Das Buch der Schatten - Bluthexe - Cate Tiernan - E-Book

Das Buch der Schatten - Bluthexe E-Book

Cate Tiernan

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Beschreibung

Magie, Liebe und Gefahr

Morgan hat das Buch der Schatten ihrer leiblichen Mutter, der mächtigen Hexe Maeve Riordan, gefunden. Sie ist geschockt, als sie herausfindet, dass Maeve – und damit Morgan selbst – von den Woodbane abstammt, dem dunklen Wiccaclan. Zudem scheint ihre ehemals beste Freundin Bree einen Racheplan zu schmieden: Sie hat einer mächtigen Bluthexe ein paar von Morgans Haaren gegeben. Was hat Bree vor? Morgan macht sich auf alles gefasst, doch nicht nur von Bree geht Gefahr aus …

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Seitenzahl: 280

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cbt ist der Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

Erstmals als cbt Taschenbuch März 2012

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

© 2001 17th Street Productions, an Alloy company,

and Gabrielle Charbonnet

Die amerikanische Originalausgabe erschien

unter dem Titel »Sweep – Blood witch«

bei Penguin US, New York.

© 2012 cbt Verlag, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Übersetzung: Elvira Willems

Umschlagfoto: © bürosüd°, München

Umschlaggestaltung: bürosüd, München,

www.buerosued.de

kg ∙ Herstellung: AnG

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-06731-1V003

www.penguin.de

Die Autorin

Foto: © Paul L. della Maggioro

Cate Tiernan wuchs in New Orleans auf und studierte russische Literatur an der New York University. Sie arbeitete zunächst in einem renommierten Verlag, bevor sie mit dem Schreiben begann. Ihre Serie »Das Buch der Schatten« wurde ein großer Erfolg und in mehrere Länder verkauft. Heute lebt Cate Tiernan mit ihrem Mann, zwei Töchtern und zwei Stiefsöhnen, einem Pudel und vielen Katzen in Durham.

Von Cate Tiernan ist bei cbt bereits erschienen:

Das Buch der Schatten – Verwandlung (38003)

Das Buch der Schatten – Magische Glut (38004)

Mit Liebe für meinen

Hexenzirkel

Prolog

Unter der Schreibtischlampe schlug ich das Buch behutsam auf der Titelseite auf. Belwicket, war da geschrieben, in schöner, fließender Handschrift. Ich hielt inne, das Blut rauschte in meinen Ohren. Belwicket. Das war der Hexenzirkel meiner leiblichen Mutter.

Ich blätterte um und sah auf der Rückseite des Titels einen Eintrag:

Dieses Buch ist ein Geschenk für meine Strahlendhelle, meine Feuerfee, Bradhadair, zu ihrem vierzehnten Geburtstag. Willkommen in Belwicket. In Liebe, Mathair.

Mein Herz setzte aus und mein Atem erstarrte in meinen Lungen zu Eis. Bradhadair. Der Wicca-Name meiner leiblichen Mutter. Alyce hatte ihn mir genannt. Dies war ihr Buch der Schatten. Aber wie konnte das sein? Es war doch nach dem Brand verloren gegangen, oder? Konnte es eine andere Bradhadair geben, ein anderes Belwicket?

Mit zitternden Händen überflog ich die Einträge. Ungefähr auf Seite zwanzig:

»Die ganze Stadt Ballynigel versammelte sich zu Beltane«, las ich stumm. »Ich war zu alt, um um den Maibaum zu tanzen, doch die jüngeren Mädchen sahen wunderschön aus. Ich habe gesehen, dass Angus Bramson bei den Fahrrädern rumhing und mich auf seine typische Art beobachtete. Ich tat, als hätte ich ihn nicht bemerkt. Ich bin erst vierzehn und er ist sechzehn!

Egal, wir hatten ein tolles Beltane-Fest, und dann hat Ma uns in einen fantastischen Kreis geführt, draußen an den Felsklippen.

– Bradhadair.«

Ich wollte schlucken, doch ich hatte das Gefühl, ich müsste würgen. Ich blätterte weiter bis kurz vor Ende. Hier waren die Einträge nicht mehr mit Bradhadair unterzeichnet, sondern mit »M. R.«.

Das waren meine Initialen. Sie standen auch für Maeve Riordan. Meine Mutter.

Benommen und schwindlig sank ich auf Selenes Schreibtischstuhl, der leise knarrte. Mein Gesichtsfeld hatte sich verengt und mein Kopf kam mir viel zu schwer vor für meinen Hals. Mich an meine Pfadfinderinnenausbildung aus alten Zeiten erinnernd, schob ich den Schreibtischstuhl nach hinten, steckte den Kopf zwischen die Knie und versuchte, langsam und tief durchzuatmen.

Während ich kopfüber in dieser wenig eleganten Position hing und alle Mühe hatte, eine Ohnmacht zu unterdrücken, wurde mein Kopf von so vielen Gedanken bombardiert, dass ich eins und eins nicht mehr zusammenzählen konnte. Maeve Riordan. Dies war Maeve Riordans Buch der Schatten. Dieses Buch, das vor mir lag, das Buch, das zu mir gesprochen hatte, noch bevor ich es berührte, hatte meiner leiblichen Mutter gehört. Meiner leiblichen Mutter, die vor sechzehn Jahren in einer Stadt, zwei Autostunden von hier entfernt, bei einem Brand ums Leben gekommen war.

