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Nur ein einfacher Ringwall der Geschichte schrieb? Oder ein ganz normaler Erdwall der einen geheimnisvollen Zugang zur Schattenburg Lembecksföhr in sich bewahrt? Es war nur eine Frage der Zeit, dass sich aus dem Sternbild Orilus eine funkelnde Nekromantenkugel loslöste. Aus ihrem nicht endenwollenden Schlaf kam die schwarze Hexe Mytra vom eisigen Norden auf die Insel zurück. Sie beraubte den Menschen das Wertvollste, ihre Menschensinne. Vier Abenteurer gingen mit ihren treuen Begleitern, von Untererde auf Hexenjagd, um von der Hexe den geraubten Inselschatz, den für die Menschheit wertvollen Nordsteingral,zurückzuholen.
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Seitenzahl: 340
Veröffentlichungsjahr: 2020
Das Erwachen des Walls
Das Erwachen der Schatten
Kapitel 2: Die Stadt Wyk
Kapitel 3: Die Nacht spürt Hunger und Hunger stillt die Macht
Kapitel 4: Das Menschenräderwerk auf Mittel-Insel. Fremde Spuren im Sand.
Kapitel 5: Die schmachtende Macht
Kapitel 6: Die Seelen-Allee
Kapitel 7: Marcs Lesepause
Kapitel 8: Die Zwegos, von Untererde
Kapitel 9: Auf Obererde
Kapitel 10: Die Flucht
Letztes Kapitel: Der festliche Abend in der Stadt Wyk
Der Anfang
Die Astrologen durchwanderten mit ihren Teleskopen monatelang die Galaxien, bis sie das sahen, was sie nie erhofften. Aus dem Sternbild Orilus, einem interessanten Himmelskörper, hatte sich ein strahlendes Objekt losgelöst. Zuerst nahmen die Forscher an, dass es sich wahrscheinlich nur um einen schlichten Meteorit handeln konnte, weil er gleichmäßig in einem großen Abstand zu der Erde seine Runden umherzog. Als dann der Meteorit seine Leuchtkraft drastisch erhöhte, nicht verglühte, mit rasanter Beschleunigung bedrohlich auf die Erde zueilte, wurde weltweit Alarm ausgelöst.
Die fliegende Bedrohung wurde mit Argusaugen verfolgt, bis dieses Objekt den Nordpol erreicht hatte und vermutlich in eines der Meere versunken war.
Monate später fand man den Einschlag.
Auf einer Insel mitten im historischen Bereich des Herzstücks des Burgwalls Lembecksföhr entdeckten Spaziergänger verbranntes auf der Wiese. Begutachtet wurde die Stelle von Geologen. Sie kamen zu dem Entschluss, dass es ein schwarzer Kugelblitz war, oder doch der Meteorit, den sie im All beobachteten. Zusehen, war ein kreisrunder Dunkelschatten in der Mitte des Ringwalls.
Was genau an jenem Tag wirklich geschah, bleibt ein Rätsel….
Unterhalb des Deiches, Norddeich 08
Im ersten Fischerhäuschen wohnen Marc und Tari, seine Hündin. Liebend gern gehen die zwei an den Sandstränden spazieren, schauen dem Treiben der Nordseewellen zu und studieren die Fußabdrücke der kleinen und großen Menschen. Freuen sich an lachenden Kinderaugen und spielenden Sandburgenkünstlern.
Eines Tages, als Marc den geheimnisvollen Burgwall zu seinem Ausflugsziel wieder machte, war sonderbar, dass ihn erstmals sein Hund nicht begleiten wollte. Im Inneren des Walls fühlte es sich eigenartig an, nämlich durch ein energetisches Lichtkraftfeld, das von den Füßen aufwärts zum Körper strömte. Das Resultat: überaus große Krähen gab es seit dieser Zeit.
Eine einzigartige Inselkrähe lief direkt auf den Menschen zu, der diesen Ort besuchte, sie redete ihn forsch an.
»Du weißt, dass du auf historischem Boden stehst? Ich bin Kräwo, ein Magier in geheimer Mission. Erdgebundene Energie das du aus dem Herzstück des Walls spürst, hat dich hierher gerufen.«
Kräwo erzählte weiter von der Legende, die sich vor x Jahrhunderten hier abspielte. Warum die Kräfte aus dem Inneren des Ringwalls immernoch so stark sind und das vor langer Zeit hier wilde Gesellen hausten, die Kappenhörner trugen, Wikinger vom Eisland des Nordens. In jener schwarzen Nacht 1699 vereinten sich die Geister der Weltmeere und die Wächter aus den unterirdischen Labyrinthen gingen mit ihrer Herrscherin auf Raubzüge. Dass ein Magier Kräwo heißen kann und Kräfte in sich hat, erstaunte Marc und weckte sein Interesse.
Marc beugte sich zu ihm hinunter und erwiderte mit spannungsgeladen Worten: »So, so! Du sagst, dass du ein geheimer Magier bist, also eine Magierkrähe! Und du hast mich sogar erwartet. Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert, dass ich einer Krähe gegenüberstehe. Ihr seid verhasst, weil ihr im Pakt mit dem Teufel steht. Das ist kein Zitat von mir selbst, das sagt man üblicherweise so. Was hast du mir zu erzählen?« Kräwo hörte sich Marcs Gedankenworte an, wackelte mit dem Kopf, nein, nein, die Menschen denken wirklich scheußliche Dinge über uns!
Kräwo erzählte weiter. »Nordländerwikinger nahmen die Insel in ihren Besitz. Sie soffen Honigwein aus Büffelhörnern, und sie mordeten. Seit dem Zeitpunkt, als diese Horde wilder Mannen mit ihren Booten auf die Insel gekommen war, gab es für uns Krähen keine friedvollen idyllischen Futterplätze mehr. Die wilden Menschen holzten die Schlafplätze der Vögel ab. Mit den Bäumen bauten sie die Wikingerburg mit jeweils vier bedrohlichen Wachtürmen auf. Die Vögel verließen daraufhin die Insel und flogen zu der Nachbarinsel Amruna, um dort in Frieden leben zu können. Nach vielen Vogelleben, als wir Nordvögel nachschauen gingen, ob die Hörnermenschen noch auf der Insel verweilten, gab es andere Menschen.
