DAS EISKALTE SPIEL - Frank Kane - E-Book

DAS EISKALTE SPIEL E-Book

Frank Kane

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Beschreibung

Es hatte alles so harmlos angefangen...

Die Millionärstochter Jean Merritt hatte den New Yorker Privatdetektiv Johnny Liddell gebeten, die Hintergründe des Todes ihres Vaters aufzuklären. Sie glaubte nicht an seinen Selbstmord. Doch bei dem ersten Rendezvous, das Liddell mit dem blonden Playgirl hatte, versetzte sie ihn - und verschwand. Und damit begannen die Ereignisse sich zu überstürzen...

 

Der Roman Das eiskalte Spiel des US-amerikanischen Schriftstellers Frank Kane (geboren am 19. Juli 1912; gestorben am 29. November 1968) erschien erstmals im Jahr 1951; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1970.

Der Apex-Verlag veröffentlicht Das eiskalte Spiel in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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FRANK KANE

 

 

Das eiskalte Spiel

 

Roman

 

 

 

 

Apex Noir, Band 14

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DAS EISKALTE SPIEL 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Es hatte alles so harmlos angefangen...

Die Millionärstochter Jean Merritt hatte den New Yorker Privatdetektiv Johnny Liddell gebeten, die Hintergründe des Todes ihres Vaters aufzuklären. Sie glaubte nicht an seinen Selbstmord. Doch bei dem ersten Rendezvous, das Liddell mit dem blonden Playgirl hatte, versetzte sie ihn - und verschwand. Und damit begannen die Ereignisse sich zu überstürzen...

 

Der Roman Das eiskalte Spiel des US-amerikanischen Schriftstellers Frank Kane (geboren am 19. Juli 1912; gestorben am 29. November 1968) erschien erstmals im Jahr 1951; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1970.

Der Apex-Verlag veröffentlicht Das eiskalte Spiel in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  DAS EISKALTE SPIEL

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Johnny Liddell hing lässig auf einem Barhocker in Mike's Headline und trug paffend seinen Teil zu den grauen Rauchschwaden bei, die sich bis unter die Decke kräuselten. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er die schöpferischen Genies der Werbeagenturen, wie sie aus den benachbarten Wolkenkratzern herübergeschlendert kamen, um neue Eingebungen zu tanken. Er stellte fest, dass sein eigenes Glas leer war, und winkte dem Barkeeper. Mike angelte eine Cognacflasche aus dem Regal und schenkte dem Privatdetektiv neu ein.

»Haben Sie was Neues von der blonden Puppe gehört, mit der man Sie so oft gesehen hat, Liddell?«, wollte Mike wissen.

»Muggsy? Ich nehme an, sie ist vor mir nach Hollywood geflüchtet. Ich habe von ihr schon seit Wochen nichts mehr gehört. Ihr alter Herr erzählte mir, sie habe dort an einem neuen Film mitgewirkt.« Er warf einen Dollarschein auf die Theke und sah zu, wie der Mixer das Wechselgeld heraussuchte. »Ist das nicht ein komischer Job für eine gute Reporterin?«

»Immer noch besser als Arbeit«, brummte Mike.

Irgendwo schrillte ein Telefon, und der Barkeeper schlurfte davon, um an den Apparat zu gehen, Liddell betrachtete nachdenklich sein volles Glas, überlegte die Möglichkeit, in Hollywood ein Zweigbüro aufzumachen, und verwarf diese Idee wieder. Auch die Alternative, ein Verhältnis mit seiner rothaarigen Sekretärin anzufangen, war nicht interessant. Schließlich war Geschäft Geschäft.

»Gespräch für Sie, Liddell!«, rief Mike vom anderen Ende der Theke herüber. Liddell griff nach seinem Glas, schob sich durch die um die Theke versammelten Journalisten und Werbeleute nach hinten, wo der Barmixer mit dem Hörer in der Hand wartete. »Mein Büro?«

Der Barkeeper zuckte mit den Schultern und bahnte sich den Weg zurück auf seinen Gefechtsstand.

»Ja?«, sagte Liddell.

