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Das Böse kennt keine Grenzen E-Book

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Beschreibung

Sie haben es wieder getan. Bereits zum vierten Mal erzählen Mitglieder der "AutorenGruppe Tödlich" (AGT) kurze, spannende Krimis. Sie werden in ausgesuchte Regionen entführt und erkennen: Das Böse lauert überall! Auf Burgen ebenso wie an Seen, im Wald oder am Rhein, ja selbst im Museum. Sie werden einen Botanischen Garten nie wieder unbefangen betreten können, und auch keine Altstadtvilla mehr betrachten, ohne an diese Geschichten zu denken. Natürlich enden auch die Erzählungen in Band 4 nur 'teilweise tödlich'.

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Das Böse kennt keine Grenzen

teilweise tödlich, Band 4

Krimi-Anthologie

Roland Blümel & Sabine Hennig-Vogel

Erstausgabe im Juli 2018

Alle Rechte beim Verlag

Copyright © 2018

Fehnland-Verlag

26817 Rhauderfehn

Dr.-Leewog-Str. 27

www.fehnland-verlag.de

Coverdesign: Tom Jay, unter Verwendung von Stockfotos:

© jakkapan - Fotolia.com

© Frannyanne / Shutterstock.com

Lektorat: Roland Blümel

Inhalt

Vorwort zum 4. Band

Die unbewohnte Stadtvilla

von Roland Blümel

Schlaflos

von Ulrike Braune

Verbotene Früchte

von Theo Brohmer

Gejagte Jäger

von Rosario Chriss

Ruhe in Frieden

von Geli Grimm

Das Licht von Angeln

von Sabine Meerle Gröne

Der Hahn ist tot

von Sabine Hennig-Vogel

Der Helle Wahnsinn

von Alva Henny

Darum ist es am Rhein so schön

von Helga Jahnel

Erpels Reich

von Eckard Klages

Tödliche Arena

von Cherry Loster

Bodenseesturmnacht

von Martina Schiller-Rall

Das Aufnahmeritual

von Neal Skye

Alte Sünden

von Gabriele Steininger

Unschuldig

von Andrea Storm

Kieler Karneval

von Katinka Weisenheimer

Vorwort zum 4. Band

Die mitt­ler­weile eta­blierte »Auto­ren­gruppe töd­lich« setzt mit diesem Werk die be­kannte und erfolg­reiche Folge der teil­weise-töd­lich-Reihe fort. Da die Mit­glie­der der Gruppe weit ver­streut über den deutsch­spra­chigen Raum ihr Un­wesen trei­ben, lag es nahe, die Tat­orte weit zu ver­teilen, um zu be­weisen: Das Böse kennt keine Gren­zen.

Dass manche Regio­nen etwas über­propor­tional ver­treten sind, be­deutet dabei aller­dings nicht, dass diese Gegen­den be­son­ders böse sind. Das Ver­bre­chen könnte ebenso gut in Meck­len­burg-Vor­pom­mern oder im Saar­land spie­len. Viel­mehr haben die Auto­ren ihre Tat­orte zum großen Teil vor ihre eige­nen Haus­türen ver­legt. Even­tuell regt es Sie, lieber Leser, ja auch an, die be­schrie­benen Orte oder sogar den Autor zu be­suchen. Aber Vor­sicht, die »Auto­ren­gruppe töd­lich« hat schon die Geschich­ten von Band 5 im Kopf und sucht noch Augen­zeugen.

In diesem Sinne: Gren­zen­lose, krimi­nelle Unter­hal­tung wünscht im Namen der gesam­ten Gruppe

Roland Blü­mel, Ham­burg im Juni 2018

Die unbewohnte Stadtvilla

von Roland Blümel

Ham­burg

Lange Jahre wurde ge­rät­selt, wo sich die legen­däre Hamma­burg be­findet, die der schö­nen Hanse­stadt ihren Namen ge­geben hat. Nach­dem lange Zeit schein­bar er­geb­nis­los auf dem heuti­gen Dom­platz ge­graben wurde, wurde man im Jahr 2014 schließ­lich fündig. Die Aus­wer­tungen er­gaben, dass die Hamma­burg ver­mut­lich be­reits im 8. Jahr­hun­dert genau dort er­rich­tet worden war. Hier wohn­ten ab dem frühen 9. Jahr­hun­dert adlige Burg­herrn. Dort be­gann also die Histo­rie der heuti­gen Metro­pole im Norden Deutsch­lands.

***

Ich hatte es mir an­ge­wöhnt, jeden Tag einen Spa­zier­gang zu machen, denn Be­wegung soll ja gesund sein, vor allem wenn man wie ich viel am Schreib­tisch sitzt.

Wie so häufig führte mich mein Weg auch heute durch die ruhige Sied­lung vorbei an klei­nen Bunga­lows, die zu­meist durch hohe Hecken vor neu­gieri­gen Bli­cken ab­ge­schirmt wurden. Und da war sie wieder, diese he­runter­gekom­mene Stadt­villa, die schon bes­sere Tage ge­sehen hatte. An den Fens­tern hingen keine Gardi­nen, an den Mauern rankte Efeu und sie machte auf mich einen un­bewohn­ten Ein­druck, seit ich sie bei meinen Wande­rungen be­merkt hatte.

Der Wind war heute be­son­ders kalt. Ich zog den Reiß­ver­schluss meiner Jacke noch etwas höher und ließ meinen Blick über die Villa schwei­fen. Etwas war anders heute. Plötz­lich fiel es mir auf. Hinter einem der oberen Fens­ter brann­te Licht. Mit klop­fendem Herzen blieb ich stehen und spähte vor­sich­tig zum Haus. Der Vor­platz und die Auf­fahrt waren leer. Weder ein Auto, noch ein Fahr­rad war zu er­kennen. Kurze Zeit später er­losch das Licht. Ich setzte meinen Spa­zier­gang fort, doch blieb ich nach ein paar Metern wieder stehen und war­tete, ob jemand die Villa ver­lassen würde. Meine Neu­gier war ge­weckt. Es wurde dunkel, aber nichts pas­sierte. Hatte ich mir das Licht ein­gebil­det? Nein, ich war mir sicher. Nach­denk­lich kam ich zu­hause an und be­schloss, Nähe­res über diese Villa heraus­zu­finden. Als Autor war ich immer auf der Suche nach In­spira­tionen.

