Das Ding im Kopf - Pinealiszyste - Jens Schumacher - E-Book

Das Ding im Kopf - Pinealiszyste E-Book

Jens Schumacher

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Beschreibung

Jeder sollte Menschen schätzen, die für einen da sind, wenn man in eine schwere Lage gerät. Das wurde auch Toni klar, als er wegen heftigen Kopfschmerzen zum Arzt geht und eine Diagnose erhält, die ihm zeigt, dass er nicht unverwundbar ist. In diesen Tagen wird er immer wieder mit der Erkenntnis konfrontiert, dass er in den letzten Jahren nicht der Ehemann und Vater war, der er eigentlich hätte sein sollen.

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Seitenzahl: 173

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Titel

Das Ding im Kopf

Pinealiszyste

von

Jens Schumacher

Comedy-Drama

Impressum

Das Ding im Kopf – Pinealiszyste

EBookausgabe: Dezember/2021

Text: ©Jens Schumacher

Umschlag:©Copyright by Melanie Popp/MP-Buchcoverdesign & mehr

Bildquelle:@MichalLudwiczak, @ewastudio/Depositphotos.com

Bild im Text:@mandritoiu/Depositphotos.com

Buchsatz:Melanie Popp/MP-Buchcoverdesign & mehr

Korrektur: Jana Wittmann

Verlag:Jens Schumacher

Talstr. 13a

65510 Hünstetten

Druck:epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin Printed in Germany

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung bedarf der schriftlichen Genehmigung des Autoren. Das gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Verwertung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektrischen Systemen. Personen und Handlung sind frei erfunden. Die Geschichte ist fiktiv, orientiert sich aber an biographischen Ereignissen.

Vorwort

Der Begriff Pinealiszyste kommt aus der humanen Medizin und erklärt ein Krankheitsbild, von dem nur wenige Menschen auf der Welt betroffen sind. In der Regel findet man diese ungefährliche Zyste im Kopf. Oftmals wird sie nur rein zufällig bei harmlosen Routineuntersuchungen entdeckt. Oder eben, wenn sich die Zyste verändert und dabei gewisse Symptome auslöst. Dann ist sie leider nicht mehr so harmlos. Denn diese Veränderungen können lebensbedrohliche Ausmaße annehmen.

Pinealizysten offenbaren sich größtenteils im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter. Klinische Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen oder Gleichgewichtsstörungen können ein Anzeichen dafür sein. Oft verschwinden die Symptome wieder und treten später erneut auf, was höchstwahrscheinlich die Wirkung des Abflusses der Zyste verursacht.

Im Allgemeinen wird die Zyste erst einmal beobachtet. Wenn sie aber entfernt werden muss, stehen zwei Operationsmethoden zur Verfügung. Einmal die endoskopische Technik und die mikrochirurgische Technik, welche bei engen Hirnkammern angewendet wird. Diese Methoden müssen spezifisch der anatomischen Lagen angewendet werden. Nach der Operation folgen weitere Kontrollen und Untersuchungen. Bei einer kompletten Entfernung der Zyste sind keinerlei Untersuchungen und Kontrollen mehr nötig. Wurde die Zyste aber nur zum Teil entfernt, sind regelmäßige Kontrollen unumgänglich.

Mein Name ist Toni Becker und ich möchte nun meine Geschichte erzählen. Ich habe meine Frau sehr früh geheiratet und wir haben auch recht früh Kinder bekommen. Bereut haben wir es nie, denn jetzt sind wir noch jung und unsere große Tochter Melanie ist schon 16 Jahre alt. Somit ist sie größtenteils schon aus dem Gröbsten heraus.

Ich bin glücklich verheiratet und beginne nun, mein Leben wieder zu genießen. Das soll nun nicht heißen, dass man sein Leben nicht genießen kann, wenn man sich um Kinder kümmern muss. Aber es ist eben doch etwas anderes, wenn man nicht so große Verpflichtungen hat.

In meinem Job läuft auch alles gut. So gut, dass ich sehr gerne dort bin, viele Überstunden mache und auch die ein oder andere Familienangelegenheit sausen lasse, um meiner Arbeit nachgehen zu können. Wenn ich erst einmal richtig in Fahrt bin, fällt es mir schwer etwas abzubrechen, ohne es beendet zu haben.