»Sie täten gut daran, sich auf den Heimweg zum Büro zu machen, Johnny. Es sieht so aus, als ob wir einen Auftrag kriegten. Eine Dame hat zweimal innerhalb einer Viertelstunde angerufen und wollte Sie sprechen.«

Liddell stöhnte. »Doch nicht wieder ein vergifteter Hund?«

»Es klang nicht so!«, sagte seine Sekretärin. »Das Mädchen hörte sich an, als sei sie tatsächlich in Schwierigkeiten. Sie wollte mir nicht verraten, wer sie sei oder wo sie erreichbar ist. Mit anderen Worten: kippen Sie das Glas, das Sie in der Hand halten, runter und machen Sie dalli!«

»Was meinen Sie damit: Glas in meiner Hand?«

Sie lachte. »Hier ist Pinky, Boss. Was glauben Sie wohl, was ich meine, wenn ich von einem Glas in Ihrer Hand spreche?« Sie hängte ein.

 

Der Rotschopf hämmerte im Vorzimmer eifrig auf einer Schreibmaschine, als er hereinkam. Pinky sah auf und schüttelte den Kopf. »Sie hat noch nicht zurückgerufen, es kann aber nicht mehr lange dauern.« Sie grinste hinterhältig. »Hoffentlich habe ich da nichts im Keim zerstört?« Liddell drohte ihr mit dem Zeigefinger, betrat sein Privatbüro und ließ sich in einen Sessel fallen. Beim Anblick des Berges von Post schnitt er eine scheußliche Grimasse.

Das Telefon läutete genau sechs Minuten nachdem er die Füße auf den Tisch gelegt hatte. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang atemlos.

»Mr. Liddell?«

»Ja, richtig. Wer ist am Apparat?«

»Jean Merritt. Ich versuche seit einer Stunde, Sie zu erreichen.«

Liddell nickte. »Ich hatte einen Fall zu bearbeiten. Was haben Sie auf dem Herzen?«

Eine Pause trat ein, dann sagte die Anruferin mit leiser, aber fester Stimme: »Mord!«

»Wer ist ermordet worden?«

»Mein Vater. Matt Merritt. Man hat es fertiggebracht, es wie Selbstmord aussehen zu lassen, Mr. Liddell, aber ich weiß, dass er ermordet worden ist. Ich möchte, dass Sie den Beweis erbringen.«

»Haben Sie das alles schon der Polizei vorgetragen?«

»Ich kann nicht. Die Kerle lassen mich nicht aus den Augen. Wenn sie wüssten, dass ich mit Ihnen rede, würden sie mich umbringen.«

Liddell kratzte sich das Kinn. »Können Sie in mein Büro kommen und Einzelheiten berichten?«

»Ich wage es nicht!«

»Wo sind Sie jetzt?«

Sie zögerte. »Ich wohne im Hotel Westmore. Aber bitte kommen Sie nicht hierher, Mr. Liddell. Sie würden es erfahren, und mein Leben wäre keinen Cent mehr wert.« Liddell wurde ungeduldig. »Ich muss Sie sehen. Wenn Sie nicht hierherkommen wollen und ich Sie nicht aufsuchen darf - wo wollen wir uns dann sprechen?«

»Könnten wir uns nicht irgendwo in der Stadt treffen? Heute Abend kann ich sie möglicherweise lange genug abschütteln, um Sie zu informieren.«

»In einer Bar?«

Die Stimme wurde nachdrücklich. »Nein, es muss unter freiem Himmel sein, irgendwo, wo ich sicher bin, dass man mich nicht beschattet.«

»Wann, glauben Sie, können Sie kommen?«

Wieder eine Pause. »Nicht vor halb elf. Wäre Ihnen das zu spät?«

Liddell sah aus dem Fenster auf den Bryant-Park hinunter, fluchte innerlich über die schwarzen Gewitterwolken über der Stadtbibliothek. »Ich denke, es wird gehen. Und wo?«

»Könnten Sie eine Stelle vorschlagen? Ich kenne diesen Teil von New York nicht sehr gut.«

Liddell zog seinen Notizblock zu sich herüber, kritzelte ein paar Worte darauf, während er sprach. »Es gibt an der Ecke Lexington Avenue und Achtundzwanzigste Straße einen Drugstore, der die ganze Nacht offen ist. Passt Ihnen das?«

»Ich werde halb elf heute Abend dort sein«, versprach die Unbekannte. »Sollte ich mich verspäten, warten Sie bitte.« Sie hatte aufgelegt, bevor er sich eine Personenbeschreibung von ihr geben lassen könnte. Liddell legte ebenfalls den Hörer auf, starrte ins Leere. »Woran liegt es bloß, dass alle Verrückten zu mir gelaufen kommen?«