Seltsame Menschen mit Kettenhemden, Ritter aus fernen Ländern, die wir Krähen noch nie im Leben gesehen hatten, besetzten die Insel. Eine eigenartige Frau gab es unter ihnen, die Nekromantin der dunklen Macht. Sie lebte ebenfalls auf der Schattenburg mit den Rittern. Eine freudlose Frau soll sie gewesen sein, mit eigenartigen rituellen Handlungen, die uns Vögeln in keiner Weise gefallen hatten. Ihre eigenen Leibkrähen machte sie zu ihrem Willen untertan und diese machten Hatz auf uns. In einer Flammennacht brannte die Burg bis auf die Grundmauern nieder. Viele Kettenhemdritter verloren ihr Leben und die Hexe ward nicht mehr gesehen, nur ihre Hatzkrähen, die gibt es weiterhin. Anschließend wollten wir meinen, dass eine friedvolle Zeit für uns kommen wird. Aber es kam anders. In jener Vollmondnacht vereinten sich die Geister des Meeres, Atara und Intara, die aus den Tiefen der See gestiegen waren. Zur selben Zeit, als sich aus dem Sternbild Orilus von den Weiten des Universums eine funkelnde Nekromantenkugel loslöste, muss die Hexe aus ihrem nicht enden wollenden Schlaf zurückgekommen sein. Und zwar mit so heftigem Getöse, dass die Wächter in den unterirdischen Labyrinthen auch erwachten. In Untererde, die Zwegos. Wie gesagt, das war vor langer, langer Zeit. Seit dem Erwachen dieser mystischen Wesen gibt es hier immer noch rätselhafte Strömungswellen, die feinfühlige Menschen spüren. Ich bin ein Wesen aus der Welt der Magie. Vor längerer Zeit habe ich die Gestalt der Rabenkrähe angenommen, um so unauffällig auf die heutige Menschheit zu wirken. Wenn du mich fragst, wie alt ich wäre? Seit sieben Jahrhunderten mit Lebensunterbrechungen gibt es mich auf dem Planeten. So, jetzt komme ich zu meinem Hauptanliegen! Ein Buch gibt es, eben von diesem Ort, und dieses Buch ist bei dir. Die Geister des Jahrhundertbuches werden sich, wenn die Zeit reif wird, bei dir melden. Die Schilderungen des Buches müssen gelesen werden. Von dir gelesen werden, so dass die Mitwirkenden danach wieder ruhen können.«
Die Krähe machte sich eiligst davon, als eine Reisegruppe in das Innere des Walls gekommen war.
Es zogen etliche Monate und Tage durchs Land
Das Erlebnis mit dem Wunderwesen schien Marc vergessen zu haben. Eines Tages machten sich tatsächlich die Geister aus dem Buch bemerkbar, so wie die Krähe es ihm prophezeit hatte.
Schlaflose Nächte plagten ihn und immer wieder erschien in seinen Träumen der Krähenmagier, der zu ihm sprach: »Es ist so weit Marc! Das Buch meldet sich!«
Marc kam es an jenem Tag seltsam vor. Kein Lüftchen wehte mehr um sein Haus. Sogar abwärts vom Deich nicht. Das war nicht normal. Hier wehte ständig der Wind vom Meer herüber. Ihm wurde es so was von unheimlich. Plötzlich vernahm Marc das klopfende Geräusch von irgendwoher im Haus. Er kam ins Grübeln: »Was kann es sein? Schon komisch. Klopft es an der Türe? Muss ich mal nachschauen gehen.«
Vor der Türe stand niemand, der um Einlass bat. Es klopfte wieder. »Das wird doch nicht die Erkennung sein, wie die Krähe es vor Monaten sagte? Die Krähe hatte doch von dem Buch erzählt, das sich irgendwann melden wird. Du fantasierst, Marc. Bleib auf dem Teppich. Ein klopfendes Buch gibt es nicht!«, redete er sich ein. Doch inspizierte Marc vorsichtig die Räume, von den unteren Zimmern bis zum oberen Dachgeschoss. Vielleicht, so dachte er, ist es ein irrer Buntspecht, der sich an dem alten morschen Holzgebälk oben auf der Holzbühne austobte. Marc fand keinen Specht, nur ein verlassenes Nest, bestimmt von einer Schwalbenfamilie, die seit langem ausgezogen war. Er stieg auf der Bühnenleiter erneut abwärts zu den unteren Wohnräumen, wo er sich erstmal zur Beruhigung einen Tee machte. Es dauerte keine Stunde. Das Klopfen kam wieder, sogar noch häufiger und lauter und das in regelmäßigen Abständen. Immer wieder poch..., poch…, poch. Er, vom Wahnsinn geplagt, und sein Vierbeiner Tari horchten zum Dachboden hinauf.
Krampfhaft überlegten sie, von wo und aus welchem Hauswinkel das Geklopfe überhaupt herkommen konnte. Vor der Türe stand niemand, also musste es vom Inneren des Hauses kommen. Tari führte sich auch komisch auf. Sie bellte laut auf, drehte fast durch und benahm sich äußerst sonderbar. Sie zitterte, drehte ihre Ohren horchend in den Raum und zog ihre Rute angstvoll ein. Eigentlich kannte Marc seinen Hund eher als Draufgängerin, als blutrünstige Jägerin, zumindest was die Entenjagd betrifft, aber hier war es anders.
»Tari! Such das klopfende Ding! Du hast die dickere Nase. Also hoppla hopp und mach dich auf die Suche! Tari! Steh jetzt auf und such das klopfende Ding! Du hast die größte Spürnase und Ohren!«
Tari kam allmählich phlegmatisch in die Gänge. Ihre dunklen Knopfaugen signalisierten erwartungsvolle Suchbereitschaft. Sie peilte die Sachlage ab, sprang auf und sauste mit großen Sätzen die Treppen hinauf bis zum zweiten Stock. Rutschte mit einem filmreifen zackigen Kurvenschnitt plump auf dem Bauch aus, stand dann wieder auf und raste anschließend laut bellend auf der oberen Holztreppe das Dachgeschoss hoch. Dort blieb sie regungslos stehen. Knurrend verharrte sie vor einem alten Bücherregal. Taris große Hundenase schnupperte zum oberen Bücherbord. Schwer schnaufend traf nun auch Marc ein. Sein Blick ging nun ebenfalls hoch zum Bücherbord. Er sagte zu sich: »Mh...! Komisch, hier auf dem Dachboden habe ich nie nachgeschaut. Ob Tari was gewittert hat? Ich schaue hier sofort nach! «
Mit unbehaglicher Erwartung holte er eine Trittleiter. Er stieg hinauf. Was in Gottesnamen würde ihn wohl hier erwarten? Was würde er zwischen den Büchern des alten Regals entdecken, womöglich die Ursache des klopfenden Dingens? Er griff einfach nach seinem Gefühl zu dem hintersten Bereich. Vorsichtig umgriff er ein verstaubtes altes Buch. Zog das Druckwerk nach vorne. In der Hand haltend spürte er noch das unheimliche Klopfen des Buches, das allmählich aufhörte und zufrieden in der Hand eines Menschen lag.
