Das Gesetz der Orks - Michael Peinkofer - E-Book
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Das Gesetz der Orks E-Book

Michael Peinkofer

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Beschreibung

Nach »Der Schwur der Orks« Band 3 der Bestseller-Reihe um die grimmigsten und heldenhaftesten Orks aller Welten: Balbok und Rammar sind zurück! Die ungleichen Ork-Brüder sind auf einer entlegenen Insel gestrandet. Dort ist nichts, wie es sein sollte. Die eigentlich friedliebenden Elfen regieren mit Grausamkeit und Härte von einer uneinnehmbaren Kristallfestung aus. Die Geschöpfe des Bösen dagegen, die Orks und Gnome, sind unterwürfig und völlig verweichlicht. Balbok und Rammar setzen alles daran, die verkehrte Welt wieder ins Lot zu bringen. Denn für die kaltschnäuzigen Krieger gibt es nur ein Gesetz – das scharfe Blatt der Streitaxt.

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www.piper.de

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

2. Auflage 2008

ISBN 978-3-492-95107-4

© Piper Verlag GmbH, München 2008

Umschlaggestaltung: HildenDesign, München

Umschlagabbildung: Jan Patrik Krasny via Agentur Schlück GmbH

Karte: Daniel Ernle

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

DANKSAGUNG

Wenn es jemanden gibt, dem ich an dieser Stelle zuvorderst danken möchte, dann sind es die vielen treuen Leser, die Balbok und Rammar auf ihren beiden ersten Abenteuern begleitet und mich während der letzten eineinhalb Jahre bestürmt haben, doch noch ein drittes folgen zu lassen. Da ich Balbok und Rammar ja nicht einfach in jener finsteren Höhle zurücklassen konnte, in die es sie am Ende von »Der Schwur der Orks« verschlagen hatte, hatte ich ja eigentlich gar keine andere Wahl, als dieser Bitte nachzukommen. Und es hat riesigen Spaß gemacht, all den vertrauten Figuren wiederzubegegnen – von der resoluten Elfin Alannah über den zum König gekrönten Kopfgeldjäger Corwyn bis hin zu unseren titelgebenden Helden. Dafür herzlichen Dank!

Bedanken möchte ich mich aber auch bei meiner Familie, die es während des letzten halben Jahres nicht nur mit mir unter einem Dach ausgehalten hat, sondern auch noch mit zwei bisweilen etwas anstrengenden Orks; beim Piper Verlag, namentlich vertreten durch Carsten Polzin und Friedel Wahren; bei meinem Agenten Peter Molden; meinem Lektor Peter Thannisch und bei Anja Rüdiger für ihre unermüdliche Unterstützung (sowie bei ihrem kleinen Sohnemann Ben dafür, dass er brav war und Mama und Papa hat arbeiten lassen).

Und natürlich geht mein Dank an Balbok und Rammar, die so unvermittelt in mein Leben getreten sind und mir netterweise immer genau sagen, wie ich ihre Abenteuer zu schreiben habe – auch wenn ich ein Milchgesicht und umbal bin.

In diesem Sinne: Ring frei zur dritten Runde!

Michael Peinkofer

PROLOG

Sie war überwältigt.

Niemals hatte sie zu hoffen gewagt, den geweihten Hort schon so früh zu betreten, zu einer Zeit, da sie kaum von sich behaupten konnte, jene Ehren errungen zu haben, die eine Passage zur Kristallstadt rechtfertigten.

Doch die Zeiten hatten sich geändert. Es herrschte Krieg, und es war bittere Notwendigkeit gewesen, die sie über die Große See getrieben hatte.

Dennoch kam sie nicht umhin, die Schönheit und Ruhe dieses Ortes zu bewundern, in dessen innerstem Zentrum sie stand, hoch oben in der Spitze des höchsten Turmes von Crysalion.

