Das Feuer im Furlbachtal - Gisela Garnschröder - E-Book

Das Feuer im Furlbachtal E-Book

Gisela Garnschröder

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Beschreibung

Es brennt im Kreis Gütersloh. Ziel der Anschläge sind zumeist hochwertige Autos, aber auch Mülltonnen und Gartenschuppen. Es wird gezündelt, was das Zeug hält, und keiner weiß warum. Alle Geschädigten sind Kunden bei der gleichen Versicherung. An den Tatorten findet man immer wieder Emstaler – Schokotaler die zur Karnevalszeit in Schloß Holte-Stukenbrock verteilt wurden. Auch ein altes Wohnmobil könnte mit den Bränden in Zusammenhang stehen. Während Hauptkommissar Tann und seine Kollegen verzweifelt nach konkreten Hinweisen suchen, möchte ein junger Mann die ausgesetzte Belohnung kassieren. Damit bringt er sich selbst in große Gefahr.

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Das Feuer im Furlbachtal
Impressum
Vorwort
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Nachwort

Gisela Garnschröder

Das Feuer im Furlbachtal

Kommissar Tann 6

Krimi

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.deabrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-171-9

E-Book-ISBN: 978-3-96752-671-4

Copyright (2022) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter, XOXO Verlag

unter Verwendung der Bilder:

Stockfoto-Nummer: 791768581

von www.shutterstock.com

Buchsatz: Grit Richter, XOXO Verlag

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Vorwort

Die Party war in vollem Gange. Er hatte sich an der Bar postiert. Seit Jahren machte er das so. Weihnachten und Sylvester waren ihm verhasst. Das würde sich auch mit dem Jahr 2000 nicht ändern. Alle feierten, nur er stand irgendwo dazwischen. Seit Marlies ihn betrogen hatte, war er solo und er würde es bleiben. Dessen war er sicher. Niemals würde es eine Frau schaffen, ihn erneut so zu demütigen. Plötzlich kam eine junge Frau auf ihn zu und schmiegte sich an ihn. »Es ist gleich zwölf. Komm wir gehen vor die Tür!«

Sie winkte dem Barkeeper, schnappte sich zwei Sektgläser und drückte ihm eines in die Hand. Er ging mit. So konnte er gleich nach dem großen Feuerwerk nach Hause fahren. Draußen war schon allerhand los. Überall waren Flaschen aufgestellt, in denen Feuerwerkskörper standen. Übereifrige Partybesucher waren schon dabei, die ersten Lunten zu zünden. Es war kalt und windig und seine Begleiterin drängte sich zitternd an ihn. »Huch ist das kalt!«, schnatterte sie. »Lass uns trinken.« Sie hob ihr Glas dem seinen entgegen.

Im selben Moment zischte eine Rakete an ihnen vorbei und ihr Kleid fing Feuer. Instinktiv goss er seinen Sekt darüber, warf das Glas weg und klopfte mit den Händen an ihrem Kleid herum. Schnell verschwanden sie wieder im Haus.

»Mist!«, fluchte sie und Tränen standen in ihren Augen. »Das Kleid hab ich mir geliehen!« Ein handtellergroßes rundes Brandloch hatte sich in den Stoff gefressen. Er zuckte die Schultern und schaute an sich hinunter. Auch sein Anzug hatte kleine schwarzumrandete Löcher abbekommen, wie gesäte Stecknadelköpfe. Seine Begleiterin war im Waschraum verschwunden und er ging zum Ausgang. Die klare Luft war eisig, aber das Schauspiel einmalig.

Unter dem Läuten der Glocken und dem Krachen etlicher Feuerwerkskörper ging er langsam nach Hause. Er hätte sich eine Taxe rufen können, aber er liebte den Gang durch die Kälte. Ein halbstündiger Fußweg konnte nach dem genossenen Alkohol nur guttun. Etwas irritiert vom plötzlichen Wechsel der Geräusche, sah er einem Feuerwehrauto nach, welches rasend schnell in seine Straße einbog.

Am Himmel zeichnete sich der rötliche Schein eines brennenden Daches ab. In einer plötzlichen Panik lief er, so schnell er konnte und stand wenige Minuten später vor seinem Haus, wo die Feuerwehr eilig Schläuche anschloss. Der Dachstuhl stand in hellen Flammen.

1

Fridolin Fellsener hatte seinen Wagen etwas entfernt vom Altenzentrum Wiepeldoorn abgestellt. Seit zwei Stunden war er auf Besuch bei seiner Mutter, die vorübergehend dort betreut wurde.

Frau Fellsener war vor fünf Monaten auf der Haustürschwelle ausgerutscht und hatte sich das Schienbein gebrochen. Einige Wochen war sie im Krankenhaus gewesen und hatte anschließend für drei Wochen an einer Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen. Danach war sie vorübergehend in Wiepeldoorn untergebracht worden, da Fridolin Fellsener und seine Frau wegen ihrer Berufstätigkeit die Pflege nicht selbst bewältigen konnten. Mittlerweile war die alte Dame soweit genesen, dass sie mit einem Rollator recht gut einen Spaziergang über das Gelände machen konnte und sich durchaus zutraute, in ihrer kleinen Wohnung allein zurechtzukommen. Fridolin Fellsener hatte eine Betreuung organisiert, das Bad behindertengerecht umgebaut und die gefährlichen Treppenstufen an der Haustür mit einem festen Holm versehen.

»Svenja und Lisa freuen sich schon auf dich!«, sagte Fellsener zu seiner Mutter. »Sie sind ganz begeistert, dass sie nun nach der Schule endlich nicht mehr allein sein müssen!«

»Und ich freu mich auf die Kinder!« Die alte Dame strahlte. Zwar hatten ihre Enkel sie regelmäßig besucht, aber der direkte tägliche Kontakt fehlte ihr. »Ich nehme von deinen Sachen schon einiges mit, dann haben wir übermorgen nicht soviel zu schleppen!«, sagte Fellsener. »Das ist eine gute Idee!«, gab Antonia ihrem Sohn recht und steuerte ihren Rollator auf ihr Zimmer zu. »Morgen werde ich mich noch verabschieden. Alle waren hier sehr nett zu mir.« Sie trat an den Schrank, holte mehrere Kleidungsstücke heraus und warf sie aufs Bett. »Den dicken Mantel brauche ich auch nicht mehr, dazu ist es viel zu warm«, sagte sie, und legte ihn zu den anderen Sachen.

Während Fellsener alles in den mitgebrachten Koffer packte, erklang draußen die Sirene der Feuerwehr.

