Das Findelkind vom Schloss - Hella Birken - E-Book

Das Findelkind vom Schloss E-Book

Hella Birken

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. »Die Alte vom Schloß«, wie man die Baronin von der Weltz im Dorf unten nannte, konnte nicht schlafen. Schon seit mehr als fünfzehn Jahren konnte sie keinen Schlaf finden in Nächten, in denen der Sturm um das alte Gemäuer heulte und man das Toben der aufgebrachten See trotz des Sturmgetöses hören konnte. In solch einer Nacht war es gewesen, daß man ihr den geliebten Mann tot ins Haus gebracht hatte. Sein Schiff war an den Klippen zerschellt und hatte zehn weitere wackere Männer mit in den Tod gerissen. Seit diesem Tage haßte die alte Baronin das Meer, das ihr das Liebste genommen hatte; aber in Nächten wie dieser erschien es ihr wie ein guter Freund, der ihr die letzten Grüße ihres Mannes brachte. In eine warme Decke gehüllt, saß sie in ihrem Lehnstuhl am Fenster. Ihre Gedanken schweiften in die Vergangenheit, und ein fast selig verklärtes Lächeln legte sich um ihren immer noch schönen Mund. Die Wolkendecke zerriß, und für einen kurzen Augenblick nur lag der weite Vorhof im kalten gelben Licht des Mondes und beschien unbarmherzig eine sich eilig entfernende weibliche Gestalt. Die Baronin dachte daran, das Fenster zu öffnen und diese Person nach dem Woher und Wohin zu fragen, aber sie wußte, der Sturm hätte ihre Stimme nicht so weit getragen, und so saß sie und verfolgte die Unbekannte mit ihren Blicken, bis sie im Dickicht des Waldes verschwand. Dieser nächtliche Spuk ließ ihr keine Ruhe. Außerdem war es kalt im Zimmer, wo der Wind durch die Fensterritzen pfiff, und die Baronin wußte aus Erfahrung, daß ihr ein Gläschen Brandy guttun würde. Leise wie eine Diebin stieg die alte Dame in die Bibliothek hinab, wo sich die gutgefüllte Hausbar ihres Sohnes befand. Als sie durch die große Eingangshalle schlurfte, glaubte sie ein zittriges Wimmern zu hören. Dummheit, seit wann litt sie denn an Halluzinationen? In der Bibliothek war das Feuer im Kamin noch nicht ganz erloschen und gab dem Raum eine anheimelnde Wärme. Die Baronin machte es sich gerade in dem großen Ohrensessel bequem, als sie, diesmal ohne Zweifel, das Quäken eines Babys hörte. Mit jugendlicher Elastizität ging sie zurück in die Halle und öffnete die schwere Eichentür, die ihr der Sturm sofort wieder aus der Hand riß; aber sie sah, was sie erwartet hatte: auf einer der obersten Treppenstufen lag ein dunkles Bündel, aus dessen Umhüllung die jämmerlichen Töne kamen. Behutsam, wie es ihr niemand zugetraut hätte, nahm sie das schreiende Bündel auf den Arm und trug es in die Bibliothek. Na, das war ja eine schöne Bescherung.

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Fürstenkinder – 35 –

Das Findelkind vom Schloss

Was hält das Schicksal für Clarissa bereit?

Hella Birken

»Die Alte vom Schloß«, wie man die Baronin von der Weltz im Dorf unten nannte, konnte nicht schlafen. Schon seit mehr als fünfzehn Jahren konnte sie keinen Schlaf finden in Nächten, in denen der Sturm um das alte Gemäuer heulte und man das Toben der aufgebrachten See trotz des Sturmgetöses hören konnte. In solch einer Nacht war es gewesen, daß man ihr den geliebten Mann tot ins Haus gebracht hatte. Sein Schiff war an den Klippen zerschellt und hatte zehn weitere wackere Männer mit in den Tod gerissen. Seit diesem Tage haßte die alte Baronin das Meer, das ihr das Liebste genommen hatte; aber in Nächten wie dieser erschien es ihr wie ein guter Freund, der ihr die letzten Grüße ihres Mannes brachte. In eine warme Decke gehüllt, saß sie in ihrem Lehnstuhl am Fenster. Ihre Gedanken schweiften in die Vergangenheit, und ein fast selig verklärtes Lächeln legte sich um ihren immer noch schönen Mund.

