Das Geheimnis von Nevermore - C.S. Poe - E-Book

Das Geheimnis von Nevermore E-Book

C.S. Poe

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Beschreibung

Es ist Weihnachten in New York City und der Antiquar Sebastian Snow hat nur zwei Wünsche: sein Geschäft erfolgreich zu führen und seine Beziehung zu dem ungeouteten CSU Detective Neil Millett zu retten. Doch als in Snows Antiquarisches Imperium eingebrochen und ein Herz unter den Fußbodendielen gefunden wird, kann Sebastian nicht anders, als dem Mysterium auf den Grund zu gehen. Schon bald besteht sein Alltag aus Mordermittlungen, die mit den makaberen Geschichten von Edgar Allen Poe zusammenhängen, und seine Verstrickung in den Fall droht seiner Beziehung zu Neil den Garaus zu machen. Als wäre das nicht kompliziert genug, fängt Sebastian auch noch an, Gefühle für den leitenden Detective der Mordkomission, Calvin Winter, zu entwickeln. Sebastian und Calvin müssen zusammenarbeiten, um das Geheimnis der literarischen Morde aufzudecken, und zwar bevor Sebastian zum nächsten Opfer wird. Während die Gefahr immer größer scheint, und die sexuelle Anziehung zu Calvin immer intensiver, hat Sebastian auf einmal zwei neue Wünsche: lebendig aus diesem Schlamassel herauszukommen und mit Calvin glücklich zu werden. Band 1 der Snow und Winter Reihe

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C. S. Poe

Das Geheimnis von Nevermore

Snow & Winter Band 1

Aus dem Englischen von Simone Richter

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2021

http://www.deadsoft.de

© the author

Titel der Originalausgabe: The Mystery of Nevermore

Aus dem Englischen von  Simone Richter

Widmung der Übersetzerin:

Für Nico, meine Lieblingszwiebel

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Vulp – shutterstock.com

© Reinhold Leitner – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-482-7

ISBN 978-3-96089-483-4 (epub)

Inhalt:

Es ist Weihnachten in New York City und der Antiquar Sebastian Snow hat nur zwei Wünsche: sein Geschäft erfolgreich zu führen und seine Beziehung zu dem ungeouteten CSU Detective Neil Millett zu retten. Doch als in Snows Antiquarisches Imperium eingebrochen und ein Herz unter den Fußbodendielen gefunden wird, kann Sebastian nicht anders, als dem Mysterium auf den Grund zu gehen.

Schon bald besteht sein Alltag aus Mordermittlungen, die mit den makaberen Geschichten von Edgar Allen Poe zusammenhängen, und seine Verstrickung in den Fall droht seiner Beziehung zu Neil den Garaus zu machen. Als wäre das nicht kompliziert genug, fängt Sebastian auch noch an, Gefühle für den leitenden Detective der Mordkomission, Calvin Winter, zu entwickeln.

Sebastian und Calvin müssen zusammenarbeiten, um das Geheimnis der literarischen Morde aufzudecken, und zwar bevor Sebastian zum nächsten Opfer wird.

Während die Gefahr immer größer scheint, und die sexuelle Anziehung zu Calvin immer intensiver, hat Sebastian auf einmal zwei neue Wünsche: lebendig aus diesem Schlamassel herauszukommen und mit Calvin glücklich zu werden.

Widmung

Für Josh, den Meister des Mysteriösen.

Kapitel Eins

Da war etwas faul. Und das nicht im übertragenen Sinne. Etwas stank, als würde es verrotten.

»Scheiße«, murmelte ich leise vor mich hin. Ich stand in der Tür meines Antiquariats und hielt mir die Nase zu. Tupperware. Es musste ein altes Mittagessen sein.

Es war ein winterlicher, trüber Dienstag in New York City und wir waren nur zwei Wochen von Weihnachten entfernt. Durch heftige Schneefälle war die ganze Stadt schon um 7 Uhr morgens weiß bedeckt, was einen eher unheimlichen und dämpfenden Effekt hatte. Ich war extra früh in meinen Laden, Snows Antiquarisches Imperium, in Downtown Manhattan gekommen, weil ich mich um neu erworbene Ware kümmern wollte. Stattdessen tropfte nun geschmolzener Schnee von meinem Mantel auf die Fußmatte und ich versuchte, herauszufinden, woher dieser wahnsinnig furchtbare Gestank kam.

Ich hängte schnell meine Jacke und meinen Hut auf, schlüpfte aus meinen Stiefeln und in meine schon etwas abgenutzten Loafer. Dann fuhr ich mir mit den Fingern durch meine widerspenstigen Haare und strich ein paar Falten an meinem Pullover glatt, während ich durch die kleinen, vollgestopften Gänge wanderte. Hier und da hielt ich kurz an, um eine alte Lampe anzumachen, bevor ich wieder dem Geruch folgte. Das Leuchten der Lampen war gedämpft, was den Laden wie eine kleine Höhle erscheinen ließ.

Als ich beim Tresen angekommen war, auf dem eine alte Kasse aus Messing stand, stieg ich ein paar Stufen hinauf auf die erhöhte Verkaufsfläche und ließ meinen Blick durch das Geschäft schweifen. Hier roch es sogar noch schlimmer. Ich griff in meine Pullovertasche und tauschte meine Sonnenbrille gegen eine Lesebrille mit schwarzen Rändern aus. Als ich die Schreibtischlampe neben mir anschaltete, zuckte ich kurz zusammen und sah schnell zur Seite. Grübelnd starrte ich die Tür zu meiner Rechten an, die etwas offen stand. Es war eine winzig kleine Kammer, die als Büro diente. Es gab einen Computer, einen Tisch und einen Minikühlschrank für alle Fälle. Stank vergessenes Thai-Essen wirklich so schlimm?

Ich trat ein, öffnete den Kühlschrank und roch zögerlich an ein paar Menüboxen. Okay, ich sollte dringend sauber machen, aber nicht mal der halb aufgegessene Burrito war die Ursache des Geruchs.

Auf dem Weg zurück zur Kasse stöhnte ich laut auf, als ich mich umsah. Etwas musste gestorben sein. Vielleicht eine Ratte? Ich zuckte bei dem Gedanken zusammen, womöglich ein Nagetier aus New York City in meinem Laden zu finden, ging aber trotzdem in die Hocke und fing an, Boxen und Tüten beiseitezuschieben, um nach der vermeintlichen Ratte zu suchen.

Ein sanftes Klingeln wies mich darauf hin, dass die Tür geöffnet wurde. »Guten Mor… Was ist das für ein Geruch?« Mein Assistent Max rief nach mir. »Sebastian?«

»Hier drüben«, murrte ich.

Max Ridley war ein lieber Kerl. Er hatte gerade sein Kunststudium abgeschlossen und relativ schnell gemerkt, dass das seine Miete nicht zahlen würde. Er war klug und kannte sich gut mit Geschichte aus. Also hatte ich ihm einen Job an dem Tag angeboten, an dem er in den Laden gekommen war, um einen Bewerbungsbogen auszufüllen. Max war groß und hatte breite Schultern. Er war ein gut aussehender junger Mann, der vermutlich bisexuell war, oder vielleicht wollte er einfach mal alles ausprobieren. Ich hatte schon genug Geschichten bei unserem morgendlichen Kaffee, beim Lesen der Post und bei der Preisetikettierung der Ware gehört, um zu wissen, dass jeder Max’ Typ zu sein schien. Vielleicht war ich altmodisch, aber ich war eher der Beziehungstyp.

