DIE SCHMUTZIGE KAMERA - Frank Kane - E-Book

DIE SCHMUTZIGE KAMERA E-Book

Frank Kane

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Beschreibung

Wie New York und Chicago hat auch San Francisco seine Tag- und seine Nachtmenschen.

Die Tagmenschen finden ihr Vergnügen daran, auf den Trittbrettern der Kabelwagen zu fahren, die die fast senkrechten Straßen bis zur Höhe in der Nähe des Mark erklettern und dann wie verrückt das Gefälle zur Fisherman’s Wharf hinuntersausen. Für sie ist es ein Ritual, aus dem Lunch eine Schau zu machen, und eine Tradition, um das Bezahlen der Rechnung zu würfeln. Wenn sie einen Abend in der Stadt verbringen, findet das immer am frühen Abend statt. Die Tagmenschen stehen gern früh auf, um den Nebel, der im Morgengrauen von der Bucht hereinrollt, zu begrüßen.

Auch die Nachtmenschen lieben den Nebel.

Nur ist ihr Nebel von Menschen geschaffen und wirbelt lässig unter der Decke der gepolsterten Lokale, in denen sie sich versammeln. Sie warten, bis die Tagmenschen in ihre Heime in Atherton und anderen Vororten zurückgekehrt sind...

Der Band Die schmutzige Kamera von Frank Kane (* 19. Juli 1912 in Brooklyn, USA; † 29. November 1968 in Manhasset, New York) enthält dem Roman Mord aus Eifersucht? (1964) sowie die Erzählungen Hollywood Hyänen, Letzter Auftritt, Schmutzige Kamera, Der Schnitt und Scharfer Pfeffer aus dem Jahr 1961.

Der Apex-Verlag veröffentlicht Die schmutzige Kamera in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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FRANK KANE

 

 

Die schmutzige Kamera

 

Ein Roman und fünf Erzählungen

 

 

 

 

Apex Noir, Band 9

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE SCHMUTZIGE KAMERA 

1. MORD AUS EIFERSUCHT? (The Guilt Edged Frame) 

2. HOLLYWOOD-HYÄNEN (Dead Set) 

3. LETZTER AUFTRITT (Dead Run) 

4. SCHMUTZIGE KAMERA (Dead End) 

5. DER SCHNITT (The Killing) 

6. SCHARFER PFEFFER (Dead Reckoning) 

 

 

Das Buch

 

Wie New York und Chicago hat auch San Francisco seine Tag- und seine Nachtmenschen.

Die Tagmenschen finden ihr Vergnügen daran, auf den Trittbrettern der Kabelwagen zu fahren, die die fast senkrechten Straßen bis zur Höhe in der Nähe des Mark erklettern und dann wie verrückt das Gefälle zur Fisherman’s Wharf hinuntersausen. Für sie ist es ein Ritual, aus dem Lunch eine Schau zu machen, und eine Tradition, um das Bezahlen der Rechnung zu würfeln. Wenn sie einen Abend in der Stadt verbringen, findet das immer am frühen Abend statt. Die Tagmenschen stehen gern früh auf, um den Nebel, der im Morgengrauen von der Bucht hereinrollt, zu begrüßen.

Auch die Nachtmenschen lieben den Nebel.

Nur ist ihr Nebel von Menschen geschaffen und wirbelt lässig unter der Decke der gepolsterten Lokale, in denen sie sich versammeln. Sie warten, bis die Tagmenschen in ihre Heime in Atherton und anderen Vororten zurückgekehrt sind...

 

Der Band Die schmutzige Kamera von Frank Kane (* 19. Juli 1912 in Brooklyn, USA; † 29. November 1968 in Manhasset, New York) enthält dem Roman Mord aus Eifersucht? (1964) sowie die Erzählungen Hollywood Hyänen, Letzter Auftritt, Schmutzige Kamera, Der Schnitt und Scharfer Pfeffer aus dem Jahr 1961.

Der Apex-Verlag veröffentlicht Die schmutzige Kamera in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  DIE SCHMUTZIGE KAMERA

 

 

 

 

 

 

  1. MORD AUS EIFERSUCHT? (The Guilt Edged Frame)

 

 

 

Erstes Kapitel 

 

 

Wie New York und Chicago hat auch San Francisco seine Tag- und seine Nachtmenschen.

Die Tagmenschen finden ihr Vergnügen daran, auf den Trittbrettern der Kabelwagen zu fahren, die die fast senkrechten Straßen bis zur Höhe in der Nähe des Mark erklettern und dann wie verrückt das Gefälle zur Fisherman’s Wharf hinuntersausen. Für sie ist es ein Ritual, aus dem Lunch eine Schau zu machen, und eine Tradition, um das Bezahlen der Rechnung zu würfeln. Wenn sie einen Abend in der Stadt verbringen, findet das immer am frühen Abend statt. Die Tagmenschen stehen gern früh auf, um den Nebel, der im Morgengrauen von der Bucht hereinrollt, zu begrüßen.

Auch die Nachtmenschen lieben den Nebel.

Nur ist ihr Nebel von Menschen geschaffen und wirbelt lässig unter der Decke der gepolsterten Lokale, in denen sie sich versammeln. Sie warten, bis die Tagmenschen in ihre Heime in Atherton und anderen Vororten zurückgekehrt sind. Dann sickern sie in Gruppen von zweien und dreien in kleine Etablissements wie das Müde Ich. Noch später kommen die Instrumente unter dem Arm der Musiker angezottelt. Sie haben die Mühe, in den angesehenen Lokalen für die Tagmenschen zu spielen, hinter sich und treffen sich hier, um sich den Geschmack der Schmalzmusik mit nächtlichen Jam Sessions aus dem Mund zu spülen.

An diesem Tag gehörte Johnny Liddell zu den Nachtmenschen. Er saß an einem briefmarkengroßen Tisch im Müden Ich und klopfte mit den Fingern auf der Tischkante den Takt zum Rhythmus der Combo auf dem kleinen Podium.

Ein hohlwangiger Mann, dem der Schweiß auf der Stirn glänzte, hämmerte auf dem Klavier. Hinter ihm blies der Trompeter auf seinem Instrument Sturm. Er spielte, die linke Wange wie einen Ballon aufgeblasen, den Kopf zurückgelegt, die Augen träumerisch auf die Decke gerichtet. Während er improvisierte, hielten die Saxophone hinter ihm den Takt in Gang, statt dagegen anzukämpfen. Der Mann mit der Klarinette spielte vornübergebeugt, sein Instrument berührte beinahe den Boden. Plötzlich brach der Trommler, dessen Lippen krampfhaft zuckten, ab und schlug auf das Zimbal. Die Trompete hörte mit ihrem Improvisieren auf; es folgte eine Reihe von schmetternden Stößen, als die Combo in ein Finish überging, das die Trommelfelle der Gäste zu zerreißen drohte. Dann verklang das Finish in plötzlicher Stille.

In der folgenden Pause war es, als ob das Publikum gemeinsam Atem hole, dann explodierte der Applaus und wogte in Wellen zum Podium hinauf.

Johnny Liddell lehnte sich im Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. Der Mann, der mit ihm am Tisch saß, musterte erwartungsvoll sein Gesicht. »Das ist Marty Lewis. Was halten Sie von ihm?«

»Ich dachte, ich kenne sie alle. Aber etwas Besseres als diesen Klarinettisten habe ich nie gehört«, sagte Liddell.

Jerry Means war klein und grauhaarig. Er saß mit hochgezogenen Schultern, seine Augen zwinkerten hinter einer altmodischen Brille mit Goldrand. Er glich allem anderen mehr als dem erfolgreichen Agenten, der er war. »Das sage ich ihm unaufhörlich. Er sollte im Embers oder Basin Street East in New York statt hier spielen.«

Liddell nahm ein Päckchen Zigaretten und bot ihm davon an, der Agent lehnte ab. »Die Klasse hat er dafür. Worauf warten Sie?«

Jerry Means seufzte leise. »Dass er sich entschließt. Der Junge war nie weiter im Osten als Sacramento, und es liegt ihm nichts daran, weiter zu kommen.« Er beobachtete, wie sich eine große Blondine ihren Weg durch die dichtbesetzten Tische zu ihrem Platz bahnte. »Da kommt ein weiterer Grund, warum er San Francisco nicht verlassen will.«

Liddell sah das Mädchen an. Er bewunderte das wirkungsvolle Hüftgewackel und ihr tiefausgeschnittenes hautenges Kleid. Sie kam zu ihnen.