Jetzt folgerte Marc, wie er dieses geheimnisvolle Werk der Lembecksgeister vor langer Zeit entdeckt hatte. In einem antiquarischen Büchermarkt zwischen allerlei Schmökern in einem von Mäusen angenagten Pappkarton hatte er es gefunden. Jedes Buch für nur einen Euro mit kostenlosem Modergeruch. Ihm schwante, wenn dies das Buch sein soll, von dem der Krähenmagier ihm berichtete, würde sich der Zaubervogel wieder bei ihm melden!
Zurück in der guten Stube nahm Tari, erschöpft von der abenteuerlichen Klopfjagd, vor dem Kachelofen Platz ein. Marc rückte sich ebenfalls in seinem etwas abgewetzten Ohrensessel zurecht, auf dem schon Generationen gesessen hatten, gespannt, was es wohl mit dem klopfenden Buch auf sich hat. Obwohl es Buchgeister vielleicht doch geben kann, ergriff Marc mit gierigen Augen den mit Goldleder verzierten Wälzer. Im Lichteinfall des Zimmers kam es zum Erhellen. Vorsichtig fing er an, das Buch von vorne nach hinten erst einmal durchzublättern.
Seine Fingerkuppen feuchtete er an, so trocken waren die Buchseiten, besonders die ranzigen Seitenecken.
Wie viele Menschen wohl dieses Schriftwerk, ein Unikat der Besonderheit, schon in ihren Händen gehalten hatten? Immer wenn Marc beide Hände auf den Buchrücken auflegte, spürte er wieder das Klopfen. Buchgeister riefen ihn an. Sie waren bereit, sich zu öffnen, dem Lesen gewappnet.
Marc nahm das geheimnisvolle Buch und schlug die erste Seite auf, um es zu lesen.
Bea, eine besondere Frau. Sie wohnte seit langem auf der Insel Föhr und ahnte schon seit langem, dass das Szenarium einer Wütenden und längst Vergessenen wiedererscheinen wird. In den Wahrsagekarten hatte sie es gesehen. Wer die trügerische Ruhe verspürt, wird später die Feindberührungen des Sturmes erleben.
Das Südende des Sandstrandes war Beas besonderer Lieblingsplatz. Mit einem faszinierenden Blick hinaus aufs weite Meer genoss sie die weite Sicht. Fliegende Künstler, wie Austernfischer und Möwen flogen friedlich ihr Revier ab.
Die junge Frau spielte inmitten der Dünen auf ihrer Flöte ihre Lieblingsmelodien, der Strandhafer war ihr Dirigent, der sanft den Rhythmus mit dem lauen Wind beibehielt. Ihr langer blonder Zopf schwang hin und her und zeichnete abstrakte Bilder in den Dünensand, passend zu den Schwingungen ihrer Melodien.
Plötzlich wurde die naturbelassene Behaglichkeit gestört. Sie war Augenzeugin eines Phänomens, das rasant der Erde zueilte. Bea unterbrach abrupt ihr Flötenspiel, eine starke Unruhe erfasste sie, auch beim Anblick des sich verändernden Meeres. Mit dem raschen Aufbrausen der Wellen flogen die Vögel aufgeregt umher. Seltsam aussehende Wolken bauten sich auf.
Sorgenvoll beobachtete Bea die monströsen Wolkenformationen, aus denen sich seltsame Schattengestalten zu lösen schienen. Die friedliche Strandidylle war einer unruhigen, spannungsreichen Atmosphäre gewichen.
Zwischen den Wolkendecken schoss ein purpurner Feuerball auf die Erde zu. Reflexartig duckte sich Bea, um dem gewaltigen Druck, der ihr entgegen kam, auszuweichen.
Ganz in der Nähe schlug es mit einem Donnerhall auf der Insel ein. Angst floss ihren Rücken runter.
Bea dachte blitzartig an die vor kurzem von ihr ausgelegten Tarot-Karten. Dunkle Mächte, lodernde Burgtürme und auch die Hohepriesterin hatte sie in den Karten gesehen. Ihr kamen die alten Schriften in den Sinn mit den Berichten über die Hexe Myrta, die mit anderen Schattenwesen vor X-Jahrhunderten hier gelebt hatte. Diese Myrta soll ja mit der Inselburg zusammen in Flammen aufgegangen sein, so stand es geschrieben. Sie soll dabei furchterregend geschrien haben und drohte kreischend zurückzukommen, um sich zu rächen.
Sollten die alten Schriften und die Karten Recht behalten?
War dieser mysteriöse Feuerball die ungezähmte Hexe Myrta...? kam es Bea sofort in den Sinn.
Spontan sprach sie ein eindringliches Gebet zu den Himmelsmächten und bat um Schutz für die Insel und ihre Bewohner. Dann stand sie eilig auf, sie wollte dringend ins Dorf, um die Menschen zu warnen. Doch die Mitbürger nahmen die Sorgen und Ängste der rothaarigen Kartenleserin nicht ernst. Wer würde einer Frau Glauben schenken, die den lieben langen Tag zu den Sternen hinaufschaute, sich mit den Wesen der anderen Welt unterhielt und ihre Karten auslegte. Dass die Vergessene eines Tages zurückkommen werde, daran hatte sie, die gutgläubige Frau, nie gezweifelt.
Schattenwetter nannten die Bewohner die dunkle Wolkenhand, die über einen Teil der Insel gestanden hatte.
»Was du nur hast, Bea! Der Nordwind pustet mal wieder richtig unsere Insel durch, das geht doch vorbei.«, war die Rede.
Währenddessen nahm der Sturm an Kräften zu. Tosende Wellen bauten sich auf, die mit brausender Geschwindigkeit und lautem Poltern und Schlagen ans Land vordrangen. Jetzt wurden eifrig die Deichtore ringsum geschlossen. Das Wasserbrausen des Sturmes wurde immer stärker. Heulende Geisterwinde übernahmen die Insel in ihren Bann und sie folgten dem Ruf der wiederkehrenden Hexe zum geheimnisvollen Wall, dorthin, wo der Feuerball eingeschlagen war.
**
An der Mole, Amruna
Hauke, ein erfahrener Fischer von Amruna, ging in der Nacht auf hoher See seiner Arbeit nach. Er beobachtete am frühen Morgen ein Firmament-Spektakel einer besonderen Art, wie er es zuvor noch nie gesehen hatte. Der Seemann sah am Himmel öfters Erscheinungen, die sich regelmäßig abwechselten wie die Jahreszeiten: Lichtwesen, Sternschnuppen und ähnliches. Aber so eine leuchtend purpurfarbene Lichtformation, der vom Himmel hinabsauste, war einzigartig. Er verfolgte sie mit interessierten Blicken, solange bis sie hinter der Insel Föhr nicht mehr zu sehen war. Vielleicht war dieses seltsame, ein wenig unheimlich anmutende Gebilde ja auch erloschen und ins Meer gestürzt, überlegte der Fischer äußerst verwundert.