Ein Oktogon aus weißen Wänden umgab sie, die halb durchsichtig waren, sodass das goldene Licht des späten Nachmittags hindurchschimmerte. Schlanke Säulen erhoben sich in jeder der acht Ecken, und unmittelbar unter der Kuppel des Oktogons schwebte ein Kristall und strahlte sanftes Licht aus. Sie konnte sich gar nicht sattsehen an seiner wunderbar gleichmäßigen Struktur. Er hatte eine Rautenform, die sich nach oben und unten verjüngte, wo sich die mit Elfensilber beschlagenen Spitzen befanden. Es hieß, dass das Licht, das den Kristall erfüllte, auf calada zurückzuführen sei, jenen Urschein, der in grauer Vorzeit die Finsternis vertrieben und mit dem alles Leben begonnen hatte.

Wer in den Kristall sah, der konnte nicht anders, als die tiefe innere Wahrheit zu erkennen, die sich hinter dieser Sage verbarg: Annun, das Licht von Crysalion, verströmte Frieden und Harmonie, und es war kaum vorstellbar, dass der Krieg, den eine dunkle Macht nach amber getragen hatte, nicht einmal vor dieser geweihten Stätte haltmachen würde. Nur aus diesem Grund waren sie lange vor ihrer Zeit an die Fernen Gestade gekommen: um den Kristallhort mit ihrem Leben und all ihrer Zaubermacht zu verteidigen.

»Das werden sie nicht wagen«, hauchte Yloryn, einer jener Weisen und Betagten, die an den Fernen Gestaden ihre endgültige Heimat gefunden hatten. Im Ersten Kriege hatte er wahre Heldentaten vollbracht, war ein Krieger von untadeligem Ruf und großer Tapferkeit gewesen, weswegen man ihm die höchste Ehre hatte zuteilwerden lassen, die einem Elfen widerfahren konnte: die sterbliche Welt zu verlassen und gen Crysalion zu ziehen, wo immerwährende Freude und Friede herrschten. Weder hatte man zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass ein zweiter, noch grässlicherer Krieg folgen würde, noch dass auch die Kristallstadt einmal bedroht sein könnte.

»Vielleicht nicht«, entgegnete Rothgan, der zusammen mit ihr auf die Insel gekommen war, »aber falls Margok seine frevlerische Hand dennoch nach diesen geweihten Gefilden ausstrecken wird, sind wir gewappnet.«

In der Tat war alles vorbereitet.

Die alten Schriften, deren Zeichen nur mehr Eingeweihte und Zauberkundige zu entziffern vermochten, waren studiert worden, und alles war bereit für ein Ritual, das die Macht des Kristalls entfesseln und die Insel dem Zugriff des Bösen auf immer entziehen sollte. Jedoch reichte die Kraft eines einzelnen Magiers nicht aus, um den Zauber zu bewirken. Zwei mussten es sein, und eben so viele waren vom Festland herübergekommen, um diese schwierige und verzweifelte Mission zu erfüllen.

Mit einem Nicken gab Rothgan seiner Begleiterin zu verstehen, dass der Augenblick gekommen sei. Gemeinsam traten sie in das Symbol, das unmittelbar unter dem Kristall auf den weißen Marmorboden gezeichnet war und einen dreizackigen Stern darstellte. Sie blickten einander tief in die Augen, und einmal mehr fühlte sie, was zu empfinden sie sich untersagt hatte. Dann fassten sie sich bei den Händen, um das Ritual zu beginnen.

Schon erhob Rothgan seine Stimme, um die uralten Worte zu sprechen – als etwas Unerwartetes geschah.

Von einem Augenblick zum anderen wurde es finster.

Kein Licht fiel mehr durch die milchigen Wände, als hätte ein gefräßiges Untier draußen die Sonne verschlungen. Nur der Kristall strahlte noch, doch sein Licht musste gegen die Dunkelheit ankämpfen, die plötzlich von allen Seiten herandrängte.

»Rothgan!«, brachte seine Begleiterin hervor. »Was geht hier vor?«

»Zauberer! Seht!«, rief einer der Posten aufgebracht, die auf dem den Turm umlaufenden Balkon Wache hielten.

