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Eine unheimliche Mordserie versetzt London in Angst und Schrecken. Ein Mörder, den alle nur den neuen Ripper nennen, tötet wahllos Frauen und verstümmelt sie dann auf bestialische Weise. Während Inspektor Gordon Strachan, ein traumatisierter Polizist versucht, des Mörders habhaft zu werden, kennt Laura Finnigan, ein Medium ihn bereits. Zusammen versuchen sie verzweifelt, den Ripper zur Strecke zu bringen, denn kaum wurde ein Mord verübt, schon bricht ein schreckliches Ereignis über die Welt herein. Unterdessen findet Pater Lacombe im Keller seiner Kirche eine Kassette mit geheimnisvollen Schriftrollen und Briefen. Als er sie nach und nach liest, erkennt er, dass ihre Veröffentlichung das Ende des Christentums bedeuten würde. Aber er findet noch etwas heraus. Zwischen den Morden und den Dokumenten besteht eine unheilvolle Verbindung, denn sollte es dem Mörder gelingen, seine Mordserie zu beenden, wird eine böse, uralte Macht wieder auferstehen und alles Leben auf der Erde vernichten.
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Seitenzahl: 378
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Und ich sah ein zweites Tier aufsteigen aus der Erde; das hatte zwei Hörner wie ein Lamm und redete wie ein Drache …
… und es tut große Zeichen, sodass es auch Feuer, Dürre, Hagel, Getier und sonstiges Verderbnis vom Himmel auf die Erde fallen lässt vor den Augen der Menschen …
… und wenn tausende von Jahren vollendet sind, wird der Satan losgelassen werden aus seinem Gefängnis und wird ausziehen, zu verführen die Völker an den vier Enden der Erde
(Offenbarung des Johannes)
KAPITEL I: BLUT UND TRÄNEN
KAPITEL II: ERSTE ZEICHEN
KAPITEL III: VERGANGENHEIT
KAPITEL IV: SPUREN
KAPITEL V: ERINNERUNGEN
KAPITEL VI: APOKALYPSE
Es war kalt …
… bitterlich kalt und …
… es war spät, viel zu spät.
Verdammt, dachte sie, ich werde wieder richtigen Ärger bekommen, wenn ich heimkomme.
Sie schaute auf die Uhr und als sie sah, wie spät es schon war, verfluchte sie sich ein weiteres Male.
„Kurz nach Mitternacht, scheiße“, sagte sie leise, dann beschleunigte sie ihre Schritte.
Als sie heute Nachmittag das Haus verließ, passte ihr Vater sie ab.
Um 24:00 Uhr bist du Zuhause, ist das klar? sagte er zu ihr und sah sie streng an.
Ja ist schon gut, antwortete sie mürrisch, dann schloss sie die Haustür hinter sich zu, ohne sich zu verabschieden.
Es würde wieder einen Streit geben, das wusste sie. Vor ein paar Wochen war sie schon einmal zu spät nach Hause gekommen und hatte sich dann von ihrem Vater eine Standpauke anhören müssen. Das war aber nicht schlimm. Schlimm war nur, dass sie danach eine Woche lang kein Internet mehr hatte, da der Vater ihr den Laptop wegnahm. Ohne ihn war sie aufgeschmissen, fühlte sich nur wie ein halber Mensch. Keine E-Mails mit ihren Freundinnen, kein Skypen mit ihrem Freund und vor allem kein Surfen im Internet, das war ziemlich hart gewesen. Jetzt würde es wahrscheinlich noch viel schlimmer werden, sie war ja ein Wiederholungstäter, da wird die Strafe, der Entzug des Computers, wohl zwei Wochen dauern.
Sie schüttelte den Kopf, als sie daran dachte und ihr wurde übel.
„Verflucht“, zischte sie und ging nochmals schneller.
In ein paar Wochen würde sie 18 werden, also volljährig sein.
Dann hoffte sie, dass sich das alles ein wenig entspannte, sie länger wegbleiben konnte und vor allem, dass sie keine Rechenschaft mehr ablegen musste, doch sie glaubte nicht so sehr daran. Wie sagte ihr Vater doch immer, wenn es um dieses Thema ging:
Solange du deine Füße unter meinem Tisch stellst, machst du das, was ich dir sage.
Sie schüttelte erneut den Kopf, als sie tief im Innersten seine Stimme hörte.
Durfte er das überhaupt? kam ihr in den Sinn.
Wahrscheinlich schon, gab sie sich selbst die Antwort.
Solange sie noch kein Einkommen hatte, musste sie sich fügen, so war es eben und niemand konnte daran etwas ändern.
Sie überquerte die Straße und bog in einen Nebenweg ein. Als sie einige Schritte gelaufen war und dann die letzten Häuser hinter sich gelassen hatte, konnte sie in der Ferne die Straßenbeleuchtung sehen, welche die Siedlung hell erleuchtete, in der sie wohnte. Obwohl ihr Zuhause in Reichweite lag und sie fast schon das Haus sehen konnte, würde sie noch mindestens 20 Minuten brauchen, bis sie da war.
Sie beschleunigte nochmals ihre Schritte, kehrte von der Hauptstraße ab und kam kurz darauf an eine Weggabelung.
Sie hielt an.
Für einen kurzen Moment überlegte sie:
Wenn ich nach links über die Wiesen gehe, bin ich in fünf Minuten da, dachte sie und machte einen Schritt in die Richtung, in der sie gehen wollte, dann blieb sie aber ruckartig stehen. Wieder überlegte sie:
Aber ist es nicht gefährlich, so im Dunkeln, abseits der hell erleuchteten Straßen nach Hause zu gehen?
Sie wusste es nicht. Nur eines wusste sie. Wenn sie nicht schnell an ihr Ziel kam, würde es zuhause unangenehm werden. Vielleicht konnte sie ja, wenn sie nur ein paar Minuten zu spät kam, einen Deal aushandeln, etwas erfinden, was ihr Zuspätkommen rechtfertigte und so dem Super Gau eventuell sogar entrinnen. Sie nickte zustimmend und ging einen Schritt weiter, blieb aber wieder stehen.
Ihr kam ein Gedanke:
Was ist mit dem Killer, der seit einigen Wochen in London mordet? Was ist, wenn er gerade in dieser abgelegenen Gegend ist und mich als nächstes Opfer auserkoren hat?
Sie schüttelte sich, als sie sich für einen kurzen Moment dran dachte, was er mit ihr machen würde, wenn er sie erwischte. Sie überlegte einige Sekunden, dachte daran, wie leichtfertig sie ihr Leben aufs Spiel setzte und genau in diesem Moment fiel ihr wieder ihr strenger Vater ein.
Aber er wird mir den Laptop wegnehmen, das kann ich nicht ertragen, dachte sie, und außerdem, müsste es nicht ein schrecklicher Zufall sein, wenn er gerade wirklich hier wäre und mich töten würde.