Liddell lächelte. »Hallo, Lee. Das ist aber ein weites Ende von der Fünf und vierzigsten und vom Broadway. Nicht wahr?«

Sie sah ihn einen Augenblick an, dann wischte ein Erkennen die Überraschung aus ihrem Gesicht. »Johnny Liddell! Was machen Sie hier draußen?«

»Ich beende bloß die Nachforschungen von einer Versicherungsgeschichte. Morgen geht’s wieder in die große Stadt!«

Jerry Means schüttelte den Kopf. »Ich hätte mir denken können, dass ihr euch kennt. Ich habe nie eine Blondine gesehen, die Sie noch nicht kennen.«

»Eine Berufskrankheit«, versicherte ihm Liddell.

»Sie sind wirklich eine Augenweide«, sagte die Blondine zu Liddell.

Seine Augen wanderten von ihrem Scheitel bis zu ihrer Sohle. Gewisse Punkte des Verweilens eingeschlossen. »Sie sehen auch nicht gerade abschreckend aus!« Vom nächsten Tisch zog er einen freien Stuhl heran. »Setzen Sie sich!«

Die Blondine blickte zum Podium, wo die Musiker herumsaßen, rauchten und sich Lügen erzählten. »Nur eine Minute. Marty wird mich gleich holen, und er möchte, dass ich fertig bin.« Sie glitt auf den Stuhl. »Es muss Jahre her sein, seit ich Sie zum letzten Mal gesehen habe, Johnny.«

»Sie haben in der Eddie Mills Band gesungen.«

»Dann sind es etwa fünf Jahre.«

Liddell sah, dass die Jahre mit dem Mädchen ziemlich milde umgegangen waren. Unter ihren Augen war ein feines Netzwerk von Linien, ihre Mundwinkel fielen ein wenig ab. Sonst war an ihr aber kein Gramm fehl am Platz oder überflüssig. »Singen Sie noch?«

Die Blondine schüttelte den Kopf. »Singen ist was für Vögel. Mir stehen die Tanzlokale, ungelüfteten Clubs, schmutzigen Theater und zugigen Sporthallen bis oben hin. Schluss damit! Ich habe alles Geld genommen, das ich zusammenkratzen konnte, und habe mir das Lokal gekauft. Es ist nicht viel, aber es gehört Baby.«

Liddell sah sich in dem raucherfüllten Raum um. »Na ja, was die Ventilatoren anbelangt...«

Die Blondine lächelte. »Der Unterschied liegt darin, auf welcher Seite des Zauns man ist. Wenn einem das Lokal gehört, nennt man dies Atmosphäre. Wenn man bloß darin arbeitet, sagt man, es sei ungelüftet.«

»Wie geht das Geschäft?«

»Nicht schlecht. Am frühen Abend ist es nicht übermäßig, wenn die Jungs aber kommen und mitmachen, haben wir ziemlich viel Gäste.« Sie blickte Jerry Means ohne Begeisterung an. »Jeder Musiker in der Stadt gäbe sein Letztes, um mit Marty zu spielen. Ich weiß nicht, was geschehen wird, wenn Jerry ihn zu einer Tournee überredet.«

Der grauhaarige Mann zuckte die Schultern. »Mein Job ist es, ihn arbeiten und dafür Geld verdienen zu lassen.« Er nickte zum Podium hin. »Das mag Spaß sein, bringt ihm aber nicht die Miete ein. Applaus aufzuschlabbern ist großartig, man kann ihn aber auf der Bank nicht einzahlen.«

Die Gruppe auf dem Podium löste sich auf. »Ich mache mich besser fertig«, sagte die Blondine zu Liddell. »Fahren Sie morgen bestimmt nach dem Osten zurück?«

»Ich habe die Frühmaschine gebucht.«

»Grüßen Sie die alte Stadt von mir.«

Liddell grinste. »Sind Sie einsam?«

Lee Carr überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Nicht mehr. San Francisco wächst einem nach einer Weile ans Herz.«

»Sogar das Wetter?«

»Sogar das Wetter. Gut – am Morgen ist es neblig. Wenn man den Nebel nicht mehr mag, braucht man nur bis Mittag zu warten, und es wird sonnig. Die Nächte sind kalt. Wenn einem das Klima nicht gefällt, braucht man nur zwei Stunden zu warten, und es ändert sich.« Sie drehte sich um und ließ dem Agenten ein frostiges Lächeln zukommen. »Danke, dass Sie Johnny mitgebracht haben.« Sie wandte sich wieder an Liddell. »Kommen Sie vorbei, wann immer Sie in der Gegend sind. Wir bleiben hier noch lange im Geschäft, selbst wenn Jerry das nicht glaubt.«

Der sanft aussehende Mann seufzte. »Hören Sie doch auf, mich schlechtzumachen, Lee. Ich versuche ja nur, für den Jungen das Richtige zu tun.«

»Warum lassen Sie ihn nicht selber entscheiden, was für ihn das Beste ist?«

Jerry Means zuckte die Schultern. »Dafür zahlt er mir ja zehn Prozent.«

Die Blondine ignorierte ihn. »Vergessen Sie nicht, Johnny, kommen Sie jederzeit vorbei.« Sie ging zu dem kleinen Büro auf der Rückseite des Clubs.

Liddell beobachtete die Wirkung der wohl gerundeten Hüften und schüttelte den Kopf. »Da müssen Sie schon ein sehr ordentliches Angebot machen, um damit konkurrieren zu können, Jerry«, sagte er zu dem Agenten.

Der Grauhaarige sah dem Hüftwiegen der Blondine nach, bis sie im Halbdunkel auf der Rückseite des Clubs verschwand. »Sie tut mir unrecht, Johnny. Sie glaubt, ich dächte nur daran, den Jungen vor allem aus San Francisco wegzuschaffen.«

Liddell grinste. »Aber das tun Sie nicht.«

»Ich leugne nicht, dass ich dabei gutes Geld verdiene. Dazu bin ich im Geschäft. Aber ich denke auch an ihn. Erstens vergeudet er sein Talent, wenn er es verschenkt, während ich ihn wirklich großes Geld verdienen lassen könnte. Und glauben Sie mir, er kann es brauchen.«

Seine Augen wanderten durch den Raum und zwinkerten hinter der goldgeränderten Brille. »Das hier kann nur ein Hobby sein. Selbst wenn ihn Lee beteiligt.«

»Das Haus scheint mir aber voll zu sein.«

Der Agent schnaubte. »Voll wovon? Keiner der Gäste gibt wirklich etwas aus. Ein Bier, und an dem halten die Kerle noch die ganze Nacht fest, während die Burschen da droben sie kostenlos mit Musik füttern.« Er nickte zum Podium, wo der Trompeter sein Instrument verpackte. »Er kommt gleich her. Sehen Sie ihn an, und sagen Sie mir, was Sie denken.«

Der Trompeter sprang von dem kleinen Podium und kam zwischen den Tischen hindurch auf sie zu. Er war groß und schlaksig. Sein Haar war dick; es fiel ihm über das linke Auge. Seine Lippe sah aus, als ob er an der Seite eine Erdbeere habe. Mit der Zunge leckte er die wunde Stelle, als er am Tisch stehenblieb.

»Wie klang es hier draußen, Jerry?«

Der Agent zuckte die Schultern. »Großartig!« Er nickte Liddell zu. »Das ist Marty Lewis, Johnny.« Dem Musiker erklärte er: »Johnny Liddell ist ein alter Freund aus New York. Zufällig kennt er auch Lee.«

Der Trompeter streckte den Arm aus, gab Liddell einen feuchten Händedruck und zog die Hand zurück. »Hallo!«

Jerry Means blinzelte auf die wunde Stelle an Lewis’ Mund.