Pinky warf ihm einen belustigten Blick zu. »Soll ich diese Frage beantworten, Mr. Liddell?«

 

Johnny Liddell zerrte verzweifelt an seinem Mantelkragen und zog ihn dichter vor sein Gesicht in dem vergeblichen Bemühen, sich vor dem Nieselregen zu schützen. Er nahm einen tiefen Zug aus der aufgeweichten Zigarette, die er in der hohlen Rechten hielt, und verwünschte von Herzen das Schicksal, das einen Privatdetektiv aus ihm gemacht hatte.

Das nasse leuchtende Zifferblatt der großen Uhr über dem Juweliergeschäft auf der anderen Straßenseite gab die Zeit mit Mitternacht an, und das Mädchen hatte halb elf kommen wollen. Er machte sich Vorwürfe, nicht darauf gedrängt zu haben, sie sofort zu treffen, als sie angerufen hatte.

Er sog ein letztes Mal tief an der Zigarette, schnippte sie in den Rinnstein und betrat den 24-Stunden-Drugstore, dessen Eingang ihm nur spärlichen Schutz vor der tröpfelnden Feuchtigkeit gewährt hatte. Ein müde aussehender ältlicher Angestellter schaute von der Morgenzeitung auf, als Liddell hereinkam, unternahm einen verzweifelten Versuch, die Langeweile aus seinen Augen zu reiben, seufzte, als der Detektiv auf dem Weg zu den Telefonzellen an ihm vorbeiging, und wandte sich wieder dem Sportteil zu.

Liddell blätterte im Telefonbuch, markierte eine Nummer mit seinem Fingernagel, angelte ein Zehncentstück aus einer seiner Taschen und wählte sieben Ziffern.

»Hotel Westmore, guten Abend«, antwortete die metallische Stimme der Telefonistin.

»Gut? Nur wenn man eine Ente ist«, sagte Liddell. »Verbinden Sie mich mit Miss Merritts Zimmer.«

Das Telefonmädchen kicherte. »Wen wollen Sie sprechen, Sir?«

»Miss Merritt. Miss Jean Merritt.« 

Nach einer Weile bekam er zur Antwort: »Sony, Sir. Ich habe hier keine Miss Merritt verzeichnet. Moment, ich verbinde Sie mit dem Empfang.« Ein Klicken, dann: »Stevens vom Empfang. Was kann ich für Sie tun?«

»Miss Jean Merritt, bitte!«

»Tut mir leid, Sir. Miss Merritt ist ausgezogen.«

»Ausgezogen? Wohin denn?«

»Bedaure, das hat sie uns nicht mitgeteilt.«

Liddell hängte wütend ein, strich sich nachdenklich über die Stirn, war dem Apparat böse. Dann fischte er ein neues Geldstück aus dem Jackett und wählte die Nummer seines Büros. Der Fernsprechauftragsdienst meldete sich.

»Büro von Mr. Liddell«, sang das Fräulein vom Amt.

»Hier Liddell. Irgendwelche Anrufe für mich?«

»Nur einer, Mr. Liddell. Ihre Sekretärin. Sie sollen sie so bald wie möglich anrufen!«

Liddell machte sich daran, das dritte Telefongespräch zu führen. Pinky meldete sich mit schlaftrunkener Stimme am anderen Ende. »Wie spät ist es denn?«, gähnte sie.

»Wäre es nicht einfacher für Sie, sich einen Wecker anzuschaffen, statt mich mitten in der Nacht anrufen zu lassen?«

»Sehr witzig!«, sagte das Mädchen.« Zufällig erwartete ich aber Ihren Anruf vor dem Rendezvous mit Miss Merritt. Ich wollte Ihnen sagen, dass wir einen Scheck über fünfhundert Dollar als Anzahlung von ihr bekommen haben, nachdem Sie das Büro verlassen hatten.«

»Wie kam er herein?«

»Bote von der Western Union. Wie war’s? Mit ihr, meine ich?«

»Sense! Sie ist nicht aufgetaucht. Ich nahm an, sie hätte inzwischen telefonisch die Verabredung abgesagt oder so...« Pinky lachte ihn glatt aus. »Sie müssen ja durchgeweicht sein.«

