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Das Spiel war für Nelson zu Ende. Nie wieder würde sich für ihn der Vorhang heben.
Warum? Eine Kugel drang in seinen Kopf.
Weshalb? Das Wissen, dass er Nelson ist, war Grund genug.
Wer? Jeder, der Nelson kannte, konnte ihn getötet haben.
Aber wer war es?
Das herauszufinden, das war Johnny Liddells Aufgabe...
Betty Allen wollte ihren Namen in riesigen Leuchtbuchstaben geschrieben sehen. Als ein Produzent mit großen Versprechungen daherkam, war sie bereit, alles dafür zu tun. Doch dann überlegte es sich der Herr anders, und Betty schwor, ihn umzubringen. Als man seine Leiche fand, schien der Fall glasklar zu sein.
Nur nicht für Johnny Liddell. Betty erklärte ihm, sie habe den Mord nicht begangen. Und die schöne blonde Betty war sehr überzeugend...
Der Roman Der Vorhang fällt von Frank Kane erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1965.
Der Apex-Verlag veröffentlicht Der Vorhang fällt in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
FRANK KANE
Der Vorhang fällt
Roman
Apex Noir, Band 6
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DER VORHANG FÄLLT
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Das Spiel war für Nelson zu Ende. Nie wieder würde sich für ihn der Vorhang heben.
Warum? Eine Kugel drang in seinen Kopf.
Weshalb? Das Wissen, dass er Nelson ist, war Grund genug.
Wer? Jeder, der Nelson kannte, konnte ihn getötet haben.
Aber wer war es?
Das herauszufinden, das war Johnny Liddells Aufgabe...
Betty Allen wollte ihren Namen in riesigen Leuchtbuchstaben geschrieben sehen. Als ein Produzent mit großen Versprechungen daherkam, war sie bereit, alles dafür zu tun. Doch dann überlegte es sich der Herr anders, und Betty schwor, ihn umzubringen. Als man seine Leiche fand, schien der Fall glasklar zu sein.
Nur nicht für Johnny Liddell. Betty erklärte ihm, sie habe den Mord nicht begangen. Und die schöne blonde Betty war sehr überzeugend...
Der Roman Der Vorhang fällt von Frank Kane erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1965.
Der Apex-Verlag veröffentlicht Der Vorhang fällt in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
Es war ein unheimlicher Effekt.
Die Bühne war in Licht getaucht, das Theater selbst eine gähnende dunkle Höhle. Die starke Beleuchtungsanlage links von der Bühne strahlte ein gnadenlos weißes Licht auf die Bretter und erhellte auch noch die ersten Reihen im Orchester.
Es ließ die Gesichter der beiden Gestalten auf der Bühne kalkig weiß erscheinen und verlängerte ihre Schatten bis in den Hintergrund, wo die übrigen Schauspieler halb im Dunklen verborgen standen und auf ihren Auftritt warteten.
Plötzlich begann die Frau auf der Bühne zu erschlaffen. Sie stürzte zu Boden und war nur noch ein Gewirr aus Armen und Beinen. Der Mann, der neben ihr stand, schien für eine Sekunde wie erstarrt, dann fasste er sich wieder. Er bückte sich und versuchte, sie in die Arme zu nehmen.
Die Frau auf dem Boden entzog sich seinem Griff, stieß seine Hände beiseite und setzte sich auf.
»Fass mich nicht an, als wäre ich ein Sack Kartoffeln«, rief sie mit schriller Stimme. »Hast du nicht mal das Rollenbuch gelesen? Ich soll doch schwanger sein! Weißt du, was das bedeutet?«
Der Mann erhob sich und fuhr sich mit zusammengepressten Fingern durch das Haar. »Ich war noch nie schwanger«, gab er kurz zurück.
Die Frau sprang auf, stolzierte zur Rampe, blieb, die geballten Fäuste in die Hüften gestemmt, stehen und blinzelte in das Dunkel des Theaters. Ihre Augen versuchten, in den leeren Reihen, die sich vor ihr im Halbkreis bogen, den Regisseur zu finden.