»Gott, das Wetter ist furchtbar. Meinst du, wir werden heute viel zu tun haben?« Max kam langsam durch den Laden auf mich zu.

»Normalerweise ja«, antwortete ich und sah ihn über den Tresen hinweg an.

»Was hast du über Nacht stehen lassen?«

»Nichts. Ich glaube, eine Ratte ist gestorben oder so was.«

»Kann ich das Licht anschalten? Das würde das Suchen einfacher machen.«

»Ich habe jetzt schon Kopfschmerzen«, widersprach ich und duckte mich, um weiterhin Gegenstände unter dem Tresen hervorzuräumen.

Ich wurde mit Achromatopsie, also völliger Farbenblindheit, geboren. Das bedeutete, dass ich absolut keine Farben sehen konnte. Menschen haben zwei Arten von Licht reflektierenden Zellen in den Augen, die sogenannten Zapfen und Stäbchen. Die Zapfen nehmen Farbe bei ausreichend Licht wahr, Stäbchen Schwarz-weiß bei schwachem Licht. Meine Zapfen funktionierten nicht. Überhaupt nicht. Die Welt existierte für mich nur in verschiedenen Grautönen und ich hatte Schwierigkeiten, bei hellem Licht überhaupt zu sehen, weil Stäbchen nicht für Tageslicht gemacht waren. Normalerweise trug ich eine Sonnenbrille oder meine speziellen, rot getönten Kontaktlinsen als Extraschutz.

»Ich habe meine Kontaktlinsen vergessen und der Schnee war zu hell.«

»Auch mit Sonnenbrille?«

»Ja. Verdammt, wo kommt dieser Geruch her?« Ich richtete mich wieder auf und sah mich um.

Max deutete auf die Kasse. »Hier stinkt es am meisten.«

»Stimmt.« Ich ging zurück zu den Stufen und rutschte direkt aus, als sich ein Dielenbrett unter mir lockerte.

Max reagierte sofort und fing mich auf, bevor ich auf dem Boden aufkam. Er hielt mich fest und mein Gesicht wurde gegen seine Achsel gedrückt. »Hattest du gestern wieder Streit mit Neil?«

»Wieso?« Ich wartete auf seine Erklärung und versuchte, mich aus seinem haltenden Griff zu befreien.

»Du ziehst heute schlechtes Karma an.«

»Es war kein Streit. Es war … Weißt du was? Ich werde nicht darüber reden, während der Geruch von Verwesung meinen Laden durchzieht.« Ich drehte mich um und beugte mich hinunter, um das lose Brett zu begutachten. Eine schlechte Idee. Der beißende Geruch von Verwesung stieg in meine Nase und ich musste den Drang zu würgen unterdrücken.

»Ich glaube, du hast es gefunden«, raunte Max und blickte über meine Schulter auf den Fußboden. »Ich hole eine Tüte.«

Ich nickte still, hielt meine Nase zu und starrte in das Loch im Boden. Es, das Ding, war nicht dunkel wie eine tote Ratte. Es machte mir nicht den Anschein, als hätte es Fell, aber es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich einen guten Blick für Details hatte. »Max? Komm mal her.«

»Was?« Seine Stimme drang aus dem kleinen Büro, aus dem er kurze Zeit später mit einer Mülltüte bewaffnet zurückkehrte. »Was gibt’s?«

»Sieh dir das mal an.«

»Oh komm schon, dafür zahlst du mir nicht genug.«

»Nein, ich denke nur nicht, dass es eine Ratte ist.«

Max kniete sich hin und warf einen kurzen Blick in das Loch, bevor er sich schnell zurücksinken ließ. »Was zum Teufel?«

Ich starrte den Boden an. »›Reißt die Dielen auf! Hier! Hier! Es ist das grauenhafte Klopfen seines Herzens!‹«

»Was?«

»Poe«, antwortete ich.

»Gott, du bist so seltsam, Seb«, murmelte Max.

»Was soll ich sonst sagen?« Ich deutete auf das verrottende Fleisch. »Es ist ein Herz.«

»Wen hast du umgebracht?«

»Ich rufe die Polizei.«

Dem Beamten am Telefon erklären zu müssen, dass ich die Polizei nicht wegen einer Leiche rief, sondern weil es irgendwo eine Leiche gab, der ein wichtiger Teil fehlte, war mit Sicherheit das Seltsamste, das ich je getan hatte. Zugegebenermaßen hatte die Situation mein Interesse geweckt, allerdings gab es 101 andere Dinge in meinem Leben, für die ich keinerlei Motivation verspürte; und jemandes verwesendes Herz unter meinem Fußboden zu finden, schoss direkt an die Spitze dieser Liste.

Max versprühte fast eine ganze Dose Lufterfrischer, während wir auf die Polizei warteten. »Riecht nach frisch gewaschener Kleidung«, bemerkte er und fing an die Schrift auf der Dose zu lesen.

»Oh, sehr gut«, sagte ich.

»Frische Wäsche und Tod«, korrigierte Max sich nach einer Pause. »Manchmal möchte ich auch lieber sterben, als meine Schmutzwäsche zum Waschsalon bringen zu müssen.«

»Max«, seufzte ich.

»Sorry.«

Ich verschränkte meine Arme, blickte in den hinteren Bereich des Ladens und sah den Berg an Kartons, den ich dort hatte stehen lassen. Wenn neue Ware bei uns ankam, mussten wir die Gegenstände gewissenhaft prüfen, mit einem Preis versehen und im Laden platzieren. Wenn etwas zu wertvoll war, um es einfach im Laden auszustellen, legten wir es für Auktionen beiseite. Die Kartons, und ein paar weitere, die ich in meiner Wohnung gelagert hatte, waren schon dabei, einzustauben. So viel zu meinem Vorhaben, mich endlich darum zu kümmern.

Jemand klopfte an unsere Tür und ich stand auf, um sie aufzuschließen. »Guten Morgen.«

»Guten Morgen«, begann einer der uniformierten Polizisten. »Wir haben einen Anruf erhalten.«

»Es befindet sich ein Körperteil unter meinem Fußboden«, antwortete ich schnell und führte sie rasch durch die Gänge in Richtung Kasse. Ich war mir ziemlich sicher, dass der Polizist am Telefon gedacht hatte, ich wäre verwirrt oder hätte eine Panikattacke. Diese Beamten waren offensichtlich hier, um mich zu beruhigen, aber sie folgten mir widerstandslos. Der Polizist nahm seine Mütze ab, als er vor dem Loch im Boden in die Hocke ging. Er blickte nur schnell hinein, bevor er den Kopf schüttelte und sich wieder aufrichtete.

»Brigg!« Er drehte sich zu seiner Partnerin um und sie kam ein bisschen näher.

Ich beobachtete die beiden, als sie kurz miteinander sprachen, bevor die Beamtin ihr Funkgerät in die Hand nahm. »Also«, sagte ich, »müssen wir den Katastrophenschutz holen oder so was?«

»Sagen Sie mir Ihren Namen?« Der Polizist griff nach dem Notizbuch, das an seinem Gürtel befestigt war.