»Statt sich über mich lustig zu machen, sollten Sie mich lieber zu sich einladen, mir aus meinen nassen Sachen helfen und einen trockenen Martini offerieren!«

»Das ließe sich machen. Vorausgesetzt, dass Sie sich anständig aufführen und leise sind und nicht die Nachbarn stören. Was würden die denken, wenn sie einen seltsamen Mann um diese Uhrzeit zu mir kommen sähen?«

»An mir ist nichts Seltsames. Ich bin der normalste Bursche, den Sie je gesehen haben. Bis gleich!«

Er verließ die Kabine und ging durch den hellbeleuchteten Laden zur Tür. Er hatte sie fast erreicht, als er die schwarze Limousine sah, die in der Kurve geparkt hatte. Gleichzeitig nahm er den Schatten einer Bewegung auf dem Rücksitz wahr, hechtete über ein Verkaufsregal mit Schönheitscremes... - »Nehmen Sie Plushy für Ihre Haut!« - ...und flog der Länge nach auf den Boden.

Die stumpfe Nase einer Maschinenpistole war inzwischen in Windeseile aus dem hinteren Wagenfenster geschoben worden und begann den Drugstore mit tödlichem Blei zu füllen. Flaschen zersplitterten am Boden, kleine Schachteln tanzten aus den Auslagen, die Schaufenster barsten, und eine saubere Reihe von Löchern erschien wie von Zauberhand auf der Wand über Liddells Kopf. Er nestelte die .45er aus der Schulterhalfter und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den Eingang.

Der monotone Rhythmus der Maschinenpistole brach so plötzlich ab, wie er begonnen hatte. Ein Mann erschien im Türrahmen. Er war groß, mager, hatte den Kragen seines dunklen Mantels fast über seinen Kopf gezogen. Er hielt zwei .38er Spezial in seinen Händen. Bevor seine umherschweifenden Augen Liddell erkennen konnten, schoss der Privatdetektiv. Seine .45er hörte sich im Vergleich zu der Maschinenpistole wie eine Spielzeugpistole an.

Der Mann am Eingang begann zu schwanken, als die schweren Geschosse in ihn drangen. Die Waffen, die er umklammerte, spuckten gelbe Flammen, und Liddell konnte sehen, wie die Schüsse Stücke aus der Theke nahe seinem Kopf fraßen.

Er zielte von neuem, diesmal auf den Unterleib des Pistolenhelden. Der Mann bäumte sich, voll getroffen, noch einmal auf, faltete dann die Hände über seinem Bauch, ging in die Knie und rutschte mit dem Gesicht voran auf den Boden.

Liddell robbte durch die Trümmer bis zu einer Stelle, von der aus er die Straße sehen konnte. Die Limousine rollte gerade langsam um die Ecke, und ihr Rückfenster spuckte einen neuen Regen von Flammen und Tod aus. Liddell sichtete für einen Augenblick ein großes fettes Gesicht mit dicken Lippen und einem speckigen Nacken, der aus dem Hemdkragen quoll. Er hatte kaum Zeit, für künftige Verwendung die kleinen Schweinsaugen zu registrieren, unter denen schwere Tränensäcke hingen, Augen, die ihn mit der Maschinenpistole amüsierten.

Von fern hörte man eine Polizeisirene.

Urplötzlich herrschte eine Stille, die fast taub machte. Das große schwarze Auto beschleunigte die Fahrt. Liddell war blitzschnell auf den Beinen, stürzte hinaus auf die Straße, den Zeigefinger am Abzug seiner Waffe, sandte den fliehenden Gangstern zwei Abschiedsgrüße nach. Zu spät! Er lud seine .45er gerade neu, als der Streifenwagen mit quietschenden Reifen vor dem Drugstore zum Stehen kam.

»Okay, Buffalo Bill«, kommandierte eine ärgerliche Stimme. »Lass die Artillerie fallen, und dreh dich hübsch langsam um, damit wir dich ansehen können!«

Liddell ließ gehorsam seine Pistole auf den Bürgersteig fallen. Er wandte sich um und stand einem uniformierten Polizeibeamten gegenüber, der sich gerade aus seinem Fahrzeug hinausgewunden hatte und einen schweren Dienstrevolver auf ihn gerichtet hielt.