»Sie, Powers. Sie sollen doch dieses Erntedankfest hier inszenieren. Sie haben mir nicht gesagt, dass Sie einen Komiker für die Hauptrolle engagiert haben. Haben Sie ihn gehört? Er sagt, er sei noch nie schwanger gewesen. Wirklich. sehr komisch.« Sie schirmte die Augen mit der Hand ab. »Wo sind Sie?«
Bob Powers saß etwa in der Mitte des Zuschauerraums auf einem Sitz am Rande des Mittelgangs. Sein Überzieher hing ihm über die Schultern; ein Bein hatte er auf die Armlehne gelegt. Er seufzte leise, hob sein Bein von der Lehne, ließ den Mantel von den Schultern gleiten, stand auf und ging verdrossen den Gang hinunter.
Er war groß und schlank. Eine Locke fiel ihm in die Stirn; er strich sie zurück, während er auf die Bühne zuging. Sein Jackett hatte Lederflecke an den Ellbogen. Er trug ein Hemd und eine Hose, die miteinander kontrastierten. Hinter ihm her kam seine Sekretärin mit Schreibunterlage und Notizblock.
Powers blieb vor der Bühne stehen und blickte zu der Hauptdarstellerin hinauf. »Wir werden mit den Proben nie fertig, wenn Sie immer wieder unterbrechen, Ann...«
»Für Sie immer noch Miss Ryder, Herr Regisseur.« Die Schauspielerin war dunkel, nicht hübsch, aber sehr vital. Ihre schwarzen Augen blickten lebhaft, und ihre vollen Lippen gaben die Zähne frei.
Bob Powers seufzte und hob die Hände, als gäbe er es auf. »Miss Ryder«, korrigierte er sich. Er blickte auf die Uhr. »Es ist jetzt ungefähr halb zwei. Wann haben wir mit der Probe begonnen, Rita?«, fragte er das Mädchen hinter sich.
Seine Sekretärin konsultierte ihr mit Anmerkungen versehenes Rollenbuch und blickte auf. »Halb elf.«
»Fast drei Stunden«, stellte Powers fest, »und wir sind immer noch beim ersten Akt.« Er blickte an Ann Ryder vorbei zu den anderen Mitgliedern des Ensembles, die nach und nach aus dem Bühnenhintergrund hervorgekommen waren, um den Streit mit anzuhören. »In zwei Wochen haben wir in Washington Premiere. Unter diesen Umständen sind wir in zwei Jahren noch nicht fertig.«
Eine neue Gestalt kam durch den Gang auf den Regisseur zu.
Harry Nelson war in Theaterkreisen eine vertraute Erscheinung. Er war langjähriger Produzent mit einem guten Ruf hinsichtlich der Laufzeit seiner Stücke und einem noch besseren Ruf, was die weiblichen Mitglieder seines Ensembles betraf.
Der Regisseur wartete, bis Nelson neben ihm stand.
»Unsere Hauptdarstellerin beschwert sich«, erklärte ihm Powers.
»Ich weiß. Ich hab’s gehört. Ich wünsche, ich könnte ihre Sätze in der hintersten Reihe genauso gut hören wie ihre Beschwerden.« Er blickte zu der Schauspielerin auf, die in kriegerischer Haltung dastand. »Haben Sie gehört, was der Regisseur sagt? Er sagt, wenn Sie nicht aufhören, die Szene ständig zu schmeißen, werden wir für Washington nicht fertig.«
»Was haben Sie erwartet? Wir haben einen Regisseur, dessen einziger Anspruch auf diesen Titel von ein paar Inszenierungen beim Fernsehen herrührt.« Sie drehte sich um und deutete mit weit ausholender Geste auf den Hauptdarsteller. »Und der Hauptdarsteller? Hat noch nie zuvor auf der Bühne gestanden.« Sie wandte sich wieder an den Produzenten. »Und Sie versuchen, das Ganze für Pfennige herauszubringen. Wir arbeiten ohne Requisiten. Sie malen ein Viereck auf die Leinwand, auf den Boden und erwarten von uns, dass wir wissen, was das Bett ist und was die Kommode. Wie soll ich spielen können, wenn ich sehe, wie der Hauptdarsteller durch eine Kommode hindurchgeht, wenn er die Bühne überqueren will?«
Der Hauptdarsteller trat an die Rampe. »Ich glaube, ich bin noch etwas schwerfällig, Mr. Nelson, aber das werde ich schon ablegen. Ich fühle mich in einer Filmdekoration mehr zu Hause und...«
»Das hat nichts damit zu tun«, unterbrach ihn Nelson unsanft. »Miss Ryder wusste das alles, als sie ihren Vertrag unterschrieb. Sie ist lange genug beim Theater, um zu wissen, dass wir für jedes Möbelstück, das wir auf die Bühne stellen, eine komplette Bühnenarbeiterbesatzung anstellen müssen. Und wir können uns keine zusätzlichen tausend oder zwölfhundert Dollar die Woche leisten.«
»Ich wusste ja, dass es schlimm wird«, schimpfte die Schauspielerin. »Wie Sie richtig sagen, bin ich lange genug dabei, um mich auszukennen. Zum Beispiel weiß ich, dass es immer eine schlechte Sache ist, in einer Harry-Nelson-Produktion mitzumachen. Aber ich wusste nicht, dass es so schlimm sein würde.« Sie hob den Arm und massierte sich mit den Fingerspitzen die Stirn. »Sie werden die Probe absetzen müssen, ich kann nicht mehr arbeiten. Ich habe entsetzliche Kopfschmerzen.« Sie drehte sich um, ging auf die Kulissen zu und verschwand in dem Gang, der zu den Garderoben führte.
