Das Geheimnis der Kuriositäten - C.S. Poe - E-Book

Das Geheimnis der Kuriositäten E-Book

C.S. Poe

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Beschreibung

Das Leben meint es gerade gut mit Sebastian Snow. Das "Imperium" läuft besser denn je und seine Beziehung zum NYPD-Mordkommissar Calvin Winter ist schöner, als er sich je hätte wünschen können. Der Valentinstag naht und alles, woran Sebastian denken kann, ist, wohin er Calvin ausführen soll. Doch diese Pläne werden erst einmal auf Eis gelegt, als ein Unbekannter das Fenster des "Imperium" einschmeißt und eine seltsame Nachricht hinterlässt. In Windeseile lässt sich Sebastian in eine Reihe furchtbarer, aber augenscheinlich unzusammenhängender Morde verwickeln. Das Einzige, das die schrecklichen Taten verbindet, sind Kuriositäten aus dem verschollenen Museum von P. T. Barnum. Trotz Calvins Versuchen, Sebastian von den Ermittlungen fernzuhalten, wird schnell klar, dass jemand diese Rätsel hinterlässt, damit Sebastian die Mordfälle löst. Doch mit jedem Hinweis, der ihn dem Mörder näherbringt, verstrickt er sich immer mehr in Calvins Cold Cases. Auf einmal sind es nicht nur Sebastians Arbeit und Beziehung, die in Gefahr sind, sondern sein Leben.

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Seitenzahl: 331

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C. S. Poe

Das Geheimnis der Kuriositäten

Snow & Winter Band 2

Aus dem Englischen von Simone Richter

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2023

http://www.deadsoft.de

© the author

Titel der Originalausgabe: The Mystery of the Curiosities 

Übersetzung: Simone Richter 

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© arybickii – stock.adobe.com

© neirfy – stock.adobe.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-611-1

ISBN 978-3-96089-612-8

Inhalt

Das Leben meint es gerade gut mit Sebastian Snow. Das Imperium läuft besser denn je und seine Beziehung zum NYPD-Mordkommissar Calvin Winter ist schöner, als er sich je hätte wünschen können. Der Valentinstag naht und alles, woran Sebastian denken kann, ist, wohin er Calvin ausführen soll. Doch diese Pläne werden erst einmal auf Eis gelegt, als ein Unbekannter das Fenster des Imperium einschmeißt und eine seltsame Nachricht hinterlässt.

Für Magan.

Kapitel 1

Der Dienstagmorgen begann damit, dass ein Ziegelstein durch das Schaufenster des Imperium flog.

In den ersten Sekunden danach war es komplett still. Das einzige Geräusch, das zu hören war, war das leise Rieseln des Regens an diesem kalten Februarmorgen. Zum Glück erinnerte sich in dem Moment mein Herz daran, weiterzuschlagen, und das leise Babumm, Babumm, Babumm vibrierte in meinen Ohren. Ein paar übrig gebliebene Scherben Glas fielen aus dem Fensterrahmen und landeten auf dem Holzboden. Der Lärm des New Yorker Verkehrs durchbrach die Ruhe in meinem gemütlichen, kleinen Laden.

»Was zum Teufel?«, rief Max. Er wollte gerade an mir vorbeilaufen, doch ich hielt ihn an den Schultern fest.

»Sei vorsichtig«, warnte ich ihn und deutete auf die Keramiktasse, die mir vor Schreck aus der Hand gefallen war, als die Fensterscheibe zerbrochen war.

Max machte einen großen Satz über den Scherbenhaufen und lief die Stufen, die zum Kassenbereich führten, hinunter. Er gestikulierte wild und zeigte auf das Fenster. »Was zum Teufel?«, fragte er noch mal.

Das wollte ich allerdings auch wissen. Langsam bahnte ich mir einen Weg zum Fenster und beäugte die Szenerie. Überall lagen Glassplitter auf dem Boden und es regnete hinein. »Kannst du mir ein paar Mülltüten aus dem Büro holen?«

»Das Glas wird dich schnei…«

»Nur um sie über die Auslagen zu legen, bevor die Schaustücke nass werden. Geh schon.«

Max lief los in Richtung Büro.

Ich kniff mir in den Nasenrücken, schob dabei meine Brille nach oben und nahm einen tiefen Atemzug. Was für ein Start in die Woche. Ich ging zur Tür, öffnete sie und trat in den trüben Morgen hinaus. Regentropfen schlugen gegen meine Brillengläser und durchweichten meinen Pullover. Mein Atem bildete weißen Nebel vor meinem Gesicht und ich sah die Straße hinunter, als würde der Vandale einfach herumhängen und darauf warten, gefasst zu werden.

Ein Pärchen, das ein paar Meter weiter Geld in einen Parkautomaten einschmiss, warf meinem Fenster schockierte Blicke zu, und ein Mann, der seinen Hund Gassi führte, nahm ihn auf den Arm, um den Glassplittern auf dem Boden zu entgehen.

Max breitete die Mülltüten über unseren Waren im Schaufenster aus. »Hat jemand auch noch einen Penis auf unsere Tür gesprayt?«, rief er mir zu.

»Nein«, antwortete ich, bevor ich wieder reinging. »Wieso?«

»Um es uns richtig zu geben. Soll ich die Sachen vom Schaufenster wegräumen?«

Ich zog mein Handy aus der hinteren Hosentasche. »Warte kurz. Lass mich erst mal ein paar Fotos machen, bevor wir irgendetwas bewegen.« Schnell schoss ich ein paar Bilder von dem Fenster und dem Boden, bevor ich ihm bedeutete, anzufangen.

Als ich zurücktrat, bemerkte ich einen Ziegelstein im Raum. Ich ging hin, bückte mich und hob ihn auf. Jemand hatte ein Gummiband darumgewickelt. Mein Handy legte ich neben mich auf den Boden, drehte den Ziegelstein um und bemerkte ein gefaltetes Stück nassen Papiers auf der anderen Seite

Verdammt. Es gab einfachere Wege, mich zu kontaktieren. Jemand hatte da etwas Großartiges namens Telefon erfunden. Selbst eine Brieftaube wäre besser gewesen. Die hätte mir zwar alles vollgeschissen, wäre dann aber wieder verschwunden. Eine Taube war kein Grund für eine Anzeige, Papierkram für die Versicherung oder eine Begegnung mit meinem Vermieter, der jetzt sicherlich rüberkommen würde, um sich den Schaden anzusehen.