Die beiden Magier verließen den Dreistern und eilten durch eine der Pforten, die in jede der acht Wände eingelassen waren, auf den Balkon.

Der Anblick, der sich ihnen bot, war bestürzend.

Der azurblaue Himmel, der sich eben noch über der See und den Gestaden gespannt hatte, hatte sich verfinstert. Sturmwind war aufgekommen und trieb düstere Wolken von Norden her, die sich wie hungrige Wölfe auf das lichte Blau gestürzt hatten, um es zu verschlingen. Gleichzeitig stießen Blitze aus der Schwärze und schienen sich ins Meer zu bohren, das sich aufbäumte wie ein waidwundes Tier. Sein Rauschen und Rumoren mischte sich mit dem Heulen des Winds, der grässliche Laute herantrug: ein Zetern und Stöhnen, als würden unzählige gefolterte Seelen auf seinen Schwingen reisen – was vermutlich auch der Wahrheit entsprach.

Und im gleißenden Licht der Blitze erblickten die beiden Zauberer die Schiffe, die mit zum Bersten geblähten Segeln von Norden heranfuhren und sich mit beängstigender Geschwindigkeit näherten.

Nicht nur ein paar Dutzend.

Sondern Hunderte.

So weit das Auge reichte, erstreckte sich die feindliche Flotte auf dem wogenden Meere – und die scheußlichen Symbole, mit denen die Segel beschmiert waren und die das flackernde Licht aus der Dunkelheit riss, ließen nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Macht des Bösen auch nach den Fernen Gestaden griff. Die Schiffe – stählerne Galeeren aus Margoks finsteren Waffenschmieden, aber auch hölzerne Segler mit Katapulten und turmartigen Aufbauten – waren randvoll mit Kriegern beladen, die nur darauf warteten, ihrer Mordlust freien Lauf zu lassen: Unholde beiderlei Geschlechts, die der Dunkelelf selbst herangezüchtet hatte, aber auch Menschen, die in seinen Diensten standen und sich von seinen falschen Versprechungen hatten verführen lassen. Und im dunklen Wasser, in dem es zu gären und zu brodeln schien, ringelten sich die Fangarme einer grässlichen Kreatur, die die Macht des Bösen aus den Tiefen Erdwelts gerufen hatte und deren einziger Daseinszweck die Vernichtung zu sein schien.

Der Anblick machte der Zauberin Angst, und sie fragte sich bang, ob dies das Ende war, der Untergang allen Lebens und der Anbruch des Chaos, das alle Elfen fürchteten. Doch dann besann sie sich auf ihre Pflicht und den Auftrag, dessentwegen sie zu den Fernen Gestaden entsandt worden waren.

»Der Kristallschirm!«, schrie sie gegen das Brausen und Tosen des Windes an. »Wir müssen rasch handeln!«

Der Blick, den Rothgan ihr zukommen ließ, verunsicherte sie, denn er war kaltblütig und ohne Teilnahme, so als sei ihr Gefährte nicht im Geringsten erschrocken angesichts der Streitmacht, die der Dunkelelf aufgeboten hatte. Träge nickte er, und sie kehrten zurück unter die Kuppel und den Kristall, dessen inneres Licht infolge des Bösen, das sich näherte, unstet zu flackern begonnen hatte. Heiser wies Yloryn seine Untergebenen an, die Pforten des Kristallturms zu schließen. Das Brausen des Windes verstummte, der grelle Schein der Blitze, die über den dunklen Himmel irrlichterten und durch die halb transparente Kuppel schimmerten, blieb jedoch und warf gespenstische Schatten.

Erneut trat die Zauberin in das dreizackige Sternsymbol – Rothgan jedoch blieb davor stehen, und auf einmal spielte ein grausames Lächeln um die ebenmäßigen, von langem Haar umrahmten Züge des Magiers.