Ich bin schon immer ein Mann gewesen, der unheimlich gerne mit Frauen flirtet. Es gefällt mir, wenn ich dem weiblichen Geschlecht zeigen kann, dass es mich interessiert und ich stehe vollkommen darauf, wenn mir die Frauen dies auch zeigen. Dadurch sehe ich, dass ich noch begehrt und gut anzusehen bin. Welcher Mann möchte das nicht. Mein Chef und ich sind ein super Duo und ein fast schon eingespieltes Team, zumindest was das Aufreißen von Frauen angeht. Wir machen uns gegenseitig nichts vor und würden auch teilen, wenn es darauf ankommt.

Für mich ist klar, dass ich endlich die verpassten Gelegenheiten in den letzten Jahren nutzen muss. Dass es nun an der Zeit ist, die Sachen zu machen, die ich schon immer gerne mal machen wollte und vor allem ist es schon längst überfällig, um mal wieder richtig auf die Kacke zu hauen oder etwas Neues auszuprobieren. Es ist schon viel zu lange her und ich habe mir das auch verdient, dafür arbeite ich hart.

Bei all den Dingen, die ich im Kopf habe, vergesse ich es auch schon einmal, meine große Tochter vor der Schule abzusetzen. Ich bin einfach nicht bei der Sache, zumindest bei Dingen, die wichtig für das Familienleben sind. Meine Frau Petra sieht das alles eigentlich genauso wie ich. Sie möchte endlich wieder einmal mit mir allein und ohne Kinder in den Urlaub fahren, sie möchte wieder einmal nur an sich denken und sich verwöhnen lassen.

Aber leider kommt nicht alles so, wie man denkt, wie man es sich gerne wünscht und wie man es plant. Das Leben schreibt seine eigenen Geschichten und wir können nur das Beste daraus machen.

Kapitel 1

Es gibt nichts Besseres als sich nach einem anstrengenden Arbeitstag im Fitnessstudio noch einmal so richtig zu verausgaben. Zwar liebe ich meinen Job, aber manchmal würde ich einfach meine Sachen zusammenpacken und wieder nach Hause fahren. Aber das ist wohl in jedem Job so, nicht jeder Tag ist gleich und nicht alles läuft so, wie man es sich vorstellt.

Das Fitnessstudio ist heute stark besucht, fast an jedem Gerät trainieren Menschen – Männer und Frauen. Manche Männer schreien sich die Seele aus dem Leib, während man andere überhaupt nicht hört. Im Hintergrund laufen die aktuellen Charts, manche Lieder passen sich sogar meinem Laufstil an.

Seit fast einer Stunde jogge ich auf dem Laufband und wenn ich ehrlich bin, könnte ich locker noch eine Stunde dranhängen. Erstens habe ich eine große Ausdauer, was das angeht und zweitens gefällt mir die Aussicht sehr gut. Wie mein Chef Fritz, könnte ich auch Krafttraining machen, die Multifunktions-Kraftstation oder die Hantelbank benutzen. Aber wenn ich an den Geräten bin, muss ich mich auf mich konzentrieren.

Jogge ich auf dem Laufband, habe ich viel mehr Zeit, um die toptrainierten Frauen zu beobachten und den ein oder anderen Flirt zu starten. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich schöne Frauen gerne anschaue. Ich bin schließlich ein Mann, würden mich die ganzen weiblichen Wesen nicht interessieren, würde mit mir ja wohl etwas nicht stimmen. So ist meine Meinung und da lasse ich mir auch nicht reinreden.

Genau vor mir trainiert eine junge Frau am Kabelzugturm. Sie hat schwarzes langes Haar, das sie zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden hat. Jedes Mal, wenn sie sich bückt, gibt sie ein kleines süßes Stöhnen von sich. Sie steht mit dem Rücken zu mir, trägt ein sehr enges Shirt und eine enge Hose, die ihren Hintern prächtig zur Geltung bringt. Beim Bücken macht ihre Hose den Eindruck, als würde sie jeden Augenblick reißen wollen.

Dieses Bild zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen und zu gerne möchte ich wissen, was sie darunter trägt. Ich schätze sie auf Anfang 20, wenn überhaupt. Ab und an bemerke ich, dass sie einen verstohlenen Blick nach hinten zu mir wirft, so bin ich mir sicher, dass sie manche Bewegungen mit Absicht sehr langsam ausführt, damit ich alles genau beobachten kann. Dafür bin ich ihr natürlich sehr dankbar.