»Es brennt schon wieder!«, seufzte die alte Dame.

»Wieso?«, fragte Fellsener.

»Letzte Woche hat direkt vor der St. Achatius Kirche ein Auto gebrannt!«, erklärte seine Mutter. »In der Zeitung hat gestanden, dass es Brandstiftung war!«

Fellsener sah von dem Koffer, den er packte, kurz auf, und schüttelte missbilligend den Kopf. »Schon schlimm«, sagte er, mit den Gedanken bereits bei einem wichtigen Termin. »Nun ist es wieder still. Wahrscheinlich hatte die Feuerwehr nur eine Übung, Mutter!« Er nahm den Koffer, hängte sich den warmen Mantel seiner Mutter über den Arm und verabschiedete sich.

Zwei Tage darauf stand Antonia Fellsener schon reisefertig mit ihrem Rollator vor der Tür des Altenzentrums und wartete. Da alle Parkplätze besetzt waren, stellte Fellsener seinen Wagen etwas entfernt am Ende der Sackgasse neben einem Gebüsch ab. Die alte Dame machte sich gleich auf den Weg und kam ihrem Sohn schon entgegen. »Bring mich erst ins Auto, dann kannst du meine letzten Sachen holen«, sagte sie. »Der Koffer steht im Zimmer.« Fellsener betrachtete leicht besorgt, wie viel Mühe es seiner Mutter machte, in den Wagen zu steigen. Das würde sich in den nächsten Wochen sicher bessern, hoffte er. Er war froh, dass die Fahrerei zum Altenzentrum endlich ein Ende hatte. Er verstaute den Rollator im Kofferraum und ging mit schnellen Schritten davon, um die restlichen Sachen zu holen. Den Koffer in der Hand ging er auf dem Rückweg am Empfang vorbei, als eine Pflegerin ihm zurief: »Herr Fellsener, wir brauchen da noch ihre Unterschrift!« Fellsener setzte den Koffer ab und ging zur Information. »Ist Ihre Mutter schon draußen?«, erkundigte sich die junge Frau hinter der Empfangstheke freundlich. »Sie wartet im Wagen«, gab Fellsener zurück und studierte die Unterlagen, die ihm vorgelegt wurden. »Da müssen Sie noch unterschreiben!«, der rotlackierte Zeigefinger stupste auf ein Kreuz am unteren Ende des Formulars und Fellsener zückte seinen Stift. »Ist das alles?« Die junge Frau lächelte. »Ja, das ist alles. Bestellen Sie Ihrer Mutter noch schöne Grüße. Wir werden sie vermissen. Sie war immer so fröhlich und gut gelaunt!« Fellsener lachte. »Sie war auch gern hier, das hat sie immer wieder betont.« Er verabschiedete sich mit einem freundlichen Gruß, griff nach dem Koffer und verließ das Gebäude.

Als er draußen war, sah er eine dunkle Wolke am Ende der Straße aufsteigen. Es roch nach Brand. Fellsener beschleunigte seine Schritte, um den Brandherd ausfindig zu machen. Er musste nicht weit gehen. Hinter der Hausecke blieb er erstarrt stehen. Sein Auto stand in hellen Flammen.

Der Koffer plumpste zu Boden. »Mutter!«, schrie Fellsener und rannte wie von Sinnen zu seinem Wagen.

***

Der Stadtpark war übervölkert. Überall auf den Rasenflächen hatten sich Sonnenhungrige breitgemacht.

Karin und Horst Thoom lagen auf einer Decke unter einer Kastanie, während ihre Kinder etwas entfernt mit einem Ball spielten. Corinna war zehn und Lukas zwölf Jahre alt. Die beiden Kinder liefen dribbelnd und lachend über die Wiese und übten Slalom durch die vielen Menschen, die es sich auf dem Rasen bequem gemacht hatten. Schon nach wenigen Minuten waren sie wieder bei den Eltern.

»Es ist so langweilig hier, Mama«, maulte Lukas und Corinna setzte hinzu: »Die Leute sind doof. Nirgends kann man richtig spielen.«

»Könnt ihr nicht etwas anderes machen? Lest ein Buch«, schlug Karin vor, und ihr Mann ergänzte: »Die Leute wollen ausruhen, da könnt ihr nicht herumtoben.« Ziemlich gefrustet trotteten die beiden davon. Karin meinte seufzend: »Schade, dass wir keinen Garten haben. Wenn nächste Woche die Ferien anfangen, wollen die Kinder jeden Tag etwas unternehmen.«

»Nun hör aber auf!«, empörte sich Horst. »Wir fahren schon in der zweiten Ferienwoche nach Italien, da gibt es genug zu sehen.«

»Du hast recht, aber in den restlichen Wochen wollen die Kinder auch etwas unternehmen.«

Eine Gruppe von Jugendlichen näherte sich dem Baum, sie breiten ihre Decken aus, drehen ihren Radiorekorder auf Lautstärke und lachten und scherzten, ohne Rücksicht auf die anderen Parkbesucher.

»Könnt ihr bitte das Radio leiser stellen«, monierte Horst Thoom. Gackerndes Gelächter erscholl.

»Hast‘ e ´n Problem, Alter?« Einer der Jugendlichen, ein großer, ausgesprochen dünner, junger Mann, mit pickligem Kindergesicht baute sich vor den Thooms auf und grinste frech.

Karin zog die Augenbraue hoch und wollte etwas erwidern, aber Horst winkte ab. Er hat die Nase voll. Er rief die Kinder, packte und machte sich auf den Heimweg. Den Kindern versprach er einen Besuch im Eiscafé am Abend.

Die Wohnung der Thooms lag mitten in Hannover in der Einkaufszone im Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Sie war geräumig und komfortabel. Mit zwei Kinderzimmern, Elternzimmer, Büro und Wohnraum hatte die Familie Platz genug, nur der Garten fehlte manchmal.

So empfand es zumindest Karin, die auf einem Bauernhof aufgewachsen war. Kauf oder Bau eines Hauses wären mit Umzug verbunden gewesen und keiner der vier Familienmitglieder mochte auf die kurzen Wege innerhalb der Stadt verzichten. Ein Auto benutzten die Thooms nur, um ins Grüne zu fahren. Die Schulen waren alle in der Nähe. Da die Eltern beide als Lehrkräfte tätig waren, waren auch die Ferien immer Familiensache.

Der Sommer war heiß und lang. Als Familie Thoom braun gebrannt aus ihrem Italienurlaub zurückkam, lagen noch drei Wochen gemeinsamer Freizeit vor ihnen.