Ich zog das Gummiband ab und entfaltete das Papier. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, als ich anfing die Worte zu lesen, aber es war garantiert nicht Folgendes: Ich weiß, dass du Mysterien magst.

»Was machst du da?«, fragte Max.

Schnell warf ich einen kurzen Blick über meine Schulter. »Da hat jemand einen Zettel am Ziegelstein befestigt.«

»Was steht drauf?«

»›Ich weiß, dass du Mysterien magst‹.«

»Wer, ich?«

»Nein, das ist die Nachricht«, erwiderte ich und wedelte mit dem Papier. Ich griff nach meinem Handy und stand auf. Meine Knie knackten und ächzten, als wäre ich ein alter Mann und nicht einfach nur ein unsportlicher 33-Jähriger. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Max wie versteinert war. »Alles in Ordnung?«

»Das ist jetzt aber nicht wieder so etwas wie an Weihnachten, oder?«

Duncan Andrews hatte mir die Weihnachtszeit gehörig versaut. Er war es, der meinen ehemaligen Chef umgebracht, mich belästigt, verfolgt und auf Detective Calvin Winter geschossen hatte.

»Nein«, sagte ich bestimmt und schüttelte den Kopf. »Duncan vergnügt sich derzeit in seinem orangenen Overall.«

»Was ist, wenn es sich um einen Trittbrettfahrer handelt?«

»Poe hat nie Ziegelsteine in Antiquitätenläden geworfen. Es ist okay, wirklich.«

Max machte sich daran, das Schaufenster zu räumen, während ich bei der Polzei anrief, um eine Anzeige wegen Vandalismus aufzugeben.

Nach einem Telefonat mit meinem Vermieter Luther North, bei dem er mich wegen des Fensters angemotzt hatte, als hätte ich jemanden dafür bezahlt, den Ziegelstein zu werfen, betraten zwei Polizeibeamte den Laden.

»Sind Sie versichert, Mr. Snow?«, fragte einer der Polizisten. Er hatte sich als Officer Lowry vorgestellt und erinnerte mich unangenehm an Neil: selbe Statur und Haarschnitt, ähnliche Gesichtszüge und gut aussehend. Zum Glück gab es zwischen den beiden aber keine Verbindung.

»Ja, mein Vermieter ist gerade schon auf dem Weg hierher«, antwortete ich. Durch das offene Fenster zog ein kalter Wind und mir fröstelte, als ich die Arme verschränkte.

Die Polizistin, die mit Officer Lowry gekommen war, lächelte und zeigte auf mich. »Ich war vor zwei Monaten schon mal hier.«

»Wie bitte?«

»Als ein Schweineherz unter Ihrem Fußboden gefunden wurde.«

»Oh.« Ich nickte und versuchte, mich davon abzuhalten, einen Blick über meine Schulter zur besagten Stelle zu werfen. »Diesmal gibt es hier keine Organe.«

Sie lachte. »Das ist schon mal gut.«

Lowry, der damit beschäftigt war, sich Notizen zu machen, stellte mir noch ein paar Fragen. Hatte ich in letzter Zeit verärgerte Kunden? Hatte ich irgendwelche Drohungen erhalten? Ich verneinte. Dieser Vorfall erschien mir wie komplett aus dem Nichts gekommen. Als ob jemand einfach das falsche Fenster erwischt hatte. Wenn da nicht die Nachricht wäre …

Ich weiß, dass du Mysterien magst.

»Moment, bevor ich es vergesse«, sagte ich abrupt. »Um den Ziegelstein war ein Zettel gewickelt.« Ich holte das zusammengefaltete Papier aus meiner Pullovertasche. »Hier.«

Die Polizistin nahm es mir ab. »Haben Sie eine Idee, was das bedeuten soll?«

»Nicht wirklich«, gab ich zu und zuckte mit den Schultern. »Außer, die Person, die mein Fenster eingeworfen hat, verurteilt mich für meine Buchvorlieben.«

Unter anderem.

Sie gab mir den Zettel zurück. »Wir werden im Laden gegenüber fragen, ob ihre Überwachungskamera etwas aufgenommen hat, das uns weiterhilft. Allerdings sollten Sie sich bewusst sein, dass die Chance, den Täter zu schnappen, sehr gering ist.«

»Habe ich mir gedacht«, sagte ich. »Trotzdem würde ich es gerne probieren.«

Gerade, als die Polizisten gehen wollten, kam Luther herein. Er sprach kurz mit den Beamten an der Tür, bevor er sich seinen Weg zu mir bahnte. Sein dicker Bauch verschob ausgestellte Stücke, als er sich daran vorbeibewegte. Max lief hinter ihm her, um alles sofort wieder zurechtzurücken.

»Sebastian«, fing Luther an und klang etwas außer Atem. »Was ist passiert?«

»Genau das, was ich Ihnen schon am Telefon geschildert habe, Mr. North. Jemand hat einen Ziegelstein durch das Fenster geworfen.«

»Wieso?«, fragte er und zog ein paar Taschentücher aus seiner Manteltasche, um sich damit das Gesicht abzutupfen.

»Leider habe ich nicht daran gedacht, zu fragen«, antwortete ich.

»Schon wieder eine neunmalkluge Antwort. Und zuvor war da dieser gruselige schwule Junge! Der sitzt im Knast, oder?«

»Jepp.«

Luther hörte kurz auf, sich mit den Taschentüchern über das Gesicht zu fahren. »Äh … nichts gegen Schwule.«

»Mein fragiles Ego ist noch heile. Mr. North, es regnet in meinen Laden rein. Wie schnell können wir das Fenster reparieren lassen?«

»Oh! Also, Sebastian, das ist nicht so einfach. Ich muss erst mal einen Antrag an die Versicherung stellen.«

»Dem sie stattgeben und dessen Forderung sie bezahlen muss. Vandalismus einer unbekannten Person lohnt keine Ermittlungen.«

»Stimmt, aber das wird trotzdem ein paar Tage dauern.«

»Es regnet rein«, wiederholte ich für den Fall, dass er es nicht mitbekommen hatte.