»Wie geht’s der Lippe?«

»Als wenn ich einen heißen Schürhaken geküsst hätte.«

Der Agent schüttelte den Kopf. »Du solltest endlich schlau werden, Junge. Du musst zwei Tage pausieren, bis das Ding heilt. Es sieht nicht gut aus.«

»Und was esse ich, während ich auf das Abheilen warte?« Der Musiker machte einen wenig erfolgreichen Versuch, sich das Haar aus den Augen zu wischen. »Und fang nicht wieder damit an, wieviel du mich verdienen lassen kannst, wenn du mich in den Goldquellen buchst. Ich...« Plötzlich packte ihn ein Nies- und Hustenkrampf. Seine Augen begannen zu tränen; er fuhr mit der Hand in die Tasche, holte eine Handvoll schwarzer Pillen heraus und schob sie in den Mund.

Allmählich hörten das Husten und Niesen auf. Lewis zog ein zerknülltes Taschentuch aus der Hintertasche und wischte sich die tränenden Augen. »Verdammtes Asthma«, brummte er. Er nickte Liddell zu. »Erfreut, Sie kennenzulernen.« Dann sagte er zu Jerry Means: »Ich muss laufen, Jerry, Lee wartet, dass ich sie nach Hause bringe. Ich setze mich mit dir in Verbindung.«

»Wann?«

»Dräng mich nicht, Kumpel. Wenn ich einen Grund dazu habe, setze ich mich mit dir in Verbindung.« Er drehte sich und ging nach hinten, wobei er gelegentlich hielt, um eine ausgestreckte Hand zu nehmen oder sich auf den Rücken klopfen zu lassen.

Der Grauhaarige sah ihm düster nach. »Das liebt er – einen Klaps auf den Rücken. Er arbeitet also, und das Ding an seiner Lippe wird immer schlimmer. Und das alles umsonst.«

»Er ist aber ansehnlich voll«, bemerkte Johnny.

Der Agent blickte aufmerksam in Liddells Gesiebt »Voll? Glauben Sie, der Junge ist süchtig? Wie kommen Sie auf die Idee?«

»Die Pillen, die er wie Erdnüsse in den Mund schiebt sind Wunschpillen. Man isst getrocknetes Opium nicht mit voller Hand, wenn man nicht wirklich süchtig ist.«

Der Agent nickte. »Klar, Sie mussten es merken.« Er nahm die Brille mit Goldrand ab, zog ein Taschentuch hervor und polierte die Gläser. »Als ich ihn annahm, hat er Pfeife geraucht, den ganzen Tag und die halbe Nacht lag er in einer Spelunke in Chinatown herum und rauchte das Zeug. Viele Jazzleute hier draußen haben die Gewohnheit Opium gibt es in Hülle und Fülle, und wenn man die richtigen Verbindungen hat, ist es nicht schwer zu bekommen.« Er hob die Brille, blinzelte durch die Gläser und setzte sie wieder auf. »Ich habe es ihm abgewöhnt. Ein Jazzmusiker, der Pfeife raucht, versäumt zu viele Termine und lässt alle Beteiligten die Ursache merken. Zu schnupfen ist das Zeug schwer, deshalb vertauschen viele die Pfeife mit dem Schlucken. Das Essen von getrocknetem Opium entspannt sie sozusagen.«

»Das kann ein teures Hobby werden.«

»Ziemlich teuer«, nickte der Agent. »Als Spitzenmann der Show im Coq d’Or hat er einen guten Wochenscheck. Hauptsächlich lebt er aber auf ALG.«

»Anderer Leute Geld?«

Means nickte. »Geldverleiher. Sie haben ihn am Haken.«

»Setzen sie ihm zu?«

Der Agent schüttelte den Kopf. »Sie lassen ihn immer tiefer hineinschliddern. Sie haben ihm noch nicht zugesetzt, aber wenn sie es tun, hat er das Geld besser in der Tasche.« Er sah betrübt drein. »Und er hat es nicht.«

Liddell schob die Lippen vor. »Das kann ernst werden.«

»Ernster als doppelseitige Lungenentzündung.«

»Ist er sich darüber klar?«

Der Agent zuckte die Schultern. »Sie haben ihn selber gehört. Zumeist sitzt er auf einem so hohen Ross, dass ich ihn nicht zur Vernunft bringen kann. Wenn ich Gelegenheit habe, mit ihm darüber zu sprechen, sagt er, sie könnten aus einer Rübe kein Blut saugen.«

»Er ist keine Rübe. Und wenn die Leute hier so sind wie die Gangster im Osten, lassen sie ihn sehr wohl weißbluten«, sagte Liddell.

»Ich versuche, ihm das immer wieder klarzumachen«, grunzte Means, aber er bildet sich ein, dass sie ihn dauernd mitschleifen. Eines Tages gehen sie auf ihn los. Darum will ich ihn aus der Stadt schaffen.«

Liddell schüttelte den Kopf. »Es gibt kein Versteck, wenn die Jungen jemanden finden wollen. Für den richtigen Preis könnten sie Spucke im Ozean finden.«

»Auf Tournee könnte er aber wenigstens genug verdienen, um mit der Abzahlung zu beginnen. Und vielleicht können wir ihn richtig steuern, wenn er weit genug von seinen Lieferanten weg ist.«

Liddell überlegte und nickte dann. »Nun, das ist sein Problem.« Er schaute auf die Uhr und brummte. »Es ist nach zwei Uhr. Ich gehe besser ins Hotel und packe. Ich fliege in ein paar Stunden.«

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Eine Woche nach Liddells Besuch im Müden Ich trat Marty Lewis aus dem Vordereingang des Clubs, blieb unter dem Vordach stehen, das sich bis zum Randstein spannte, und hielt nach einem Taxi Ausschau.

Ein kalter peitschender Regen fiel schräg aus dem schwarzen Himmel, wie Schrot prasselte er in die Pfützen in der Gosse. Um alles noch schlimmer zu machen, fegte ein kalter Wind durch die von Menschen geschaffenen Canyons. Es war eine jener Nächte, in denen Taxifahrer ein sadistisches Vergnügen daran zu finden scheinen, in Deckung zu bleiben.

Lewis blieb einen Augenblick frierend stehen. Er machte einen letzten Zug an der Zigarette, die er in der hohlen Hand hielt, und warf sie dann zum Randstein. Gereizt zerrte er am Rockkragen und zog ihn zum Schutz gegen den Regen näher ans Gesicht, dann trat er aus der Deckung der Markise heraus. Die Trompete unter den Arm geklemmt, lehnte er sich gegen den Wind und griff nach seinem Hut.

Undeutlich bemerkte er, dass irgendwo ein Wagenmotor anlief, als er auf der Suche nach einem Taxi heraustrat. Er war halbwegs weitermarschiert, obwohl ihn kein Wagen passiert hatte. Er hielt an und drehte sich um.

Hinter ihm, über dem Eingang des Müden Ich, summte und flackerte das Neonschild und warf schmutzig-rote Lichter auf die Markise. Ein Wagen ohne Lichter rollte an den Straßenrand.

Marty Lewis wurde von einer unvernünftigen Panik erfasst. Er war allein auf der Straße – niemand konnte helfen. Dem Wagen konnte er nicht davonlaufen. Seine einzige Chance lag darin, in den Club zurückzukommen. Er drehte sich und rannte zum Eingang.

Der Wagen hielt. Die Hintertür flog auf, ein Mann drängte sich heraus. Lewis versuchte, um ihn herumzukommen. Der Mann packte ihn am Arm und riss Lewis herum. Er bog ihm den Arm auf den Rücken, ließ ihn auf den Zehenspitzen zur Seite des Wagens marschieren und stieß ihn dagegen.

»Was soll das heißen?«, stieß Lewis japsend heraus. Seine Augen waren vor Furcht geweitet.