Ich star­tete meinen Laptop und rief Google auf, um nach dieser Villa im schö­nen Eims­büt­tel zu suchen. Bei Google findet man Pizza­ser­vice, Pro­mi­news, alle mög­lichen nütz­lichen und weni­ger nütz­liche Informa­tionen, aber über dieses Haus war nichts zu finden. Ent­täuscht fuhr ich meinen Rech­ner he­runter, setzte mich auf meinen Lieb­lings­sessel und griff nach einem Buch. Ich ver­suchte zu lesen, aber die Be­geben­heit mit der Villa und dem geheim­nis­vollen Licht ging mir nicht aus dem Kopf. Ich bin zwar kein Aben­teurer, aber mein Inte­resse war ge­weckt und ich be­schloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Hätte ich es bloß ge­lassen.

***

Die nächs­ten Tage zog es mich immer wieder dort­hin. Alles schien un­belebt. Mitt­ler­weile wurde ich immer un­siche­rer, ob ich dort wirk­lich Licht ge­sehen hatte. Ich ver­lor das Inte­resse an der Villa und er­kun­dete andere Gegen­den auf meinen Spa­zier­gängen und Aus­flügen, die Stadt­villa hatte ich bald ver­gessen.

Nach einem arbeits­rei­chen Tag am Bild­schirm hatte ich das Be­dürf­nis, mir noch ein­mal die Beine zu ver­treten und machte nach langer Zeit einen Gang durch die kleine Sied­lung. Ich kam natür­lich er­neut an der Stadt­villa vorbei. Wie beim letz­ten Mal däm­merte es be­reits, als ich immer noch dort stand und wie ge­bannt auf das Haus schau­te.

Ich sagte schon, dass ich nicht un­be­dingt wage­mutig bin, aber dieses Haus zog mich ma­gisch an. Plötz­lich hatte ich das Tor ge­öffnet und stand auf dem Grund­stück. Ich kam mir vor wie ein Ein­bre­cher, aber meine Neu­gier über­wog. Bis­her hatte ich die Villa nur von der Seite ge­sehen, von vorn sah sie noch he­runter­gekom­mener aus. Ich lausch­te. Außer dem Wind, der die Blät­ter be­wegte, war es total still. Den Atem an­hal­tend stieg ich die Stufen zum Ein­gang hoch. Was hatte mich da bloß ge­ritten?

In Zeit­lupe drück­te ich die Klinke he­runter und tat­säch­lich ließ sich die Tür öffnen. Wieder horch­te ich. Alles ruhig im Haus. Kein Licht. Mitt­ler­weile war es so dunkel ge­worden, dass ich den Ein­gangs­be­reich nur noch sche­men­haft er­kennen konnte. Ich hätte eine Ta­schen­lampe mit­nehmen sollen, dachte ich. Aber ich hatte ja nicht ge­plant, in dieses Haus ein­zu­drin­gen.

Mein Smart­phone mit der ein­gebau­ten Ta­schen­lampe fiel mir ein. Mit zittern­den Fin­gern zog ich mein Tele­fon aus der Tasche und star­tete die App. Der lang ge­zogene Flur war leer.

Wenn ich nun schon mal hier war, wollte ich mich zu­min­dest mal um­sehen. Vor mir führte eine Treppe mit einem ge­drech­selten Hand­lauf in den ersten Stock. Vor­sich­tig stieg ich hinauf. Die dritte Stufe zer­riss mit lautem Knar­ren die Stille. Mein Herz raste. Ich blieb stehen und lausch­te. Nichts! Ganz lang­sam setzte ich einen Fuß vor den ande­ren und stieg die rest­lichen Stufen hoch.

Im Licht­schein meines Smart­phones er­kannte ich fünf Türen. Welche führte zu dem Raum, in dem ich das Licht ge­sehen hatte? Nach kurzer Über­legung war ich sicher, dass es die zweite von links sein musste. Lang­sam tas­tete ich mich vor­wärts, blieb kurz vor der Tür stehen, horch­te. Dann legte ich meine Hand auf die Klinke und drück­te sie he­runter. Vor­sich­tig stieß ich die Tür auf, um in den Raum zu bli­cken. Genau in dem Moment ging meine Ta­schen­lampe aus. Ich hatte ver­gessen, mein Smart­phone auf­zu­laden. Vor Schreck zog ich die Luft ge­räusch­voll ein und hatte plötz­lich das Ge­fühl, nicht allein im Raum zu sein. Da hatte sich etwas in dem Zimmer be­wegt.

Voller Panik stürz­te ich zurück in den Flur und stol­perte die Treppe hi­nunter. An irgend­etwas blieb ich hängen, stürz­te die letz­ten Stufen und lan­dete schmerz­haft auf dem Boden. Ich biss die Zähne zu­sammen, rap­pelte mich auf und riss die Haus­tür auf. Jeden Moment er­war­tete ich einen Ver­folger, aber alles blieb still. Mein Herz schlug bis zum Hals und nun merkte ich den Schmerz im Knie. Hum­pelnd ver­ließ ich das Grund­stück und wagte nicht, mich um­zu­bli­cken. So schnell es mit dem lädier­ten Knie mög­lich war, eilte ich nach Hause und be­sah mir die Bles­sur. Ein langer Riss zog sich durch meine Hose. Das Knie blu­tete nicht, war aber an­geschwol­len.