»Ich kann eine Plane drüberhängen.«

»Das wird Menschen nicht davon abhalten, hier nachts einzusteigen.«

»Deshalb haben Läden normalerweise Metallgitter vor den Fenstern«, meinte Luther, als hätte ich daran noch nicht gedacht.

»Natürlich. Aber ich habe Bücher hier, die teilweise fünftausend Dollar wert sind. Wenn die gestohlen werden oder kaputtgehen …«

»Ich schicke gleich meine Jungs her, damit sie ein paar Bretter anbringen«, murrte Luther. »Zufrieden?«

»Zufrieden bin ich, wenn ich ein neues Fenster habe.«

Ich wollte meinen Tag nicht damit verbringen, zerbrochenes Glas aufzuheben, nass gewordene Antiquitäten zu trocknen und mir Frank Sinatras sexy Stimme anzuhören, während Luthers Arbeiter das Ganze mit dem Nageln von Brettern auf den leeren Fensterrahmen übertönten. Doch genau so lief es ab. Und ich war nicht erfreut darüber.

Meine Erklärung, wie viel die Antiquitäten wert waren, ließ Luther auf Abstand bleiben und seine Männer persönlich überwachen. Wahrscheinlich sollte ich mich geschmeichelt fühlen.

Anschließend den Laden mit solch einer „kugelsicheren“ Sicherheitskonstruktion zu verlassen, machte mich nervös. Nicht, dass man mir einen Vorwurf machen könnte.

Ich war müde, als ich nach Hause kam, die Schuhe auszog und meinen Mantel hinter mir auf den Boden fallen ließ, während ich mich in Richtung Küche bewegte. Außerdem war ich grantig. Mein Kopf pochte immer noch im Rhythmus des Gehämmers, das ich den ganzen Tag hatte ertragen müssen.

Ich holte ein Bier aus dem Kühlschrank, öffnete es und nahm einen tiefen Schluck. Als ich noch mal von meiner Flasche trank, krallte ich mir die Speisekarte meines Lieblingslieferanten und überlegte, was ich zum Abendessen wollte. Gerade hatte ich mich für das süß-saure Hähnchen entschieden und war dabei, abzuwägen, ob ich lieber Dim Sum oder gebratenen Reis als Beilage wollte, als jemand an meiner Tür klopfte. Ich hob den Kopf und lauschte, als ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde und die Tür langsam aufging.

Danke, Gott.

Ich eilte meinem Besuch entgegen. »Hey. Es tut gut, dich zu sehen.«

Calvin lächelte mich an und schloss die Tür hinter sich. »Bist du gerade erst heimgekommen?«

»Vor ein paar Minuten. Ich dachte, du schaffst es heute nicht, vorbeizukommen.«

»Willst du, dass ich wieder gehe?« Er schmunzelte.

»Versuch’s gar nicht erst.«

Er zog seinen Mantel aus und hängte ihn auf. »Wie war dein Tag?«, fragte Calvin und trat auf mich zu. Er nahm mein Gesicht zwischen seine großen Hände, beugte sich herab und küsste mich auf den Mund.

»Jetzt ist er besser«, murmelte ich und küsste ihn ebenfalls. »Hast du Bösewichte geschnappt?«

»Na klar«, sagte er und fuhr mit seinen Fingern durch mein Haar. »Geht’s dir gut?«

»Kopfschmerzen. Die letzten Stunden habe ich damit verbracht, mir eine Hammer-Symphonie in e-Moll anzuhören.«

»Wie bitte?«

»Jemand hat heute mein Schaufenster eingeworfen.«

»Du machst Witze.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nope. Hat einen Ziegelstein geworfen. Mein Vermieter hat das Fenster mit Brettern zunageln lassen. Sieht richtig elegant aus.«

Calvin strich mit seinen Händen über meine Schultern. »Das tut mir leid, Baby.«

»Geht schon klar. Mir sind schon schlimmere Dinge passiert.« Ich zog ihn an seiner Krawatte zu mir herunter. »Komm her, ich bin noch lange nicht fertig mit dir.«

Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit und seine warmen Lippen drückten sich auf meine. Calvins Küsse schmeckten nach zu Hause. Zumindest wenn zu Hause den Geschmack von Kaffee, Zimt und etwas Männlichem hatte. Die letzten paar Tage hatte ich ihn nicht gesehen und ich verzehrte mich förmlich nach ihm, wenn wir mal nicht zusammen waren. Nichts konnte diese Leere füllen, außer Calvin selbst.

Wir hatten kurz vor dem neuen Jahr angefangen, offiziell zusammen zu sein. Es war absolut perfekt und beängstigend zugleich. Er war perfekt.

Sanft fuhr ich mit meinen Händen unter seine offene Anzugjacke und strich sie ihm von den Schultern. Calvin warf sie auf die Couch und entfernte sich nur kurz von mir, um sein Schulterholster zu öffnen und es samt Waffe abzulegen, bevor er mich am Hinterkopf packte und wieder an sich zog. Er küsste mich lange und innig.

Dann fing mein Magen plötzlich an, zu knurren. Ich erstarrte und Calvin lachte leise gegen meine Lippen.

»Sei still«, sagte ich liebevoll.

Er sah mir in die Augen und grinste mich an. Sanft streichelte er mir mit seinem Daumen über die Wange. »Lass uns erst etwas essen.«

Mein Gesicht errötete, als ich einen Schritt zurücktrat. »Die Bedürfnisse meines Magens sind nicht so wichtig wie die meines Schwanzes.«

»Glaub ich dir«, sagte Calvin schmunzelnd und lief trotzdem an mir vorbei in die Küche. »Chinesisch?«

Verdammt. Wenn Calvin heute noch nichts gegessen hatte, was bei ihm leider öfter vorkam, wenn er tief in seiner Arbeit steckte, dann war meine Chance auf einen Quickie gleich null.

»Hast du gegessen?«, fragte ich und folgte ihm in die Küche.

»Noch nicht.«

Calvin studierte die Speisekarte, während ich mich mit den Händen in der Hosentasche gegen den Türrahmen lehnte und ihn einfach nur ansah. Obwohl wir jetzt schon eineinhalb Monate zusammen waren, fühlte sich das manchmal noch richtig surreal an. Ab und zu hatte ich das Gefühl, dass meine Sehkraft weiter nachließ, und dann musterte ich ihn doppelt intensiv, als ob ich sichergehen wollte, dass er nicht nur meiner Fantasie entsprungen war und sich jederzeit in Luft auflösen könnte. Aber Calvin war echt. Echt und mein.