Sie atmete tief ein, dann ging sie mit pochendem Herzen nach links. Als sie einige Schritte gelaufen war und in eine dunkle Gasse einbog, machte sie sich selbst Mut.
Es trifft immer einen anderen, nie einen selbst.
Sie nickte wieder und stülpte ihren Kragen hoch. Der Wind peitschte durch ihr Haar, als sie das letzte Haus passierte und an den Zaun kam, der die Wiese von ihr trennte. Es waren vielleicht 200, vielleicht auch 300 Meter, die sie überqueren musste, dann noch den alten Bahndamm überschreiten und fast wäre sie Zuhause. Zuletzt noch die schmale Straße für einige Meter entlang gehen, dann würde sie an ihrem Haus stehen.
Sie schaute wieder auf die Uhr.
„00:07 Uhr“, sagte sie leise.
Sie stieg über den Zaun und ließ sich in das nasse, fast schon eisige Gras hinabsinken. Als sie mit beiden Beinen auf dem Boden aufkam, wäre sie fast ausgerutscht und hätte sich überdies noch ihre Kleidung dreckig gemacht, wenn sie sich nicht rechtzeitig mit der Hand abgestützt hätte.
Das hätte noch gefehlt, dachte sie und wischte ihre Hand mit einem Taschentuch ab.
Sie ging langsam weiter. Schritt für Schritt tastete sie sich in der Dunkelheit durch das Gras, während ihre Ohren aufmerksam nach einem für sie ungewöhnlichen Geräusch lauschten, das sie beunruhigen und ihr Angst machen könnte. Aber außer der Stille der Nacht, hörte sie nichts. Sie fühlte sich jetzt besser, ihre Angst, schien völlig unbegründet. Sie hatte fast schon die Hälfte der Wiese überquert, als sie ein Rascheln hörte. Sie blieb ruckartig stehen und horchte in die Nacht hinein.
Nichts.
Für einige Sekunden blieb sie regungslos stehen, doch weil das Rascheln sich nicht wiederholte, ging sie weiter.
Irgendein Tier oder vielleicht der Wind, beruhigte sie sich selbst, dann plötzlich, hörte sie ein Klingeln.
Sie drehte sich ruckartig um, hielt den Atem an und lauschte erneut.
Sekunden vergingen, in der sie sich nicht bewegte.
Wieder nichts.
Sie hatte jetzt doch Angst.
Nun, die Angst war von Anfang an ihr Begleiter gewesen, seit dem sie die Entscheidung getroffen hatte, den sicheren Weg für eine Abkürzung zu opfern. Zuerst war die Angst nur unterschwellig, verborgen in ihrem Innersten gewesen, jetzt aber bekam sie immer mehr die Oberhand.
Wieder hörte sie das Klingeln.
Sie zuckte zusammen und drehte sich um, da sie dachte, das Geräusch würde von vorne kommen. Sie blieb wieder regungslos stehen und lauschte erneut.
Da, schon wieder, dachte sie, als sie zum wiederholten Male das Geräusch hörte. Sie ging langsam rückwärts, Schritt für Schritt zurück und wollte sich gerade umdrehen, als sie plötzlich ein Hecheln hinter sich vernahm.
„Oh Scheiße“, sagte sie leise und nun fing sie an zu zittern. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus und innerlich wünschte sie sich, schon vor einer Stunde von der Geburtstagsparty gegangen zu sein.
Aber diese Chance war vertan.
Sie drehte sich langsam um. In schrecklichen Gedanken malte sie sich aus, was hinter ihr war. Eine riesengroße Bestie, so ähnlich wie der Hund von Baskerville oder vielleicht ein alptraumhaftes Geschöpf, das direkt aus der Hölle zu ihr kam. Mit halb zu gekniffenen Augen blickte sie in die Dunkelheit hinein und hoffte inständig nichts zu sehen und…
… sie sah nichts.
Keine Kreatur, kein riesengroßer Hund und auch keine Bestie mit hervorstechenden rotglühenden Augen.
Sie atmete laut auf und für einen kurzen Moment verließ die Angst sie. Doch nur für wenige Sekunden, denn als sie zum wiederholten Male das Klingeln, diesmal von rechts hörte, kam die Angst in einem neuen, viel bedrohlicheren Gewand zurück.
Sie schaute angestrengt nach rechts, während sie sich langsam nach vorne bewegte, konnte aber wieder nichts erkennen. Aber sie fühlte etwas, was, wusste sie nicht. Nur eines wusste sie, nein, sie spürte es:
Sie war nicht allein!
In der Ferne, vielleicht 100 Meter von ihr entfernt, konnte sie den Bahndamm erkennen. Sie beschleunigte ihre Schritte und rannte. Ihre Füße peitschten durch das nasse Gras, während Angst Panik wich.
Auf einmal hörte sie das Klingeln auf der anderen Seite, dann plötzlich wieder von links, dann einige Moment später wieder von rechts. So ging es immer weiter und weiter, und Jennifer wünschte sich, dass es endlich aufhören würde. Warum auch immer, wurde ihr Wunsch erhört, denn als sie es schaffte, an den Bahndamm zu gelangen, hörte das Klingeln schlagartig auf. Ohne viel nachzudenken und ohne auf ihre Kleidung zu achten, dazu hatte sie keine Zeit, krabbelte sie auf allen Vieren die Böschung hinauf. Als sie angekommen war, ließ sie sich auf der anderen Seite einfach nach unten fallen. Sie rutschte auf dem eisigen kalten Gras hinab, bis sie in eine Pfütze landete, die mit einer dünnen Eisschicht bedeckt war. Plötzlich begann sie zu weinen.
„Oh, Mann, lass mich doch in Ruhe“, heulte sie in die Dunkelheit hinein und klagte jemanden an, der nicht da war. Ihre Hand griff in die matschige Brühe der Pfütze hinein und voller Ekel zog sie sie sofort wieder zurück.
„Igitt“, schrie sie angewidert, dann erhob sie sich. Sie schaute nach vorne und erkannte, dass es nicht mehr weit war, bis sie in Sicherheit war. Sie streifte ihre dreckige Hand an ihrer Jacke ab und fing dann an zu laufen. Ihre Haare flatterten im Wind, der nun stärker aufzukommen schien und urplötzlich fing es an zu schneien. Kleine Flocken rieselten auf sie hinab und für einen kurzen Moment empfand sie es, trotz der Panik und der Angst, als wunderschön.
Sie rannte weiter und sah schon in Reichweite die ersten Straßenlampen, als plötzlich ein Schatten vor ihr auftauchte. Sie blieb ruckartig stehen, während das Herz ihr bis an den Hals pochte. Sie wusste nicht, was da vor ihr stand, sie wusste nur eins, es versperrte ihr den Weg aus der Gefahr.