Er holte seine Netze ein. Streute Eis über das Fanggut und deckte es ab, damit es auch frisch auf dem Fischmarkt ankommt. Seit drei Uhr nachts war er unterwegs, als er müde um die Vormittagszeit seinen Kutter im Hafen angelegt hatte. Der von den Salzbrisen der See gezeichnete Fischer vertäute sein Schiff an der Längsseite der Pier an hölzernen Pflöcken, die übersät waren vom Salzbelag jeglichen Wellenschlags.
Es war nicht sein Tag, wieder so einen spärlichen Fang, den er nach Hause gebracht hatte.
Es fing schon an, als die Möwen in Sturzflugakrobatik fressgierig auf See anrückten, um Makrelen und Heringe, die noch im Fischernetz zappelten, zu klauen. Ihre Klaubegierde hielt immer noch an, als er die Behälter mit dem wertvollen Inhalt auslud. Er rief derb hinauf zu den Vögeln. »Ihr räuberische Bande! Haut ab…! Ihr habt mich die ganze Fahrt schon bestehlen wollen. Haut endlich ab, hier gibt es nichts zu schnabulieren! «
Er nahm den öligsten Putzlappen, den er vorfand, und schwang ihn herum, um dem diebischen Volk zu drohen. Ärgerlich warf der Fischer den Drecklappen den Fischräubern nach, worauf diese endlich kreischend davonflogen. Nach getaner Arbeit nahm Hauke seinen Lieblingsplatz ein, ein Holzpflock an dem auch die Fischkutter mit Seilen festgebunden werden. Jede Bewegung auf der See konnte er von diesem Platz aus wahrnehmen. Er kramte seinen Tabakbeutel aus der Tasche, suchte die Meerschaumpfeife, stopfte den Köcher mit dem wohlriechenden Inhalt, zündete ihn an und dann …!
Ahhhh..., das tat gut! Die Welt um ihn war wieder geordnet, seinen Sinnen Gutes getan. Den Rauch aus dem Pfeifenkocher konnte man sogar an der ganzen Mole genussvoll riechen. Ein jeder im Ort wusste, Hauke war wieder zurück. Mit kräftigen Zügen genoss der Seemann seinen duftenden Black-Vanilla Lieblingstabak, das Beste zum Ende von anstrengenden Arbeitsstunden. Und wie er so seinen Gedanken an altbekannten Seefahrern nachhing, besann er sich an die Lichterscheinung, die er auf hoher See gesehen hatte, die doch vielleicht im Nass versunken war. Der Fischer schaute zur Nachbarinsel Föhr rüber, als eine Schattenwolke sich über der Insel breit gemacht hatte. Er fragte sich: »Was geht da wohl ab? Ne Schreckenswolke? Sieht eher aus wie eine Science-Fiction Produktion, ein irrelanges Raumschiff. Das fehlt gerade noch, dass Außerirdische unsere Nordischen Inseln ausspionieren wollen. Und jetzt…? Was passiert jetzt…?
Jetzt verändert sich sein Aussehen zu einem übergroßen Wolkenkokon, wie von einer riesigen Seidenraupe, die sich zur Verpuppung eingenistet hat. Was ist das jetzt…? Aus dem Himmelsgebilde schaut eine…, sieht nach einer Wolkenhand des Schreckens aus. Sowas habe ich noch nie gesehen und das am helllichten Tag! Bei uns im Norden, wo alles seine Richtigkeit hat! Das muss ich Kai erzählen, wenn er zurück ist. Wo steckt er nur, er müsste eigentlich schon längst wieder zurück sein. Wir sind doch zur gleichen Zeit, als es noch dunkel war, losgeschippert.«
Wie erstarrt saß Hauke immer noch auf dem Holzpflock, der Pfeifenrauch im Halse blieb stecken und er hustete aus tiefstem Lungengrund. Sein Vollbart von Wind und Salz verklebt. Er stammelte überrascht vor sich hin: »So was habe ich ja mein ganzes Leben lang noch nicht gesehen. Hier ist es totenstill, keine Brise weht mehr und dort drüben sieht es nach schwerem Gewitter aus. Das Wolkengebilde sieht echt mysteriös aus.«
Inzwischen kamen immer mehr Inselbewohner Amrunas zur Mole geeilt, von hier aus hatten sie alle den besten Überblick zur Nachbarinsel. Alle sahen das mysteriöse Ding und die Menschen diskutierten. Jetzt war auch noch ein grelles Licht auf einer Klippenempore zu sehen. Wahrscheinlich war ein Notsignallicht entfacht worden. Hauke verließ seinen Platz, lief aufgeregt hin und her. Er grübelte nach und hoffte, dass sein Freund Kai bald kommen möge. Viel zu lange war er schon draußen auf hoher See, und zwar genau auf der anderen Seite der Insel, wo die schweren Wolken ihr Nass entladen hatten und mit donnernden Blitzen die See zum Kochen brachten. Gut, Kai ist zwar ein Abenteurer, aber nicht so einer, der stets die Gefahr suchte und sie herausforderte. Hoffentlich taucht er bald mit seinem Kutter auf. Und wenn er zurückkommt, dann werde ich ihn sofort fragen, ob wir gemeinsam nachschauen gehen, was dort los ist. Vielleicht brauchen sie unsere Hilfe. Eigentlich quatsch. Warum auch das Notsignal? Das letzte Notlicht wurde in der Jahrhundertwende so um 1900 entfacht, also altmodisch. Bestimmt ein Scherz. Mensch Kai, wo bleibst du denn, dein Rat wird hier verlangt. Hoffentlich kommst du bald!
Die bereits gelesenen Buchseiten ließen Marc nicht mehr los. In Gedanken bei dem, was ebenda geschrieben stand, fiel ihm an bewusster Buchseite ein angehefteter Zettel auf. Ein verknittertes Blatt passend zu den Kraftwellen, die an das Land kamen. Spannend las Marc es vor!
Meeresbrandung
Die Stimmen der Meerestiefe.
Ein Gedicht von Christian Morgenstern
Warrrte nur…
Wie viel riß ich ab von Dir, seit den Äonen unseres Kampf`s - warrrte nur …
Wie viel stolze Feste wird mein Arm noch in die Tiefe ziehen- zurück und vor zurück und vor und immer vor mehr denn zurück warrrte nur … und heute mild und morgen wild doch nimmer schwach und immer wach. Warrrte nur … umsonst dein Dämmen, Rammen, Baun. Dein Wehr zerfällt, ich habe Zeit.