Als ich Calvin kennengelernt hatte, war es wirklich schwer für mich gewesen, anzunehmen, dass er mein Seelenverwandter war. Alle um uns herum hatten darauf beharrt, dass wir nie zusammen sein würden, und das war der reinste Albtraum für mich gewesen. Ehrlich gesagt, hatte der Gedanke mir das Herz gebrochen. Das hörte sich wirklich verdammt dramatisch an, aber letztes Jahr hatte es einen Moment gegeben, in dem ich nicht gewusst hatte, wie ich weiterleben sollte, ohne Calvin zu lieben. Ein Schuss veränderte so einiges. Vor allem hatte er mir bewusst gemacht, wie kurz und wertvoll das Leben eigentlich war. Das Erlebnis hatte Calvin den Mut zu einem Coming-out gegeben. Nicht nur gegenüber seiner Familie, die ihn direkt verstoßen hatte. Aus den Herzen und den Häusern. Er war ehrlich gegenüber seiner Polizeipartnerin Quinn Lancaster, gegenüber meinem Vater und generell der ganzen Welt. Ich wusste, dass ihm das eine wahnsinnige Angst gemacht haben musste. Aber er hatte es für uns getan.

»Starrst du mich an?«, fragte Calvin, sah aber nicht von seinem Flyer auf.

Ich blinzelte und straffte mich. »Natürlich tue ich das.«

»Und wieso?«

»Weil du schön bist.«

Er lachte auf und warf mir einen kurzen Blick zu. »Ich bestelle. Was willst du?« Calvin holte sein Handy aus der Hosentasche.

»Hähnchen süß-sauer.« Ich trat in die Küche und legte von hinten meine Arme um ihn. Meine Stirn drückte ich gegen seinen Rücken und ich schloss die Augen, als ich Calvin dabei zuhörte, wie er mit dem Restaurant telefonierte. »Hoffentlich sagt mir mein Glückskeks, dass ich heute Abend Glück in der Liebe haben werde«, murmelte ich, als er auflegte.

Er lachte und legte sein Handy weg. »Da würde ich mir keine Gedanken machen.«

Obwohl der Tag so beschissen angefangen hatte, hätte er kein besseres Ende haben können: günstiges Essen, ein paar Bier und einen klassischen „Buster Keaton“-Film mit Calvin auf der Couch. Ich mochte Schwarz-weiß-Filme. Sie waren für mich einfacher anzusehen. Moderne Filme mit ihren Massen an Farben und Abstufungen überwältigten mich oft. Außerdem fand ich, dass Stummfilme nicht genug geschätzt wurden. Keaton war wesentlich talentierter als die meisten modernen Schauspieler und mir war es egal, wie alt und spießig mich das klingen ließ.

Ich setzte mich in den Schneidersitz und balancierte mein Essen auf meinem Knie. Nachdem ich meine Essstäbchen auseinandergebrochen hatte, fing ich an, mich mit Hühnchen und Reis vollzustopfen.

»Wie heißt der Film?«, fragte Calvin und deutete auf den Bildschirm.

»Sherlock Jr.«, antwortete ich zwischen zwei Bissen. »Ist einer meiner Lieblingsfilme.«

»Natürlich ist er das.«

»Ärgere mich nicht.«

Calvin lachte leise und nahm ein paar Bissen. Bei ihm bedeutete das, dass gleich seine halbe Portion weg war. Dann fragte er: »Also, was ist das für eine Geschichte mit dem Ziegelstein?«

»Der Ziegelstein«, grummelte ich missmutig. »Irgendein Arschloch hat übersehen, dass ich ein Handy habe.«

»Was?«

Mit meinen Stäbchen wedelte ich in der Luft herum, während ich fertig kaute. »Sorry. An dem Ziegelstein war eine Nachricht festgemacht.« Ich drehte mich leicht, um Calvin in dem gedimmten Licht der Wohnung anzusehen, und realisierte, dass ich seine volle Aufmerksamkeit hatte. »Oh, oh.«

»Oh, oh?«

»Du bist gerade innerhalb einer Sekunde von Calvin zu Detective Winter mutiert.«

Er runzelte die Stirn. »Was beinhaltete die Nachricht?«

Ich lehnte mich nach vorn, um mein Abendessen auf den Couchtisch zu stellen, bevor ich den Zettel aus meiner Hosentasche holte, ihn auffaltete und Calvin hinhielt. »›Ich weiß, dass du Mysterien magst‹.«

Calvin nahm mir das Stück Papier aus der Hand und bekam einen ernsten Gesichtsausdruck, als er es studierte. »Du hast das bei der Polizei angezeigt, richtig?«

»Jepp.«

»Hast du von der Nachricht erzählt?«

»Habe ich. Die hat das nicht sonderlich interessiert.«

Er gab mir den Zettel zurück. »Klingt persönlich.«

»Kann sein.« Ich legte das Papier auf den Tisch, bevor ich mich zu Calvin drehte. »Aber was soll das heißen? Ich meine, ich lese Christopher Holmes’ Mysterien. Na und?«

»Und Christie, Doyle, English …«

»Na gut, na gut. Ich lese einen Haufen Krimis. Ich weiß.«

Calvin legte seine Hand auf mein Knie. »Sonst ist aber nichts Seltsames passiert?«

»Nein.« Ich legte meine Hand auf seine und ließ meine Finger über seine Knöchel gleiten. »Max hatte aber einen interessanten Gedanken.«

»Und zwar?«

»Dass es ein Nachmacher sein könnte.«

Calvin schüttelte langsam den Kopf. »Nein, das denke ich nicht. Ein Nachmacher versucht in der Regel, die ursprüngliche Straftat zu wiederholen, also hätte die Person dich nicht so direkt angesprochen. Andrews konnte die Welt nicht außerhalb von Poes Werken betrachten. Würde jemand also den Versuch unternehmen, seine Taten zu vollenden, hätte er sich dieselbe Art zu kommunizieren angeeignet.«

»Das habe ich mir auch gedacht«, gab ich zu. »Trotzdem. Ein bisschen komisch ist es schon.«

»Ich erkundige mich morgen mal«, meinte Calvin. »Ich werde nachfragen, ob er irgendwelche Besucher im Gefängnis hatte.«

»Danke, das weiß ich zu schätzen.«

»Na klar, Schatz.« Calvin machte sich wieder daran, sein Essen zu verschlingen, bevor er innehielt. »Versprich mir nur eins …«

Gerade war auch ich dabei, mir meinen Teller wieder zu nehmen, drehte mich aber zu ihm um und sah ihn an. »Was denn?«

»Versprich mir, dass du dich nicht in die Ermittlungen einmischst, falls noch etwas anderes vorfallen sollte.«

»Sehr witzig«, murmelte ich und lehnte mich auf der Couch zurück.