Der Regisseur blickte ihr betroffen nach. Er wandte sich an Harry Nelson. »Was jetzt?«
Nelson zuckte unbekümmert die Schultern. »Sie kennt alle Maschen, aber Harry Nelson auch. Glauben Sie vielleicht, ich hätte nicht damit gerechnet, dass etwas Derartiges passiert? Deshalb habe ich für eine kleine Rückversicherung gesorgt. Ich habe Betty Allen die Rolle lernen lassen. Ob Ann Ryder nun mitmacht oder nicht, wir fahren mit der Probe fort und eröffnen in zwei Wochen in Washington.«
»Betty Allen?«, fragte Powers.
Eine schlanke, gutgewachsene Blondine mit einem korngelben Haarschopf auf dem Kopf trat an die Rampe. »Geben Sie mir eine Chance, Bob. Ich habe wirklich hart gearbeitet. Ich kann die Rolle wie am Schnürchen.«
Der Regisseur blickte von der Blondine zum Produzenten. Nelson nickte. »Glauben Sie, wir hätten die Wahl?«, fragte er. »Mit ihr haben wir die Möglichkeit, das Stück zu eröffnen. Ohne sie schaffen wir das nie.«
»Was geschieht mit Ann Ryder?«, fragte Powers. »Sie hat einen Vertrag.«
Nelson zuckte die Schultern. »Überlassen Sie das mir.«
»Sie sind der Chef«, erklärte Powers. Er blickte zurück auf die Bühne. »Also los, Leute! Fangen wir von vorn an und sehn wir, wie weit wir kommen.« Er blickte hinüber zu Lenny Trellis, dem Hauptdarsteller. »Und Lenny, auch wenn Sie es nicht erwarten können, diesen Safthappen in die Finger zu kriegen, versuchen Sie bitte, um die Kommode herum- und nicht mitten hindurchzugehen, wenn Sie auf sie zueilen.«
Die übrigen Schauspieler kicherten leise, der Hauptdarsteller grinste reuig und nickte. Die kleine Gruppe von Darstellern zog sich in den Hintergrund der Bühne zurück, um ihre Plätze einzunehmen.
Bob Powers drehte sich um und ging zurück zu seinem Platz. Seine Sekretärin trottete pflichtbewusst hinter ihm her. Nelson sah zu, wie die Blondine und Trellis ihre Plätze einnahmen, dann ging er an den Zuschauerreihen entlang in den hinteren Teil des Theaters, um festzustellen, wie gut die Stimmen dort zu hören waren.
Die Handlung auf der Bühne begann und setzte sich ohne Zwischenfälle fort. Betty Allen war in ihren Bewegungen nicht so sicher wie Ann Ryder, und Lenny Trellis war anzumerken, dass er sich in einer fremden Umgebung befand. Er konzentrierte sich viel mehr auf seinen Text als auf seine Bewegungen. Aber verglichen mit der ersten Probe gab es wesentlich weniger Beanstandungen und Verzögerungen.
»Wie liegen wir zeitlich im Vergleich zur Ryder?«, fragte Powers seine Sekretärin leise.
Das Mädchen sah auf seine Schreibunterlage, auf der sie die Zeit der einzelnen Auftritte festgehalten hatte, nach. »Die Ryder brauchte vier Minuten und zwei Sekunden beim letzten Mal, die Allen zwei Minuten und zwanzig Sekunden.«
Powers nickte zufrieden. »Nicht schlecht. Dann schaffen wir vielleicht doch noch eine anständige Spielzeit.« Er sah sich die Blonde auf der Bühne näher an. »Das Mädchen sprengt die Szenerie. Ich muss sie etwas dämpfen, sonst wirkt der Mann neben ihr zu schwach.«
Die Sekretärin schrieb die Bemerkung eifrig in ihr Notizbuch, ohne ihre Aufmerksamkeit von der Stoppuhr abzuwenden, mit der sie die Handlung auf der Bühne zeitlich kontrollierte.