Ich schimpf­te mit mir selbst über meine un­gewohn­te Aben­teuer­lust und war wild ent­schlos­sen, in diese Villa keinen Fuß mehr zu setzen.

***

Die nächs­ten Tage pfleg­te ich meine Ver­let­zung, wo­durch ich auch nicht zu meinen Spa­zier­gängen kam. Mitt­ler­weile hatte ich mich von dem Schre­cken er­holt und fragte mich, wer oder was in diesem Raum auf mich ge­wartet hatte. War da jemand oder hatten mich meine Sinne ge­täuscht? Im Nach­hinein be­trach­tet war ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich mir das nicht nur ein­gebil­det hatte. Warum sonst war es ruhig ge­blie­ben, als ich die Trep­pen hi­nunter­gepol­tert war? Hätte der­jenige, den ich in dem Raum zu spüren glaub­te, nicht die Ver­fol­gung auf­genom­men? So zog es mich einige Tage später doch wieder zu der Villa, die immer noch einen ver­lasse­nen Ein­druck machte. Dieses Mal ging ich bei Tages­licht hin, und hatte zuvor mein Smart­phone auf­gela­den.

Als ich vor der Haus­tür stand, wun­derte ich mich, dass diese ge­schlos­sen war. Ich war mir ganz sicher, dass ich sie offen­gelas­sen hatte, nach­dem ich über­stürzt aus dem Haus ge­flüch­tet war. Jemand war zwi­schen­zeit­lich hier ge­wesen. Ich lausch­te, doch wieder war nur das Rau­schen der Blät­ter zu ver­nehmen. Vor­sich­tig drück­te ich die Klinke he­runter und stand im nächs­ten Moment wieder im Flur. Alles schien un­ver­ändert. Hor­chen. Alles still. Auf Zehen­spit­zen er­klomm ich die Treppe, be­müht, so wenig Ge­räu­sche wie mög­lich zu machen. Auch die zweite Tür von links im ersten Stock war wieder ver­schlos­sen. Ganz lang­sam öff­nete ich sie und spähte in den Raum. Was ich dann er­blick­te, ließ mir das Blut in den Adern er­frie­ren.

In der hinte­ren Ecke lag jemand auf einer Matrat­ze. Ich konnte nicht genau er­kennen, ob Mann oder Frau und ob er oder sie noch lebte. Sekun­den­lang stand ich dort und be­obach­tete die Person. Aber sie rührte sich nicht. Ganz lang­sam traute ich mich näher heran. Der Mensch war mit einer Woll­decke zu­ge­deckt, nur der Kopf war ein klein­wenig zu sehen. Als ich näher­trat, fiel mir auf, dass dieses Bündel lange Haare trug. Zu meiner Er­leich­terung be­merkte ich, dass die Person atmete, ganz flach, aber deut­lich. Erst jetzt stell­te ich fest, dass sie an den Heiz­körper ge­fes­selt war.

»Hallo?«, flüs­terte ich vor­sich­tig, aber es kam keine Ant­wort.

»Hallo?«, wieder­holte ich, jetzt etwas lauter. Wieder nichts. Vor mir lag eine Frau und sie war be­wusst­los. Was sollte ich tun?

Meine Ge­danken wurden unter­bro­chen von deut­lichen Ge­räu­schen vor dem Haus. Jemand stand vor der Haus­tür und öff­nete diese. Mir blieb fast das Herz stehen. Eilig schlich ich auf Zehen­spit­zen aus dem Raum und be­trat das Nach­bar­zimmer rechts dane­ben. Zum Glück war es offen und leer. Beim Öffnen hatte es ein leich­tes Quiet­schen ge­geben und ich hoffte, dass die Person, die ins Haus ge­kommen war, dies nicht be­merkt hatte. Ich hörte Schrit­te auf der Treppe und wagte nicht, die Zimmer­tür zu schlie­ßen. Ich lehnte sie nur an und stell­te mich dahin­ter, um zu ver­hin­dern, dass die Tür von allein auf­gehen würde.

Neben­an hörte ich eine Männer­stimme mit bar­scher Stimme zu der be­wusst­losen Person spre­chen.

»Auf­wachen, du Schlam­pe. Hier kommt deine Mahl­zeit.« Ich hörte klat­schende Ge­räu­sche. Offen­bar gab er der Frau ein paar Ohr­feigen, um sie wach­zube­kommen.

»Du musst was essen, um bei Kräf­ten zu blei­ben, Herz­chen.«

Die eisige Stimme ließ mich er­schau­dern. Ich spürte, wie ich am ganzen Körper zit­terte. Mein Zit­tern wurde immer stär­ker, sodass be­reits der Fuß­boden bebte. Die Minu­ten zogen sich hin. Immer wieder hörte ich die Stimme des Mannes, der seinem Opfer zu­redete, zu schlu­cken. An­schlie­ßend gab er ihr noch zu trin­ken, wobei sie sich heftig ver­schluck­te.

»Na, lang­sam, du blöde Kuh. Nicht dass du mir hier noch er­stickst.« Er stieß ein heise­res Lachen aus.

»So, Schlam­pe und jetzt wird wieder ge­schla­fen.« Es folgte ein kurzer Auf­schrei. Dann hörte ich Schrit­te aus dem Nach­bar­raum, die Tür wurde ge­schlos­sen und offen­sicht­lich stieg der Mann die Treppe hi­nunter.

Ich war­tete zehn Minu­ten, lausch­te, ob der Mann sich noch irgend­wo herum­trieb. Vor­sich­tig ver­ließ ich den Raum und öff­nete die Tür zum Nach­bar­zimmer. Die Frau lag wieder in die Decke ge­wi­ckelt, wieder be­wusst­los. Ich ging zu ihr hin, beugte mich über sie und drehte sie sanft zur Seite.