Der Mann, der ihn gepackt hatte, war breitschultrig und klobig. Er hatte einen Fedorahut tief in die Stirn gezogen. Er schob sein Gesicht dicht vor das des Musikers, seine dicken Lippen grinsten erwartungsvoll. Sein Gesicht wurde von einer zerschlagenen Nase verziert.

»Ich habe eine Nachricht für Sie, Kumpel. Eine Nachricht per Einschreiben. Sie sagt, dass man zahlen muss, wenn man Geld schuldet!«

Marty Lewis wand sich von dem grinsenden Gesicht weg und presste sich gegen den Wagen. »Ich werde bezahlen, ich werde bezahlen«, wimmerte er.

»Sicher wirst du bezahlen!« Der Mann mit der zerquetschten Nase nickte. »Das sind nur die Zinsen.« Er riss die schinkengroße Hand herauf und vergrub sie bis zur Manschette im Leib des Musikers. Die Luft pfiff zischend aus Lewis’ Lunge. Er sank schon zu Boden, der klobige Mann fing ihn auf und streckte ihn mit einem weiteren Körpertreffer nieder.

Lewis’ Knie knickten ein, sein Kopf rollte nach vorn, sein Hut fiel in die Gosse. Der große Mann trat zurück, er ließ den Musiker als formloses Bündel zu Boden stürzen.

Der Fahrer des Wagens beugte sich über den Rücksitz und schaute ohne Neugier auf den Mann am Boden. Marty lag in einer Pfütze, die Knie gegen den Leib gezogen. »Sei vorsichtig, triff ihn nicht am Mund. Wenn seinem Bläser etwas passiert, ist er für niemanden mehr etwas wert«, warnte der Fahrer den Schläger. »Geh nur sicher, dass er weiß, dass wir nicht scherzen.«

Der Mann mit der zerschlagenen Nase nickte. Er bückte sich, fasste Marty Lewis an den Schultern und riss ihn hoch. Die Augen des Musikers waren glasig, Speichel lief ihm aus den Mundwinkeln, das Haar hing ihm feucht ins Gesicht. Der große Mann lehnte Lewis gegen die Stoßstange des Wagens. Er schlug ihm eine Rechte und eine Linke in den Leib. Lewis’ Augen wurden noch verglaster, sie rollten nach oben. Die Wucht des Schlags drapierte ihn über die Stoßstange. Er glitt langsam an ihr hinab und kippte in die Gosse. Dort lag er auf dem Rücken, der peitschende Regen schlug in sein Gesicht.

»Genug?«, fragte der Schläger den Mann am Steuer.

Der Fahrer überlegte kurz. »Noch ein wenig. Es hat keinen Sinn, wenn wir wiederkommen und neu anfangen müssen.«

Der Schläger trat dem halb bewusstlosen Mann in die Seite. Er trat weiter zu, bis Lewis die Augen aufschlug. Dann vergrub er seine Finger im Haar des Musikers und zerrte ihm den Kopf hoch.

»Hast du begriffen, Musiker? Das sind bloß Zinsen. Das nächste Mal...«

Lewis hatte Schwierigkeiten, ihn anzusehen. Er bewegte die Lippen, aber kein Laut kam heraus.

Plötzlich teilten am anderen Ende der Straße zwei Scheinwerfer in Zwillingsstrahlen die Dunkelheit, als ein Wagen um die Ecke bog.

»Das muss genügen«, brummte der Fahrer. »Steig ein!«

Der Schläger ließ Lewis’ Kopf aufs Pflaster fallen und stieg über ihn hinweg in den Fond des Wagens. Der Fahrer fuhr die Straße hinauf, er fuhr ohne Licht, bis er um die Ecke gebogen war.

Hinter ihnen fing der Wagen, der die Misshandlung unterbrochen hatte, die bewusstlose Gestalt des Musikers im Licht seiner Scheinwerfer auf. Die Bremsen kreischten, der Fahrer sprang heraus und lief zu der Stelle, wo Marty Lewis stöhnend in der Gosse lag.

Der Fahrer überzeugte sich, dass der Mann noch lebte, dann sah er sich nach Hilfe um. Das einzige Lebenszeichen längs der Straße war der beleuchtete Eingang des Müden Ich. Er ließ Lewis liegen und lief zum Club.

Lee Carr, die blonde Besitzerin des Müden Ich stand im Vestibül und sprach mit dem Garderobenmädchen. Sie schaute auf, als der Mann hereinrannte.

»Vorn hat es einen Unfall gegeben«, platzte der Mann heraus. »Sieht nach Überfahren und Fahrerflucht aus.«

Die blonde Clubbesitzerin fuhr sich erschreckt mit der Faust gegen den Mund. »Marty! Es muss Marty sein! Er ist eben weg!« Ohne Hut und Mantel rannte sie an dem Mann vorbei auf die Straße.

Der Mann drehte sich und starrte ihr nach.

»Es ist ihr Freund. Er ist eben gegangen«, sagte das Garderobenmädchen. »Glauben Sie, dass er einen Krankenwagen braucht?«

»Er sah schwer verletzt aus.«

Wortlos eilte das Garderobenmädchen zum Münztelefon an der Wand.

Draußen lief Lee Carr zu Marty Lewis, der ausgestreckt im Scheinwerferlicht des Wagens lag. Sie ließ sich in der regennassen Gosse auf die Knie fallen, hob seinen Kopf und legte ihn in ihren Schoß. Sie strich ihm das feuchte Haar aus dem Gesicht und beobachtete ängstlich, wie er wieder zu Bewusstsein kam. Schließlich öffnete er die Augen, kämpfte darum, richtig zu sehen, und schien sich zu entspannen, als er sie erkannte.

»Du bist in Ordnung, Marty, du bist in Ordnung. Gleich kommt ein Krankenwagen.«

Er versuchte zu nicken, als die Worte der Blondine durch den Nebel drangen, in dem er sich befand. Die Worte kamen wie von weither; sie wirkten wie eine ineinanderlaufende dicke Flüssigkeit. Er kämpfte gegen den schwarzen Fleck, der ihn wieder einzuhüllen drohte. Er wusste, dass er dahinglitt; er rang um das Bewusstsein, aber der schwarze Fleck umfing ihn und ließ ihn schwindelerregend umherwirbeln, bis er still in seinen Tiefen versank.

 

Einen medizinisch süßen Geruch in seiner Nase, schlug Marty Lewis die Augen auf und blickte sich in dem unvertrauten sterilen Weiß des Raumes um. Ein stämmiger Mann, der auf einem Stuhl eine Zeitung las, stand auf und ging zu Lee Carr am Fußende des Bettes.

Sie warteten, bis seine Augen durch den Raum gewandert waren und auf ihnen haftenblieben.

»Marty, wie geht es dir?«, fragte die Blondine besorgt.

»Ich lebe«, stöhnte er. Er zuckte, als seine Finger seinen Leib betasteten. Er sah den stämmigen Mann an. »Wer sind Sie?«

»Polizei.«

Lewis lächelte schief. »Sie kommen etwas spät, um mich zu beschützen.«

Der stämmige Mann schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht da, um Sie zu beschützen. Hier ist das Gefängnisrevier. Sie sind verhaftet.«

Der Mund des Musikers wurde schlaff. »Verhaftet? Ich bin verprügelt worden, vergessen Sie das nicht. Weshalb bin ich verhaftet?«

»Ich bin von der Rauschgiftabteilung. Sie werden wegen Besitz von Rauschgift festgehalten.«

Marty Lewis starrte den Beamten verständnislos an. »Besitz von Rauschgift?«

Der Stämmige nickte. »Wunschpillen. Getrocknetes Opium. Sie hatten die Tasche voll, als Sie eingeliefert wurden.«

»Marty, sprich kein Wort!«, unterbrach Lee Carr. »Ich hole dir einen Anwalt und...«

»Tun Sie das, Lady, er wird einen Anwalt brauchen. Einen guten«, sagte der Beamte. »Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie bleiben können, bis er seine Äuglein aufschlägt. Sie wissen jetzt, dass er noch lebt.« Er fasste sie am Ellbogen und steuerte sie zur Tür.

