Das Ende der Megamaschine - Fabian Scheidler - E-Book

Das Ende der Megamaschine E-Book

Fabian Scheidler

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Beschreibung

Warum schreitet die ökologische Zerstörung des Planeten trotz unzähliger Klimagipfel ungebremst voran? Warum hungern mehr Menschen als je zuvor auf der Erde, obwohl noch nie so ungeheure Reichtümer angehäuft wurden wie heute? Warum erweisen sich die globalen Eliten als unfähig, die Richtung zu ändern, obwohl ihr Kurs in einen planetaren Crash führt? Der Berliner Autor und Journalist Fabian Scheidler legt in seinem Buch "Das Ende der Megamaschine" die Wurzeln der Zerstörungskräfte frei, die heute die menschliche Zukunft infrage stellen. In einer Spurensuche durch fünf Jahrtausende führt das Buch zu den Ursprüngen ökonomischer, militärischer und ideologischer Macht. Der Autor erzählt die Vorgeschichte und Genese des modernen Weltsystems, das Mensch und Natur einer radikalen Ausbeutung unterwirft. Dabei demontiert er Fortschrittsmythen der westlichen Zivilisation und zeigt, wie die Logik der endlosen Geldvermehrung von Anfang an menschliche Gesellschaften und Ökosysteme verwüstet hat. So entsteht eine faszinierende Gegengeschichte unserer Zivilisation. Das Buch schöpft aus einer Vielzahl von Quellen, von der Anthropologie und Geschichtswissenschaft über die Chaosforschung bis zur Populärkultur. Es verändert eingefahrene Sichtweisen, indem es Verbindungen quer durch Zeiten, Räume und Denktraditionen herstellt. Die Kenntnis der historischen Zusammenhänge bildet die Grundlage dafür, neue Möglichkeiten für eine notwendige zivilisatorische Wende zu entdecken. Wer verstehen will, warum wir menschheitsgeschichtlich in eine Sackgasse geraten sind und wie wir aus ihr wieder herauskommen können, der kommt an Fabian Scheidlers "Das Ende der Megamaschine" nicht vorbei. Es ist ein Buch, das zum Handeln einlädt und Möglichkeiten eröffnet, gemeinsam einen Ausgang aus der gefühlten Ohnmacht zu finden.

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Seitenzahl: 520

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Fabian Scheidler Das Ende der Megamaschine

© 2015 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

ISBN: 978-3-85371-826-1 (ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-384-6)

Fordern Sie unsere Kataloge an: Promedia Verlag Wickenburggasse 5/12 A-1080 Wien

E-Mail: [email protected]

Über den Autor

Fabian Scheidler, Jahrgang 1971, geboren 1968, studierte Geschichte und Philosophie an der Freien Universität Berlin und Theaterregie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/M. Seit 2001 arbeitet er als freischaffender Autor für Printmedien, Fernsehen, Theater und Oper. 2009 gründete er mit David Goeßmann das unabhängige Fernsehmagazin Kontext TV, das regelmäßig Sendungen zu Fragen globaler Gerechtigkeit produziert. Zahlreiche Vorträge zu Globalisierungsthemen bei Kongressen von Attac, Deutsche Welle, Greenpeace, Evangelische Akademie u. a. Otto-Brenner-Medienpreis für kritischen Journalismus (2009). Programmkoordinator für das Attac-Bankentribunal in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (2010). Als Dramaturg und Theaterautor arbeitete er viele Jahre für das Berliner Grips Theater. 2013 wurde seine Oper „Tod eines Bankers“ (Musik: Andreas Kersting) am Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz uraufgeführt.

