Das fossile Imperium schlägt zurück - Claudia Kemfert - E-Book

Das fossile Imperium schlägt zurück E-Book

Claudia Kemfert

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Beschreibung

Alles schien auf einem guten Weg. Die Energiewende schafft Wohlstand, macht unabhängig von geopolitischen Konflikten, schützt das Klima und stärkt die Demokratie. Und sie ist erfolgreich. Zu erfolgreich. Die `alten´ Energien und die Klimaskeptiker gehen nicht kampflos vom Platz. Anstelle von Rückzugsgefechten schalten die Lobbyisten der Kohleindustrie und Atomenergie auf Frontalangriff. Sie nutzen keine Armee, sondern Propaganda und `Fake News´. Mit bislang unbekannter Aggressivität werden Behauptungen, Mythen und Fehlinformationen vorgetragen und der Klimawandel wird geleugnet. Unerwartet befinden wir uns mitten im Krieg der Energiewelten zwischen fossiler Energie und den erneuerbaren Energien. Besonders sichtbar in den USA. Doch auch in Deutschland und Europa ist nicht alles rosig. Das fossile Imperium schlägt zurück. Auch hierzulande. Es ist höchste Zeit zur Gegenwehr. Claudia Kemfert stellt den fatalen Irrtümern und gezielt falschen Informationen, die vor allem im Internet hartnäckig die Runde machen, sachliche Argumente und wissenschaftliche Fakten gegenüber. Verständlich und anschaulich erklärt die renommierte Expertin die politischen und ökonomischen Zusammenhänge, erläutert die dramatischen Entwicklungen der letzten Jahre und zeigt auf, was Verbraucher, Politiker und Unternehmen jetzt tun müssen, um die erneuerbare Zukunft zu sichern. Die Energiewende ist das wichtigste Projekt auf der globalen Agenda. Wir müssen sie retten. Jetzt!

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Claudia Kemfert

DAS FOSSILE IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK

Warum wir die Energiewende jetzt verteidigen müssen

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. (…) Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Immanuel Kant

Wer einen Fehler begangen hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen weiteren Fehler.

Konfuzius

Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.

Lucius Annaeus Seneca

Inhaltsverzeichnis

I. BESTANDSAUFNAHME: KRIEG DER ENERGIEWELTEN

Fossile Energie-Kehrtwende

Energiewende: Opfer ihres eigenen Erfolgs

Vom Kampf um Strom zum Krieg um Energie

Frau an den Herd, Kohle in die Heizung?

Deutschland, einig Klimaland?

Im Energiepoker ist alles Trumpf

Nein zum postfaktischen Irrsinn, Ja zur Energiewende

Die Waffen der Wissenschaft

Zeit für eine EnergieRevolution

II. FAKTENCHECK: DIE ENERGIEWELT JENSEITS DES POSTFAKTISCHEN

POSTFAKT 1: »Die Energiewende ist bis 2022 nicht zu schaffen.«

POSTFAKT 2: »Zielmarke 2050 – so lang im Voraus kann man doch gar nicht planen!«

POSTFAKT 3: »Die erneuerbaren Energien brauchen ein Tempolimit!«

POSTFAKT 4: »Es drohen Blackouts.«

POSTFAKT 5: »Die Energiewende lässt die Strom­preise explodieren.«

POSTFAKT 6: »Es droht ein Kosten-Tsunami durch die Energiewende.«

POSTFAKT 7: »Die Energiewende führt zu einer De­industrialisierung in Deutschland.«

POSTFAKT 8: »Wir brauchen keine Planwirtschaft – die Energiewirtschaft braucht Markt.«

POSTFAKT 9: »Die Energiewende führt zur sozialen Verelendung.«

POSTFAKT 10: »Mit seinem Alleingang isoliert sich Deutschland und gerät international ins Abseits.«

III. AUFFORDERUNG ZUM HANDELN: WARUM WIR DIE ENERGIEWENDE JETZT VERTEIDIGEN MÜSSEN

Es besteht globaler Handlungsbedarf

Energiewende und Digitalisierung zusammendenken!

Es gibt Hoffnungsschimmer am Energiehorizont

Es kommt unerwartete Verstärkung aus China

Don’t feed the trolls: Lasst die Leugner nicht gewinnen!