Powers brummte verärgert, als eine der Türen, die zum Ausgang führten, aufging. Ein dünner Mann kam herein und schlug die Tür hinter sich zu. Er war klein und glich seinen Mangel an Größe mit einem besonders fülligen Haarschnitt, seine fehlende Breite durch ein besonderes Arrangement mit seinem Schneider aus.
Mike Carr war im Publicity-Geschäft einst das gewesen, was George Abbott unter den Theaterproduzenten bedeutet hatte. Der einzige Unterschied besteht darin, dass George Abbott noch immer Spitze ist, während Mike Garr aus der ersten Garnitur ausgeschieden ist.
Der dünne Mann blieb einen Augenblick stehen, bis sich seine Augen an das Dunkel im Theater gewöhnt hatten. Er entdeckte Powers, ging auf ihn zu und ließ sich auf dem Sitz hinter dem Regisseur nieder.
Er beugte sich vor und rieb sich die Hände. »Weshalb muss es in diesem verdammten Theater immer so kalt und feucht sein?« Als er keine Antwort bekam, beugte er sich noch weiter vor zum Ohr des Regisseurs. »Was macht denn die blonde Puppe da oben? Wo ist die Ryder?«
Der Regisseur nahm seinen Blick nicht von der Bühne. »Sie hatte einen Wutanfall und bockt. Nelson hat mit dem süßen Happen da oben einen Trumpf bereitgehalten.« Er nickte, als das Mädchen ihre Rolle durch einen unerwarteten Einfall bereicherte. »Sie hilft uns, mit dem Rest des Ensembles zu proben, während die Ryder schmollt. Und sie ist nicht schlecht.«
»Schlecht?« ereiferte sich der Presseagent. »Ich bin bereit, alles zu übernehmen, was ihr Burschen von ihr übriglasst.«
»Produzentenrecht, alter Junge«, brummte Powers.
Im Theater gibt es alle möglichen Arten von Rechten - Produzentenrechte, Starrechte und Rechte des Regisseurs und zwar in dieser Reihenfolge.
Wenn einer der drei Anspruch auf ein weibliches Mitglied des Ensembles erhebt, ist das für alle anderen das Zeichen, die Finger davon zu lassen. Der Produzent beansprucht Rechte, weil er das Gefühl hat, sie schuldet ihm etwas dafür, dass er sie engagiert hat. Der Star beansprucht Rechte, weil viele Stars das Recht haben, ihren Partner auszusuchen und jene Mitspieler in Nebenrollen auszuwählen, mit denen sie eine Szene spielen müssen. Da dem so ist, fällt die Wahl oft auf eine zugänglichere, wenn auch weniger talentierte Schauspielerin. Und der Regisseur kann Rechte anmelden, wenn er der Rolle einer kleinen Schauspielerin ein paar Auftritte hinzufügt und sie dadurch unter Umständen geneigt macht, ihre Dankbarkeit zu zeigen.
Dann gibt es noch Leute mit geringeren Rechten, wie zum Beispiel den Autor und den Presseagenten. Der Autor kann sich dafür entschädigen lassen, dass er einer Rolle unaufgefordert ein paar Sätze hinzufügt, und der Presseagent kann einem unbekannten Schauspieler eine gute Publicity verschaffen. Aber in Anbetracht dessen, dass die Rechte des Produzenten oder des Stars ihren Positionen innewohnen, können die geringeren Rechte des Autors und des Presseagenten den Star in heillose Wut versetzen, was entsetzliche Folgen mit sich bringt.
