getränk zu sich nehmen konnte. Es herrschte reger Betrieb; sie ergatterte gerade noch einen freien Tisch mit zwei Stühlen. Nachdem sie die Bestellung aufgegeben hatte, ein Tellergericht Spaghetti und einen leichten Abruzzenwein sowie danach einen doppelten Espresso, sah sie sich auf dem Platz um.

Dass sie diese Flusskreuzfahrt unternehmen konnte, war einem Preisausschreiben zu verdanken, dass sie gewonnen hatte: Angelika Neubert, gerade einmal 23 Jahre alt.

So nebenbei hatte sie die Ausschreibung gelesen, die im Eingangsbereich der Sparkasse auslag, wo sie ihr Gehaltskonto unterhielt. Es ging um Begriffe, die sie als Bankkundin wissen sollte. Sie hatte mehr willkürlich, als mit Bedacht die Fragen beantwortet und natürlich keineswegs damit gerechnet, unter den Gewinnern zu sein. Aber genauso war es gewesen: Den ersten Preis hatte sie gewonnen: Eine Fahrt auf der Donau mit einem Kreuzfahrtschiff bis in das sagenumwobene Donaudelta hinein, all inclusive.

Daraufhin hatte sie ihren Jahresurlaub genommen und sich deswegen unter der Kollegenschaft in dem Import-/Exportbüro, wo sie in Frankfurt arbeitete, durchsetzen müssen. Schwer genug war’s gewesen. Doch nun saß sie da, in der Dreiflüsse-Stadt Passau, und wartete auf das Ablegen des Schiffes. Dass sie eigentlich zum Dom wollte und die weltberühmte Orgel dort auf ihr andächtiges Zuhören wartete, war ihrer Aufmerksamkeit entschwunden. Sie genoss einfach nur, hier sitzen zu können, ohne die Hektik um sich herum, wie es der Berufsalltag eben so mit sich brachte.

»Sie erlauben?« Eine weibliche Stimme unterbrach ihr Sinnen.

Sie schreckte auf, wie aus einem Traum. »Äh, ja, natürlich …«, stammelte sie aufblickend. Vor ihr stand eine ältere Dame, vielleicht Mitte der Fünfziger, eher korpulent als schlank, jedoch von gepflegtem Aussehen, die sich den Stuhl sorgfältig zurechtrückte und sich aufatmend darauf niederließ. Ungeachtet der Hitze trug sie ihr braunes Haar sorgfältig onduliert; einige helle Strähnchen sorgten für Abwechslung.

»Heiß ist es«, war ihre erste Bemerkung, und: »Wo haben Sie diese entzückende Bluse her? Sie ist mir gleich aufgefallen, als ich nach einem freien Sitzplatz gesucht habe.«

»Das freut mich«, sagte Angelika automatisch, denn zur Höflichkeit hatte sie ihre Mutter immer angehalten. »Ja, es ist heiß heute.« Zur Frage nach ihrer Bluse äußerte sie sich nicht, denn sie hatte sie bei einem Resteverkauf erstanden, sehr preiswert, doch das ging niemanden etwas an. Aber schön war sie, ohne Frage, und raffiniert im Schnitt.

»Diese Hitze ist einfach mörderisch. Man wünschte, am Nordpol Urlaub machen zu dürfen«, sagte die Neuangekommene. »Ich bin Eugenie Schmitz-Wellinghausen. Und ich bin nicht von hier, falls Sie das fragen wollen. Ich bin gebürtige Rheinländerin und berufliche Umstände haben mich hierher verschlagen.«

Angelika musste lachen. »Das ist einmal eine originelle Vorstellung«, sagte sie. »Danke, dass Sie mich aufheitern. Ich sitze nämlich hier und brate in der Hitze, während ich darauf warte, dass mein Schiff ablegt.«