Der Urlaub hatte ein beträchtliches Loch in die Familienkasse gerissen und Horst Thoom dachte mit Schrecken an die Schwimmbadbesuche, Eiscafés und Stadtbummel, die arg ins Geld gehen würden. In der Wohnung war es drückend heiß. Trotz Dauerlüftung in der Nacht war kaum Besserung in Sicht.

Bei dieser Hitze war es Horst ein Gräuel in den guten Anzug zu schlüpfen, um zum siebzigsten Geburtstag von Karins Tante zu erscheinen. Marianne Wöhlers wohnte am Stadtrand in einer Seniorenwohnung. Sie hatte in ein nettes, kleines Lokal in der Nähe eingeladen. Die Begrüßung der Gäste übernahm die agile Tante selbst. In ihrem graublauen Kostüm bewegte sie sich mühelos und elegant zwischen den vielen Gratulanten.

Corinna und Lukas hatten sich, den Protest ihres Vaters ignorierend, einen Ball mitgebracht und spielten ausgelassen auf dem Rasen. Tante Marianne störte es offensichtlich nicht und sie meinte lächelnd:

»Was ihr braucht, ist ein Haus mit Garten. So mitten in der Stadt das ist doch nichts für Kinder.«

Horst protestierte. »Wir haben eine tolle Wohnung, Marianne. Die Kinder können im Park und auf dem Schulhof spielen.«

»Ein Garten ist etwas ganz anderes«, beharrte Marianne. »Ich habe eine Idee.« Die Kinder hatten die Worte der Tante gehört und stürmten neugierig herbei.

»Was ist das für eine Idee, Tante Marianne?«, rief Corinna, was ihr ein ärgerliches Kopfschütteln ihres Vaters einbrachte.

»Ihr könntet bis zum Schulanfang in meinem Schrebergarten wohnen.«

»Ein Schrebergarten ist doch viel zu klein für vier Personen«, protestierte Horst. Karin aber kannte das Häuschen der Tante.

»Tante Mariannes Häuschen ist groß. Da passen wir alle rein, es ist fast ein richtiges Haus, mit Dusche und Toilette. Ich war früher in den Ferien oft dort.«

»Aber das können wir doch gar nicht annehmen«, wandte Horst ein. Sein Missfallen war ihm deutlich anzusehen. Lukas und Corinna aber jubelten und ihrem Vater blieb nur die Zustimmung.

»Ich will das Häuschen verkaufen«, erklärte Marianne. »Es steht seit einem Jahr leer.« Schon holte sie ihre Handtasche und entnahm ihrem Schlüsselbund zwei Schlüssel. Sie reichte Karin die Schlüssel und sagte: »Der dritte Schlüssel hängt außen neben der Tür hinter einem Blumentopf. Ihr könnt noch heute hinfahren.«

»Ja, bitte Papa, lass uns sofort fahren.«

Horst Thoom seufzte. »Wo liegt der Garten denn, Marianne?«

Die alte Dame lächelte. »Dort wo ich früher gewohnt habe. In Rheda-Wiedenbrück.« Sie ignorierte Horsts verärgertes Gesicht und erstickte seinen unausgesprochenen Protest mit einer unwirschen Handbewegung. »Soweit ist es nun auch nicht. Über die Autobahn seid ihr ruckzuck da.«

Karin steckte die Schlüssel ein und lächelte. »Ich kenn den Weg. Aber heute feiern wir erst einmal richtig Geburtstag und Morgen packen wir!«

***

Die Feuerwehr hatte den Brand gelöscht. Für Antonia Fellsener kam jedoch alle Hilfe zu spät. Die Polizei hatte den Platz um das ausgebrannte Auto abgesperrt. Etwas entfernt standen Anwohner und diskutierten heftig über das Geschehen. Fridolin Fellsener war völlig durcheinander. Er hatte noch versucht, seine Mutter aus dem Wagen zu befreien. In dem Moment, als er die Beifahrertür aufriss, war der Tank explodiert und Fellsener wurde regelrecht auf die Straße geschleudert. Anwohner schleppten ihn aus der Gefahrenzone. Er hatte Verbrennungen an den Händen und am Rücken. Ein brennendes Metallteil hatte ihn getroffen und sein Jackett sofort in Brand gesetzt. Nun saß er völlig apathisch auf einer Liege im Rettungswagen und wurde von einem Notarzt behandelt. Rund um sein Fahrzeug suchten Leute der Spurensicherung nach Hinweisen. Die stark verkohlte Leiche seiner Mutter hatten die Feuerwehrleute aus dem Wagen geborgen. Sie lag unter einer Schutzdecke neben dem Wagen auf der Straße.

Ein großer schlanker Mann kam zum Krankenwagen und zeigte Fellsener seinen Ausweis. »Guten Tag, Kripo Gütersloh. Ich bin Hauptkommissar Tann. Ich hätte Ihnen gern ein paar Fragen gestellt.«

Fridolin Fellsener nickte er geben. »Muss das jetzt sein?«, monierte der Notarzt. »Der Mann steht noch unter Schock, Herr Kommissar!«

Fellsener hob die mittlerweile verbundene Rechte leicht an. »Lassen Sie nur Herr Doktor, ich bin schon wieder ganz okay«, sagte er müde.

Tann beschränkte sich auf das Notwendigste, nahm die Personalien auf und erkundigte sich zum Schluss: »Waren Sie häufig mit Ihrem Wagen hier?« »Zweimal die Woche. Wenn ich keine Zeit hatte, ist meine Frau gefahren.« »Immer mit dem gleichen Wagen?«

»Nein, meine Frau hat einen VW.« »Haben Sie einen Verdacht, wer Ihren Wagen angesteckt haben könnte?« Fellsener schüttelte schwerfällig den Kopf. Im selben Moment erklang ein schriller Schrei. Eine Dame um die Vierzig, in elegantem, zartgrünem Kostüm stürzte zum Krankenwagen. »Frido, um Gottes willen!«

Geschockt blieb die Frau vor dem Krankenwagen stehen. »Ihrem Mann geht es den Umständen entsprechend gut!«, sagte der Arzt freundlich. Er reichte Sylvia Fellsener die Hand und half ihr in den Wagen. »Was ist mit Mutter, ist sie noch im Heim?«, fragte sie arglos.

Fellsener gab keine Antwort. Abrupt verstummte sie, als sie den verstörten Ausdruck in den Augen ihres Mannes sah.

»Nein«, flüsterte sie und sank auf die Stufen des Krankenwagens.