Carr seufzte und nickte. »Ich weiß, was Sie meinen. Bei einem Mann wie Nelson bleibt nicht viel übrig.« Er sah einen Augenblick lang dem Geschehen auf der Bühne zu. »Ich kenne ihn von früher.«
Der Regisseur knurrte. »Das habe ich mitbekommen. Keine große Liebe, was?«
Der Presseagent wandte seinen Blick von der Bühne und starrte den Regisseur an. »Was soll das heißen?«
Powers zuckte die Achseln. »Ich habe hur den Eindruck, dass er Sie nicht sehr schätzt.«
»Was hat er gesagt?«
»Er hat sich darüber beschwert, dass wir noch nicht viel Publicity für das Stück bekommen haben. Und es klang so, als mache er Sie dafür verantwortlich.«
»Was erwartet er denn?«, protestierte der Presseagent. »Wir haben doch kaum angefangen. Ich werde das übliche Remmidemmi veranstalten, wenn es uns was einbringt. Aber so früh...«
»Erzählen Sie das nicht mir, sondern ihm. Er ist derjenige, der sich beschwert. Ich habe meine eigenen Sorgen.« Er wandte sich an seine Sekretärin. »Wie sieht es mit der Zeit aus?«
»Wir holen noch immer auf. Es sieht so aus, als müssten wir doch nicht so viel streichen, wie wir dachten«, erklärte das Mädchen.
Carr schlug dem Regisseur leicht auf die Schulter. »Glauben Sie, ich hätte mich gedrückt? Zum Teufel, ich kriege die Ryder einfach nicht dazu, dass sie sich Zeit für ein Interview oder so was nimmt.«
Der Regisseur seufzte. »Bitte Mike, laden Sie Ihre Beschwerden bei Nelson ab. Ich versuche, das Ding hier auf Zeit zu trimmen. So, wie die Proben verlaufen sind, wird das verdammte Stück länger als Trauer wird Elektra tragen. Er ist irgendwo dahinten und stellt fest, wie gut die Stimmen über die Rampe kommen.«
Mike Carr murmelte etwas und versuchte, seine Aufmerksamkeit auf die Bühne zu konzentrieren. Er wusste, dass eine Auseinandersetzung mit Nelson unvermeidlich war, aber im Augenblick fühlte er sich dem nicht gewachsen. Nachdem er sich ein paar Minuten unbehaglich herumgedrückt hatte, stand er auf.
»Ich glaube, ich werde mit ihm reden müssen«, erklärte er dem Regisseur.
Powers nickte. »Tun Sie das.«
Der Presseagent zögerte noch ein letztes Mal, dann trat er aus der Sitzreihe. Er ging den Läufer entlang, die kleine Steigung hinauf in den rückwärtigen Teil des Zuschauerraumes.
Nelson saß vorgebeugt auf seinem Stuhl. Er hatte die Arme auf die Rückenlehne des Vordersitzes gelegt und stützte sein Kinn auf. Als der Presseagent sich neben ihm niederließ, gab er mit keiner Miene zu erkennen, dass er darüber erfreut war.
»Man kann sie bis hier herauf gut verstehen«, meinte Carr.
»Stimmt! Solange Sie nicht da waren«, sagte der Produzent ironisch.
»Powers erzählte mir, die Ryder wäre verärgert gegangen. Die Kleine da oben sieht wirklich gut aus.« Er wartete auf eine Bemerkung, aber es kam keine. »So ’nem Mädchen Publicity zu verschaffen, müsste ein Vergnügen sein«, fuhr er fort, aber Nelson schien immer noch nicht zuzuhören. »Die Kolumnenschreiber und Feature-Autoren stürzen sich geradezu auf so was. Unbekannte Schauspielerin übernimmt Ann Ryders Rolle und hat Riesenerfolg. Eine richtige Schmonzette, aber fast jede Zeitung bringt das.«
Nelson lehnte sich zurück und wandte sich an den Presseagenten. »Woher wollen Sie das wissen? Sie haben diesem Stink noch nicht eine Zeile verschafft.«
»Wir haben doch gerade erst mit den Proben begonnen, Mr. Nelson. Wenn erst alles soweit ist und ich ein paar von den Jungen auf Interviews und dergleichen ansetzen kann, dann bringen fast alle Zeitungen was darüber.«
»Angenommen, ich habe beschlossen, nicht so lange zu warten? Angenommen, ich sage Ihnen, dass ich mich gerade entschlossen habe, Sie rauszuwerfen?« Der Produzent machte keinen Versuch, die Feindseligkeit in seiner Stimme zu verbergen. »Sie erklären mir in einem Atemzug, es sei ein leichtes, einen Artikel unterzubringen, und im nächsten erzählen Sie mir, dass Sie erst abwarten müssen, bis sich die Reporter zu einem Interview bereitfinden. Entschließen Sie sich!«
»Sie meinen die Sache mit der Kleinen, die die Ryder ersetzen soll? Das wäre das neue Dynamit, Mr. Nelson.«
»Das zu entscheiden, überlasse ich Ihnen. Aber ich warne Sie im Guten. Entweder kriege ich etwas über dieses Stück zu lesen oder Sie fliegen.«
»Aber was geschieht, wenn die Ryder die Sache über die Kleine in der Titelrolle liest?« Carr strich sich nervös über seine Haartolle.