Die Energiewende ist ein Friedensprojekt

IV. HANDLUNGSKATALOG: WAS JETZT ZU TUN IST

Handlungskataloge für …

… Bürgerinnen und Bürger und Verbraucherinnen und Verbraucher

… Beschäftigte in der Erneuerbare-Energien-Branche oder anderen Energiewende-Branchen

… Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

… Unternehmerinnen und Unternehmer

… Politikerinnen und Politiker

Dank

Über die Autorin

Impressum

I. BESTANDSAUFNAHME: KRIEG DER ENERGIEWELTEN

 

Fossile Energie-Kehrtwende

Die Welt ist eine andere geworden. Kriege und Konflikte finden nicht mehr in weiter Ferne statt. Der Terror ist nach Europa vorgedrungen, nach Istanbul, Nizza, Paris, Brüssel und Berlin. Der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika benimmt sich wie die Axt im Walde: Donald Trump und seine Berater toben, wüten, beleidigen und sind selbst beleidigt. Es wird behauptet und getönt. Es wird geschimpft und gelogen. Statt einer sachlichen politischen Debatte gibt es haufenweise Sprüche, Schlagworte und Parolen. Wissenschaftliche Wahrhei­ten werden geleugnet und durch absurde Thesen ersetzt. Zum Beispiel solche: Der Klimawandel sei bloß eine perfide PR-­Erfindung habgieriger Chinesen, um die amerikanische Wirtschaft zu untergraben.

Seit Trump im Amt ist, regiert die fossile Energieindustrie die USA: Ein Anwalt der Öl- und Kohleindustrie leitet die US-Umweltbehörde. Der Energieminister leugnet den Klimawandel. Der Außenminister leitete einst einen Ölkonzern. Und auch der Innenminister sympathisiert mit der Gas-, Kohle- und Ölindustrie. Folgerichtig gibt es seit Trumps Amtsantritt im Januar 2017 auf der Website des Weißen Hauses keinen einzigen Treffer mehr zum Suchbegriff »climate change«. Stattdessen wird Trumps »America First Energy Plan« angekündigt: Schluss mit dem »Climate Action Plan« seines Vorgängers, Schluss mit den unnötigen Investitionen in erneuerbare Energien, den Hürden fürs Fracking und den Verboten, in der Arktis zu bohren. Ein Come­back für Öl, Gas und Kohle!

Doch nicht nur in den USA, auch im Rest der Welt gibt es ein dramatisches Comeback fossiler Energien: Ein ehemaliger Energiekonzernchef leitet das EU-Ministerium für Energie und Wirtschaft. Der europäische Emissionshandel wird bis zur völligen Wirkungslosigkeit reformiert. In Spanien sind die einst ga­rantierten Förderungen für erneuerbare Energien rückwirkend gestoppt.

Selbst in Deutschland, dem Klimapionier, sind die fossilen Energien wieder auf dem Vormarsch. Ausgerechnet die Erfinder der Energiewende blockieren in Brüssel Emissionsgrenzwerte, novellieren das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz zu Tode und beenden mal eben die Bürgerenergiewende.

Unternehmen sind verunsichert. Umweltschützer sind fassungslos. Wissenschaftler sind verzweifelt. Sie alle stehen vor derselben Frage: Wie konnte das passieren? Wieso werden die fossilen Energien nach wie vor in deutlich höherem Maße gefördert als die erneuerbaren Energien? Obwohl die Mehrheit der Bürger es anders will. Obwohl auf weltweiten Klimakonferen­zen ganz andere Ziele beschlossen werden. Wieso verabschieden Politiker Gesetze, die das gesamte Vorhaben der Energiewende konterkarieren? Verspielt Deutschland seine Energiezukunft?

Fakt ist: Die Lobbyisten arbeiten derzeit auf Hochtouren. Immer erbitterter kämpfen die Vertreter der alten Energiewelt gegen die Welt der erneuerbaren Energien. Mit allen Mitteln versucht man das Offensichtliche zu vertuschen: Die alten Ener­giekonzerne haben keine zukunftsfähigen Geschäftsmodelle. Man sträubt sich, handfeste Realitäten anzuerkennen: Die Vorräte an fossilen Energien sind nicht unbegrenzt, die Verbrennung verursacht einen irreversiblen Klimawandel. Man bestreitet Tat­sachen: Erneuerbare Energien sind billiger als herkömmliche Energien. Man leugnet alle Erfolge: Die erneuerbaren Energien wachsen schneller als erwartet. Man weist offensichtliche Wahr­heiten von sich: Erneuerbare Energien schaffen technologische Wettbewerbsvorteile und sorgen für Wertschöpfung und Arbeitsplätze.