»Wir konnten nichts mehr für sie tun«, sagte der Arzt leise.

Der Kommissar verschob alle weiteren Fragen auf später und überließ das Ehepaar der Fürsorge des Arztes.

Langsam ging er zu dem verkohlten Autowrack hinüber. Albert Wenz, einer der Kollegen der Spurensicherung, kam auf ihn zu. »Schau mal, was wir gefunden haben!«, sagte er und zeigte ihm eine Plastiktüte mit einem zerdrückten Schokoladentaler in geprägtem Goldpapier. Er hatte die Aufschrift: »SHS – Emstaler – Emsfest am 29.09.2013« Tann besah sich das Fundstück genau.

»Wo habt ihr das gefunden?« In dem Gebüsch auf der Fahrerseite des Wagens«, erklärte Albert Wenz. »Der Brandsachverständige ist sicher, dass der Brand an der Stelle gelegt wurde. Wahrscheinlich wurden beide Reifen mit Spiritus übergossen und entzündet.«

»Während die alte Dame drinnen saß?«

»Genau«, bestätigte Wenz. »Entweder hat sie es nicht bemerkt, oder es gelang ihr nicht mehr, auszusteigen.«

»Schon möglich«, antwortete Tann. »Die Pflegerin im Altenzentrum gab an, dass die alte Dame noch einige Wochen gebraucht hätte, um wieder sicher gehen zu können.«

»Im Gebüsch direkt neben dem Fahrzeug sind Zweige abgeknickt. Der Brandstifter muss sich von dort unbemerkt angeschlichen haben, nachdem die Frau schon im Auto war«, ergänzte Wenz nun seinen Vortrag von vorher. »Vielleicht finden wir diesmal verwertbare Spuren.«

»Ja, vielleicht!«, gab Tann zur Antwort. Ihm fiel der Emstaler wieder ein und er erkundigte sich: »Glaubst du, dass der Brandstifter den Schokotaler verloren hat?« Wenz zuckte mit den Schultern. »Möglich. Wir werden das überprüfen!« Tann sah für einen kurzen Moment zu einem Fahrzeug hinüber, welches gerade neben der abgedeckten Leiche von Frau Fellsener hielt. Zwei Männer stiegen aus und holten einen Metallsarg aus dem Wagen.

Hauptkommissar Tann drehte dem Geschehen den Rücken und wendete sich wieder seinem Kollegen zu. »Diese Emstaler sind, soviel mir bekannt ist, beim Kinderkarneval im Februar in Mengen verteilt worden«, sagte er. »Das ist Monate her. Könnte es nicht sein, dass das Teil damals ins Gebüsch geworfen wurde?«

Wenz verneinte. »Dann wäre das Goldpapier abgenutzt. Dieser Taler sieht aus wie neu. Außerdem haben die Feuerwehrleute in der letzten Woche bei dem Autobrand an der St.-Achatius-Kirche ebenfalls einen solchen Taler gefunden.« Er hielt Tann noch einmal die Tüte hin, damit dieser sich ein besseres Bild machen konnte. »Du glaubst also, dass jemand den Taler als Erkennungsmerkmal benutzt.« Albert Wenz nickte. »So in etwa«, sagte er. »Mein Brand, mein Emstaler!« »Gibt es die Dinger noch irgendwo zu kaufen?«, wollte Tann wissen. »Keine Ahnung! Frag doch mal beim Stadtmarketing an!«, gab ihm Wenz einen Rat. »Wird auf jeden Fall gemacht!«, gab Tann zurück. Als sein Blick wieder auf den verkohlten Jaguar fiel, fuhr der Wagen mit der Leiche von Antonia Fellsener gerade davon.

***

Corinna und Lukas Thoom konnten in der Nacht vor Aufregung kaum schlafen. Endlich einmal etwas anderes als die langweiligen Fahrten zu Ausstellungen und Museumsbesuchen. Auch all die anderen lehrreichen Dinge, die ihrem Vater immer einfielen, waren nicht nach ihrem Geschmack. Ein Schrebergarten, das war Abenteuer pur!

Keine Sekunde wollten sie davon versäumen! Als die Eltern aufgestanden waren, hatten die beiden schon gepackt. Horst Thoom, der sich vorgenommen hatte, die ganze Sache noch ein paar Tage zu verschieben, schickte sich in das Unvermeidliche. Gegen Mittag setzte sich der vollbepackte, silberfarbene Kombi mit den aufgeregten Kindern im Fond in Bewegung.

Horst Thoom war etwa eine Stunde Richtung Westen gefahren, als Lukas plötzlich rief: »Abfahrt Rheda-Wiedenbrück! Du musst runter von der Autobahn, Papa.«

Horst Thoom lachte. »Ich habe gedacht ihr seid eingeschlafen da hinten!« Er ordnete sich rechts ein und schon wenige Minuten später fuhren sie von der Autobahn herunter in die kleine Stadt hinein.

»Schloss Rheda!«, buchstabierte Corinna die Aufschrift eines Hinweisschildes. »Gibt es hier ein richtiges Schloss, Mutti?«

»Ja, es ist ein Wasserschloss.«

»Toll! Kann man es besichtigen?«

»Ja, natürlich. Sonst wäre ich gar nicht hier hergefahren!«, erklärte Horst Thoom.

»Ha, Papa, du wolltest doch gar nicht hier hin.« Die Kinder lachten, Karin Thoom stimmte fröhlich mit ein und sagte zu ihrem Mann: »Hier musst du rechts einbiegen. Am Parkplatz entlang.«

»Die Straße ist hier zu Ende. Bist du sicher, dass wir richtig sind?«

»Natürlich. Fahr noch ein Stückchen weiter an der Ems entlang, dann siehst du den Schrebergarten.«

Langsam schob sich der Wagen den schmalen Weg entlang, der an der einen Seite von der Ems und an der anderen von einer hohen Hecke aus Lebensbäumen begrenzt wurde. Endlich wich die grüne Hecke ein Stück zurück und machte Platz für einige, schmale Parkplätze. Horst Thoom stellte den Motor ab und sprang aus dem Wagen.

»Wunderschön kühl hier unter den Bäumen«, sagte er und wanderte ein Stück den Weg hinauf, während die Kinder aufgeregt aus dem Wagen hüpften und zielstrebig auf das große Schild am Eingang der Gartenanlage zusteuerten.

Karin Thoom stieg aus, reckte sich genüsslich, öffnete den Kofferraum und rief: »Alle herkommen, jeder trägt seine Sachen selbst.«

Die Kinder schnappten sich folgsam ihre vollgestopften Reisetaschen, gingen durch den Eingang und sahen sich ratlos um.