»Na, was geschieht?«, wollte Nelson wissen.
»Sie müssten ganz schön zahlen. Und ich möchte nicht in der Haut der Kleinen stecken. Und auch nicht in Powers’.«
Der Produzent brummte. »Powers ist keine Kanone, aber mit Ihnen könnte er sich immer noch messen«, gab Nelson zurück. »Schauen Sie, Carr, als ich diesen Schinken übernahm und versuchte, ein Stück daraus zu machen, waren Sie bereits engagiert. Der Hintermann sagte, er wolle, dass Sie bleiben, der alten Zeiten wegen. Aber er war damit einverstanden, dass ich Sie, falls Sie den Kontakt verloren haben, wie ich es vermutete, an die Luft setzen kann mit Rücksicht auf das Stück.«
»Sie wollen mich nicht mit Rücksicht auf das Stück raussetzen. Sie wollen sich rächen, weil Sie glauben, ich hätte Sie damals hintergangen«, jammerte Carr.
»Sie haben versucht, den Journalisten einzureden, dass das Mädchen in den Gayeties versucht hat, sich meinetwegen umzubringen.«
Die Stimme des Presseagenten klang schmeichlerisch. »Vielleicht habe ich mich geirrt. Aber ich habe die Kleine in der Garderobe gefunden, nachdem sie die Jodtinktur getrunken hatte. Ich bin mit ihr im Krankenwagen gefahren...«
»Und dann haben Sie versucht, mir die Sache anzuhängen«, erklärte der Produzent kalt. »Nur ist es Ihnen nicht gelungen. Ich habe Ihnen damals gesagt, dass ich ein gutes Gedächtnis habe und viel Zeit.« Er wandte sich wieder der Bühne zu. »Tun Sie mir jetzt den Gefallen und verschwinden Sie. Aber denken Sie an eins. Ich erwarte, dass morgen was in den Theaterkolumnen steht, oder wir sind fertig miteinander.«
Der Presseagent stand schwankend auf. »Hören Sie, Mr. Nelson, lassen wir doch Vergangenes vergangen sein. Wir arbeiten jetzt an der gleichen Sache und...«
»Morgen steht was in den Kolumnen, oder es ist aus«, sagte Nelson ungerührt.
Mike Carr schickte sich an, etwas zu sagen, überlegte es sich aber dann. Er ging den Mittelgang entlang und zurück ins Foyer. Er schlurfte über den von vielen Zigaretten durchlöcherten Teppich und ging nervös auf und ab.
Er wusste, dass es für Nelson kein größeres Vergnügen gab, als ihn hinauszuwerfen. Das einzige, was ihn bislang davon abhielt, war, dass ihm der Job von einem Kunden aus alten Tagen angeboten worden war, der Mike Carr noch aus den Tagen des Paradiese und Hollywood her kannte.
Mike hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Es gab nicht mehr so viele Aufträge für ihn, als dass er die Sache hätte ausschlagen können. Selbst als er erfuhr, dass Nelson der Produzent war, hatte er nicht abgelehnt, obwohl er wusste, dass Harry Nelson sich rächen würde. Nelson hatte schon am ersten Tag versucht, ihn rauszuwerfen; aber der Mann, der ihm den Job gegeben hatte, hatte Nelson davon abgeraten. Und dieser Mann gehörte nicht zu den Leuten, deren Ratschläge man so ohne weiteres in den Wind schlägt.
Mike hatte gehofft, Nelson würde die Vergangenheit ruhen lassen. Schließlich war es immerhin zehn Jahre her, dass das Mädchen versucht hatte, sich umzubringen, und Mike versucht hatte, die Kolumnenschreiber zu organisieren und Nelson aus dem Geschäft zu drängen. Und das Mädchen war nur eins von vielen gewesen, die Nelson im Laufe der Zeit ruiniert hatte.
Carr zog eine Zigarette heraus, steckte sie zwischen die Lippen und zündete sie an. Das Streichholz steckte er in einen der sandgefüllten Kästen.