Die Wolkendecke zerriß, und für einen kurzen Augenblick nur lag der weite Vorhof im kalten gelben Licht des Mondes und beschien unbarmherzig eine sich eilig entfernende weibliche Gestalt. Die Baronin dachte daran, das Fenster zu öffnen und diese Person nach dem Woher und Wohin zu fragen, aber sie wußte, der Sturm hätte ihre Stimme nicht so weit getragen, und so saß sie und verfolgte die Unbekannte mit ihren Blicken, bis sie im Dickicht des Waldes verschwand.

Dieser nächtliche Spuk ließ ihr keine Ruhe. Außerdem war es kalt im Zimmer, wo der Wind durch die Fensterritzen pfiff, und die Baronin wußte aus Erfahrung, daß ihr ein Gläschen Brandy guttun würde. Leise wie eine Diebin stieg die alte Dame in die Bibliothek hinab, wo sich die gutgefüllte Hausbar ihres Sohnes befand. Als sie durch die große Eingangshalle schlurfte, glaubte sie ein zittriges Wimmern zu hören. Dummheit, seit wann litt sie denn an Halluzinationen? In der Bibliothek war das Feuer im Kamin noch nicht ganz erloschen und gab dem Raum eine anheimelnde Wärme. Die Baronin machte es sich gerade in dem großen Ohrensessel bequem, als sie, diesmal ohne Zweifel, das Quäken eines Babys hörte. Mit jugendlicher Elastizität ging sie zurück in die Halle und öffnete die schwere Eichentür, die ihr der Sturm sofort wieder aus der Hand riß; aber sie sah, was sie erwartet hatte: auf einer der obersten Treppenstufen lag ein dunkles Bündel, aus dessen Umhüllung die jämmerlichen Töne kamen. Behutsam, wie es ihr niemand zugetraut hätte, nahm sie das schreiende Bündel auf den Arm und trug es in die Bibliothek.

Na, das war ja eine schöne Bescherung. Als sie die unzähligen Decken, die zum Teil verknotet waren, entwirrt hatte, lag vor ihr ein Baby – ein Mädchen, höchstens ein paar Tage alt. Das Schreien hatte aufgehört, und ein Paar große blaue Augen sahen die Greisin fragend an. Das war natürlich Dummheit, denn ein paar Tage altes Kind denkt noch nicht und fragt noch nicht; aber die Baronin ließ sich nie davon abbringen, daß es dieser beinahe flehende Blick war, der sie dazu bewog, das Würmchen auf Anhieb in ihr Herz zu schließen. Die Kleidung des Kindes und auch die Decken verrieten nicht nur einen guten Geschmack, sie waren auch von hervorragender Qualität. Also hatte sie recht gehabt, die Person, die sie den Schloßplatz verlassen sah, kam nicht aus dem Dorf.

Was tut man in solch einem Fall, wenn man mitten in der Nacht ein ausgesetztes Baby vor der Tür findet? Man benachrichtigt die Polizei, und diese sucht mit viel Geschrei nach der unmenschlichen Mutter, um sie der gerechten Strafe zuzuführen. Das aber gerade gedachte die Baronin nicht zu tun. Wer weiß, wer die Mutter war und was sie dazu veranlaßt hatte, ihr Kind fortzugeben?