Als ich bemerke, dass ich langsam anfange zu schwitzen, stelle ich mein Laufband eine Stufe nach unten. „Hey Toni“, höre ich auf einmal Fritz, keine Sekunde später taucht er neben mir auf und stützt sich am Laufrad ab. Er sieht ziemlich fertig aus, was mir sagt, dass er es wieder einmal übertrieben hat.

Fritz versucht seit Jahren mehr Muskeln aufzubauen, aber irgendwie klappt es nicht so, wie er sich das vorstellt. Mit Handtuch im Nacken grinst er mich an und deutet mit den Augen auf die Schwarzhaarige am Kabelzugturm.

„Nicht schlecht, oder?“, sagt er gerade so laut, dass ich ihn verstehen kann. Er zischt durch zusammengebissene Zähne und kneift die Augen zusammen, als sie sich bückt und der Stoff ihrer Hose immer dünner wird. „Hammer.“ Er wischt sich mit dem Handtuch den Schweiß aus der Stirn. „Mal sehen, was sich da heute noch machen lässt.“

Ich grinse und schüttele den Kopf. „Du bist ihr sicher zu alt“, necke ich ihn, stelle das Laufband noch eine Stufe nach unten und beginne zu gehen.

Meine Beine brennen und ich weiß jetzt schon, dass ich Morgen Muskelkater haben werde, aber das ist es jedes Mal wert. So weiß ich wenigstens, dass ich etwas für mich getan habe.

Fritz zuckt mit den Schultern und starrt die Frau weiter an. „Kann sein, aber das kann ich nicht unversucht lassen“, erwidert er und knetet seine Hände.

Bevor er beginnt zu sabbern, schalte ich das Laufband ab und klopfe ihm auf die Schulter. „Versuche dein Glück“, sage ich, hebe mein Handtuch vom Boden auf und wische mir den Schweiß von der Stirn. Dabei tippe ich mit dem Zeigefinger auf meine Armbanduhr. „Ich muss jetzt los“, gebe ich ihm dann Bescheid und zwinkere ihm zu. „Ich habe noch einen Massagetermin bei Susi.“

Mit offenem Mund wendet er sich mir zu und sieht mich fast erschrocken an. „Heute? Jetzt?“, sagt er verwundert.

Eingebildet ziehe ich meine Augenbrauen hoch, schnappe mir meine Wasserflasche und mache mich bereit zum Gehen. „Ja, jetzt“, sage ich und grinse sehr breit, denn Susis Massagen sind einmalig.

Fritz breitet betroffen seine Arme aus, als wolle er mich umarmen. „Und was ist mit mir?“

Mittlerweile schon mit dem Rücken zu ihm, hebe ich zum Abschied die Hand. „Versuche dein Glück bei der Kleinen“, rufe ich ihm zu und dabei achte ich nicht darauf, dass mich jemand hören könnte. Denn für mich zählt jetzt nur eins und zwar die Massage bei Susi.

Einmal Susi, immer Susi. Seit ich einmal nach meinem Training einen Massagetermin bei ihr hatte, beschloss ich diesen in Zukunft immer wahrzunehmen. Ihre Hände sind ein Traum und sie weiß genau, was sie tut.

„Na Toni, wie war dein Tag?“, fragt sie mich mit ihrer hohen Stimme, während sie meine Schultern richtig hart durchknetet.

Ich stöhne auf der Pritsche und habe die Augen geschlossen. „Anstrengend, aber gut“, antworte ich ihr. Es riecht nach irgendeinem ätherischen Öl, welches ich nicht erkenne und im Hintergrund läuft eine entspannte Musik.

Susi kann nicht nur gut massieren, sie sieht auch richtig gut aus. Ich stelle mir sie vor, wie sie mit ihrem weißen Kittel und ihren zarten Händen meinen Rücken massiert. Aber nicht nur das. Susi widmet sich auch immer ausgiebig meinem Hintern, denn dort sind schließlich auch Muskeln, die entspannt werden müssen.