Ich blick­te in ein junges, hüb­sches Ge­sicht, dessen Wangen rot glüh­ten, sicher eine Folge der Ohr­feigen. Die Frau lag dort wie tot, aber ich spürte ihren fla­chen Atem. Höchst wahr­schein­lich hatte ich ein Ent­füh­rungs­opfer vor mir. Die Frau zu be­freien hatte wenig Aus­sicht auf Erfolg, denn wie sollte ich die Be­wusst­lose hier heraus­bekom­men?

Meine Hände zit­terten wie Espen­laub als ich mein Smart­phone aus der Tasche zog. Ich wählte die Nummer der Poli­zei, be­kam aber keine Ver­bin­dung. Ein Funk­loch! Ich stürm­te aus dem Raum, schlich die Treppe hi­nunter und ver­ließ die Villa. Draußen pro­bierte ich es noch mal, aber be­vor ich eine Ver­bin­dung be­kam, ent­deckte ich einen Mann, der an der Pforte stand, rauch­te und mich er­staunt an­blick­te.

Am ande­ren Ende mel­dete sich gerade die Poli­zei, als ich be­merkte, dass der Mann die Pforte öff­nete und auf mich zu­kam. War das etwa der­jenige, der die Frau ent­führt hatte? So be­droh­lich, wie er sich mir nä­herte, lag dieser Ge­danke nahe. Ver­zwei­felt blick­te ich mich nach einem Flucht­weg um. Da war ein Loch im Zaun zum Nach­bar­grund­stück. Ich stürm­te los. Zweige peitsch­ten mir ins Ge­sicht, ich stol­perte mit dem ein­zigen Ziel, so schnell wie mög­lich Dis­tanz zwi­schen mich und meinen Ver­folger zu brin­gen.

Aus meinem Smart­phone hörte ich eine Stimme. »Hallo, wer ist denn da?«

Ich hatte keine Zeit, das Ge­spräch zu führen, auch wenn ich merkte, dass sich mein Vor­sprung ver­grö­ßert hatte. Mitt­ler­weile war ich über das Nach­bar­grund­stück auf eine be­leb­tere Seiten­straße ge­langt, traute mich trotz­dem nicht, mich um­zu­sehen. Ich er­reich­te die Ho­he­luft­chaus­see und ver­lang­samte meinen Schritt. Zum Glück waren hier Men­schen unter­wegs, sodass ich mich halb­wegs sicher fühlte. War mir dieser Typ noch auf den Fersen? Vor einem Laden blieb ich stehen und wagte es zum ersten Mal, mich um­zu­schau­en. Von dem Mann war nichts zu sehen. Hatte er die Ver­fol­gung auf­gege­ben? Er­leich­tert griff ich zu meinem Tele­fon und ver­suchte noch ein­mal, die Poli­zei an­zu­rufen. Vor An­stren­gung und Auf­regung ge­lang es mir erst nach mehre­ren Ver­suchen, die Nummer ein­zu­tippen. Sofort mel­dete sich die Poli­zei. In kurzen Sätzen schil­derte ich meine Be­obach­tung. Meine Ge­sprächs­part­nerin hörte zu, machte sich an­schei­nend Noti­zen und for­derte mich dann auf, zur nächst­gele­genen Dienst­stelle zu kommen.

Nach dem Ge­spräch atmete ich erst ein­mal durch. Lang­sam machte ich mich auf den Weg, schau­te mich dabei immer noch um, ob ich den Mann irgend­wo ent­decken konnte. Bei jeder Person, die auch nur eine ähn­liche Statur wie dieser Typ hatte, be­merkte ich, wie sich mein Puls be­schleu­nigte. Als ich die Poli­zei­wache be­trat, atmete ich auf. Wo konnte man sich siche­rer fühlen, als in einer Poli­zei­sta­tion? Ich ging zu dem dienst­haben­den Beam­ten und erzähl­te auf­geregt von dem Aben­teuer, das ich mir ein­ge­brockt hatte. Ande­rer­seits hatte ich da­durch eine Ent­füh­rung auf­ge­deckt. Völlig außer Atem spru­delte es nur so aus mir heraus, froh, end­lich alles los­zu­werden, was ich ge­sehen und er­lebt hatte.

Eine Stunde später ver­ließ ich die Poli­zei­wache und machte mich auf den Weg nach Hause. Ich hatte ge­tan, was ich tun konnte. Doch meine Nerven waren so an­ge­spannt, dass ich mich den ganzen Weg über vor­sich­tig nach allen Seiten rück­ver­sicher­te, dass mir nie­mand folgte. Lang­sam wirst du para­noid, schimpf­te ich mich selbst. Zu­hause an­gekom­men setzte ich mich an meinen Schreib­tisch, um diese Geschich­te auf­zu­schrei­ben. Ich war so ver­tieft in meinen Text, dass ich zu­sammen­zuckte, als es an der Tür klin­gelte. Wer konnte das sein? Ich er­war­tete keinen Be­such. Mit klop­fendem Herzen blick­te auf den Bild­schirm, der mir die Perso­nen zeigte, die vor dem Haus stan­den. Zwei Unifor­mierte.

»Ja bitte?«, fragte ich durch die An­lage.

»Herr Ho­mann, Poli­zei! Wir hätten noch ein paar Fragen an Sie. Können wir kurz herein­kommen?« Sie zeig­ten ihre Dienst­aus­weise.

Ich be­tä­tigte den Summer und kurze Zeit später stan­den sie vor meiner Tür.

»Was gibt es denn noch?« Ich war ver­unsi­chert, denn ich hatte doch aus­führ­lich be­rich­tet, was in diesem Haus pas­siert war.

»Sie sind sicher, in dem Haus eine be­wusst­lose Frau ge­sehen zu haben?«

»Ja, natür­lich!« Was sollte diese be­scheu­erte Frage? Doch ich är­gerte mich über mich selbst, dass ich vor Auf­regung ver­gessen hatte, Fotos von dem Opfer zu machen.