»Ich bin wieder da, sobald ich jemanden habe, der sich um dich kümmert«, versprach sie, als der Kriminalbeamte die Tür öffnete und sie hinausschob. Er schloss die Tür und kehrte zum Bett zurück. »Sie sind in großen Schwierigkeiten, Mister.«

»Wie groß?«

Der stämmige Mann schob die Lippen vor und überlegte. »In wirklich großen. Andererseits könnten Sie vielleicht ein Geschäft machen.«

»Wie?«

»Die Rauschgiftabteilung ist daran interessiert, die Quellen allen Opiums aufzuspüren, das in der Stadt auftaucht. Bis jetzt wissen wir nichts über die Verbindungen. Wenn Sie mitarbeiten wollten...«

Der Mann im Bett schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Spitzel.«

Der Kriminalbeamte zuckte die Schultern. »Früher oder später fassen wir die Verbindung, ob mit Ihrer Hilfe oder ohne sie. Wenn es ohne Sie geschieht, wird es Ihnen nichts nützen. Sie werden in einer Zelle kalten Schweiß rotzen.« Er wandte Lewis den Rücken und nahm seine Zeitungslektüre wieder auf.

Marty Lewis lag auf dem Kissen und starrte den Beamten betroffen an. Der Mann zeigte nicht, dass er die Anwesenheit des Musikers noch bemerkte, als er die Blätter der Zeitung umdrehte.

Die Uhrzeiger auf dem Nachttisch wiesen auf zehn Uhr dreißig, als sich die Tür öffnete und ein großer dünner Mann, von einem Arzt in Weiß begleitet, hereinkam. Der dünne Mann nickte dem Beamten zu, der bei seinem Eintreten aufgesprungen war. Der Arzt ging zum Bett und schlug die Decke zurück.

Die ganze Fläche unter Lewis’ Brustkasten hatte sich verfärbt. Der Arzt schüttelte den Kopf. »Sie sind ein glücklicher Mann.«

»Wenn ich wirklich glücklich wäre, wäre ich tot.«

Der Arzt sah teilnehmend drein. »Ich habe von der Geschichte gehört. Aber der Wertsachenverwalter musste Ihre Habe aufnehmen. Und das Gesetz wird ziemlich engstirnig, wenn jemand versäumt, Rauschgift zu melden.«

Der dünne Mann rückte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. »Kann ich jetzt mit dem Häftling sprechen, Doktor?« Er war frisch rasiert und gepudert. Seine Nase war dünn und scharf, sein Mund eine gerade Linie. Seine Augen waren dunkle Scheiben und steckten tief unter dicken buschigen Brauen. Über den Schläfen wurde sein Haar schon silbrig.

Der Arzt richtete sich auf und nickte. »Wir haben geröntgt, als er eingeliefert wurde. Keine Knochenbrüche. Er wird für etwa eine Woche im Leib ziemlich steif und wund sein, aber ich glaube nicht, dass ein Dauerschaden zurückbleibt.«

Der dünne Mann nickte. »Gut.« Er ging zum Bett. »Mein Name ist Gordon Wheeler«, sagte er zu Lewis. »Ich bin Leutnant und leite die Rauschgiftabteilung.« Er wandte sich an den Arzt. »Ich glaube nicht, dass wir Sie an Ihren Pflichten hindern sollen, Doktor«, lächelte er eisig.

»Sehr rücksichtsvoll von Ihnen.« Der Arzt lächelte nicht. Er ging zur Tür; die Hand an der Klinke, sagte er zu dem Mann im Bett: »Viel Glück!«

Der Leutnant sagte nichts; er wartete, bis der Mann in Weiß die Tür geschlossen hatte. Ohne Neugier sah er Lewis an. »Sie sind in einer ziemlich schwierigen Lage. Sie wissen wohl, dass der Besitz von Rauschgift strafbar ist?« Als Lewis nicht reagierte, lächelte der dünne Mann kalt. »Noch schlimmer ist der Verkauf von Rauschgift.«

Der Musiker wollte sich aufsetzen, zuckte bei der Schmerzwelle in seinem Leib zusammen und sank zurück. »Ich bin kein Händler. Das wissen Sie.«

Der Leutnant überlegte kurz und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Sie hatten wirklich einen reichlichen Vorrat bei sich. Wir wissen, dass Sie Musiker sind und dass viele Musiker getrocknetes Opium essen.« Er zuckte die Schultern. »Was wäre logischer als die Annahme, dass Sie ihr Lieferant gewesen sind.«

»Bin ich nicht«, beteuerte Lewis.

»Der Besitz von getrocknetem Opium kann ihnen zwischen dreißig und sechzig Tagen Haft eintragen. Eine Verurteilung wegen Handel drei bis fünf Jahre Gefängnis.« Das kalte Lächeln war wieder da. »Ein Weg, zu beweisen, dass der Vorrat zu Ihrem eigenen Gebrauch bestimmt war, wäre natürlich der, uns zu sagen, wo Sie das Opium her haben. Wenn Sie nicht der Lieferant sind, ist es ein anderer. Wir finden den anderen. Er bekommt die drei bis fünf Jahre; wir sagen dem Staatsanwalt, wie hilfsbereit Sie gewesen sind, und Sie kommen mit dreißig Tagen davon. Vielleicht sogar auf Bewährung.«

Der Mann im Bett schüttelte den Kopf.

Das frostige Lächeln wurde eisig. »Wie Sie wollen. Wir erreichen, was wir wollen.« Er wandte sich an den Kriminalbeamten. »Bleiben Sie dem Arzt auf der Pelle. Sobald unser Freund transportfähig ist, will ich ihn in einer Ernüchterungszelle haben, damit er eine Ahnung davon bekommt, was ihn in den nächsten fünf Jahren erwartet.« Er wandte sich wieder an Lewis. »Ich höre, dass Sie ein ziemlich heißer Trompeter sind. In fünf Jahren kann ein Mann ziemlich abkühlen.« Ohne sich umzuschauen, verließ er den Raum.

Der Stämmige schüttelte den Kopf. »Ich habe blöde Knilche gesehen, aber so einen wie Sie noch nicht.«

Der Mann im Bett leckte sich die Lippen. »Die Kerle würden mich umbringen.«

Der Kriminalbeamte sah ihn an. »Soll ich Ihnen was sagen? Sie werden noch oft glauben, dass das geradezu eine Gefälligkeit gewesen wäre.«

Er nahm seine Zeitung wieder auf und blätterte darin.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Zwei Tage später wurde Marty Lewis aus dem Gefängnisrevier in eine Ausnüchterungszelle geschafft.

Die Ausnüchterungszellen waren im Keller des Hauses, in dem die Rauschgiftabteilung untergebracht war. In dem Büro davor saß ein Wärter, den Stuhl an die Wand zurückgekippt, die Füße bequem in eine offene Schublade gelegt. Er hatte den fahlen Teint eines Mannes, der nicht viel Zeit in der Sonne zubringt; seine Augen waren wässerig und schwach. Ohne die Miene zu verziehen, sah er den stämmigen Kriminalbeamten und den Musiker kommen.

»Pop, ich habe einen Tauber für deinen Käfig.«

Der Wärter reckte sich und ließ die Stuhlbeine zurückkippen. Er streckte den Arm, nahm einen großen Schlüsselring vom Haken und stand auf.

In dem Block waren acht Zellen, vier auf jeder Seite eines Betongangs, wo die nackten Deckenbirnen vierundzwanzig Stunden am Tag brannten. Die zwei ersten Zellen rechts waren mit Vagabunden belegt, die entweder Säufer oder Süchtige waren. Beide hatten das Zucken und Zittern, Symptome des Frühstadiums der Entwöhnung. Lewis blickte weg, als sie an den Zellen vorbeigingen. Der Gefängniswärter ging zur vierten Zelle rechts; der Musiker war froh, dass die gegenüberliegende Zelle unbelegt war. Dann sperrte der Wärter auf und öffnete die Gittertür.