Und Selene Belltower war im Besitz ihres Buches. Warum?

Ich richtete mich auf. Rasch las ich hier und da einige Passagen, las, wie meine Mutter sich von einer mädchenhaften Vierzehnjährigen, die frisch initiiert worden war, in einen Teenager verwandelt hatte, der zum ersten Mal Liebe erfuhr, und in eine Frau, die im Alter von zweiundzwanzig die Hölle durchlebte, als sie ungewollt schwanger wurde. Mit mir.

Mein Blick verschwamm hinter heißen Tränen, und ich blätterte wieder nach vorn, wo die Einträge unbeschwert waren, mädchenhaft, voller Staunen und Freude über die Wunder der Magie.

Dieses Buch gehörte natürlich mir. Ich würde es heute Abend auf jeden Fall mitnehmen. Daran bestand nicht der geringste Zweifel. Aber wie kam es, dass Selene Belltower es in ihrer Bibliothek hatte? Und warum hatte sie es– wo sie doch so vieles über mich wusste– mir gegenüber weder erwähnt noch mir angeboten, es mir zu geben? Konnte es sein, dass sie vergessen hatte, dass es in ihrem Besitz war?

Ich rieb mir die Tränen aus den Augen und blätterte in den Seiten, sah, wie die magischen Sprüche meiner leiblichen Mutter immer anspruchsvoller und komplexer wurden, ihre Liebe tiefer und leidenschaftlicher.

Dies war meine Geschichte, mein Hintergrund, meine Herkunft. Es war alles hier, in diesen handgeschriebenen Seiten. In diesem Buch würde ich alles darüber erfahren, wer ich war und woher ich kam.

Ich schaute auf meine Uhr. Es war Viertel vor acht. O mein Gott. Ich war schon über zwanzig Minuten hier drin. Und jetzt war es Zeit zu gehen. Die anderen suchten mich bestimmt schon.

So schwer es mir auch fiel, musste ich das Buch doch schließen. Wie sollte ich es nur aus dem Haus bekommen?

In diesem Augenblick ging die Geheimtür auf. Aus dem Flur fiel ein Lichtstrahl in den Raum, und als ich aufblickte, sah ich Cal und Selene in der Tür stehen und mich anstarren, wie ich da an Selenes Schreibtisch saß, ein noch halb aufgeschlagenes Buch vor mir.

Und ich wusste, dass mein Eindringen hier unverzeihlich war.

1

Geheimnisse

4. Mai 1978

Heute habe ich Ma zum ersten Mal geholfen, einen Kreis für Belwicket zu machen. Irgendwann werde ich selbst Hohepriesterin sein und die Kreisrituale anführen, wie Ma es jetzt tut. Schon heute kommen Leute zu mir und wollen ein Amulett oder einen Trank– dabei bin ich erst siebzehn! Ma sagt, das liegt daran, dass ich die seherischen Fähigkeiten und die magischen Kräfte der Riordans besitze, wie meine Großmutter. Meine Mutter selbst ist eine sehr mächtige Hexe, mächtiger als alle anderen in Belwicket, und sie sagt, ich werde noch stärker sein als sie.

Und dann?, frage ich mich. Was mache ich dann? Unsere Schafe gesund? Unsere Felder fruchtbarer? Unsere Ponys wieder heil, wenn sie lahmen?

Ich habe so viele Fragen. Warum besitze ich solche magischen Kräfte– die Kraft, Berge zu erschüttern? Im Buch der Schatten meiner Großmutter steht, dass wir unsere Magie nur hier ausüben sollen, in diesem Dorf, an diesem Ort auf dem Land, weit fort von anderen Weilern und Städten. Ist das so? Vielleicht hat die Göttin etwas mit mir vor, doch ich kann es nicht erkennen.

– Bradhadair

Einen Augenblick lang schwebte der Name in der Luft vor mir, waberte wie ein schwarzes Insekt vor meinen Augen. Bradhadair! Alias Maeve Riordan, meine leibliche Mutter. Was ich hier in Händen hielt, war ihr Buch der Schatten, das sie angefangen hatte, als sie im Alter von vierzehn Jahren dem Hexenzirkel ihrer Mutter beigetreten war. Ihr Wicca-Name, Bradhadair, war Gälisch für »Feuerfunke«. Und ich las, was sie mit eigener Hand niedergeschrieben hatte…

»Morgan?«

Ich schaute überrascht auf. Und dann überfiel mich Panik.

Mein Freund, Cal Blaire, und seine Mutter, Selene Belltower, standen in der Tür der geheimen Bibliothek, von hinten in Licht getaucht, das aus dem Flur hereinfiel. Ihre Gesichter, halb im Schatten verborgen, waren leere Masken.

Ich hielt die Luft an. Ich hatte diesen Raum ohne Erlaubnis betreten. Nicht nur hatte ich Cal und unsere Freunde warten lassen, ich war unerlaubt in einen privaten Bereich von Selenes Haus eingedrungen. Ich hatte nicht das Recht, mich in diesem Raum aufzuhalten und diese Bücher zu lesen. So viel wusste ich. Schamesröte brannte auf meinen Wangen.