Warrrte nur …, wenn erst der Mensch dich nicht mehr schützt wer schützt verloren Land dich dann?
Warrrte nur … mein Reich ist nicht von dieser Zeit, er stirbt, ich aber werde sein.
Warrrte nur … und will nicht ruhn, bis daß du ganz in meinem Grund gerissen bist
von meinem Salz zerfressen schmilzt warrrrrrrrrte nur und endlich nichts mehr ist als ich und ich und ich und ich warrrrrrrrte nur ….
Das Gedicht beunruhigte den Leser, die Sprache der Seetiefen, er dachte nach an die kraftvollen Wellen, die zerstörerisch wirklich sein können. Besonders an die Stürme und Überschwemmungen, die die Insel immer wieder heimgesucht hatten. Ein Sturm, der seit langem per Rundfunk angekündigt war, beschleunigte sein Tempo und war der Insel bedrohlich näher gekommen. Hinter den schützenden Deichen sorgte man sich um die Reetdächer der Häuser, so auch Marcs Sorge. Ein paar lockere Fensterläden-Halterungen hatten sich von der Verriegelung gelöst. Polternd schwenkten sie hin und her. Die Scheiben ungeschützt. Ein heftiges Flügelschlagen vor den Gläsern folgte … pflatsch … klatsch, dann Kratzen und wieder ein Klatschen …, rasch hintereinander!
Plötzlich war Marc hellwach geworden, das Gefühl, dass sein Blut in den Adern zu stocken anfing, ließ ihn erzittern. Draußen dämmerte es bereits. Die Fensterläden an der Hauswand kratzten und der Schatten an der Scheibe, was wollte er? Ein Gespensterschatten, der bedrohlich aussah. Ein Dämon! Oder ein riesiger Schattenvogel. Was könnte es sein? Mit höchster Achtsamkeit erhob Marc sich aus dem Sessel, ging hin und drehte neugierig mit regem Herzklopfen den Fenstergriff mit einem Ruck auf. In dem Augenblick, als er auch den zweiten Fensterflügel nach außen öffnete, flog der Schatten vor Schreck zum nächstbesten Versteck. Beäugte den Fensterherausschauenden und flog beherzt zurück zum geöffneten Fenster. Landete auf dem Fenstersims. Marc schnaufte auf, sein Schreck legte sich, und nannte ihn gleich seinen Namen, denn das konnte…: »Kräwo…! Bist du Kräwo, der aus dem Burgwall? Weißt du, dass du mich fast zu Tode erschreckt hast! Klopfst und kratzt du immer an der Leute Fensterscheiben, so dass sie Angst bekommen? «
Die Krähe zeigte keine Furcht und plapperte auf krähisch, dann auf Menschensprache sofort los: »Krähh krääähh, kräh! Hallo Marc! Hat sich das Buch bei dir gemeldet? Wollte nur nachfragen!«, wollte er wissen.
Kräwos magisches Federkleid glänzte purpurviolett in dem Schein der Lampe der Stube. Selbstbewusst zeigte Kräwo sich von der besten Seite. Er wartete auf eine Belohnung, Erdnüsse oder so, die er in einer Glasschüssel auf dem Tisch erspähte.
»Lässt du es zu, dass ich dich berühren kann? Hab noch nie so eine zahme Krähe auf du und du angefasst! «
Marc berührte behutsam den magischen Kopf der Krähe. Kräwo spürte seine Zuneigung und ließ es zu, dass eine Menschenhand, freundschaftlich, vorsichtig, den Rücken hinunterglitt bis an die Schwanzfederspitze. Machte sich richtig lang und genoss die Hand, die gut es mit ihm meinte. »Doch, doch. Das Buch habe ich gefunden. Es klopfte gespenstisch solange bis ich es gefunden habe. Ich bin gerade dabei es zu lesen. Magst rein fliegen?«, erwiderte Marc Kräwos Frage.
Plötzlich erschreckte Kräwo. Irgendetwas passte hier nicht. Er erhob sich und wollte schon in die Stube fliegen, als er sich doch abrupt abwendete und davonflog, waren es die Wesen aus diesem Buch, für menschliche Augen nicht sehbar geworden, jedoch für Kräwo?
Er ging zurück zu seinem gemütlichen Sitzplatz. Griff zum Buch, und, begann jetzt erst recht es weiterhin zu lesen!
Die Mole, Amruna
Kai fuhr mit seinem Fischerboot in den Hafen von Amruna ein und taute es neben Haukes Kutter fest. Lediglich ein paar Schritte waren es bis zu seinem Freund. Mit smartem Schwung sprang er seitwärts aus dem Boot sprang er direkt zu Hauke der schon ungeduldig auf seinen Freund wartete. Kai betrachtete noch verwundert die vielen Menschen und begrüßte seinen Freund: »Moin, Alter. Was ist denn hier los? Hier hat es auch so dunkle Wolken über uns. Mann oh Mann, schweres Wetter über Föhr! Ich bin gerade nochmal davon gekommen. Musste die Insel mit einem großen Bogen umfahren.«
»Mensch, Kai! Bin ich froh, dass du endlich zurück bist!«, begann sein Freund ihn zu begrüßen. »Sag, hast du das grelle Licht auf der Klippenempore auch gesehen? Und diese riesige Schattenwolke, hattest du die auch gesehen? Richtig unheimlich! Wir sollten rüberfahren und nachschauen gehen. Vielleicht ist das grelle Licht ein Hilferuf! Was meinst du, Kai?«
Die beiden Friesenköpfe beobachteten noch eine Weile gespannt das Wolkengehabe über der Nachbarinsel und das Signallicht. Haukes Pfeife hackte sich in der Zahnlücke fest, er fragte weiter. » Oder was meinst du? Erlaubt sich auf der Insel jemand einen Scherz mit dem Signallicht? «
»Ne, glaub ich nicht, dass es scherzend ist. Mit Notsignalen soll man keine Scherze machen! Altes Seemannsgesetz. Das wird echt sein! Du hast recht, wir sollten rüberfahren und nachschauen gehen! Ich hätte schon einen Verdacht, wer uns um Hilfe ruft. Ich habe so ein Gefühl, dass sie es ist. Ich spüre ihre Schwingung, Bea vom…, sie ist was Besonderes, oder könnte von Olaf sein. Er ist Heimat-Inselschutzbeauftragter.
Lass uns rasch rüberfahren und es herausfinden. Wir nehmen mein Boot Lola, das ist fixer als dein alter Kahn Trude! Ich bringe noch meine Fische ins Kühlhaus und dann heißt es zack-zack, Leinen los! «
»Auf ins Abenteuer! Das müssen wir herausfinden, was drüben los ist. Sorgen bereitet es mir schon. Ich meine, wenn schlechte Stimmung, also was Unvorsehbares auf unserer Insel ist, kommen die von drüben auch zur Hilfe, oder..? «
Kais Kahn aufgetankt. Proviant geladen. Die Seemänner waren fertig zum Auslaufen.