»Wohin, Mutti?«

»Gleich links den Weg bis zum Ende nehmen. Das Haus in der letzten Reihe direkt an der Hecke gehört Tante Marianne.« Noch während sie sprach, folgte sie den Kindern und ihr Mann kam hinzu, packte den Rest des Gepäcks und verschloss den Wagen.

Die Kinder waren schon vorausgelaufen und standen nun etwas außer Atem vor dem Grundstück, dessen Gartenpforte fest verschlossen war. Karin kam heran, steckte den Schlüssel ins Schloss und sie konnten eintreten.

»Toll, einfach toll, Mutti!« Lukas stapfte begeistert über den gepflasterten, mit Moos und Gras überwucherten Gartenweg bis vor die Tür des kleinen Holzhauses.

»Es gibt sogar einen Schuppen,« rief Corinna, ließ ihr Gepäck fallen und rannte über den hochgeschossenen Rasen zum Schuppen und lugte durch das Fenster.

»Kommt Kinder, drinnen ist viel zu tun,« sagte Karin, stieß die Tür auf und fuhr fort: »Die Hütte war lange nicht bewohnt, wir müssen erst sauber machen, dann könnt ihr euch alles ansehen.«

Horst Thoom war seiner Familie langsam mit dem restlichen Gepäck gefolgt. Kritisch betrachtete er den ungepflegten Rasen und die verunkrauteten Beete und stellte insgeheim schon einen Plan auf, um die anfallenden Arbeiten auf alle Familienmitglieder gerecht zu verteilen.

»Das gibt Arbeit,« erklärte er schmunzelnd, als er in das Häuschen trat. Seine Frau lachte: »Ich habe es mir schlimmer vorgestellt. Die Schränke sind fast sauber und in der Spüle stehen sogar noch benutzte Tassen herum, als hätte hier bis vor wenigen Tagen jemand gewohnt.«

»Unmöglich,« antwortete Horst. »Es war abgeschlossen. »

»Der Schlüssel neben der Tür ist nicht da, vielleicht hat Marianne ihn einem Nachbarn gegeben, der hin und wieder nach dem Rechten schaut. Ich hör mich nachher mal um.«

Karin begann mit der Arbeit und hatte bald das Gespräch vergessen.

Die Kinder, sonst nur schwer zum Aufräumen zu bewegen, waren mit Eifer bei der Sache, und schon bald blitzte der Wohnraum vor Sauberkeit und die Familie saß am Küchentisch bei Nudeln und Bockwurst.

»Mutti können wir im Schuppen schlafen?« erkundigte sich Corinna, aber der Vater schüttelte den Kopf.

»Oben ist Platz genug für vier Personen, die Betten sind schon gemacht.« Karin horchte auf.

»Ich war doch gar nicht oben, hast du das gemacht?« Horst schüttelte den Kopf und alle Familienmitglieder stürmten nacheinander die schmale Treppe hinauf. Der Boden war mit vier Matratzen ausgelegt und auf jeder lag eine Decke.

»Sieht aus, als wohnt hier jemand,« sprach Lukas aus, was alle dachten.

»Sind wir wirklich im richtigen Haus, Karin?« zweifelte Horst Thoom. Karin wehrte empört ab: »Natürlich, die Schlüssel passen doch!«

Sie hob die Decken an und schüttelte den Kopf.

»Sieht wirklich aus, als habe jemand hier geschlafen. Gleich nach dem Essen werde ich mich erkundigen.« Mit einem Blick zu den Kindern fuhr sie fort: »Ihr räumt die Küche auf.«

Horst Thoom wollte wissen, was da lief und begleitete seine Frau zum Vereinsbüro.

Der Vorsitzende war nicht da, aber seine Vertreterin Josefa Lang konnte den Vorfall aufklären. »Vor einigen Wochen waren junge Leute da. Sie suchten für Betreuer eines auswärtigen Fußballvereins eine Unterkunft«, erklärte sie. »Nachdem Ihre Tante telefonisch ihre Zustimmung gab, haben wir vier jungen Leuten für das Wochenende das Häuschen überlassen.«

»Haben die jungen Leute den Schlüssel nicht wieder abgegeben?«, erkundigte sich Karin. »Uns fehlt einer!« Frau Lang schaute in ihrem Schreibtisch nach und wurde fündig. »Der Schlüssel war bei den Unterlagen Ihrer Tante.« Sie wollte Karin den Schlüssel übergeben. »Lassen Sie ihn bitte bei den Unterlagen. Tante Marianne wird das Häuschen wahrscheinlich verkaufen. Da ist er bei Ihnen besser aufgehoben.«

»Schade, dass Marianne in Hannover bleiben will«, sagte Frau Lang. »Aber das Häuschen abzugeben, wird kein Problem sein. Wir haben immer wieder Anfragen, die wir ablehnen müssen, weil nichts frei ist.« »Interessant«, gab Karin zurück. »Ist der Kleingarten denn auch bei jungen Leuten noch in?«

»Na und ob!« Frau Lang lachte. »Wir prüfen allerdings sehr sorgfältig, wer in unsere Gemeinschaft passt!«

»Das ist durchaus verständlich«, antwortete Horst Thoom.

»Übernehmen Sie das Häuschen doch!«, bot Josefa lang an.

Horst Thoom lehnte freundlich ab. »Um das Grundstück regelmäßig zu pflegen, ist es einfach zu weit weg. Schließlich wohnen wir auch in Hannover.«

Die Kinder waren gerade mit dem Aufräumen fertig, als die Eltern zurückkamen.

»Alles in Ordnung, wir können weiter machen.«

»Au fein, dürfen wir jetzt in den Schuppen?« Karin verneinte.

»Ich beziehe schnell die Betten und dann gehen wir ins Schwimmbad! Das liegt nämlich gleich nebenan!«

Kurz vor Sonnenuntergang fand sich die Familie wieder im Schrebergarten ein. Nach diesem anstrengenden Tag gingen die Kinder schon bei Einbruch der Dunkelheit gegen zehn Uhr schlafen. Karin und Horst setzten sich auf die Bank vor der Tür, ließen den Tag mit einem Glas Wein ausklingen und genossen die laue Abendluft.

Es war fast drei Uhr morgens, als Horst Thoom von einem Geräusch erwachte. Das kleine Dachfenster war dunkel, nur von unten drang schwaches, flackerndes Licht herauf. Es dauerte einen Moment, bis er wusste, wo er sich befand. Aus dem Untergeschoss erklangen merkwürdige Geräusche. Oder war das draußen?