»Wir sind gerade in der von Ihnen be­schrie­benen Villa ge­wesen und haben alle Zimmer durch­sucht. Das Haus ist un­be­wohnt und völlig leer.«

»Das kann nicht sein, ich habe sie doch mit eige­nen Augen ge­sehen.«

Der Blick des einen Beam­ten wan­derte durch den Raum. »Sie sind Schrift­stel­ler?«

Ich nickte nur. Was hatte das damit zu tun?

»Krimis, oder?« Lang­sam schwan­te mir, worauf er hinaus­wollte.

»Hören Sie. Ich habe das nicht er­funden.«

Der Beamte nickte und grins­te dabei. »Sicher«, antwor­tete er wenig über­zeugt.

»Und was machen Sie jetzt?«, fragte ich ihn, ahnte die Ant­wort aber schon.

»Nun, so lange keine Straf­tat vor­liegt, können wir nichts unter­nehmen.« Die beiden Beam­ten er­hoben sich und gingen in Rich­tung Tür. »Tut mir leid«, fügte der Poli­zist hinzu und öff­nete.

»Aber irgend­jemand muss doch diese Frau ver­missen«, rief ich ver­zwei­felt.

»Ich wün­sche Ihnen noch einen schö­nen Tag«, antwor­tete er und beide ver­ließen die Woh­nung.

Fas­sungs­los schau­te ich auf die ge­schlos­sene Tür. Das konnte doch nicht sein. Wie hatte dieser Ver­bre­cher die Frau nur so schnell ver­schwin­den lassen können? Lange saß ich nur da und dachte nach. Dann stand mein Ent­schluss fest. Ich konnte die Frau doch nicht ihrem Schick­sal über­lassen. Gleich morgen würde ich etwas unter­nehmen. Irgend­jemand musste etwas ge­sehen haben. Das war ich der Frau schul­dig und außer­dem wollte ich die Be­haup­tung nicht auf mir sitzen lassen, dass die Fanta­sie mit mir durch­gegan­gen war.

***

Nach einer un­ruhi­gen Nacht und einem klei­nen Früh­stück ohne Appe­tit machte ich mich auf den Weg, ohne wirk­lich zu wissen, wie ich vor­gehen wollte. Als ich das Haus ver­ließ und auf die Straße trat, sah ich im Augen­winkel einen Mann, der etwa 30 Meter hinter mir ging. Die Statur äh­nelte der des Typen, den ich vor der Villa ge­sehen hatte. Konnte das sein? Hatte er heraus­bekom­men, wo ich wohnte? War er den beiden Beam­ten von der Villa aus ge­folgt, als diese mich ges­tern Abend auf­ge­sucht hatten, um mir von der erfolg­losen Suche zu be­rich­ten?

Ich zwang mich, meine Schrit­te nicht zu be­schleu­nigen, um den Mann nicht zu warnen, dass ich ihn be­merkt hatte. Ich war mir noch nicht sicher, ob er es wirk­lich war, aber er folgte mir. Zu­fall? Ich wech­selte die Stra­ßen­seite. Er auch. Ich bog in die nächs­te Seiten­straße ein und stand vor einem Super­markt. Drin­nen würde ich sicher sein, über­legte ich und be­trat den Markt. Eilig schlüpf­te ich zwi­schen zwei Rega­len hin­durch und sah zum Ein­gang. Tat­säch­lich, auch der Mann kam in den Markt. Nun war ich mir sicher, dass er es war. Meine Hände zit­terten, als ich aus meinem Ver­steck heraus Fotos schoss und hoffte, dass brauch­bare dabei wären.

An­schlie­ßend schlich ich in den hinte­ren Be­reich des Mark­tes, immer darauf ach­tend, dass der Typ mich nicht sehen würde. Su­chend durch­kämmte mein Ver­folger die Regal­reihen. Ein­deutig suchte er nicht nach Lebens­mit­teln. In­zwi­schen hatte ich mich wieder in Rich­tung Aus­gang ge­arbei­tet, quetsch­te mich an der Kasse vorbei. Dabei hob ich die Hände, um zu zeigen, dass ich nichts ge­kauft hatte, und ver­ließ den Super­markt. Glück­licher­weise lag die Poli­zei­wache genau auf der gegen­über­lie­genden Stra­ßen­seite, sodass ich schnell dort­hin ge­langen konnte.

Ich blick­te mich noch ein­mal um und sah den Mann gerade noch aus dem Super­markt stür­men. Hatte er mich ge­sehen?

Auf der Wache hatte der­selbe Beamte wie beim letz­ten Mal Dienst, sodass ich nicht viel er­klären musste.

»Dieser Kerl, der das Mäd­chen ent­führt hat, ist mir ge­folgt. Der muss Ihren Kolle­gen ge­folgt sein, als sie von der Villa aus zu mir ge­kommen sind«, be­gann ich atem­los zu erzäh­len. Erst jetzt fiel mir ein, dass die Beam­ten mir nicht ge­glaubt hatten.

»Wirk­lich!«, fügte ich des­halb noch mal hinzu.

Der Beamte nickte. »Herr Ho­mann, jetzt mal ganz lang­sam. Der Mann, den sie in der Villa ge­sehen haben, ist Ihnen ge­folgt? Sie sind ganz sicher, dass das der­selbe ist?«

»Er ist mir die ganze Zeit von zu­hause ge­folgt, sogar in den Super­markt und hat ganz offen­sicht­lich nach mir ge­sucht.« Ich blick­te den Poli­zisten ver­zwei­felt an.

»Also ganz lang­sam«, be­gann dieser. »Zu­nächst ein­mal möchte ich mich bei Ihnen ent­schul­digen, dass meine Kolle­gen Ihre Aus­sage in Zwei­fel ge­zogen haben. Zwar war in der Villa wirk­lich nichts zu sehen, aber …«, machte er eine kurze Pause. »Vor­hin haben wir einen Hin­weis be­kommen, dass eine junge Frau ent­führt worden ist.«

Also doch!