»Sebastian Snow.«

»Und Ihnen gehört der Laden?«

»Ja.«

»Gehört Ihnen das Gebäude?«

»Nein, schön wär’s.«

Er sah auf. »Wann ungefähr hatten Sie das Gefühl, dass sich etwas im Laden befindet?«

»Meinen Sie … das?« Ich ließ meinen Blick Richtung Boden wandern. »Als ich die Tür heute Morgen öffnete. Ich konnte es riechen, das war so um sieben Uhr.«

»Hat noch jemand anderes Zugang zu dem Laden?« Der Beamte warf Max über meine Schulter einen Blick zu.

»Max hat die Schlüssel, aber ich bin der Einzige, der den Sicherheitscode kennt«, erklärte ich.

In Wahrheit hatte auch mein Partner Neil Millett, mit dem ich nun seit vier Jahren zusammen war, die Schlüssel und den Code, aber seinen Namen in der Gegenwart von Polizisten zu nennen, wäre ein bisschen kompliziert. Er war ein Kriminalbeamter bei der Spurensicherung der NYPD und weit davon entfernt, sich zu outen. So weit sogar, dass die einzigen Menschen, die wussten, dass wir zusammenlebten, Max und mein Vater waren. Neil wollte nicht, dass andere Polizisten wussten, dass er schwul war, und als ich mit 29 eine Schwäche für diesen sexy Kriminalbeamten entwickelt hatte, war mir das egal gewesen. Aber jetzt war ich 33 und es ging mir ein bisschen an die Substanz.

Der Polizist machte ein paar Notizen. »Haben Sie Kameras? Sie haben viele Gegenstände hier, die sehr teuer aussehen.«

»Ich habe eine, aber die hat vor einem Monat den Geist aufgegeben.« In letzter Zeit war ich ein bisschen mental angeschlagen und hatte nicht die Energie gefunden, mich um bestimmte Dinge zu kümmern, inklusive der Kamera. Was eigentlich überhaupt nicht in meiner Natur lag. Neil hatte es sich zur Aufgabe gemacht, meine angeschlagene Stimmung ständig zu thematisieren. Was mich nur noch wütender machte.

Der Beamte notierte sich meine Kontaktdaten und fragte dann auch nach Max’. Es folgten noch ein paar Fragen, bevor Brigg zwei Polizisten durch den Laden führte, die keine Uniform trugen. Als ich mich nun in dem überfüllten Gang umsah, bemerkte ich, dass noch eine Frau hereingekommen war, die einen medizinisch aussehenden Koffer bei sich trug.

Ohne Vorwarnung wurde die Deckenbeleuchtung eingeschaltet und der ganze Raum verschwand. Ich bedeckte schnell meine Augen und wandte mich ab. Ich stolperte und tastete herum, um Halt am Tresen zu finden. Max, der versuchte, das Herz und die Polizei zu meiden, reichte mir schnell meine Sonnenbrille, als jemand meinen Namen rief.

»Mr. … Snow, richtig?«

Ich drehte mich zu der Stimme um, während ich meine Sonnenbrille aufsetzte, und stellte fest, dass noch zwei weitere Polizisten eingetreten waren. Die Frau, die mich angesprochen hatte, war vielleicht in meinem Alter und konnte nicht viel größer als 1,50 m sein. Der Mann war groß und breit und es war offensichtlich, dass er unter seinem Anzug sehr muskulös war. Er sah älter aus als Neil, der 37 Jahre alt war, und seine Haare waren hell, also ging ich von blond aus. Schnell verengte ich meine Augen, um ihn besser sehen zu können. Er hatte Sommersprossen. Viele davon. Irgendwie hatte ich eine Schwäche für Männer mit Sommersprossen. Wangen, Nase, Stirn, er hatte sie überall, was ihn auf den ersten Blick sehr lieb erscheinen ließ. Vielleicht waren seine Haare doch rot.

»Sebastian Snow«, bestätigte ich.

Die Beamtin streckte mir ihre Hand entgegen. »Ich bin Detective Quinn Lancaster und das hier ist mein Partner Detective Calvin Winter.«

»Uh, hi.«

Lancaster lächelte. »Wie läuft das Geschäft, Mr. Snow?«

»Kann nicht klagen«, sagte ich ein bisschen verwirrt. Es war interessant, eine Person ihrer Größe zu sehen, die so viel Selbstbewusstsein ausstrahlte, dass ich mich niemals trauen würde, sie infrage zu stellen.

»Was können Sie mir über Ihre Kunden sagen?«

Ich zuckte mit den Schultern, bevor ich meine Arme verschränkte. »Normale Leute, manche haben viel Geld, manche suchen nach Kuriositäten. Anzugträger, Hipster, hier kommt jeder mal rein.«

Sie nickte. »Wäre es in Ordnung, wenn Sie Ihre Sonnenbrille abnehmen würden?«

»Kann ich nicht.«

Lancaster warf Winter einen kurzen Blick zu, bevor sie fragte: »Wieso nicht?«

»Ich bin lichtempfindlich. Wenn Sie die Deckenbeleuchtung ausmachen, kann ich sie abnehmen«, erklärte ich und deutete zur Decke.

Winter wandte sich ab und rief den uniformierten Beamten etwas zu. Das Licht ging aus und der Laden wurde wieder nur noch von den sinnvoll platzierten Stehlampen beleuchtet.

»Besser?« Lancasters Ton war weder spöttisch noch unfreundlich, was ich zu schätzen wusste.

Ich schob die Sonnenbrille nach oben, sodass sie auf meinem Kopf saß, und setzte meine normale Brille wieder auf. »Danke«, sagte ich schnell.

»Das nennt man Photophobie, oder?«

»Ich habe Achromatopsie.«

»Verstehe.« Sie fragte mich nicht nach Einzelheiten. »Ist Ihnen in den letzten paar Wochen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

»Nicht wirklich.«

»Wer hat das Körperteil gefunden?«

»Ich, als ich reingekommen bin. Es hat furchtbar gestunken und ich habe versucht, herauszufinden, woher der Geruch kommt.«

»Hatten Sie vor Kurzem einen Einbruch oder wurden Gegenstände gestohlen?«

»Nein«, antwortete ich. »Was ist hier los? Ich gehe davon aus, dass das hier etwas Größeres ist, sonst würden Sie mich nicht so ausfragen.«

»Warum denken Sie das?«

Ich lebe mit einem Polizisten zusammen, wollte ich sagen. Vier Jahre mit Neils Geschichten hatten bei mir ein, zugegebenermaßen ungesundes, Interesse an Whodunit-Mysterien geweckt. Statt das zu sagen, zuckte ich nur mit den Schultern.

Zum ersten Mal meldete sich Winter zu Wort. »Kennen Sie Bond Antiquitäten?«

»Ja, der Laden ist an der Kreuzung zwischen der Bond Street und Lafayette«, erwiderte ich.