Der Schatten verharrte und bewegte sich nicht, erst als Jennifer nach rechts lief, bewegte sich auch der Schatten in die gleiche Richtung. Sie blieb wieder stehen, während sich Tränen in ihren Augen bildeten, dann ging sie ruckartig nach links. Der Schatten folgte ihr.
„Lassen sie mich in Ruhe“, kreischte sie, während sie wieder nach rechts lief.
Der Schatten folgte ihr.
Sie probierte es ein letztes Mal und lief einige Schritte nach links, doch es war umsonst. Wieder folgte ihr der Schatten und blieb dann genau vor ihr stehen.
„Ich will doch nur nach Haus“, klagte sie und diesmal weinte sie. Sie schaute auf den Boden und ging dann in die Knie. Am liebsten hätte sie sich in den Erdboden verkrochen, doch das war leider nicht möglich.
Plötzlich hörte sie wieder das Klingeln. Obwohl sie es nicht wollte, schaute sie auf und als sie auf den Schatten starrte, der nun langsam auf sie zukam, konnte sie etwas erkennen. Er hatte etwas auf dem Kopf, das wie eine Narrenkappe aussah. Plötzlich schüttelte er den Kopf und jetzt wusste Jennifer, woher das Klingeln kam. Sie sprang auf, hetzte an der Gestalt vorbei und schaffte es tatsächlich, an ihm vorbei zu kommen. Auf einmal hörte sie ein Gelächter, dann Schritte. Sie drehte sich um und sah, wie die Gestalt immer näher kam.
„Hilfe“, schrie sie, während sie um ihr Leben rannte, dann schaute sie wieder nach vorne.
Nur noch wenige Meter, dachte sie, dann habe ich es geschafft.
Sie beschleunigte nochmals ihre Schritte. Sie hetzte über das Gras, sprang dann über einen kniehohen Busch und dann hatte sie es tatsächlich geschafft: sie war aus der Dunkelheit heraus und stand neben einer Straßenlaterne, die ihr gnadenreich Licht spendete.
„Geschafft“, keuchte sie. Sie ging in die Knie und atmete laut aus, dann erhob sie sich wieder und drehte sich um. Mit einer Hand hielt sie sich an dem Masten fest, während ihr Blick auf die dunkle Wiese fiel, wo sie vor wenigen Sekunden noch die Gestalt gesehen hatte, doch da war jetzt nichts mehr.
Sie starrte angestrengt in die Düsternis, doch so sehr sie sich auch bemühte, sie sah nichts.
Plötzlich musste sie lachen.
„O weh, was für eine Scheiße, ich dachte schon, ich …“.
Plötzlich hielt ihr eine Hand von hinten ihren Mund zu.
zu. Ihre Augen traten hervor und ein Schrecken durchfuhr ihre Glieder. Kurz darauf wurde sie wieder nach vorne in die Dunkelheit gestoßen. Sie fiel auf den Bauch und blieb dort weinend liegen. Auf einmal spürte sie etwas auf ihren Rücken. Zuerst wusste sie nicht, was es war, als dann aber eine Hand sie packte und umdrehte, sah sie es. Ein Messer blitzte, von der Straßenlaterne beschienen, vor ihren Augen auf. Für einen letzten kurzen Moment sah sie den Angreifer ganz genau. Er trug ein mit Flicken übersätes Kostüm, das karoartig rot, gelb und blau war und auf seinem Gesicht trug er eine bemalte Maske. In einem flüchtigen Moment, musste Jennifer schmunzeln, aufgrund der grotesken Bekleidung, die sie vor sich sah, dann jedoch verschwand der Gedanke so schnell wie er gekommen war. Die Gestalt beugte sich über sie, während sie versuchte, ihm robbend zu entkommen, doch es war schon zu spät. Die Gestalt, dieser Harlekin, packte sie, dann setzte er sich auf sie. Sie kreischte, fuchtelte mit ihren Händen, schlug mit ihren Füßen, doch es half nichts. Zenterschwer fühlte sich das Gewicht an, als die Gestalt sich vollständig auf sie hinauf setzte. Aufgrund ihres noch vorhandenen Lebenswillens, schnellten ihre Hände nach oben und rissen ihm die Maske vom Gesicht.
„Oh mein Gott“, sagte sie nur, als sie auf sein eigentliches Gesicht starrte, dann raste das Messer auf sie zu. Als der blanke Stahl in ihren Bauch eindrang, spürte sie den Schmerz noch nicht, auch dann nicht, als ein zweiter Stich sie traf. Erst als das Messer wieder aus ihrem Körper gezogen wurde, brach er überfallartig über sie herein. Für einen Bruchteil einer Sekunde, wünschte sie sich, dass ihr Vater jetzt hier wäre, um sie zu retten. Er würde alles von ihr bekommen, sie würde artig sein und seine Fürsorge, sowie auch seine Strenge schätzen und alles machen, was er nur wollte. Sie würde sogar auf Lebenszeit auf ihren Laptop verzichten, Hauptsache, er würde ihr helfen.
Doch er war nicht hier.
Es war niemand hier.
Nur der Harlekin.
In einem letzten Aufbäumen nahm sie ihre Hand und riss dem Harlekin die Narrenkappe vom Kopf. Sie umklammerte sie, während der Tod langsam immer näher kam. Sie spürte die nächsten Stiche nicht, sondern starrte fassungslos und unentwegt die Kappe an. Auch als jegliches Leben bereits von ihr gewichen war, starrten die toten Augen weiterhin auf die bunte, mit kleinen silbrigen Glöckchen bestückte Kappe an.
Was war eigentlich passiert?
Er wusste es nicht.
Sie hatten sich doch geliebt.
Oder hatte er sich das nur eingebildet?
Es musste wohl so sein, denn wie hätte sie ihn denn sonst so betrügen können? Als er sie erwischte, mit einem anderen Mann im Bett, da traf ihn das wie ein Keulenschlag.
Vor über zwei Jahren hatte er sie kennengelernt. Sie war hübsch und hatte unheimlich schöne Haare. Er kannte sich ja damit aus, denn er hatte viel von seiner Mutter gelernt, die ihr Leben lang als Friseuse in einem Modesalon gearbeitet hatte. Oft hatte er sie nach der Schule besucht und ihr geholfen, die abgeschnittenen Haare, die acht- und nutzlos auf dem Boden herumlagen, aufzukehren. Bevor sie in eine große Plastiktonne geworfen wurden, hatte er sie oft angefasst und sich gewundert, warum sie alle so verschieden waren. Die einen waren dicker und grober, die anderen hingegen feiner und hauchzart. Mehrmals hatte er unbemerkt vor den Blicken seiner Mutter einzelne Haarbüschel in seine Jacke gesteckt und sich dann zu Hause unter dem Mikroskop angeschaut. Eines Tages hatte er wieder einmal ein paar Haare mit nach Hause genommen, sie stammten von einer Blondine, die waren so grazil und geschmeidig, als stammten sie von einem Engel.