Wenn Nelson zu dem Mann ging, der ihn in diesem Job hielt, und ihn davon überzeugte, dass Mike am Ende war, dass er dem Stück keine Zeitungsnotizen mehr verschaffen konnte, dann konnte er nicht erwarten, dass sein Freund ihn in einer Stellung behielt, in der er nichts leistete.
Mike ging weiter im Foyer auf und ab und rauchte in kurzen nervösen Zügen.
Er kannte Nelson, und das Ganze war ihm nichts Neues. Betty Allen hatte eine üppige Figur; sie wusste, was sie damit anfangen konnte, und sie wusste, wozu sie da war. Sie war keine Schauspielerin mit so viel Politur wie Ann Ryder, aber wenn erst ein paar Kanten abgeschliffen waren, konnte sie die Rolle schaffen. Und er hatte eine ziemlich gute Vorstellung davon, wo die Kanten abgeschliffen werden würden. Harry Nelson hatte in der East 58th Street eine Bleibe, die für das Abschleifen komplett eingerichtet war.
Carr zuckte die Schultern. Schließlich musste es eine Entschädigung dafür geben, dass man Produzent war.
Er steckte die Zigarette mitten in den Mund, faltete die Hände auf dem Rücken und ging weiter auf und ab. Nelson hatte nichts gegen seine Idee gehabt, die Streitigkeiten mit der Ryder zu veröffentlichen. Und wenn der Produzent vorhatte, die Blonde groß rauszubringen, würde es ihm unter Umständen vieles erleichtern, wenn sie eine gute Publicity bekäme.
Carr blieb stehen und kniff die Augen zusammen, als ihm der Rauch hineinstieg. Er nahm das Zigarettenende aus dem Mund und warf es in einen Sandkasten. Nelson würde ihm, wenn er die Sache mit der Blonden gut machte, so dankbar sein, dass er vielleicht seinen alten Groll vergaß.
Mit diesem Entschluss trat Carr durch die Tür in die Vorhalle. Seine Absätze hallten auf dem Fliesenboden, als er an dem leeren Kassenschalter vorbeiging, der verdrießlich durch das vergitterte Fenster in die leere Vorhalle blickte. Er formulierte die Notiz bereits auf die verschiedensten Weisen, um sie gleichzeitig an möglichst viele Kolumnisten liefern zu können.
Mike Carr hatte recht gehabt. Er war so lange in der Branche, dass er fast das Drehbuch für die abendliche Inszenierung in Harry Nelsons Bleibe hätte schreiben können.
Das Appartement blickte auf den East River in der 58th Street. Es war gemütlich eingerichtet mit einer übergroßen Couch, schweren Polstersesseln und gedämpfter Beleuchtung. Der Teppich war dick und flauschig, die Vorhänge luxuriös und lichtundurchlässig.
Betty Allen saß mit angezogenen Beinen in der Ecke der Couch. Undeutlich hörte sie das ferne Hupen der Schleppdampfer unten auf dem Fluss und das Klirren der Lastkähne, die sie hinter sich herschleppten.
Sie zog gelassen an ihrer Zigarette und überlegte ihre Situation.
Nelsons Einladung, ihn in seiner Wohnung zu besuchen, um ihre Karriere zu besprechen, war für die Blonde nicht überraschend gekommen. Sie hatte die häufigen Bestandsaufnahmen ihrer Vorzüge durch den Produzenten seit dem Beginn der Proben bemerkt. Sie hatte nur eine kleine Rolle, aber sie hatte ihre meiste Zeit damit verbracht, die Hauptrolle zu studieren. Und schon zu Beginn der Proben hatte sie dafür gesorgt, dass Nelson erfuhr, dass sie die Hauptrolle beherrschte. Von da an stand nicht mehr zur Debatte, ob sie die Rolle bekam, sondern wann.
Sie verbesserte ihre Chancen, indem sie ihren wohlgeformten Hüften jedes Mal einen besonderen Schwung gab, sobald sie wusste, dass er deren Geschmeidigkeit unter den engen Röcken, die sie trug, beobachtete. An dem Tag, als er sie nach den Proben zum Abendessen einlud, wusste sie, dass sie ihn soweit hatte, aber sie nahm die Einladung nicht an und entschuldigte sich damit, dass ihr sehr viel an ihrer Karriere läge und sie lieber ihre Zeit dazu nutzen würde, an der kleinen Rolle, die sie hatte, zu arbeiten. Deshalb wusste sie heute, als er sie nach dem Fortgang der Ryder aufforderte, die Rolle zu übernehmen, dass die Einladung fällig war.