Doch ich konnte nicht anders. Ich wollte unbedingt mehr erfahren– über Wicca, über meine leibliche Mutter. Schließlich hatte ich erst vor Kurzem unglaubliche Geheimnisse aufgedeckt: dass ich adoptiert war, dass meine leibliche Mutter, eine mächtige Hexe, eines gewaltsamen Todes gestorben war– sie war beim Brand einer Scheune ums Leben gekommen. Doch immer noch waren viele Fragen offen. Und jetzt hatte ich Maeve Riordans Buch der Schatten gefunden: ihr privates Buch mit magischen Sprüchen, Gedanken und Träumen. Der Schlüssel zu ihrem Innersten. Wenn die Antworten auf meine Fragen irgendwo verborgen waren, dann in diesem Buch. Trotz meiner Schuldgefühle schlossen sich meine Hände unbewusst fester darum.

»Morgan?«, wiederholte Cal. »Was machst du hier? Ich habe dich überall gesucht.«

»Es tut mir leid«, sagte ich hastig und sah mich um, während ich überlegte, wie ich erklären konnte, warum ich hier an diesem Ort war. »Ähm…«

»Die anderen sind ins Kino gefahren«, fuhr Cal fort. Seine Stimme wurde hart. »Ich habe ihnen gesagt, wir würden versuchen nachzukommen, aber dazu ist es jetzt zu spät.«

Ich schaute auf meine Uhr. Acht. Das Kino war mindestens zwanzig Minuten von hier entfernt und der Film fing um Viertel nach acht an. »Tut mir wirklich leid«, sagte ich. »Ich habe nur…«

»Morgan«, ergriff nun Selene das Wort und trat ins Zimmer. Zum ersten Mal sah ich die Anspannung in ihrem jugendlichen Gesicht, das Cal so ähnlich war. »Dies ist mein privates Refugium. Niemand außer mir hat hier Zugang.«

Jetzt war ich nervös. Ihre Stimme war ruhig, doch darunter spürte ich die im Zaum gehaltene Verärgerung. Steckte ich richtig in Schwierigkeiten? Ich stand von ihrem Schreibtisch auf und schloss das Buch. »Ich… ich weiß, dass ich hier nichts verloren habe, und ich wollte auch eigentlich gar nicht hier eindringen. Aber als ich den Flur runterging, stolperte ich plötzlich gegen diese Tür und sie ging auf. Und sowie ich einmal hier drin war, konnte ich nicht anders, als mich umzusehen. Was für eine fantastische Bibliothek…« Meine Stimme verlor sich.

Selene und Cal sahen mich an. Ich konnte den Ausdruck in ihren Augen nicht deuten und bekam auch kein Gefühl dafür, was ihnen durch den Kopf ging, und das machte mich noch nervöser. Ich hatte nicht gelogen, aber ich hatte ihnen auch nicht die ganze Wahrheit erzählt. Ich hatte nämlich versucht, Sky Eventide und Hunter Niall aus dem Weg zu gehen– zwei Hexen aus England, die an diesem Abend hier waren, um an einem Kreisritual teilzunehmen. Aus irgendeinem Grund erfüllten mich diese beiden Gäste mit unerklärlichem Grauen. Als ich gehört hatte, dass sie den Flur herunterkamen, hatte ich versucht, ihnen auszuweichen– und war in diese geheime Bibliothek gestolpert. Es war reiner Zufall gewesen.

Das stimmt, dachte ich. Es war tatsächlich ein Zufall gewesen und ich brauchte mich deswegen nicht zu schämen. Abgesehen davon war ich nicht die Einzige, die hier etwas zu erklären hatte. Ich hatte auch ein paar Fragen an Selene!

»Das hier ist Maeve Riordans Buch der Schatten«, hörte ich mich nun sagen und meine Stimme hallte laut und hart in meinen Ohren. »Warum ist es in Ihrem Besitz? Und warum haben Sie mir nicht erzählt, dass Sie es haben? Sie und Cal haben doch gewusst, dass ich versucht habe, mehr über sie zu erfahren. Ich meine… glauben Sie nicht, dass ich etwas sehen möchte, was ihr gehört hat?«

Cal wirkte überrascht. Er sah seine Mutter an.

Selene griff hinter sich und schloss die Tür, schloss uns in dem geheimen Raum ein. Wer den Flur hinunterging, würde die fast unsichtbaren Umrisse der Tür nicht bemerken. Selenes schöne Augenbrauen bildeten einen Bogen, als sie auf mich zutrat.

»Ich weiß, dass du versucht hast, mehr über deine Mutter herauszufinden«, sagte sie. In dem goldenen Lichtschein der Lampe schienen ihre Züge weicher zu werden. Sie richtete den Blick auf das Buch. »Wie viel hast du gelesen?«

»Nicht viel.« Nervös kaute ich an meiner Lippe herum.

»Bist du auf irgendetwas Überraschendes gestoßen?«

»Eigentlich nicht«, antwortete ich und beobachtete sie.