»Wie würden Sie Ihre Beziehung zu dem Besitzer beschreiben?«

»Ich weiß nicht, was das mit der Situation zu tun hat«, bemerkte ich. »Mike Rodriguez und ich kennen uns seit einer ganzen Weile.«

»Kommen Sie gut miteinander aus?«

»Er ist meine Konkurrenz. Was ist los?«

»Sebastian«, rief auf einmal eine vertraute Stimme nach mir.

Ich ignorierte Detective Winter und sah an ihm vorbei. Neil bahnte sich seinen Weg zu mir und befreite seinen Mantel von Schnee. Ich war sowohl glücklich als auch frustriert, ihn zu sehen. Schließlich hatte ich ihn nicht angerufen, um ihm zu erzählen, was passiert war, also gab es eigentlich keinen Grund für ihn, hier zu sein. Fragend drehte ich mich zu Max um, doch dieser hob abwehrend seine Hände und schüttelte den Kopf.

»Was ist los?« Neil sah mich durchdringend an, als er bei uns angekommen war. Er wandte sich den beiden anderen Detectives zu und zog seine Dienstmarke aus seiner Manteltasche hervor. »Detective Millett, CSU.«

Lancaster schien nicht interessiert zu sein. »Detective Lancaster, Mordkommission«, antwortete sie mit einem kurzen Kopfnicken. »Mein Partner, Winter. Wir haben noch keine Spurensicherung angefordert.«

»Mordkommission?« Sicher, theoretisch bedeutete ein Herz ohne Körper etwas Düstereres als einen Medizinstudenten, der seinen Kurs nicht bestehen konnte, weil seine sowieso schon verstorbene Testleiche kein Herz mehr hatte. Aber das Wort Mord zu hören, schockierte mich dann doch. Mein Blick fiel auf Neil, der ein bisschen nervös und besorgt zu sein schien. Für eine Minute freute ich mich, weil er um mich besorgt war. Mit einem Schlag verflog der ganze Ärger, den ich Neil gegenüber dachte zu haben, und ich wollte ihn einfach nur umarmen.

»Sebastian ist … ein Freund«, sagte Neil schließlich.

»Freund«, wiederholte Winter in einem Ton, der mir nicht sonderlich gefiel.

»Er rief mich an.«

Verdammt, Neil. Er war so fest davon überzeugt, seine Autorität zu verlieren, nur weil er außerhalb der Arbeit ein normales Leben führte, dass ich nach vier Jahren immer noch nur ein Freund war.

»Wir sind gerade dabei, Mr. Snow ein paar Fragen zu stellen«, sagte Winter, bevor seine Augen wieder zu mir wanderten. Sein Blick war intensiv genug, um mich bis auf meine Knochen auszuziehen. »Sonntagnacht wurde bei Mr. Rodriguez eingebrochen.«

»Das tut mir leid zu hören«, sagte ich und wandte mich endlich von Neil ab. »Wurde etwas gestohlen?«

»Die Ermittlungen dauern noch an. Er hat aber Sie beschuldigt.«

»M-Mich?« Ich war überrascht. »Was …? Mike denkt, ich sei bei ihm eingebrochen?«

»Warum würde er das behaupten?«, fragte Winter.

»Keine Ahnung«, sagte ich schnell.

Da meldete Lancaster sich wieder zu Wort. »Wo waren Sie Sonntagnacht? Nach acht.«

Neils Verzweiflung konnte ich im ganzen Körper spüren. Ich war mit ihm zu Hause gewesen. Gegen acht hatten wir es gerade miteinander getrieben, bevor sich das Ganze vorzeitig in einen Streit verwandelt hatte, der bis neun gedauert hatte. Dort war ich gewesen. »Daheim«, sagte ich einfach. »Okay, ich beantworte keine Fragen mehr ohne einen Anwalt. Ich habe angerufen, weil ich ein menschliches Herz in meinem Laden gefunden habe, und jetzt beschuldigen Sie mich, jemanden ausgeraubt zu haben.«

Neils Hand war an meinem Ellbogen und er nahm mich beiseite. Er zerrte mich bis zum anderen Ende des Ladens und drehte sich zu mir um. »Was zum Teufel geht hier vor sich?«, flüsterte er.

»Was hier vor sich geht? Was tust du hier?«

»Ich bin Polizist, Sebby.«

»Nenn mich nicht so.«

»Was für ein menschliches Herz? Wieso hast du mich nicht angerufen?«

Es war mir, ehrlich gesagt, gar nicht in den Sinn gekommen, Neil anzurufen. Ein, zwei Jahre zuvor wäre es vielleicht meine erste Reaktion gewesen, meinen Freund von der Polizei anzurufen, um dieses kleine Problem zu klären. Doch jetzt hatte ich diesen Gedanken überhaupt nicht gehabt. Das war beunruhigend. »Nette Lüge, die du da erzählt hast, übrigens«, sagte ich, statt ihm zu antworten. »Ich hab dich angerufen? Wieso zum Teufel bist du hergekommen, wenn nicht, um für mich da zu sein?«

»Hör auf«, flüsterte er. »Wir fangen diesen Streit nicht noch mal an.«

»Geh zurück an die Arbeit, Neil. Alles ist gut«, sagte ich.

»Du hast nicht …?«, er zögerte.

»Ihnen von uns erzählt? Nein. Ich weiß mittlerweile Bescheid.«

Neil knirschte mit den Zähnen. Er sah wütend aus. Er drehte sich zu den anderen Polizisten um und fragte: »Ist das Calvin Winter?«

»Was? Ja, wieso?«

»Pass auf, was du zu ihm sagst.«

»Wieso, Neil?«

»Weil ich gehört habe, dass er homophob ist«, sagte er.

Ohne nachzudenken, antwortete ich: »Du bist homophob.«

Neil sah wieder zu mir, mit einem komischen Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten konnte. »Nett, sehr nett, Sebby«, murrte er nach einem Moment.

Ich konnte es nicht zurücknehmen, aber als ich zu Neil aufsah und an all unsere kürzlichen Auseinandersetzungen dachte, war mir das eigentlich ziemlich egal. »Geh wieder an die Arbeit«, sagte ich noch mal. »Wir reden zu Hause, hinter verschlossenen Türen.« Ich machte ihn wütend und ich konnte nicht damit aufhören. Keine Ahnung, was in mich gefahren war, aber Neil und ich stichelten schon seit Wochen gegeneinander. Entweder provozierte ich ihn oder er sagte Dinge, die mir unter die Haut gingen. Das war noch nie zuvor passiert.

Neil sagte nichts mehr. Er drehte sich um, während er seinen Mantel schloss, und lief still und leise an den anderen Polizeibeamten vorbei, als er den Laden verließ.

Ich atmete tief ein. Hatte ich das wirklich gerade gesagt? Zu dem wichtigsten Mann in meinem Leben? Frustriert schob ich meine Brille wieder ein Stück nach oben, nachdem sie auf meiner Nase heruntergerutscht war. Lancaster stand bei der Frau mit dem Medizinkoffer und lächelte, als sie langsam auf mich zukam.

»Gute Neuigkeiten, Mr. Snow.«

»Oh?«

»Es ist nicht menschlich.«

Wer, Neil?

»Das Herz?«

»Es ist das Herz eines Schweins«, sagte sie.