Stattdessen stellt man als »Fakten« getarnte gegenteilige Behauptungen auf und wiederholt die Unwahrheiten so lange und so laut, bis sich niemand mehr vorstellen kann, dass da gar nichts dran sein könnte. Die Kampagnen kosten Milliarden und haben kein anderes Ziel, als Zeit zu gewinnen. Jeder Tag, an dem – trotz klimapolitischem Globalkonsens – diskutiert und nicht für die Zukunft gehandelt wird, ist für die Lobbyisten der Vergangenheit ein gewonnener Tag. Denn jeder Tag, den die fossilen und atomaren Kraftwerke weiterlaufen, spült Millionengewinne in die Kassen der alten Industrien. Egal, ob das der Volkswirtschaft schadet. Egal, ob andere Länder dadurch in ihrer Entwicklung gehindert werden. Egal, ob dadurch die künftige Energieversor­gung gefährdet wird. Die mächtigen Vertreter von Öl, Kohle, Gas und Atom schauen ausschließlich auf den eigenen Vorteil – und tun alles, um keine Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Um das zu vertuschen, zünden sie ein kommunikatives Feuerwerk, das den Blick der Öffentlichkeit aufs Falsche lenkt – ein Spektakel am Medienhimmel, das davon ablenkt, was auf dem Boden politischer Tatsachen wirklich passiert.

Energiewende: Opfer ihres eigenen Erfolgs

Das Gift der demagogischen Populisten wirkt. Immer weniger geht es um Fakten und Argumente, immer öfter um Lärm und um Krawall. Die fossilen und atomaren Lobbyisten setzen ihre Interessen erstaunlich erfolgreich durch. Sigmar Gabriel, einst en­gagierter Vorreiter der Energiewende, ist im Laufe seiner Amtszeit als Bundeswirtschaftsminister zum Klassensprecher der fossilen Industrie geworden. Vor seinem Abschied aus dem Ministerium für Wirtschaft und Energie schindete er mit seinen Entscheidungen – wie den Abwrackprämien für alte Kohlekraftwerke – immer wieder wertvolle Zeit für die fossile Energiewirtschaft heraus.

Der »Welpenschutz« für die erneuerbaren Energien sei nunmehr beendet, erklärte Gabriel 2016 seinen rückwärtsgewandten Kurs. Dabei geht es nicht um junge Hunde, sondern um die Basis unserer Volkswirtschaft. Es geht nicht um überflüssige Leckerlis, sondern um entscheidende Investitionen in die Wirtschaft von morgen. Was er mit der niedlichen Welpen-Metapher verschleiert, sind massive Umverteilungen von staatlichen För­dergeldern. Denn weniger Förderung für die Erneuerbaren und eine Verlangsamung des Kohleausstiegs bedeuten im Klartext: kein Geld für die Zukunft und noch mehr Geld für die Vergangenheit.

Schon lange sind die erneuerbaren Energien keine »Welpen« mehr. Im Gegenteil: Sie sind schneller als erwartet groß geworden. Im alten Energie-Mix galten sie als zu vernachlässigender Bestandteil. Jetzt sind sie eine ernst zu nehmende Größe auf ­einem hart umkämpften Markt. Sehr viel früher als erwartet stehen sie auf Augenhöhe mit den konventionellen Energien. Eine echte Konkurrenz.

Seitdem absehbar ist, welche Rolle die erneuerbaren Ener­gien auf dem Energiemarkt der Zukunft spielen, wehren sich die fossilen Konzerne mit allen Mitteln gegen die unausweichliche Vertreibung vom Energiemarkt. Immer aggressiver setzen sie ihre wirtschaftlichen Interessen durch. Um im Gabriel-Bild zu bleiben: Es bellt und tobt eine Horde in die Jahre gekommener Rottweiler, die ihre besten Tage hinter sich haben. Es passt ihnen überhaupt nicht, dass die jungen Hunde sich nicht mehr devot auf den Rücken werfen, sondern tatsächlich den Platz vor der Hütte und auf der Spielwiese beanspruchen. Wütend beißen die Alten die kräftigen Jungen weg. Es ist ein Kampf um gut gefüllte Fressnäpfe. Kläffend lenkt die Horde davon ab, dass nicht die zähnefletschenden alten, sondern die jungen Hunde die Zu­kunft sind.