»Nun, ein Buch der Schatten ist etwas sehr Persönliches«, sagte Selene. »Darin werden Geheimnisse enthüllt, Unerwartetes. Ich wollte noch damit warten, dir davon zu erzählen, weil ich weiß, was drinsteht, und ich war mir nicht sicher, ob du schon so weit bist, es ebenfalls zu erfahren.« Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob du jetzt schon so weit bist, doch jetzt ist es zu spät.«

Meine Züge verhärteten sich. Vielleicht war ich unbefugt in einen privaten Bereich ihres Hauses eingedrungen, aber ich hatte das Recht, alles über meine Mutter zu erfahren. »Aber diese Entscheidung steht Ihnen nicht zu«, widersprach ich ihr. »Ich meine, sie war meine Mutter. Ihr Buch der Schatten sollte in meinem Besitz sein. Das tut man mit Büchern der Schatten, man reicht sie an seine Kinder weiter. Von Rechts wegen gehört es mir.«

Selene blinzelte nach diesen klaren Worten. Sie schaute noch einmal zu Cal hinüber, doch er hatte den Blick auf mich gerichtet. Wieder kribbelten meine Finger, als sie über den abgewetzten Ledereinband des Buches fuhren.

»Und warum ist es in Ihrem Besitz?«, wiederholte ich.

»Durch Zufall«, sagte Selene. Ein flüchtiges Lächeln strich über ihr Gesicht. »Obwohl die meisten Hexen natürlich nicht an Zufälle glauben. Ich sammle Schattenbücher– ehrlich, das ist mein Hobby. Wie du sehen kannst, sammle ich fast jedes Buch, das irgendetwas mit Hexerei zu tun hat.« Mit einer eleganten Handbewegung wies sie auf die Regale an den Wänden. »Ich arbeite mit verschiedenen Buchhändlern und Antiquaren zusammen– hauptsächlich in Europa–, die den Auftrag haben, mir alles zu schicken, was von Interesse sein könnte… alle Schattenbücher, egal in welchem Zustand. Ich finde sie faszinierend. Ich nehme sie mit, wohin ich auch gehe, und richte mir ein privates Arbeitszimmer damit ein. Das habe ich auch wieder getan, als wir im Sommer hier eingezogen sind. Für mich sind sie ein Fenster in die menschliche Seite der Magie. Sie sind Tagebücher, Beschreibungen von Experimenten, sie enthalten die Geschichte der Menschen. Ich besitze über zweihundert Schattenbücher, das von Maeve Riordan ist nur eines unter vielen.«

Ich wartete darauf, dass sie das weiter ausführte, doch das tat sie nicht. Ihre Antwort klang seltsam voyeuristisch– besonders für eine Hohepriesterin, die normalerweise in Berührung mit den Gefühlen anderer Menschen kam. Wieso begriff sie nicht, dass Maeve Riordans Buch nicht irgendein Buch der Schatten war? Wenigstens nicht für mich.

Meine ursprünglichen Schuldgefühle und meine Nervosität wurden von einer gehörigen Portion Zorn abgelöst. Selene hatte die privaten Worte meiner Mutter gelesen. Doch in diesem Augenblick trat Cal näher, legte mir eine Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. Als wollte er mir sagen, dass er auf meiner Seite war, dass er mich verstand. Warum verstand seine Mutter mich nicht? Glaubte sie, ich sei noch zu jung, um mit den Geheimnissen meiner Mutter umgehen zu können?

»Wie ist dieses Buch der Schatten in Ihren Besitz gelangt?«, hakte ich nach.

»Über einen Händler in Manhattan«, antwortete Selene. Auch diesmal war ihre Stimme nicht zu deuten. »Er hatte es von jemandem erworben, der keine Referenzen hatte, es womöglich gestohlen hatte oder irgendwo in einem Secondhandladen darauf gestoßen war.« Sie zuckte die Achseln. »Ich habe es vor zehn oder elf Jahren gekauft, unbesehen. Als ich es aufschlug, wurde mir klar, dass es von der jungen Hexe stammte, über die ich gelesen hatte, dass sie nicht weit von hier bei einem Brand ums Leben gekommen war. Es ist ein besonderes Buch der Schatten, und das nicht nur, weil es Maeves Buch ist.«

»Ich nehme es mit nach Hause«, sagte ich mutig– und überraschte mich selbst damit.

Einen langen Augenblick lastete Schweigen schwer über dem Raum. Wieder fing mein Herz an zu rasen. Ich hatte mich Cals Mutter noch nie widersetzt– ich widersetzte mich fast nie einem Erwachsenen und sie war eine mächtige Hexe. Cals Blick huschte zwischen uns hin und her.

»Selbstverständlich, meine Liebe«, sagte Selene schließlich. »Es gehört dir.«

Leise stieß ich die Luft aus. »Nachdem Cal mir deine Geschichte erzählt hatte«, fügte Selene hinzu, »wusste ich, dass ich es dir eines Tages geben würde. Wenn beim Lesen irgendwelche Fragen aufkommen oder dich irgendetwas beunruhigen sollte, dann hoffe ich, dass du zu mir kommst, um darüber zu sprechen.«

Ich nickte. »Danke«, murmelte ich und wandte mich dann an Cal. »Also, ich würde jetzt wirklich gern nach Hause gehen.« Meine Stimme zitterte.