»Was für ein Zufall!« rief Frau Schmitz-Wellinghausen und klatschte in die Hände, was den Kellner herbeibemühte, bei dem sie sofort eine Apfelschorle und eine kleine Portion Ravioli bestellte. Dann wandte sie sich wieder an Angelika: »Ich muss auch die Zeit totschlagen, bis ich losziehen kann. Wie heißt denn Ihr Schiff?«

»Es ist die ‚Danubia Queen‘ und sie liegt an der Anlegestelle zwei, etwas außerhalb der Stadt.«

»Das gibt es doch gar nicht!« rief Frau Schmitz-Wellinghausen. »Genau damit werde ich auch unterwegs sein. Dann warten Sie also auch auf den Shuttlebus, der nachher vom Hauptbahnhof zur Donau fährt.«

»Na, so was!« Angelika wunderte sich. Zufälle gab es. Andererseits war es nett und angenehm, mit jemandem die Zeit zu verplaudern, die sie sowieso abwarten musste.

»Sie machen die ganze Fahrt mit?« fragte sie und wagte nicht daran zu denken, wie wohl ihre Frisur diese Hitze überstand. Sie trug ihr naturblondes Haar kurz, doch da es sehr fein war, klebte es bei solchen Temperaturen rasch an der Kopfhaut. Und das sah einfach scheußlich aus.

»Aber natürlich!«, war die Antwort. »Bis ins Donaudelta hinein.« Regine Schmitz-Wellinghausen rührte gedankenverloren in ihren Ravioli, die der Kellner inzwischen vor sie hingestellt hatte. »Sie ebenfalls?«

»Ja, da freue ich mich auch schon drauf«, bestätigte Angelika. »Und diese Vogelschwärme …«

»Vögel werden wir genügend sehen, da bin ich sicher.« Dann schwiegen sie und betrachteten das rege Treiben auf dem Platz vor ihnen, ein Schild wies ihn als Ludwigsplatz aus, nicht ohne sich an ihren Speisen und Getränken zu laben.

Sie hatten kaum fertig gegessen und ausgetrunken, da hatte sich Angelikas Gegenüber bereits erhoben. »Ich denke, wir sollten uns allmählich …«

Im Aufstehen hatte sie ihren Stuhl nach hinten geschoben und dabei einen Passanten angerempelt, der es offensichtlich eilig hatte, im Zentrum der Stadt Besorgungen zu machen.

»Was erlauben Sie sich eigentlich?« schnaubte der hochgewachsene Mann, der offensichtlich Mühe hatte, trotz seines Gehstockes das Gleichgewicht zu wahren. »Einen behinderten Mann so zu …«

Frau Schmitz-Wellinghausen hatte sich rasch umgedreht und rief nun in einem plötzlichen Erkennen: »Sie sind es! Was für eine Überraschung so früh am Tage, mit Ihnen habe ich nicht gerechnet!«

»Sie kennen mich doch, Frau … wie war noch Ihr Name?« Er deutete mit der rechten Hand in ihre Richtung, ein Glied des Zeigefingers fehlte.

Angelika konnte dem ihr Unbekannten ansehen, dass er offensichtlich ihre neue Bekanntschaft nicht ernst nahm, sondern sich über sie lustig machte.

»Aber ich bin doch …«

»Ich weiß, ich weiß …«, jetzt lächelte der Unbekannte und stützte sich schwer auf seinen Stock. »Und Sie kennen mich schließlich auch, oder? Deswegen wollten Sie mich wohl umstoßen, wollten mich ins Krankenbett befördern. Zurückschicken, wo ich hingehöre und keine Probleme bereiten kann. Ihnen nicht und anderen auch nicht.«

Jetzt wurde Frau Schmitz-Wellinghausen erst richtig verlegen, so schien es Angelika, die nun genug hatte von dem müßigen Spiel.

