Das Buch vom Essen - Igor Klech - E-Book

Das Buch vom Essen E-Book

Igor Klech

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Beschreibung

Da steht einer am Herd, in seiner Wohnung unweit von Moskau, und schaut über das Panorama der slawischen Küche - Igor Klech, russischer Schriftsteller mit ukrainischen Wurzeln legt ein einzigartiges Stück Koch-Literatur vor: eine Durchsicht des russisch-orthodoxen Kalenderjahres mit all seinen Festen und Anlässen zu essen. Dabei liefert der Autor eine ganze Anzahl einschlägiger Rezepte: vom polnischen Bigos bis zum vorderasiatischen Pilaw über den ukrainischen Speck, Schtschi und Borschtsch und die europäisierte Soljanka, Pelmeni aus Sibirien und die beeindruckende Auswahl von gefüllten Piroggen... Guten Appetit.

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Igor Klech

DAS BUCH VOM ESSEN

Aus dem Russischen und mit einem Nachwort versehen von

Tatjana Hofmann

edition.fotoTAPETABerlin Warszawa

ISBN 978-3-940524-40-9

© edition.fotoTAPETA Berlin 2011

© für den Text: Igor Klech, Moskau© für das Nachwort: Tatjana Hofmann, Berlin

Umschlagfoto: © Gregor M. Schmid, GilchingFoto Innenklappe, vorn: © carölchen/photocase.comFoto Innenklappe, hinten: © Liudmila Sundikowa

Umschlaggestaltung: Gisela Kirschberg, BerlinSatz und Gestaltung: Gisela Kirschberg, Berlin

Gesetzt aus der Minion und Frutiger

INHALT

Philosophie der Küche

Saisonale Kochkunst

Das kulinarische ABC

Städte und Gerichte

Gastronomie und Literatur

Transkulinarische Grundsatzerklärung Tatjana Hofmann

Verzeichnis der Rezepte und Gerichte

PHILOSOPHIE DER KÜCHE

 

Die Herkunft der Küche

Als die Menschen anfingen, Feuer zum Schutz gegen Kälte und Raubtiere einzusetzen, entstand die Küche – und sie war als menschliche Erfindung genau so wichtig wie Sprache und Werkzeug. Am Anfang waren das Lagerfeuer und der Ofen mit der gezähmten Gottheit des Feuers; daneben standen Geschirr und Schlachtbank (wie eine Art Altar für die Opfergaben); später bildete sich ein Grundstock an essentiellen Nahrungsmitteln und einfachen Gerichten heraus; schließlich entstanden Festmahl und Kloster-Mahlzeit als eine Art heiliges Ritual (deswegen war es üblich, vor dem Essen den Geistern oder dem Schöpfer zu danken) und als Symbole des Friedens (daher die modernen Runden Tische der Wissenschaftler und Politiker – Massenanfertigungen von Klonen des Runden Tisches aus der Ritterzeit von König Arthur). Vom Entstehen des „vernunftbegabten Menschen“ und der Zivilisation kann man von dem Moment an sprechen, da die Menschen angefangen haben, ihresgleichen zu beerdigen und Essen zu kochen (und einen revolutionären Übergang von roh zu gekocht vollzogen haben, wie sich Claude Lévi-Strauss ausgedrückt hat).

Es wundert nicht, dass die Nahrungskette sich in unterschiedlichen geografischen und klimatischen Zonen unterschiedlich entwickelt hat, ja mehr noch, die Herausbildung verschiedener Stämme in derselben geografischen Zone hängt damit zusammen, dass ein Stamm eine bestimmte Nahrung zu sich nahm und ein anderer sich anders ernährte: Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist. Derzeit findet ein umgekehrter Prozess statt, aber der Kern der Sache ändert sich nicht: Um eine „globalisierte“ Suppe zu kochen, sind bestimmte Zutaten und feste Regeln notwendig. Wenn das Salz aufhören würde, salzig zu sein, und ein Lorbeerblatt aufhören würde, ein Lorbeerblatt zu sein, wenn man den Hering mit Eiscreme vermischen und mit Curry würzen würde, dann hätten wir Spülwasser für Wesen, die zwar den Menschen auf Grund ihrer einmaligen Allesesserei ähneln würden, aber eben nicht für Menschen.