»Könn­ten Sie sich bitte dieses Foto an­sehen. Ist dies die junge Frau, die sie in der Villa ge­sehen haben?« Er schob mir die Auf­nahme einer jungen, hüb­schen Frau zu. Ich sah mir das Bild genau an und ver­suchte, mich an das Ge­sicht der Person aus der Villa zu er­innern. Sie sah zwar er­schöpf­ter aus als auf dem Bild und war rot wegen der Ohr­feigen, doch ich war mir ziem­lich sicher, dass es die glei­che Frau war.

»Ich glaube, sie ist es. Sie sah natür­lich ziem­lich fertig aus, aber sie sieht der Frau auf dem Foto sehr ähn­lich.«

»Okay.« Der Beamte nickte zufrie­den. »Können Sie jetzt den Mann be­schrei­ben, den Sie bei der Villa ge­sehen haben?«

Ich zückte mein Smart­phone. »Ich habe ihn sogar foto­gra­fiert.« Die meis­ten Auf­nahmen waren ver­wa­ckelt, aber auf einem war er rela­tiv klar zu er­kennen.

Der Poli­zist nahm das Smart­phone an sich und über­spiel­te das Foto auf seinem PC.

»Sehr gut, das hilft uns weiter.«

»Und jetzt?«, fragte ich. »Wie geht es jetzt weiter? Der Typ ver­folgt mich und scheint es auf mich ab­gese­hen zu haben.«

»Haben Sie jeman­den, wo Sie für ein paar Tage blei­ben können?«

Ich schau­te ihn fas­sungs­los an. »Der Typ ist mir ge­folgt und wartet even­tuell vor der Tür auf mich. Kann ich nicht Poli­zei­schutz be­kommen, oder so?«

Mein Gegen­über schüt­telte mit dem Kopf. »So ein­fach ist das nicht. Wir können Ihnen nur vor­schla­gen, dass Sie irgend­wo unter­kommen, bis die Sache auf­ge­klärt ist.«

Mir fiel die Ferien­woh­nung meiner Schwie­ger­eltern an der Ost­see ein. Ich konnte nur hoffen, dass mir der Ver­bre­cher dort nicht auch auf­lauern würde.

Ein Unifor­mierter be­glei­tete mich zu meiner Woh­nung, wo ich ein paar Sachen zu­sammen­packte. An­schlie­ßend fuhr ich in die Tief­garage und fuhr los.

Die nächs­ten zwei Tage ver­brach­te ich aus­schließ­lich in der Ferien­woh­nung. Jedes Ge­räusch im Trep­pen­haus, jede Be­wegung im Garten ließen mich zu­sammen­zucken. Meine Nerven lagen blank.

Der Poli­zist hatte mir ver­spro­chen, sich zu melden, sobald das Ver­bre­chen auf­ge­klärt war.

Am drit­ten Tag klopf­te es an die Tür. Ich schreck­te hoch, mein Herz raste und meine Hände waren schweiß­nass. Sollte der Ver­bre­cher mich auch hier auf­ge­spürt haben? Wieder wurde an die Tür ge­klopft. Dieses Mal hefti­ger.

»Herr Ho­mann, bitte machen Sie auf. Hier ist die Poli­zei.«

Im ersten Moment spürte ich Er­leich­terung, aber dann melde­ten sich Zwei­fel. Warum hatten die nicht an­geru­fen? Mit klop­fendem Herzen ging ich zur Tür.

»Kann ich bitte Ihren Dienst­aus­weis sehen?«, rief ich und spähte durch den Spion. Der Mensch, der dort stand, hatte von der Statur her Ähn­lich­keit mit meinem Ver­folger, trug aber Poli­zei­uni­form. Er hob seinen Aus­weis hoch. Ein­deutig ein Dienst­aus­weis. Sein Kol­lege neben ihm zeigte eben­falls seinen Aus­weis. Vor­sich­tig öff­nete ich die Tür.

»Ent­schul­digen Sie die frühe Stö­rung, aber wir haben den Auf­trag, Sie zu bitten, nach Ham­burg zurück­zu­fahren.«

Was hatte das nun zu be­deuten? Ich war un­sicher. »Warum?«

»Das werden Ihnen die Ham­burger Kolle­gen erzäh­len.«

Tele­fo­nisch ließ ich mir von den Ham­burger Kolle­gen be­stäti­gen, dass ich wirk­lich dort­hin kommen sollte. Dann packte ich meine Sachen zu­sammen und fuhr zurück nach Ham­burg.

Auf der Wache in Eims­büt­tel be­grüßte mich der be­reits be­kannte Beamte und bot mir einen Platz an. Mein Ge­sicht war ein ein­ziges Frage­zei­chen, was ihn sicht­lich zum Schmun­zeln ani­mierte.

»Herr Ho­mann, ent­schul­digen Sie diesen Über­fall, aber wir haben einen Ver­däch­tigen fest­genom­men und müssen Sie bitten, diesen zu identi­fizie­ren.«

»Aber Sie haben doch sein Foto«, er­wi­derte ich.

»Das stimmt, aber das ist etwas un­scharf und da Sie ihn ja ge­sehen haben, wäre es für uns sehr wich­tig.«

Er stand auf und ich folgte ihm in einen Raum, von dem aus ich in ein Neben­zimmer bli­cken konnte, in dem vier Männer ähn­licher Statur stan­den. Der zweite von rechts war ganz ein­deutig der­jenige, den ich bei der Villa ge­sehen hatte. Ich deu­tete auf den Mann und der Poli­zist nickte.

»Alles klar, vielen Dank. Sie können dann jetzt wieder nach Hause.«

Ich zö­gerte. »Was ist jetzt? Ist die Ge­fahr vorbei? Die junge Frau ge­funden?«

Ich ern­tete einen erns­ten Blick. »Für Sie ist die Ge­fahr vorü­ber, aber die junge Frau suchen wir mit Hoch­druck.«

Mehr war aus ihm nicht heraus­zu­bekom­men und ich ver­ließ die Poli­zei­wache.