„Jetzt bist du ja hier zum Entspannen“, sagt sie und wandert immer weiter nach unten. „Sei ganz locker und entspann dich.“ Susi hat blaugrüne Augen und dunkles Haar, das sie meistens zu einem Zopf nach hinten gebunden hat. Ihr Pony hängt immer locker über ihre Stirn und wenn sie sich mit einem unterhält, schiebt sie ihn mit kurzen Kopfbewegungen beiseite, damit sie wieder ein freies Blickfeld hat.

„Ich bin entspannt“, erwidere ich fast völlig benommen. „Ich bin ganz entspannt.“ Ich liebe es, wenn sie ganz langsam andeutet, dass jetzt gleich mein Hintern drankommt und dass sie sich sehr viel Zeit dafür lässt.

Manchmal nimmt sie mich aber auch ganz schön ran, sodass ich den ein oder anderen Schmerzschrei von mir gebe. Sie merkt eben gleich, wenn ein Wirbel nicht an Ort und Stelle ist und rückt ihn sofort wieder zurecht. Dabei fasst sie niemanden mit Samthandschuhen an. Teilweise gefällt mir ihre schroffe Art, aber an manchen Tagen könnte sie schon etwas feinfühliger mit mir umgehen, so wie heute. Mittlerweile massiert sie schon meine Leiste und beschert mir damit eine Gänsehaut. Lange dauert es nicht mehr und meine Arschbacken sind dran. Kaum ist mein Gedanke zu Ende, schon fühle ich ihre kleinen Finger auf meiner empfindlichen Haut. Ich stöhne wohlwollend auf. „Das ist gut, Susi“, lobe ich sie. „Darauf freue ich mich immer am meisten.“

Leise höre ich sie lachen, während sie erst den äußeren Bereich meiner Backen massiert und sich immer mehr nach innen vorarbeitet. Dabei knetet sie einmal fester und dann wieder feiner. Es ist eine Mischung, die es in sich hat und jede noch so kleine Verspannung in meinem Körper löst.

Wenn sie bei mir vom Weg abkommt, dann leider nur auf meinem Hintern. Bei Fritz traut sie sich mehr, bei mir hält sie sich immer etwas zurück, weil sie weiß, dass ich verheiratet bin. Auf der einen Seite rechne ich ihr das hoch an und finde sie somit höchst anständig, auf der anderen Seite wünsche ich mir manchmal, sie würde sich mehr trauen. Aber gut, ich habe schließlich auch noch meine Frau, die sich um meine Bedürfnisse kümmern kann.

Ich genieße ihre Massage in vollen Zügen und lasse sie das mit verschiedenen Tönen, die meinen Mund verlassen auch wissen. Das ist mir in keiner Weise unangenehm. Wenn ich mich fallen lasse, dann passiert das nun ab und an mal.

Kapitel 2

Als ich zu Hause ankomme, bin ich wie immer gut gelaunt. Was will man nach so einer wunderbaren Massage bei Susi auch anderes erwarten? Wenn zu Beginn der Massage meine Stimmung im Keller ist, ist sie danach fast im dreißigsten Stock. Und das Gute daran ist, dass sie nicht mehr so leicht fällt. Das schafft Susi nicht nur mit ihren Händen, sondern mit ihrem ganzen Auftreten. Sie ist einfach eine Muntermachfrau.

Jedoch sorgt nicht nur Susi oder ein erfolgreicher Tag für meine gute Laune, sondern auch meine Frau Petra. Jeden Abend, wenn ich nach Hause komme, steht das Essen schon auf dem Tisch.

Während ich zur Arbeit gehe, danach trainiere und mich im Anschluss ordentlich bei Susi entspanne, kümmert sich Petra nicht nur um den ganzen Haushalt, sondern auch um unsere Kinder, besonders um unsere jüngste Tochter Lilli, die gerade voll in der Pubertät ist.

Ich weiß das alles, ich nehme es auch wahr, aber irgendwie will ich mich damit nicht beschäftigen. Ich weiß, dass Lilli im Moment kein einfaches Kind ist. Die Pubertät ist nun einmal nicht leicht. Meine kleine Tochter ist mit sich, mit uns, ach eigentlich mit der ganzen Welt gerade überhaupt nicht zufrieden.