Auch Phoebe hatte solche Haare. Als er sie das erste Mal anfassen durfte, da fiel ihm dieser Tag wieder ein. Er nahm seine Finger und umspielte eine Haarlocke, dann bat er sie, ob er sie nicht haben könnte. Sie dachte sich nichts dabei, schließlich hatten sie sich erst kennen gelernt, er würde schon kein Perverser sein, also durfte er sie sich abschneiden. Er steckte die Haare in ein Medaillon, das er sich mit einer Goldkette um den Hals legte und fortan immer trug. Ab sofort nannte er sie nur noch Angel, sein Engel. Sie liebten sich, ja, zu mindestens dachte er es, da sie es ihm auch einmal sagte, doch je länger sie zusammen waren, desto weiter entfernten sie sich. Einmal wollte Phoebe sich von ihm trennen, meinte, er würde sie erdrücken und kontrollieren und überwachen, aber er überzeugte sie, dass sie im Unrecht wäre, obwohl es eigentlich stimmte, aber das durfte er ihr unter keinen Umständen sagen. Sie konnten daraufhin die Beziehung aufrechterhalten, sie wurde sogar noch etwas besser, hatte so etwas wie ein Zwischenhoch bekommen, das aber ebenso schnell ging, wie es gekommen war. Obwohl er sie liebte und vergötterte, merkte er, dass sie sich mehr und mehr von ihm abwandte. Als sie dann eines Tages, er erinnerte sich noch ganz genau, beiläufig erklärte, sie würde für ein paar Tage zu einer Freundin fahren, da sprach zum ersten Mal die Stimme zu ihm.
„Sie lügt“, schrie sie ihn an, doch er schüttelte den Kopf. Nicht seine Angel, jede andere vielleicht, aber nicht sie.
„Dann folge ihr“, sagte die Stimme.
Er wollte es nicht.
„Du Schlappschwanz“, beleidigte ihn die Stimme.
„Sei ruhig“, forderte er sie auf, doch sie verstummte nicht.
„Sie betrügt dich“.
„Nein, das tut sie nicht“, meinte er, war sich aber nicht sicher.
„Sie ist eine Schlampe, sie fickt mit einem anderen, der besser ist als du“, schrie sie verächtlich.
„Halts Maul“.
Doch sie schwieg nicht.
„Was bist du nur dumm“, sagte sie wieder.
„Nein, das bin ich nicht. Ich will..., ich will es nicht hören, verstehst du?“. Er riss an seinen Haaren und fiel auf die Knie. „Du liegst da falsch, glaub mir“.
„Dann folge ihr und du wirst es sehen“, forderte ihn die Stimme auf.
Er nickte, dann weinte er.
An einem Freitag verabschiedete sie sich von ihm, erklärte ihm nochmals, dass sie ein paar Tage, wahrscheinlich bis Montag bei Lucie bleibe, dann würde sie wieder zurückkehren. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, dann ging sie. Er wartete noch kurz ab, dann folgte er ihr. Sie nahm ihr Auto und fuhr weg, während er ihr mit einem anderen Auto folgte. Es war nicht seines, er hatte sich für diesen Tag einen Wagen ausgeliehen, so wie die Stimme es ihm gesagt hatte. Sie war schlau, sehr schlau, auf so eine Idee wäre er alleine nicht gekommen.
Als sie die Ausfahrt in Richtung Sutton, ein Londoner Stadtteil nahm, da wusste er, dass die Stimme Recht hatte. Lucie, die Freundin, die sie angeblich besuchen wollte, lebte ganz wo anders. Nach ein paar Minuten Fahrt lenkte sie ihren Wagen auf den Parkplatz eines kleinen Hotels. Er wartete seither am Straßenrand und beobachtete, was passierte. In seinem Innersten hoffte er, dass alles nur ein Missverständnis war, vielleicht hatte sie sich ja verfahren und fragte hier nach dem Weg. Oder hatte er sie falsch verstanden, als sie ihm sagte, sie würde zu Lucie fahren. Vielleicht meinte sie ja jemanden anderen, eine Geschäftskollegin oder jemanden aus der Familie. Ja, das könnte doch sein.
Sie ging in das Hotel hinein, kam aber nicht mehr heraus. Er wartete über eine halbe Stunde, dann ging auch er hinein. Zuerst kam er sich ziemlich blöd vor, als er an der Rezeption nach Phoebe fragte, doch dann antwortete der Portier, dass sie gerade eingecheckt hatte und im Zimmer 103 wohnen würde. Also hatte die Stimme doch richtig gelegen.
„Ich habe Recht“, sagte die Stimme.
Er nickte nur.
Er bedankte sich und ging nach oben. Als er die Treppe in den ersten Stock nahm, überlegte er, was er machen sollte, wenn er sie traf. Sie würde überrascht sein und ihn sicherlich fragen, was er denn hier machen würde. Natürlich sie wieder überwachen und kontrollieren, würde sie wahrscheinlich sagen, aber so war es nicht. Nein, er wollte doch nur wissen, warum sie ihn anlog, mehr nicht.
Er stand vor der Tür und sein Herz pochte laut. Er nahm seine Hand und wollte gerade anklopfen, als er stöhnende Geräusche aus dem Zimmer vernahm.
„Na, was hab ich dir gesagt, sie bumst mit einem anderen“, sagte die Stimme verächtlich.
„Nein, das ist nicht wahr. Sie ist in Not, ihr geht es bestimmt schlecht. Ich muss ihr helfen“.
„Ha Ha Ha“, lachte die Stimme, „dann geh hinein und hilf ihr, ja, geh hinein und überzeuge dich selbst“.
Er nickte wieder, dann machte er, ohne anzuklopfen, die Tür auf. Sie war nicht verschlossen und als er in den Flur trat, wurde das Stöhnen lauter. Er hörte ihre Stimme, dann aber auch noch eine andere.
Eine männliche.
Er ballte seine Faust, weil er in diesem Moment wusste, dass alles nur eine Lüge war. Ihre geheuchelte Liebe in den letzten Wochen war alles nur erfunden, in Wirklichkeit hatte sie sich schon längst von ihm abgewandt und sich jemanden anderen gesucht. Jemanden, mit dem sie glücklicher und zufriedenen war, als sie es mit ihm je sein konnte.
Es tat weh, unheimlich weh und ein Schmerz durchfuhr ihn. Er war so stark, dass er sich krümmte und sich auf den Boden setzen musste.
Noch immer hörte er das Stöhnen und das Heulen aus dem Schlafzimmer, das jetzt immer lauter und schneller wurde. Er konnte es nicht mehr ertragen und weinte.