Wie ich es mir in den letz­ten Tagen an­ge­wöhnt hatte, be­hielt ich meine Um­gebung auf dem ganzen Weg im Auge, aber an­schei­nend folgte mir nie­mand.

***

In den kom­menden Tagen traute ich mich kaum aus dem Haus, ver­ließ meine Woh­nung nur, um etwas ein­zu­kaufen.

Und dann klin­gelte es plötz­lich an meiner Tür. Dort stand ein mir un­bekann­tes Paar.

»Ja bitte?«, fragte ich miss­trau­isch. Mitt­ler­weile traute ich nie­mandem mehr.

»Herr Ho­mann? Hamma­burg. Wir würden Sie gern kurz spre­chen und uns be­danken.« Die Stimme des Mannes klang tief, aber gleich­zeitig sanft.

»Be­danken? Wofür?«

»Können wir viel­leicht kurz rein­kommen?«

Ich drück­te auf den Tür­summer, kurze Zeit später stan­den beide vor meiner Woh­nungs­tür und ich ließ sie ein­treten.

»Herr Ho­mann, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dank­bar wir Ihnen sind«, be­gann er mit leicht zitt­riger Stimme. Seiner Frau stie­gen Tränen in die Augen.

»Wir sind die Eltern von Si­bylle. Wenn Sie nicht ge­wesen wären, dann würde unsere Toch­ter ver­mut­lich nicht mehr leben.«

Ich schluck­te. »Die ent­führte junge Frau ist Ihre Toch­ter?«

Herr Hamma­burg nickte, seine Frau brach nun voll­ends in Tränen aus.

»Wie geht es Ihr?«

»Sie ist noch sehr schwach, aber die Ärzte sind sicher, dass sie sich voll­stän­dig er­holen wird.« Und dann brach es aus ihm heraus. Seine Toch­ter war plötz­lich ver­schwun­den. Kurz darauf hatten sie ein Schrei­ben des Er­pres­sers be­kommen mit einer Geld­forde­rung und der War­nung, dass sie die Poli­zei nicht ein­schal­ten soll­ten. Die erste Geld­über­gabe hatte nicht funktio­niert, weil der Er­pres­ser mich ent­deckt hatte und Si­bylle schnell wo­anders hin­brin­gen musste. Sie waren dann doch zur Poli­zei ge­gangen. Den Eltern wurde das Foto des Mannes ge­zeigt. Sie konn­ten ihn als ehe­mali­gen Mit­arbei­ter in der Firma des Vaters identi­fizie­ren. Der Mann hatte nach seiner Ver­haf­tung zu­nächst alles ab­gestrit­ten. Des­halb hatten sie mich zur ein­deuti­gen Identi­fizie­rung ge­holt. Nach weite­ren Ver­hören war er zu­sammen­gebro­chen und hatte das Ver­steck ver­raten.

»Ich weiß nicht, wie wir uns bei Ihnen be­danken können«, schloss der Vater und schau­te mich hilf­los an.

»Ich bin froh, dass ich helfen konnte«, antwor­tete ich lä­chelnd.

Als die beiden ge­gangen waren, setzte ich mich an meinen Compu­ter und schrieb den An­fang meines neuen Romans. Es war be­reits dunkel, als ich die letzte Zeile der ersten Kapi­tel ge­schrie­ben und den Compu­ter he­runter­gefah­ren hatte. Ich ging spa­zieren und als ich an der Stadt­villa vorbei­kam, blieb ich dort einen Moment stehen und lausch­te.

Wenn mein nächs­tes Buch ein Best­seller werden würde, könnte ich diese Villa viel­leicht kaufen. Schmun­zelnd setzte ich meinen Weg fort.

Schlaflos

von Ulrike Braune

Es war eine ster­nen­klare Nacht. Das Licht des vollen Mondes ließ die eisige Luft glit­zern und er­hellte selbst den Boden des kahlen Waldes.

Dennis dräng­te sich dich­ter an den Felsen, in dessen Schat­ten er sich ver­steck­te. Flu­chend rieb er sich die Hände, um Wärme in seine Finger zu brin­gen. Er hasste den Winter. Eigent­lich hätte er längst in der Süd­see sein sollen. Dort hätte er jetzt einen Cock­tail schlür­fen und den hüb­schen Mäd­chen beim Baden zu­sehen können.

Doch sein un­fähi­ger Bruder hatte mal wieder alles ver­dorben. Wie konnte man nur so dumm sein und die Alarm­anlage aus­lösen? Dabei hatte der Idiot die Beute schon in den Händen ge­halten.

Kopf­schüt­telnd sah er zu Stefan, der nervös von einem Fuß auf den ande­ren tän­zelte. Nein, sein Bruder war sicher­lich nicht die beste Wahl, wenn man nach einem Kom­plizen suchte, doch es gab keine andere Mög­lich­keit. So schnell war nie­mand auf­zu­trei­ben, der besser war – und dem er ver­trauen konnte. Er musste das hier also mit ihm durch­ziehen.

Zum Glück hatte er er­fahren, wo leich­te Beute zu machen war. Reich­tümer waren hier zwar nicht zu er­warten, aber wenn er es clever an­stell­te, würde er bald genug zu­sammen haben, um das Ticket in die Süd­see zu lösen – ohne seinen Bruder natür­lich. Es sollte ja schließ­lich Urlaub werden.

Bei dieser Vor­stel­lung konnte sich Dennis ein Grin­sen nicht ver­knei­fen. Vor­sich­tig lugte er aus seinem Ver­steck zum Tor­haus. Wie ver­spro­chen war die Tür nicht ver­schlos­sen. Sie muss­ten nur noch warten, bis der Nacht­wäch­ter seine Runde be­endete. »Halt dich bereit!«, raunte er Stefan zu.

