Das Dünenhaus - Ann-Kristin Vinterberg - E-Book

Das Dünenhaus E-Book

Ann-Kristin Vinterberg

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Beschreibung

Liebe, Verrat, Hoffnung und Verzeihen ... Eigentlich ist es ganz einfach: Folge deinem Herzen … Die Welt scheint für Vivian Sangild stillzustehen, als sie ihren Partner Morten in flagranti entdeckt. Um wieder zu sich zu kommen, zieht sich Vivian an das dänische Kattegat zurück, wo ihre Familie seit Generationen ein Sommerhaus besitzt. Dort holt sie ihre Vergangenheit aber auch eine unerreichbare Liebe ein. Ihr altes Leben in Berlin erscheint ihr sinnlos. Soll sie ihrem Herzen folgen und einen neuen Anfang in Dänemark wagen? Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse und die Idylle am Kattegat bekommt Risse. Jemand beobachtet und bedroht Vivian.

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Das Dünenhaus

Ann-Kristin Vinterberg

© 2020 Ann-Kristin Vinterberg (Eva Maria Nielsen)

Alle Rechte vorbehalten.

1. Auflage 2020 (Version 1.0)

Kollegievej 2, DK 2900 Charlottenlund

www.annkristinvinterberg.de

www.lektoratderrotefaden.de

Cover-Abbildung: © Andrea Gunschera

Korrektorat und eBook-Konvertierung: buchseitendesign by ira wundram, www.buchseiten-design.de

Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin möglich.

Die Personen und Handlungen im vorliegenden Werk sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Erwähnungen von historischen bzw. realen Ereignissen, realen Personen oder Orten sind rein fiktional.

Inhalt

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Über die Autorin

Romane von Ann-Kristin Vinterberg

Nachwort

Im Gedenken an

Maria, Elias, Johannes, Jonathan und Grazia.

Dankbar und traurig.

Unglücklich ist, wer nicht weiß, was lieben heißt.

Teresa von Jesus

1

Berlin-Lichtenrade, 28. Oktober

VIVIAN

Endlich! Vivian Sangild sank mit einem Seufzer auf den Rücksitz des Taxis und streifte die Pumps von den Füßen. Erleichtert wackelte sie mit den Zehen. Die Gläser ihrer Schildpattbrille beschlugen in der feuchten Wärme des Mercedes. Für Oktober war es empfindlich kalt; polnische Meteorologen hatten einen Jahrhundertwinter vorausgesagt. Vielleicht, so hoffte Vivian, während sie ihre eisigen Hände knetete, gab es dieses Jahr wenigstens weiße Weihnachten. So eine richtige Winterwunderwelt, mit knirschendem Schnee, Tannenbäumen, die sich unter dicken Hauben neigten. Wie würde sie das genießen!

Sie putzte ihre Brille, setzte sie wieder auf die Nase und sah aus dem Fenster. Geräuschlos glitt die Limousine durch die Straßen, an Lichtreklamen vorbei. Schneeregen funkelte im Scheinwerferlicht wie bunte Kristalle. Tropfen klammerten sich an die Scheibe, wurden schwerer und rutschten hinab. Mit der Hand folgte sie der Spur auf der Innenseite des Fensters, als wollte sie eine Karte entziffern.

Sie hatte einen Grund zu feiern. Nein, zwei, wenn sie ehrlich war. Die Reise nach Oslo hatte ihre Erwartungen bei Weitem übertroffen. Morten würde staunen. Und nach den anstrengenden Wochen konnte sie sich jetzt Urlaub gönnen. Aber heute Abend würden sie es sich einfach gemütlich machen; die Ruhe und einander genießen. Es war höchste Zeit, dass sie wieder in ihre Beziehung investierten. Leben war nicht nur Arbeit.

Sie strich über die vom Regen feuchte Plastiktüte. An alles hatte sie gedacht: Lachs, Kaviar und den hellen Myseost mit Sahne, mit der Farbe von gebranntem Zucker. Morten vergötterte diesen norwegischen Ziegenkäse, der wie Karamell auf der Zunge zerging. Vivian holte ihr Smartphone aus der Manteltasche und wählte Mortens Nummer. Sie wickelte eine tizianrote Locke, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte, um den Finger. Wartete. Schon wieder die Mailbox. Der Ärmste. Wahrscheinlich belagerte diese Galeristin ihn immer noch. Jahrelang hatte er darauf hingearbeitet, in einer renommierten Galerie seine Bilder ausstellen zu dürfen, und nun bestimmte Katarina Dombrowski sein Leben.

Morten, Liebster, äffte Vivian lautlos die Galeriechefin nach, die seit Wochen den Rhythmus ihres Alltags bestimmte. Könntest du vielleicht noch mal kurz kommen …

Nächtelang arbeitete er durch und kam nicht einmal zum Schlafen nach Hause, jetzt so kurz vor der Vernissage. Aber das hatte bald ein Ende. Vielleicht sollten sie sich einen Kurzurlaub gönnen? Nach Mailand oder Rom? Oder an das Kattegat?

„Is’ zeitich kalt jeworden …“ Der Fahrer, ein stiernackiger Mittfünfziger, suchte ihren Blick im Rückspiegel und bremste sachte vor einer Ampel ab.

Vivian nickte. „Ja, richtiges Kakaowetter ist das.“

„Schietwetter.“ Der Chauffeur grinste und fuhr wieder los.

Schietwetter hin oder her, es war genau das richtige Wetter für einen gemütlichen Abend zu zweit. Schließlich war heute so was wie ihr Hochzeitstag. Es war der Tag, an dem sie ein Paar geworden waren. Wenn Morten doch nicht so vehement Ehe und Kinder, einfach alles, was sie sich insgeheim immer gewünscht hatte, als den unzeitgemäßen Stress der Mittelklasse abschreiben würde.

Schläfrig blinzelte sie aus dem Fenster. Das Taxi passierte die Trabrennbahn Mariendorf und bog kurz darauf in die Lintruper Straße ein. Das Kopfsteinpflaster rüttelte Vivian durch.

„So, da sind wa. Uf’m Land, da wollten’se ja hin, wa?“ Der bullige Fahrer bremste vor einer zweistöckigen Villa aus der Jahrhundertwende. Vivian schaute hoch. Die Badezimmerfenster waren hell erleuchtet. Vielleicht lag Morten schon im Whirlpool? Dann musste sie das Abendprogramm noch kurzfristig ändern. Sie spürte ein erwartungsvolles Ziehen im Unterleib. Schnell drückte sie dem Fahrer einige Scheine in die Hand. „Ist gut so.“

„Ich saje denn ma’ nett danke und wünsche ’n scheenen Abend.“

Vivian stieg aus, hob die Kapuze über den Kopf und beobachtete, wie der Fahrer den Rollenkoffer aus dem Kofferraum hob. Er nickte ihr noch einmal zu. Vivian atmete tief ein. Kein Vergleich mit der kühlen Luft in Oslo, sondern modrig feucht roch es, fast wie auf dem Land. Herbst. Die kahlen Äste der Bäume ragten in den Himmel, als wollten sie ins Unendliche greifen. Der Herbst machte Vivian immer wehmütig, erinnerte sie daran, dass alles ein Ende hatte. Sie wandte sich ab, und ihr Blick fiel auf den Porsche, der neben Mortens Peugeot parkte. Irritiert furchte sie die Stirn. War das nicht Katarinas Wagen? Die fuhr doch auch Porsche … Verfolgte sie Morten nun schon bis in ihr Zuhause? Oder hatte die Nachbarin Besuch? Aber so ein Auto fuhr ja nicht jeder, schon gar nicht in diesem Viertel, wo Familien mit Kindern lebten. Lichtenrade war trotz allem nicht der Wannsee. Wahrscheinlich nur ein blöder Zufall.