Doch zunächst einmal mußte das Kind trockengelegt werden, bevor man weitere Betrachtungen anstellen konnte. Kurz entschlossen nahm die alte Baronin das Bündel wieder auf den Arm und stieg damit in die zweite Etage hinauf, wo sich das Zimmer ihres Enkelsohnes, ihres Lieblings, befand. Wenn dieser Junge auch schon elf Jahre alt und in einem Internat war, so hoffte die Baronin doch, daß sie in seiner Garderobe noch irgend etwas Brauchbares finden würde. Und richtig, im Ankleidezimmer stand noch die alte Wickelkommode, angefüllt mit Windeln, Strampelhöschen und Jäckchen. Im Nu hatte die Baronin das Kind gewaschen und gewickelt, ihm ein neues Jäckchen angezogen, und dann nahm sie es auf den Arm und ging mit ihm zurück in die Bibliothek, wo es am wärmsten war. Das Kind auf ihrem Schoß fest an sich gepreßt, fühlte die Greisin, wie die Jahre von ihr abfielen, ein schon lange nicht mehr gekanntes Glücksgefühl durchströmte sie, und sie schwor sich in diesem Moment, daß sie diesem bedauernswerten Würmchen in ihrem Arm all das sein wollte, was es nicht hatte: Vater, Mutter und Heimat; aber sie war alt – würde Gott ihr wohl noch so viel Zeit schenken, um das Kind aufwachsen zu sehen, um es zu beschützen?

Es mußte doch einen Weg geben.

*

Berthe, die gute Seele des Schlosses, war noch älter als die »Alte vom Schloß«. Sie selbst meinte, sie müsse wohl so an die Neunzig sein – genau wisse sie es nicht – alle anderen aber waren der Meinung, Berthe hätte bestimmt schon die Hundert überschritten.

Wie dem auch sei, Berthe war zwar gekrümmt vom Alter, und ihre Beine wollten nicht mehr so recht; aber ansonsten war sie gesund und munter wie eh und je.

Als sie heute in das Zimmer ihrer Herrin kam, um diese wie immer zu wecken, war sie nicht wenig erstaunt, diese gar nicht vorzufinden und auch noch feststellen zu müssen, daß das Bett unbenutzt war. Immer vor sich hin brummelnd über soviel Unverstand, lief sie, so schnell sie ihre alten Füße trugen, die Treppe hinunter, geradewegs auf die Bibliothek zu. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß die Baronin sich in einer Sturmnacht hierher zurückgezogen hätte. Und richtig – die Baronin saß im großen Ohrensessel, den Kopf an die Lehne gestützt, und war fest eingeschlafen. Berthe wollte sie gerade ein wenig schütteln, als sie das Kind in den Armen der Herrin entdeckte. Sie war ja einiges gewohnt in den unzähligen Jahren auf dem Schloß, aber das war ihr denn doch zuviel. Energisch weckte sie die Baronin, und als diese, immer noch schlaftrunken, die Augen öffnete, zeigte Berthe nur mit beinahe angewiderter Gebärde auf das Baby, und streng fragte sie:

»Wo kommt das Kind her?«

Da erst bemerkte die Baronin, daß ihr der Arm, mit dem sie das Kind an sich gepreßt hielt, eingeschlafen war, und indem sie ihn vorsichtig hervorzog, um das Würmchen nicht zu wecken, sagte sie mit einem zärtlichen Lächeln:

»Ist er nicht süß, mein kleiner Findling? Berthe, schau doch nicht so grimmig, du mit deinem goldenen Herzen hättest es bestimmt nicht in diesem Wetter auf der Außentreppe liegen lassen!«

Erschüttert unterbrach sie Berthe:

»Was denn, Frau Baronin, wollen Sie damit sagen, daß jemand das Kind hier auf unserer Treppe ausgesetzt hat? Das ist ja eine bodenlose Unverschämtheit… da muß man doch sofort die Gendarmerie benachrichtigen… diese Rabenmutter… diese…«

»Aber, Berthe, du stotterst ja vor Aufregung. Nun setz dich mal hin und hör mir zu:

Wir werden die Polizei nicht benachrichtigen. Das Kind bleibt auf dem Schloß und wird als eine von der Weltz erzogen…«

Jetzt war Berthe aber ehrlich empört, und flammend sagte sie:

»Wenn das Wurm hier bleibt, dann gehe ich. Ich diene denen von der Weltz schon seit mehr als siebzig Jahren, und ich war immer stolz darauf; aber niemals werde ich einem elenden Bastard dienen, von dem ich nicht einmal weiß, wer seine Eltern sind. Vielleicht ist die Mutter eine Herumtreiberin und der Vater ein Zuchthäusler, wer weiß es denn?«

Und noch einmal sah die Baronin den im Mondlicht liegenden Vorhof und die dahinhuschende Gestalt. Irgend etwas an der Haltung dieser Fremden sagte ihr, daß sie nicht aus einer Kate kam und auch keine Herumtreiberin war. In dieser Hinsicht hatte sie sich noch nie geirrt. Warum hatte die Unbekannte das Kind aber gerade nach Krähenhorst gebracht? Sie selbst war als bösartige Alte verschrien, ihr Sohn trieb sich ständig in der Welt herum, und ihre Schwiegertochter war eine übernervöse, ewig leidende Frau. Das war doch wahrlich keine Atmosphäre, in der ein Kind glücklich gedeihen kann. Aber es mußte doch einen Grund haben, daß man das Kind ausgerechnet hierher gebracht hatte. Sollte ihr Sohn etwa? Nein, er jagte lieber wilde Tiere als Frauen. Zu ihrem größten Leidwesen übrigens, denn sie hatte sich eine ganze Schar von Enkelkindern gewünscht und nicht nur diesen einen, von der Mutter verzärtelten Jungen, den man auf ihr Anraten hin in ein Internat gegeben hatte, damit man dort einen wirklichen Jungen aus ihm machte.

Ganz Herrin sagte sie jetzt zu der trotzig dastehenden Berthe:

»Geh, hole meine Schwiegertochter! Ich verlange, sie sofort zu sehen, und du sollst auch hören, was ich ihr zu sagen habe. Los, los, nun mach schon!«

Maria Baronin von der Weltz hatte ein feingeschnittenes Gesicht und schöne tiefblaue Augen; aber ein verbissener Zug gab ihr ein mürrisches Aussehen. Dazu kam ihre leise, klagende Stimme, vor der viele Menschen einen Horror hatten. So kam es, daß Maria, die vor ihrer Ehe ein frohes, geselliges Mädchen gewesen war, heute überhaupt keine Freunde hatte. Ihr Gatte, Cord von der Weltz, war ein vitaler, lebensbejahender Mann, den Maria aus ehrlicher Liebe geheiratet hatte, aber sich schon bald von ihr zurückzog, als er merken mußte, daß ihr das eheliche Zusammenleben eine Marter war. Das änderte sich auch nach der Geburt ihres Sohnes Marcus nicht. Der Baron überließ daher die Bewirtschaftung eines dem Schloß zugehörigen Gutes einem Verwalter, während er selbst ruhelos in der Welt herumzog. Jedesmal, wenn er heimkam, hoffte er, daß Maria, die er immer noch liebte, anders geworden war; aber jedesmal wartete eine Enttäuschung auf ihn, und er verschwand, zum Leidwesen seiner betagten Mutter, wieder für ein paar Monate.

Jetzt saß Maria ihrer Schwiegermutter gegenüber und wartete mit ängstlich klopfendem Herzen, was diese ihr wohl zu sagen hatte. Maria wußte, daß ihre Schwiegermutter mit ihr nicht einverstanden war, daß sie ihrem einzigen Sohn eine andere Frau gewünscht hätte, und darum fürchtete sie sie ein wenig.