Warum haben die Astronauten im Film Solaris Papierstreifen am Ventilator befestigt? Warum besann sich ein russischer Fürst, der in einem fremden Land lebte, plötzlich seiner Heimat und kehrte zurück, um sein Volk zu regieren, nachdem die Botschafter ihm einen Bund Steppenkräuter unter die Nase gehalten hatten? Warum klebt das hässliche Entlein auf einmal am Schuh des Experimentators und hält ihn zuerst für seinen Vater und später für einen Sexualpartner? Warum riechen nicht nur die asiatischen Küchen, sondern die Chinesen sowie Vietnamesen und Mongolen selbst anders als Russen mit ihrer russischen Aura des „Kohlsuppendampfs“? Dem haftet kein Rassismus an, bloß die Biochemie und der Konservatismus der menschlichen Natur, den die Biologen als genetischen Fingerabdruck bezeichnen, die Fantasten als Matrix, und noch jemand anderer als Code. Wenn eine Reihe einzelner Menschen etwas für besonders hält, kann es zum besonderen Merkmal ganzer Gesellschaften werden. Zielgerichtete kreative Tätigkeit hängt indirekt mit der Biochemie und dem Kulturgut zusammen. Das Essen bestimmt zwar nicht die Fähigkeiten, aber ändert ihre Richtung und lenkt sie innerhalb der Kräfte des Parallelogramms. Deswegen fasten die Ikonenmaler, halten sich Sportler und Tänzer an eine strenge Diät, und Pavarotti nahm bei Gastspielen immer einen eigenen Koch mit. Im Ergebnis hat jemand eine Gesangsstimme, wie sie sonst nirgendwo und bei niemandem vorkommt, und jemand beherrscht das Singen aus dem Hals, ein anderer verfügt über Ausdauer, Inspiration usw. Einfach gesagt, ist alles in der Welt der Menschen miteinander verbunden, genauso wie im Weltall mit seinem gnadenlosen Kreislauf von Energie und Materie.

Diese gesamte tiefsinnige Philosophie der Untiefen braucht man nur dafür, um noch einmal zu betonen, dass die jeweilige Küche nicht bloß eine Ansammlung von Rezepten, sondern ein flexibles verzweigtes System ist, das mit bestimmten Naturbedingungen zusammenhängt und das auf eine noch nicht geklärte Art und Weise in Beziehung zu allen Aspekten des nationalen, regionalen und privaten Lebens steht.

Mit der russischen Küche sieht es folgendermaßen aus: Mal über das Ziel hinausgeschossen, mal zu kurz geraten, mal ein „Sauerpatriotismus“ (der seinen Namen genau vom Brotkwass bekommen hat!), mal die säuerlichen Zweifel an der Existenz einer russischen Küche überhaupt (ukrainischer Borschtsch, Pelmeni aus China, die Kartoffeln aus Amerika, der Hering aus dem Atlantik etc.). Aber es geht ja nicht um die Frage, ob auf dem Mars Leben existiert! An der Erschaffung der russischen Küche haben nicht nur die Natur und die Bevölkerung gearbeitet, sondern auch viele namenlose und viele berühmte Praktiker, sodass sie zu ihrer Blütezeit eine der köstlichsten und vielfältigsten Küchen der Welt gewesen ist. Schade nur, dass in theoretischer Hinsicht allein der großartige Kochkünstler und Schriftsteller William W. Pochljobkin systematisch an die russische Küche herangegangen ist. Es versteht sich von selbst, dass jeder Vogel sein Nest liebt, deswegen bemühen wir uns, auf die Sache ein wenig von der Seite zu schauen.

Wenn es um die Effektivität der Ernährung geht, ihre Verfügbarkeit und Verbreitung in der modernen Welt, schlagen die McDonalds und die Pizzerien alles andere aus dem Feld – sie sind eine Art anspruchsloser kulinarischer Kalaschnikow. Anders gesagt handelt es sich um ein fast überall etabliertes System von Fastfood und Konsum immer fertiger Fertigprodukte. Als die Bauernschaft mit ihrer traditionellen Küche verschwand, musste es so kommen.

Aber in kulinarischer Hinsicht sieht das alles anders und komplizierter aus. Hier spielt weiterhin die mächtige Trägheit des Kochens eine Rolle, die das wichtigste Element der Kultur darstellt, und die Vorreiter hier sind die ultraraffinierte und „lang haltbare“ französische und chinesische Küche. Diese Küchen sind imperial, kontinental, totalitär; und ihr verborgener Pathos besteht in der maximalen Macht über das Ausgangsprodukt – in seiner geschmacklichen und äußerlichen Transformation (eine Gans bis zum Tode füttern, den Käse vom Schimmel zerfressen lassen, die Eier im Kalk über ein Jahr eingraben, Soja als Fleisch oder Fisch tarnen, die Gerichte dekorieren und den Tisch in eine Art Theater verwandeln). Umgekehrt neigen die ihnen gegenüber stehenden „Inselküchen“, die britische und die japanische, zum minimalen Eingriff in den Geschmack der Ausgangsprodukte (blutiges Roastbeef, roher Fisch, kulinarischer Purismus), obwohl auch sie die Gewalt in der Küche während des imperialistischen Zeitalters nicht scheuten (die Briten „kloppten“ die noch lebendigen Ferkel weich, um eine zarte Fleischnote zu erreichen, und die Japaner sind auf den Geschmack giftiger Fische genauso gekommen wie die Chinesen auf den Geschmack von giftigen Schlangen). Streng genommen ist die französische Küche die am weitesten fortgeschrittene und reichhaltigste Variante der so genannten Mittelmeer- oder romanischen Küche, die wiederum eine ganze Palette an Küchen umfasst, die sich mehr oder weniger von der ultraraffinierten Küche des Alten Roms abgespalten haben oder deren Einfluss ausgesetzt waren. In dieser Hinsicht ist mit der französischen Küche die hervorragende, weniger imperiale und volkstümlichere italienische Küche zwar verwandt, steht ihr aber gleichzeitig gegenüber.