»Eine kleine Erleichterung.« Ich atmete nochmals tief ein und hatte das Gefühl, hart daran arbeiten zu müssen, entspannt zu bleiben. »Also kann ich den Laden aufmachen?«

»Es hat kein Verbrechen stattgefunden. Es scheint, als wollte Ihnen jemand einen Streich spielen. Ich schlage vor, Sie investieren in ein besseres Sicherheitssystem.«

Kein Verbrechen. Meine Intuition sagte etwas anderes. Zwei Detectives von der Mordkommission waren sofort hier aufgeschlagen und hatten mit mir Fragerunde gespielt. Nicht nur wegen des armen Schweins, sondern auch wegen Mike Rodriguez. Letzteres fand ich immer noch extrem seltsam. Wieso würde die Polizei die Zeit von Detectives verschwenden, wenn dabei nichts herumkam? Und das erklärte auch noch nicht, wie das Schweineherz überhaupt in meinen Laden gekommen war.

Lancaster bedankte sich für meine Zeit und ich murmelte irgendetwas zurück. Sie wandte sich ab, um mit der Gerichtsmedizinerin zu gehen.

Anders als Winter, der statt auf den Ausgang, auf mich zukam. »Ihr Freund machte einen eher unglücklichen Eindruck.«

Ich legte meine Stirn in Falten und blickte auf. Während ich etwas kleiner war, nur um die 1,80 m, waren Neil und Winter gut einen halben Kopf größer. Neil war schmal, so wie ich, was im starken Kontrast zu Detective Winters muskulöser Statur stand. Er war mir gerade nahe genug, sodass ich seine Sommersprossen sehen konnte, die für mich wie kleine graue Schönheitsflecken aussahen. Noch besser könnte ich sie betrachten, wenn ich näher bei ihm stünde oder sein Gesicht durch eine Lupe ansähe. Beides war übrigens etwas, was ich nicht empfehlen würde, wenn man jemanden gerade erst kennengelernt hatte. Im Vergleich dazu waren seine hellen Augen so strahlend und klar, dass sie mich fast ein wenig nervös machten. Sie erinnerten mich an die Kristalle, die man im Natural History Museum bestaunen konnte. Sie waren wunderschön, aber schienen müde zu sein. Fast, als hätten sie etwas gesehen, was ihn stetig auslaugte und abgehärtet hatte. In Winters Gegenwart fühlte es sich an, als würde die ganze Luft aus dem Raum gesogen werden. Es war sowohl einschüchternd als auch beruhigend, in seiner Nähe zu sein. Außerdem roch er gut. Ein bisschen würzig vielleicht. In jedem Fall ganz anders als Neils Parfum.

»Ich bin nicht bei Mike eingebrochen«, sagte ich noch einmal.

Sein Blick wanderte zu den Kartons hinter mir. »Was ist das alles?«

Schnell sah ich über meine Schulter und dann wieder zu ihm. »Neue Ware.«

»Woher stammt sie?«

»Bond Antiquitäten«, antwortete ich. »Ich habe sie von einer Nachlassauktion.«

Er griff in seine Jackentasche und ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn er seine Pistole herausgeholt hätte, wenn ich bedachte, wie frei ich mit ihm sprach. Stattdessen gab er mir seine Visitenkarte. »Falls Ihnen noch etwas einfällt.«

»So etwas wie, dass ich ein paar Schweine umgebracht habe?« Ich ließ die Karte schnell in meiner Hosentasche verschwinden.

»Haben Sie noch einen schönen Tag, Mr. Snow.« Er drehte sich um und verließ den Laden.

Der Schneesturm schien Kunden davon abzuhalten, mein Geschäft aufzusuchen. An jedem anderen Tag würde ich mir Sorgen machen, denn so kurz vor den Feiertagen war es wichtig, gute Verkaufszahlen zu haben. Aber ich konnte mich auf nichts konzentrieren, was mit dem Imperium zu tun hatte. Mein Salat, den ich neben mir an der Kasse abgestellt hatte, ertränkte sich langsam im Vinaigrette-Dressing, nachdem ich nur die Hälfte hatte essen können.

»Wie wäre es mit einer Bifokalbrille?«

Ich blickte auf und sah, dass Max mich anstarrte, bevor er sich einen zweiten Stuhl holte und sich zu mir setzte. »Was?«

»Die Lupe ist ein bisschen komisch. Du holst sie aus deiner Tasche, als seiest du ein altmodischer Detektiv.«

»Ich bin mal die Treppen hinuntergestolpert, als ich jünger war und eine Bifokalbrille getragen habe«, antwortete ich, während ich die Lupe weglegte und irgendwelche Dokumente und Rechnungen auf einen Stapel sortierte. »Hab mir meinen Arm gebrochen.«

»Autsch.« Max begann, mit der Gabel in der Schüssel in meinem Salat herumzurühren. Bestimmt hatte er vorgehabt, mir mein Mittagessen zu klauen. Doch bei dem traurigen Anblick, den mein Salat bot, musste er seine Meinung geändert haben. Stattdessen fragte er: »Also, wieso war Neil hier?«

»Weiß ich nicht.« Ich stand auf, brachte die Post in das kleine Büro und legte sie dort auf den Tisch. Die morgendliche Aufregung beschäftigte mich sehr. Normalerweise hatte ich montags geschlossen, doch die näher rückenden Feiertage brachten mich oft dazu, meine üblichen Öffnungszeiten zu ändern. Das bedeutete, dass ich gestern geöffnet hatte. Als ich den Laden letzte Nacht kurz nach sechs abgeschlossen hatte, hatte das jemandem 13 Stunden Zeit gegeben, um einzubrechen.

Max und ich verbrachten den restlichen Vormittag damit, unser Inventar durchzugehen, um festzustellen, dass offenbar nichts entwendet wurde. Das war, was mich am meisten irritierte. Wieso sollte jemand in ein Antiquariat einbrechen und den Sicherheitsalarm ausschalten, nur um dann nichts zu stehlen? Das hieß, dass jemand eingebrochen war, ein verwesendes Schweineherz unter meinem Fußboden platziert hatte und wieder verschwunden war, ohne auch nur einen alten Knopf mitzunehmen. Noch mehr störte mich die Sache mit Mike Rodriguez. Ich hatte für Mike ein paar Jahre lang gearbeitet, bevor ich meinen eigenen Laden eröffnet hatte. Ich respektierte sein Wissen und den Erfolg seines Antiquariats, denn er war seit mehr als zwanzig Jahren in diesem Geschäft, aber er war ein griesgrämiger alter Mann. Er mochte mich nicht wirklich, als ich für ihn gearbeitet hatte, und ich war mir ziemlich sicher, dass er sich ein wenig verarscht gefühlt hatte, als ich mit allem, was ich bei ihm gelernt hatte, schließlich meinen eigenen Laden eröffnet hatte. Mike hatte sich auf kostbarere Antiquitäten spezialisiert. Georgische und viktorianische Möbel, Kleidung, Gemälde und andere Kunstgegenstände. Mein Interesse lag woanders. Das Imperium war voller Bücher, alter Dokumente, Landkarten, Fotos und anderen Dingen aus vergangenen Jahrhunderten. Die Menschen mochten seltsame und skurrile Gegenstände, wie einen viktorianischen Handschuhspanner oder Tränenfläschchen. Das Imperium war ziemlich erfolgreich nach nur ein paar Jahren im Geschäft und ich vermutete, dass Mike beleidigt war.