Die deutsche Energiewende ist zum Opfer ihres eigenen ­Erfolgs geworden. Je kräftiger sie wird, umso stärker wird die Gegenwehr. Wir befinden uns in einem erbitterten Krieg um die Macht am Energiemarkt, nicht nur in Deutschland, sondern über­all auf der Welt – mit dramatischen Folgen. Denn um mäch­tig zu bleiben, sabotieren die Vertreter der alten Ener­­gie­welt das Gelingen der Energiewende und kämpfen unterei­nander um die fossilen Ressourcen. Das ist mehr als ein Energie-Monopoly. Es ist brandgefährlich: Es drohen geopolitische Konflikte, Ölkrisen und nicht nur finanzielle Kriege um Energie. Die Kämpfe um den Machterhalt der alten Energiewelt bedrohen den Frieden.

Es ist an der Zeit, einmal ganz genau hinzuschauen, was im Konflikt zwischen alter und neuer Energiewelt eigentlich vor sich geht: Mit welchen Ablenkungsmanövern drängen die fos­si­len Riesen die erneuerbaren Energien vom Markt? Welche wirt­schaftlichen Interessen stehen hinter den energiepolitischen Verflechtungen? Und wie können Unternehmen, Politik und Verbraucher verhindern, dass die Energiewende sabotiert und ausgebremst wird?

Denn die Lage für den Planeten ist ernst, und zwar seit langem. Die CO2-Emissionen durch den Verbrauch fossiler Energien bleiben auf Rekordniveau. Die Treibhausgase, die jetzt in die Atmosphäre gelangen, verursachen einen irreversiblen Klimawandel. Viele Jahre war es »nur« ein Aufwärtstrend, nun wird deutlich, wie rasch und unaufhaltsam die Temperaturen tatsäch­lich steigen: Die Jahre 2014 bis 2016 sind die wärmsten seit Beginn der globalen Temperaturmessungen 1880. Auch die Fol­gen des Klimawandels, vor denen Klimaforscher in aller Welt schon so lange warnen, sind unübersehbar geworden: Über­schwem­mungen und Stürme, der steigende Meeresspiegel und untergegangene Inseln, sterbende Korallenriffe, giftige Algen.

Die gute Nachricht: Noch ist es nicht zu spät. Wir können die Kurve – im wahrsten Sinne des Wortes – noch kriegen und die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzen. Das hebelt die Folgen des Klimawandels nicht aus, reduziert sie aber auf ein Maximum, das wir aller Voraussicht nach mit viel Anstrengung gerade noch bewältigen können.

Dabei gilt es in Sachen Klimawandelforschung immer wieder, alte Erkenntnisse zu revidieren – wir werden uns immer wieder neuen, zum Teil überraschenden Entwicklungen stellen müssen. Lange Zeit hielt niemand es für möglich, dass der Golf­strom eines Tages kollabieren könnte. Der Golfstrom als komplexe Natur-Fernwärmeheizung für Nordeuropa sorgt mit seinen Wärmeströmungen vom äquatorialen Atlantik über den Golf von Mexiko für ein mildes Klima in Nordeuropa. Der Weltklimarat IPCC hat unterschätzt, welche Gefahr durch den Klimawandel für die Winter in Nordeuropa ausgeht. Die Klima­wissenschaftler hatten den Fokus bei ihren Messungen auf die Temperaturschwankungen im Golfstrom gelegt, nicht aber auf die eigentliche Säule für das stabile System: den Salzgehalt des Wassers. Neue Simulationen zeigen: Während die globalen Durch­schnittstemperaturen immer höher klettern, würde es in Nordeuropa – in Norddeutschland und im Baltikum, in der Bre­tagne, Irland und Schottland, in Norwegen und Island – um bis zu sieben Grad kältere Winter geben. Zum Vergleich: In der letzten Eiszeit war es vier Grad kälter als jetzt. Verhindert werden könnte die Katastrophe, wenn die Ziele des Pariser Klimavertrags erreicht werden.