Leise summend zerrte Vivian den Rollenkoffer die Stufen zur Haustür hoch. Sie fischte den Schlüssel aus der Manteltasche und schloss die Tür auf. Im Treppenhaus duftete es verführerisch nach frisch gebackenem Brot. Aus der Parterrewohnung schimmerte Licht durch die gesprungene Milchglasscheibe. Vivian streifte die feuchten Pumps ab und tapste die Holztreppe hinauf. Sachte knarrten die Stufen unter ihren Schritten. Vor Wiedersehensfreude hämmerte ihr Herz, doch sie entspannte sich, als aus der Wohnung Jazz drang. Morten würde sie nicht hören. Sie konnte so viel Lärm machen, wie sie wollte, und würde ihn trotzdem überraschen.

Mit dem Fuß stieß sie die Wohnungstür hinter sich zu. Der Flur lag in gedämpftem Licht. Sie ließ den Koffer stehen, legte den Hausschlüssel unter den Spiegel neben der Garderobe. Als sie die Küchentür öffnete, um die Einkäufe in den Kühlschrank zu legen, blieb sie einen Augenblick stehen. Auf dem Herd köchelte etwas Aromatisches. Sie schnupperte und sofort grummelte ihr Magen. Basilikum und Tomaten. Sie hob den Deckel von der Kasserolle und lächelte zufrieden. Minestrone. Ihre Lieblingssuppe. Der Tisch war gedeckt. Zwei Teller und Weingläser.

Ihre Hände wurden nass. Gegen ihre Rippen hämmerte ihr Herz. Sie schlich ins Wohnzimmer. Der Schein der Straßenlampe fiel durch die vom Wind bewegten Äste der Magnolie im Vorgarten und warf tanzende Schatten auf den Boden. Immer noch wummerte die Musik, wurde mit jedem Schritt lauter. Ihr Fuß verfing sich in etwas Weichem, sie stolperte, bückte sich und hielt einen Kaschmirschal in der Hand. Eiskalt rannte es Vivians Rücken herunter. Sie stieß die Tür zum Schlafzimmer auf. Dort war es taghell, gleißendes Licht enthüllte die Wahrheit. Ihr Mund dörrte aus wie ein Flussbett in der Trockenzeit.

Der Futon war zerwühlt. Ein Hemd lag auf dem Boden, dicht daneben eine Hose und ein Seidentanga. Dieser Mistkerl!

Entschlossen riss sie die Badezimmertür auf. Ein Lichtermeer von Kerzen warf einen Schimmer über schwarze Haare. Vivian erstarrte; doch dann sprang die Wut sie an wie ein wildes Tier, und genau in diesem Moment tauchte Morten aus dem Schaum auf, voller Leidenschaft sah er Katarina an. Katarina Dombrowski drehte sich um und starrte Vivian an.

MORTEN

Die Welt hielt still. Morten glaubte zu träumen. Nur dass sich sein Leben gerade zu einem Alptraum entwickelte. Vivian war durch die Badezimmertür gestürmt, starrte ihn an, als er aus dem Schaum auftauchte, und ihre Augen funkelten verdächtig.

Scheiße, was passierte hier? Sie sollte doch erst morgen kommen? Warum war sie hier? Tausend Bilder schossen durch seinen Kopf; die Erregung, die noch vor wenigen Minuten durch seinen Körper pulsiert war, löste sich auf. Wie ein Ballon, der platzte. Das hier musste er ihr erklären. Aber was sollte er ihr bloß sagen? Wahrscheinlich gab es dafür keine richtigen Worte.

„Mistkerl!“, zischte sie, wirbelte herum zur Tür.

„Warte“, schrie er. „Es ist nicht, wie du denkst!“

Vivian rannte aus dem Badezimmer, pfefferte die Tür ins Schloss, sodass die Scheiben klirrten. So ein verdammter Mist aber auch. Katarina hätte niemals hierherkommen dürfen. Zumindest nicht in diesem Aufzug. Ohne einen Fitzel Kleidung am Körper. Plötzlich kam ihm sein Leben wie eine billige Hollywoodsoap vor. Und sein Sprechereinsatz war nicht einen Deut besser. Es ist nicht so, wie du denkst. Herrgott, fiel ihm wirklich nichts Besseres ein?

„Da bin ich aber gespannt, was du ihr sagen willst …“ Katarina grinste und nahm das Glas mit dem goldenen Riesling, der neben dem Wannenrand stand, in die Hand.

Die Haustür schepperte. Er sprang auf, Wasser schwappte in einer Kaskade über den Wannenrand. „Fuck, sie ist weg.“

Katarina schwieg, nippte an ihrem Wein und beobachtete ihn. Ihren Fuß legte sie auf den Wannenrand. Sie hatte ja auch keine Sorgen, konnte sich durch alle Betten vögeln, wenn sie wollte, dachte er wütend. Auf Katarina wartete keine angeschissene Partnerin. Er griff nach dem Handtuch und schlang es sich um die Hüfte.

„Ich muss sie noch erwischen“, schrie er und sprang nach vorn, rutschte und ruderte mit den Armen. Mist, das Wasser verwandelte die Fliesen in eine Gleitbahn. Fast wäre er gestürzt.

Er hechtete aus dem Badezimmer. Wie hatte das nur schief gehen können? Vivian würde ihn lynchen, da war er sich sicher. Warum zum Teufel hatte er Katarina mit in seine Wohnung genommen? In Vivians Wohnung, wohlgemerkt. Verdammt, er war ein Idiot.

VIVIAN

Der Schlüssel kratzte über den Lack. Vivian spurtete um den Porsche. Schmerz pochte hinter ihren Schläfen. Rot wie Hass. Rot wie Blut. Rot wie Leidenschaft. Tränen verschleierten ihren Blick, als sie die Spitze wieder und wieder in die Lackierung bohrte und über die glatte Fläche zog. Es gab Grenzen im Leben, die anständige Menschen einfach nicht überschritten. Verdammt noch mal! Männer sind wie Tiere! Dachten sie auch einmal an etwas anderes als an Sex?

Vivian hastete zu ihrem Auto und schloss mit fahrigen Händen die Tür auf. Sie warf den Rollenkoffer und ihre Handtasche auf den Rücksitz und sank in das Polster. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Nase und schob sich die Brille ins Haar. Tränen verschleierten ihren Blick. Als sie den Schlüssel ins Zündschloss stecken wollte, zitterten ihre Finger so sehr, dass sie ihn nicht in die Öffnung bekam. Wie wild stocherte sie neben dem Lenkrad herum.

Ehrlich! Was sollte der Scheiß?