Inhaltsverzeichnis
Über den Autor
Einleitung
Teil I: Die vier Tyranneien
1. Kapitel: Macht
2. Kapitel: Metall
3. Kapitel: Markt
4. Kapitel: Ohnmacht
5. Kapitel: Mission
Teil II: Die Megamaschine
6. Kapitel: Monster
7. Kapitel: Maschine
8. Kapitel: Moloch
9. Kapitel: Masken
10. Kapitel: Metamorphosen
11. Kapitel: Möglichkeiten
Ausgewählte Literatur
Zeittafel A: Die vier Tyranneien (Kapitel 1–5)
Zeittafel B: Formation der globalen Megamaschine (Kapitel 6)
Zeittafel C: Konsolidierung, Expansion und Krisen (Kapitel 7–9)
Zeittafel D: Boom und Grenzen der Megamaschine (Kapitel 10–11)
Anmerkungen
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Einleitung

»Sie machen alles kaputt, es ist unfasslich«, sagte kürzlich eine betagte Nachbarin zu mir, nachdem sie einen Dokumentarfilm mit dem harmlos erscheinenden Titel Sand gesehen hatte. Der Film zeigt, wie der sprichwörtliche Sand am Meer inzwischen knapp wird, weil weltweit Strände, Flussbetten und Meeresgründe abgebaggert werden, um in den Hochhäusern von Dubai oder Shenzhen zu verschwinden. »Gibt es denn gar kein Ende, hören sie denn nie auf?«, fragte sie.

Wir sind augenblicklich Zeugen, wie ein ganzer Planet, der vier Milliarden Jahre für seine Entwicklung brauchte, in einer globalen Wirtschaftsmaschinerie verheizt wird, die Unmengen von Gütern und zugleich Unmengen von Müll produziert, irrsinnigen Reichtum und massenhaftes Elend, permanente Überarbeitung und sinnlosen Leerlauf. Ein Außerirdischer, der uns besuchen würde, könnte dieses System nur für verrückt halten. Und doch entbehrt es nicht einer gewissen Rationalität. Der harte Kern dieser Rationalität besteht in der unendlichen Vermehrung von Zahlenkolonnen auf den Konten einer relativ überschaubaren Zahl von Menschen.1 Diese Zahlenkolonnen länger zu machen scheint letztlich das einzig verbliebene Ziel der globalen Megamaschine zu sein. Die Erde wird für eine endlos wachsende Zahl von Nullen verbrannt.

Im Grunde wissen alle, wie zerstörerisch dieses System agiert, dass es krank ist und krank macht. 80 Prozent der Deutschen wünschen sich laut Umfragen ein anderes Wirtschaftssystem.2 Lange vorbei sind die Zeiten von Fortschrittsbegeisterung und Markteuphorie. Fast alle Menschen, mit denen ich in den letzten zehn Jahren gesprochen habe – ob konservative, linke, öko-bewegte, junge oder alte –, glauben nicht mehr an die Zukunft des Systems, wenn sie ehrlich sind und ihre professionellen Masken ablegen. Doch zugleich herrscht eine beklemmende Ratlosigkeit. Das Räderwerk scheint, obwohl offensichtlich sinnlos und zerstörerisch, nicht zu stoppen. Nach dem Fiasko von jahrzehntelangen Klimaverhandlungen, die mehr CO₂ verbraucht als eingespart haben, ergebnislosen Welthungerkonferenzen und bestenfalls kosmetischen Reparaturen an einem gemeingefährlichen Weltfinanzsystem erwartet heute kaum noch jemand ernsthaft, dass von Regierungen eine globale Trendwende zu erwarten ist. Obwohl das Wissen über die verhängnisvollen Folgen eines Weiter-so mit jedem Tag wächst, halten die Kapitäne der Großen Maschine unbeirrt Kurs in Richtung einer todsicheren Havarie.

Das ist umso seltsamer, als es nicht, wie oft behauptet wird, an Alternativen fehlt. Fast jeder Bereich unserer Gesellschaft und Wirtschaft ließe sich vollkommen anders organisieren: In wenigen Jahren etwa könnte die gesamte Landwirtschaft der Erde zu ökologischem Landbau konvertieren und damit 40 Prozent aller Treibhausgasemissionen einsparen;3 ein gemeinwohlorientiertes Geldsystem könnte das gegenwärtige Finanzcasino ersetzen und seit Jahrzehnten gibt es Konzepte für dezentrale erneuerbare Energien, intelligente öffentliche Verkehrssysteme, faire Arbeitsteilung und regionale Wirtschaftskreisläufe.4 All das wäre möglich, wenn – ja, wenn was? Wer oder was blockiert diese Möglichkeiten eigentlich, und warum? Warum ist eine Zivilisation, die sich weltweit als Trägerin von Vernunft und Fortschritt inszeniert, unfähig, einen offensichtlich selbstmörderischen Pfad zu verlassen und die Richtung zu ändern?