Die alte Baronin sah die ängstlichen Augen von Maria, und leicht amüsiert stellte sie fest, daß ihre Schwiegertochter sie sicherlich für einen alten Drachen hielt. Mit ihrer ruhigen, etwas rauchig klingenden Stimme sagte sie jetzt:

»Heute nacht hat man uns einen weiblichen Säugling auf die Treppe gelegt. Die Person, die aller Wahrscheinlichkeit nach das Kind brachte, habe ich nur kurz gesehen, aber doch gut genug, um zu wissen, daß sie nicht aus einem unserer Dörfer stammt. Wir wissen die Gründe nicht, warum diese Mutter ihr Kind ausgesetzt hat, aber mein Gefühl sagt mir, daß sie es nicht aus Leichtfertigkeit getan hat. Wie dem auch sei, ich habe mich entschlossen, es nicht der Polizei zu melden und das Kind zu behalten. Eine Adoption würde viele Scherereien bedeuten, und ich weiß auch nicht, ob mein Sohn, der sehr stolz ist auf sein Geschlecht und sich viele Kinder gewünscht hat, mit einem adoptierten Kind einverstanden wäre.

Nach reiflicher Überlegung bin ich nun dafür, daß du, Maria, dieses Kind offiziell geboren hast…«

»Ja, aber…«

»Bitte, mein Kind, laß mich ausreden. Cord ist schon über sieben Monate von zu Hause fort, ihn könnten wir also leicht mit der freudigen Nachricht überraschen. Da du, Maria, fast nie dein Zimmer verläßt, werden uns auch die Dienstboten die Geschichte abnehmen müssen. Deine Zofe ist dir treu ergeben, die wirst du einweihen müssen. Dr. Bredtschneider werde ich es sagen, und ich weiß, daß er uns helfen wird.

So, mein liebes Kind, du legst dich nun am besten ins Bett, und ich werde den Arzt rufen. Bis es soweit ist, wird Berthe das Baby zu sich nehmen. Gibt es sonst noch Fragen?«

Nur mit Mühe konnte Maria die Benommenheit abschütteln, die sie bei den Worten der alten Baronin befallen hatte. Als sie jetzt deren Blick auf sich ruhen fühlte, sagte sie zaghaft:

»Ich weiß, Mama, daß du mit mir nicht einverstanden bist, weil ich nur den einen Sohn geboren habe; aber du weißt doch, daß der Arzt meinte, weitere Kinder könnten mir gefährlich werden…«

Ungeduldig unterbrach sie die Alte:

»Ja, ja, ich weiß… deine schwächliche Konstitution. Doch ich möchte wissen, was du zu meinem Vorschlag sagst?«

»Ja… natürlich tut mir das Kindchen leid; aber ich weiß nicht, was Cord dazu sagen wird… und außerdem kann ich keine kleinen Kinder um mich vertragen, es macht mich nervös…«

»Also, meine Liebe, zunächst einmal mußt du mir einen heiligen Eid schwören, daß du Cord niemals – niemals, hörst du – die Wahrheit sagen wirst. Er würde uns den Betrug nie verzeihen, denn ich kann mir denken, daß er überglücklich und sehr stolz sein wird, wenn er hört, daß du ihm eine Tochter geschenkt hast, die er sich immer schon gewünscht hat. Ich hoffe, das Kind wird ihn ein wenig mehr an dich und an die Heimat fesseln…«

Der alten Baronin entging der Schatten nicht, der über das Gesicht ihrer Schwiegertochter glitt. Sie wußte, was es zu bedeuten hatte, und wurde unendlich traurig. Diese Ehe war nicht mehr zu retten. Maria betete ihren Mann an, aber sie scheute vor jeder Berührung zurück.

Maria ahnte die Gedanken der alten Baronin, und impulsiv bückte sie sich, und indem sie der alten Dame die Wange küßte, sagte sie fast liebevoll:

»Ich verspreche dir, Mama, daß Cord von mir nie etwas erfahren wird, und ich will mich bemühen, der Kleinen eine gute Mutter zu werden.«

Gerührt strich ihr die alte Baronin über das knisternde Haar. Maria war nicht schlecht. Warum war sie nur so kalt und so wehleidig? Aber das lag wohl in ihrer Natur, und sie konnte nichts dafür.

*

Wenige Tage später wurde die Baronin von der Weltz von einer gesunden, kräftigen Tochter entbunden. Im Schloß gab es, wie gar nicht anders zu erwarten war, viel Geraune und Getuschel; aber die alte Berthe, vor der alle einen Heidenrespekt hatten, brachte jedes üble Gerede zum Schweigen.