Nach etlichen Zündversuchen, die Batterie schwächelte etwas, kam der Motor geduldsam in die Gänge und sie legten von der Mole ab. Tack ..., tacktacktack. Tack…, tack …, tack…... Es klang, als hätte der Dieselmotor zuerst keine Lust, sich in Bewegung zu setzen. Jeglicher Kolbenschlag hörte sich an wie das Herzschlagen der beiden Seefahrer.
Ein mulmiges Gefühl beschlich sie bei den Gedanken, was sie drüben erwarten würde. Zuerst empfing sie regungslose Seeruhe, dann begannen anklatschende Seetiefenwellen kreisend den Schiffsrumpf einzuzingeln. Der Motor lief immer noch mühsam schwerfällig. Die Möwen, die sonst stetig um den Kutter umherflogen, zeigten kein Interesse, ihnen zu folgen. Die Tiere spürten das Seltsame in der Tiefe des Wassers.
Das Boot hatte erst eine Seemeile hinter sich gelassen, als es plötzlich anfing, derartig stark hin und her zu schwanken. Sorge erfasste Kai und Hannes, dass der Kutter Schlagseite bekommen würde und sie in Seenot geraten. Wellenschläge so hart wie exorbitante Knüppelschläge schlugen auf den Schiffrumpf ein.
Ein monströses Kraftfeld entstand im Meer. Undurchdringbare Nebelwände entstanden und die Überfahrt schien zum Scheitern verurteilt zu sein. Kai hatte Mühe, den Kutter in Fahrt zu halten. Jetzt war sogar noch der Kompass ausgefallen und das bei der dicken Nebelsuppe, die sich breit gemacht hatte. Die Pricken, also die Fahrwasserkennzeichnung, waren sogar nicht mehr erkennbar. Unbekannte Kräfte schienen zu verhindern, dass ihr Schiff sich der Insel Föhr nähern konnte, der Abstand wurde immer größer. Verzweifelt rief Hauke: »Wir können den Kurs nicht halten! Schau dir diesen mistigen Nebel an! Wir laufen Gefahr, auf den Sandbänken aufzusetzen und dann können wir Föhr vergessen. Ich geh vor zum Bug und gebe dir Anweisungen! «
»Etwas Backbord Kai! … Gut so!... Jetzt leicht Steuerbord!... Gut so!... Jetzt gerade aus!«
»Was ist das denn? Kai, hast du hier schon mal Kraken gesehen? Ich sehe riesige Fangarme aus den Tiefen steigen! Krake oder nicht Krake auf jeden Fall unheimlich ist es hier. Ich komme zum Steuerstand und helfe dir das Schiff auf Kurs zu halten!«
Der Kreiselkompass bewegte sich Schlag auf Schlag nach links, dann nach rechts, drehte sich mehrmals um die eigene Achse. Die Seemänner hielten das Steuerrad krampfhaft fest und ahnten nicht, dass sie soeben über die entmagnetisierte Wasserwelt fuhren.
Plötzlich, vor ihren Augen, öffneten sich die Nebelwände. Eine seltsame und schwer erkennbare Gestalt war in der Ferne zu sehen. Auch das grelle Licht über den Klippen auf Föhr war wieder erkennbar. Plötzlich schoss es wie ein riesiger Peitschenhieb von diesem Licht auf Kais Kutter zu. Es krallte sich die Bugseite und …. zog das Schiff mit einem kräftigen Ruck aus der Schreckenszone!
Mit einem phänomenalen Schlag war das Fischerboot von einem Moment auf den anderen in die sichere Zone der Hafenmole gelandet. Die beiden Freunde blickten sich im sprachlosen Schreckstaunen benommen an. Was war das denn für ein Erlebnis gewesen!? Hauke stammelte total beeindruckt:
»Mann oh Mann, da biste doch sowas von platt! Das soll einer begreifen! Das Ding von einem taudicken Lichtstrahl hat den Kutter gekrallt! Das hätte uns umbringen können, aber es hat uns gerettet und uns in den sicheren Hafen gezogen! «
»Ja, das war irre, was da gerade passiert ist, wie in einem Zukunftsfilm! Und wie sagtest du! Taudickeslicht? Deine Wortschöpfung …, super Ausdruck. Ein Horrorblitz würde ich sagen, hat uns gerettet! «
Die beiden Fischer fühlten sich erleichtert, wohlbehalten im Hafen gelandet zu sein und dass weder das Schiff noch sie einen Schaden davon getragen hatten. Doch schon folgte das nächste gruselige Ereignis. Plötzlich ein schleifendes Gedröhne, das klang, wie wenn einer eine schwere, lange Eisenkette hinter sich herzog. Es war das Totenlied des Kettenmantelträgers, und der eilte zur Schiffsanlegestelle. Je näher der Geheimnisvolle zu den Schiffsanlegenden kam, umso irrsinniger war das schleifende Geräusch an ihm. Der rostig, eisenbeschlagener Mantelsaum übertönte selbst die Laute des Nordseewindes, der immer noch über die Insel fegte. Der Gesichtslose, versteckt unter der dunklen Kapuze, hatte ein modriges Gewand an, als ob er erst vor kurzem aus der Gruft gestiegen wäre, näherte sich ihrem Schiff. An seiner Silhouette konnte man nur die Gestalt »Mensch« erahnen. Der Geheimnisvolle streckte die Hand aus, als ob er was greifen wollte, und murmelte in einer seltsamen Sprache.
Er hob seine, vom ersten Augenschein betrachtet, Knochenhand in die Höhe und winkte den Seemänner zu, zurück aufs Meer sollten sie fahren. Dann verschwand er, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Nur ein kümmerlicher Rest einer stinkenden Nebelschwade hinterließ der komisch Aussehende.
Kopfschüttelnd sahen sich Kai und Hauke über diesen seltsam Bekleidenden an, worauf Kai sagen musste: »Hauke! Hast du sein Gesicht gesehen? Ich habe auf alle Fälle unter seiner Kapuze keines gesehen. Sonderbaren Mantel hatte er an, Mantelfalten aus Kettengliedern, schwarz wie die Nacht. Skelettierte Hände, als wären sie tausend Jahre alt…!«
Nach angespannter Überlegung, wie der wohl aussieht, und was der ihnen wohl signalisieren wollte, dachte Kai, dass er wahrscheinlich er das Tau meinte und es anbinden wollte und schrie ihm hinterher.