Die Zelle maß etwa zweieinhalb Meter mal eins-achtzig. Ein Bett hing an Ketten an der Wand, dazu gab es eine offene Toilette und eine Waschschüssel mit einem schmutzigen Spiegel darüber. Der Rauschgiftmann schob Lewis in die Zelle und wartete, bis der Wärter die Tür schloss und versperrte.

»Lassen Sie es Vater wissen, wenn Sie den Leutnant sehen wollen«, sagte der Beamte zu Lewis. Dann drehte er sich und folgte dem Wärter zu seinem kleinen Büro.

Aus der Richtung der zwei Endzeilen setzte ein Wimmern und Stöhnen ein. Lewis legte die Handflächen auf die Ohren, er lief drei Schritte nach rechts und dann drei Schritte nach links...

Jetzt wurde ihm klar, dass er eine kalte Entwöhnung nicht überleben würde – genauso wenig wie drei Jahre Knast –, nicht besser als ein eingesperrtes Tier.

 

Leutnant Gordon Wheeler von der Rauschgiftabteilung stand am Fenster seines kleinen Büros und starrte in den Nebel hinaus. Irgendwo draußen auf der Bucht heulten die Nebelhörner, gelegentlich ertönte eine Dampfsirene.

Der stämmige Kriminalbeamte lehnte an der Wand neben der Tür und beobachtete den Mann am Fenster.

Schließlich kehrte Wheeler zu seinem Schreibtisch zurück und ließ sich auf den Stuhl sinken. »Wir werden ihn nicht viel länger festhalten können«, sagte er zu dem Kriminalbeamten. »Sein Mädchen läuft herum, um ihn mit allen Mitteln herauszuholen. Unsere einzige Hoffnung ist, dass er in Panik gerät.«

»Welchen Verhaftungsgrund haben Sie angegeben?«

Der Leutnant zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf.

»Mit Rauschgifthandel kommen wir nicht durch – nur Rauschgiftbesitz.«

»Nicht einmal Verdacht auf Handel.«

Der Mann am Schreibtisch blickte zu ihm auf. »Haben Sie jemanden, der sagte, er sei Lewis’ Kunde gewesen?« Wieder schüttelte er den Kopf. »Unsere beste Chance ist Rauschgiftbesitz, und das ist ein so kleines Vergehen, dass ich die Zeit des Staatsanwalts damit nicht vergeuden möchte.«

Der Mund des Beamten wurde schlaff. »Sie wollen sagen, Sie lassen den Mann einfach davonlaufen?«

»Ich mache am Nachmittag noch einen Versuch mit ihm. Wenn er dann nicht zusammenbricht und mitarbeiten will, werden wir ihn Antrag auf Kaution stellen lassen müssen.«

»Wenn er erst wieder frei ist, arbeitet er nie mehr mit uns zusammen.«

Der Leutnant nickte. »Klar! Darum mache ich ja am Nachmittag einen letzten Versuch. Vielleicht haben ihn zwei Stunden im Bunker weichgemacht.« Er sah auf die Armbanduhr. »Lassen wir ihn noch zwei Stunden dort, dann reden wir mit ihm.«

Marty Lewis saß auf der Kante des Bettes, als er die schlurfenden Schritte des alten Gefängniswärters auf dem Gang hörte. Er sprang vom Bett auf und presste das Gesicht gegen das Gitter. Hinter dem Wärter kamen der Leutnant und der Beamte, der ihn hierhergebracht hatte.

Der Musiker umklammerte die Gitterstäbe, bis seine Knöchel weiß wurden. Sein Hemd war schweißnass und hing klebrig an seinem Körper. Das Haar, durch das er dauernd mit den Fingern gefahren war, sträubte sich nach allen Seiten. Er hatte es noch nie durchgemacht; aber auch ohne, dass man es ihm sagte, wusste er, dass er den Beginn der Qualen der Entziehung durchlebte.

Er wartete ungeduldig, während der Wärter den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür öffnete. Sein Gesicht glänzte feucht im Schein der Deckenlampe.

Der Leutnant kam, gefolgt von dem Beamten, herein.

»Wann lassen Sie mich heraus?«, fragte Lewis. »Sie haben kein Recht, mich so festzuhalten. Ich will einen Anwalt.«

Der Leutnant zeigte sein frostiges Lächeln. »Natürlich. Regen Sie sich nur nicht auf! Sie sind ja erst heute Morgen aus dem Hospital gekommen.« Er sah sich in der Zelle um. »Ich kann verstehen, dass Sie herauswollen. Wenn auch nur auf Zeit.«

Lewis leckte sich die Lippen. »Was meinen Sie mit auf Zeit?«

Wheeler zuckte die Schultern. »Ihr Prozess findet in ein paar Wochen statt. Die Verurteilung ist sicher, dann kommen Sie wieder. Vielleicht auf fünf Jahre.«

Der Musiker schwankte zum Bett und sank darauf. »Das überlebe ich nicht.«

»Warum versuchen Sie es nicht?«, fragte der Leutnant. »Arbeiten Sie mit uns zusammen, und Sie müssen vielleicht überhaupt nicht zurück.« Er studierte das Gesicht des Musikers. »Nennen Sie uns Ihre Quelle und Sie können gehen.«

Lewis starrte ihn ungläubig an. »Einfach so?«

Der Leutnant zuckte die Schultern. »Wir wollen nicht Sie – wir wollen die Quelle. Dafür machen wir einen Handel.«

Lewis fuhr sich mit der Handkante das Kinn entlang, »Wie weiß ich, dass Sie Ihr Wort halten?«

»Sie wissen es nicht. Sie wissen aber, dass Sie die nächsten fünf Jahre hinter Gittern zubringen, wenn Sie nicht mit uns zusammenarbeiten.«

Lewis ließ die Hand vom Kinn sinken und starrte darauf, als sie in seinem Schoß lag. Seine Finger öffneten und schlossen sich. Schließlich schaute er auf: »Zwei Blocks östlich von Old St. Mary ist ein Opiumraum in einem Unterkeller. Seit ich zum trockenen Opium überging, holen es einige Jungens, die noch bei der Pfeife sind, dort für mich ab.«

Der Beamte zog ein Ledernotizbuch aus der Hüfttasche. »Die Adresse?«

Lewis holte tief Atem und zögerte kurz. Dann sagte er mit schwacher Stimme: »Zwei-achtundzwanzig A Devine.« Er sah zu, während der Beamte schrieb. »Wissen Sie was?«

Der Beamte blickte auf. »Was?«

Lewis wies mit zitterndem Finger auf das Notizbuch. »Es könnte mein Todesurteil sein, was Sie da schreiben!«

Der Leutnant schüttelte den Kopf. »Keine Sorge. Niemand außer uns dreien weiß, wer es uns sagte. Man weiß nicht einmal, dass Sie je in Polizeigewahrsam waren. Sie wurden nie verhaftet, nie angeklagt. Soviel man weiß, waren Sie im Krankenhaus und haben sich von einer schweren Körperverletzung erholt.«

»Sie wollen sagen, dass ich jetzt gehen kann?«

Der Leutnant wies auf die offene Tür.

Lewis stand auf und eilte zur Tür. Er verschwendete keinen Blick auf den Alten an seinem Pult, als er zum Aufzug im Gang rannte.

Vor dem Haus winkte er einem Taxi, nannte die Adresse seines Hotels und ließ sich in die Polster sinken. Er begann unbeherrscht zu zittern. Seine Beine und Augen schmerzten, das Wasser lief aus ihm. Seine Nerven schienen sich zu einem wilden Chor zu vereinigen.

Im Hotel eilte er in sein Zimmer hinauf und zu dem Notvorrat von Wunschpillen, den er dort aufbewahrte. Es gelang ihm, die zitternde Hand voll schwarzer Pillen zum Mund zu führen und sie zu schlucken. Dann taumelte er zum Bett, fiel voll angekleidet darüber und versank in einen traumlosen Schlaf.