Die Schlafzimmertür ging auf, und Harry Nelson kam in einer Smokingjacke, dunkler Hose und bequem aussehenden Slippern heraus. Er ging durch das Zimmer und lehnte sich neben der transportablen Bar an die Wand. »Wie wär’s mit einem meiner Martinis? Ich kann sie nur bestens empfehlen.«
»Wofür?« Sie lächelte.
Er grinste zurück. »Das hängt von den Umständen ab.«
»Sie haben mich überzeugt«, erklärte die Blonde.
Sie sah zu. wie er die Wermutflasche über den Mixer hielt, zum Ausgleich einen guten Schuss Gin hinzufügte und das Ganze schüttelte, bis die Außenwände des Mixers sich beschlugen. Er goss die klare Flüssigkeit in zwei Gläser und brachte ihr eins. Die Blonde versuchte und schlug die Augen zur Decke. »Wundervoll!«, lobte sie.
Nelson ging zurück zur Bar und holte sich sein Glas. »Ich nehme an, Sie haben bemerkt, dass die Ryder für uns ein echtes Problem ist«, sagte er. »Sie ist eine gute Schauspielerin, aber zu temperamentvoll. Diese Art Temperament kann ein Stück zugrunde richten.« Er sah beifällig zu, wie sie einen tiefen Schluck aus dem Glas trank. »Wir haben mit dem Stück genug Schwierigkeiten, auch ohne eine Hauptdarstellerin, die eine Amme braucht.« Das Mädchen leerte sein Glas und schien sich zu entspannen.
Nelson nahm den Mixer und ging damit zu ihr.
»Sie waren heute auf der Bühne ganz gut, mein Schatz.« Er beugte sich über sie, um ihr Glas aufzufüllen, und diese Stellung erlaubte ihm einen guten Einblick in ihr tiefausgeschnittenes Kleid, dessen Oberteil einige Leckerbissen füllten. »Ein wirkliches Naturtalent.«
Betty hob ihr Glas an die Lippen und schlürfte an seinem Inhalt. Dann blickte sie ihn mit ihren schmalen grünen Augen an. »Nur ganz gut?«, fragte sie, als sie ihr Glas absetzte.
Nelson trat zurück und setzte sich in einen Sessel ihr gegenüber. »Eine Helen Hayes sind Sie nicht«, sagte er zu ihr. »Auch keine Katherine Hepburn. Aber Sie waren recht gut.« Er zuckte die Schultern. »Mit etwas Hilfe, vielleicht etwas Spezialunterricht, könnten Sie wirklich groß werden.«
»Sie meinen, ich könnte diese Rolle bewältigen?«
»Das hängt davon ab, wie sehr Sie das wirklich wollen. Es steckt noch eine Menge Arbeit darin. Ich würde ein echtes Risiko eingehen, wenn ich die Rolle einer Unbekannten gebe, es sei denn, sie gibt alles daran.«
Das blonde Mädchen nickte. »Das verstehe ich.« Sie hob das Glas vor die Augen und ließ die Flüssigkeit in dem Glas kreisen. »Was würde Arm Ryder sagen, wenn Sie versuchen, sie durch eine andere zu ersetzen? Sie hat doch sicher einen Vertrag.«
»Verträge sind dazu da, dass sie gebrochen werden. Sie haben sie heute gesehen. Sie will die Rolle gar nicht.« Er nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas. »Wollen Sie meine persönliche Meinung hören? Sie will weg. Sie ist seit langem auf dem absteigenden Ast; und vielleicht hat sie gemerkt, dass sie die Rolle nicht schafft.«
Betty tat weiterhin so, als sei sie von der quirlenden Flüssigkeit in ihrem Glas fasziniert. »Und was ist mit Lenny Trellis? Steht in seinem Vertrag nicht, dass er einen bekannten Namen wie Ann Ryder als Partnerin bekommt? Vielleicht gefällt ihm die Vorstellung, es mit einer Unbekannten zu versuchen, gar nicht.«
Der Produzent runzelte die Stirn. »Überlassen Sie Trellis mir. Hören Sie, so wie die Dinge liegen, tun wir ihm sowieso einen großen Gefallen. Er braucht diese Rolle dringend.«
Das blonde Mädchen blickte auf und schürzte die Lippen. »In der Filmbranche hat er doch nach wie vor einen guten Namen.«
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