Ich verließ das Büro, lehnte mich an den Türrahmen und verschränkte meine Arme. Mike und ich waren nicht unbedingt gut aufeinander zu sprechen, jedenfalls schickten wir uns keine Weihnachtskarten, aber wie zum Teufel kam er zu dem Schluss, dass ich der mögliche Einbrecher sein könnte? Hatte er drei Jahre gewartet, um sich an mir zu rächen? Es war nicht einmal Rache, es war vielmehr eine Beleidigung meiner Integrität und Person.

»Oh Mann, schau mal, wie heftig es schneit«, grummelte Max, während er durch das Fenster dem Schneesturm zusah.

Jingle Bells ertönte zufälligerweise aus den Lautsprechern des Ladens. Dashing through the snow passte gut zu dem Wetter draußen. Die ganze Stadt wurde langsam immer mehr unter Schnee begraben.

»Mach doch heute ein bisschen früher Feierabend, Max.«

»Wirklich?«

»Na klar, ich wette, U-Bahnfahren macht heute keinen Spaß«, sagte ich, während ich zum Tresen wanderte.

»Gehst du auch heim?«

Ehrlich gesagt war ich versucht, Mike einen Besuch abzustatten und ihn zu fragen, was los war, aber das klang nicht nach meiner besten Idee. Vielleicht sollte ich ihn lieber anrufen, das würde einen weniger bedrohlichen Eindruck machen. Auch wenn er sich wie ein Arschloch verhielt und mich beschuldigte, bei ihm eingebrochen zu sein, so hatten wir doch ein paar Jahre eng zusammengearbeitet und ich wollte sichergehen, dass es ihm gutging. »Vermutlich.«

»Dann geh ich mit dir raus«, erwiderte Max und begann, die Kasse zu leeren und das Geld zu zählen.

Das Telefon des Ladens klingelte und ich hob den Hörer ab. »Snows Antiquarisches Imperium.«

»Ich bin’s.«

Neil. Ich riss mich zusammen. »Hey.«

»Bist du beschäftigt?«

»Wir schließen heute vorzeitig. Das Wetter wird immer schlimmer und Max muss mit der U-Bahn nach Brooklyn.«

»Ich mache jetzt Feierabend«, sagte er. »Ich komme bei dir vorbei.«

»Ich kann nach Hause laufen.«

Neil holte tief Luft. »Sebby, bitte streite nicht mit mir. Nur dieses eine Mal. Lass mich dich abholen.«

Wieso wurde ich wütend, nur weil er mich nach Hause fahren wollte, statt mich durch dieses scheußliche Wetter laufen zu lassen? »Okay, danke.«

»Soll ich etwas fürs Abendessen mitbringen?«

»Ich hatte vor, zu kochen«, antwortete ich zaghaft. Langsam war ich es leid, von Fast Food zu leben. Neil konnte überhaupt nicht kochen, was bedeutete, dass ich mich in die Küche stellen musste, wenn ich Lust auf Hausmannskost hatte.

»Das klingt toll«, meinte er erfreut. »Ich bin in spätestens zwanzig Minuten da.« Er legte auf.

»Neil holt mich ab. Du kannst schon mal gehen, ich kümmere mich um den Rest«, sagte ich zu Max.

Max lachte, als er mit dem Geldzählen fertig war. »Danke, Seb.«

»Ich ruf dich morgen an, falls wir wegen des Wetters geschlossen bleiben müssen.«

»Okay. Ich richte mich aber darauf ein, zu kommen, bis du mir etwas anderes sagst.« Innerhalb weniger Momente hatte er all seine Sachen eingepackt und verschwand durch die Tür im Schneesturm.

Nachdem die Tür hinter ihm zugefallen war, sperrte ich ab und begann, meine Sachen zusammenzusuchen. Ich verstaute meinen Laptop in meiner Laptoptasche für den Fall, dass wir morgen den Laden geschlossen lassen mussten. Wenn ich schon daheim bleiben müsste, könnte ich wenigstens anfangen, die neue Ware, die ich noch zu Hause hatte, zu katalogisieren. Allerdings hatte ich das schon seit zwei Wochen vor und bisher noch nicht die Energie dafür gehabt. Als ich endlich die Lichter ausmachte, den Sicherheitsalarm anschaltete und in meine Winterkleidung schlüpfte, parkte Neil in seinen schwarzen BMW schon vor der Tür.

Das Auto war noch ein Streitgrund zwischen uns. Ich hatte keinen Führerschein, weil Menschen mit Achromatopsie besonders viele Tests absolvieren mussten, um ein Auto fahren zu dürfen. Darauf hatte ich schlicht und ergreifend keine Lust. Vor allem machte es in einer Stadt, die so ein großartiges öffentliches Verkehrsnetz bot, keinen Sinn. Trotzdem hatte ich mich mit Neil geeinigt, zusammen ein Auto zu kaufen und mich finanziell daran zu beteiligen, damit wir hin und wieder Urlaub außerhalb von New York machen konnten. Neil hatte einen teuren Geschmack. Er wollte einen Luxusschlitten und da gab es für ihn keinen Kompromiss. Das verstand ich einfach nicht. Wir hätten so viel Geld sparen können mit einem sinnvollen Gebrauchtwagen. Die Auseinandersetzung hatte damit geendet, dass ich mich geweigert hatte, Geld für ein solches Auto auszugeben. Das hatte er zwar akzeptiert, aber mir gleichzeitig gesagt, ich sollte mich verpissen. Natürlich hatte ich aus Trotz versucht, bisher jede Fahrt abzulehnen.

Im Auto war es warm, als ich die Beifahrertür öffnete und mich setzte. Die Scheibenwischer mussten hart arbeiten, um den schweren, klebrigen Schnee von der Scheibe zu entfernen. Neil hörte irgendwelche Weihnachtslieder und sah wieder mal cool und sexy aus. Ich musste zugeben, dass er wirklich gut hinter dem Lenkrad dieses Autos aussah.

Er lächelte. »Bereit?«

»Jepp.«

Neil fuhr los. Wir waren langsam auf den von Schnee bedeckten Straßen unterwegs.

»Du wirst morgen eingeschneit sein, wenn man dem Wetterbericht glauben kann«, raunte er mir zu.

»Musst du zur Arbeit?«

»Im öffentlichen Dienst gibt es kein schneefrei. Ist dir warm genug?«

Ich grummelte eine Antwort vor mich hin und war dann still. Wir wohnten in einem überfüllten Manhattaner Apartment, das eigentlich viel zu klein war für zwei Leute, aber dafür sehr nahe am Imperium lag. Normalerweise dauerte es nicht lange, um dort anzukommen, aber die Straßen waren komplett bedeckt. Das ein oder andere Auto vor uns war bereits ins Rutschen gekommen und Neil blieb Gott sei Dank lieber vorsichtig.