»He Alter Seebär, kann ich dir das Tau zuwerfen? Kannst du nochmals zurückkommen? Wir hatten eine turbulente Überfahrt! «
»Was war denn das für einer, sowas unfreundliches. Dreht sich nicht einmal um und verschwindet. Haste da noch Töne. Ich werde mich mal selber bewegen, einen Riesenschritt auf festen Untergrund spurten und Kai, schmeiß mir die Leine zu…!«, sagte Hauke und band anschließend eigenhändig das nassarmdicke Tau an den Holzpflock an. Sowas konnte man nicht so schnell vergessen. Es beschäftigte Hauke zutiefst und er hob hervor: »Weil du vorhin erwähntest, ob ich seine Visage gesehen habe, nur gähnende Leere unter seiner Kapuze. Zumindest habe ich keine Bewegung des Kopfes gesehen, nur ein schwarzes Loch. Kai! Genauso stelle ich mir den Tod vor! Womöglich war das der Tod? Was meinst du…?«, übermannte ihn ein schauriges Gefühl. Nervig, obendrein derart körperlich fassungslos stammelte Hauke weiter, »Ich, ffff…fass es niii … icht. Wo sind wir hingeraten? Solche Gestalten gibt es in diversen Filmen, und wenn ich den nochmals sehe, dann...? Der kriegt uns niemals zu fassen. Mit der Insel stimmt was nicht! «
»Hexe oder Hexenmeister? Die Angst sitzt uns im Nacken. Auf jeden Fall ging die Überfahrt mit Hexenkräften zu. Die schwarze Kutsche wird das Gefährt des Geheimnisvollen sein. Wie das Gespann schon aussieht, wie die Vampirkutsche von Dracula! Überall hängen schwarze Zotteln vom Dach herunter. Und die Autos, die sonst auf die Fähre warten, wo sind sie? So leer habe ich den Platz selten gesehen?«, drückte Hauke seine Befürchtungen aus. »Es soll tatsächlich Hexenkräfte geben, das habe ich in einem Buch gelesen, auch im Jahr 2000, so auch uns es passierte. Das Peitschenlicht, Hexenlicht, hat uns sozusagen den Arsch vor den Untiefen gerettet. Die Menschen in der Jahrhundertwende, so um 1700 erlebten hexistische Dinge, die man heute lieber nicht mehr aussprechen möchte, dann war das noch harmlos. Schau doch mal die wenigen Menschen an, wie leichtfüßig sie laufen, als haben sie fasst keinen Bodenkontakt, womöglich sind sie verhext worden. Der Geheimnisvolle ohne Gesicht schwebte leicht über dem Boden, nur sein Kettenmantel sah cool aus. Du, ich kann dir das Hexenbuch ausleihen? Vielleicht steht was über den Kettenmantel des Gesichtslosen drin!«, worauf Kai sein schelmisches Lachen kaum verbergen konnte, »sofern wir dieses Unternehmen heil überstanden haben, musst mich nur dran erinnern, kommen wir auf das Buch zurück. Wenn ich mich erinnere, hat Bea auch so ein düsteres Buch, nicht so ein spannendes wie meines, aber……, wenn man ihr Hexenbuch berührt, vibrieren sogar die Hände…!«
»Hahaha…, seit wann hast du Zeit, Bücher zu lesen? Doch nicht beim Fischen? Komm, wir machen uns schleunigst auf den Weg zu der Frau, die Du erwähnt hast. Wenn wir uns beeilen, können wir wieder vor Anbruch der Nacht nach Hause schippern! « erwiderte sein Freund.
In einer beengten Seitengasse der Altstadt roch es angenehm nach Geräuchertem und Gekochtem. Gasthäuser stellten Menü-Dreieckständer auf die Gassen aus, um für ihre Speisen zu werben. Und es war gemein per Küchendüfte von den Häuser. Haukes Magensäfte arbeiteten. Kai, zu Scherzen aufgelegt, weil er an seinem Freund Töne bemerkte, musste nachfragen: »Mein Freund! Läuft neben dir zufällig ein Straßenhund mit? Neben dir knurrt es.«
»Quatsch, `nen Straßenköter. Mein Magen knurrt und sollte mit Essbarem gefüllt werden!«, erwiderte Hauke, dworauf er die Bauchgrube kreisend massieren musste.
Kai hielt sich ebenfalls die Hand am Bauch, darauf er meinte: »Sodann, mein Freund, wird es Zeit, dass wir was zum Futtern auftreiben. Schau dort drüben, das blaue Haus. Ist das nicht Störtepeters Anwesen…? Der hat die besten zubereiteten Fischsorten und so wie ich noch weiß ein Matjesstand, da gibt es sicher was zu mampfen! «
Beide steuerten das blaue Haus an und stärkten ihr Wohlbefinden. Was den Seeleuten auffiel, die Hafenbewohner bewegten sich leichtfüßig mit solch einer Ruhe, wie wenn sie im Trance wären. Entweder hatten die Bewohner keinerlei Kenntnisse über das Geschehene auf der Insel, oder es war ihnen egal, was hier geschah. Hier musste der Zeitzeiger des Lebens stillstehen. Sogar beim legendären Fischmarkt -Zum Anleger- war nichts los. Die wenigen Fischhändler versuchten unkompliziert, ihren Fischfang unter die Leichtfüßigen zu bringen. Von manchen Marktbuden »null nix wichtiges«? hörte man hin und wieder dürftige Marktanbieterschreie.
Plötzlich musste Kai aufschreien: »Hauke! Pass auf! « Rechtzeitig konnte er seinen Gefährten an der Jacke greifen und ihn beiseite ziehen, als ein Fass Rum aus einer Seitengasse beim Entladen in ihre Gehrichtung gekugelt kam, an einer Hauswand anschlug und auseinander brach. An die Hauswände gedrückt konnten sie gerade noch rechtzeitig ausweichen.
Kai hatte sofort den richtigen Spruch auf den Lippen: »Mh…. köstliches Rumfass, das erinnert mich an Seeräubergeschichten! Schade, dass es zu Bruch gegangen ist.«, indem er die Unterlippe mit der Zungenspitze demonstrativ anfeuchten musste, auch Hauke.
»Kai, wenn nochmal so eines anrollen sollte, meinst du, dieses Fass könnte notfalls verloren gehen, so ganz locker vom Hocker!«
Sein Freund Hauke war unter anderem absolut angetan, so ein wohlschmeckendes Rumfässle jetzt sofort zu bemächtigen, sobald wieder eines anrollen würde.
»Das könnte ich mir gut vorstellen, dass du eines stibitzen möchtest. Aber wie kriegst du das in deinen Rucksack? Ich befürchte, es wird ein klein wenig zu groß sein «, sagte Kai und hatte die bestem Gründe, ihn davon abzubringen.