»Ich meine es ernst, Seb.«

»Mir ist sehr wohl bewusst, wer der Detective in dieser Beziehung ist.«

Calvin grummelte.

Die einzigen Mordfälle, die ich momentan versuchte, zu lösen, waren alle fiktiv und geschahen zwischen den Seiten von Taschenbüchern, die ich schon ein dutzend Mal gelesen hatte. Zugegebenermaßen war es spannend gewesen, auch im wahren Leben nach Beweisen und Indizien zu suchen, und ich wusste, dass ich süchtig nach diesem Gefühl werden könnte. Aber letzten Endes war ich einfach nicht für Gewalt gemacht. Der Gedanke, noch einmal einen Schuss abfeuern zu müssen, war genug, um mich davon abzuhalten, irgendetwas Gefährliches zu tun. Jeder hatte seine Stärken und danach sollte man sich richten. Calvin war dafür gemacht, gegen Bösewichte zu kämpfen. Ein Held zu sein, Menschen zu retten und Kriminalfälle zu lösen, war in seiner DNA verankert. Ich hingegen? Ich war ein wandelndes Lexikon. Wenn jemand etwas über die Geschichte von Knöpfen und viktorianischer Trauerkleidung wissen wollte, war ich der richtige Ansprechpartner. Gefälschte Zinndosen zu erkennen, das war mein Ding. Und ich war stolz darauf. Antiquitäten und alles, was dazugehörte, passte wunderbar zu meinem Wesen. Außerdem bedeutete Polizeiarbeit auf Calvins Level, dass man körperlich verdammt fit sein musste, und ich war eher der Typ, der sich ein zweites Stück Kuchen nahm.

Nach Sherlock Jr., schauten wir Buster Keatons Film Cops an, was Calvin mehrfach dazu brachte, laut loszulachen. Gerade waren wir bei Steamboat Bill, Jr. angekommen, als sich die Mischung aus fettigem Essen, Bier und gedimmtem Licht bei mir bemerkbar machte. Erst als ich spürte, wie Calvin mir über den Kopf streichelte, wachte ich wieder auf.

»Willst du ins Bett?«

»Bin ich eingeschlafen?«, fragte ich und gähnte.

»Nur kurz eingenickt.«

Ein paarmal blinzelte ich und setzte mich dann auf. Offenbar hatte ich zum Dösen meinen Kopf auf Calvins Schulter gelegt. Über die Slapstick-Musik hinweg, die vom Fernseher kam, konnte ich starken Regen von draußen hören.

Calvin griff nach der Fernbedienung und schaltete den Film aus. »Na komm.«

Dankbar nickte ich, stand auf und ging ins Bad, um mir die Zähne zu putzen und meine Kontaktlinsen rauszunehmen. Als ich wieder rauskam, hatte Calvin bereits das Licht ausgemacht und die Eingangstür abgeschlossen. Im Schlafzimmer schlüpfte ich in meinen Pyjama, während er sich bettfertig machte.

Wir lebten zwar nicht zusammen, doch Calvin verbrachte das bisschen Zeit, das wir zusammen hatten, in meiner Wohnung. Mein Apartment war größer als seins, aber der ausschlaggebende Punkt war vermutlich, dass es sich wie ein Zuhause anfühlte. Bei mir sah man in allen Winkeln, dass hier jemand lebte, während Calvins Wohnung einem das Gefühl eines Hotelzimmers gab. Nachdem er ein, zwei Abende bei mir verbracht hatte, hatten sich mittlerweile ein paar seiner Kleider in meinen Schrank eingeschlichen. Irgendwie fand ich es immer wieder aufregend, einen seiner Anzüge neben einem meiner alten Pullover zu sehen. Es war eine ständige Erinnerung daran, dass Calvin keine Erfindung meiner Fantasie war. Er war real, er war hier, er war wundervoll und er wollte mit mir zusammen sein.

Ich gähnte noch mal, steckte mein Handy an das Ladekabel an und war gerade dabei, meinen Wecker zu stellen, als Calvin reinkam. Nur kurz schaute ich rüber, als er sein Hemd aufknöpfte und es in meinen Wäschekorb warf. Seine starken Muskeln bewegten sich, als er sich weiter auszog, und mir fiel auf, dass es schon fast eine Woche her war, seit ich meine Finger zuletzt über seine Arme und seinen Rücken hatte gleiten lassen.

Calvin setzte sich auf die rechte Seite des Bettes, seine Seite, bevor er sich zu mir rüberlehnte und einen Kuss auf meinen Nacken drückte. »Leg dich hin«, flüsterte er.

»Wann musst du aufstehen?«, fragte ich, immer noch mit dem Wecker beschäftigt.

»Mach das später«, entgegnete er und streichelte mit seiner Hand meinen Rücken herunter und unter das alte T-Shirt, das ich immer zum Schlafen anzog.

»Alles klar, Major.« Schnell nahm ich meine Brille ab und drehte mich zu ihm um. Er legte sich auf den Rücken und zog mich an meinem Nacken zu sich herunter. Ich beugte mich über ihn und setzte mich auf seine Mitte, bevor ich ihn küsste. Meine Hände wanderten auf seiner nackten Brust auf und ab. Ein elektrisches Gefühl durchjagte mich, als ich seine warme Haut an meiner spürte. Calvins Hände strichen über meinen Rücken, als er mich küsste, und bewegten sich dann immer weiter nach unten, bevor er meinen Hintern in beide Hände nahm.

»Ich will deinen Schwanz lutschen«, raunte er.

»Ehrlich?«, hauchte ich.