„Was soll ich denn jetzt tun?“, fragte er leise.
„Töte sie, beide“, forderte ihn die Stimme auf.
„Nein, das kann ich nicht, ich liebe sie doch“.
„Töte sie, sie ist ein Nichts“.
„Aber, ich will …“.
„TÖTE SIE“, unterbrach ihn die Stimme.
„Ich will aber nicht allein sein“.
„Wenn du sie getötet hast, helfe ich dir“, meinte die Stimme.
„Ja?“.
„Bring sie um, dann werde ich dich lehren“.
Er nickte und auf einmal ging es ihm besser. Er würde es tun. Komme was wolle.
Er richtete sich wieder auf und ging an die Schlafzimmertür. Kurz bevor er sie aufmachte, kamen ihm nochmals Bedenken, doch als er ihre Stimme hörte, da war es vorbei.
„Ja, Steve, ja gib es mir, oh ist das schön, ja, ja, jaaaaaaaaaa …“. Er riss die Tür auf und trat hinein. Zuerst dachte er, der Anblick würde ihn erzürnen, ihm wehtun, ihn anekeln, aber so war es nicht. Ihm war es gleichgültig, egal und unwichtig. Er spürte nur ein Gefühl: Mordlust.
Der Mann, Steve, nahm sie von hinten, als er in das Zimmer trat. Zuerst bemerkten sie ihn nicht, als er mitten im Liebesakt und auf dem Höhepunkt ihrer Lust in das Schlafzimmer trat, dann aber, als er kurz aufschrie, da schauten sie beide entgeistert zu ihm hin. Sie ließ sich fallen und unterbrach die Vereinigung, dann kroch sie auf allen vieren an die Bettkante und hob ihm beschwörend ihre Hand hin.
„Das ist alles anders, nicht so wie du denkst“, meinte sie, während Steve hastig aufstand und sich dann seine Unterhose anzog.
Er antwortete nicht, sondern ging auf sie zu und gab ihr eine Ohrfeige, dann stieß er sie weg. Einen Moment später drehte er sich um und ging auf Steve zu, der gerade dabei war, sich sein T-Shirt überzuziehen. Er wartete nicht darauf, bis er angezogen war, sondern ballte die Faust und schlug ihn nieder. Steve fiel über einen Sessel und schlug sich dabei den Kopf an der Wand an, dann blieb er ohnmächtig liegen. Für den ersten Moment war er zufrieden. Er drehte sich wieder um und kam zu Phoebe zurück.
„Hure“, sagte er nur, dann schlug er wieder zu. Von der Wucht des Schlages fiel sie benommen nach hinten um und landete wieder auf dem Bett, in dem sie vor nicht einmal dreißig Sekunden Wollust und Begierde empfunden hatte. Diese Gefühle wichen nun dem Schmerz und der Angst.
„Jetzt mach ein Ende“, sagte die Stimme.
„Ja, das mache ich“.
Er nahm das Messer aus seiner Jacke und betrachtete es. Es blitzte und schimmerte und für einen kurzen Moment war er fasziniert. Fasziniert davon, wie ein einfaches Stück Metall so eine magische Anziehungskraft hervor bringen konnte. Er führte das Messer wieder nach unten und stieg auf das Bett, auf dem Phoebe immer noch benommen lag. Er betrachtete sie und er fand sie immer noch hübsch. Plötzlich waren die mordlüsternden Gedanken wie weggeblasen, plötzlich spürte er die Liebe und das Verlangen nach ihr, sie in den Arm zu nehmen und ihr alles zu verzeihen. Er nahm das Messer nach unten und in diesem Moment wurde sie wieder wach.
„Was?“, sagte sie noch etwas betäubt von dem Schlag.
„Es ist alles gut“, beruhigte er sie und ließ das Messer in seiner Jacke verschwinden. Er kam etwas näher und beugte sich dann zu ihr hinunter.
„Du mieser kleiner Sack“, brüllte sie ihn plötzlich an.
Von den Worten getroffen, taumelte er kurz zurück, dann kam er erneut zu ihr.
„Ich verzeihe dir. Und jetzt komm mit“.
Er reichte ihr seine Hand, doch mit einem verächtlichen Blick schlug Phoebe sie weg.
„Du elender kleiner impotenter Schlappschwanz“, sagte sie, „du ekelst mich an“.
Er hörte ihre Worte, verstand sie aber nicht.
„Wir werden das alles wieder hinbekommen, glaube mir“, antwortete er.
Dann ging alles ganz schnell.
Er kam jetzt noch näher, während sie sich immer mehr von ihm entfernte. Sie robbte nach hinten und wäre fast aus dem Bett gefallen, wenn sie sich nicht an dem Nachtkästchen festgehalten hätte. In diesem Augenblick stöhnte Steve auf und für einen kurzen Moment war seine Aufmerksamkeit abgelenkt. Er drehte seinen Kopf zu Steve um, während Phoebe die Nachttischlampe in die Hand nahm.
„Achtung, sie hat die Lampe“, schrie plötzlich die Stimme und er drehte wieder den Kopf zu ihr hin, doch es war schon zu spät. Er spürte den Schmerz nicht, als das Keramik und die Glühbirne in seinem Gesicht zersprangen. Er schrie auch nicht, als die Scherben tiefe Risse in sein Gesicht schnitten. Er heulte auch nicht auf, als kleine Splitter in sein rechtes Auge eindrangen und ihn blind machten und er machte sich auch keine Gedanken über das viele Blut, das aus den gerade entstandenen Wunden herausfloss.
„Sie liebt dich nicht“, schrie die Stimme wieder.
„Ja“, sagte er nur, dann nahm er zum wiederholten Male das Messer aus seiner Jacke.
In den darauf folgenden Sekunden, wusste er nicht, was passierte.
Nun, er wusste schon, was er tat und vor allem, wie er es tat, aber er fühlte nichts. Er hatte keine Bedenken, noch hatte er Abscheu.
Es war mehr wie eine Befriedigung, eine Erlösung.
Sie versuchte zu flüchten, als sie das Messer sah, doch er ließ ihr keine Chance. Als er immer näher kam, das Messer vor sich haltend, rutschte sie weiter nach hinten, um ihm doch noch zu entkommen, aber da war die Wand. Wie eine Maus, die von einer Katze in die Ecke gedrängt wurde, verharrte sie einige Sekunden in einer abwehrenden Haltung, in dem sie ihre Hände nach ihm ausstreckte.
„Ich wollte das nicht“, sagte sie weinend zu ihm.
„Ja, ich weiß“, antwortete er, dann hob er das Messer. Mit beiden Händen umklammerte er sein Mordinstrument, dann stieß er auf sie ein. Der erste Hieb trennte ihren Daumen von ihrer linken Hand, dann drang die Klinge in ihre Brust ein.