Die russische Küche der letzten zwei Jahrhunderte ist ebenso eine imperiale wie kontinentale Küche, die nach der französischen Invasion von den besten französischen Köchen geschult wurde. Dabei hat die russische Küche ihre slawische Treuherzigkeit und Eigenart nicht verloren. Im Laufe von zwei Jahrhunderten konnte sie sich so viele Gerichte vom Speisezettel der russischen Untertanen sowie der nahen und fernen Nachbarn einverleiben und die verdauen (von Borschtsch und Pelmeni bis zum Schaschlyk und Plow), dass es sie aus der Reihe der konservativen ethnischen Küchen herausgeführt hat und sie übernational wurde. Damit ist nicht die Ausbreitung exotischer Restaurants gemeint, die weltweit der Unterhaltung dienen sollen (grob gesagt, der kulinarische Tourismus), sondern die Aufnahme der Gerichte in die Hausmannskost der Russen, die Zähmung und „Domestizierung“ der Gerichte.

Jede Küche hat ihre Einschränkungen, sogar Tabus, ihre starken und schwachen Seiten. Sagen wir mal, Wodka sei der russische Wein (Korn, und nicht die Rebe), und russisches Fleisch ist gekochtes oder geschmortes Rindfleisch (der russische Ofen konnte den Köchinnen die Kunst des Fleischbratens nicht beibringen, und das ist bis heute spürbar). Aber niemand kann dem russischen Wodka-Tisch mit gekonnt ausgewählten Vorspeisen und dem reichen neutralen Geschmack des Rindfleisches seine Qualität absprechen. Dasselbe gilt für die lange Liste der Suppen (von Schtschi und Borschtsch bis zur europäisierten Soljanka), die äußerst reichhaltige Auswahl an Fisch- und Pilzgerichten, eine ganze Schule eingesäuerter Gerichte (und keine todesnahen Marinaden) und die Naturkonfitüren (statt der Pektinmarmelade). Der Nachteil der letzten ist ihre übermäßige Süße, aber dafür gibt es schwarzen Tee (der von den Indern und Chinesen übernommen wurde, genauso wie der Samowar von den Japanern). Dafür gibt es die Frische der Garten- und Waldbeeren mit ihrem Geschmack und Geruch und Nutzen für die Gesundheit, was die ausländischen Konkurrenten einer richtig gekochten Konfitüre nicht kennen. Von den Teiggerichten gibt es das Roggen- und das „graue“ Brot (ab und zu gelingt auch das weiße Brot, aber niemals so gut wie bei den italienischen und französischen Bäckern), russische Pfannkuchen, Pelmeni (Teigtaschen) aus Sibirien und eine beeindruckende Auswahl von gefüllten Piroggen.

Konditorerzeugnisse sind nicht unsere Stärke. Aber niemand sonst reicht an unsere geschmorten Breisorten (besonders den Buchweizenbrei) und weich gekochten Kartoffeln heran (mit darauf gestreutem Dill, mit Salzhering oder konserviertem Schmorfleisch). Dasselbe gilt für das sowjetische „Know-how“, für die Nudeln mit Kochfleisch, das im Fleischwolf zerkleinert wird (die Italiener haben dafür kein Verständnis). Für den modernen Russen ist die Gurke nach Kohl und Kartoffel die wichtigste Gemüsesorte, die wichtigste Obstsorte sind Antonäpfel, die wichtigste Beerensorte: Himbeeren, das wichtigste Pflanzenöl ist Sonnenblumenöl, die wichtigsten Sauermilchprodukte sind saure Sahne und Kefir (versuchen Sie die westlich der Oder zu finden!). Die Auflistung könnte weiter gehen, aber das Prinzip ist klar: Das Feld der Spezialitäten ist weit und dicht gefüllt; seine Leerstellen aber sind ebenfalls eine Chiffre, ein Zugangscode zur Speisekarte. Feinschmecker ziehen es vor … die Speisekarten zu lesen, zu studieren, zu genießen! Die Speisekarte ist die Algebra der Kochkunst. Sie wird wie in Herbarien gesammelt und aufbewahrt. Sie wird wie ausgezeichnet gespielte Schachpartien studiert. Ein kulinarischer Sherlock Holmes kann anhand einer Jahrhunderte alten Speisekarte alles rekonstruieren, was an einem bestimmten Tag am Mittagstisch geschehen ist, über einen Schnitzer lachen, einen guten Witz bewundern. Genauso unvermeidlich tritt aus den Seiten der Kochbücher vor dem Hintergrund der Rezepte und kulinarischen Empfehlungen ein mehr oder weniger klares Abbild des Landes, der Menschen, des Autors und seiner Zeit hervor. Dieses Buch erhebt in keiner Weise den Anspruch, ein komplettes Sittengemälde zu liefern, es stellt einen Versuch dar, so etwas wie kulinarische Prosa zu bieten, die zum Lesen taugt, die die Gedanken und im Zuge dessen den Appetit buchstäblich anregt. Man hätte dieses Buch auch anders betiteln können: „Die Rehabilitierung des Appetits“. Denn wie es Anton P. Tschechow in einer seiner Erzählungen ausgedrückt hat: „Die Menschheit hat intensiv nachgedacht, aber sie hat nichts besseres als eine Salzgurke zu einem Glas Wodka erfunden.“