»Okay«, sagte Cal. »Ich fahr dich. Komm, wir holen unsere Jacken.«

Selene trat zur Seite und ließ uns vorbei. Sie blieb im Arbeitszimmer, wahrscheinlich um nachzusehen, ob ich sonst noch etwas angefasst oder mir genauer angesehen hatte. Nicht dass ich ihr das übel nahm. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Ich hatte ihr Vertrauen nicht missbrauchen wollen, doch es ließ sich nicht leugnen, dass ich reich dafür belohnt worden war: Ich war jetzt im Besitz eines intimen Berichts über das Leben meiner leiblichen Mutter, von ihr selbst verfasst. Was auch immer für Geheimnisse darin verborgen sein mochten, ich wusste, dass ich damit umgehen konnte. Ich musste einfach damit umgehen.

Im Flur drückte Cal erneut meine Schulter, um mich zu beruhigen.

Draußen fuhr der Novemberwind in mein Haar und ich strich es mir aus dem Gesicht. Cal öffnete seinen Wagen, und ich stieg ein, zitterte auf dem kalten Ledersitz und schob die Hände tief in die Taschen. Das Buch der Schatten steckte in der Innentasche meiner Jacke, nah an meinem Herzen.

»Sobald die Heizung läuft, wird es ein bisschen wärmer«, sagte Cal, drehte den Zündschlüssel und drückte Knöpfe auf dem Armaturenbrett. Sein schönes Gesicht war nur eine Silhouette in der Dunkelheit der Nacht. Dann wandte er sich mir zu und fuhr mir mit der Hand, die überraschend warm war, über die Wange. »Geht’s dir gut?«, fragte er.

Ich nickte, auch wenn ich mir nicht ganz sicher war. Ich war dankbar für seine Besorgnis, doch ich war auch eingehüllt in das Geheimnis des Buches und immer noch unsicher über das, was gerade mit Selene passiert war.

»Ich wollte ehrlich nicht spionieren oder herumschnüffeln«, erklärte ich ihm. Es stimmte, doch nun klangen meine Worte noch weniger überzeugend als bei meiner ersten Erklärung.

Er lenkte den Explorer auf die Hauptstraße und sah mich wieder an. »Diese Tür ist mit einem magischen Spruch verschlossen«, sagte er nachdenklich. »Ich brauche Moms Erlaubnis, um hineinzudürfen– es ist mir noch nie gelungen, die Tür alleine zu öffnen. Und glaub mir, ich hab’s versucht.« Sein Grinsen blitzte weiß in der Dunkelheit auf.

»Wie seltsam«, sagte ich mit gerunzelter Stirn. »Ich meine, ich habe nicht mal versucht, die Tür zu öffnen… Sie ging einfach auf und ich bin fast hingefallen deswegen.«

Cal sagte nichts darauf. Er konzentrierte sich auf die Straße. Vielleicht überlegte er, wie ich in das Zimmer gekommen war, ob ich vielleicht doch Magie benutzt hatte. Doch das hatte ich nicht, zumindest nicht bewusst. Vielleicht war es mir bestimmt gewesen, den Eingang zu dem privaten Arbeitszimmer zu finden, um das Buch meiner Mutter zu entdecken.

Es hatte angefangen zu schneien, und der Schnee wehte über die Windschutzscheibe, ohne kleben zu bleiben. Am Morgen würde er wieder geschmolzen sein. Ich konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen, die Treppe rauf in mein Zimmer zu laufen und mich an die Lektüre zu machen. Aus irgendeinem Grund wanderten meine Gedanken zu Sky Eventide und Hunter Niall. Ich hatte die beiden vom ersten Augenblick an nicht gemocht: ihre durchdringenden Blicke, ihren rotznäsigen englischen Akzent und die Art, wie sie Cal und mich ansahen.

Aber warum? Wer waren sie? Warum schienen sie so wichtig zu sein? Ich hatte Sky schon einmal gesehen, auf dem Friedhof vor ein paar Tagen. Und Hunter– er brachte mich auf eine Art und Weise aus der Fassung, die ich mir nicht erklären konnte. Darüber dachte ich noch nach, als Cal bei mir zu Hause in die Einfahrt fuhr und den Motor ausschaltete.

»Ist deine Familie zu Hause?«, fragte er.

Ich nickte.

»Geht’s dir gut? Soll ich mit reinkommen?«

»Ich komme schon klar«, sagte ich, auch wenn ich mich über sein Angebot freute. »Ich glaube, ich gehe gleich ins Bett und lese.«

»Okay. Also, ich bin den ganzen Abend zu Hause. Ruf mich an, wenn du reden willst.«

»Danke«, sagte ich und streckte die Hand aus.

Er umarmte mich und wir küssten uns. Die Süße des Kusses fegte augenblicklich alle Verwirrung und Unsicherheit, in der ich wegen der Begegnung mit Selene gefangen war, hinweg. Schließlich löste ich mich zögernd aus seiner Umarmung und öffnete die Beifahrertür.

»Danke«, sagte ich noch einmal. »Ich ruf dich an.«

»Okay. Pass gut auf dich auf.« Er schenkte mir ein Lächeln und fuhr erst davon, als ich im Haus war.

»Hi!«, rief ich. »Ich bin zu Hause.«

Meine Eltern saßen im Familienzimmer und sahen sich einen Film an. »Du bist früh dran«, meinte meine Mutter mit einem Blick auf die Uhr.