„Nein, bitte nicht“, konnte sie noch schreien, während er aus ihr das Messer wieder herauszog, dann folgte schon der nächste Stich. Diesmal wurde sie in den Bauch getroffen. Blut ergoss sich auf das blütenweiße Bettlaken und für einen Moment, als sie es sah, glaubte sie, dem allem noch zu entrinnen. Doch es war schon zu spät, denn schon traf sie ein weiterer Hieb, der mitten in ihr Herz drang und sie sofort von ihren Leiden erlöste. Die nächsten, unzähligen Einstiche bemerkte sie schon nicht mehr, da sie schon tot war.
Er wusste nicht genau, was passierte. Er wusste auch nicht, wie oft er zugestochen hatte, aber irgendwann, hörte er auf. Als er dann Phoebe ansah, erkannte er sie gar nicht mehr wieder. Was er sah, war eine blutige Masse, die aus unzähligen Wunden blutete und ihren kostbaren Lebenssaft verlor.
Er ließ von ihr ab und stand vom blutgetränkten Bett auf.
„Gut gemacht. Und jetzt noch der Hurensohn“, brüllte ihn die Stimme an.
Er nickte, drehte sich um und ging zu Steve, der von dem alles nichts mitbekommen hatte. Er lag immer noch ohnmächtig an der Stelle, wo er ihn KO geschlagen hatte.
„Los, kill ihn“, forderte sie ihn auf.
„Ja“, sagte er nur, dann ging er zu ihm hin.
Er machte kurzen Prozess. Ein Stich in den Hals und einen, für alle Fälle, mitten ins Herz, das müsste genügen.
Und er tat es.
Kurz heulte, nein, stöhnte Steve auf, als sich die Klinge in seinen Hals bohrte, den Stich in sein Herz bemerkte er gar nicht, denn da war er schon tot.
„Gut gemacht und jetzt geh. Wir haben noch viel vor“. Er nickte und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, aus dem
Schlafzimmer hinaus, dann ging er ins Badezimmer. Als er sich im Spiegel sah, kreischte er leise auf. Diese verdammte Hure hatte ihm mit dem Schlag schwer zugesetzt. Fast in seinem ganzen Gesicht verteilt waren kleine, sowie auch einige große und tiefe Risse zu erkennen, aus dem zäh und langsam das Blut in kleinen Rinnsalen heraussickerte. Er ging mit dem Gesicht näher an den Spiegel heran und begutachtete die Schäden.
„Das war knapp“, sagte die Stimme plötzlich, „das nächste Mal musst du aufpassen“.
„Das werde ich“, antwortete er.
Er nahm ein Handtuch und wischte sich, so gut es ging, das Blut aus seinem Gesicht, dann hielt er es unter den Wasserhahn. Als das Handtuch nass genug war, rieb er sich die restlichen Blutspuren aus dem Gesicht. Doch es half nur für eine gewisse Zeit. Sobald er das Handtuch wegnahm, blubberte das Blut schon wieder aus den Wunden heraus.
„Los, jetzt geh schon, bevor du entdeckt wirst“.
„Ja“, sagte er, „ das mache ich“.
Bevor er wieder aus dem Badezimmer hinausging, nahm er ein frisches Handtuch und wickelte es sich um sein Gesicht. Er wollte gerade die Tür öffnen, als die Stimme auf einmal rief:
„Noch nicht, warte, du hast noch etwas vergessen“.
„Ja, du hast Recht“.
Er grinste. Er hatte tatsächlich etwas vergessen. Er ging wieder zu ihr hin und schaute sie an.
„Ich werde ein Andenken von dir mitnehmen. Ich hoffe, du bist mir nicht böse“, sagte er, dann stieg er auf sie drauf. Er holte sein Messer wieder heraus und fing dann an, ihren Kopf vom Körper abzutrennen. Als er die Klinge an ihren Hals ansetzte, meldete sich die Stimme wieder.
„Das machst du gut, weiter so, aber beeile dich. Los“. Er nickte, dann schnitt er ihr den Kopf ab. Blut spritzte heraus und traf ihn mitten ins Gesicht, aber er bemerkte es nicht. Wie ein Metzger ein Stück Fleisch abschnitt, hantierte er an ihr. Nach nicht einmal einer Minute hatte er es geschafft, dann hielt er triumphierend den Kopf in die Höhe.
„Sehr gut“, geiferte die Stimme, „jetzt pack sie ein, wir brauchen sie noch. Aber nicht heute, nein, nicht heute. Wenn der Tag gekommen ist, werde ich es dir sagen“, meinte die Stimme.
„Ja“, hauchte er, dann packte er den Kopf in eine Plastiktüte und stieg vom Bett wieder herunter.
„Und nun geh“, forderte ihn die Stimme auf.
Er ging aus dem Zimmer hinaus und wollte gerade die Tür aufmachen, als ihn die Stimme warnte.
„Noch nicht, warte noch, bis ich es dir sage“.
Er wartete und hörte draußen plötzlich Schritte.
„Nur noch ein paar Sekunden, dann kannst du gehen“.
Er wartete die Sekunden ab.
„Los, jetzt“, sagte sie und er öffnete die Tür. Er ging auf den Gang und sah gerade noch, wie sich am Ende des Flurs eine Zimmertür schloss.
„Danke“, sagte er leise.
„Weiter jetzt, wir haben keine Zeit“, forderte ihn die Stimme erneut auf.
Er ging den Gang entlang und blieb dann an der Treppe stehen. Kurz bevor er die Stufen hinabging, hörte er sie wieder.
„Der Portier ist nicht da, du kannst gehen, aber schnell“.
Er ging …
… und er ging schnell, denn kaum war er an der Rezeption vorbei, da hörte er von hinten plötzlich eine Stimme:
„Haben sie sie gefunden?“, fragte der Portier.
Er gab keine Antwort, sondern hob einfach die Hand und ging weiter.
„Einen schönen Tag noch, Sir“, meinte der Portier und ging wieder seine Arbeit nach.
„Wir haben es bald geschafft, mein Freund, nur noch über die Straße, dann sind wir in Sicherheit“.
Er ging zum Ausgang hinaus, ohne jemandem zu begegnen, dann überquerte er die Straße. Eine Sekunde später saß er schon in seinem Auto.
„Na also, was hab ich dir gesagt“.
„Ja, du hast mich sicher geleitet“.
„Und jetzt fahr heim. Wir haben noch viel zu erledigen“, sagte die Stimme.
„Ja, das haben wir“, antwortete er, dann startete er den Motor und fuhr los.
Ein Schuss hallte durch das Wohnzimmer. Zuerst wusste er gar nicht, was passiert war. Er war von seiner Arbeit heimgekommen und wollte eigentlich nur kurz seine Familie besuchen, um ihnen mitzuteilen, dass er gleich wieder gehen musste. Ein dringender Auftrag, eine Observation, die er mit seinem ungeliebten Kollegen machen musste, der ihm als Partner zugeteilt war.