Zur Verteidigung der süßen Wollust

Wieso nimmt die Menge des faden Essens in der Welt immer mehr zu? Man könnte doch denken, dass sich uns mit dem Fall des Eisernen Vorhangs eine riesige gastronomische Welt eröffnet hat. Erst recht, wenn man sich an die leeren Regale in russischen Geschäften und an die peinliche „Bestellung“ der Produkte für die sowjetischen Feiertage erinnert – mit Widerwillen; aber vergessen sollte man es nicht. Aber die Illusion platzte bald. Es stellte sich heraus, dass Mangel wie Überschuss an Nahrungsmitteln Allesfresserei bewirken.

An manchen Orten, wie zu Zeiten Giljarowskijs, gibt man ein ganzes Vermögen für Delikatessen aus, aber dafür braucht man ein prall gefülltes Portemonnaie, dazu Zähigkeit und die Kenntnis der richtigen Orte. Feinschmecker haben sich heutzutage in eine Randgesellschaft von Verschwörern verwandelt. Unbekannte tiefenpsychologische Prozesse bringen immer mehr Menschen dazu, sich nicht lecker, nicht gesund und dabei auch noch nicht billig zu ernähren – worin der eigentliche Zynismus besteht. Eine derartige Häufung von unvorstellbar dicken Menschen wie in der amerikanischen Provinz habe ich – mit einer Mischung aus Schrecken, Entzücken, Neugier und Ekel – noch nirgendwo anders erlebt (in den Großstädten gibt es viel weniger von ihnen). Würden sie doch wenigstens gerne und des Genusses halber essen! Aber nein, sie verschlingen wahllos alles Mögliche – ihr Fastfood aus zweifelhaft Chinesischem und Mexikanischem und der allgegenwärtigen Pizza, wonach sie Wasser mit Eis zu jeder Jahreszeit hinterherschicken und in ihrer Gefräßigkeit jede Nahrung in Essensmüll verwandeln.

Über Geschmack lässt sich streiten, aber frische Austern „auf amerikanische Art“ mit Ketchup und Meerrettich (wo eine Zitronenscheibe mit Eis wie ein Relikt anmutet), ist mehr als eine bloße Geschmacksverirrung. Das ist bereits Körperverletzung, ein Angriff auf die Geschmacksrezeptoren und eine gezielte Vernichtung jeglichen Begriffes von Geschmack. Wenn Sie gründlich suchen, werden Sie frisches Brot oder weich gekochte Kartoffeln aus Idaho, einen Provinzladen mit 3000 Käsesorten (selbst die Franzosen haben weniger als anderthalb Tausend Sorten!) und sogar die geräucherte Kanzerogenbombe „kielbasa“ finden (da haben sie kapituliert und doch noch ein polnisches Wort in den amerikanischen Wortschatz aufgenommen, aber aufbewahren sollte man es ihnen zufolge im Tiefkühlfach).

Aber das alles ändert nichts am Kern der Sache. Früher oder später werden auch Sie kapitulieren und anfangen, sich so zu ernähren, wie alle anderen um Sie herum: mit Fastfood und Fertiggerichten aus der Mikrowelle; Sie werden das Label mit der chemischen Zusammensetzung des Essens anstarren und die Sache mit dem Geschmack komplett verdrängt haben. Eine überall anzutreffende Erscheinung, aber ausgerechnet in den USA meine ich, dahinter gekommen zu sein, wo hier der Hund begraben ist. Der Grund ist die Abkehr vom gelobten Individualismus und die Degradierung der eigenen Küche im Haus. Wenn Sie nicht wenigstens ab und zu selbst kochen, sondern nur aufwärmen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis eines der Geschmacksorgane abstirbt. An Stelle des Geschmacks werden die Kalorien treten, die Diäten, der Reiz der Symbole exotischer Küchen, kulinarischer Abenteuer und sonstiger zweitrangiger Dinge. Der Essenspluralismus ist die gepflasterte Sackgasse, die vor die breiten Toren des weltumspannenden McDonalds führt. Aber das neue Russland ist zum Glück ein bisschen veraltet. Hier glauben die meisten noch, dass Essen zuallererst schmecken muss. Der Rest sind Kleinigkeiten.