Ich zuckte die Achseln. »Wir haben den Film verpasst«, erklärte ich. »Und da habe ich beschlossen, nach Hause zu gehen. Also, ich bin oben.« Ich floh in mein Zimmer, warf die Jacke von mir und ließ mich aufs Bett plumpsen. Dann nahm ich eine Ausgabe der Zeitschrift Scientific American aus dem Regal und legte sie bereit, falls ich das Buch der Schatten plötzlich vor neugierigen Blicken verbergen musste. Meine Eltern und ich hatten einen unsicheren Waffenstillstand erreicht– wegen Wicca, wegen meiner leiblichen Mutter, wegen der ganzen Lügen. Es war das Beste, ihn nicht zu gefährden. Ich wollte ihnen nichts erklären müssen, was ihnen womöglich wehtat.

Maeve Riordans eigene Worte, dachte ich.

Mit zitternden Händen schlug ich das Buch der Schatten meiner Mutter auf und fing an zu lesen.

2

Picketts Road

Was soll ich schreiben? In mir baut sich ein Druck auf, der meinen Schädel zum Pochen bringt. Bis vor Kurzem wollte ich immer tun, was mir gesagt wurde. Jetzt trennen sich diese beiden Pfade zum ersten Mal. Sie erblüht wie eine Orchidee: verwandelt sich von einer schlichten Pflanze in etwas umwerfend Schönes, eine Blüte, die sich danach verzehrt, gepflückt zu werden.

Doch jetzt beunruhigt mich der Gedanke irgendwie. Ich weiß, dass es richtig und notwendig ist und von mir erwartet wird. Und ich weiß, dass ich es tun werde, aber sie sind hinter mir her. Nichts läuft so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich brauche mehr Zeit, um sie an mich zu binden, mich mental und emotional mit ihr zu vereinen, damit sie durch meine Augen sieht. Ich merke sogar, dass mir der Gedanke gefällt, mich mit ihr zu verbinden. Ich wette, die Göttin lacht über mich.

Was die Magie angeht, so habe ich eine abweichende Lesart von Hellorus gefunden, die besagt, wenn man sich unter eine Eiche setzt, könne man den Willen von Eolh beugen. Das will ich bald einmal ausprobieren.

– Sgáth

Am Samstagmorgen hüpfte ich nicht gerade mit Schwung aus dem Bett. Ich war bis in die frühen Morgenstunden wach gewesen und hatte Maeve Riordans Buch der Schatten gelesen. Sie hatte es angefangen, als sie vierzehn Jahre alt gewesen war. Bisher war mir noch nicht klar, was Selene damit gemeint hatte, ich könnte etwas erfahren, was mich womöglich erschüttern würde. Abgesehen von unaussprechlichen gälischen Worten und zahlreichen magischen Sprüchen und Rezepten war ich noch auf nichts wirklich Beunruhigendes oder Seltsames gestoßen. Ich wusste, dass Maeve Riordan und Angus Bramson, meine leiblichen Eltern, in einer brennenden Scheune den Tod gefunden hatten, nachdem sie nach Amerika ausgewandert waren. Ich wusste nur nicht, warum. Vielleicht würde mir dieses Buch eine Erklärung liefern. Aber ich wollte es langsam lesen, um jedes Wort auszukosten.

Als ich schließlich wach wurde und nach unten tappte, bekam ich die Augen kaum auf. Ich stolperte auf den Kühlschrank zu, um mir eine Cola light zu holen.

Ich kaute auf zwei Scheiben Toast herum, als Mom und Mary K. hereingefegt kamen. Sie hatten einen flotten Spaziergang durch die kühle Novemberluft gemacht.

»Wow!«, sagte Mom, deren Nase ganz rot war, und schlug die Hände in den Handschuhen zusammen. »Ganz schön frisch draußen!« Sie kam herüber und gab mir einen Kuss, und ich zuckte zusammen, als eine kalte Haarsträhne über mein Gesicht strich.

»Aber sehr schön«, fügte Mary K. hinzu. »Der Schnee fängt gerade an zu schmelzen und sämtliche Eichhörnchen und Vögel hocken auf dem Boden und suchen was zu futtern.«

Ich verdrehte die Augen. Manche Menschen sind morgens einfach entsetzlich gut gelaunt. Das ist nicht normal.

»Apropos was zu futtern«, sagte Mom, legte die Handschuhe ab und setzte sich mir gegenüber, »könnt ihr beide heute Vormittag einkaufen gehen? Ich muss um halb elf einem Kunden ein Haus zeigen und wir haben fast gar nichts mehr im Kühlschrank.«

Im Geiste ging ich meinen leeren Terminkalender durch. »Klar«, sagte ich. »Hast du einen Zettel geschrieben?«

Mom löste den Einkaufszettel vom Kühlschrank und schrieb noch Sachen dazu. Mary K. legte den letzten Bagel auf den Toaster. Das Telefon klingelte, und sie wirbelte herum, um dranzugehen.

Cal, dachte ich und mein Herz schlug schneller. Glücksgefühle überschwemmten mich.

