Das fremde Land - Eduard Breimann - E-Book

Das fremde Land E-Book

Eduard Breimann

4,8

Beschreibung

Eduard Breimann versteht es in seinem Roman, ein immer noch heikles Thema, das heutige Problem mit den Zwangsarbeitern des letzten Weltkriegs in Deutschland, auf eine unter die Haut gehende Weise, spannend und anrührend darzustellen. Der Roman beleuchtet Vergangenheit und Gegenwart, das Leben in Russland, wie auch die Verwicklungen, die durch das Eintreten einer Schüler-Projektgruppe für eine zügige Entschädigung, in einer rheinischen Kleinstadt ausgelöst werden.-

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Eduard Breimann

Das fremde Land

Universal Frame

Eduard Breimann

Das fremde Land

Roman

Universal Frame

Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

All rights reserved

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie

der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen.

Das Kopieren für private Zwecke ist erlaubt.

Copyright © 2007

Neu durchgesehene Ebook-Ausgabe © 2010

Verlag Universal Frame GmbH, Zofingen

www.universal-frame-verlag.ch

ISBN 9783905960105

„Woda! – Woda! – Woda!“ Die Rufe, das unaufhörliche Flehen um Was-ser, waren in den letzten zehn Minuten leiser geworden. Für die Soldaten, die mit geschulterten Gewehren den langen Güterzug umkreisten, waren sie nicht mehr zu hören.

Sie spürte schmerzhaft die Wunden an der Schläfe; das Blut pochte und im Mund war der Geschmack nach Erbrochenem. In ihrem Kopf vermischte sich der Chor der jammernden Frauen und Kinder mit der leisen – und doch drängenden – Stimme von Wladimir zu einem unsinnigen Lautsalat; sie war zu schwach, um nach dem Sinn der Worte zu forschen. Nur ihren Namen, den hörte sie – aber er war so ohne Bezug; sie war gar nicht sicher, ob es ihr Name war.

„Angela, kleine Aja. Bleib wach, hol tief Luft. Meine arme Aja.“

Ihr Kopf lehnte an den Gitterstäben und der Blick war auf einen ein-zigen Punkt gerichtet – schon so lange, wie der Zug hier in der Gluthitze hielt.

Apathisch, wie sie, lagen, hockten und standen mehr als vierzig Frauen um sie herum. Sie glaubten nicht mehr an Hilfe, hofften nicht einmal mehr auf einen Becher Wasser.

Nur eine nicht. Sie war es, die nicht aufgab, beständig den Ruf Woda ertönen ließ. Wie bei jedem der drei Aufenthalte, bei denen die Loko-motive Wasser aufnahm, drängte sie sich vor und schrie ihr Verlangen laut, unüberhörbar, den Wachmannschaften zu. Sie stand dicht neben ihr und verschaffte sich auf rüde Art mit den knochigen Ellenbogen Platz. Jetzt war aber auch bei ihr nur noch ein heiseres Flüstern zu vernehmen. Nur ihre Wut, die Verachtung gegenüber ihren Mitgefangenen, die war aus jedem Wort, das sie ausstieß, hörbar.

„Weg! – Zhopolis! Verschwindet, ihr Arschkriecher! – He! Du da! Ja, du! Oder bist du ein Pidaras? Ha! Homos sind bei euch ja verboten. Also! Komm näher. Was willst du haben für einen Eimer Wasser? Willst du mich anfassen?“

Sie schrie ihr Angebot in russischer Sprache, heiser und mit sich überschlagender Stimme. Der fette Mann auf dem Holzpodest stierte sie regungslos an. Sie wartete, dann fluchte sie los: Lobotrjass! Padla!

„Hoffentlich versteht er sie nicht“, flüsterte Wladimir. „Solche schlim-men Worte habe ich im Dorf nie gehört.“

Der Mann bewegte sich nicht. Im Waggon war es fast völlig still geworden; nur ein Mädchen, hinten im Waggon weinte. Schließlich wiederholte die Frau ihre Fragen in holprigem Deutsch.

„Das ist so eine … eine Dawalka“, flüsterte eine andere Frau hinter Ajas Rücken. „Sie treibt’s mit jedem.“

Der Soldat stand starr unter dem Vordach des polnischen Bahnhofs. Über seinem Kopf baumelte ein verdrecktes Schild mit dem Namen des Ortes.

Weiter rechts konnte Aja Befehle hören, die mit harten Stimmen gebrüllt wurden. In der Ferne rauschte es; die Wasserbehälter der Lokomotive wurden aufgefüllt, wie bei jedem Halt.

Sie drückte den Kopf an die Gitterstäbe, spürte das rostschorfige Metall an ihren Wangen. Jeder Platz am Gitter war belegt. Die Gesichter der Frauen lagen zwischen den Stäben, ihre Münder und Nasen sogen die heiße Luft ein. Hier war sie noch am besten, auch wenn sie geradezu glühte; die Mittagssonne stand direkt über dem Waggon.

Sie hatte Glück gehabt, daß sie den Platz bekommen hatte. Aber auch nur, weil Wladimir, ihr kleiner Freund und Beschützer, die Frauen ange-schrieen und mit seinen winzigen Fäusten um sich geschlagen hatte, als sie bewußtlos wurde. Da hatten sie widerwillig und murrend Platz gemacht. Wladimir war so zart, schwächer noch als sie, aber mit seinen blitzenden Augen und seiner klaren Stimme hatte er sie beeindruckt.

„Sie ist ein Kind!“, hatte er geschrieen und sie hatte im Wegdämmern gedacht, daß es nicht stimmte, daß es schon längst nicht mehr stimmte.

Weiter hinten im Waggon stank es nach Urin und Kot. Die Luft nahm ihnen den Atem, ließ die dicht gedrängt stehenden Frauen und Kinder fast ohnmächtig werden. Nur wenn sie an einem der kleinen Bahnhöfe hielten, wurde die Schiebetür vor dem Gitter geöffnet.

Während der halben Stunde, die der Zug in diesem polnischen Dorf hielt, beobachtete sie der Wachposten unaufhörlich, mit starrem Blick, schaute nur weg, wenn er trank.

Und er trank oft; in gleichmäßigen Abständen. Alle paar Minuten nahm er das Glas von der Fensterbrüstung und tauchte es in den Eimer, der neben ihm stand. Sie hörten, wie das Wasser gurgelte, wenn es ins Glas stürzte – und im selben Augenblick stöhnten alle Frauen auf.

Der Soldat hob das Gefäß vor sein Gesicht, betrachtet es genüßlich. Aja zählte die Tropfen, die auf die Holzplanken fielen und konnte den Blick nicht einmal wegnehmen, wagte kaum zu blinzeln.

„Fünf“, dachte sie. „Fünf kühle Wassertropfen“. Und spürte die fest kle-bende, brennende Zunge.

Der Mann legte den Kopf zurück, blickte in den bleigrauen Himmel, trank langsam, bis das Glas leer war. Ohne hinzusehen, stellte er es zurück auf die Fensterbank. Mit dem Ärmel wischte er sich die Nässe vom Mund und rülpste.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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