Die schwarze Katze - Eduard Breimann - E-Book

Die schwarze Katze E-Book

Eduard Breimann

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Beschreibung

Eduard Breimann erzählt uns von Mördern, Asylanten, Scheinheiligen und Folterern, aber auch von alltäglichen Beziehungen, alten und jungen Menschen, wie du und ich, immer mit einem Realismus der unter die Haut geht. Diese beste Gegenwartsliteratur spiegelt die Welt in der wir heute leben schattenlos wieder und nimmt uns mit rührender, intensiver Wehmut gefangen.Eduard Breimann wurde in Aachen geboren, wuchs im Münsterland auf und lebt seit vielen Jahren in einer rheinischen Kleinstadt. Als Informatiker war er lange Zeit in einem Großunternehmen tätig. Seine Leidenschaft galt schon immer dem Schreiben: ständig als Journalist für Zeitungen und Zeitschriften, dann als kenntnisreicher Historiker und Autor von drei Bänden über regionale Geschichte. Es folgten zahlreiche Kurzgeschichten, preisgekrönt, in Anthologien und schliesslich in zwei Sammelbänden veröffentlicht, in denen Probleme des heutigen Lebens einfühlsam dargestellt, Schwierigkeiten des Miteinanders und die Existenz von Außenseitern geschildert werden. Im Frühjahr 2007 erschien mit "Das fremde Land" sein erster Roman, in dem das Schicksal ehemaliger Zwangsarbeiter in Deutschland, während der Kriegszeit und bei einem heutigen Besuch in Deutschland, in anrührender Weise dargestellt wird. Mit "Das Projekt Hannibal" erreicht er ein neues Niveau seiner literarischen Tätigkeit und reiht sich ein in die Riege lesenswerter Thriller-Autoren.-

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Eduard Breimann

DieschwarzeKatze

Kurzgeschichten

Universal Frame

All rights reserved

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2004

Verlag Universal Frame GmbH, Zofingen

www.universal-frame-verlag.ch

ISBN9783905960112

Inhalt
Die schwarze Katze
B-Zelle
Das Glück später Erinnerung
Außer-sich-selbst
Anstand und Sitte
Im Fluss der Zeit
Was kostet die Wahrheit?
Eine ganz normale Reise

Die schwarze Katze

„Ob sie's wieder in Betrieb nehmen? Schlecht wär's nicht. Dann hört das mit den Pennern wenigstens auf. Aha! Deshalb haben die alle kaputten Fenster erneuert. Klar doch!“

Das Hotel „Weißer Schwan“ war schon lange nicht mehr in Betrieb, aber Inga konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, als hier Tag und Nacht gut gekleidete Menschen ein-und ausgingen und laute, bunte Feste gefeiert wurden. Ständig waren große Wagen vorgefahren und zahllose Taxis warteten geduldig auf Passagiere. Männer und Frauen, mit Aktenkoffern an der Hand, gingen zu Kongressen und Seminaren – das übliche Hotelleben eben.

Damals, 1995, als sie hier in Köln-Raderberg bauten, hatte keiner geglaubt, dass das einmal vorbei sein würde.

Das Haus sah aus wie für die Ewigkeit geschaffen und für alle Zeiten dazu verpflichtet, ein Hotel zu sein. Unzählige, versteckt angebrachte Lampen leuchten in der Dunkelheit das Haus an, das selber mit tausend erleuchteten Fenstern zurück strahlte. Es lebte und pulsierte, dieses prächtige, vierstöckige Haus aus der Zeit der Jahrhundertwende mit dem grandiosen Säulenein-gang und der geschwungenen Freitreppe.

Inga und Fred hatten damals oft sehnsüchtig zum Eingang rübergeschaut, der mit sandfarbenem Baldachin und rotem Teppich einladend wirkte. Aber das Geld war knapp gewesen – sie hatten alles ins Haus gesteckt. Ein Getränk in so einem teuren Haus, ein Essen gar – nein, das wäre ihnen wie eine Sünde erschienen.