»Du amüsierst dich gut, mein Junge, was?«, fragte der Polizist. Seine Augen gingen über Liddell hinweg auf den zerstörten Eingang des Geschäfts. »Sieht so aus, als hättest du heute Nacht mächtig viel Arbeit gehabt!«

»Stimmt, ich musste mich gehörig ducken«, Liddell grinste.

»Ach so! Wohl ein unschuldiger Passant, was?« Der Beamte hatte inzwischen den Körper des dünnen Mannes entdeckt, der mit dem Gesicht nach unten den Eingang versperrte. »Der da hat sich nicht so gut geduckt, wie?«

Er bedeutete Liddell mit seiner Waffe, sich an die Hauswand zu stellen und hob die .45er auf. »Ich halte diesen Burschen in Schach, Ray«, rief er über die Schulter seinem Kollegen zu, der ihm Feuerschutz vom Wagen aus gegeben hatte. »Sieh dir besser mal den Kerl an der Tür an!«

»Es war nicht meine Party, Kamerad«, erklärte Liddell dem Polizisten ruhig. »Wie Sie richtig sagten, ich bin nur ein unschuldiger Passant.«

Der Polizist grinste eisig, wog Liddells .45er in der Hand. »Und das hier tragen Sie wohl, damit Ihr Mantel straff nach unten hängt?«

»Ich habe einen Waffenschein«, erklärte ihm Liddell. »Ich bin Privatdetektiv. Johnny Liddell ist mein Name. Hier sind meine Papiere, wenn Sie bitte sehen wollen.« Er führte seine rechte Hand zur linken Brusttasche, erstarrte aber, als sich der Finger des Polizisten am Abzug seiner Dienstwaffe versteifte.

»Wenn ich Sie wäre und weiteratmen wollte, würde ich keine hastigen Bewegungen machen«, riet ihm der Polizeibeamte. »Wenn ich Ihre Papiere sehen will, hole ich sie mir.«

Der zweite Polizist kniete neben der Leiche, erklärte kurz und bündig: »Arbeit für den Fleischerwagen, Ed!«

Er erhob sich, wischte über die Knie seiner blauen Uniformhose. »Er hat drei Volltreffer abbekommen.« Er kam zu seinem Partner herüber. »Was für ein Schießeisen hat denn unser Freund hier?«

»Eine Fünfundvierziger.«

Der zweite Polizist nickte.« Das hat gereicht.«

»Er gibt an, Privatdetektiv zu sein.« Der Mann mit dem Revolver ließ Liddell nicht aus den Augen. »Er hat eine Lizenz und alles, behauptet er. Vielleicht sollten wir uns das mal ansehen, während wir warten.«

Der zweite Polizist trat zu Liddell hinüber, sorgsam darauf bedacht, nicht zwischen ihn und die Waffe seines Kollegen zu geraten, griff in die Brusttasche des Detektivs und zog eine Brieftasche heraus. Er blätterte flüchtig die Ausweise durch, notierte einige Angaben in ein großes ledernes Notizbuch.

»Schau dir diese Papierchen noch einmal lang und innig an, Genosse!« Er grinste Liddell an. »Ich habe das Gefühl, dass du deine Lizenz nicht mehr lange haben wirst.«

»Seit wann ist es gegen das Gesetz, wenn man einem Kerl zuvorkommt, der einen umlegen will?« Liddell tat gleichgültig. »Neben einem dicken Mann im Auto mit der Maschinenpistole hielt dieser Meisterschütze nach mir mit zwei .38ern Ausschau.«

»Spar dir das Lied für den Inspektor, Freundchen! Er hat bestimmt ein Ohr für traurige Musik!«

Liddell zuckte die Schultern. »Schön, wie Sie wollen! Aber glauben Sie nicht, dass jemand nach dem Verkäufer dort sehen sollte?«

»Verkäufer? Da drin?« Der Polizist sah besorgt in den zertrümmerten Laden hinein.