Sie mussten sich sputen, die Gasse, die aus gepflasterten Rundkuppel-Kopfsteine bestand, bestimmt noch aus dem Mittelalter, war nichts als Stolperfallen. Sie bogen in eine der als alt angesehen Gassen der Stadt Wyk, um mit einer Abkürzung aus der Stadt zu kommen. Hauke kannte die Kapitängasse. Blaue Friesenbänke schmückten die attraktiven Häuser mit ihren zueinander gebauten schmucken Giebeldächern, die gegenüber parallel zueinanderstanden, und teilten sich den Gassenmittelpunkt und fragte seinen Freund: »Du weißt, wo wir hier sind? In der Gasse, wo die ehemaligen Kapitäne der Meere wohnten samt ihren Familien. Mein Ur-Ur Großvater wohnte auch hier. Und wenn ich mich dran erinnere, muss es das Haus hier noch geben, wo er gewohnt hatte. Kleine Häuser gibt es hier und die Menschen waren auch nicht sonderlich groß. Man könnte meinen sie hatten ihre Häuser nach den Körpergrößen gebaut.«
Unverhofft kamen aus einer benachbarten Seitengasse unüberhörbare Hufenschläge auf hartem Steinpflaster.
»Schnell! Wir müssen uns in Sicherheit bringen!«, schrie Kai. Kaum hatte er es ausgesprochen, kamen schon hörbare Peitschenhiebe »Knallschall«, auf Pferderücken zu ihnen näher und näher getrappt. Immer noch reichlich beengt war die Gasse, und um ausweichen zu können, mussten sie sich gegen die Hauswand drücken. Mit klapperndem Getöse fuhr die schwarze Kutsche, gezogen von schwarzen, galoppierenden Rössern, Haarscharf an ihnen vorbei.
»Geht`s noch flotter! .. Spinner! Geht’s noch schneller!«, rief Kai laut dem Kutscher hinterdrein.
Das galoppierende Scheppern der eisenbeschlagenen Räder hallte zwischen den Häusern. Dazu lag noch obendrein der eigenartige Geruch von modrigem Schwefel in der Luft. Hauke hielt die Nase zu und Kai zeigte dem irren Kutschergespann den langen Mittelfinger.
Zu Hauke unter Schock stehend: » Mich tritt ein Pferd. Die Toten-Kutsche hätte uns sogar mit Absicht überfahren wollen. Ich stelle fest, dass das keine gute Idee war, die engste Gasse zu benützen. Der irre Kutscher wollte uns tatsächlich beiseiteschaffen. Und wie es hinter dem Gespann riecht!«
Geschockt mit dem Rücken noch zur Hauswand angelehnt, sahen sie dem Moderriechenden Leichenwagen noch eine Weile nach, bis er am anderen Ende der Gasse in eine andere Seitenstraße abbogen war, Richtung stadtauswärts.
»Weißt du noch, der Gestank!? Diesen Modergeruch hatten wir schon einmal in der Nase.«, grübelte Kai nach. Jetzt fiel es ihm ein: »Klar, im Hafen! Der Gesichtslose, ein Dämon, der hatte genauso gestunken als er nach seinen Drohgebärden verschwunden war, äh…, sich in Luft aufgelöst hatte! «
Behäbig fiel es auch Hauke ein: »Meinst du wirklich, dass das der Typ von der Mole war? Auch die Kutsche und die Särge umher kutschiert…? Gruseliges Kutschengespann!«
»Korrekt mein Freund, das muss der vom Hafen gewesen sein. Und ich ahne was Schlimmes, das der von unserm Vorhaben Bescheid weiß, und auf Teufel komm raus, uns jetzt aufhalten will. Der wird uns noch eine Weile auf unseren Fersen haften. Uns vernichten und…! Bea muss vorgewarnt werden von dem Unhold, der sein Unwesen in der Stadt treibt. Sie ist in Gefahr so wie die Menschen hier in der Region, die er noch nicht in seinem Bann gezogen hat…!«
Die Stadt Wyk
Ein kleines Wäldchen, das sich für sie als eine Art Abkürzung anbot, war ihr Weg.
Nach einer Weile fühlte Kai sich verpflichtet, Hauke gegenüber einiges richtig zu stellen und begann, ihm zu berichten: »Ich muss dir dringend dies und jenes erzählen! Ich hatte dir vorher von Bea erzählt und ich bin mir sicher, dass es Bea war, die uns gerufen hatte. Sie erwartet uns! Bea ist eine Wahrsagerin und legt Karten aus, Tarot-Karten. Auch eine geistige Zauberin, davon bin ich überzeugt. Sie war es mit dem Flammenschwert. Sie muss auf den Klippen gestanden haben und hatte uns vor den Seeuntiefen gerettet.«
»Ja was, Geist oder Zauberin? Die mit dem Lichtschwert. Du meinst das Ding, das auf unser Boot gekrallt hat und… War schon krass, was da abgegangen ist. Das war deine Bekannte Bea? Krass, Alter! «
»Genau Hauke, das wollte ich dir die ganze Zeit schon sagen. Sie kann das. Sie sendet einfach ihre Geisthelfer in Bewegung und schon passieren seltsame Dinge. Sie ist eine sehr gute Bekannte zu mir und ich würde mit Bestimmtheit sagen, dass wir uns als Sandkastenkinder versprochen worden sind, Seelenverwandte und so weiter. Sie ist außerdem eine tolle Schamanin und kann Dinge, von denen wir nichts wissen.«
Schweigend und kopfschüttelnd kam vom Hauke ein »passt schooo«.
Der physische Druck der Männer wurde von Mal zu Mal größer. Allein der Gedanke, dass der mysteriöse Verfolger ihnen noch auf den Fersen war, raubte ihnen den Verstand. Mit dem ständigen Gefühl, jener Schattengestalt im Verborgenen auf Schritt und Tritt voraus zu sein, obwohl keinerlei Anzeichen von einer Gestalt zu sehen war, machte die Situation unbehaglicher.
Von Sträuchern und Birkengeästen umgeben, vermuteten die Freunde, dass zwiespältige Geschöpfe ihnen auflauerten.
Jetzt, wo sie am Ende der Waldlichtung auf freiem Feld ankamen und das Schlimmste hinter sich ließen, huschte der Geheimnisvolle aus einem Versteck hervor. Überholte sie schwebendstehend und stand demonstrativ mit all seinen Drohgebärden zehn Schritte vor den beiden. Mit vorgehaltener Hand signalisierte er ohne Worte, dass der Weg für sie hiermit endete und dass sie sämtliche Aktionen zu unterlassen haben. Der Zutritt in das Hexenreich würde mit voller strenge bestraft werden.