Zwei Jahre später, ‚aus heiterem Himmel’, wie Fred sagte, war dann alles vorbei. Der Tod des Hotels kam für Außenstehende überraschend.

„Dabei passte es so gut zu unserem erstklassigen Wohn-gebiet“, sagte Fred bedauernd. „Bestimmt kauft das so'n reicher Scheich auf. Denen gehört ja schon halb Deutschland.“

An einem Samstagabend gingen die Lichter hinter den Fenstern nicht an, öffneten sich die Tür nicht und alle Taxis waren verschwunden. Am folgenden Montag verluden sie das Inventar und danach blieb die Eingangstür geschlossen.

Den Baldachin hatten die Möbeltransporteure abgebaut, aber den roten Teppich hatten sie liegen gelassen; er war wohl zu fadenscheinig, und eines Tages war er einfach verschwunden.

Die grauen Mauern mit den toten, gardinenlosen Fenstern wirkten wie ein übergroßes Monument, wie ein Denkmal für die Menschen, die hier früher ein und ausgegangen waren. Nur langsam gewöhnte man sich an die Stille, die das Haus von diesem Tag an umgab.

Heute, während sie Möhren wusch, Mayas Fragen beantwortete und auf die Musik im Radio lauschte, musste sie an diese Zeit denken, denn seit ein paar Minuten tat sich etwas vor dem alten Hotel. Ein Möbelwagen hielt vor dem Eingang und Männer in grünen Latzhosen liefen geschäftig hin und her.

Weitere Möbelwagen kamen um die Ecke, standen in einer Schlange – ‚Wie früher die Taxis’ , dachte Inga – wartend vor dem Haus. Die Eingangstür zur großen Halle wurde geöffnet und mit Keilen festgestellt. Die Kommandorufe der Männer, denen breite Trageriemen von den Schultern hingen, konnte man durchs Küchenfenster hören; Inga vergaß ihre Möhren und schaute dem Treiben zu.

„Ich will eine Katze zum Geburtstag, Mama.“

„Das Hotel ist verkauft. Es wird tatsächlich wieder eröffnet. Verstehe nur nicht, wieso die gar nicht renoviert haben. Ob ich da was verpasst habe? Fred wird sich jedenfalls freuen“, dachte Inga zufrieden.

„Mama!“

„Erstens heißt das, ‚Ich möchte!’, und zweitens gibt es keine Katze zum Geburtstag, liebe Maya“, sagte sie in dem Ton, der festlegte: „Keine weitere Diskussion!“

„Nur eine kleine schwarze Mieze, bitte!“

„Schluss! Auch keine kleine schwarze Miezekatze. Ich will kein Tier im Haus haben.“

„Na ja, das scheint aber höchstens ein Einsternehotel zu werden. - Mein Gott! Was für ein kunterbuntes, billiges Mobiliar“, dachte sie.

„Wenn ich das Fred erzähle! Endlich mal was, das ich eher weiß als er.“

Sie war „Nurhausfrau“, wie ihr Mann immer wieder spöttisch bemerkte. Damit entschuldigte er in Diskussionen ihre ‚einsamen Standpunkte’, ihre Art sich auszudrücken, ihre Ansicht über politische Themen. „Nehmt's ihr nicht übel, das ist die Sicht einer Nurhausfrau! Ha-ha!“, sagte er verzeihend und tätschelte ihre Arme.

Sie überhörte das meistens, obschon ihr manchmal die Wut hochschoss. Sie ließ sich höchstens zu einem saft-und kraftlosen „Na und?“ hinreißen, aber das höhnische Gelächter hörte sie noch Stunden später, wenn sie schon enttäuscht und wütend im Bett lag.

Die fachkundig schwätzenden Kollegen und Kolleginnen lachten amüsiert über Freds Worte, hörten ihr fortan nur noch mit einer gnädigen, herablassenden Miene zu.