Bei der Gelegenheit studierte ich sein Profil und dasselbe hübsche Gesicht, das ich seit Jahren kannte. Er hatte mir gesagt, er hätte braune Augen. Seine Haare waren anscheinend hellbraun und Neil hatte sie mit einem Milchkaffee verglichen. Welche Farbe auch immer sie hatten, ich fand Neil schon immer attraktiv. Und er alterte wahnsinnig gut. Wenn ich ihn ansah, sah ich den Mann, in den ich mich verliebt hatte. Wieso stritten wir uns nur noch? Mein Vater sagte, es läge daran, dass es mich kirre machte, wieder einen Teil von mir verstecken zu müssen. Ich hatte mein Coming-out, aber wegen Neils Paranoia konnte ich trotzdem nicht frei leben. Jahrelang hatte ich das bestritten, aber langsam bekam ich das Gefühl, dass mein Dad vielleicht doch recht haben könnte. Neil war meine erste ernsthafte Beziehung und es hatte mich aus der Bahn geworfen, als ich herausgefunden hatte, dass er nicht geoutet war. Ehrlich gesagt warf es mich immer noch aus der Bahn.

»Tut mir leid«, sagte ich leise.

»Was tut dir leid?«

»Dass ich heute Morgen so unfreundlich war.« Ich starrte meine Hände an. »Wieso warst du eigentlich im Imperium?«

Er seufzte. »Ich habe zufällig gehört, dass Detectives zu der Adresse geschickt wurden, und gedacht, es sei etwas passiert. Ich habe gedacht, dir sei etwas passiert.«

»Danke, dass du dir Sorgen gemacht hast.« Ich lachte kurz und schüttelte den Kopf. »Das klingt so komisch.«

»Ich weiß, was du meinst.« Er nahm kurz eine Hand vom Lenkrad, um mir liebevoll auf mein Knie zu klopfen.

Neil ließ mich an unserer Straße raus, um dann einen Parkplatz zu finden. Ich betrat das Gebäude und ging die drei Stockwerke zu unserer kleinen Wohnung nach oben über alte, knarzende Treppenstufen. Die Leitungen machten laute Geräusche, als die Boiler ansprangen. Ich hängte Mantel und Hut auf und verstaute meine Stiefel im Schrank. Dann ließ ich meine Tasche auf die Matratze unseres Doppelbetts fallen, bevor ich ein paar Lampen in der Wohnung anschaltete. Ich wusste, dass Neil es nicht mochte, in einer so dunklen Wohnung zu leben, aber er war höflich und arrangierte sich, ohne sich zu beschweren, damit ich meine Sonnenbrille hier drinnen nicht aufsetzen musste. Eine lange Zeit hatte ich versucht, mein Handicap vor ihm geheim zu halten. Das war aber zunehmend schwieriger geworden, als er angefangen hatte, Sachen zu fragen wie: Kannst du mir mein dunkelblaues Hemd geben? Oder beim Mexikaner: Reichst du mir die grüne Salsa? Es war schließlich herausgekommen, als er meinen zusammengeklappten Gehstock in meiner Tasche gefunden hatte, als er nach einem Kondom gesucht hatte. Ich musste kurz lachen, als ich den Kühlschrank öffnete und an den Moment zurückdachte. Die Stimmung war jedenfalls im Eimer gewesen und ich hatte geglaubt, er würde sofort mit mir Schluss machen. Beide Freunde, die ich vor ihm gehabt hatte, hatten mich wegen meines „Zustands“ verlassen. Es war nicht lebensbedrohlich, aber es war eine Last. Neil war bei mir geblieben und das war alles, was zählte.

Ich hörte ihn an der Tür, als er seinen Mantel und seine Schuhe auszog, während ich Zwiebeln und Paprika zerkleinerte. Ich gab das geschnittene Gemüse in einen Kochtopf und öffnete zwei Dosen Tomatensoße.

»Spaghetti?« Neil kam in die Küche geschlendert. Er kannte den Geruch gut.

»Wir müssen bald einkaufen gehen«, antwortete ich. »Wir haben nicht viel Auswahl.«

Er ging einen Schritt an mir vorbei und öffnete den Kühlschrank. »Willst du ein Bier?«

»Klar, warum nicht?«

Geschickt öffnete er die Bierflaschen und stellte eine neben mir auf die Küchenzeile, bevor er sich mir gegenüber an die Wand lehnte. »Also, sag mir, was heute Morgen passiert ist.«

Ich erzählte die ganze Geschichte noch einmal und es kam mir mittlerweile vor, als hätte ich das schon hundertmal getan. Währenddessen fing ich an, die Soße mit Salz, Pfeffer, Tabasco und anderen Gewürzen, die wir im Küchenschrank hatten, zu verfeinern. »Aber es war nicht menschlich. Es war ein Schweineherz.«

»Was haben die Detectives gesagt?«

Abwesend zuckte ich mit den Schultern. »Lancaster hat gesagt, ich solle wieder normal öffnen und mich um ein besseres Sicherheitssystem kümmern.«

»Und dieser Winter-Typ?«

Über meine Schulter warf ich ihm einen fragenden Blick zu. »Wieso magst du ihn nicht?«

»Ich habe dir gesagt, wieso.«

»Er hat aufgehört, mich über Mike auszufragen, und ist dann ebenfalls gegangen.« Ich hatte mich wieder der Soße zugewandt, aber hielt inne und sah Neil noch mal an. »Du hast nichts davon gehört, oder? Dass bei Mike eingebrochen wurde?«

Neil schüttelte den Kopf, bevor er von seinem Bier trank. »Ist vielleicht in einer anderen Abteilung gelandet.«

»Wieso, denkst du, würde Mike mich beschuldigen, bei ihm eingebrochen zu sein?«

»Weil er ein Arsch ist.«

»Ja, aber …«

»Nichts aber«, unterbrach Neil mich. »Er hatte es schon immer auf dich abgesehen, Seb.«

Ich nahm einen Schluck Bier und dachte über meinen nächsten Kommentar nach. »Ehrlich gesagt habe ich darüber nachgedacht, ihn nachher anzurufen.«

Neil starrte mich an, als ob mir ein zweiter Kopf gewachsen wäre. »Bist du bescheuert?«

»Wie bitte?«

»Sebby, halt dich da raus. Lass die Polizei herausfinden, was Mike passiert ist. Sei kein Idiot und belästige ihn nicht.«

»Wer hat denn etwas von Belästigung gesagt? Ich will nur fragen, ob er okay ist.«

»Egal«, antwortete Neil. »Die Polizei kann es nicht brauchen, dass du ihn kontaktierst, nachdem er mit dem Finger auf dich gezeigt hat, okay?«

Was Neil sagte, machte natürlich Sinn. Und wer würde da besser Bescheid wissen als ein Polizist? Ich trank noch mal von meinem Bier und konzentrierte mich dann voll und ganz aufs Abendessen. Neil riss mich kurze Zeit später aus meinen Gedanken, als er meinen Namen sagte.

»Seb, versprich mir, dass du deine Nase nirgendwo reinsteckst, wo sie nicht hingehört.«

»Wieso denkst du, dass ich so etwas tun würde?«

Die Frage brachte Neil zum Lachen. »Weil ich weiß, dass du die Aufregung magst. Die zweihundert Mystery-Romane im Wohnzimmer bestätigen das.«

»Das sind keine zweihundert«, versuchte ich mich zu verteidigen. Und selbst wenn. Ich fand Spannung super.

»Seb«, sagte er wieder, dieses Mal noch ernster.