Unwillkürlich glitt seine Hand zur Seite über Karins Bett und seine Frau schreckte auf: »Was ist?«

Es war wieder still. »Psst!«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Draußen ist jemand!« Karin saß mit klopfendem Herzen aufrecht auf ihrem Bett.

Der Lichtschein unten flackerte nun erneut auf und plötzlich kitzelte es in ihrer Nase. »Es brennt!«, schrie sie und sprang auf. Im selben Moment hörte sie ihren Mann die Treppe hinunter poltern. »Verdammt!« Sein Fluchen schreckte die Kinder auf. Karin hatte Licht gemacht und rief aufgeregt: »Es brennt! Schnell raus hier!«

Sie lief die Treppe hinunter und traf unten auf ihren Mann. Er hatte die Tür schon in der Hand und stürmte hinaus. Der Schuppen brannte lichterloh. So schnell waren Corinna und Lukas noch nie aus den Federn gekommen. Karin hatte schon einen Eimer in der Hand und füllte Wasser hinein, während Horst mit seinem Handy die Feuerwehr alarmierte. »Lukas, der Gartenschlauch!«, schrie er. Beide Kinder stürzten zu dem Schlauch und schon spritzte das Wasser in die Flammen, während Karin mit ihrem Eimer hin und herlief. Die Sirenen der Feuerwehr erklangen Minuten später. Von überall aus den Häusern der Anlage eilten die Nachbarn mit Eimern herbei und halfen löschen. Als die Löschfahrzeuge eintrafen, war der Brand zum Glück schon eingedämmt. Eine halbe Stunde später war das Feuer vollständig gelöscht. Von dem Schuppen war allerdings nicht mehr viel zu sehen. Alle Gartengeräte waren dahin und in der Hecke prange ein riesiges Loch. Zum Glück war das Häuschen unversehrt.

***

Die Lagebesprechung im Konferenzraum fand am späten Nachmittag statt. Hauptkommissar Tann hatte die große Wandkarte mit Fähnchen bestückt. Nach und nach trafen die Kollegen ein. Norbert Pasur und Dörte Masch waren regelmäßig zum Streifendienst in Gütersloh und Rheda-Wiedenbrück unterwegs und hatten die Unterlagen von Bränden in diesem Bereich für das ganze Jahr 2013 zusammengestellt. Inge Wenzel und Bernd Freitag hatten die Brände in Schloß Holte-Stukenbrock aufgenommen und unterhielten sich leise mit Albert Wenz von der Spurensicherung. Oberkommissar Alfons Weiß und Kommissarin Vera Senft kamen als letzte in den Konferenzsaal. Tann überblickte die Runde, begrüßte die Anwesenden mit knappen Worten und kam gleich zum Wesentlichen. »Unser Feuerteufel hat wieder einmal zugeschlagen«, sagte er und zeigte auf die Karte, wo er ein Fähnchen am Wiepeldoorner Altenzentrum in Schloß Holte-Stukenbrock platziert hatte. »Zum ersten Mal haben wir jetzt eine Tote zu beklagen. Die einundsiebzig Jahre alte Antonia Fellsener war nicht in der Lage sich aus dem brennenden Auto zu befreien.«

»Also Mord!«, stellte Vera Senft fest.

»In diesem Fall ja, Vera«, stimmte Tann ihr zu. »Der Besitzer, Fridolin Fellsener, hatte seiner Mutter in den Wagen geholfen und war ins Altenzentrum zurückgegangen, um deren restliche Sachen zu holen. Nach Aussagen von Fellsener und der Altenpflegerin an der Pforte hat sich Fellsener etwa eine halbe Stunde im Altenzentrum aufgehalten, weil noch einige schriftliche Formalitäten erledigt werden mussten. Diese Zeit hat der Brandstifter genutzt.«

»Er muss Fellsener die ganze Zeit beobachtet haben«, steuerte Inge Wenzel bei. »Ich bin sogar sicher, dass der Verursacher genau wusste, dass sich die alte Dame schon im Wagen befand!«

»Davon müssen wir ausgehen«, fuhr Tann nun fort. »Nach genauer Überprüfung durch den Brandsachverständigen sind beide Reifen an der Fahrerseite und höchstwahrscheinlich auch das Dach mit Spiritus übergossen und angezündet worden. Der Brandstifter verschwand unbemerkt durch das direkt angrenzende Gebüsch. Dafür hat die Spurensicherung eindeutige Beweise.«

»Vorsätzlicher Brandstiftung einhergehend mit vorsätzlichem Mord!«, fasste Veras Senft die Ergebnisse lapidar zusammen. »Gibt es Spuren des Täters?« Josef Tann verteilte Kopien des Untersuchungsberichtes und antwortete: »Bisher nicht. Aber die Spurensicherung hat einen etwas merkwürdigen Fund gemacht.« Er wandte sich an Hauptkommissar Wenz. »Dazu kannst du etwas sagen, Albert.«

Wenz legte ein Tütchen mit dem gefundenen Emstaler auf den Tisch.

»Diesen Schokotaler habe ich im Gebüsch neben dem Wagen entdeckt. Genau die Stelle, an der jemand ganz frisch mehrere Zweige abgeknickt hat«, erklärte er. »Nach oder vor dem Brand muss jemand diesen Taler dort verloren haben.«

»Kann das nicht ein Kind gewesen sein, welches den Taler vom Karneval noch in der Hosentasche hatte?«, fragte Alfons Weiß skeptisch. »Möglicherweise«, gab Albert Wenz zu. »Allerdings war es zu Karneval ziemlich frostig. Ich glaube kaum, dass ein Kind zurzeit die warmen Sachen vom Winter trägt. Als der Brand geschah, hatten wir schon Morgens über zwanzig Grad.«

»Außerdem haben Bernd und ich bei dem Brand an der Achatiuskirche auch einen Schokotaler gefunden«, warf Inge Wenzel ein. »Ich finde, wir sollten uns ganz besonders mit den Autos beschäftigen. Es sind bisher nur teure Nobelmarken abgebrannt worden. Erst ein nagelneuer Porsche und nun ein relativ neuer Jaguar!«

»Darüber habe ich schon nachgedacht, Inge«, war Josef Tann mit der Kollegin einig. »Da sind wir schon dran.«

»Ich stelle gerade die Autobrände der letzten Monate zusammen«, meldete sich Vera Senft erneut zu Wort. »Vor drei Wochen ist in Kaunitz ein fabrikneuer Mercedes abgefackelt worden. Direkt vor einem Autohaus am Tag, bevor der neue Besitzer ihn abgeholt hat.«

»Wurde da auch ein Emstaler gefunden?«, wollte Alfons Weiß wissen.