»Hallo?«, meldete sich Mary K. und klang forsch und atemlos zugleich. »Oh, hi. Ja, sie ist da. Eine Sekunde.«

Ich wusste es. Seit ich Wicca entdeckt hatte, seit ich Cal gefunden hatte, wusste ich immer, wer anrief. »Hi«, sagte ich in den Hörer.

»Wie geht’s dir?«, fragte er. »Bist du die ganze Nacht aufgeblieben und hast gelesen?«

Wie gut er mich kannte. »Ja… Ich würde gern mit dir darüber reden«, sagte ich. Mir war deutlich bewusst, dass meine Mutter und Mary K. um mich herumsaßen, vor allem da Mary K. sich aufs Herz schlug und mir schmachtende Blicke zuwarf. Ich runzelte die Stirn.

»Gut… ich auch«, sagte Cal. »Hast du Lust, heute Nachmittag zu Practical Magick zu fahren?«

Practical Magick war ein Wicca-Laden in der nahegelegenen Stadt Red Kill– einem der Orte, wo ich meine freie Zeit am liebsten verbrachte. »Sehr gern«, sagte ich. Mein Stirnrunzeln wurde von einem Lächeln abgelöst. All meine Sinne erwachten.

»Ich komme dich abholen. Sagen wir halb zwei?«

»Okay. Bis dann.«

Ich legte auf. Meine Mutter ließ die Zeitung sinken und sah mich über ihre Lesebrille hinweg an.

»Was?«, fragte ich unsicher, ein breites Grinsen im Gesicht.

»Läuft es gut mit Cal?«, fragte sie zurück.

»Mhm«, antwortete ich. Ich spürte, wie meine Wangen rot anliefen. Es fühlte sich komisch an, mit meiner Mutter über meinen Freund zu reden– insbesondere da er derjenige war, der mich an Wicca herangeführt hatte. Bisher hatte ich mit Mom und Dad immer über alles reden können, doch Wicca lehnten sie kategorisch ab. Es hatte eine Mauer zwischen uns errichtet.

»Cal scheint nett zu sein«, sagte Mom strahlend und versuchte damit, mich gleichzeitig zu beruhigen und auch ein wenig auszufragen. »Er sieht auf jeden Fall gut aus.«

»Ähm… ja, er ist sehr nett. Ich geh jetzt mal duschen«, murmelte ich und stand auf. »Dann können wir einkaufen fahren.«

Ich floh.

»Okay, erster Halt: Café«, wies Mary K. mich eine halbe Stunde später an. Sie faltete Moms Einkaufszettel zusammen und steckte ihn in ihre Manteltasche.

Ich lenkte Das Boot– mein riesiges, U-Boot-ähnliches altes Auto– auf den Parkplatz der kleinen Ladenzeile, die sich mit Widow’s Vales einzigem Kaffee-Emporium schmückte. Drinnen duftete es verführerisch nach Kaffee und Torten. Ich studierte die Tafel und hatte Schwierigkeiten, mich zwischen einem großen Latte und einem großen Tagesspezial zu entscheiden. Mary K. beugte sich über die Glasvitrine und betrachtete sehnsüchtig die Schokotrüffelkuchenstücke. Ich sah nach, wie viel Geld ich dabeihatte.

»Bestell dir eins, wenn du willst«, sagte ich. »Ich lad dich ein. Und für mich auch eins.«

Meine Schwester schenkte mir ein Lächeln, und ich dachte nicht zum ersten Mal, dass sie viel älter aussah als vierzehn. Manche Vierzehnjährige sind noch unglaublich unbeholfen und kindisch, stecken halb in der Entwicklung fest. Ganz anders Mary K.: Sie war clever und reif. Zum ersten Mal seit Langem ging mir durch den Sinn, was für ein Glück ich hatte, sie zur Schwester zu haben, selbst wenn wir keine leiblichen Geschwister waren.

Die Tür schwang auf und die Ladenglocke bimmelte. Bakker Blackburn kam herein, gefolgt von seinem älteren Bruder Roger, der letztes Jahr die Widow’s Vale High abgeschlossen hatte und jetzt in Vassar studierte. Ich verkrampfte mich innerlich. Mary K. schaute auf und machte große Augen. Rasch wandte sie den Blick ab.

»Hey, Mary K., Morgan«, murmelte Bakker und wich meinem Blick aus. Wahrscheinlich hasste er mich. Vor ungefähr einer Woche hatte ich ihn mit deutlichen Worten aus dem Haus geschmissen, als ich ihn dabei erwischt hatte, wie er Mary K. auf dem Bett festhielt und sie praktisch vergewaltigen wollte. Wahrscheinlich hatte er gedacht, ich sei eine Außerirdische, denn um meinen Standpunkt klarzumachen, hatte ich ihn– ohne es zu wollen– mit einem knisternden blauen Hexenfeuer geschlagen. Ich wusste immer noch nicht, wie ich das überhaupt fertiggebracht hatte. Meine magischen Kräfte überraschten mich immer wieder.

Mary K. nickte Bakker zu. Sie wusste eindeutig nicht, was sie sagen sollte.

»Hey, Roger«, sagte ich. Er war zwei Jahre älter als ich, aber Widow’s Vale ist eine Kleinstadt und wir kennen uns alle mehr oder weniger. »Wie läuft’s?«

Roger zuckte die Achseln. »Nicht schlecht.«

Bakkers Blick blieb auf Mary K. geheftet.