Sein Grinsen konnte ich gegen meine Lippen spüren. »Ja, Baby. Komm ein bisschen weiter hoch.«

Ich nickte und setzte mich auf, bevor Calvin mir aus meiner Schlafanzughose half und sie irgendwo in das dunkle Zimmer warf. Meine Knie platzierte ich auf je einer Seite von Calvins Brust und lehnte mich über ihn. »So?«

Als Antwort summte er nur und fing an, mich mit seiner Hand zu bearbeiten. »Sieh dich an. So groß und schön. Ich will deinen ganzen Schwanz in meinem Rachen.«

Zum Glück war es dunkel, ansonsten hätte Calvin sehen können, dass ich rot wurde wie eine Tomate. Er war so sexy und alles, was er sagte, machte mich geil. In letzter Zeit hatte er versucht, mich dazu zu bringen, schmutzige Sachen zu ihm zu sagen, doch auf dem Gebiet hatte ich jämmerlich versagt. Wenn ein heißer und erregter Berg von Polizist einen dazu aufforderte, ihn um seinen Schwanz anzuflehen, dann tat man das. Doch weshalb sollte er mich anflehen?

»Sebastian?«

Ich schüttelte den Kopf. »Was?«

»Ist irgendetwas?«

»Nein.«

»Du bist nicht mehr hart.«

Oh Gott, das war so peinlich. »Es ist nichts, ich … ich fühle mich nur so komisch, wenn ich versuche, schmutzige Dinge zu dir zu sagen.«

Calvin rutschte ein bisschen unter mir hervor und stützte sich auf seine Ellbogen. »Sebastian, du weißt, dass du nichts tun musst, was dir unangenehm ist.«

»Es sind ja nur Worte«, meinte ich.

»Trotzdem. Willst du, dass ich damit aufhöre?«

»Was? Nein, ich liebe es, wenn du das tust«, murmelte ich und fühlte, wie mein Gesicht heiß wurde. Ich nahm seine Hand und führte sie zurück zu meinem Schwanz. »Tut mir leid, ich wollte die Stimmung nicht ruinieren.«

»Alles gut.«

»Können wir es noch mal versuchen?«

In dem leicht fahlen Licht, das durch das Fenster schien, meinte ich, Calvin nicken zu sehen, bevor er sich wieder zurücklehnte. »Komm her.«

Ich lehnte mich über ihn, bis mein Penis gegen seine Lippen stieß. Calvin ließ seine Zunge drübergleiten. Ich schloss meine Augen und genoss das warme, feuchte Gefühl. Ganz leicht fing ich an, meine Hüften zu bewegen.

»So ist’s gut«, raunte er. »Los, fick mein Gesicht.« Mit seinen Händen umfasste er wieder meinen Hintern und zog mich noch näher an sich heran. Er öffnete seinen Mund und umschloss meinen Schwanz, bevor er anfing, an mir zu saugen. »Scheiße«, fluchte ich leise. Ich griff nach seinen Händen und drückte sie über seinem Kopf auf die Matratze. Dort hielt ich sie fest. Ich kreiste meine Hüften und Calvin stöhnte. Ihm dabei zuzusehen, wie er mich bearbeitete, war so verdammt heiß.

Ich ließ eine seiner Hände los und hielt stattdessen seinen Kopf fest. Auch wenn ich mir wahnsinnig unsicher war, wusste ich, dass Calvin wollte, dass ich mit ihm redete. Es konnte ja nicht sein, dass er die ganze Arbeit und ich den ganzen Spaß hatte. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte: »Nimm ihn tiefer.« Ich stieß fester in ihn und er einen tiefen Laut aus.

Mit seiner freien Hand fing er an, seinen eigenen Schwanz im Rhythmus meiner Stöße zu bearbeiten.

Die nasse, heiße Enge von Calvins Mund ließ mich so schnell zum Höhepunkt kommen wie einen unerfahrenen Teenager. Immerhin hatte ich ihn eine Woche lang nicht berührt. Leichter Schweiß breitete sich auf meinem Körper aus und meine Bauchmuskeln spannten sich an, als ich meinen Orgasmus kommen spürte. »Oh Gott … Cal.« Ich ließ auch seine andere Hand los und vergrub nun beide Hände in seinen Haaren. Ich fickte sein Gesicht hart und schnell, als würde mein Leben enden, wenn ich nicht sofort in seinem Mund kam. »Scheiße. Ich …!« In dem Moment verflogen alle Gedanken, die ich hätte fassen können. Es war einfach zu gut. Calvins Mund, seine Zunge, die Hitze zwischen uns … Und dann drückte er einen Finger in mich und ich explodierte. Mein ganzer Körper erzitterte, als Calvin schluckte.

Gerade als ich versuchte, mich etwas aufzusetzen und mich aus seinem durchgefickten Mund zu ziehen, erstarrte er und kam in seiner Hand.

Langsam rutschte ich an ihm herunter und ließ meine Arme unter seine gleiten. Ich hielt ihn fest an mich, als wir uns von diesem Wahnsinnsorgasmus erholten. »Oh Gott«, murmelte ich. »Ich glaube, ich habe meinen Zweitnamen vergessen.«

Calvin lachte tief. »Wo wir gerade dabei sind: Ist dir schon mal aufgefallen, dass deine Initialen SAS sind?«

»Was willst du damit sagen?« Ich hob meinen Kopf, um ihn anzusehen, und strich eine feuchte Haarsträhne aus seiner Stirn.

»Nur, dass es passt. Du bist immer ein bisschen frech«, meinte er grinsend.

»Ja, genau«, lachte ich und rollte mich von ihm herunter, um einmal tief durchzuatmen.

Calvin kicherte, als er sich über mich lehnte und meine Brust küsste. Er griff sich ein Taschentuch vom Nachtschrank und wischte sich ab, bevor er sich auf seine Seite legte.

Ich drehte mich, damit ich gegen seinen Rücken gedrückt war, und legte einen Arm um seine Hüfte. So schliefen wir ein. Zufrieden und glücklich.

Kapitel 2

»Du hättest mich den Wecker stellen lassen sollen.«

»Ich kann nicht glauben, dass ich verschlafen habe.«

»Dein Anzug ist im Schrank.«

»Max ruft bei dir an.«

»Scheiße.« Ich schnappte mir mein Handy und ging aus dem Schlafzimmer. »Bist du schon im Laden?«

»Schon? Es ist neun. Wo bist du, Chef?«

»Tut mir so leid, ich habe verschlafen«, sagte ich und klemmte das Handy zwischen meinem Ohr und meiner Schulter ein, damit ich mir meine Schuhe anziehen konnte.