Ihre knabenhafte Figur, der kurz geschnittene, sehr dunkle Bubikopf und ihre mandelförmigen Augen gaben ihr einen rassigen, leicht exotischen Anstrich. Sie war hübsch und steckte die Spötteleien ihres Mannes über ihre flachen Brüste umso leichter weg, als sie die geilen Blicke seiner Kollegen bemerkte.

„Dabei ist sie gar nicht so dumm“, erklärte Fred. „Hat ihr Abi mit Bestnoten gebaut, eine Banklehre gemacht – auch mit besten Abschlussnoten – und so weiter. Da sieht man mal wieder, was Ausbildung wert ist. Die lernen nichts, was wirklich wichtig ist.“

Das nahm ihr dann endgültig das Lächeln aus dem Gesicht und schnitt ihr die Luft ab.

„Meine Frau geht nicht mehr arbeiten! Ich kann meine Familie alleine ernähren. Ich will Kinder und eine Frau, die sie zu guten, anständigen Menschen erzieht, die wissen, was Gehorsam und Ordnung ist“, hatte er bald nach der Hochzeit erklärt und sie hatte ihre Stelle ohne Protest gekündigt.

Fred hatte es in den wenigen Jahren ihrer Ehe geschafft, sie still und zurückhaltend zu machen. Er war der Herr im Haus und sie seine Befehlsempfängerin, das hatte sie zu Beginn der Ehe klaglos akzeptiert – und das ärgerte sie heute mehr als alle Beleidigungen.

Als Fred zum Essen kam, luden die Packer immer noch Möbel ab, schleppten Betten, Matratzen und Schrank-teile ins Hotel. „Hast du gesehen, Fred? Sie eröffnen das Hotel wieder.“

„Quatsch! Wer sagt das denn? Vermutest du einfach, was? Weißt du’s denn noch nicht? Ihr Hausfrauen wisst doch sonst alles, was sich in der Siedlung tut. Hat die Buschtrommel noch nichts erzählt?“

„Sei bitte nicht so! Warum willst du mich immer beleidigen? Was ist mit dem Hotel?“

„Kann man dich beleidigen? – Hotel! Hotel! Das ist es ja, was mich so wütend macht.“

„Was hast du damit zu tun?“

„Was ich damit zu tun habe? Du naives Gänschen! Wir - wir alle haben damit zu tun! Asylanten besetzen den ‚Weißen Schwan’! Achtzig Asylanten ziehen da ein!“

„Mit Hotelbetrieb? Küche? Kellner? Musik? Tanzaben-den?“, entfuhr es ihr - und sie lächelte dabei.

„Ach, Quatsch. Du machst immer alles lächerlich, weil du nichts begreifst. Es ist mein voller Ernst. Achtzig schwarze Asylanten ziehen da ein. Du bekommst ab sofort Anschauungsunterricht zum Thema Leben, Treiben und Vermehren von schwarzen Naturvölkern - und das unmittelbar vor der eigenen Haustür. Sie sollten das Hotel umbenennen in ‚Schwarzer Schwan’ oder ‚Neuafrika’.“

„Das können die doch nicht machen, Fred. Köln-Rader-berg ist doch eine gute Wohngegend – hier wohnen nur anständige Leute.“

„Anständige Leute! Ha! Die fragen uns nicht. Sie machen es einfach. Da sind Kriminelle und Drogendealer dabei, da kannst du sicher sein. Und das ist erst der Anfang. Angeblich sollen da noch mehr Schwarze einquartiert werden; Räume haben sie ja genug.“

„Schwarze Katzen, Mama?“

„Nein, Maya, keine schwarzen Katzen. Papa meint was anderes.“

„Was hat die Kleine denn?“

„Sie will unbedingt eine schwarze Katze zum Geburtstag.“

„Kommt nicht infrage! – Angeblich treiben die's sogar auf der Straße. Kannst du dir vorstellen, Inga, wie das hier in einem Jahr aussieht?“