Dieses Buch versucht auf diese Fragen Antworten zu geben, indem es eine Geschichte erzählt. Wenn wir uns das Verhalten eines Menschen nicht erklären können, wenn wir ihn für verrückt halten, dann hilft es manchmal, seine Geschichte zu erzählen. Menschen tun selten etwas ohne Gründe. Aber diese Gründe sind oft nicht in der unmittelbaren Gegenwart zu finden, sondern in der Vergangenheit, wo sich die Muster dieses Verhaltens gebildet haben. Nur wer die eigene Geschichte kennt, kann sie ändern. Und für soziale Systeme – die ja aus Menschen bestehen – gilt das Gleiche.

Die Mythen der Moderne

Die Schuld daran, dass wir auf einen tödlichen Irrweg geraten sind, wird oft dem Siegeszug neoliberaler Politik zugeschrieben, die in den letzten Jahrzehnten zu einer Zuspitzung von sozialer Ungleichheit und Umweltverwüstungen geführt hat. Doch die Ursachen liegen, so die These dieses Buches, wesentlich tiefer; der Neoliberalismus ist nur die jüngste Phase eines wesentlich älteren Systems, das von Anfang an, seit seiner Entstehung vor etwa 500 Jahren, auf Raubbau gründete. Von der Geschichte und Vorgeschichte dieses Systems, das sich in einer beispiellosen Expansionsbewegung um den gesamten Erdball verbreitet hat und mittlerweile seine Grenzen erreicht, handelt dieses Buch.

Man kann diese Geschichte auf sehr unterschiedliche Weisen betrachten. Die Standardversion – der Mythos der westlichen Zivilisation – erzählt von einem Prozess mühsam errungenen Fortschritts, der trotz aller Widrigkeiten und Rückschläge im Endergebnis zu mehr Wohlstand, mehr Frieden, mehr Wissen, mehr Kultur und mehr Freiheit geführt hat. Kriege, Umweltverwüstungen und Völkermorde sind in dieser Version Ausrutscher, Rückfälle, Rückschläge oder unerwünschte Nebenwirkungen eines im Großen und Ganzen segensreichen Prozesses zunehmender Zivilisierung.

Jede Gesellschaft pflegt ihren Mythos, der ihre spezifische Ordnung begründet und rechtfertigt. Das Problem von solchen Mythen ist allerdings, dass sie uns nicht nur ein verzerrtes Bild der Vergangenheit liefern, sondern auch unsere Fähigkeit vermindern, die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Wenn ich glaube, dass ich schon sehr lange auf der richtigen Straße gehe, die mich irgendwann in blühende Landschaften führen wird, dann werde ich sie weiter gehen, auch wenn die Straße immer holpriger wird, die Verwüstungen um mich herum zunehmen und meine Wasservorräte zur Neige gehen. Doch irgendwann kommt unweigerlich der Punkt, an dem ich mich frage, ob meine Karten richtig sind, ob ich sie richtig interpretiert habe und ob dies die richtige Straße sein kann. An diesem Punkt befinden wir uns wir heute. Die allgemeine Ratlosigkeit kann zu einem entscheidenden Moment des Innehaltens führen, um einen kritischen Blick auf die Karten zu werfen, sie dort, wo sie offensichtlich irreführend waren, neu zu zeichnen und die eigene Lage neu zu bestimmen. Dazu will dieses Buch einen Beitrag leisten.

Eine Neuorientierung fängt damit an, den Standpunkt der Betrachtung zu verändern. Die Saga vom Fortschritt macht aus der Sicht der Sieger der Geschichte – zu denen in der Regel auch Menschen gehören, die Geschichtsbücher schreiben – durchaus Sinn. Während ich beispielsweise dieses Buch schreibe, sitze ich in einem beheizten Raum, trinke Kaffee, schaue aus dem Fenster und sehe das Herbstlaub fallen, während meine Tochter in einem hübschen Kindergarten um die Ecke spielt. Die Welt erscheint in Ordnung. Jedenfalls in dem kleinen Ausschnitt von Zeit und Raum, den ich gerade überblicke.