»Oha, das ist ja noch nie passiert.«

»Weiß ich. Ich bin auf dem Weg.«

»Dann geh ich erst mal Kaffee holen.«

»Gerne.« Wir verabschiedeten uns und legten auf. Mein Handy stopfte ich in die Hosentasche und stieß mit Calvin zusammen, als er gerade aus dem Schlafzimmer kam. »Frühstück?«, fragte ich hastig und schnappte mir meinen Pullover vom Bett.

»Keine Zeit«, erwiderte er, während er sich seine Krawatte band.

Als ich wieder aus dem Schlafzimmer rauskam, stand Calvin bereits an der Eingangstür und knöpfte seinen Mantel zu. Schnell zog ich mir meine Jacke an, schlang mir meinen Schal um und griff nach meiner Tasche. Ich hatte gerade noch genug Zeit, meine Sonnenbrille aufzusetzen, da folgte ich ihm schon nach draußen. Die Tür fiel ins Schloss und ich sperrte zu, bevor wir uns beeilten, die knarzenden Treppen zur Eingangstür runterzulaufen. Gerade als wir das Gebäude verließen, fing es an, zu regnen. Nicht stark, aber genug, um einen kalten Tag zu erwarten.

Calvin überraschte mich, als er mein Gesicht in die Hand nahm, meinen Kopf hob und mich sanft küsste. »Hab einen schönen Tag.«

»Du auch.«

Er lächelte und holte dann seine Autoschlüssel aus der Hosentasche, bevor er den Gehweg runterlief.

Schnell wühlte ich aus meiner Tasche einem Regenschirm, spannte ihn auf und ging dann in die entgegengesetzte Richtung. Ich hatte das Glück, dass das Imperium nur einen kurzen Spaziergang von mir entfernt war, daher musste ich mich nicht auf Taxis oder die U-Bahn verlassen, worüber ich wirklich froh war. Immerhin hatte die Verkehrsgesellschaft schon wieder ihre Preise erhöht. Wer konnte es sich denn da noch leisten, zu pendeln? Und was Taxis anging … Gab es überhaupt einen Menschen auf der Welt, der davon ausging, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, wenn er mit einem Taxi im Berufsverkehr unterwegs war? Um Menschen herumzulaufen, die gelassen spazieren gingen oder am Handy spielten, war das geringere Übel.

An einer Straßenecke, kurz vor dem Imperium stand ein Mann namens Henry, der unter einem großen Regenschirm stand und kostenlose Zeitungen an Passanten verteilte. In den drei Jahren, die ich nun hier arbeitete, hatte er noch keinen schlechten Tag gehabt. Er war immer gut drauf und hatte für jeden ein Lächeln übrig. Außerdem redete er viel und gerne; daran merkte man, dass er ein wahrer New Yorker war.

»Mr. Snow«, sagte er mit einem breiten Grinsen. »Sie sind zu spät!«

»Leider«, lachte ich und nahm die Zeitung an, die er mir hinhielt.

»Haben Sie heute Ihren Partner nicht dabei?« Henry hatte Calvin ein einziges Mal getroffen und seitdem fragte er jeden Tag nach ihm. Man könnte fast meinen, dass er ein bisschen mehr in ihn verliebt war als ich.

»Er ist auch zu spät«, erklärte ich und begann, mich von ihm zu entfernen.

Henry machte ein schnalzendes Geräusch mit seiner Zunge und schüttelte den Kopf. »Arbeiten Sie nicht zu viel.«

»Sie auch nicht«, rief ich ihm zu und winkte ihm mit der Zeitung, bevor ich weiter in Richtung Imperium eilte. Vor dem Schaufenster blieb ich stehen, schloss meinen Regenschirm und erstarrte. Direkt vor der Tür lag ein Ziegelstein. Genau der gleiche wie der, der gestern durch das Fenster geworfen worden war.

»Na endlich«, rief Max mir zu.

Ich drehte mich um und sah ihn mit zwei Kaffeebechern in der Hand über die Straße auf mich zulaufen. Als er vor mir stand, setzte er seine Kapuze ab.

»Morgen«, sagte ich abwesend.

»Dir auch einen guten Morgen. Du musst ja eine Wahnsinnsnacht gehabt haben.«

»Was?« Ich schaute auf und sah ihn an.

Er grinste schief und hatte ein freches Funkeln in den Augen. »Kann es sein, dass ein gewisser, rothaariger Detective bei dir war?«

Mein Blick fiel wieder auf den Boden.

»Alles okay?«

Mit einer Hand zeigte ich auf den Ziegelstein. »War der schon hier, als du angekommen bist?«

Max folgte meinem Blick. »Ähm … ich denke, nicht, nein.«

»Nein?«

»Ich kann mich nicht erinnern, ihn gesehen zu haben.«

Nervös ging ich in die Hocke. Um mich herum prasselte der Regen auf den Bordstein. Ich hob den Ziegelstein auf und stellte fest, dass die Unterseite komplett trocken war.

»Wann hat es angefangen, zu regnen?«, fragte ich Max und sah auf.

»Vor fünfzehn Minuten vielleicht.«

»Aber noch nicht, als du heute Morgen zum ersten Mal hier warst?«

»Nein«, sagte er. Er verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere und schien beunruhigt. »Bist du dir sicher, dass hier nichts Unheimliches im Gange ist?«

»Sicher«, log ich und stand auf. Den Stein hatte ich immer noch in der Hand. Ich hielt ihn Max hin, der ihn mir abnahm und ihn ansah, als würde er ihn gleich beißen. Daher beeilte ich mich, die Tür aufzuschließen.

Also, jemand hatte diesen Stein hier zwischen dem Anruf, den ich von Max erhalten hatte, und dem Zeitpunkt abgelegt, in dem wir beide wieder hier waren.

Mit einer Hand wollte ich die Tür aufdrücken, stellte aber schnell fest, dass mich ein Widerstand von Innen davon abhielt. Kurz darauf erklang das Geräusch unserer Alarmanlage und ich fluchte leise. Ich hatte nur ein paar Sekunden Zeit, sie auszuschalten, bevor sie wirklich laut wurde. Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen die Tür und konnte das Geräusch von Steinen hören, die aneinanderschlugen. Nachdem ich einen Spalt geschaffen hatte, durch den ich mich zwängen konnte, stolperte ich fast. War der Boden heute höher als gestern? Das war seltsam.