Sie versuchte es wieder, aber diesmal landete der Autoschlüssel auf dem Boden. Ein Auto fuhr vorbei, der Lichtstrahl gab ihr Orientierung. Sie fummelte mit der freien Hand neben ihren Schuhen und tastete mit den Fingerspitzen die raue Oberfläche der Fußmatte ab. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie die Haustür sich öffnete, und eine Lichtbahn in die Dunkelheit fiel.

Morten! Wagte er es wirklich, ihr hinterherzurennen? Ihr alles zu erklären? Was wollte er ihr bitte schön erklären? Er hatte sie doch mit nackten Tatsachen konfrontiert. Zu sagen gab es da nichts mehr. Wie konnte er ihr jetzt unter die Augen treten? Sie sah, dass er das Handtuch um seine Lenden raffte und die Stufen hinuntersprang. Der hatte Nerven! Halbnackt durch die Kälte zu rennen. Hoffentlich fror er sich sein kostbarstes Stück ab!

Da, endlich fand sie den Schlüssel. Sie presste die Finger so hart um den Bund, dass sich die Spitze eines anderen Schlüssels in ihre Handfläche bohrte. Wieder linste sie über das Lenkrad hinüber zum Vorgarten, wo Morten sich das Badetuch fester verknotete, und behielt ihn im Blick. Sie ertastete mit dem linken Daumen die Öffnung des Schlüssellochs. Endlich glitt der Schlüssel ins Schloss. Sie drehte ihn um, der Motor schnurrte und kurz darauf schoss sie rückwärts aus der Parklücke. Morten stürmte auf sie zu und winkte heftig. Sie riss das Lenkrad herum, wich ihm aus, aber er rannte weiter bis auf die Straße.

Vivian legte den ersten Gang ein. Morten stand mitten auf der Fahrbahn. Diese Schweinebacke! Sie hupte, doch er wich keinen Schritt zurück. Glaubte er im Ernst, dass sie Bock hatte, sich sein testosterongesteuertes Gewäsch anzuhören? Oder irgendwelche hirntoten Ausreden? Was sie gesehen hatte, war mehr als genug. Dieser Mistkerl … Sie würde ihm zeigen, was sie wollte: Weg, einfach nur weg von ihm. Und ihm am liebsten jeden einzelnen Knochen brechen. Wenn er sich nicht bald von der Straße bewegen würde, würde sie genau das tun.

Mit der geballten Faust hämmerte sie auf die Hupe und gab Gas. Der Peugeot hüpfte, und der Motor sackte ab, als ob ihm die Stimme versagte. Mist. Mist. Mist. Sie hatte den Wagen abgewürgt. Noch einmal drehte sie den Zündschlüssel, das Auto schnurrte wie eine zufriedene Katze. Als sie aus dem Fenster schaute, schüttelte Morten belustigt den Kopf.

Wut loderte in ihr auf. Dieser Affe, was erlaubte er sich? Es reichte! Sie würde jetzt fahren, egal, ob er dort Wurzeln schlug oder nicht. Sollte er doch um sein Leben rennen, wenn sie kam. Vivian trat die Kupplung, hupte und drückte das Gaspedal durch. Der Wagen schoss nach vorn. Morten sprang mit einem Satz auf den Bürgersteig, strauchelte rücklings und ruderte hilflos mit den Armen, während sie an ihm vorbeischoss. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, raste sie über das holprige Kopfsteinpflaster. Die Brille rutschte über ihre Stirn auf die Nase.

Wie ging es jetzt weiter? Auf jeden Fall ohne ihn. Mit Morten hatte sie abgeschlossen. In der Eile hatte sie nur Handtasche und Koffer mitgenommen. Sie musste abhauen. Weg von Berlin. Auch wenn die Wohnung ihr gehörte und sie ihn hätte rausschmeißen sollen. Das würde sie später machen. Jetzt musste sie weg von Morten. Wenn sie doch nur diesen Tag wie eine unliebsame Datei im Textverarbeitungsprogramm löschen könnte. Markieren und löschen. 28. Oktober. Delete.

MORTEN

Morten stützte sich auf den Ellbogen und stöhnte. Die Rücklichter des Peugeots wurden winziger, bis die Dunkelheit sie gänzlich verschluckte. Vivian war weg! Beinahe hätte sie ihn wie eine wilde Furie über den Haufen gefahren. Sein Lid zuckte nervös.

Ein Hund kläffte. Schritte näherten sich und ein quirliger Mops, ein Fußvorleger mit eingedrückter Nase, tauchte vor ihm auf, spreizte die Pfoten und bellte ihm ins Gesicht. Fauliger Hundeatem. Morten runzelte die Nase angewidert und wich zurück. Ein paar robuste Schnürschuhe traten in sein Sichtfeld. Mortens Augen wanderten über die dazugehörenden Storchenbeine, bis er ins Gesicht einer rüstigen Alten sah. Ihre Haut war runzelig wie eine verschrumpelte Rosine. Die zusammengekniffenen Augen sprühten Funken.

„Ham’ Se eejentlich ja keene Scham im Leibe, Mensch? Nackig uff de Straße?“ Der runde Teppichvorleger zerrte aufgebracht an der Leine. „Sind’ Se etwa eener von diesen miesen Kinderschändern?“

„Was?“ Morten funkelte die Alte entgeistert an. Was war das denn für eine Schrulle? „Sind Sie noch bei Trost?“

Sie zeigte mit dem Spazierstock auf ihn. Er folgte der Spitze des Stocks mit den Augen. Das Handtuch hatte sich im Sturz geöffnet und enthüllte seine Scham. Er wollte sich aufrappeln, aber als er sein Gewicht verlagerte, schoss ein stechender Schmerz durch seinen Fuß.

„Fucking bullshit! Jetzt habe ich mir auch noch den Fuß verstaucht.“

„Nee, det is ja wohl nich’ wahr, wat?“ Ihr Mops knurrte und zerrte weiter an der Leine.

„Kümmern Sie sich gefälligst um Ihren Köter, und lassen Sie mich in Frieden, verstanden?“

Morten hievte sich hoch, er schlotterte vor Kälte. Zitternd humpelte er durch das Gartentor und weiter bis zur Treppe. Regentropfen, kalt wie Eis, attackierten ihn. Um seinen Fuß nicht zu belasten, zog er sein Bein hinter sich her. Langsam stieg er die Stufen hoch. Erst setzte er den rechten Fuß auf den Absatz und platzierte dann den linken daneben. Krachend fiel die Haustür hinter ihm zu. Der Geruch frisch gebackenen Brotes. Dort war die heile Welt noch vorhanden, dachte er grimmig, als er die Tür der Parterrewohnung passierte. Bibbernd schlang er die Arme um sich. So eine Rutschfahrt der Gefühle, aus dem warmen wohligen Wasser in diese kalte Welt. Er atmete tief ein und hangelte sich mehr oder weniger elegant hinauf in den ersten Stock.

Er war die größte Flasche Berlins! Warum zum Teufel hatte er Katarina mit in die Wohnung genommen? In Vivians Wohnung? Sie hätten sich überall treffen können. Jetzt war es geschehen, nur weil er sich zu sicher gefühlt hatte.