»Rothgan!«, rief sie entsetzt – und im nächsten Augenblick war es ihr, als würde sich hinter ihrem Rücken etwas bewegen. Es waren ihre magischen Sinne, die sie warnten, und sie fuhr herum und wurde Zeugin eines dramatischen Schauspiels.

Im leeren Raum begann die Luft plötzlich zu flimmern wie unter großer Hitze. Schon im nächsten Moment verzerrte sie sich, und ein Wirbel bildete sich, in dem sich die Umgebung – der Kristall, die Säulen, die Kuppel sowie die ungläubig starrenden Turmdiener – spiegelte. Immer schneller drehte sich der Strudel, dessen Zentrum plötzlich in unerreichbare Fernen zu entschwinden schien – und in dem einen Herzschlag später die Umrisse von grauenhaften Kreaturen zu sehen waren. Sie näherten sich und waren immer besser zu erkennen: tumbe, grünhäutige Wesen mit grässlichen Hauern und gelben Augen, in denen die nackte Blutgier leuchtete.

Margoks Kreaturen!

Oder wie sie sich selbst nannten: Orks!

Ihr Hecheln und Grunzen, das Geklirr ihrer Kettenhemden und das Stampfen ihrer eisenbeschlagenen Stiefel drangen aus dem Schlund, der sich so plötzlich geöffnet hatte, dass die Zauberin kaum begriff, was geschah. Rein instinktiv griff sie selbst nach ihrer Klinge, um den mordlüsternen Angreifern zu begegnen.

In diesem Moment traf eine schwere Erschütterung den Kristallturm. Als hätten sich alle Blitze, die bislang wahllos über den Himmel gezuckt waren, auf einmal vereint, stach eine Entladung vernichtender Energie aus den Wolken, durchschlug die Kuppel und traf den Kristall.

Die Augen der Zauberin weiteten sich vor Entsetzen, als sie sah, wie die zerstörerische Energie den annun einhüllte, als wollte sie ihn verschlingen. Was danach mit dem Licht von Crysalion geschah, bekam sie nicht mehr mit, denn etwas traf sie hart am Bein, und sie spürte brennenden Schmerz. Mit erhobener Klinge fuhr sie herum und enthauptete den Unhold, der sie angegriffen und seinen saparak in ihren Oberschenkel gebohrt hatte.

Doch für den Ork, der vor ihr zusammenbrach, drängten zehn weitere aus dem Schlund, um sich mit der ganzen Kraft ihrer missgestalteten Körper auf die Zauberin zu stürzen. Mit einem Bannzauber wollte sie sich die Angreifer vom Hals halten, sie zurückschleudern in den dunklen Pfuhl, dem sie entstiegen waren – aber es kam nicht dazu.

Irgendetwas schien ihre magischen Kräfte zu blockieren, sodass ihr nichts weiter blieb, als mit blanker Klinge zu kämpfen und sich wie ein gewöhnlicher Krieger ihrer Haut zu erwehren.

»Rothgan!«, rief sie verzweifelt – und als Antwort erhielt sie höhnisches Gelächter.

Sie erledigte zwei weitere von Margoks Kreaturen, ehe sie überwältigt und niedergerungen wurde. Hart schlug sie zu Boden, und sie spürte, wie ihr die Sinne schwanden. Das Flackern um sie herum verlosch, und es wurde dunkel. Nur noch das Grunzen der Unholde war zu hören und die Schreie der Elfendiener, die ihren saparak’hai zum Opfer fielen.

Und über allem lag das höhnische Gelächter Rothgans, des jungen Zauberers, der sie alle verraten hatte …

»Nein!«

Mit einem Ausruf des Entsetzens fuhr Granock aus dem Schlaf. Trotz der Kälte des Ortes, an dem er weilte, war er in Schweiß gebadet, und sein Herz pochte so heftig, als wollte es seinen Brustkorb sprengen.