Sobald ich den Ausschnitt aber vergrößere und den Standpunkt der Betrachtung verändere, bietet sich mir ein vollkommen anderes Bild. Der Sicherheitsmann im Irak etwa, der die Pipeline, durch die mein Heizöl fließt, bewacht und seine halbe Familie im Krieg verloren hat, sieht einen anderen Teil der Welt, er hat eine andere Geschichte erlebt; und der Siegeszug des Systems, von dem dieses Buch handelt, hat für ihn eine andere Bedeutung. Das Gleiche gilt für die Kaffeebäuerin in Guatemala oder den Arbeiter in einer Coltanmine im Kongo, der die Mineralien aus der Erde holt, ohne die mein Computer nicht funktionieren würde. Mit all diesen Menschen bin ich, obwohl ich sie nicht kenne, verbunden; und wenn ich eine realistische Geschichte des Systems, in dem ich lebe, erzählen will, dann muss ich auch ihre Geschichten und die Geschichte ihrer Vorfahren erzählen. Ich muss, mit anderen Worten, meinen Kokon verlassen und die Welt durch die Augen von Menschen betrachten, deren Stimmen in der Regel von den Megaphonen der Macht übertönt werden.

In einer derart veränderten Perspektive zeigt sich die von Europa ausgehende Expansion der letzten 500 Jahre als eine Geschichte, die für den größten Teil der Menschheit von Anfang an mit Vertreibung, Verelendung, massiver Gewalt – bis hin zum Völkermord – und der Zerstörung ihres Umweltraumes verbunden war. Diese Gewalt ist keine Sache der Vergangenheit, keine »Kinderkrankheit« des Systems, sondern eine seiner dauerhaften strukturellen Komponenten. Die sich abzeichnende Zerstörung der Lebensgrundlagen von Hunderten Millionen von Menschen durch den Klimawandel legt dafür aktuell Zeugnis ab.

Die Megamaschine

Mit welchem Recht aber kann man überhaupt sagen, dass wir es mit einem globalen System zu tun haben und nicht mit einer bloßen Ansammlung von Institutionen, Ideologien und Praktiken? Ein System ist mehr als die Summe seiner Teile, es ist ein Funktionsgefüge, in dem alle Bestandteile aufeinander angewiesen sind und nicht unabhängig voneinander existieren können. Es ist offensichtlich, dass es so etwas wie ein Weltfinanzsystem, ein globales Energiesystem und ein System internationaler Arbeitsteilung gibt und dass diese Systeme wiederum eng verzahnt sind. Diese ökonomischen Strukturen können jedoch unmöglich selbstständig funktionieren. Sie sind auf die Existenz von Staaten angewiesen, die in der Lage sind, bestimmte Eigentumsrechte durchzusetzen, Infrastrukturen bereitzustellen, Handelsrouten militärisch zu verteidigen, ökonomische Verluste aufzufangen und Widerstand gegen die Zumutungen und Ungerechtigkeiten des Systems unter Kontrolle zu halten. Militarisierte Staaten und Märkte sind, wie wir im Laufe des Buches sehen werden, kein Gegensatzpaar, sondern haben sich co-evolutionär entwickelt und bleiben bis heute untrennbar miteinander verflochten. Die beliebte Gegenüberstellung von Staat und »freiem Markt« ist eine Fiktion, die mit der geschichtlichen Wirklichkeit nichts zu tun hat.