 

An der Fillmore Street in San Francisco standen noch die riesigen Holzhäuser aus der Jahrhundertwende, mit ihren vortretenden Fenstern und ihrem nutzlosen Holzwerk – hässliche Erinnerungen an die Gingerbread-Periode der amerikanischen Architektur. Einige dieser Häuser verfallen und dienen ihre letzten Jahre als Pensionen ab, ehe sie den sich ausweitenden – genauso hässlichen – Einheitshäusern Platz machen. Andere sind schon seit Jahrzehnten in der gleichen Familie und werden aus Pietät erhalten.

Jerry Means’ Künstleragentur befand sich in einem dieser Häuser. Er hatte das vordere Wohnzimmer zu einem Büro und das Obergeschoss zu seiner Wohnung umgewandelt. Er saß in seiner charakteristischen Haltung, die Schultern hochgezogen, seine Augen zwinkerten hinter der Goldbrille, während er die Morgenzeitung las. Als er jemanden die Stufen heraufkommen hörte, beugte er sich zurück und spähte durch die Ritzen der Jalousie.

Als er in dem Besucher Marty Lewis erkannte, faltete er die Zeitung bedächtig zusammen und legte sie auf die Ecke des Schreibtisches, sah auf die goldene Uhr, die er an einer Kette in der Westentasche stecken hatte, und schnalzte mit der Zunge. Es war ungewöhnlich, dass Nachtmenschen um zehn Uhr morgens unterwegs waren. Er steckte die Uhr wieder ein, setzte sich bequemer zurecht und wartete, dass seine Sekretärin den Musiker anmeldete.

Als Marty Lewis das Büro betrat, ließ sein Aussehen erkennen, dass er wirklich nicht daran gewöhnt war, um diese Stunde unterwegs zu sein. Seine Augen waren rot gerändert, einige Bartstoppeln glänzten an der Kinnlinie, wo er sie bei der Morgenrasur übersehen hatte. Sein Haar war wirrer als üblich. Der Agent stand auf und schob seine Hand über den Schreibtisch, der Musiker drückte sie schlaff. »Junge, ich habe mir wegen Ihnen viel Sorgen gemacht.« Er wies auf den Stuhl am Schreibtisch. »Als Sie nicht zu Ihrer Show im Coq d’Or kamen, kam mir Timmy Costanza ins Genick. Als ich hörte, was geschehen ist, sagte ich, Sie hätten einen Unfall gehabt.«

»Sie wollten, dass ich meine Lippe schone. Jetzt hat sie Schonzeit gehabt.«

»Nach dem, was ich von Lee Carr hörte, war es eine ziemlich harte Schonzeit.« Er blickte auf den Mund des Musikers. »Sie sieht aber viel besser aus«, räumte er ein.

Lewis holte einige Pillen aus der Tasche und schob sie in den Mund.

»Nehmen Sie das Zeug immer noch? Hören Sie besser auf, ehe...«

»Dafür bin ich auf dem Markt – nicht für guten Rat«, schnappte Lewis. Mit einer Grimasse ließ er sich auf den Stuhl gegenüber dem Agenten sinken.

Means beobachtete ihn wortlos, er hatte die Finger über der Schreibtischkante verschränkt.

Als der Musiker schließlich saß, sah er zu Means’ Gesicht auf. »Glauben Sie, dass Sie mir noch die Buchungen verschaffen können, von denen Sie geredet haben?«

Jerry Means nickte. »Kein Problem.«

Marty Lewis runzelte die Stirn. Mit den Fingern erkundete er vorsichtig die empfindlichen Stellen an seinem Leib. »Wieviel denken Sie, kann ich dabei herausholen?«

»Eine Menge Geld.«

Das Stirnrunzeln vertiefte sich. »Was ist eine Menge Geld?«

Der Mann hinter dem Schreibtisch hob den Blick zur Decke und hustete leise. Sein Adamsapfel bewegte sich beim Husten. »Zwanzigtausend, vielleicht fünfundzwanzig.« Sein Blick senkte sich von der Decke zum Gesicht des Musikers. »Aber Sie werden dafür mindestens drei Monate auf Tournee sein müssen. Es hat keinen Sinn, etwas anzufangen, wenn Sie nicht sicher sind, dass Sie es auch durchstehen.«

»Ich weiß, ich weiß«, grollte Lewis. »Warum vertonen Sie das nicht und singen es? Ich habe die Litanei oft genug gehört.«

»Ich will nur, dass wir einander verstehen. Sie haben immer so sehr gezögert...«

»Das hat sich jetzt geändert. Ich will weg, sobald ich kann, und wegbleiben, solange ich kann.«

Means nickte befriedigt. »Das klingt schon besser. Ich kann alles in zwei Wochen, vielleicht in einem Monat arrangieren und...«

»Ich brauche einen Vorschuss auf meine Gage.«

Ein Stirnrunzeln in Form eines V erschien zwischen den Brauen des älteren Mannes. Er nahm die Brille von der Nase und lehnte sich zurück. »Vielleicht kann ich ein paar hundert aufbringen.«

»Ein paar hundert? Wenn ich nicht sechstausend in die Hand bekomme, bin ich tot. Und ich brauche sie sozusagen vorgestern.«

Der Mann hinter dem Schreibtisch setzte die Brille wieder auf die Nase und pfiff lautlos. »Sechstausend? Das ist viel Geld.«

»Sie haben eben gesagt, dass ich auf Tournee fünfundzwanzig verdienen kann.«

Means nickte. »Sicher. Aber ich habe nicht gesagt, im Augenblick. Vielleicht in drei Monaten.«

»Sie können es aufbringen. Sie riskieren doch nichts. Ziehen Sie es von meinem Anteil ab, ehe ich einen Dollar anrühre.«

Der Agent schüttelte zweifelnd den Kopf. »Solche Geschäfte mache ich nicht gern, Marty.«

Der Musiker beugte sich vor. »Entweder wir machen dieses Geschäft so, oder nichts geht.« Er richtete sich unter Schmerzen auf, knöpfte sein Sakko auf und zog das Hemd heraus. Er hob es, dass sein bloßer Leib sichtbar wurde. Die Verfärbung unter seinem Brustkorb war dunkelblau geworden, an der Seite, wo er getreten worden war, waren orangefarbene und rote Streifen. »Das war nur eine erste Abreibung.«

»Aber sechstausend, Marty. Ich wusste, dass Sie in die Krallen der Wucherer gefallen sind, aber nicht, dass es so viel war. Wie haben Sie sich nur auf sechstausend einlassen können?«

Lewis stopfte das Hemd wieder in den Hosenbund. »Das habe ich nicht. Schuldig bin ich den Kerlen nur zwei, der Rest sind Zinsen.« Er zuckte die Schultern. »Was macht es schon aus? Zwei oder sechs? Mit einer Pistole könnte ich nicht einmal tausend aufbringen.« Mit einer wirkungslosen Geste versuchte er, das Haar aus dem Gesicht zu streichen.

»Vielleicht kann ich Lee überreden, dass sie das Lokal verkauft und so etwas Geld aufbringt. Wenn ich es nicht kann, brauchen Sie zur Beerdigung keine Blumen zu schicken.« Er drehte sich und wollte zur Tür.

Der Agent wartete, bis er die Hand an der Klinke hatte. »Angenommen, ich könnte die sechs aufbringen? Gibt es bei der Tournee keine Schwierigkeiten?«

»Keine Schwierigkeiten.« Der Musiker drehte sich und sah ihn an.