»Ich versprech’s.« Langsam wurde ich ein bisschen sauer. »Du hast ja recht. Ich verstehe das.« Bevor Neil noch etwas antworten konnte, bemerkte ich: »Wie das Herz in den Laden gekommen ist, ist aber noch nicht geklärt.«

»Hm?«

»Wie kommt ein Schweineherz unter meinen Fußboden, Neil?« Ich drehte mich zu ihm um. »Ich habe es da nicht deponiert und ich war derjenige, der den Laden gestern abgeschlossen hat. Das Tor habe ich ganz sicher zugesperrt und den Sicherheitsalarm habe ich auch eingeschaltet.«

»Es war vermutlich ein Streich«, meinte er schulterzuckend.

»Ein Streich?«, wiederholte ich. »Von wem?«

»Weiß ich nicht. Kinder, Teenager. Jemand, der nicht ganz dicht ist. Komm schon, du bist wahnsinnig beschäftigt, wenn du im Laden bist. Du und Max könnt nicht ständig alles im Blick haben.«

Natürlich hatte Neil ein Stück weit recht. Den heutigen Tag ausgenommen, war es sehr hektisch und voll in letzter Zeit. Es waren immer mal wieder mehrere Kunden gleichzeitig im Laden gewesen, es war neue Ware geliefert worden, Artikel waren für eine Auktion abgeholt worden und ich hatte gar nicht alles überblicken können, was vor sich gegangen war.

»Aber wozu?«

»Wozu gibt es Hotdog-Wettessen?«, entgegnete Neil mit einem Grinsen. »Menschen machen ab und zu dumme Sachen, Seb.«

»Vermutlich hast du recht. Es ist aber schon ein bisschen dramatisch. ‚Das verräterischeHerz.’«

»Das was?«

»Poe«, erklärte ich. »›Es ist das grauenhafte Klopfen seines Herzens!‹«

»Oh, ja, ich glaube, das habe ich in der Schule gelesen«, erwiderte Neil nachdenklich.

»Ein alter Mann mit einem blinden Auge wird ermordet und zerteilt. Der Mörder denkt, er höre das Herz unter seinen Fußbodendielen, wo er die Leiche versteckt hat«, versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen. »Er dreht durch vor Schuldgefühlen, während die Polizei wegen einer vermeintlichen Ruhestörung bei ihm ist.«

»Verdammt.«

»Zum Glück bin ich nur farbenblind.« Ich konnte mir ein bisschen Sarkasmus nicht verkneifen.

Während des Essens sahen wir uns einen Krimi im Fernsehen an, was bedeutete, dass sich Neil eigentlich 45 Minuten lang nur darüber beschwerte, dass sich die Spurensicherung am Tatort falsch verhielt und niemand so schnell DNA-Ergebnisse zurückbekam. Verärgert schaltete Neil schließlich um und wir landeten bei Kevin – Allein zu Haus.

»Ich wollte das schon immer machen«, sagte Neil, als wir später am Abend im Dunklen saßen und Wein tranken.

»Macaulay Culkin sein?«

»Die Bösewichte schnappen.«

»Das tust du«, meinte ich. »Nur mit Spielzeug für große Jungs. Du bist ein bisschen zu alt, um Treppen zu teeren oder Spielzeugpistolen zu benutzen.«

Neil legte mir seinen Arm um die Schultern und ich machte es mir gemütlich. Es war schön, den Abend zusammen zu genießen, ohne sich wegen Nichtigkeiten zu streiten. Bestimmt dachte Neil dasselbe, denn er lehnte sich näher zu mir und küsste mich auf den Kopf.

»Hey«, murmelte er.

»Hey, was?« Ich sah auf. Meine Sicht war wesentlich besser im Dunklen und ich konnte Neils Gesichtsausdruck gut erkennen.

»Wieso hauen wir nicht ab?«

»Wohin?« Ich musste lachen.

»In das Zimmer nebenan.« Neil lehnte sich nach vorn und legte unsere Brillen auf den Couchtisch, bevor er aufstand.

Auch ich erhob mich und nahm Neil bei der Hand, die er mir entgegenstreckte. Er führte mich in unser überfülltes Schlafzimmer, hob meine Tasche vom Bett und schloss die Tür.

»Hast du Angst, dass uns jemand sehen könnte?«

Er hielt kurz inne, bevor er sich zu mir umdrehte. »Um die kalte Luft draußen zu lassen, Seb«, korrigierte er mich in einem Ton, den ich als seinen Sebastian-du-stellst-dich-ganz-schön-an-Ton kennengelernt hatte. Ich mochte es nicht, weil er diesen Tonfall normalerweise nur benutzte, wenn wir im Begriff waren, eine Diskussion über seine Sexualität zu führen.

Neils Hand fand meine Taille, die andere meinen Hinterkopf und er küsste mich heftig. Er schmeckte ein wenig süßlich und ein wenig bitter, was ungefähr unsere ganze Beziehung zusammenfasste. Seit wir zu Hause angekommen waren, hatte er irgendwie seine Anzugjacke und Krawatte verloren und ich half ihm schnell aus seinem übrig gebliebenen Hemd und der Hose. Neil war währenddessen damit beschäftigt, mich meiner Hose und meines Pullovers zu entledigen. Er lachte kurz auf.

»Was ist?«

»Du kleidest dich wie ein Opa«, flüsterte er mir zu.

»Ich mag den Pullover.«

»Er ist älter als du.«

»Ich versuche nicht, einen Fashion-Wettbewerb zu gewinnen.«

Kleidung einzukaufen, war sehr stressig für mich. Kaufhäuser waren zu hell und es gab offensichtlich ein Konzept von „sich beißenden Farben“. Wenn ich neue Kleidung brauchte, ging ich idealerweise mit meinem Dad zu einem Secondhandladen und ließ ihn ein paar Kleidungsstücke in Farben aussuchen, von denen er sagte, dass ich nichts falsch machen könnte, wenn ich sie mit anderen Farben kombinierte. Wir brauchten im Normalfall nur zehn Minuten.

»Wir kaufen dir bald einen schöneren Pullover«, sagte Neil und begann, meinen Nacken zu küssen.

»Ich mag den aber«, antwortete ich.

»Er ist vom Wohltätigkeitsladen.«

»Ja und? Ich muss keine dreihundert Dollar für einen ‚Ralph Lauren’-Pullover ausgeben, wenn mich der hier wunderbar warm hält.«

»Bist du fertig, Sebby?« Neil starrte mich eindringlich an. »Willst du dich jetzt gerade wirklich streiten?«

Das wollte ich natürlich nicht. Ich war es leid, ständig zu streiten. Ich hasste es, dass jedes unserer Gespräche damit endete, dass einer von uns frustriert war. In fast kompletter Dunkelheit starrte ich Neil an und auf einmal überkam mich ein bekannter, aber furchtbarer Gedanke. Ich war nicht die Person, die Neil wirklich wollte. Wir stritten uns nur noch wegen Kleinigkeiten wie meinem Pullover. Wieso war es ihm so zuwider, dass ich etwas trug, das schon ein bisschen abgenutzt war? Er wollte, dass ich immer chic und modisch auftrat, so wie sein verdammtes Auto.

»Seb?«