Was man zu ihr sagt oder was man tut, ist grundsätzlich falsch. So entstehen schon das ein oder andere Mal sehr laute Auseinandersetzungen, die hoffentlich die Nachbarn niemals zu Gehör bekommen. Und wenn doch, ist es eigentlich auch egal. Das geht schließlich niemanden etwas an.

Aber an mir geht das alles irgendwie vorbei. Viel zu gerne denke ich an meine Arbeit und an die Zeit danach. Niemals könnte ich es mir vorstellen nach der Arbeit gleich nach Hause zu fahren und mich mit meiner Familie zu beschäftigen. Ich liebe meine Frau und meine Kinder über alles, aber ein gewisser und gesunder Abstand hat noch keiner Beziehung geschadet. Also sind meine Gedanken schon wieder bei meinem nächsten Arbeitstag, beim Training danach und ganz wichtig bei der Massage von Susi.

Als ich mein trautes Heim betrete, höre ich im Flur schon, dass Petra und Lilli in der Küche wieder über irgendetwas diskutieren. Genervt verdrehe ich die Augen und wäre am liebsten rückwärts wieder aus dem Haus gerannt, um diese Sache nicht klären zu müssen. Aber das kann ich Petra nicht antun, schließlich muss sie sich den ganzen Tag mit unserer Tochter herumärgern.

Achtlos werfe ich meine Schuhe, meine Jacke und die Arbeitstasche auf das Sofa und begebe mich in die Höhle des Löwen. Um von unserem großen und modern eingerichteten Wohnzimmer in die Küche zu gelangen, muss ich erst einmal durch das Esszimmer gehen. Der Anblick des reichlich gedeckten Tisches zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Dieses wird aber gleich wieder getrübt, als ich bemerke, dass es in der Küche nun heiß hergeht.

„Ach Mama. Warum denn nicht? Die anderen dürfen auch dahin gehen“, höre ich Lillis kindliche, aber sehr laute Stimme.

„Du bist dafür viel zu jung, Lilli“, erwidert Petra, danach hört es sich so an, als würde sie einen Deckel auf einen Topf knallen.

Als ich in der Küche ankomme, steht Petra hinter dem Herd an der Kochinsel und Lilli sitzt ihr Gegenüber auf einem der Küchenstühle. „Hallo“, begrüße ich meine Familie freundlich, gehe um die Kochinsel herum und gebe Petra einen Kuss.

„Hallo Toni“, erwidert sie genervt und atmet tief durch. „Das Essen ist gleich fertig. Es hat heute etwas länger gedauert.“ Heute hat sie ihr rotes Haar zu einem Zopf nach hinten gebunden, was sie etwas streng wirken lässt. Aber ihre liebevollen und blauen Augen machen das gleich wieder wett. Sie steckt in einer weißen Bluse und einer engen schwarzen Jeans, dazu trägt sie ihre geliebten Hausschuhe, die eigentlich gar nicht zu ihrem Outfit passen.

„Hallo Papa“, meldet sich auch Lilli zu Wort und nimmt einen Schluck von ihrer Limo.

„Hallo, mein Schatz“, sage ich, während ich zu ihr gehe und ihr einen Kuss auf den Haaransatz gebe. „Wo ist denn deine Schwester?“

Lilli verdreht die Augen, obwohl ich schon einhundert Mal zu ihr gesagt habe, dass sie das nicht machen soll. „Melanie ist mit ihren Freundinnen unterwegs. Und das schon den ganzen Tag“, sagt sie mit einer sarkastischen Stimme. „Sie muss nicht pünktlich zum Abendessen hier auftauchen.“

In Gedanken verdrehe ich jetzt die Augen und hole mir aus unserem großen amerikanischen Kühlschrank eine Cola. „Worum geht es hier überhaupt?“, frage ich dann meine Frau, schließe den Kühlschrank und zucke mit den Schultern.

Petra sieht mit großen Augen zu ihrer Tochter und ich kann regelrecht die Spannung zwischen den beiden spüren. „Lilli möchte morgen nach der Schule mit ihren Freundinnen auf eine Party von einem Jungen, den sie und wir nicht kennen. Und niemand weiß, wie lange diese Party geht, wie sie dorthin kommen und wann und wie sie wieder nach Hause kommen“, zählt Petra auf, während sie den Herd ausschaltet.