Oben angekommen, stieß er die Luft aus und schloss die Wohnungstür hinter sich zu. Er angelte eine Fleecejacke, die er zum Joggen trug, und zog sie über. Bei jedem Schritt schoss ein stechender Schmerz durch seine Fessel. Shit, nächste Woche war die Eröffnung und bis dahin musste er wieder in Form sein.

„Du hast sie nicht zu fassen gekriegt, mon ami?“, rief Katarina. Sie hatte die Musik abgestellt.

„Sie ist abgehauen. Einfach weg.“ Er humpelte ins Wohnzimmer und blickte aus dem Fenster. Von hinten trat Katarina zu ihm. Er spürte ihren warmen Atem durch die Jacke auf seinem Rücken. Alleine ihre Nähe sorgte dafür, dass er an nichts anderes denken konnte, als sie wieder zu schmecken. Katarina war offen für alle Sexspiele, die er sich wünschte. Sie waren ein gutes Team. Im Bett. „Wir hätten nicht hierherkommen dürfen, Katarina.“

„Lentement, sachte, sie beruhigt sich wieder. Es geht doch nur um Sex, guten Sex und nicht mehr.“ Ihre Fingerkuppen massierten seine verspannten Schultern.

„Nein“, knurrte er. „Das hier verzeiht sie mir niemals.“

„Wenn du ein gefeierter Maler bist, wird sie heute Abend schnell ad acta legen. Flunker ihr was vor. Sag ihr, dass du zu viel gebechert hast. Kriech auf deinen Knien zu ihr, und sei ein zerknirschter Casanova, dann kriegt sie sich wieder ein.“ Sie trat zu ihm, ihre Finger schlüpften unter die Jacke und strichen über seinen Rücken. Morten stöhnte gegen seinen Willen lustvoll.

„Vivian nicht. Sie hat mich schon geliebt, als ich ein Niemand war, Katarina, und sie wird mich ganz sicher nicht lieben, nur weil ich für andere ein Jemand bin.“

Katarina zog ihm die Jacke von den Schultern und tupfte sanfte Küsse auf seinen Rücken, strich mit der Zunge über seine Wirbelsäule. Die Arme hatte sie um seinen Brustkorb geschlungen, und ihre Finger wanderten abwärts.

„Lass mich. Ich muss das wieder in Ordnung bringen.“ Er schloss die Augen, biss sich auf die Lippen und umklammerte ihre Hände.

„Bien sûr, natürlich wirst du das in Ordnung bringen. Sie wird dir verzeihen. Und weißt du, warum?“

Er schüttelte den Kopf, hatte keine Lust, die Sache länger zu diskutieren.

„La petite braucht dich. Liebe macht schwach.“

„Da bin ich mir nicht mehr so sicher“, murmelte er. „Früher vielleicht, ja, da hat sie mich gebraucht. Aber jetzt …“ Er pflückte Katarinas besitzergreifende Hände, die ihm jeden klaren Gedanken aus dem Kopf zogen, von seinem Bauch und drehte sich zu ihr um. Katarina stand nackt vor ihm, und obwohl sie schon auf die fünfzig zuging, sah sie noch immer blendend aus. Sie war genauso herrschsüchtig wie die russische Zarin, nach der ihr Vater sie benannt hatte, aber das leugnete sie lieber. Katarina pochte auf ihre französischen Wurzeln. Mütterlicherseits. Da hatte es einige Hugenotten gegeben, die in Preußen unter dem Alten Fritz Asyl gefunden hatten. Trotzdem war Katarina frankophil bis in die Fingerspitzen.

Er schloss die Augen. Bei diesem Anblick konnte er sich nicht konzentrieren. Seine Gedanken stoben auf wie Spatzen, die auf einen Baum fliegen wollten. Verzweifelt massierte er sich die Schläfen. „Ich muss Vivian erreichen.“

„Dann rufe sie an.“

„Das werde ich auch machen.“

Er humpelte zum Sofa, hob Kissen hoch und warf den schwarzen Kaschmirschal auf den Stuhl. „Wo ist mein Smartphone? Hast du es gesehen?“

„Beim Eingang.“ Katarina nahm Streichhölzer vom Tisch und zündete sich eine Gauloise an.

Morten hinkte auf den Flur, entdeckte das Smartphone auf dem Tisch bei der Garderobe und schnappte es sich. Er drückte Vivians gespeicherte Nummer und schlich zurück ins Wohnzimmer. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf den Tisch.

„Scheiße, sie nimmt nicht ab … “ Er schleuderte das Gerät aufs Sofa.

Katarina schnippte die Asche in einen Blumentopf und stemmte die andere Hand auf die Hüfte. Ihre Brustwarzen schimmerten rosig. „Lass sie drüber schlafen. Morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus.“

„Warum ist sie überhaupt hier aufgetaucht? Sie sollte gar nicht hier sein, sondern in Oslo“, sagte er, ohne eine Antwort zu erwarten. Die Antwort kannte niemand hier im Raum, nur Vivian, aber die war fort.

Die Zigarette glomm auf. Katarina blies den Rauch aus. Im Schein der Straßenlampe wirkte ihr Körper noch trainierter. Wärme schoss in seine Lenden. O nein, nicht jetzt. Er war ihr hilflos ausgeliefert. Katarina begehrte er so sehr, wie er schon lange keine Frau mehr begehrt hatte.

„Sie hat dich offensichtlich mehr vermisst, als du sie, mon ami. Aber verlieren will sie dich nicht. Ich weiß, wie wir Frauen ticken. Und wenn alles gutgeht, können wir uns immer noch sehen.“

Er sog die Luft tief ein. „Du verstehst gar nichts, Katarina.“ Mortens Auge zuckte nervös. „Vivian ist nicht wie du.“

„O, là, là, und deswegen kannst du die Finger nicht von mir lassen.“ Sie lächelte martialisch. Sofort wurde er steif.

„Ich mein ja nur …“ Er schluckte, als Katarina die Zigarette wieder in den Mund steckte und saugte. Nur ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Wenn sie ihre weichen Lippen um seinen Penis schließen und ihn verwöhnen würde. Ihre Brust hob sich. Er leckte sich über die Lippen, schüttelte den Kopf, um wieder klar zu denken. „Vivian ist keine Frau für Dreiecksbeziehungen. Sie hat Prinzipien.“

„Prinzipien? Wie öde. Kein Wunder, dass du bei mir gelandet bist.“ Katarina warf den Kopf in den Nacken und blies Rauch aus. „Ich rede von einer offenen Beziehung.“

„Für Vivian ist das aber Untreue.“

Katarina legte die Zigarette in den Aschenbecher, schlenderte auf ihn zu. Sie stand so nah vor ihm, dass er ihre harten Nippel sehen konnte. Die alabasterweiße Haut leuchtete. Er liebkoste das Muttermal auf ihrer rechten Wange. Sie hielt seinem Blick stand, lächelte lasziv, ging vor ihm auf die Knie und warf das Badetuch, das er sich um die Hüften geschlungen hatte, auf das Parkett. „Lass uns die verbleibende Zeit nutzen.“

2

Kattegat, Dänemark, 29. Oktober

VIVIAN

Das Telefon klingelte und riss Vivian aus dem Schlaf. Sie blinzelte. Durch die Dachschräge über ihrem Bett fiel Licht. Wo war sie? Ihr Blick glitt durch das Zimmer über die weiß gemalte Holzverkleidung, den gemütlichen Schaukelstuhl unter der Dachschräge. Sofort holte die Erinnerung sie ein und mit ihr kam der Schmerz. Unbändige Wut. Morten und Katarina.