„Tun das alle Katzen, Papa?“

„Was? Was meinst du?“

„Machen die Pipi auf der Straße, Papa?“

„Was? Ach, halt den Mund, Maya. Mama und Papa unterhalten sich über wichtige Sachen. Da musst du still sein – hast du gehört?“

„Aber du hast gesagt, die schwarzen Katzen machen was auf der Straße.“

„Nicht die Katzen. Papa hat was anderes gemeint. Hör' endlich auf mit deinen Katzen! Du bekommst keine! Schluss! Wir haben genug andere Sorgen“, seufzte Inga.

„Und erst die Kinder! Voller Läuse und Ungeziefer – sagt man. Die kommen bestimmt in unseren Kindergarten. – Und in unsere Grundschule, Inga.“

„Ich weiß nicht so recht ... Ist das denn alles genehmigt und so?“

„Das werden wir ja sehen! Ich werde das nicht so einfach hinnehmen, dafür kennst du deinen Fred. Warte mal ab; ich höre mal, was die Nachbarn dazu sagen.“

„Du musst aufpassen, Fred! Beschimpf die Leute nicht; nachher sind wir Rassisten, Neonazis oder sonst was Schlimmes. Die werfen uns noch die Scheiben ein.“

„Pass du besser auf Maya auf, dass die da nicht hinrennt!“

„Oh, mein Gott!“

„Du weißt, was du zu tun hast!“

Fred starrte grimmig zum Küchenfenster. Er konnte von seinem Platz aus nur den Fahrstuhl-Motorraum auf dem Dach sehen. Sein kräftiges Kinn mahlte, immer ein Zeichen für große Erregung, wie Inga aus schlechter Erfahrung wusste.

Sein kantiger Schädel mit den zwei Millimeter kurzen, sehr blonden Haaren, den Inga am Anfang mit Charak-terstärke, Festigkeit und Energie gleichgesetzt hatte – seit einiger Zeit allerdings mit Sturheit und Unnachgie-bigkeit –, machte ihr heute Angst. Sie fürchtete seine Gefühls-und Wutausbrüche, die immer unverhofft kamen; dann sahen seine Augen aus wie Gletschereis – graublau, kalt und uralt.

Solange sie ihn kannte, hatte er Misstrauen und Ablehnung gegen alle Fremden gezeigt. Jeden Unbekannten starrte er so lange forschend an, bis der nachgab und sich wegdrehte.

Sie hatte längst begriffen, warum sie keine wirklichen Freunde hatten; nur seine Kollegen und Kolleginnen kamen mal auf ein Bier vorbei. Dabei gab es dann außer Firmentratsch nur ein Thema: Die Asylanten, ihre neuesten Untaten und deren „Abstauberei“ bei Renten-und Krankenkassen. Freds Kollegen waren fast immer geduldige Zuhörer seiner Hasstiraden.

Sie kamen am Mittwoch, früh am Morgen, gerade als sie Maya zur Schule brachte.

Drei Busse hielten vor dem alten Hotel; sie waren voll besetzt mit Menschen aller Hautfarben. Erstarrte Gesichter hingen in den Busfenstern, blickten ohne Regung auf die neugierig zuschauenden Menschen.

Inga sah nur wenige schwarze, dafür viele hell-und dunkelbraune Köpfe – aber alle hatten schwarze Haare. Die Frauen stiegen zuerst aus; Inga hörte Ohrgehänge klimpern und anschwellendes Stimmengewirr, als sie auf das Hotel zu ging. Die Männer in Anzügen, weißen Hemden und Krawatten, zerrten Koffer aus den Bäuchen der Busse.

Maya zögerte, ließ Ingas Hand los und blickte auf einen riesigen Überseekoffer aus Pappe, auf dem ein grünes Krokodil aus Plastik gebunden war. Inga fasste ihre Hand und zog sie weiter.