Die Söhne der Großen Bärin

So hieß, erinnere ich mich, ein in der DDR gedrehter Abenteuerfilm für Kinder, in dem die rothäutigen Indianer von jugoslawischen Schauspielern gespielt wurden: Die Söhne der Großen Bärin. Auf der Welt hat es nicht wenige Stämme, Dynastien und Städte gegeben, die die Bären für ihre Vorfahren oder Beschützer gehalten haben. Aber eine einzige Nation ist geblieben, die heute noch bei jeder passenden Gelegenheit mit dem Bären verglichen wird. Solche Dinge sind übrigens nicht zufällig. Das Wörterbuch der Fauna und Flora ähnelt einem Türcode: die Eiche – Deutschland, der Hahn – Frankreich, die Bulldogge – England, der Fuchs – na, ganz bestimmt nicht Russland …

Der Bär ist das unberechenbarste aller Tiere – wegen seines dichten Fells, der winzigen Ohren und des Schwanzes (man sagt, an den Ohren hat man den Sturkopf zum Honig gezerrt und am Schwanz versucht, ihn wieder wegzuziehen). Denn weshalb werden Hunden künstlich gezüchteter Rassen die Ohren und Schwänze gekürzt? Damit sie dem Herrchen widerspruchslos gehorchen und sich untereinander verstehen, wie taubstumme Gerasims und zugleich ihrem Äußeren – der Bewegung der Ohren und des Schwanzes – nicht anzusehen ist: werden sie spucken oder küssen, angreifen oder wegrennen? Die Russen ziehen die Charakterisierung als Bären gar nicht in Zweifel, die ihnen von ihren Nachbarn und ihnen nicht so Wohlgesonnenen angehängt wird. Etwas ist da dran. Der Bär ist das größte der Säugetiere, das Winterschlaf hält, mäßig faul, bedrohlich, alles fressend und von menschlicher Gestalt ist. Noch „menschlicher“ als der Bär ist nur der Affe ohne Schwanz. Dabei muss man wissen, dass in der Welt der Totems, Sternzeichen und östlichen Kalender alle Tiersymbole gleich groß und gleich mächtig sind und die Tiere sich nur durch ihre Manieren auszeichnen. Das Ergebnis der Konkurrenz um den Platz unter der Sonne hängt weitgehend vom Ort, der Zeit und der Gunst der Fortuna ab.

Wozu hier diese ganze Zoosophie? Weil sie kulinarische Konsequenzen hat. Ich habe lange nicht verstehen können: wie haben es die geschmacklichen Rezeptoren der Bewohner Russlands geschafft, im Verlauf mehrerer sowjetischer Generationen nicht vollständig zu verschwinden? Warum verfolgt unsereinen der ständige Wunsch nach etwas „Leckerem“ oder etwas „Süßem“, und warum erwartet man von dem Essen ein Fest, so wie man vom Fest eine Chance erwartet, etwas Überirdisches zu erleben?

Russische Jäger unterteilten Braunbären in drei verschiedene Arten: die massivsten, Fleisch fressenden Kuhschänder (die das Fleisch, das zu stinken angefangen hat, über alles lieben) und Frischlachsliebhaber von Kamtschatka; die Fans der Beeren und Wurzeln, die sich im Hafer und im Himbeerbusch verstecken; und die ganz kleinen, schwarzen und bösen mit weißen Lätzchen (bis zur Mutterschaft), die Honigverehrer und Ameisenfresser – die Gourmets par excellence.

Eine Sünde wäre es, den Leser nicht mit dem Rezept für ein Gericht zu verwöhnen, das nicht nur Bärchen in langen Wintermonaten im Traum erscheint: reife Himbeeren mit abgekühlter Milch zum Dessert. Sie müssen leicht in einem tiefen Teller mit Zuckersand zerdrückt, mit abgekühlter bläulicher Milch übergossen und wie eine Suppe mit einem Löffel gegessen werden, was animalisch gut schmeckt, schön ist (Purpur in Weiß) und auf der Stelle in den Schlaf wiegt. Solange die Bären schlafen und der Sommer weit entfernt ist, bleibt uns die Stärkung mit Honig. Passen Sie auf: Honig darf man nicht im Kühlschrank lagern oder in der Tasse mit Tee verdünnen – durch Temperaturunterschiede verliert er seine heilenden Eigenschaften und verwandelt sich in eine Unterart des Zuckers. Ebenso kann er nicht länger als ein paar Monate flüssig bleiben (wenn er nicht zäh wird, heißt es, dass die Bienen mit Zucker gefüttert wurden) und muss, wenn nicht schneidefähig/schneidbar sein, so doch mit dem Messer auf ein Milchbrötchen über einer Schicht normaler, 82,5 % Fett enthaltender Butter schmierbar sein und sollte mit kräftigem Tee getrunken werden. Fühlen Sie das heiße Sonnenspektrum der diversen Schattierungen, der Dichte und Temperatur?