Sie stöhnte. Wieder klingelte das Telefon, schrill und unbarmherzig. Schlaftrunken wühlte sie sich aus den Kissenbergen. Am frühen Morgen war sie im Dünenhaus angekommen. Kein Wunder, dass sie sich gerädert fühlte. Zuletzt hatte sie kaum mehr die Augen offen halten können. Trotzdem war sie immer weiter in den Norden gefahren, getrieben von Wut und Enttäuschung wollte sie nur eins: weg aus Berlin. Fort von Morten und dieser frankophilen Kuh. Sie brauchte definitiv Abstand, und da war ihr in ihrer Panik nur ein Ort eingefallen.

Das Dünenhaus, die Oase ihrer Kindheit.

Dort, am dänischen Kattegat, hatte sie fast jedes Wochenende mit ihren Eltern im Haus unter dem Reetdach verbracht. Als sie sich im Bett aufrichtete und die in hellen Tönen eingerichtete Mansarde betrachtete, wusste sie, dass es richtig gewesen war, hierher zu fahren. Gestern, sobald die Scheinwerfer das Reethaus in gelbes Licht tauchten, hatte sie sich sofort geborgen gefühlt. Sie war wieder daheim. Noch einmal schrillte das Telefon. Sie angelte das Smartphone vom Nachttisch.

„Bist du gut angekommen?“

Vivian richtete sich auf und schob sich ein Kissen hinter den Rücken. Monas dunkle Stimme, warm wie ein Bass, bedeutete auch Heimat und hüllte Vivian wie in eine kuschelige Decke. Sie schloss die Augen, versuchte, den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. Aber der gedieh wie ein Hefeteig und blähte sich auf, bis er ihr fast die Luft raubte.

„Mona!“, krächzte sie und räusperte sich. „Ja, das bin ich. Danke, dass du die Heizung angemacht hast.“

„Schon gut. Wie lange bleibst du? Ich hoffe, wir haben ein paar Tage miteinander.“

„Ich weiß es noch nicht.“ Vivian war übel, und sie fühlte sich leer. Sie strich mit den Händen über die Bettdecke. Mein Gott, würde es nun immer so sein? Wie konnten alle ihre Träume einfach ausgelöscht werden? Sie kniff die Augen zusammen, um die Tränen wegzudrücken.

„Bist du noch dran?“

„Entschuldige, ich bin noch nicht richtig wach.“

„Was ist los, Prinzessin?“ Mona klang alarmiert. „Warum bist du hier? Ist alles mit dir in Ordnung?“

„Ich brauche eine Auszeit.“ Tränen der Wut brannten hinter ihren Augen.

„Warum das denn? Bist du krank? Bei deinem Job würde mich das nicht überraschen.“

„Nein, nein …“, stammelte sie. „Das ist es nicht … Ich …“

„Mhm“, brummte Mona und schwieg. Das war äußerst selten. Meistens konnte sie die Unterhaltung allein bestreiten. „Weißt du was? Ich hole Brötchen. Dann reden wir beim Frühstück. Du solltest jetzt nicht allein sein.“

Ehe Vivian protestieren konnte, brach die Verbindung ab. Vivian taumelte barfuß ins Bad. Sie krümmte die Zehen, so sehr fröstelte es sie auf den eisigen Fliesen, und ein Schauder zuckte durch ihren Körper. Sie sah in den Spiegel und seufzte resigniert. Blasse Haut, übersät mit Myriaden von Sommersprossen, zerbissene Lippen und eine steile Falte zwischen den Augenbrauen. „Katzenaugen“, so hatte Morten ihre schrägen Augen, lindgrün mit einem goldenen Ring um die Iris, genannt. Wann hatte er das zum letzten Mal getan? Sie erinnerte sich nicht mehr. Aus dem Spiegel starrte sie eine Fremde an, mit glanzlosen Augen wie marmorierte Kieselsteine. Galle brannte in ihrem Hals. Sie stürzte zur Toilette und entleerte den Magen.

Nachdem sie den Mund ausgespült hatte, kletterte sie in die Wanne und duschte. Dampfschwaden waberten um sie herum. Der Spiegel beschlug. Vivian setzte sich auf den Wannenboden und ließ das Wasser auf sich prasseln. Die Bilder des gestrigen Tages wegschwemmen, das wollte sie. Weinend zog sie die Knie an die Brust und barg das Gesicht in den Händen.

MORTEN

„Ich muss los,mon ami.“ Katarina leerte die Kaffeetasse und schlüpfte in ihre Lederjacke.

„Jetzt schon?“

„Ja, jetzt schon.“ Sie lachte und zog den Reißverschluss ihrer Lederjacke hoch. „Jemand muss sich um das Bruttoinlandsprodukt kümmern.“

„Und ich dachte, du kümmerst dich als Galeriebesitzerin um Kunst“, versuchte er zu scherzen, aber es gelang ihm nicht. Er hatte Vivian immer noch nicht erreicht, und das machte ihn wahnsinnig. Wahrscheinlich würde er heute nicht besonders produktiv sein.

„Das eine schließt das andere wohl kaum aus.“

„Können wir das heute nicht gemeinsam machen?“ Er schlang die Arme um sie und saugte den Duft ihres Parfüms ein, eine Sommermischung voller zarter Blüten. Wahrscheinlich Chanel oder Dior.

„Morten“, sie löste sich aus seiner Umarmung. „Noch müssen die letzten Dinge mit deiner Ausstellung geklärt werden und dann habe ich einige Termine. Und du hast auch genug zu tun. Bring die Sache mit Vivian in Ordnung. Das bist du ihr und dir selbst schuldig. Danach kümmerst du dich um deinen Job. Und erst danach um mich.“

„So ist die Reihenfolge?“

„Ja, so ist die Reihenfolge und nicht anders.“

„Na klar, das hatte ich sowieso vor.“ Er hob die Arme über den Kopf und streckte sich. „Ich rufe Vivian an. Wenn sie überhaupt mit mir sprechen will.“ Auch ohne sie zu fragen, wusste er, dass er ihre Beziehung kaum mehr retten konnte. Jetzt blieb ihm nur Katarina, aber sie war keine Frau, die eine Bindung einging. Aber vielleicht konnte er seine Karten trotzdem geschickt platzieren. Katarina stand auf Männer jüngeren Datums. Er war nicht der Typ, um allein zu leben. Das war das einzig Wahre, was er jemals in der Bibel gelesen hatte. Der Mensch war dazu geschaffen, mit einem Partner sein Leben zu teilen.

„Mach das. Es geht dir doch auch um Geld und nicht nur um Liebe, oder?“

„Also wirklich, Katarina“, protestierte er. „Vivian hat unglaublich viel Geld geerbt. Alles das hier gehört ihr …“ Er breitete die Arme aus und drehte sich rum. „Aber darum geht es nicht primär. Es geht um unsere Beziehung.“ Die ich gerade in den Sand manövriert habe, grübelte er erbost über so viel Dummheit. Er war sonst immer so vorsichtig. Warum zum Teufel war ihm das passiert?