„Da schaut man nicht hin; die Leute gehen uns nichts an, Maya. Komm, es wird Zeit – du trödelst.“

Jetzt stiegen Kinder aus, Kinder im Kindergarten-und im Schulalter, aber auch einige Jugendliche. Sie standen da, unschlüssig, still, hielten untereinander Abstand, musterten die Nachbarhäuser und Gärten, gingen erst nach Schubsern und lauten Aufforderungen ins Hotel.

Die Fremden waren schwer bepackt; Frauen und Männer trugen Bündel, Koffer und Rucksäcke; Kinder schleppten Kleidungsstücke auf den Armen. Ein Sprachengemisch schlug Inga entgegen, das unentwirrbar schien.

„Wohnen die Leute hier, Mama?

„Ja, die wohnen jetzt hier. Aber du gehst da nicht hin! Hast du gehört? Du spielst mit Tina, Jörg und Harald – wie bisher.“

„Ja, Mama. - Warum?“

„Darum!“

„Nun, Herr Musangamfura, ich habe die Kinder der Klasse 2b bereits vorbereitet. Es dürfte kein Schock für sie sein, wenn ihre beiden ... – wie heißen sie noch?“

„Surija und Laurien. - Es sind Zwillinge.“

„Also, wie gesagt, es dürfte keine besondere Aufmerk-samkeit mehr erregen, wir wollen den Unterricht ja auch möglichst ungestört fortführen.“

„Herr ... – wie war noch Ihr Name?“

„Ach so! Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Entschuldigen Sie. Werner – Harald Werner.“

„Also, Herr Werner, da müssen wir Ihnen ja wirklich dankbar sein für Ihr Feingefühl. Einen Schock wollten meine Kinder durch ihren Anblick sicher nicht verursachen; das wäre ja schrecklich.“

Schulleiter Werner wurde rot, die Ironie war nicht zu überhören gewesen. Er schien verärgert, bedauerte wohl seine misslungene Einleitung. Dann hob er den Kopf – sehr energisch, autoritär sozusagen – sah Jean Musangamfura an und runzelte die Stirn.

„Immerhin sind dies die ersten schwarzen Kinder an unserer Schule. Das erfordert eine gute und sorgfältige Vorbereitung der anderen Kinder. Toleranz ist nicht selbstverständlich, die muss man lernen - und lehren!“

„Ach ja? Toleranz? Weil wir schwarz sind?“

„Ich glaube, Sie wollen mich missverstehen. Sie kommen aus dem ärmsten Teil Afrikas an eine gute Schule in einem zivilisierten Land. Ihre Kinder haben eine andere Hautfarbe – und sie sprechen eine andere Sprache.“

Jean Musangamfura war nicht eigentlich verärgert, das widersprach seinem sanften Wesen; er ging jedem Streit aus dem Wege. Leicht unterwürfig wirkte er auf andere Menschen durch seine große, feingliedrige Gestalt; er ging immer etwas nach vorne gebeugt, als sei das eine vorweggenommene, devote Haltung.

Er hatte, ähnlich wie seine Frau, ein schmales, europäisch wirkendes Gesicht; nur seine Nase war etwas breiter und seine Lippen wulstiger. Die Augen waren es, die seine innere Sanftheit vermittelten; er sah aus wie ein Träumer - und das war er auch, ein Mann, der träumend in seine Heimat flüchtete.

Hier, das wusste er, ging es um seine Kinder, um das, was er mehr liebte als sich selber. Er legte etwas mehr Schärfe, mehr Ironie in seine Worte, als er es sonst tat.