Es besteht dringender Handlungsbedarf, um den Klimawan­del und seine verheerenden Folgen für die Umwelt aufzuhalten, darüber herrscht – eigentlich – Einigkeit. Schließlich kennt der Klimawandel keine nationalen Grenzen; alle müssen mitmachen. Anders als zu Beginn der internationalen Klimaverhandlungen gibt es inzwischen aber die notwendigen Technologien und Alternativen zu den fossilen Energien, um den Willen auch in der Praxis umsetzen.

Nicht mehr als zwei Grad darf die globale Oberflächentemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts steigen – darauf einigte sich die Welt im Dezember 2015 auf der COP21, der 21. UN-Klima­konferenz in Paris. Mit einem Hammerschlag besiegelte der französische Außenminister Laurent Fabius das Ergebnis jahrzehntelangen Ringens um einen Konsens: den Beschluss verbindlicher Klimaziele für alle 195 Teilnehmerstaaten. Zwanzig Jahre nach der allerersten Weltklimakonferenz 1995 in Berlin war das ein lang angepeilter Meilenstein, und zu Recht wurde das his­torische Klimaabkommen in Paris mit tosendem Applaus und Standing Ovations bejubelt.

Die globale »Climate Action« war beschlossene Sache. Das Ziel war klar, doch wie würde man es erreichen? Ein Beschluss allein ändert schließlich noch gar nichts an den steigenden Treibhausgasemissionen und an der immer weiter nach oben kletternden Temperaturkurve. Weitere drei Jahre wollte man sich Zeit geben, bis das »Paris Agreement« in Kraft treten sollte – doch schon ein Jahr später war es so weit: Am 4. November 2016 hatte die Mehrheit der 55 Staaten, die für mehr als 55 Prozent aller globalen Emissionen verantwortlich sind, das Abkommen ratifiziert. Damit trat das weltweit erste verbindliche Klima­abkommen in Kraft. Die deutsche Bundesumweltministerin Barbara Hendricks nannte es »ein Grundgesetz für den internationalen Klimaschutz«. Wenige Tage später unterstrichen die versammelten Vereinten Nationen auf der COP22 in Marrakesch die Dringlichkeit der Klimaschutzmaßnahmen: »Unser Klima erwärmt sich mit alarmierender und präzedenzloser Geschwin­digkeit, und wir haben die dringende Pflicht, darauf zu reagieren. […] Wir fordern höchstes politisches Engagement in der Bekämpfung des Klimawandels, einer Angelegenheit von drin­gender Priorität«, heißt es im Aktionsplan von Marrakesch.

Für die Eile, das Abkommen so schnell wie möglich verbind­lich zu ratifizieren, und den Wunsch, die Dringlichkeit der Kli­ma­schutzmaßnahmen deutlich zu unterstreichen, gab es gute Gründe –das zügige Handeln ist dem klimapolitischen Störenfried Trump zu verdanken: Nach dem Schock über seine Wahl zum Präsidenten schien allen Eile geboten.

Vom Kampf um Strom zum Krieg um Energie

Als ich 2013 mein Buch Kampf um Strom schrieb, war ich der festen Überzeugung, dass es in Sachen Energiewende – endlich! – nicht mehr um das »Ob«, sondern künftig nur noch um das »Wie« ginge. Man diskutierte über die Details, vor allem über das Tempo, mit dem die Wende umgesetzt werden konnte: Wie schnell können wir auf erneuerbare Energien umstellen? Wie schnell können wir Speicherungstechnologien entwickeln? Wie schnell können wir auf saubere E-Mobilität umsatteln? Die Energiewende selbst war beschlossene Sache.

Natürlich bäumten sich schon damals die Verlierer der neuen Energiewelt vehement gegen den offensichtlichen Konsens auf. Schon damals beschworen sie düstere Blackout-Szenarien und die soziale Verelendung ganzer Schichten herauf, sahen einen Kosten-Tsunami auf die Gesellschaft zurollen und Deutschland schon bald im internationalen Wirtschaftsabseits stehen. Nichts davon war berechtigt. Nichts davon ist eingetreten.

Trotzdem sind die alten Argumente immer noch da. Schlimmer noch: Sie sind wieder erstarkt. Und das Allerschlimmste: Plötzlich geht es wieder um das »Ob«.