»Wie steht’s mit dem Mädchen, Lee?«

»Überlassen Sie diese Sorge mir.«

Der Agent schüttelte den Kopf. »Ich sorge mich ihretwegen. Sie wird alles tun, um es Ihnen auszureden.«

Lewis legte die Hand auf den Leib. »Die Jungens reden lauter. Lee wird keine Chance bekommen, es mir auszureden. Verschaffen Sie mir das Geld, und ich sorge dafür, dass sie über nichts mit mir spricht.«

»Ist Ihnen das wirklich ernst?«

Lewis schnaubte erschöpft. »Hören Sie mal, wenn ich die Wahl zwischen einer Nummer im Heu und einem Brett in der Leichenhalle habe, verhandle ich mein Sexleben anderswo.«

Der Agent zögerte kurz, dann nickte er. »Okay. Abgemacht! Ich bringe die sechstausend auf, und Sie brechen mit der Blondine und halten sich strikt ans Geschäft, bis ich die Buchungen erledigt habe.«

»Wann bekomme ich das Geld?«

Means sah gequält drein. »Heute Abend.«

 

 

 

Viertes Kapitel

 

 

Lee Carr war unruhig.

Im Müden Ich wanderte sie von Tisch zu Tisch, bemühte sich um ein Lächeln für die Stammgäste und lauschte mit halbem Ohr auf die Jam Session im vorderen Teil des Raums. Sie war gut, aber nicht annähernd so gut wie in den Tagen, als Marty Lewis teilgenommen hatte. Und Marty Lewis hatte seit der Nacht, in der er verprügelt wurde, nicht mehr teilgenommen.

Wenn es bloß die Schmerzen in seinem Leib gewesen wären, die ihm die Arbeit erschwert hätten, so hätte sie das verstehen können. Was ihr aber Sorgen machte, war seine Haltung ihr gegenüber. Als sie festgestellt hatte, dass er aus dem Gefängnisrevier entlassen worden war und dass man keine Anklage gegen ihn erhoben hatte, war sie überschwänglich glücklich gewesen. Aber für die nächsten paar Tage hatte er sich hartnäckig geweigert, ihre Anrufe anzunehmen. Als sie dann im Coq d’Or, wo er arbeitete, aufgetaucht war, hatte er sie nicht sprechen wollen.

Lee ließ sich an einem leeren Tisch auf einen Stuhl fallen und sah sich um. Es gab mehr leere Tische als üblich. Die Nachricht, dass Marty nicht mehr mitspielte, hatte bei den Nachtmenschen schnell die Runde gemacht. Die Blondine nahm eine Zigarette aus der Tasche, zündete sie an und ließ den Rauchfaden zu der langsam wirbelnden Wolke unter der Decke aufsteigen.

Sie hatte die Zigarette fast geraucht, als eine Kellnerin neben ihrem Tisch erschien. »Miss Carr, ein Anruf für Sie – im Büro«, sagte sie.

»Stellen Sie fest, wer es ist und...«

»Marty Lewis ist am Apparat.«

Die Blondine drückte die Zigarette aus, stand auf und eilte in das winzige Viereck, das ihr als Büro diente. Sie ließ sich auf den Schreibtischstuhl sinken und nahm den Hörer auf. »Marty?«

Sie hörte die vertraute Stimme: »Hallo, Lee!«

»Marty, was war denn los, warum hast du dich nicht gemeldet? Ich war halb verrückt und...«

»Ich erzähle dir alles, wenn du herüberkommst«, sagte Lewis. »Die Dinge waren etwas kompliziert, aber von jetzt an wird alles wieder in Ordnung sein.«

»Aber...«

»Stell keine Fragen. Ich erzähle dir alles, wenn du kommst.« Es klickte, als der Musiker die Verbindung unterbrach.

Lee Carr legte den Hörer wieder auf. Sie nahm ihre Tasche, holte den Mantel vom Haken und verließ das Büro durch die Hintertür.

 

Das Court Hotel liegt am Washington Square im Herzen des North Beach, der eigentlich kein Strand ist. Aber der Washington Square ist schließlich auch kein viereckiger Platz, und er liegt auch nicht an der Washington Street. Die Statue, die den Platz beherrscht, ist auch nicht die George Washingtons. Es ist eine Statue Benjamin Franklins. Aber trotz allem – obwohl die Columbus Street eine Ecke vom Washington Square abschneidet, sodass er fünf Seiten statt vier hat, und obwohl es die Statue Benjamin Franklins ist und nicht die Washingtons, und obwohl er mindestens sechs Häuserblocks von der Washington Street entfernt ist, heißt er nach wie vor Washington Square.

Das Hotel selbst war ein alter verwitterter Steinbau, der sich in eine Reihe ähnlich verwitterter Steinbauten im North-Beach-Gebiet einschmiegte. Es hatte ein verblasstes Vordach, das Anzeichen eines hoffnungslosen Kampfes mit der Zeit und starken Winden aufwies. Die Steinfassade war schmutzig und sah vernachlässigt aus.

Vor dem Hotel verließ Lee Carr das Taxi und trat ein. Ein fadenscheiniger, verblasster Teppich lief durch eine Diele, die längst jeden Vorwand aufgegeben hatte, einem nützlichen Zweck zu dienen. Die Stühle waren wackelig, unsicher und nicht einladend. Die imitierten Gummipflanzen waren grau vor Staub. Hier herrschte eine allgemeine Atmosphäre des Verfalls, ein Eindruck, der durch das schäbige Empfangspult und den Mann, der dort amtierte, noch verstärkt wurde. Er schnäuzte sich geräuschvoll, als die Blondine an dem Pult vorbei nach hinten zu den Aufzügen ging.

»Einen Augenblick, Lady!« Der Portier stopfte das schmutzige Taschentuch in die Hosentasche. Er schaute auf die Uhr an der anderen Wand. »Suchen Sie jemanden?«

Lee runzelte die Stirn. »Marty Lewis.«

Der Mann hinter dem Pult schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich kann Sie zu dieser Stunde nicht hinauflassen, wenn er nicht okay sagt.« Er maß sie vom Scheitel bis zur Sohle und ließ den Blick unterwegs mehrmals ruhen. »Sie sind doch nicht Miss Carr, das Mädchen, das ihn immer angerufen hat?«

»Ich schlage vor, Sie rufen ihn an und sagen ihm, dass ich unten bin.«

Der Portier schüttelte wieder den Kopf.

»Der Junge muss schon einen Grund haben, dass er sich nicht zeigt, wenn ein Klassemädchen wie Sie zu dieser Stunde an seine Tür klopft.«

»Rufen Sie ihn jetzt an, oder muss ich hinauf und seine Tür einschlagen?«

Der Portier hob in einer beschwichtigenden Geste die Hände. »Hören Sie, Lady, geben Sie nicht mir die Schuld. Ich rufe ihn an, aber ich denke nicht, dass es etwas nützt. Er nimmt Ihre Anrufe nicht an; da ist es doch logisch, dass er Sie nicht hinaufbitten wird.«

Er ging zu der winzigen Telefonzentrale, nahm den Hörer und steckte auf die Zimmernummer durch. Gleich darauf antwortete eine heisere Stimme.

»Bedaure, Sie zu wecken, Mister Lewis.« Die Augen des Portiers wanderten zur Uhr, die zwei Uhr dreißig zeigte. »Hier ist aber eine Dame, die darauf besteht, Sie zu sprechen.« Sein Blick wanderte zu Lee und studierte ihre Kurven. »Es ist Miss Carr.«

Nach einer kurzen Pause erklang die heisere Stimme wieder. »Schicken Sie sie herauf!«

Der Portier zog die Augenbrauen hoch, schob die Lippen vor und nickte halb. »Okay.« Er legte den Hörer wieder auf. »Er hat okay gesagt. Wissen Sie die Zimmernummer?«

Die Blondine nickte.

»Kann ich mir denken«, grinste der Portier. Er gab vor, den giftigen Blick, den sie ihm zuwarf, nicht zu sehen und beugte sich über das Pult, um den Anblick zu genießen, als sie zum Aufzug eilte.

Die Blondine verließ den Aufzug im vierten Stock und folgte dem abgetretenen Läufer den Gang hinunter bis zu Nummer 404. Die Tür war angelehnt, sie war überrascht, dass der Raum dahinter im Dunkeln lag. Sie stieß die Tür auf.

»Marty!«, rief sie leise. Sie wartete einen Augenblick. » Marty!«

Als keine Antwort kam, stieß sie die Tür weiter auf und trat ein. »Was soll das für ein Witz sein...?«