Im Dorf war die Freude groß, und es wurde von nichts anderem gesprochen als von dem freudigen Ereignis. Nun wartete man auf den Baron, der seine Ankunft telegrafisch mitgeteilt hatte. Er war großzügig, und die Dörfler freuten sich schon auf das Fest, das er bestimmt ausrichten würde.

*

Die alte Baronin saß in ihrem Zimmer und wartete auf ihren Sohn, der vor kurzem angekommen war und nun seine Frau und das Neugeborene begrüßte. Hoffentlich verriet Maria sich nicht. Sie konnte so schlecht lügen, das war zwar gut; aber in diesem Falle…

Es klopfte, und ohne auf ihre Antwort zu warten, betrat Cord von der Weltz mit geschmeidigen, weit ausholenden Schritten das Zimmer. Aus seinen Augen strahlte das Glück, und indem er sich tief über die Hand seiner Mutter beugte und sie dann innigst auf die Wangen küßte, sagte er mit belegter Stimme:

»Mama, ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin. Bedenke, nach all den Jahren… es erscheint mir wie ein Wunder… Es ist das hübscheste Baby, das ich je gesehen habe, findest du nicht auch, Mama?«

Liebevoll sah die Baronin ihren Sohn an, und dann sagte sie:

»Ja, Cord, du hast recht. Ich bin auch sehr, sehr glücklich. Du weißt, ich habe mir immer viele Enkelkinder gewünscht…«

Bei ihren Worten war der Baron blaß geworden, und in einem leicht arroganten Ton sagte er:

»Du weißt doch, Mama, Marias Konstitution verträgt das nicht. Ich bin sowieso erstaunt, daß alles so ohne Komplikationen abgelaufen ist. Nach der Geburt von Marcus hatte Dr. Bredtschneider doch starke Bedenken…«

»Ich weiß, mein Sohn. Das ist auch der Grund, warum wir dich nicht vorher benachrichtigt haben, wir befürchteten, du würdest dir zu große Sorgen machen; aber nun ist ja, Gott sei Dank, alles gutgegangen. Das Kind ist außerordentlich kräftig und gesund, und Maria geht es ausgezeichnet.

Habt ihr euch schon überlegt, wie ihr sie nennen wollt?«

»Ja, wenn es dir recht ist, Mama, dann wollten wir sie nach dir Clarissa benennen.«

»Das macht mich sehr stolz, Cord, nur, wird deine Tochter mit diesem altmodischen Namen zufrieden sein?«

»Immer hat es eine Clarissa von der Weltz gegeben, und so soll es auch bleiben…«

»Das ist sehr edel gedacht von dir, mein Sohn. Ich bin stolz auf dich.«

Etwas verlegen sagte der Baron: »Eigentlich war es Marias Idee…«

»So? Na, dafür hat sie sich einen Extrakuß verdient. Bitte, reiche mir doch mal meine Schmuckschatulle rüber!«

Lange wühlte die Baronin in Gold und Edelsteinen, bis sie sich endlich für ein wertvolles Collier aus Diamanten und Smaragden entschied. Einen Moment noch hielt sie es in der Hand und beobachtete, wie die schräg hereinfallende Sonne die Steine zum Funkeln brachte, dann gab sie es ihrem Sohn, wobei sie etwas wehmütig sagte:

»Das hat mir dein Vater zur Verlobung geschenkt. Es war mir immer das liebste Stück, und drum soll Maria es jetzt haben und nach ihr die junge Clarissa…«

Tiefbewegt nahm es der Baron entgegen. Er wußte, wie schwer sich seine Mutter von Erinnerungsstücken trennte, und daher konnte er die Bedeutung des Geschenks wohl ermessen.

Auf die Ermunterung seiner Mutter hin erzählte der Baron von seinen Reisen. Er war ein guter Beobachter, und in lebendigen Worten und schillernden Farben beschrieb er seiner Mutter die Länder, die sie nie gesehen, denen aber schon als junges Mädchen ihre Sehnsucht gegolten hatte.