Ich hielt mich an der Wand fest, lehnte mich über die Alarmanlage, tippte den richtigen Code ein und wartete auf das Blinken der hellgrauen Leuchte, bei der man mir gesagt hatte, dass sie grün wäre, bevor ich einen tiefen Seufzer ausstieß.

»Was zum Teufel ist hier los?«, fragte Max.

»Keine Ahnung«, gab ich zu und glitt wieder durch den Spalt nach draußen. Mit Schwung schaffte ich es, die Tür ganz aufzustoßen. Es ertönte ein lautes Kratzen auf meinem schönen, antiken Parkett. Es war Zeit, das so selten benutzte Licht im Laden anzuschalten. Ich zuckte kurz, als es um mich herum hell wurde, und kniff die Augen zusammen.

Max murmelte neben mir: »Das ist so krank.«

Ich zwang mich, ein Auge zu öffnen, und sah mich um. Nachdem ich meine Sonnenbrille aufhatte, war es mir möglich, die Ziegelsteine zu sehen. Sie waren überall. »Was zur Hölle?«, flüsterte ich.

Langsam beugte sich Max runter und legte den Stein in seiner Hand auf den Boden. Als er wieder aufstand, konnte ich ihn schlucken hören. Dann lachte er nervös. »Wenn sie doch nur gelb wären.«

»Was?«

»Folge dem gelben Ziegelsteinweg.«

»Und wo führt der graue Weg hin?«, fragte ich, bevor ich den Laden betrat.

»Seb, warte. Vielleicht sollten wir die Polizei rufen.«

Die Steine wackelten unter meinen Füßen, als ich vorsichtig drüberlief. Vor dem ersten Schaufenster blieb ich stehen und sah mich einmal zu beiden Seiten um. Die Ziegelsteine reichten bis zum Ende des Raumes, wo die Hintertür und unsere Karten waren. Mein Weg führte mich in den Gang rechts von mir und Richtung Kassentresen. Die Ziegelsteine führten sogar über die Stufen und verliefen auch über den erhobenen Teil des Ladens.

»Seb?«, rief Max, der immer noch vor der Tür stand.

»Ja? Warte kurz.« Vorsichtig tänzelte ich über die Steine zum Tresen. Ein Ziegel lag neben unserer großen Kasse mit einem Gummiband drum. Ich hob ihn hoch, drehte ihn um und zog das Papier raus, das unter dem Band befestigt war. Mein Herz raste, als ich es entfaltete. Es sah aus wie ganz normales Papier aus einem Notizblock. Nichts Spannendes oder Ausgefallenes. In der Mitte des Zettels stand ein Wort: Neugierig?

»Und es wird immer kurioser«, murmelte ich zustimmend.

»Du bist so ein Technikfeind, Seb«, murmelte Max, als er sich über mich beugte, um an den Computer in meinem Büro zu kommen.

»Calvin hat das alles eingerichtet. Ich hätte nie gedacht, dass ich wirklich mal das Material einer Überwachungskamera durchforsten muss, um einen verrückten Bodenleger zu schnappen.«

Nachdem letzten Dezember bekannt geworden war, dass Duncan Andrews es irgendwie geschafft hatte, an meine Schlüssel zu kommen und sich Kopien anfertigen zu lassen, um unbemerkt in das Imperium und meine Wohnung einzubrechen, hatte Calvin darauf bestanden, dass mein Überwachungssystem auf den neusten Stand gebracht werden sollte. Es nahm automatisch alles auf und lud es auf einen Server hoch, damit ich es mir jederzeit ansehen konnte. Ich hatte zwei Kameras installiert: Eine hinter der Kasse und eine über der Eingangstür, damit auch ein paar der teureren Produkte zu sehen waren.

Max jagte durch das Material von letzter Nacht und unsere Augen waren gebannt auf den Bildschirm gerichtet. Wir warteten darauf, herauszufinden, wer eingebrochen war. Kurz nach vier Uhr nachts ging eine Kamera aus und wir sahen nur noch Schwarz. Dann folgte die zweite.

»Warte, was …?« Ich wedelte wild mit der Hand. »Was ist passiert?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Max und spulte zurück. »Es ist schwer, zu … Was ist das? Wurden die Linsen übermalt?«

Hastig stand ich auf und ging zu unserem Tresen rüber. Die ganze Zeit stolperte ich fast über Ziegelsteine. Ich schnappte mir die Leiter, die in einer Ecke stand, befreite einen Teil des Bodens von den Steinen und kletterte auf die Leiter, um die Kamera zu begutachten. Mit einem Finger wischte ich über die Linse und fing dann an, leicht mit meinem Fingernagel drüberzukratzen. »Sprühdosenfarbe vielleicht?«

»Willst du mich verarschen? Ich komm mir vor wie in einem Hollywoodfilm.«

Ich wischte meinen Finger an meinem Pullover ab und kletterte die Leiter wieder runter. »Niemand ist durch die Eingangstür gekommen, also müssen sie hintenrum eingebrochen sein.« Ich stemmte meine Hände in die Hüften und runzelte die Stirn. »Aber wieso ist der Alarm nicht losgegangen?«

Max zuckte mit den Schultern. »Wie viel Zeit hat man denn, bevor die Sicherheitsfirma kontaktiert wird?«

»Nicht genug, um hier hochzuklettern und die Kameras zu besprühen.« Nachdenklich sah ich Max an und holte mein Handy raus. »Kurz nach vier, stimmt’s?«

Er nickte und ich rief die Sicherheitsfirma an. Der Mann am Apparat beharrte darauf, dass bei ihnen nichts angekommen wäre.

»Wir haben den Videobeweis, dass jemand letzte Nacht hier war und die Kameras mit Farbe besprüht hat.«

»Das verstehe ich, Mr. Snow«, antwortete der Mitarbeiter. »Aber unser System arbeitet normal. Es gibt keine Fehler und keinerlei Indizien, dass jemand letzte Nacht das Gebäude betreten hat. Die letzte Aktivität, die hier verzeichnet ist, besagt, dass die Anlage gestern Abend um 18:23 Uhr aktiviert …«

»Ja, da bin ich gegangen.«