»Wollen Sie mich nicht mit dem Herrn bekannt machen?« fragte sie energisch. Und als Frau Schmitz-Wellinghausen ganz offensichtlich zögerte, fuhr sie fort: »Wenn nicht, dann kann ich das ebenso gut selbst erledigen.«

Sie streckte ihre Rechte aus und sagte: »Mein Name ist Angelika Neubert. Mit wem habe ich das Vergnügen?«

Nun reagierte Eugenie Schmitz-Wellinghausen überraschend schnell: »Das ist Herr Rupert Geiss-Landmann, ein Passauer Urgestein. Und eine wichtige Persönlichkeit in dieser Stadt was kulturelle Belange angeht. Und das ganz aus eigenem Ermessen, dazu Träger der Ehrenmedaille und wohl bald auch Ehrenbürger der Dreiflüsse-Stadt.«

»Nun mal langsam, meine Liebe«, sagte Geiss-Landmann und stampfte mit seinem Stock auf das Pflaster. »Das mit der Ehrenbürgerschaft liegt, wenn überhaupt, noch in weiter Ferne. Aber ausschlagen würde ich das natürlich keineswegs. Ehrenamtliches Engagement sollte im Allgemeinen besser und nachhaltiger gewürdigt werden, denke ich. Aber auch Frau Schmitz-Wellinghausen«, er wandte sich Angelika direkt zu, »auch sie sollte ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen. Sie ist nämlich die Beauftr…«

»Das ist absolut uninteressant«, wurde Geiss-Landmann abrupt, fast wütend, unterbrochen. »Denn Frau Neubert und ich müssen nun los. Das Schiff wartet.«

Damit zerrte sie Angelika am rechten Arm so lange, bis diese ihr – wenn auch widerwillig – folgte. Was hatte dieses Passauer, wie ihre Reisegefährtin das genannt hatte, »Urgestein« ihr über ihre neue Bekanntschaft erzählen wollen?

Da würde sie nachhaken. Auf dem Schiff. Immerhin ganze vierzehn Tage würde sie dafür Zeit haben.

*

Die »Danubia Queen« war ein typisches Fluss-Kreuzfahrtschiff. Es fuhr unter bulgarischer Flagge; die Besatzung bestand ausschließlich aus Bulgaren. Das hatte er dem aufwendigen Prospekt entnommen, der ihm mit einer Beschreibung des Schiffes und seinen Gegebenheiten zugeschickt worden war.

Jan-Herbert von Schwandorff war mit dem Zug von München aus angereist, erster Klasse natürlich, das war er so gewohnt. Den am Bahnhof bereit stehenden Bus hatte er verschmäht und sich in ein Taxi geschwungen, das ihn quer durch die Stadt auf die andere Seite der Donau bringen sollte. An die zweite Anlegestelle, die seit langen Jahren nötig war, da es inzwischen zahlreiche Reiseveranstalter gab, die von Passau aus ihre Schiffe Richtung Schwarzes Meer schickten oder auch kürzere Reisen anboten, die dann in Budapest endeten. Der Fahrer wusste offensichtlich Bescheid und murmelte leise vor sich hin: »Unsereins würde auch gerne mal …«, bevor er losfuhr.

Die Fahrt mit den Taxi hatte unverhältnismäßig lange gedauert, da ihnen immer wieder eine alte Rostlaube von Auto den Weg abgeschnitten hatte, in der eine grauhaarige Oma saß, die offenbar nicht genau wusste, wo sie hinwollte. Jedenfalls kreuzte sie immer wieder ihren Weg, wie durch Zauberhand war sie stets vor ihnen und behinderte ihr Vorwärtskommen. Der einheimische Taxifahrer fluchte wie ein Wiener Bierkutscher, bis es ihm endlich gelang, das Vehikel, mindestens dreißig Jahre alt und ersichtlich nur vom Rost zusammengehalten, auf der Donaubrücke zu überholen. Dann endlich war freie Fahrt angesagt. Und Jan-Herbert von Schwandorff grübelte darüber nach, wie ein so offensichtlich ungepflegter Wagen, der wahrscheinlich von Rostlöchern markiert war, durch den TÜV kommen konnte.