„Ich will dir mal was sagen.“ Katarina zupfte einige Strähnen zurecht. „Falls du Ärger bekommst und hier raus musst, wohnst du vorübergehend bei mir.“

Wow, das war mehr, als er zu träumen gewagt hatte, und doch zu wenig. „Vorübergehend?“

Sie klang gereizt. „Natürlich vorübergehend. Oder hast du etwas anderes erwartet?“

„Ja, wenn ich ehrlich bin.“

„O mon Dieu“, stöhnte Katarina theatralisch. „Vorübergehend. So war das immer abgemacht. Ich mache das auch nur, weil ich schon als Kind ein Herz für herrenlose Katzen hatte.“

„Katarina …“, protestierte Morten. „Ich weiß, was wir abgemacht haben. Nur Sex, keine Verpflichtungen. Trotzdem frage ich dich: Warum nur vorübergehend? Wir sind doch füreinander geschaffen! Oder habe ich mich heute Nacht getäuscht?“

Sie angelte ihre Tasche vom Boden und lächelte lasziv. „Wir passen gut zusammen, ja, und das war auch unsere Absprache. Sex ohne Verpflichtung. Wir haben Spaß miteinander, und deshalb brauchen wir nicht wie Kletten aneinanderzuhängen. So ein Arrangement ist viel zu klebrig. Das ist nichts für mich. Ich brauche meine Freiheit, meine Unabhängigkeit.“ Sie fingerte in der Brusttasche ihrer Jacke und nahm eine Schachtel Zigaretten heraus. Dann zündete sie sich eine Gauloise an. Sofort sprangen seine Gedanken wieder zwölf Stunden zurück, als sie ihn mit ihren Lippen verwöhnt hatte.

„Ich dachte …“ Er humpelte einen Schritt auf sie zu, doch als er die Arme nach ihr ausstreckte, schüttelte sie den Kopf. „Katarina, ich muss dir was gestehen. Ich habe mich trotzdem in dich verliebt. Das ist einfach passiert. Man kann seine Gefühle nicht dirigieren.“

Sie spitzte die Lippen und stieß eine Rauchwolke aus. „Fini, genug für heute, Morten, ich bin froh, wenn ich heil die Treppe runterkomme, so wund bin ich von letzter Nacht. Aber Liebe ist das nicht, sondern Leidenschaft. Und davon hast du mehr als genug. Nur Liebe, die hast du nicht. Warum sollte die plötzlich nach letzter Nacht in dein Leben getreten sein?“

„Nicht erst letzte Nacht“, protestierte er empört. „Ich fühle das schon länger.“

Katarina schüttelte den Kopf, inhalierte tief und nahm den letzten Zug. Dann drückte sie die Zigarette aus. „Morten, bitte langweile mich nicht. Wenn ich mir so was anhöre, habe ich das Gefühl, einen seichten Roman zu inhalieren.“

Und du spielst die Nebenrolle in dieser Schnulze, dachte er erbost, auch wenn du Schmachtromane und romantische Filme, wie Vivian sie liebt, verachtest. Er rang sich ein Lächeln ab, fürchtete aber, das es verrutschte. „Sehen wir uns heute Abend?“

„Das kann ich jetzt noch nicht sagen“, erwiderte sie. „Ruf mich später an. Ich weiß nicht, was mich im Büro erwartet.“

„Aber ich kann nicht ohne dich sein. Nicht nach dieser Nacht.“

Sie kramte ihren Schlüssel aus der Tasche. „Male, mon ami, tob dich auf der Leinwand aus. Verewige deine Gefühle in Farben. Nach der Ausstellung wirst du genug Anfragen bekommen, und dann brauchst du Bilder. Umso mehr du jetzt davon produzierst, umso besser. Also bereite dich schon auf die Nachfrage vor. Schmerz und Sehnsucht – die großen Gefühle – sind bekanntlich die besten Musen.“

Morten nahm ihre freie Hand. Er musste dafür sorgen, dass sie sich die Abende ohne ihn nicht mehr vorstellen konnte. Noch besser: das Leben überhaupt. „Ich werde jede Minute malen. Aber wir sehen uns? Ja? Heute Abend.“

„Natürlich sehen wir uns“, sagte sie. „Hast du etwa vergessen, dass wir zusammenarbeiten?“

„Mehr nicht? Katarina, ich werde nicht schlau aus dir. Was ist mit uns?“ Er spürte selbst, dass er sich kläglich anhörte. Aber er wollte nicht nur ihre jugendliche Eroberung sein, mit der sie vor ihren Freundinnen glänzen konnte, oder ihr Betthase. Plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, ob er den angestrebten Platz in ihrem Leben bekommen konnte. Vivian hatte er verloren, da gab es keinen Zweifel. Katarina wollte ihn wahrscheinlich nicht auf Dauer.

„Was mit uns ist? Was ich will?“ Katarina schüttelte den Kopf und signalisierte ihm deutlich, was sie von so viel Dummheit hielt. „Ganz einfach, Morten. Ich will Bilder verkaufen, Spaß haben, das süße Leben genießen. Und du? Was willst du? Eine Geliebte? Eine Mutter? Eine Frau, die dich versorgt? Die brauchst du nicht mehr. Nach der Ausstellung kannst du ohne Vivians Geld leben. Trotzdem glaube ich, dass sie dich mit Kusshand zurücknimmt, wenn du ihr die richtige Geschichte erzählst. Ich will auf keinen Fall eine Beziehung.“

„Ich will auch Bilder verkaufen, und … noch so viel mehr.“ In einem verzweifelten Versuch, den Abgrund zwischen ihnen zu überwinden, umarmte er sie wieder, doch sie wies ihn sichtlich verärgert zurück.

„Ich habe Nein gesagt, du Testosteronbündel. Bin ich nicht deutlich genug?“

Ja, du bist deutlich genug, so deutlich, dass es schmerzt. Ein Gefühl, das er nicht kannte. Abgewählt. Verlassen. Ob Vivian ähnlich gefühlt hatte?

„Bis dann.“ Sie wandte sich zum Flur, ohne ihn eines Blickes zu würdigen oder noch einmal zu küssen. Er hatte es gründlich vermasselt. Was würde dieser Tag noch bringen, wenn er so früh am Morgen schon die erste Katastrophe servierte?

„Gut, dann bring ich dich jetzt runter.“

Morten schlüpfte in die Lederschuhe, die er in Berlin Mitte für ein kleines Vermögen erstanden hatte, und riss beim Herausgehen seinen Kaschmirmantel vom Haken. Katarina war schon auf der Treppe. Er hatte Angst, alles falsch gemacht zu haben. Mit einem lauten Knall schnappte die Haustür hinter ihm ins Schloss. Nur mit Mühe konnte er Katarina folgen. Sein Fuß pochte noch immer. Er versuchte, ihn nicht zu belasten, aber das war schwer, wenn er mit ihr mithalten wollte. Draußen atmete er tief ein. Die Luft war klar, schwanger mit dem Geruch feuchter Erde und modriger Blätter. Sein Atem kondensierte. Er knöpfte den Mantel zu und folgte dem Kies bis zur Gartentür.