„Ach ja? Das hatte ich nicht bedacht. In unserem Land herrscht Schulpflicht und die Kinder lernen mit sieben Jahren schon französisch. Meine Kinder sind zwar hier geboren, sprechen aber tatsächlich die wunderbare alte Tutsi-Sprache, Kinyarwanda, und außerdem selbstverständlich die zweite Amtssprache Französisch – dank meiner Frau.“

„Oh, ich wusste nicht ...“

„Natürlich. Da ich in Deutschland Germanistik studiert habe - und an der Universität in Butare Deutsch lehrte, sprechen sie auch fast akzentfrei Deutsch. Wenn das alles allerdings ein Problem für Ihre Schule ist ...“

„Nein, nein, entschuldigen Sie – ich wusste nicht ... äh ... ich wusste nur, dass Sie Asylant sind – mehr nicht, Herr – Herr Professor.“

„Das macht den Unterschied? Nun, ich hoffe, dass die Kinder hier trotzdem gut aufgehoben sind. Sie sehen ja“, sagte er, und zeigte sanft lächelnd auf seine Kinder, „sie sind sauber, ordentlich angezogen – und sie haben weder Läuse noch Flöhe.“

Surija und Laurien standen still im Hintergrund; sie hatten das Gespräch aufmerksam und ohne eine Regung verfolgt. Sie waren hübsch, in der Art, die von vielen Menschen mit “Ach, sind die niedlich!“, bedacht wurde. Sie mussten einem gefallen, mit ihren schmalen, braun-schwarzen Gesichtern, den wunderschön gekräuselten Haaren, in die bei Surija kleine gelbe, grüne und rote Perlen geknüpft waren, die Farben ihres Landes.

Laurien hatte die kugelrunden, verträumten Augen seines Vaters geerbt; wie gebannt schaute er auf den Mann, mit dem sein Vater sprach – aber seine Gedanken waren weggelaufen, aus dem Raum heraus, beschäftigten sich mit dem Lärm, der vom Schulhof zu hören war. Er freute sich auf die Spiele mit den neuen Kameraden.

Surija blickte am Schulleiter vorbei und beobachtete die Spatzen, die sich im Baum vor dem Fenster zankten. Ihre Augen waren schmal, fast geschlitzt. Ihr Gesicht bekam dadurch etwas Katzenhaftes – und geschmeidig wie eine Katze bewegte sie sich auch.

„Wie deine Mutter siehst du aus“, sagte ihr Vater oft. „So wie du schaust, so hat sie immer über die Savanne geblickt, war versunken in etwas, was wir nur ahnen konnten; vielleicht hat sie die Geister unserer Ahnen gesucht, die ihr Vater für sie in die heißen Felsen gezaubert hat.“

Sie waren beide klug – und immer fluchtbereit; Surija mehr als Laurien. Sie hatten den Sinn des Gespräches sehr wohl verstanden, die versteckten Abgrenzungen begriffen.

Im herunter gekommenen Lager in Köln-Chorweiler, in dem sie lange leben mussten, hatten sie die Anfeindun-gen der kurdischen, bosnischen und deutschen Anwohner, die Ablehnung und die Angriffe der weißen Lager-insassen, immer wieder ertragen müssen. Sie hatten sich zurückgezogen in ihre schützenden Räume und unbegrenzten Träume.

Schulleiter Werner lächelte freundlich. Man merkte ihm seine Unruhe an; er wollte offensichtlich das Gespräch beenden, aber dann fiel sein Blick auf einem Spickzettel, auf dem er das Stichwort „Religionsunterricht!!“ notiert hatte.