Wer zweifelt, sollte sich zu dem oben Erläuterten wie zu einer Hypothese verhalten. Ich für meinen Teil suche, den Kopf nachts erhoben, am Himmel zuerst die kosmische Tatze der Großen Bärin – und erst danach die Achse des Polarsterns.

Sag mir, was du isst …

Wir sind uns irgendwie nicht darüber im Klaren, wie alles im Leben der Menschen und Völker miteinander zusammenhängt. Grob gesagt ist es so: Wenn der Wein gut wächst, muss man Wein trinken (wie es die Franzosen, Italiener, Spanier und andere tun), und wenn der Wein nur schlecht oder überhaupt nicht wächst, es aber kein Problem mit dem Getreide gibt, dann muss man Bier trinken (wie es die Deutschen und Tschechen tun) oder Wodka (wie es die Ostslawen und Skandinavier tun, wo das Klima härter ist). Und das ist nicht nur eine Frage des Klimas und des Territoriums, sondern eine Frage der Kultur als Einheit, wo alles miteinander zusammenhängt: die Art des Wohnens, der Verhaltenstyp und die Methoden der Kommunikation, der Musik, des Gesangs und der Philosophie. Nur bedingt vereinfacht gesagt, fördern Würstchen mit Bier das Entstehen symphonischer Musik, Kaffee mit Schlagsahne den Wiener Walzer, während eine Tasse Reis zur Meditation im Sutharam führt. Oder umgekehrt: Die symphonische Musik verlangt ein komplettes Mittagessen usw. Das klingt absurd, aber versuchen sie bloß einmal, etwas in diesen Paarungen umzustellen! Darüber hinaus bemühen sich die Nachbarvölker, die unter ähnlichen geographisch-klimatischen Bedingungen leben, auf verschiedene Art und Weise „uns“ von „anderen“ abzugrenzen, nicht zuletzt mit Hilfe der Gastronomie.

Beispielsweise dominiert in den drei slawischen Küchen – in der russischen, ukrainischen und polnischen – aus verschiedenen Gründen ein säuerlicher Schwerpunkt: Hefebrot und Sauersuppen, Kwass-Sorten und das Einsäuern als solches, die saure Sahne spielt eine Rolle (die in Deutschland vielleicht nur bei den Bayern mit ihrem Schmand zu finden ist, die anderen verwenden saure Sahne, die in Wirklichkeit Schlagsahne ist, sie ist überhaupt nicht sauer). Aber der wichtigste erste Gang ist bei den Russen ursprünglich die geschmorte Schtschi gewesen (Sauerkrautsuppe, am besten gekocht mit Rindfleisch, zur Hälfte mit saurem und frischem Kohl, und am besten mit einer Hand voll Salzpilzen). Bei den Ukrainern ist es der siedendheiße rote Borschtsch, mit Rübenkraut und ein wenig knackigem Gemüse (was sie von der russischen Küche unterscheidet), mit einer Beigabe von gebratenen Wurzeln, Knoblauch und Speck, mit Grobsalz und Pfeffer gerieben. Bei den Polen ist es ihr geschmorter Bigos mit geräuchertem Fleisch (ein deutscher Einfluss) und allen Fleischsorten, unbedingt mit Backpflaumen. Russen und Polen können auch den roten Borschtsch nicht schlecht kochen und essen ihn gerne; Ukrainer und Polen kochen zwar ein Äquivalent der Schtschi (Sauerkrautsuppe), aber das alles schafft die oben erwähnten Prioritäten nicht ab.

Noch kurioser wird die kulinarische Polemik, wenn sie zur totalen Abgrenzung von Feinden und Nachbarn mittels Lebensmitteln und Gerichten wird, die für die jeweils anderen unannehmbar sind. Historisch gesehen ist es der ukrainische Speck gewesen, der für Juden Tabu und für Türken und Tataren eine Beleidigung war (außerdem ist es unmöglich, ein stures Schwein auf kurzen Beinen als Kriegsbeute mitzunehmen – im Unterschied zu Pferden, Kühen und Gefangenen). Das Schwein demonstrierte den Russen die Sesshaftigkeit der ukrainischen Bevölkerung noch vor jeder Einführung der Leibeigenschaft. So viel zu den Prinzipien; aber in Wirklichkeit vollzog sich am Rande der Nahtstellen ein Prozess intensiver Entlehnung. Die Einwohner Galiziens meisterten erfolgreich die Herstellung sandigen Teigs und heiß geräucherter Wurst. Die Sloboda-Bewohner eigneten sich das Backen russischer Piroggen an. Die Einwohner der südlichen Gebiete Russlands übernahmen von Türken, Tataren und Tscherkessen die Kultur des Bratens und hörten auf, die Auberginen zu meiden. Von den Juden lernten die ukrainischen Bauern, wie man Hühner und Gänse mästet, und die Stadtbewohner, wie man Fisch füllt und backt, während die Juden ihrerseits die Gewohnheit übernommen haben, Wodka in großen Mengen zu trinken und dazu den zartesten Speck zu essen. Von überall her geladene Köche der Moskauer Restaurants kochen heutzutage den besten ukrainischen Borschtsch mit Piroggen. So sieht’s aus.