»Es war einer drin, als die Gitarrenserenade losging. Vielleicht wäre es keine, schlechte Idee, ihn unter all dem Aspirin auszugraben und ihn mit ein paar von seinen Tabletten zu füttern!«

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Inspektor Herlehy thronte hinter einem übergroßen lackierten Schreibtisch in seinem Büro in der Polizeizentrale und betrachtete Johnny Liddell ohne Begeisterung. Er kaute minutenlang rhythmisch auf seinem Kaugummi, bevor er den Mund auftat. »Ich empfehle Ihnen, auszupacken, Johnny. Sie wissen, ich mag keinen Ärger in meiner Abteilung.«

Liddell zog bedauernd die Schultern hoch. »Ich weiß nicht mehr als das, was ich Ihren Leuten gesagt habe, Inspektor. Ich telefonierte gerade. Als ich aus der Zelle kam, bemerkte ich den Wagen vor dem Eingang. Sie besprühten mich mit einer MP, und ich warf mich zu Boden.«

Herlehy machte ein finsteres Gesicht und fuhr ungeduldig auf. »Und der Mann im Eingang starb an Altersschwäche, weil er darauf wartete, dass Sie herauskämen?«

»Nein, er war keiner von den geduldigen Typen. Er machte einen Fehler. Er versuchte, mich umzulegen.«

»Sie hätten ihm Ihre Zeitungsausschnittsammlung zeigen sollen. Er wusste nicht, was für ein Held Sie sind!« Der Inspektor streckte die Hand aus und nahm ein maschinegeschriebenes Blatt aus einer Mappe, die vor ihm lag. Er überflog den Text und sah Liddell an.« Glück für Sie, dass der Verkäufer des Drugstores im Wesentlichen Ihre Aussage bestätigt. Aber er sagt auch, dass Sie schon stundenlang vor dem Geschäft herumgehangen hätten, bevor die Schießerei losging. Warum?«

Liddell suchte in seinen Taschen, holte ein zerknittertes Päckchen Zigaretten heraus, hielt sie kurz hoch. »Darf ich rauchen?«

Der Inspektor nickte zustimmend, trommelte mit seinen Fingern einen Marsch auf seiner Stuhllehne, sah wortlos zu, wie sich Liddell lässig eine Zigarette in den Mundwinkel klemmte. »Ich habe Sie gefragt, weshalb Sie um diesen Laden herumstrichen, Liddell?«

»Ich war dort mit jemandem verabredet. Er verspätete sich.«

»Jemand, den ich kenne?«

»Ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, den Namen meines Klienten preiszugeben. Ich bearbeite einen Fall.«

Herlehy beugte sich über den Schreibtisch herüber. Seine Stimme klang gefährlich. »Hören Sie, Mr. Detektiv! Ich bin nicht interessiert an Ihrem Mandanten oder an irgendeinem Fall, mit dem Sie beauftragt sind. Ich bin interessiert an der Tatsache, dass ein paar Ganoven sich entschlossen, in meinem Distrikt ihre Waffen auszuprobieren. Ich möchte gern herausbringen, wer sie sind und warum sie es getan haben.«

»Ich auch, Inspektor!«

Herlehy erhob sich langsam aus seinem Stuhl, stapfte zu dem Eiswasserbehälter in der Ecke seines Büros, füllte einen Plastikbecher halb mit Wasser und stürzte es hinunter. »Wer war heute Nacht am Abzug der Maschinenpistole, Liddell?«

Liddell schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«

Der Inspektor nickte, zerknüllte den Becher in seiner gewaltigen Faust und warf ihn in den Papierkorb. »Okay, wenn Sie’s so haben wollen. Ich habe bisher mit Ihnen zusammen gearbeitet, weil Sie mit offenen Karten spielten. Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, dass ich nicht nur laute Töne spucke, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass ich Sie samt Lizenz hops gehen lasse, wenn Sie mir diesmal Dinge verschweigen...«

»Ich wiederhole Ihnen: Ich verschweige nichts!«

»Na schön! Hören wir uns noch einmal alles an.« Herlehy schob sich wieder auf seinen Stuhl hinter dem Schreibtisch. »Was machten Sie dort?«

»Ich wartete auf einen Auftraggeber.«

Der Mann hinter dem Schreibtisch schnaubte, schlug mit der Faust auf den Tisch. »Was ist mit Ihrem Büro los? Haben Sie Ihre Miete nicht bezahlt?«

»Meine Klientin wollte nicht in mein Büro kommen. Sie wollte niemanden wissen lassen, dass sie mich engagiert hat.«