»Wir gehen besser«, stellte ich fest und bewegte mich Richtung Ausgang.

Mary K. nickte, doch sie ließ sich Zeit, als sie mir zur Tür hinausfolgte. Vielleicht wollte sie insgeheim sehen, ob Bakker irgendetwas sagte. Und tatsächlich trat er auf sie zu.

»Mary K.«, setzte er flehend an.

Sie sah ihn an, drehte sich dann jedoch um und kam ohne ein Wort zu mir. Ich war erleichtert. Seit dem Vorfall war er schwer vor ihr zu Kreuze gekrochen, und ich hätte wetten können, dass Mary K. langsam schwach wurde. Und ich befürchtete, dass ich sie ihm nur in die Arme treiben würde, wenn ich zu harsch über ihn sprach. Also hielt ich den Mund. Aber ich hatte mir geschworen, wenn ich auch nur den kleinsten Hinweis erhalten sollte, dass er sich ihr wieder aufdrängte, dann würde ich es unseren Eltern erzählen, seinen Eltern und jedem, der es hören wollte.

Das würde Mary K. mir wahrscheinlich niemals verzeihen, dachte ich, als wir in Das Boot stiegen.

Ich warf den Motor an und fuhr auf die Straße. Die Beschäftigung mit Mary K.s Liebesleben erinnerte mich an mein eigenes. Ich fing an zu lächeln und konnte nicht mehr aufhören. War Cal mein mùirn beatha dàn– also mein Seelengefährte, mein Lebenspartner? Er schien es zu glauben. Bei dem Gedanken daran lief ein Schauder über meinen Rücken.

Im Supermarkt stockten wir unsere Vorräte an Toastbrot und anderen Lebensmitteln auf. In dem Gang mit den Getränken und Knabbereien wuchtete ich massenweise Cola light in den Einkaufswagen, während Mary K. jede Menge Tüten Salzbrezeln und Chips obendrauf türmte. Weiter unten im Regal waren Schachteln mit Karamellbonbons, Brees Lieblings-Junkfood.

Bree. Meine ehemalige beste Freundin.

Ich schluckte. Wie oft hatten Bree und ich Schachteln mit Karamellbonbons ins Kino geschmuggelt? Wie viele Schachteln hatten wir leer gefuttert, wenn ich bei ihr oder sie bei mir schlief und wir im Dunkeln lagen und uns unsere Geheimnisse anvertrauten? Es kam mir immer noch grotesk vor, dass wir jetzt Feindinnen waren, dass unsere Freundschaft kaputtgegangen war, weil sie Cal gewollt und er mich gewählt hatte. Wie oft hatte ich mir in den vergangenen Wochen gewünscht, ich könnte mit ihr über all das reden, was ich über mich herausgefunden hatte? Bree wusste nicht einmal, dass ich adoptiert war. Sie dachte immer noch, ich sei eine gebürtige Rowlands, genau wie Mary K. Doch Bree war mir gegenüber jetzt so ein Miststück und ich zeigte ihr die kalte Schulter. Nun gut. Im Augenblick konnte ich nichts dagegen tun. Am besten hörte ich auf, mir ständig Gedanken um etwas zu machen, was nicht zu ändern war.

Mary K. und ich bezahlten unsere Einkäufe und luden sie ins Auto. Als wir wieder einstiegen, unterdrückte ich ein Gähnen. Das graue, freudlose Wetter schien meine ganze Energie aufzusaugen. Ich wollte nach Hause und ein Nickerchen machen, bevor Cal mich abholen kam.

»Komm, wir fahren die Picketts Road runter«, sagte Mary K. und stellte das Gebläse so ein, dass es ihr ins Gesicht pustete. »Auch wenn es länger dauert. Es ist so hübsch dort.«

»Gut, nehmen wir die Picketts Road«, sagte ich und bog ab. Ich mochte diese Strecke auch lieber: Sie war hügelig und kurvenreich und es gab kaum Häuser. Hier hielten die Leute Pferde, und obwohl die meisten Bäume jetzt kahl waren, bedeckte noch buntes Laub den Boden, was aussah wie das Muster eines Orientteppichs.

Vor uns parkten zwei Autos nebeneinander am Straßenrand. Ich kniff die Augen zusammen, denn ich erkannte Matt Adlers weißen Jeep und Raven Meltzers ramponierten schwarzen Peugeot… Sie parkten nebeneinander an einer kaum befahrenen Straße. Seltsam. Ich sah mich um, konnte die beiden aber nirgends sehen.

»Interessant«, murmelte ich.

»Was denn?«, fragte meine Schwester, die an den Radioknöpfen drehte.

»Das waren Matts Jeep und Raven Meltzers Peugeot«, sagte ich.

»Na und?«

»Die sind nicht mal befreundet«, sagte ich achselzuckend. »Was machen ihre Autos hier draußen?«

Mary K. schürzte die Lippen. »Himmel, vielleicht haben sie jemanden umgebracht und verbuddeln gerade die Leiche«, meinte sie sarkastisch.

Ich bedachte sie mit einem blöden Grinsen. »Es ist nur ungewöhnlich, das ist alles. Ich meine, Matt ist Jennas Freund, und Raven