Die dritte tragende Säule – neben den ökonomischen und staatlichen Strukturen – ist ideologischer Art. Die gewaltsame Expansion des Systems und die Ungerechtigkeiten, die es unweigerlich hervorbringt, wurden von Anfang an damit gerechtfertigt, dass der »Westen« Träger einer heilbringenden weltgeschichtlichen Mission sei.5 War es zunächst die christliche Religion, die diesen Anspruch begründete, so traten später die vermeintlich überlegene »Vernunft« und »Zivilisation«, die »Entwicklung« oder auch der »freie Markt« an diese Stelle. Schulen, Universitäten, Medien und andere weltanschaulich prägende Institutionen, die sich im Laufe der Neuzeit in enger Verbindung mit den militärischen und ökonomischen Machtapparaten herausbildeten, haben eine entscheidende Rolle bei der Ausarbeitung und Verbreitung dieser Mythologie gespielt – auch wenn es in ihnen immer wieder wichtige Emanzipationsbewegungen gab.

Das Zusammenwirken dieser drei Machtsphären als Teil eines globalen sozialen Systems ist seit den 1970er-Jahren unter anderem von dem amerikanischen Sozialwissenschaftler Immanuel Wallerstein umfassend analysiert worden. Wallerstein nennt dieses Funktionsgefüge das »moderne Weltsystem«. Ich benutze dafür den metaphorischen Begriff der »Megamaschine«, der auf den Historiker Lewis Mumford (1895–1990) zurückgeht.6 »Maschine« meint hier keine technische Apparatur, sondern eine gesellschaftliche Organisationsform, die wie eine Maschine zu funktionieren scheint. Ich sage ausdrücklich »scheint«, denn bei allen systemischen Zwängen besteht die Maschinerie letztlich aus Menschen, die sie täglich neu erschaffen und damit – zumindest unter bestimmten Bedingungen – auch aufhören könnten.

Die Grenzen des Systems

Die Megamaschine stößt, so eine der zentralen Thesen dieses Buches, im 21. Jahrhundert an zwei Grenzen, die in ihrer Kombination letztlich unüberwindlich sind. Die erste Grenze ist systemimmanent: Seit etwa vier Jahrzehnten steuert die globale Ökonomie in eine strukturelle Krise hinein, die nicht mehr mit den üblichen Konjunkturzyklen zu erklären ist. Diese Krise wird nur durch eine stetig wachsende Verschuldung aller Akteure kaschiert, durch Finanzblasen, die sich in immer tieferen Wirtschaftscrashs entladen (vgl. Kapitel 10). Das System bietet zugleich immer weniger Menschen einen sicheren Lebensunterhalt. Die 200 größten Unternehmen der Welt vereinen zwar 25 Prozent des Weltsozialproduktes auf sich, beschäftigen aber nur noch 0,75 Prozent der Weltbevölkerung.7 Ein immer größerer Teil der Menschheit fällt aus dem ökonomischen System heraus, und das nicht allein an der Peripherie, sondern auch in den Zentren der Akkumulation und in der Mittelschicht; der Ruin der südeuropäischen Länder ist dafür eines der aktuellsten Beispiele. Diese Strukturkrise ist nicht allein einer verfehlten Wirtschaftspolitik geschuldet, sondern die Folge von Widersprüchen innerhalb des Gesamtsystems, die kaum aufzulösen sind. Damit einher geht eine Transformation vieler Staaten, die sich nach einem relativ kurzen wohlfahrtsstaatlichen Intermezzo tendenziell wieder zu den repressiven Militär- und Polizeiorganisationen zurückentwickeln, die sie in früheren Phasen des Systems waren. Mit der schwindenden Fähigkeit der Megamaschine, den Menschen eine Zukunftsperspektive zu bieten, zerfällt außerdem der Glaube an ihren Mythos. Der ideologische Zusammenhalt – das, was der italienische Philosoph Antonio Gramsci die »kulturelle Hegemonie« nannte – bekommt immer deutlichere Risse.

Die zweite und noch wichtigere Grenze liegt darin begründet, dass die Megamaschine Teil eines größeren, umfassenden Systems ist, von dem sie abhängt: der Biosphäre des Planeten Erde. Wir sind bereits jetzt Zeugen, wie das geradezu explosive Wachstum der Großen Maschine auf die Grenzen dieses übergeordneten Systems stößt, Grenzen, die zwar bis zu einem bestimmten Punkt dehnbar sind, aber nicht unendlich.