„Noch eine Frage, Herr Professor. Ihre Kinder haben sicher einen landestypischen Glauben, den wir hier nicht vermitteln können. Wie sollen wir das halten?“

„Oh ja“, sagte Jean Musangamfura, „unsere Kinder haben einen landestypischen Glauben, wie fast siebzig Prozent der Hima – so heißt übrigens unser Volk. Wir sind Christen, katholische Christen. Wir glauben an Gott und seine Güte. Meine Kinder sind darin erzogen worden, dass sie den Nächsten achten, wie sich selbst.“

„Aha! Da sieht man mal, wie wenig man über fremde Völker weiß, Herr Professor. – Ich bin für Mathematik zuständig, ansonsten ...“ Er stand auf und zeigte zur Tür. „Nun ja. Ich glaube, es ist alles geklärt? Ich bringe die Kinder jetzt in die Klasse zu Frau Gerber.“

Jean Musangamfura küsste Surija und Laurien und strich ihnen über die Köpfe. „Macht es gut, Ihr Lieben. Ich wünsche euch viele Freunde.“

Surija und Laurien hatten eigentlich nur Freunde. Die Kinder sortierten sich ein, wie andere, weiße Kinder, es auch getan hätten.

Laurien war sofort - vom ersten Tag an - mitten drin. Er ging auf die anderen Jungen zu, sprach sie an, hielt ihnen seine rosaweißen Innenhände entgegen, grinste und zeigte seine weißen Zähne; das brachte alle zum Lachen.

Er tobte während der Pausen über den Schulhof, prügelte sich am zweiten Tag mit einem kräftigen Jungen aus der Nachbarklasse, verlor und steckte die blutende Nase klaglos weg; er spielte gerne Fußball, konnte einen tollen Hackentrick vorführen und rannte schneller als alle anderen. Er fand seine Freunde, mit denen er Spiel, Spaß und Freude teilte; es gab bittere Tränen und überschäumendes Lachen – es war eben alles ganz normal.

Surija betrachtete in den Pausen aufmerksam das Treiben, lächelte die Mädchen vorsichtig an - und lachte manchmal laut auf, wenn ihr ein Spiel der Kinder sehr gefiel. Sie ging nicht auf sie zu, fragte nicht, ob sie mitspielen dürfte oder willkommen wäre. Maya hatte Surija am ersten und zweiten Tag heimlich beobachtet; am dritten Tag, während der großen Pause, ging sie auf die Neue zu.

„Ich bin Maya. Willst du mit mir spielen? Ich hab’ Poke-mon-Karten! Hast du auch welche? Können wir vielleicht tauschen?“

Surija hatte keine, aber das war nicht wirklich wichtig. Maya zog sie mit zu den anderen und sie gehörte dazu.

Surija spielte mit ihnen Fangen, Seilchenspringen, Hüpfkästchenspiel und all die anderen typischen Mäd-chenspiele.

Die Klassenlehrerin, Frau Gerber, ein mütterlicher Typ, die noch nie einen Unterschied in der Hautfarbe gesehen hatte, sprach auch nie darüber.

„Es gibt Kinder in meiner Klasse, die sind zehn Zenti-meter größer als der Durchschnitt, Herr Werner. Soll ich die durchschnittlich großen Kinder jetzt um Toleranz bitten, weil die großen Kinder beim Spielen immer etwas ungelenker sind?“, sagte sie zum Schulleiter, als der nach ihren ersten Erfahrungen mit den Neuan-kömmlingen fragte und den Grad der Tolerierung ab-fragte. „Bei welchem äußerlichen Merkmal muss ich um Toleranz bitten?“

Surija und Laurien waren gut im Unterricht, passten sich an und fielen kaum auf; niemand sprach über Schwarz oder Weiß.

Maya erzählte ihrer Mutter erst nach zwei Wochen, während sie ihre Schularbeiten machte, dass sie eine neue Freundin hätte, die anderen wären doof.

„Kenn ich die? Wie sieht sie denn aus?“

„Die ist schwarz, Mama. Und sie heißt Surija. Und ihr Bruder ist auch in unserer Klasse; der heißt Laurien.“

„Wie bitte? Sind die beiden etwa hier aus dem Hotel?“

„Ja. Das ist toll, oder? Die wohnen genau gegenüber; da können wir auch nachmittags zusammen spielen.“

„Das geht nicht, Maya! Das sind Asylanten; sprechen die überhaupt richtig deutsch?“