„Was ist das denn?“ Fassungslos sank Katarina in die Hocke und strich mit dem Daumen über die Kratzspuren auf dem Porsche. Neben der Fahrertür waren tiefe Kerben.

„Vandalismus, da hatte jemand Wut im Bauch.“

„Das wird Vivian büßen.“ Katarina richtete sich auf, massierte ihr Muttermal.

Morten fuhr mit dem Finger über die rissige Oberfläche. Schade um den Wagen. „Dazu wäre sie niemals fähig.“

Katarinas dunkle Augen blitzten vor Wut. „O doch, la petite ist doch nicht so ohne, wie du glaubst. Warum ist das wohl ausgerechnet heute Nacht passiert?“

„Dies hier ist nicht Zehlendorf, Katarina. Hier zerstören Jugendliche immer wieder mal ein Auto.“

Katarina riss die Fahrertür auf und glitt ins Polster. „Non, gestern hat Vivians Lack zu viele Schrammen abbekommen.“ Sie steckte den Schlüssel in die Zündung. „Wenn Vivian hiermit etwas zu tun hat, dann wird sie sich wünschen, dass sie mich niemals getroffen hätte.“

Das dachte Vivian sicher jetzt schon, überlegte Morten und warf die Tür hinter Katarina zu.

MONA

Eine Windböe trieb Mona über den Hof wie der Hirte sein Schaf. Ihr Rock blähte sich auf, und die violetten Haare fielen ihr in die Augen. Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen die Stalltür und schlüpfte über die Schwelle. Warmer Pferdedunst vermischt mit dem Duft frischen Heus. Der Geruch von Heimat. Einer Heimat, die sie sich zusammen mit Anders geschaffen hatte, ihr gemeinsamer wahrgewordener Traum.

Glücklich strich sie mit der Hand über die kaum wahrnehmbare Wölbung ihres Bauches. Vielleicht konnte Vivian ihnen zur Hand gehen, sofern sie diesmal länger blieb. Zumindest bis sie eine feste Aushilfe gefunden hatten.

Mona entdeckte Anders am Ende der dämmerigen Stallgasse. Er stand mit dem Rücken zu ihr und wuchtete einen Heuballen über die Schulter, den er zu einer der Boxen schleppte. Er angelte ein Klappmesser aus seiner Hosentasche, schnitt die Schnüre auf und verteilte das Heu auf dem Boden. Mona hastete den Gang entlang. Pferde schnaubten und stampften mit den Hufen. Er hob den Kopf und bemerkte sie.

„Da kommt ja meine Zigeunerin.“ Anders stellte die Mistgabel an die Wand, trat auf Mona zu. Ihr Herz flatterte. Er schlang seine Arme um ihre Hüften und zog sie so nah an sich, dass sie seinen Atem auf den Lippen spürte. Als sie die Handflächen auf seine Brust legte, ertastete sie den Schlag seines Herzens. Anders neigte den Kopf und küsste sie. „Du …“, murmelte er und liebkoste mit der Zungenspitze ihre Lippen. „Wie geht es heute meinem Baby?“

„Ausgezeichnet.“ Sie legte seine Hand auf ihren Bauch. „Manchmal kitzelt es mich; so als wenn ein leichter Schmetterlingsflügel mich streift.“

Seine Augen strahlten, als hätten sie das Glück der Welt eingefangen. „Und wie geht es seiner hübschen Mutter?“

„Noch besser als gestern.“

„Wunderbar.“

„Baby und ich, wir machen einen Ausflug ins Dünenhaus.“

„Hat Vivian schon angerufen? Sie kann doch unmöglich schon wach sein, so spät wie sie angekommen ist.“

„Nein, ich habe sie angerufen.“ Mona lachte. „Ich konnte mich nicht länger gedulden. Ich muss wissen, warum sie Hals über Kopf hierherkommt.“

„Und?“

„Was und?“

„Na, bist du schlauer geworden?“

„Nö, nicht richtig. Sie war noch ganz groggy und verschlafen. Deshalb fahr ich jetzt raus zu ihr.“ Mona zuckte mit den Achseln. „Stell dir das mal vor: Vivian ist hier, ohne Morten. Allein das grenzt schon an ein Weltwunder. Da muss wirklich was passiert sein. Ich hoffe nur, dass sie nicht krank ist.“

„Hat sie was gesagt?“ Anders musterte sie fragend.

„Nein, sie sagt sogar, dass es das nicht ist.“

„Ich tippe auf Probleme mit Morten.“ Anders verlagerte sein Gewicht.

„Es liegt nahe, aber wir sollten ihn nicht verurteilen, bevor Vivian etwas gesagt hat. Vielleicht hat sie einfach einen Burn-out oder will Urlaub machen. Oder sie hat Sehnsucht nach mir?“

„Ja, das könnte natürlich sein, meine Süße. Ich möchte deinem Selbstwertgefühl ja keinen Kratzer zufügen, aber da muss was mit Morten sein. Ich meine, war das nicht vorauszusehen? Ich wollte schon immer wissen, was die beiden zusammenhält. Morten ist und bleibt ein Filou.“

„Stimmt, ein richtiger Weiberheld. Aber wenn sie ihn liebt, macht das die Trennung auch nicht leichter.“

„Wenn sie sich überhaupt trennen. Warte erst mal ab.“

Mona küsste Anders. Er schmeckte nach schwarzem Kaffee. Sie bohrte ihre Nase in sein Flanellhemd, schnupperte und sog seinen vertrauten Geruch ein. Unter sein Aftershave mischte sich bitterer Schweiß. Wahrscheinlich hatte er geschuftet, um Haralds Aufgaben auch zu erledigen. Mona würde sich noch heute um eine Aushilfe kümmern. So konnte es nicht weitergehen. Sie hob den Kopf. „So, ich muss los. Später kümmere ich mich um eine neue Aushilfe.“ Sie lächelte ihn an. „Und du musst wieder an die Arbeit, damit dir nicht kalt wird und du dir eine Grippe einfängst.“

„Och, das mache ich sicher nicht.“ Als sie sich von ihm löste und gehen wollte, hielt er ihre Hand fest. „Hallihallo, womit verdiene ich das denn?“

„Was?“ Sie blickte über ihre Schulter. „Was habe ich jetzt verbrochen?“

„Sehr, sehr viel. Du kannst doch nicht einfach so aus meinem Leben verschwinden. Du gehst erst, wenn wir fertig sind.“

Sie schüttelte den Kopf. „Waren wir nicht fertig?“

„Nein, ich zumindest noch nicht.“ Anders bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. „Vivian wird nicht weglaufen, jetzt, wo sie gerade aus Berlin angereist ist.“

Und ich auch nicht, dachte Mona glücklich.

VIVIAN

„Wenn du mir nicht bald deine spitze Nase zeigst, alarmiere ich den Rettungswagen.“ Monas dunkle Stimme dröhnte die Stiege herauf. Vivian lachte. Das war Mona. Ohne Frage.