»In den Unterlagen steht davon nichts!«, verneinte Vera Senft.

»Da hat jemand richtig Hass auf Besitzer von Nobelkarossen!«, stellte Bernd Freitag fest.

»Durchaus möglich«, antwortete Tann. »Trotzdem werden wir auch alle anderen Brände im Kreis akribisch beobachten. Unser Brandstifter schreckt nicht vor einem Mord zurück. Wir müssen den Kerl so schnell wie möglich schnappen!«

***

In der Kleingartenanlage am Wall herrschte emsige Tätigkeit. Der Vorsitzende hatte mit einigen anderen Vereinskollegen den beschädigten Zaun neben dem abgebrannten Gartenhaus innerhalb von einem Tag repariert. Während Horst und Karin Thoom eifrig dabei waren, die Reste des kleinen Schuppens und die verkohlten Gartengeräte aufzuräumen. Die Kinder halfen ohne zu murren fleißig mit.

Karin Thoom hatte am Morgen nach dem Brand gleich nach Hause gewollt, doch die Kinder waren nicht einverstanden.

»Mama, uns ist doch nichts passiert«, widersprach Lukas empört. »Bitte lass uns noch bleiben. Wir helfen auch aufräumen.«

Corinna war mit ihrem Bruder einer Meinung. »Unser Häuschen steht doch weit weg vom Zaun. Da passiert schon nix!«

Die Geschwister waren sich so einig, wie nie, und unter Seufzen stimmte Karin zu. Horst, der zuvor gar nicht begeistert von der Idee war, im Schrebergarten den Resturlaub zu verbringen, unterstützte plötzlich die Kinder. »Brennen kann es überall. Ohne den alten Schuppen ist das Grundstück viel schöner und übersichtlicher«, sagte er. »Sobald aufgeräumt ist, werden wir die Ecke neu bepflanzen.«

Seufzend willigte Karin ein. Am Abend nach dem Brand war die Brandstelle sauber aufgeräumt und der Zaun geflickt.

Das musste gefeiert werden.

Ein Grill wurde aufgestellt und die Vereinsmitglieder kamen auf dem Grundstück der Thooms zusammen. Bei Bier und Würstchen wurde heftig diskutiert. Lukas hatte schon zwei Würstchen verdrückt, als er ein Päckchen Tempotücher aus der Tasche zog, um sich die Hände abzuwischen. Dabei fiel ihm etwas Goldenes aus der Tasche.

»Hey, was ist das?«, rief Corinna überrascht, die direkt neben ihm stand. »Hab ich gefunden!«, wehrte er ab und bückte sich. Corinna war schneller. »Ein Schokotaler«, rief sie. »Kann ich den haben?«

»Nein! Den hab ich gefunden!« Schon begann die Rauferei.

Horst Thoom wurde aufmerksam. Er diskutierte gerade mit Herbert Kortmann über die Ursache des Brandes. »Moment!«, sagte er und ging mit riesigen Schritten auf seine Sprösslinge zu. Es fasste Lukas am Hemd und fragte energisch: »Was zum Donnerwetter ist los!«

»Corinna hat meinen Taler geklaut!«

Horst Thoom runzelte die Stirn. »Taler? Was für ´n Taler?«

Corinna stand mit hochrotem Kopf dabei und öffnete nun zögernd ihre Hand. »Ein Schokotaler. Wegen so einer Lächerlichkeit streitet ihr euch! Der ist doch völlig aufgeweicht. Essen kann man ihn jedenfalls nicht mehr!«

»Ich habe ihn gefunden, Papa!«, beharrte Lukas. »Er hat eine ganz tolle Aufschrift!« Mit einem Griff nahm Horst seiner Tochter den Schokotaler aus der Hand und las die Inschrift. Er konnte nichts damit anfangen und ging wieder zu Kortmann hinüber.

»Das haben die Kinder hier gefunden?« Kortmann betrachtete den goldgeprägten Schokotaler und grinste. »Diese Taler sind in Massen in Schloß Holte-Stukenbrock beim Karneval verteilt worden«, erklärte er. »Wo haben die Kinder ihn gefunden?«

Thoom winkte seinem Sohn zu. »Lukas, wo hast du den Taler gefunden?«

»Im Gras neben der abgebrannten Hecke!«, sagte Lukas. Sein Vater gab ihm den Schokotaler zurück und sagte zu Corinna, die verärgert danebenstand: »Lukas hat ihn gefunden, dann darf er ihn auch behalten. Die Emstaler bekommt man in Schloß Holte-Stukenbrock. Wenn wir zum Safaripark fahren, schauen wir nach, ob es diese Taler noch gibt. Dann bekommst du auch einen. Und der ist dann bestimmt essbar!«

Horst Thoom holte für sich und Herbert Kortmann ein Bier und nahm die abgebrochene Unterhaltung wieder auf. »Ist die Polizei schon da gewesen?«, erkundigte er sich. Kortmann nickte. »Ein Beamter und eine Beamtin waren da, als ihr gerade weg wart, um die Würstchen für heute Abend zu besorgen.« Kortmann nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Bierglas und fuhr fort: »Sie sind ein bisschen Auf und Ab gegangen und haben eine Meldung geschrieben. Das war alles.« Er setzte erneut sein Bierglas an und leerte den Rest in einem Zug. »Ach, da fällt mir noch etwas ein. Sie haben gesagt, dass beim Bericht der Feuerwehr von einer brennenden Zigarette ausgegangen wurde.« Thoom nickte. »So was Ähnliches habe ich mir auch gedacht. Der Wanderweg direkt am Zaun wird gut genutzt und geregnet hat es auch seit Wochen nicht.« Kortmann griff nach dem mittlerweile ebenfalls geleerten Glas von Horst Thoom. »Diesmal bin ich dran«, sagte er und ging Nachschub holen.

Der letzte Gedanke von Horst Thoom an das Feuer war die Vision eines Radlers, der in hohem Bogen seinen brennenden Zigarettenstummel in die Hecke warf. Danach gab er sich ganz den Feierfreuden hin.