Das essen wir nicht!

Ein Gespräch mit einem bekannten Huzulen in den Karpaten hat mich eines Tages dazu gebracht, über die kulinarischen und geschmacklichen Vorlieben der Menschen als dem wichtigsten Kulturfaktor nachzudenken. Als echte Pilze bezeichnen die Huzulen nur die Steinpilze, hingegen sind andere Pilze für sie nur „Verwandte der Steinpilze“: Birkenpilze und Rothäuptchen, Röhrenpilze und Pfifferlinge, Hallimasche und Täublinge – damit endet die Auflistung der essbaren Pilze in diesen Gegenden. Übrigens spricht das dafür, dass die Huzulen kein Waldvolk, sondern ein von außerhalb eingewanderter Stamm sind, selbst wenn sie hier seit mehr als 1000 Jahren leben. „Wir wissen, dass andere Pilze auch essbar sind, aber wir, Huzulen, wir essen sie nicht“ – die Schlichtheit dieser Formel hat mein Herz erobert. In der Tat könnten die Huzulen mit ihren Schafherden und Gebirgstälern sowie die Moldauer aus der Bukowina nicht nur hervorragenden Schafskäse, sondern auch harte Käsesorten herstellen, die dem Schweizer Käse in nichts nachstehen würden. Sicherlich würde es von ihnen große Anstrengungen abverlangen – aber die Frage ist eine andere: Würden sie dann aufhören, Huzulen und Moldauer zu sein?

Betrachten wir deshalb etwas genauer den Unterschied im Geschmacksgefühl der Russen und der Ukrainer; das sind wohl die Gemeinschaften, die einander am nächsten stehen.

Ukrainer hielten Rindfleisch nicht für Fleisch, weil sie mit den Stieren pflügten und Güter transportierten und Kühe für die Milch da waren. Hingegen galt es den Russen als wichtigste Fleischsorte. Russen haben nichts gegen Schweinefleisch, jedoch ohne Speck, während die Ukrainer sich ihr Leben ohne Speck nicht vorstellen können. Wenn sie den Speck aus der Alltagsküche entfernen würden, wäre es unmöglich, eine Vielzahl ukrainischer Gerichte, einschließlich Konditorwaren, zuzubereiten, und es würde leicht fallen, den Ukrainer selbst mit einem Türken oder einem Krimtataren zu verwechseln.

Dabei sind beide Küchen, die russische und die ukrainische, aus einer gemeinsamen Wurzel gewachsen. Deswegen ist beiden Kwass aus Brot oder roter Bete, die lebendige Sauernote des Roggen- und des Hefebrots und nicht das asiatische Fladenbrot gemein, genauso wie gesäuertes und nicht mariniertes Gemüse. Außerdem geben sie dünnen Suppen den Vorzug, welche die Russen als den „ersten Gang“ bezeichnen. Bei Schtschi und Borschtsch wird der süßsäuerliche Geschmack gleichermaßen geschätzt, aber den Russen gelingen außerdem so genannte säuerlich-salzige „Katergerichte“: Soljanka, Rassolnik (Fleischsuppe mit sauren Gurken) u. a. Obwohl die Russen sich das Kochen des roten Borschtsch angeeignet und ihn auf ihre Speisekarte gesetzt haben und obwohl die Ukrainer von den Russen gefüllte Piroggen übernommen haben, sind wichtige Unterschiede innerhalb der Kochverfahren geblieben. Russen lassen die Suppen dämpfen und ziehen das Schmoren und Backen dem Braten vor (was vom russischen Ofen diktiert wurde). Ukrainer hingegen schätzen hart gekochtes Gemüse in der Suppe und kochen die Suppen unbedingt mit gebratenem Wurzelgemüse.