Die Kombination der ökologischen und sozialen Verwerfungen bringt eine ex­trem komplexe, chaotische Dynamik mit sich, und es ist prinzipiell unmöglich vorherzusagen, wohin dieser Prozess führen wird. Klar ist aber, dass ein tiefgreifender, systemischer Umbruch unausweichlich ist – und teilweise schon begonnen hat. Dabei geht es um weit mehr als um eine Überwindung des Neoliberalismus oder den Austausch bestimmter Technologien (auch wenn beides notwendig ist); es geht um eine Transformation, die bis in die Fundamente unserer Zivilisation reicht. Die Frage ist nicht, ob eine solche Transformation stattfinden wird – das wird sie auf jeden Fall, ob wir wollen oder nicht –, sondern wie sie verläuft und in welche Richtung sie sich entwickelt.

Die Megamaschine ist nicht das erste System in der menschlichen Geschichte, das scheitert, aber das mit Abstand größte, komplexeste – und gefährlichste. Es hat ein Arsenal von Waffen mit bis dahin unbekannter Vernichtungskraft geschaffen und ist dabei, die großen lebenserhaltenden Systeme der Erde, das Klimasystem, die Pflanzen- und Tierwelt, die Böden, Wälder, Meere, Flüsse und Aquifere, auf existenzbedrohende Weise zu schädigen. Die Frage des Wie und Wohin der Transformation ist daher eine Frage von Leben oder Tod für große Teile der Weltbevölkerung. Art und Richtung des systemischen Umbruchs werden darüber entscheiden, in was für einer Welt wir und unsere Nachkommen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts leben: in einer Welt, die mehr noch als die jetzige von Elend und Gewalt geprägt ist; oder in einer Welt, die lebensfreundlicher und freier ist als die derzeitige. Die zunehmende Instabilität des globalen Systems bringt dabei eine außerordentliche Situation hervor, in der auch relativ kleine Bewegungen großen Einfluss auf den Gesamtprozess und seine Ergebnisse nehmen können. Das kann sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht sein. Der rasche Aufstieg rechtsextremer und fundamentalistischer Bewegungen sowie zunehmende polizeistaatliche Tendenzen zeigen, dass sich auch totalitäre Kräfte der zerbröckelnden ökonomischen und politischen Strukturen bemächtigen können. In dieser Lage kommt es auf uns alle an. Zuschauer des Spektakels zu bleiben, ist keine Option, denn auch Nicht-Handeln, auch Passivität ist eine Entscheidung, die mit über den Ausgang der Geschichte bestimmen wird.

Aufbau des Buches

Um die Entstehung und die Funktionsweise der Großen Maschine nachzuvollziehen, muss man auch ihre Vorgeschichte erzählen. Das Buch beleuchtet daher zwei verschiedene Zeithorizonte. Der erste Teil (Kapitel 1 bis 5) umfasst einen Zeitrahmen von 5000 Jahren; der zweite Teil (Kapitel 6 bis 11) konzentriert sich auf den Zeithorizont der vergangenen 500 Jahre.

Das erste Kapitel verfolgt die Entwicklung militärischer, ökonomischer und ideologischer Macht bis zu ihren Ursprüngen in Mesopotamien zurück. Kapitel 2 untersucht die besondere Rolle, die dabei dem »metallurgischen Komplex« zukam, aus dem sowohl die Rüstungsindustrie als auch die ersten Geldsysteme hervorgingen. Der Entstehung der ersten Marktwirtschaften widmet sich das 3. Kapitel. Es zeigt, dass die Markt- und Geldökonomie nicht, wie es ihr Mythos will, aus dem freien Tausch, sondern aus der Logik von Krieg und Sklaverei entstand. Kapitel 4 beschäftigt sich mit den Wirkungen der Macht auf das soziale Leben und die kollektive Imagination. Die Entstehung des Christentums und des apokalyptischen Denkens – das für die westliche Zivilisation prägend werden sollte – wird aus den Ohnmachtserfahrungen heraus verstanden, denen die Mehrheit der Menschen in den antiken Imperien unterworfen war. Das 5. Kapitel geht den Wurzeln der westlichen Missionsideologie nach, vom Apostel Paulus bis zu den Kreuzzügen.