2

Es war ein Tag, wie aus dem Bilderbuch. Ein Tag, an dem es schwerfällt, Abschied zu nehmen. Die St.-Ursula-Kirche in Schloß Holte war überfüllt von Trauergästen. Der Pfarrer hielt eine bewegende Trauerrede für die so grausam ums Leben gekommene Antonia Fellsener. Alle Verwandten und Nachbarn waren gekommen, Freunde und Bekannte der Familie, die Pflegerinnen und Pfleger des Altenzentrums Wiepeldoorn, eine Abordnung der Frauengemeinschaft und des Schützenvereins und viele andere, die der Familie ihre Verbundenheit zeigen wollten.

Antonia Fellsener war zu Lebzeiten eine resolute, aber immer gutherzige Frau gewesen. Sie hatte Kindergärten unterstützt, regelmäßige Spenden an die Suppenküche der Tafel geleistet und war immer da, wenn sie irgendwie helfen konnte. Nach der feierlichen Totenmesse begab sich der Trauerzug zum Waldfriedhof, wo die Beisetzung in der Gruft der Familie Fellsener stattfand. Antonia wurde neben ihrem fünf Jahre zuvor verstorben Gatten beigesetzt.

Als der Sarg sich langsam in die Erde senkte, verharrte die Menge in ehrfurchtsvollem Schweigen. Taschentücher wurden gezückt und hin und wieder war leises Schluchzen zu vernehmen.

»Staub bist du und zu Staub sollst du zurückkehren!«, sagte der Pfarrer, warf bei diesen Worten eine Schüppe Erde auf den Sarg und segnete das Grab.

Die beiden Enkeltöchter flankiert von Sylvia und Fridolin Fellsener hatten kleine Sträußchen mit weißen Rosen in den Händen. Schluchzend warfen sie gemeinsam mit ihrer Mutter, die ebenfalls weiße Rosen in der Hand hatte, die Sträuße auf das Grab und traten zur Seite. Fridolin Fellsener stand nun allein vor dem Grab, die Hände auf den Spaten gestützt, den noch kurz zuvor der Pfarrer benutzt hatte, und flüsterte: »Ich werde alles daran setzen, dass dein Mörder gefasst wird, Mutter.« Dann drehte er sich mit Tränen in den Augen um und folgte seiner Frau und den Töchtern, um den anderen Trauergästen den letzten Blick auf den Sarg zu ermöglichen.

Einige Tage nach der Beerdigung gab Fridolin Fellsener eine Anzeige auf, die eine Belohnung von zehntausend Euro demjenigen versprach, der sachdienlich Hinweise zum Mörder seiner Mutter geben konnte.

Seine Frau war gegen die Anzeige gewesen. Bei der Aufstellung des Küchenplans erkundigte sie sich bei ihrer treuen Wirtschafterin Gundula Wihler: »Glauben Sie, dass solch eine Anzeige etwas bewirkt?«

Frau Wihler zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Aber ich kann Ihren Mann verstehen. Es ist einfach schrecklich, was seiner Mutter widerfahren ist«

Gundula Wihler war ausgebildete Hauswirtschafterin und von Antonia Fellsener vor Jahren eingestellt worden. Frau Wihler war der alten Dame damals sehr dankbar gewesen. Die Anstellung bei Fellseners wurde gut bezahlt und eine Putzhilfe, die dreimal die Woche kam, unterstützte sie bei schwereren Arbeiten. Der Tod von Antonia Fellsener hatte sie sehr mitgenommen. Auch sie war dem Trauerzug gefolgt.

Allerdings war sie nicht davon überzeugt, dass eine Belohnung den Täter zur Strecke bringen würde.

Sylvia Fellsener besprach noch einige Details des Mittagessens mit Gundula Wihler. Sie wollte gerade die Küche verlassen und stand schon in der geöffneten Tür, als ihr noch etwas einfiel. »Morgen würde ich gern mit Ihnen anfangen, die Wohnung von meiner Schwiegermutter auszuräumen«, sagte sie.

Frau Fellseners Seniorenwohnung lag im hinteren Trakt des geräumigen Gebäudes. Sylvia Fellsener überlegt nun, wie die Wohnung der Verstorben genutzt werden sollte.

Frau Wihler reagierte überrascht. »Soll die Wohnung denn schon sogleich ausgeräumt werden?«

»Natürlich!«, antwortete die Hausherrin. »Warum nicht?« Frau Wihler war versucht ihrer Chefin zu erklären, dass es wohl nicht im Sinne ihres Mannes sei, unterließ es aber und fragte: »Wann möchten Sie damit anfangen?«

»Morgen muss ich erst Mittags im Büro sein«, sagte Sylvia Fellsener. »Nach dem Frühstück besprechen wir alles. Dann können Sie am Nachmittag anfangen.« Frau Wihler nickte zustimmend und Frau Fellsener schloss die Tür.

***

Nach dem Mittagessen fuhr Frau Wihler in ihre Wohnung. Die Wihlers wohnten im Untergeschoss eines Vierfamilienhauses.

Herr Wihler war etliche Jahre älter als seine Frau und seit einiger Zeit im Ruhestand. Trotzdem trug er noch regelmäßig jeden Morgen Zeitungen aus und half hin und wieder in einigen Gärten der Nachbarschaft aus, was ihm ein gutes Zubrot zu seiner Rente einbrachte. Frau Wihler arbeitete von Morgens um sieben bis um zwölf Uhr und des Nachmittags von fünfzehn bis achtzehn Uhr. Zeit genug für ein gemütliches Mittagessen mit ihrem Mann.

Ottgar Wihler hatte bereits den Tisch gedeckt, weil Gundula wie gewöhnlich das Essen mitbrachte. So war es mit Antonia Fellsener vor Jahren vereinbart worden und hatte noch immer Gültigkeit.

»Wie geht es deinen Leuten?«, erkundigte sich Ottgar.

Gundula goss sich Mineralwasser ein und zog ein skeptisches Gesicht. »Madame will morgen die Wohnung von der alten Chefin ausräumen.«

»Jetzt schon?«, wunderte sich Ottgar. »Die hat es aber eilig.«

»Das kannst du wohl sagen. Bin mal gespannt was der Chef dazu sagt.« Nach dem Essen setzte sich Gundula auf die Terrasse und ihr Mann hielt wie immer seinen Mittagsschlaf.

***

Die Versicherungsagentur Seriosus in Schloß Holte-Stukenbrock hatte Hochbetrieb. Immer wieder kamen Autobesitzer hochklassiger Wagen, um sich die Versicherungsbedingungen bei Brandbeschädigung erläutern lassen. Insgeheim rieb sich der Chef, Ludger Pieters, die Hände, dass ein Brandstifter ihm so viele gute Neuverträge einbrachte.