Bevor sie zum Tee nach unten gingen, sagte die Baronin leise, beinahe wie entschuldigend:

»Du hast nicht zufällig etwas von Hubert gehört?«

»Nein.« Sein Ton war abweisend, und die Baronin wagte nicht weiterzufragen.

Der Tee wurde wie gewöhnlich in Marias kleinem Salon eingenommen. Obwohl Maria auch heute wieder in ihrem alten Hausmantel auf der Couch lag und sich mit leidender Miene bedienen ließ, wurde es doch eine unterhaltsame, gemütliche Teestunde. Gnädig gestimmt, gestattete Maria ihrem Mann auch, sich seine geliebte Pfeife anzustecken, obgleich sie immer behauptete, der süßliche Geruch des Tabaks bereite ihr Kopfschmerzen. In den nächsten Wochen herrschte eine äußerst harmonische Stimmung im Schloß. Klein-Clarissa war ein prächtiges Baby und schrie wenig. Wenn der Baron sich über die Wiege beugte, strahlte seine Tochter ihn an und gab glücklich glucksende Laute von sich, so daß es ihm ganz warm ums Herz wurde.

Er war ungeheuer stolz auf diesen Nachkömmling, und wenn das Verhältnis zu seiner Frau auch kühl blieb, so hatte er doch nicht die Absicht, die Heimat so bald wieder zu verlassen.

Die alte Baronin wurde wieder jung mit ihrer Enkeltocher. Wenn sie nicht im Garten stand, so war Klein-Clarissas Wiege im Zimmer der Großmutter, damit Maria nicht gestört wurde.

Zur Taufe kamen die Gäste von all den Gütern und Schlössern der näheren und auch weiteren Umgebung. Tag um Tag fuhren die Wagen vor, so daß sehr bald alle Gästezimmer belegt waren. Die alte Berthe regierte im Haus wie eine Herrscherin über ihr Reich. Was gab es aber auch alles zu bedenken: die Zimmerverteilung, wer sollte wen bedienen, die verschiedenen Diäten der Gäste und nicht zuletzt die Speisefolge am Tauftag selbst.

Es war ein strahlender Maitag, als der Baron von der Weltz seine Tochter Clarissa Huberta Maria zur Dorfkirche trug. Der Weg vom Schloß zur Kirche war weit, und doch wurde es seit altersher so gehalten, daß man zu Fuß zur Kirche ging. Stolz und aufrecht schritt die alte Baronin an der linken Seite ihres Sohnes, und herausfordernd blickte sie die Dörfler an, die am Wege standen, so als wollte sie sagen: Ganz gleich, was ihr auch denken mögt, dies ist meine Enkelin, und wehe, wer daran zu zweifeln wagt.

Aber niemand zweifelte mehr, schließlich hatte das Kind doch dieselben graublauen Augen wie alle ihres Stammes. Nur der Graf von Dornburg sah seine Base Maria von der Weltz ein wenig spöttisch lächelnd an, als sie einmal zufällig seinem Blick begegnete, und erschrocken fragte sich Maria: Was wußte er? Der Graf wußte gar nichts. Er empfand immer ein wenig Mitleid, aber auch Spott für seine Base, die ewig auf leidend mimte, obwohl sie organisch vollkommen gesund war. Marias Eltern hätten es damals gern gesehen, daß ihre Tochter Gräfin Dornburg geworden wäre; doch der wilde Dornburg dachte vorläufig gar nicht daran zu heiraten, na und wenn, dann bestimmt nicht die temperamentlose Maria. Er hatte sich oft gewundert, warum Cord sie geheiratet hatte. Auf Wunsch seiner Mutter, oder liebte er sie? Er konnte es sich schlecht vorstellen, denn Cord war ein gutaussehender, leidenschaftlicher Mann; aber er war sehr standesbewußt, und Maria kam aus einer guten alten Adelsfamilie.