Der zweite Teil dieses Buches erzählt davon, wie sich das moderne Weltsystem als Reaktion auf die massiven egalitären Bewegungen formierte, die sich im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit in Europa verbreiteten (Kapitel 6); wie die ersten, hochmilitarisierten Aktiengesellschaften entstanden und die Geldakkumulation in den Finanzzentren von Genua, Augsburg, Amsterdam und London zum Motor der kolonialen Expansion einschließlich der Völkermorde in Amerika wurde (Kapitel 6); wie Raum, Zeit und Mensch Schritt für Schritt dem durchdringenden Blick des Staates und der Kapitalverwertung unterworfen wurden und die Disziplinarinstitutionen des Militärs, der Schule und der entfremdeten Arbeit entstanden (Kapitel 7); und wie die Erschließung fossiler Brennstoffe dem System einen explosionsartigen Ausbreitungsschub verlieh, der die ökologischen Grenzen – vorübergehend – sprengte (Kapitel 8).

Einen zentralen Platz nimmt in dieser Geschichte die Frage nach der Demokratie ein. Denn die innere Logik der Megamaschine, ist, so die These des 9. Kapitels, mit echter Demokratie im Sinne von Selbstorganisation grundsätzlich nicht vereinbar und hat daher bisher nur sehr beschränkte Formen der Mitbestimmung erlaubt. Die Suche nach Formen der Demokratie, die über diese Beschränkungen hinausgehen, ist daher eine systemische Schlüsselfrage, deren Spuren sich von den europäischen Revolutionen, den Freiheitskämpfen in den Kolonien und der »Weltrevolution von 1968« bis heute verfolgen lassen (Kapitel 10). Der Ausstieg aus der Megamaschine und damit aus der Logik der endlosen Kapitalakkumulation ist untrennbar mit der Frage nach demokratischer Selbstorganisation verbunden (Kapitel 11).

Die Fragestellung dieses Buches bringt eine bestimmte Auswahl des Materials und des geographischen Rahmens mit sich. Während sich die Vorgeschichte auf Vorderasien und den Mittelmeerraum konzentriert, verfolgt der zweite Teil die Expansion des modernen Weltsystems von Europa aus über die Erde.

Dieses Buch ist also keine Universalgeschichte, sondern die Geschichte eines bestimmten Gesellschaftssystems, das in einer umfassenderen Perspektive nur einen winzigen Ausschnitt ausmacht. Im Lichte einer Menschheitsgeschichte, die sich in Jahrhunderttausenden misst, wird, sofern wir eine Zukunft haben, die Megamaschine einst vielleicht nur noch als Intermezzo erscheinen.

Fabian Scheidler,Berlin, im Februar 2015

Teil I: Die vier Tyranneien

1. Kapitel: Macht

Die vier Tyranneien und die Wurzeln der Herrschaft

Es ist toll ein Herrscher zu sein!Bedienungsanleitung für das Computerspiel Civilization IV

Stellen wir uns die Zeitspanne seit dem ersten archäologisch dokumentierten Auftauchen des Homo sapiens vor etwa 200.000 Jahren bis heute als einen einzigen Tag vor: Dann nimmt die Zeit, in der Menschen ausschließlich als Jäger und Sammler gelebt haben, fast 23 Stunden ein. Die Epoche seit Beginn des Ackerbaus vor gut 10.000 Jahren – der »neolithischen Revolution« – umfasst dagegen nur die letzte Stunde. Jäger und Sammler lebten und leben in kleinen Verbänden, die relativ egalitär organisiert sind, nicht zuletzt, weil bei der Jagd Kooperation überlebensnotwendig ist.1 Der Übergang zum Ackerbau und zur sesshaften Lebensweise ließ dagegen weitaus größere Organisationsformen zu und ermöglichte es unter Umständen Einzelnen, größeren Reichtum zu akkumulieren – was jagende und sammelnde Nomaden kaum konnten, weil ihr Besitz leicht transportabel sein musste. Der Übergang zum Ackerbau gilt als eine Voraussetzung für gesellschaftliche Schichten- und Klassenbildung; und doch ist er bei weitem nicht der einzige, ja vielleicht nicht einmal der ausschlaggebende Faktor. Bis zum Beginn der Bronzezeit zwischen 4000 und 3000v.Chr. zeigen die archäologischen Befunde in den Gebieten, wo damals bereits die sesshafte Lebensweise dominierte, noch kaum Spuren größerer sozialer Unterschiede oder hierarchischer Organisation.2 Selbst in der größten bisher entdeckten neolithischen Siedlung, Çatal Höyük in Anatolien, die um das Jahr 6000v.Chr. etwa 3000 Einwohner umfasste, haben alle Häuser ungefähr die gleiche Größe. Paläste oder zentrale Tempel fehlen vollkommen. Auch Hinweise auf größere militärische Zurüstungen gibt es nicht.3