***

Anna er­schrak. Hatte sie gerade ein Ge­räusch ge­hört? Nachts war es hier zwar nie wirk­lich still, schon allein wegen der schlur­fenden Schrit­te des Wach­manns, doch irgend­etwas hatte ihre Auf­merk­sam­keit ge­weckt.

Un­sicher sah sie sich um: Die Wände ihres Zim­mers, ver­traut und kalt; das regel­mäßige Muster auf dem Boden, der vom Mond­licht er­hellt wurde – alles schien wie immer zu sein.

Seuf­zend er­hob sie sich. An Schlaf war nicht mehr zu denken. In ihrem Alter schlief man nicht so leicht wieder ein, wenn die Ruhe ge­stört wurde. Viel­leicht würde ihr ein Spa­zier­gang über den Hof gut­tun. Be­wegung und fri­sche Luft hatte ihr der Arzt jeden­falls emp­fohlen.

Sie streck­te die alten Glie­der, schlüpf­te in ihren Mantel und trat dann nach draußen. Einen Moment hielt sie inne und lausch­te. Doch außer dem Wind, der um die Türme strich, war nichts zu hören.

Anna zuckte mit den Schul­tern und setzte sich in Be­wegung. Im Mond­licht waren die Um­risse der Burg gut zu er­kennen. Wie sehr sie diese alten Mauern hasste. Doch August hatte darauf be­stan­den, her­zu­ziehen. Auch wenn sie ihn in frühe­ren Zeiten mühe­los hatte um den Finger wi­ckeln können – in dieser Sache war er un­erbitt­lich ge­wesen.

Leise streif­te Anna durch den dunk­len Burg­hof. Sie hatte das Ge­fühl, jeden Stein zu kennen. Wie oft schon hatte sie sich aus­gemalt, zu flie­hen, diesem ver­fluch­ten Ort für immer den Rücken zu kehren, doch stets hatte sie im letz­ten Moment der Mut ver­lassen. Wohin sollte sie auch gehen?

Sie pas­sierte den klei­nen Durch­gang neben dem Seiger­turm. Tags­über hörte sie manch­mal die Be­sucher, die dort im Café saßen, scherz­ten und sich den Kuchen schme­cken ließen. Sie hatte nie ver­stan­den, warum man das Ge­lände für den Pöbel ge­öffnet hatte, doch so kam wenigs­tens etwas Ab­wechs­lung in ihre ewig glei­chen Tage.

Zu­min­dest in der Nacht war sie un­ge­stört. Nur dem Wäch­ter, der ein­sam seine Runden drehte, be­geg­nete sie manch­mal, doch an seine Prä­senz hatte sie sich ge­wöhnt. Im Gegen­teil, sie war ihm sogar dank­bar, dass er sie und die Burg be­wachte. Viel­leicht sollte sie ihm einen Be­such ab­stat­ten. Die ein­fachen Ge­müter brauch­ten ab und an An­erken­nung und Er­muti­gung. Dem Licht­schein nach zu urtei­len, hielt sich der gute Mann gerade im Johan­nis­turm auf.

***

In­zwi­schen hatten die Brüder das Tor­haus er­reicht. Plan­mäßig musste der Nacht­wäch­ter jetzt im Johan­nis­turm sein. Dennis spähte über den Vor­platz. Tat­säch­lich waren die Lich­ter im Korn­haus gegen­über zwar an, doch in den Fens­tern war kein ver­räteri­scher Schat­ten zu sehen. Die Chan­cen stan­den gut. So nutz­ten die jungen Männer die Ge­legen­heit und rann­ten über den Vor­platz zum Ein­gang.

Dort blie­ben sie einige Sekun­den lang stehen, in der Er­war­tung, eine auf­ge­brachte Stimme zu hören, doch der Burg­hof blieb still. Mit einem schie­fen Grin­sen auf dem Ge­sicht holte Dennis seinen E-Pick heraus und setzte ihn am Schloss an. Sofort machte sich das kleine Ge­rät an die Arbeit und suchte sur­rend nach der rich­tigen Posi­tion zum Öffnen der Tür.

»Glaubst du wirk­lich, dass das eine gute Idee ist?«, hörte Dennis die Stimme seines Bru­ders hinter sich.

Un­ge­rührt setzte er seine Arbeit fort. »Natür­lich, sonst wären wir ja nicht hier.«

Stefan er­in­nerte sich nur un­gern an ihren letz­ten Plan, bei dem er bei­nahe im Ge­fäng­nis ge­landet wäre. Er hatte keine Lust, wegen ein paar Schei­nen dies­mal ge­schnappt zu werden. Doch Dennis konnte sehr über­zeu­gend sein, wenn er etwas wollte. »Aber was, wenn der Nacht­wäch­ter kommt?«

»Der ist jetzt auf seiner Runde«, er­wi­derte sein Bruder sicht­lich ge­nervt. »Und um Mitter­nacht macht er immer seine Kaffee­pause. Das ver­schafft uns zu­sätz­lich Zeit.«

Stefan schien nicht über­zeugt. »Sagt deine Quelle …«

Das feine Kli­cken des Schlos­ses ver­riet den Erfolg von Dennis’ Be­mühun­gen. »Genau, sagt meine Quelle. Und die ist sicher. Nun komm schon!«

Mit diesen Worten trat er ein. Nach kurzem Zögern folgte ihm Stefan.

***

Mühe­los er­klomm Anna die Stufen der Wendel­treppe. An­schei­nend schlug die Thera­pie des Arztes doch an, denn so leicht wie heute war sie schon lange nicht mehr zu den ehe­mali­gen Wohn­räumen im Johan­nis­turm ge­langt. Natür­lich würde sie das ihm gegen­über nicht zu­geben. Der alte Wich­tig­tuer war schon ein­gebil­det genug.