„Ja, ja, ich komm ja schon!“ Vivian zog selbstgestrickte Socken, die sie ganz hinten im Kleiderschrank aufgestöbert hatte, über die eisigen Füße und stolperte die Stiege hinunter ins Wohnzimmer. Das Holz knackte und knisterte im Kamin, Funken sprühten orange. Hier unten war es gemütlich warm. Wunderbar. Was für ein Glückspilz sie selbst im Unglück war. Ihre Freundin sorgte dafür, dass sie sich hier wohlfühlte. Mona hatte gestern die Heizung angemacht, jetzt sorgte sie für ein Frühstück, das dem Buffet im Hotel D’Angleterre im Herzen Kopenhagens Konkurrenz machen könnte. Wer sollte das nur alles essen?

Mona stand an der Anrichte in der Küche und presste Apfelsinen aus. Sie hatte sich wirklich kaum verändert, seitdem sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Rund, bunt und immer beschäftigt.Als wenn sie Vivians Anwesenheit gespürt hätte, wirbelte Mona herum, kniff die Augen zusammen und musterte Vivian von Kopf bis Fuß. „Nicht zu glauben, dass du hier mal wieder vorbeischaust.“ Sie breitete die Arme aus und zog Vivian an sich, bis das üppige Parfüm sie einhüllte und längst vergessene Erinnerungen weckte. Vivian hielt Mona länger fest als notwendig und genoss die Wärme ihres Körpers.

Dann trat Mona einen Schritt zurück, hielt Vivian mit ausgestreckten Armen von sich, und lamentierte lautstark: „Du schaust grauenhaft aus, Prinzessin.“

„Ehrlich? Vielen Dank auch. Das hört eine Frau ja nur zu gern von ihrer Freundin.“ Vivian strich sich eine Strähne, die sich aus ihrem lose zusammengebundenen Knoten gelöst hatte, hinter die Ohren. „Aber du siehst wie immer blendend aus, alte Hexe.“

Mona sah aus, als ob sie in einen Malkasten gepurzelt wäre und sich einmal durch die ganze Farbpalette gerollt hätte. Breite Hüften, so ausladend wie ein Fuhrwerk. Die schulterlangen violetten Haare hatte sie zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden. Täuschte sich Vivian? Hatte Mona nicht den Ansatz eines kleinen Bauchs? Wie schön wäre es, wenn es endlich mal klappen würde mit dem Kinderwunsch. Mona und Anders waren die geborenen Eltern, aber der Nachwuchs ließ bisher auf sich warten. Und sie hatte einfach Angst, zu fragen und ins Minenfeld der Gefühle zu treten, jetzt, wo ihre eigene Seele bloßlag.

Mona lachte ihr gurrendes Lachen, das von ganz tief in ihrem Inneren hoch perlte, und reichte Vivian ein Glas gepressten Orangensafts. „So wie du aussiehst, brauchst du das hier. Vitamin C ist gut gegen Winterdepressionen, also setz dich und trink.“ Mona scheuchte Vivian auf die Eckbank unter dem Sprossenfenster. Mona setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl.

Vivian schaute auf den Tisch. „Sag mal, erwartest du noch andere Gäste? Wer soll das alles essen?“

„Wir. Und ich frage mich, warum ich nicht noch mehr gekauft habe, so ausgemergelt, wie du aussiehst. Gibt es in Berlin keine Läden? Ich dachte, die Grenze wäre jetzt offen?“

„Ist sie auch.“ Vivian grinste. Sie trank einen Schluck Orangensaft, der wunderbar fruchtig und sommersüß schmeckte. „Wie geht es euch und den Pferden?“

„Bestens. Wir haben dieses Jahr zum ersten Mal alle Boxen vermietet. Und die Nachfrage nach Reitstunden nimmt zu.“

Das war gut, überlegte Vivian. Vor fünf Jahren hatten ihre Freunde all ihre Ersparnisse zusammengekratzt und den Reiterhof Hyllingebjerg erworben. Die Gebäude waren in keinem besonders guten Zustand gewesen. So konnten sie den Preis herunterhandeln, bis das Anwesen für sie erschwinglich war.

Der Hof bot alles, was sie brauchten: Stallgebäude, Reithalle, einen Reitplatz und Paddock, aber eines machte ihn unbezahlbar. Sogar Vivian hielt immer noch die Luft an, wenn sie vom Wohnhaus aus die atemberaubende Aussicht über den Kattegat bis nach Hesselø genoss. Sie konnte Mona so gut verstehen, die nicht nur dem Geruch der Pferde verfallen war, sondern auch dem des Meeres. Mona und Anders hatten sofort gehandelt. Einige Entscheidungen musste man fällen, weil man sie nur einmal im Leben treffen konnte. Mona und Anders waren endlich dort angekommen, wo sie hingehörten. Und was war mit ihr? Würde sie die richtigen Entscheidungen treffen? Richtig bedeutete nicht leicht, aber immer noch leichter, als eine falsche Entscheidung bis zum bitteren Ende durchzutragen.

Auch Mona und Anders hatten es nicht leicht gehabt am Anfang. Noch im selben Sommer hatten sie mit ihrem Startkapital, fünf Schulpferden, Reitunterricht für Touristen und Kinder gegeben. Schnell füllten sich die restlichen zehn Boxen mit Pensionspferden. Nicht, dass sie mit dem Reiterhof große Sprünge machen konnten. Daran waren sie sowieso nur auf dem Rücken der Pferde interessiert. Aber Mona erzählte immer wieder, dass sie langsam aus den roten Zahlen herauskamen, vor allem seitdem sie das Dachgeschoss renoviert und Ferienwohnungen unter dem Dach der Stallungen eingerichtet hatten. Seitdem war die finanzielle Lage erträglicher geworden.

„Deshalb siehst du so müde aus. Habt ihr zu viel um die Ohren?“

„Darauf kannst du Gift nehmen. Meine Ohren sind abgefallen, bei all dem Stress der letzten Monate.“

„Was ist mit dem Pferdepfleger? Hieß der nicht Harald?“ Vivian rückte zurück und lehnte sich an die Lehne der Eckbank. Richtig hungrig war sie nicht. Nur leer fühlte sie sich. „Der ist doch sicher eine große Hilfe.“

„Schon“, seufzte Mona. „Aber im Moment weniger. Ich suche händeringend nach einem Pferdepfleger, damit Anders sich nicht den Rücken kaputtmacht.“

„Warum?“ Vivian runzelte die Stirn. „Ist was mit Harald passiert?“

„Also, vor zwei Wochen ist Harald vom Dach gefallen, weil er das Haus für Halloween einkleiden wollte. Weiß der Geier, was ihn da getrieben hat. Auf alle Fälle hat er irgendwann die Arme ausgebreitet wie ein Vampir und ist herunter gesegelt. Aber fliegen konnte er nicht, und nun ist er in der Reha.“

„Was? Das ist ja schrecklich!“ Vivian löffelte Zucker in den Tee. Nervennahrung für ihre gebeutelte Seele. „Hat er sich sehr verletzt?“

„Schon. Er hatte ein paar komplizierte Knochenbrüche. Aber das wird wieder. Harald ist unverwüstlich, und einen Schutzengel hat er noch dazu. Gut für ihn, dass nicht mehr passiert ist. Aber er fehlt uns. Wir brauchen wirklich jede Hand auf dem Hof …“

Vivian hörte nur mit halbem Ohr zu.

---ENDE DER LESEPROBE---