Während die weltweiten CO2-Emissionen auf Rekordniveau sind und die globale Erwärmung unaufhaltsam weiter voranschreitet, während die Atommüllberge wachsen und die Endlagerfrage ungeklärt bleibt, während der Wettlauf mit der Zeit gegen den Klimawandel unerbittlich weitergeht, die geopolitischen Risiken zugenommen haben und der Kampf um fossile Res­sourcen an Schärfe gewonnen hat, wird plötzlich wieder darüber gestritten, ob die Energiewende eine Fehlentscheidung ist. Ob es den Klimawandel wirklich gibt und ob er überhaupt anthropogen ist, der Mensch also einen Einfluss darauf hat. Das Diskussionsniveau, jahrelang von Experten aus Wissenschaft und Politik überall auf der Welt mühsam erkämpft, sinkt auf ein unfassbar niedriges Level. Quasi unter die wissenschaftliche Gürtellinie.

Klimaschutzwird alsüberflüssigerSchnickschnack betrachtet. Das in alle Sprachen der Welt entlehnte Wort »Energiewende« ist zum Schimpfwort geworden. Wissenschaftler werden der Hysterie bezichtigt. Amerikanische Klimaforscher fürchten um ihre Forschungsergebnisse und bringen ihre über Jahrzehnte ge­sammelten Daten auf internationalen Großrechnern in Sicher­heit.

Währenddessen schwelen hinter den rhetorischen Kulissen geopolitische Konflikte um fossile Ressourcen, und es werden erbitterte Machtkämpfe um das alte Kapital geführt. Dem fossilen Imperium ist der globale Klimaschutz vollkommen egal.

Die fossilen Energieriesen profitieren sogar vom globalen Kon­sens in Sachen Energiewende: Während alle annehmen, dass die energiepolitische Bühne längst der Nachhaltigkeit gehört, nutzen sie die Euphorie und den Applaus als perfekte Ablenkung, um im Hintergrund unbemerkt die fossilen Strippen zu ziehen. Viele konnten oder wollten sich nicht vorstellen, dass angesichts der sinkenden Preise für Energie aus erneuerbaren Quellen, angesichts der rasanten technologischen Fortschritte und der bereits manifesten Klimawandelfolgen sowie noch dro­henden globalen Erwärmung irgendjemand ernsthaft auf die Idee kommen könnte, die Weichen wieder auf fossile Energien umzustellen.

Und doch ist genau das eingetreten. Selbst dem zuversichtlichsten Optimisten ist inzwischen klar: Es gibt allen Grund zum Pessimismus. Eine der letzten Amtstaten von Präsident Barack Obama war es, einen Artikel im angesehenen wissenschaftlichen Wochenmagazin Science zu veröffentlichen. Darin wendet er sich explizit an Trump und seine Regierung, erläutert Punkt für Punkt die globale Erwärmung und ihre Folgen, erinnert an die Notwendigkeit von globalem Klimaschutz und unterstreicht die wirtschaftlichen Chancen der erneuerbaren Energien. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der scheidende US-Präsident nimmt sich in seiner allerletzten Woche im Weißen Haus die Zeit für einen Fachartikel und versucht, seinem Nachfolger den Klimawandel zu erklären. So etwas passiert nicht ohne Not. Ein Albtraum!

Kein Wunder, dass meine amerikanischen Kolleginnen und Kollegen aus Wissenschaft und Forschung um ihre Arbeit bangen! Kein Wunder, dass die Welt sich um die Zukunft des Planeten sorgt!

Frau an den Herd, Kohle in die Heizung?

Während sich die Menschen weltweit vor dem Klimawandel fürchten und Maßnahmen zum Klimaschutz befürworten, beißen die Rottweiler hinter den Kulissen unbemerkt die Welpen weg, verteidigen die alten Pfründe und nehmen Einfluss auf die alles entscheidenden Weichenstellungen für die nächsten Energiejahrzehnte. Kohleenergie wird subventioniert, neue Kohlekraftwerke werden gebaut, obwohl sie sich nicht mehr rechnen und immer mehr Investoren ihr Geld aus den fossilen Energien abziehen. Sogar der Bau neuer Atommeiler wird genehmigt, ob­­wohl keine Bank der Welt mehr einen Kredit dafür gibt, ohne dass massive Subventionen gezahlt werden müssen. Die Ablenkungsmanöver des fossilen Imperiums sind so geschickt, dass sie das eigentlich Offensichtliche verschleiern: Es geht nicht um den Klimaschutz, sondern um den Überlebenskampf der Wirtschaftswelt von gestern.