»Das kann ich verstehen«, erklärte Herlehy sarkastisch. Er lehnte sich zurück, und sah Liddell aufmerksam an. »Also eine Sie? Was für einen Auftrag hat sie Ihnen erteilt?« Liddell nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, blies den Rauch lässig durch die Nase aus. »Eine vertrauliche Angelegenheit, Inspektor.«

Herlehy sah müde aus. Eine V-förmige Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen, seine kalten Augen waren fest, forschend, sein Gesicht ernst. »Sie können wegen eines Verbrechens belangt werden, wenn ich die Dinge richtig darlege, Johnny«, sagte er sanft. »Wir haben einen Kerl auf Eis liegen, der anstelle einer Gürtelschnalle drei von Ihren schönen Kugeln vor dem Bauch hat. Die Lizenz, die Sie haben, ist ein Detektivausweis, kein Jagdschein.« Er sprach ohne Erregung und Ärger in seiner Stimme. »Ich möchte Ihnen keinen Knüppel zwischen die Beine werfen, aber ich werde erfahren, was sich in meinem Distrikt tut, egal wem ich dabei auf die Zehen treten muss!«

Liddell zog an seiner Zigarette und blieb stumm. Er erwiderte den Blick des Inspektors gelassen.

»Wollen wir noch einmal alles der Reihe nach klären?« Herlehy hatte seine Methode. »Wen wollten Sie treffen?«

»Eine Klientin.«

»Wie heißt sie?«

Liddell seufzte. »Ich glaube nicht, dass Sie mich wegen Zeugnisverweigerung unter Anklage stellen können, und ich glaube auch nicht, dass Sie glauben, das zu können.«

»Zwingen Sie mich nicht, es zu tun, Liddell!«

Liddell warf seine Zigarette auf den Fußboden, trat sie mit dem Absatz aus. »Ich mache diesmal eine Ausnahme, Inspektor, ich verletze mein Berufsgeheimnis und werde Ihnen erzählen, worum es für meine Mandantin geht. Aber nicht, weil ich Angst hätte, Sie könnten mir etwas tun.«

»Sondern weil Sie die Art und Weise mögen, wie ich meinen Scheitel ziehe, was?«

»Weil ich annehme, dass ich einige Hilfe brauche, bevor dieser Fall geklärt ist.«

Herlehy lächelte kühl. »Das ist verdammt anständig von Ihnen, Liddell. »Wer ist diese geheimnisvolle Dame?«

»Sie heißt Merritt. Jean Merritt.«

Die V-Falte war wieder zwischen den Augenbrauen des Inspektors zu sehen. Er lehnte sich zurück und betrachtete Liddell aus zusammengekniffenen Augenlidern. »Mit Matt Merritt verwandt?«

»Sie ist seine Tochter.«

Herlehy nickte, bedeutete Liddell fortzufahren. »Sie rief mich gestern Nachmittag an und wollte, dass meine Detektei die Umstände um den Tod ihres alten Herrn aufklärte.«

»Lassen Sie sich was Besseres einfallen, Liddell! Ihr alter Herr hat Selbstmord begangen.«

Liddell zog die Augenbrauen hoch. »Sie glaubt nicht daran. Sie ist überzeugt, dass es Mord war.«

Der massige Mann hinter dem Schreibtisch kratzte seine Kopfhaut durch dichtes weißes Haar hindurch und betrachtete angelegentlich seine Fingernägel. »Warum hat sie Sie nicht im Büro aufgesucht?«

»Weil sie Angst hatte. Sie glaubt, dass die Killer ihres Vaters sie beschatten. Sie wollte niemanden wissen lassen, dass sie neue Untersuchungen in der Sache anstellen lässt.«

Herlehys Augen schweiften von seinen Fingern zu Liddells Gesicht. »Aber schließlich kam sie gar nicht?«

»Ich wartete von halb elf bis Mitternacht und rief dann in ihrem Hotel an. Sie war verschwunden - ohne Angabe einer Adresse ausgezogen.«

»Ja, und...?«

Liddell zuckte die Schultern. »Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht wollte wirklich jemand sie davon abhalten, den Fall wieder aufzurollen.«

Der Inspektor schnaubte. »Nur weil sie das Hotel gewechselt hat? Dafür kann es hundert Gründe geben!« Herlehy zog einen Notizblock über den Schreibtisch zu sich herüber. »Wer war der Strolch im Wagenfond, Johnny?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe Ihnen das schon gesagt, Inspektor!«

Herlehy warf seinen Bleistift angewidert auf die Schreibunterlage. »Sie wissen es nicht! Irgendein Bursche macht sich die Mühe, genug Blei auf Sie zu spritzen, um ein Schlachtschiff zu versenken, und Sie wissen nicht, wer es war oder warum er es tat.«

»Ich nehme an, es hat mit Jean Merritts Verschwinden zu tun. Jemand erfuhr, dass sie mich angerufen hatte, und versuchte mir den Mut zu nehmen, mich weiter mit der Sache zu beschäftigen.«

Herlehy gab einen ärgerlichen Laut von sich.