Die Kugel drang in seinen Brustkorb ein, zertrümmerte eine Rippe und durchschlug dann seine rechte Lunge, bevor sie unter seinem Schulterplatt wieder aus seinem Rücken herauskam. Der Schmerz kam sofort und er begriff im ersten Moment nicht, was los war. Nur eines wusste er, seine Familie war in Gefahr.
Als er von der Wucht der Kugel gegen die Wand geschleudert wurde, ahnte er noch nicht, dass sein schlimmster Alptraum bald wahr werden würde.
Wie oft hatte ihn seine Frau angefleht, er solle von der Mordkommission in eine andere Abteilung wechseln, da würden er und vor allem auch sie sicherer sein. Schon oft hatten sie, nachdem er den einen oder anderen verhaftet und zur Strecke gebracht hatte, Morddrohungen erhalten. Viele waren ein Jux gewesen, gemacht von Jugendlichen oder kleineren Ganoven, die immer noch sauer auf Gordon waren, weil er sie verhaftet hatte, aber einige waren sehr ernst zu nehmen. Schon einmal musste seine Familie, Mellie und seine kleine Eve, für einige Wochen in Schutzhaft genommen werden, da ein Drogenboss aus der Londoner Unterwelt ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt hatte.
Das war vor einigen Monaten gewesen, danach wurde es ruhiger, denn der Drogenboss wurde geschnappt und die Gefahr schien gebannt.
Doch heute holte ihn die Vergangenheit wieder ein. Er prallte gegen die Wand, dann sackte er zu Boden. Seine Lunge pfiff, als er vergeblich versuchte, Luft zu holen und sein Brustkorb schmerzte. Er griff mit der Hand unter seine Jacke, dann bemerkte er schon die Nässe. Trotz der Dunkelheit im Wohnzimmer konnte er, nachdem er die Hand wieder hervorgeholt hatte, das Blut daran erkennen.
„Verdammt“, zischte er noch, dann sah er einen Schatten vor sich.
„Na, Mr. Strachan, wie geht es ihnen“, sagte der Mann.
„Leck mich am Arsch“, antwortete Gordon und zeigte ihm den Stinkefinger.
„Na Na Na, wer wird denn so unhöflich sein“, meinte der Mann. Gordon beachtete ihn nicht, sondern versuchte, sich auf zu richten. Es gelang ihm tatsächlich, sich einige Zentimeter zu bewegen, dann sackte er wieder zusammen. Die Schmerzen waren zu groß und aus irgendeinem Grund, hatte die Kugel seine Mobilität so gelähmt, dass er völlig hilflos war.
„Was wollen sie?“, giftete Gordon den Schatten an.
„Oh, ich will nicht viel. Nur ihre Familie, nicht mehr“, sagte der Mann und kam näher.
Gordon zuckte zusammen.
Nicht meine Familie, du Schwein, dachte er und versuchte erneut, aufzustehen. Aber auch diesmal hatte er kein Glück, es blieb bei einem Versuch.
„Strengen sie sich nicht an, mein Freund. Ich habe so genau getroffen, dass sie kampfunfähig sind und es auch bleiben. Mein Auftraggeber hat mir, was sie betrifft, genauste Anweisungen gegeben. Sie sollen nicht getötet werden, aber von ihrer Familie, hat er ganz andere Vorstellungen. Was mich betrifft, ich hätte sie sehr gern tot gesehen, aber es geht leider nicht nach mir“.
„Lassen sie meine Familie in Ruhe“, schrie er ihn an.
„Den Gefallen kann ich ihnen leider nicht tun“, antwortete der Mann, dann trat er aus der Dunkelheit hervor.
„Sie?“, fragte Gordon überrascht, als er das Gesicht erkannte.
„Aber, aber sie müssten doch tot sein, ich habe sie doch …“.
„Ja, das dachten sie“, unterbrach ihn der Mann, „aber sie haben wohl nicht richtig getroffen“.
Gordon schloss die Augen.
Vor einem Jahr hatten sie eine Bande, die Heroin und Kokain vertickte, verhaftet und die meist jugendlichen Tätern danach verhört. Bald konnten sie herausfinden, dass Elijah Montgomery, ein stadtbekannter Drogenboss seine Finger im Spiel hatte. Dieser Verbrecher, vor dem seine Familie schon einmal in Sicherheit gebracht werden musste. Als sie genügend Beweise gehabt hatten, wurde ein Sonderkommando damit beauftragt, ihn zu verhaften. Es lief von Anfang an alles schief, was man sich nur denken konnte. Unbemerkt und überraschend wollten sie ihn verhaften, aber irgendjemand musste ihm einen Tipp gegeben haben, denn als sie vor seinem Haus standen und eindringen wollten, wurden sie schon von einem wahren Kugelhagel empfangen. Drei Polizisten verloren damals ihr Leben, aber auch fünf Bodyguards, die mehr gedrungene Mörder waren, starben durch die Kugeln der Polizei. Als sie dann endlich das Haus erreichten, explodierte plötzlich eine Handgranate einige Meter neben ihm und hätte ihn fast in Stücke gerissen, wenn er sich nicht durch einen Sprung auf die Seite in Sicherheit gebracht hätte. Er schlug sich den Kopf auf dem harten Steinboden an und wurde für einige Sekunden ohnmächtig. Als er kurze Zeit später wieder erwachte, war seine Gruppe bereits im Haus und versuchte Montgomery zu kriegen. Er wollte ihnen gerade folgen, als er hinter sich plötzlich Stimmen hörte. Er drehte sich um und konnte erkennen, dass einige Personen versuchten, hinter dem Haus zu flüchten.
„Stehenbleiben, sofort, Polizei“, rief er noch, dann vielen die ersten Schüsse. Er warf sich zu Boden und erwiderte das Feuer auf die Gruppe. Sofort erkannte er, dass seine Schüsse gut lagen und er eine Person getroffen hatte, die dann zusammen sackte und liegen blieb.
„Oh mein Gott“, schrie plötzlich eine Frau. Er wusste nicht, wen er getroffen hatte und es war ihm in diesem Augenblick auch egal. Er stand auf und rannte auf die Gruppe zu, die sich alle um die am Boden liegende Person versammelt hatten.
„Hände hoch“, schrie er, doch keiner hörte ihm zu. Auf einmal drehte sich eine Person zu ihm um.
„Sie haben meinen Sohn erschossen“, brüllte plötzlich Montgomery, dessen Stimme er sofort erkannte.
Ihm wurde schlecht und für einen Moment senkte er seine Waffe.
Was habe ich nur getan, waren seine ersten Gedanken, dann kehrte in ihm der beinharte und unnachgiebige Polizist zurück.