Mit Beginn der Kupfer- und der Bronzezeit ändert sich diese Situation aber. Anschaulich zeigt sich diese Weggabelung an der Pfahlbautenkultur am Bodensee: Hatten die frühesten Bewohner dieser Bauten alle etwa die gleichen Technologien zur Verfügung, die auf der Nutzung von Holz und Stein beruhten – Ressourcen, die allen zugänglich waren –, kam es mit Beginn des Einsatzes von Metallen, besonders der Bronze, zu einer Teilung der Gesellschaft in Wenige, die in der Lage waren, Bronze zu beschaffen und zu bearbeiten, und andere, die keinen Zugang dazu hatten. Während einige Menschen in aufwändigen Bronzerüstungen bestattet wurden, fehlte bei anderen eine solche Ausstattung. Zeigten die Essensreste der Pfahlbautenbewohner aus der Vor-Bronze-Zeit noch, dass alle in etwa das Gleiche aßen, fanden sich in der Bronzezeit bereits erhebliche Unterschiede: Die einen ernährten sich überwiegend von Getreide, die anderen (die Metallbesitzer) auch in großen Mengen von Fisch. Das Aufkommen ähnlicher Ungleichheiten findet sich überall dort, wo ein Übergang zur Bronzezeit stattgefunden hat: in Mesopotamien und Ägypten ebenso wie –fast tausend Jahre später –in Mitteleuropa und am Gelben Fluss in China.4

Zwischen der vergleichsweise egalitären Phase, die den größten Teil der Menschheitsgeschichte umfasst, und dem Aufkommen von sozialer Schichtung und Dominanzbeziehungen liegen einschneidende Veränderungen, die bei weitem nicht nur die Metallverarbeitung betreffen. Im Übergang zur Bronzezeit wurden die Grundlagen dessen geschaffen, was wir heute unter »Zivilisation« verstehen. Im mesopotamischen Sumer am Persischen Golf entwickelten sich aus Siegelzeichen um 3200v.Chr. die ersten Schriftsysteme. Zur selben Zeit entstanden dort die ersten Städte und mit ihnen die ersten Staaten. War Çatal Höyük noch ein großes Dorf mit wenigen Tausend Einwohnern, so handelte es sich bei Uruk mit 50.000 Einwohnern bereits um eine Stadt, in der es komplexe Arbeitsteilung und Verwaltung gab. Die sozialen und rechtlichen Unterschiede in diesen Stadtstaaten waren zunächst noch nicht allzu groß, eine Oligarchie von reichen Familien entwickelte sich erst langsam. Das Zentrum dieser ersten Städte bildeten große Tempelanlagen, deren Verwalter die landwirtschaftliche und handwerkliche Produktion organisierten und die Erzeugnisse an die Bewohner zurückverteilten. Doch innerhalb weniger Jahrhunderte entstand neben den Tempeln eine parallele Zentralstruktur: die Herrscherpaläste. Um 2800 v. Chr. hatten sich alle sumerischen Stadtstaaten – Eridu, Uruk, Nippur, Lagasch, Kisch, Ur – bereits in Königreiche verwandelt, die von einem »Lugal«regiert wurden, der zunehmendüber despotische Macht verfügte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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