Die Türken haben sich als bessere Lehrer der Bratkunst für die Ukrainer erwiesen als die Tataren für die Russen. Von denselben Türken haben Ukrainer die Idee der Wareniki übernommen. Das sind Teigtaschen, zum Beispiel mit Kartoffeln gefüllt, und besonders gut gelungen sind Wareniki mit Quark und Sauerkirschen. Die Russen haben von den Perm-Einwohnern die sibirischen Pelmeni (Teigtaschen mit Fleisch) übernommen. Die einen sind darauf gekommen, dem Teig Quark beizumischen, um ihn feiner zu machen, die anderen darauf, dem Teig saure Sahne beizugeben. Ukrainer verwenden häufiger als Russen einen Teig ohne Hefe (von kleinen Mehlklößen bis hin zu süßem Gebäck). Beide Nationen essen gerne Brei, aber bei Russen nimmt der Buchweizen den ersten Platz ein (selbst russische Pfannkuchen verlangen nach Buchweizenmehl), wohingegen bei Ukrainern Hirse an erster Stelle steht. (Um den berühmten Kosakenkulesch zuzubereiten, wurde Hirse vor dem Kriegszug mit Speck gebraten, dann musste man nur noch Wasser besorgen und sie aufkochen. Eine originelle Methode übrigens, Wasser aufzukochen, die von vielen Völkern längst vergessen wurde und die die Ausländer zum Staunen brachte, bestand darin, glühende Steine in den großen Topf zu werfen.)

Zur Übersicht versuchen wir die Prioritätenpaare der russischen und ukrainischen Küche in Form einer Tabelle darzustellen:

Schtschi – Borschtsch;Rindfleisch – Schweinefleisch;Gallert und Sülze – Schweinefußsülze;Pelmeni – Wareniki;Buchweizen – Hirse;Borodiner Brot – „Paljanica“ aus Getreide;Piroggen und gefüllte Pasteten – gebratene Piroggen;Pfannkuchen – oladji (kleine dicke Pfannkuchen);saure Milch – rjazhenka;Spiegelei – Rührei und Omelette;weißer Kohl – rote Bete mit Rübenkraut;Kartoffeln – Bohnen und Hülsenfrüchte;Gurke – Tomate;Dill – Liebstöckel;Äpfel – Backpflaumen;Himbeeren – saure Kirschen (daher der südrussische „Kirschgarten“ von Tschechow, der den Nordländer Bunin so empört hat);Konfitüre – Marmelade.

Viele Bezeichnungen ukrainischer Gerichte hat das russische Ohr zum ersten Mal durch Gogol vernommen. Sie klingen dermaßen exotisch und Appetit anregend, dass man den Eindruck hat, sie sofort essen zu können: petschenja, vereschtschaka, schpundra, zavivanec, verguny, puchkeniki.

Offensichtlich ist die russische Küche reicher und vielfältiger, aber dafür ist die ukrainische Küche einheitlicher. Wenn man nach einer Analogie suchen würde, unterscheidet sich die russische Küche von der ukrainischen ungefähr genau so wie die französische Küche (und Franzosen haben im 19. Jahrhundert viel an der Verbesserung der russischen Küche gearbeitet) von der italienischen (mit ihrem weniger distinguierten, aber überzeugenderen – bäuerlichen und südlichen – Geschmack). Nicht von ungefähr schwärmte Puschkin für die französischen Restaurants, die in russischen Hauptstädten eröffnet wurden, und Gogol flüchtete aus Petersburg nach Rom, wo er nach Makkaroni mit Käse verrückt wurde, die er selbst kochte und seinen Moskauer Freunden servierte.

Die Suppenbrühentherapie

Wovon werden die Menschen krank und sterben sogar, streng genommen? Nicht daran, dass sie sich mit irgendetwas angesteckt hätten, sondern daran, dass sie der Ansteckung nachgegeben haben: Die Abwehrkräfte lassen nach, in der Aura herrscht Durchzug, das Fell wird dünner – und schau an, schon liegt einer auf dem Krankenbett, und dann sieht er die Mohrrüben von unten. Aber ich bin nicht für Verderb, sondern für Gedeih.

Es hat mich immer verblüfft, wie einfache Leute der älteren Generation den Kranken unbedingt füttern wollen, selbst gegen seinen Willen. Oder auch: kaum in den Zug gesetzt, fangen sie gleich zu essen an. Sie holen ein ganzes Hühnchen hervor, hausgemachte Buletten, schneiden Tomaten entzwei. Und jetzt denke ich: Mein Gott, wie simpel ist das alles! Der Körper ist ein Haus, der Magen ein Ofen; das Zuhause soll gewärmt werden, in einem abgekühlten Haus würde niemand wohnen. Die Nahrung besteht nicht nur aus Kalorien, sondern auch aus materialisierter Fürsorge, dem treuherzigen und ungeschickten Kümmern der Nächsten, wenn die Rede von Kranken ist. Übrigens, wer es nicht weiß: unser Kuss gehört zum symbolischen Ritual des Ernährens, abgeschaut von den Vögeln (so wie Tänze und Gesang, Schiff- und Luftfahrt), und wer schlecht hingeschaut oder es nicht verstanden hat, der reibt die Nasen aneinander, doch von denen gibt es nur wenige.