Er riss die Waffe wieder nach oben.
„Sie sollen die Hände nach oben nehmen“, schrie er erneut.
Er kam jetzt näher und dann erkannte Gordon sie alle. Vor ihm stand Montgomery, am Boden weinend liegend seine Frau und einen Meter rechts von ihm, John Phelps, sein Killer.
„Los, nun machen sie schon. Nehmen sie die Hände hoch, los sofort“, schrie er ein weiteres Male.
„Sie haben meinen Sohn getötet, sie verdammtes Hurenschwein“, sagte Montgomery, dann hob er die Hand.
Gordon sah die Pistole und schoss sofort. Die Kugel traf genau in sein Herz. Er war sofort tot.
Seine Frau, die weiterhin am Boden kauerte, bekam davon nichts mit, aber Phelps nutzte die Gelegenheit und sprang, nachdem Gordon auf Montgomery geschossen hatte, auf die Seite und schoss auf ihn. Die Kugel streifte Gordons Schläfe und er konnte danach wochenlang in seinen Alpträumen das pfeifende Geräusch des Projektils hören, wie es nur um Millimeter seinen Kopf verfehlte.
Er duckte sich und schoss zurück. Er wusste nicht, wie lange der Schusswechsel dauerte, auch in den Wochen danach, bei den unzähligen Untersuchungen, die über den Vorfall gemacht wurden, konnte er es nicht sagen und es war ja auch egal. Was er ihnen genau erklären konnte war, wie John Phelps starb.
Nachdem die Kugel ihn verfehlt hatte, folgte er dem Killer. Ein Schuss folgte dem anderen, bis er Phelps in die Enge getrieben hatte. John stand einfach nur da, hinter ihm die Klippen, vor ihm er.
„Lassen sie die Waffe fallen“, forderte er ihn auf, doch Phelps lächelte nur.
„Meine letzte Warnung“, brüllte Gordon.
„Leck mich“, sagte Phelps, dann schoss er.
Das Geschoss traf auf die kugelsichere Weste, oberhalb des Herzens, dann erwiderte er das Feuer. Er konnte noch deutlich sehen, wie John Phelps zweimal zuckte, als die Kugeln trafen, dann kippte er nach hinten und stürzte die Klippen hinunter. Er rannte auf den Abgrund zu und blickte nach unten. Die Wellen brandeten an die Felsen und obwohl er sich anstrengte, konnte ihn Gordon in der aufkommenden Dämmerung nicht entdecken.
Seine Leiche wurde nie gefunden.
Er öffnete die Augen wieder.
„Na, können sie sich wieder erinnern?“, fragte ihn Phelps.
Er antwortete nicht, sondern starrte ihn hasserfüllt an.
„Ich sehe, sie können“.
Er lachte und drehte sich um.
„Nachdem sie mich getroffen hatten, übrigens sehr gute Treffer, verlor ich das Gleichgewicht und fiel nach unten. Aber das wissen sie ja schon. Nun, aber wie sie und ihre Kollegen wohl angenommen haben, fiel ich nicht ganz nach unten, ich meine die fast hundert Meter. Durch einen für mich glücklichen Zufall landete ich auf einem kleinen schmalen Plateau, auf dem ich von ihnen unentdeckt liegen blieb und dann ohnmächtig wurde. Erst einige Stunden später, nachdem, wie soll ich sagen, sie alle wieder verschwunden waren, kletterte ich mehr schlecht als recht die Böschung nach oben und konnte mich in dem Haus für einige Stunden verbergen. Tja, um die Geschichte abzukürzen. Ich habe ja meine Verbindungen, wie sie sicherlich wissen, da war es kein Problem, meine Wunden zu lecken, sprich mich versorgen zu lassen. Aber jetzt bin ich wieder voll da“.
Er stand auf, drehte sich um und ging kurz weg.
Gordon überlegte, was er nur tun könnte. Erneut versuchte er aufzustehen, doch so sehr er sich auch bemühte, die Schmerzen verhinderten es. Er sank, ohne dass er sich auch nur um einen Zentimeter bewegt hatte, wieder in sich zusammen.
„Wer hat sie beauftragt?“, fragte Gordon stöhnend.
Phelps kam aus dem Dunkeln wieder zurück.
„Na wer wohl“, antwortete er und bückte sich abermals zu ihm hinunter. „Seine Frau natürlich“. Er grinste diabolisch, dann breitete er vor ihm einen Koffer aus. Er öffnete ihn und holte ein kleines schmales Messer heraus, das wie ein Skalpell aussah. Er hielt es vor Gordon hin und fuchtelte dann ein zweimal hin und her, dann ließ er es wieder in den Koffer verschwinden.
„Verdammt, wo ist es denn?“, fluchte Phelps leise, als er etwas suchte.
„Ach, da haben wir es ja“, sagte er und grinste erneut. Diesmal hatte er ein anderes Instrument hervorgeholt, das wie eine Schere aussah. Er nahm sie in die Hand und führte sie an Gordons Hand, dann nahm er den Daumen und öffnete die Schere.
Gordon zuckte zusammen und ein leises, kaum hörbares Zischen entkam seinen Lippen.
Phelps drückte die Schere zusammen und kurz bevor die scharfen Zangen seinen Daumen abtrennten, hielt er plötzlich inne.
„Keine Angst, mein Freund, ihnen soll nichts geschehen. Meine Auftraggeberin hat klare Vorstellungen, was passieren soll, also bitte, beruhigen sie sich“.
Gordon beruhigte sich nicht, sein Herz raste und sein Puls stieg auf dramatische Weise an.
„Nehmen sie mich, aber lassen sie meine Familie in Ruhe, bitte“, sagte er und meinte es ernst.
Phelps nahm die Schere und steckte sie in seine Tasche, dann setzte er sich auf den Boden, so dass er nur wenige Zentimeter von Gordon entfernt war. Er schaute ihn interessiert an.
„Nichts würde ich lieber machen als das, aber das wäre gegen den Auftrag und sie wissen, dass ich da keine Ausnahme mache“.
„Bitte“, flehte er ihn an, während sich langsam Tränen in seinen Augen bildeten.
Phelps hielt kurz inne und kam nochmals etwas näher. Er schaute ihm tief in die Augen, dann entfernte er sich wieder.
„Sie haben Angst?“, fragte er und ohne auf eine Antwort zu warten, sagte er weiter: „Ja, oh Mann, sie haben wirklich Angst“.
Gordon antwortete nicht, sondern blickte ihn stumm an.
Phelps stand wieder auf, nahm den Koffer und stellte ihn einige Meter von Gordon entfernt auf einen Tisch, dann kramte er wieder darin herum. Gordon konnte nicht erkennen, was Phelps heraus nahm, aber als er wieder zu ihm zurückkam, erkannte er sofort, was er in der Hand hatte.