»Also gut«, fuhr Liddell fort«, sagen Sie mir, was Sie meinen!«

»Das werde ich tun. Sobald ich die Antwort habe«, versprach Herlehy sauer. »Nur wird es dann hier für Sie zu spät zu einer Mitarbeit sein!«

Liddell stand wütend auf, beugte sich über den Schreibtisch, die Füße leicht gespreizt, die breiten Schultern schlaff herabhängend, die geballten Fäuste tief in seine Jadeentaschen vergraben. »Ich habe allmählich die spitzen Bemerkungen über mein angebliches Verschweigen von Informationen satt, Inspektor. Ich bin kein Neuling in meinem Beruf. Sie wissen, wie ich arbeite. Und Sie wissen auch, dass ich nichts verschweige, wenn ich behaupte, dass ich es selbst nicht weiß!«

»Sie bestehen also auf der Annahme, der einzige Grund, dass die Gangster Sie beschossen, sei der, dass man Sie davon abhalten will, den Fall Merritt neu aufzurollen?«

»Ich bin fest davon überzeugt!«

«Haben Sie eine Ahnung, wer der Bursche sein könnte, den Sie umgelegt haben?«

»Ich hatte keine Zeit, ihm vorgestellt zu werden«, erwiderte Liddell schlecht gelaunt.

»Er heißt Mike Scoda. Sagt Ihnen der Name was?«

Liddell nickte. »Ich habe von ihm gehört. Sind Sie sicher, dass es Scoda ist?«

»Wir haben seine Fingerabdrücke in unserer Sammlung. Wie passt er in Ihren Fall Merritt?«

Liddell kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in die Nase.

»Keine Ahnung! Ich weiß auch nicht, wer sein Kumpel war, der Typ, der die Schreibmaschine bedient hat. Alles, was ich weiß, ist die Tatsache, dass die Lady Angst hatte, jemand könne versuchen, sie daran zu hindern, den Fall neu ans Tageslicht zu ziehen, und dass man mich, kaum dass ich den Auftrag angenommen hatte, mit Kugeln behandeln wollte.«

Der Inspektor lehnte sich zurück, studierte Liddells verärgertes Gesicht, nickte. »Okay. Mag sein, dass Sie recht haben - oder das zumindest glauben. Vielleicht steht alles mit Merritts Selbstmord in Zusammenhang. Ich glaube es allerdings nicht.«

»Wie sehen Sie denn die Sache?«

»Wie weiß ich denn, was Sie vorhatten«, knurrte Herlehy. »Sie können versucht haben, einem Burschen die Freundin auszuspannen, Sie können sogar versucht haben, ein Paar gedokterte Würfel ins Spiel zu bringen und dabei mit jemandem in Konflikt geraten sein, der sensibel genug war, Sie vor einer Wiederholungsvorstellung abzuschrecken.« Ein Grinsen überzog sein Gesicht. »Es gibt Leute, die sich schneller unbeliebt machen als andere, das wissen Sie ja.«

»Okay, okay. Ich werde mein Körperspray wechseln. Aber nur, um sicher zu sein, dass ich nicht nur halb sicher bin. Könnte ich meine Kanone zurückbekommen?«

Herlehy nickte zustimmend, zog ein Formular aus einer Schublade, unterschrieb eine Anweisung und schob sie über den Tisch.

»Ich bin auf Ihrer Seite, solange ich nicht herausfinde, dass Sie falsches Spiel mit mir treiben, Johnny! Falls Sie das tun, werden Sie wünschen, Sie hätten einige von den Kugeln erwischt!«

 

Das Hotel Westmore war eine immens große, eindrucksvoll moderne Gruppe von Gebäuden am Riverside Drive mit Blick auf den Hudson.