Als das Taxi am Anlegeplatz anhielt, erkannte von Schwandorff, dass die »Danubia Queen« in zweiter Reihe angelegt hatte. Zwischen ihr und dem Ufer befand sich ein weiteres Schiff, den Namen konnte er auf die Schnelle nicht erkennen, das aber offenbar noch nicht bereit zum sofortigen Auslaufen war. Jedenfalls waren Besatzungsmitglieder mit der Säuberung des Oberdecks beschäftigt, über das der Zugang zur »Danubia Queen« ausgeschildert war.

Als der 31-jährige Immobilienmakler ausstieg, hielt unmittelbar hinter seinem Taxi jene Schrottlaube, mit der sich der Fahrer auf der Herfahrt hatte herumschlagen müssen. Die ältere Dame, die dem Vehikel entstieg, machte einen sehr energischen Eindruck.

»Kann mir jemand helfen?« schrie sie laut, damit sie möglichst weithin gehört wurde. Im Gegensatz zu Angelika schien ihr die Hitze überhaupt nichts auszumachen. Ein Crewmitglied der »Danubia Queen«, erkennbar an dem Namensschild, das er linksseitig am Overall trug, eilte zu ihr.

»Ich fahre mit der …« Ihr Blick fiel auf das Namensschild, auf der auch der Schiffsname angezeigt wurde. »Ach, ich sehe schon: bei Ihnen bin ich richtig. Können Sie bitte veranlassen, dass mein Gepäck …«

Das Auftreten der alten Dame glich fast einem Zeremoniell: irgendetwas Hoheitsvolles lag in ihrem Verhalten. Und das trotz des schäbigen Vehikels, mit dem sie angekommen war. Während der Bootsmann ihr Gepäck, zwei kleine Köfferchen und eine Reisetasche zur »Danubia Queen« trug, stellte sie ihre Rostlaube am Kai, direkt neben einem übervoll belegten Parkplatz ab, ungeachtet der Tatsache, dass sie damit im absoluten Halteverbot stand. Einem der daneben stehenden Jugendlichen drückte sie fünf Euro in die Hand mit den Worten:

»Sobald es eine Parkmöglichkeit gibt, stellst du meinen Wagen dort ab. Meinen alten Diener klaut sowieso keiner. Der Schlüssel steckt, lege ihn bitte nachher unter die Fußmatte, damit ich ihn bei der Rückkehr zur Hand habe.« Das sagte sie so energisch laut, dass Umstehende mit Leichtigkeit mithören konnten.

Jan-Herbert von Schwandorff hatte dem Ganzen amüsiert zugesehen. Kein Zweifel, die alte Dame hatte Stil, wenn sie auch nicht besonders üppig mit irdischen Gütern ausgestattet zu sein schien. Galant half er ihr über die hölzernen Planken auf das vordere Schiff, das sie nebeneinander überquerten, um dann die »Danubia Queen« zu betreten.

Unmittelbar neben der Rezeption wurden sie vom Kapitän des Kreuzfahrtschiffes empfangen, der sich in etwas holprigem Deutsch als »Georgi Stojanow« vorstellte.

Neben ihm stand die Dame der Reiseleitung, Annegret Huber, deren herzliches »Grüß Gott« sie als Süddeutsche auswies.

*

Das transsilvanische Schloss Dragovac liegt inmitten weitläufiger, dunkler Wälder, in denen neben Bären und Luchsen auch menschliche Bestien herumstreifen, die in keinem Zoologischen Garten zu besichtigen sind und deren Existenz von Zweiflern weltweit in Frage gestellt wird. Lediglich die Literatur hat sich ihrer angenommen, doch eben deswegen wird ihr tatsächliches Vorhandensein umso heftiger und nachhaltiger bestritten. Das geht nach dem Grundsatz, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.