Ich stelle mich neben Petra und somit auch auf ihre Seite. „Hm“, sage ich und blicke zu Lilli. „Das sind ein paar Informationen zu wenig.“

Mit einem Mal setzt Lilli ein zerknirschtes Gesicht auf und schlägt mit der flachen Hand auf die Arbeitsplatte, dabei füllen sich ihre blauen Augen mit Tränen. „Aber Melanie darf doch auch hin, wo sie möchte. Warum ich nicht?“

Petra stößt ein leises Lachen aus, unterdessen dreht sie den Backofen neben dem Kühlschrank herunter und holt die Glasschale mit den Steaks heraus. Als ich das sehe, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. So ein saftiges Steak könnte ich jeden Tag verdrücken. Meine Frau stellt die Glasschale direkt vor mich hin, worauf ich Probleme damit bekomme, mich auf die jetzige Situation zu konzentrieren. Schon allein der Duft macht …

„Deine Schwester“, reißt mich Petra aus meinen Gedanken. Mit den Händen in die Hüfte gestanzt steht sie vor Lilli. „Sie ist ja auch ein paar Jahre älter und vernünftiger als du und auf sie ist wenigstens Verlass.“

Lilli blickt empört drein. „Was soll das denn jetzt heißen?“, spricht sie sehr laut. „Bin ich etwa unvernünftig und unzuverlässig?“

Ja, wäre mir fast herausgerutscht. Aber stattdessen schauen Petra und ich uns fragend an, und an Petras Ausdruck erkenne ich, dass sie sich ihres Fehlers vollkommen bewusst ist. Das hätte sie nicht sagen sollen.

„Nein“, komme ich ihr zu Hilfe und nehme einen Schluck von meiner Cola. „Deine Mutter will damit bestimmt nur sagen, dass du …“ Was soll ich nur sagen? „Dass du eben abenteuerlustiger bist und ab und an vergisst, uns Bescheid zu sagen, wo du hingehst, wo du bist oder wann du nach Hause kommst.“

Lilli presst die Lippen zusammen und senkt den Blick. „Ist das schlimm?“, wird sie auf einmal ziemlich ernst. Anschließend sieht uns so an, als wäre Abenteuerlustigkeit eine ganz schreckliche Krankheit. Ihr entsetzter Blick tut mir schon fast im Herzen weh.

„Natürlich nicht, mein Schatz“, erwidert Petra auf der Stelle in einem einfühlsamen Ton. „Das ist eine ganz tolle Eigenschaft.“

Lilli lächelt nun und diese kleinen Gesten von ihr lassen uns nicht ganz an ihrem derzeitigen Verhalten verzweifeln.

Das Thema ist zwar noch lange nicht geklärt, aber ich bin der Meinung, dass es langsam Zeit wird für heute einen Haken dahinter zu setzen. „Lasst uns essen“, sage ich, stell die Cola beiseite und klatsche in die Hände. „Ich habe einen Bärenhunger.“

***

Als wir gemeinsam am Tisch sitzen und essen, ist die Stimmung recht bedrückt. Jedoch bemerke ich, dass es nicht um die Auseinandersetzung mit Lilli in der Küche geht. Irgendein Gefühl tief in meinem Inneren sagt mir, dass es um etwas anderes geht. Aber um was, kann es mir leider nicht erklären. Die beklemmte Stimmung kommt nämlich nicht von Lilli, sondern von Petra.

Wenn ich ehrlich bin und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Entschluss, dass Petra schon seit einigen Wochen etwas verändert wirkt. Des Öfteren bemerke ich, dass sie sehr viel nachdenkt und manchmal gar nicht anwesend zu sein scheint. Aber ich kann mir keinen Reim daraus machen, woran es liegt. Und wenn ich noch ehrlicher bin, wollte ich sie die ganze Zeit auch nicht nach dem Grund fragen, weil ich einer Diskussion über irgendetwas aus dem Weg gehen wollte.

Aber jetzt … Es kann ja nicht ewig so weitergehen. Ein kleiner Gedanke schießt mir in den Sinn. Vielleicht sollte ich meine Frau einmal einpacken und für ein paar Tage mit ihr wegfahren. Wohin ist egal, irgendwohin, Hauptsache weg von dem ganzen Stress zu Hause. Uns beiden tut es mit Sicherheit einmal gut, wenn wir dem Alltag entfliehen können.