Augenblicke lang hatte er Probleme, ins Hier und Jetzt zurückzufinden, so lebhaft standen ihm die Bilder vor Augen, die er gerade gesehen hatte. Er musste sich mit aller Macht einreden, dass es nur ein Albtraum gewesen war – aber weshalb, beim großen Farawyn, hatte er einen solchen Traum gehabt, der ihm so real und wirklich erschienen war, als wäre er damals tatsächlich dabei gewesen?

Denn genau so musste es gewesen sein, als die Macht der Dunkelheit vor Hunderten von Jahren nach den Fernen Gestaden gegriffen hatte. Er erinnerte sich sogar daran, das Grunzen und Schnauben der Unholde gehört und ihren Gestank gerochen zu haben. Ja, er hatte diese scheußlichen Laute noch immer im Ohr und den ekelerregenden Geruch noch in der Nase.

Wie war das möglich?

Es gab nur eine Antwort auf diese Frage, dämmerte Granock: Die Verbindung war erneut geöffnet worden.

Der Dreistern war wieder erwacht – und mit ihm die alte Macht, die die Erdwelt bedrohte …

BUCH 1

UULOUN’HAI FOSH

(DIE FERNEN GESTADE)

1.

IOMASH SUL’HAI

Wenn es etwas gab, das Rammar mehr hasste als alles andere, dann waren es Überraschungen. Der feiste Ork hielt nichts davon, mit Ereignissen konfrontiert zu werden, mit denen er nicht gerechnet hatte – vor allem dann nicht, wenn sie Leib und Leben bedrohten.

Oignash wurde so etwas in der Sprache der Orks genannt – eine unerwartete Wendung, die zum Beispiel darin bestehen konnte, dass einer von zwei Verhandelnden plötzlich die Geduld verlor, zur Axt griff und dem anderen den Schädel spaltete. Oder darin, dass sich ein Gebilde, das man irrtümlich für einen Fels gehalten hatte, als Bergtroll herausstellte, der geschlafen hatte und plötzlich erwachte. Oder dass es jemand für eine witzige Idee gehalten hatte, das Blutbier zu vergiften, das man sich gerade in die Kehle kippte.

Aufgrund der unberechenbaren Natur der Unholde gehörte oignash zu ihrem (häufig recht kurzen) Leben wie Ghul-Augen in den bru-mill. Was nicht bedeutete, dass Rammar davon begeistert gewesen wäre. Überraschungen waren ihm – wie gesagt – zuwider, und deshalb schätzte er es auch ganz und gar nicht, sich von einem Augenblick zum anderen in einer miefigen Felsenhöhle zu befinden, deren Boden von Sand bedeckt und deren Wände von Schimmel überzogen waren.

An sich hatte der Ork gegen Schimmel nichts einzuwenden, denn er erinnerte ihn an sein Zuhause in der Modermark. Aber da Rammar erwartet hatte, sich inmitten unermesslicher Reichtümer wiederzufinden, kam die Sache einem Sprung ins kalte Wasser gleich. Eben noch hatten er und sein Bruder sich an der Schwelle zur Schatzkammer von Kal Anar befunden, deren Inhalt sie sich hatten krallen wollen, nachdem sie König Corwyn und seiner Gemahlin Alannah dabei geholfen hatten, den Herrscher über den Schlangenturm zu vernichten und mit ihm die Bedrohung, die dem Reich in Form eines grässlichen Ungeheuers erwachsen war. Nach allem, was ihnen dabei widerfahren war, nachdem sie mehr oder weniger – oder doch mehr weniger – freiwillig in die Dienste des Königs getreten waren und wiederholt ihren asar für ihn und sein Elfenweib riskiert hatten, glaubten sie, sich eine kleine Belohnung verdient zu haben.

Statt jedoch in einem Meer aus Gold und Gemmen zu landen, waren die Orks plötzlich von einem grellen Blitz erfasst, hinfortgerissen und nur einen Herzschlag später an diesem tristen Ort wieder ausgespuckt worden.

Wie war so etwas möglich?

Anstatt geblendet zu werden vom Glanz des Goldes und der Juwelen, standen die Orks auf einmal in einem finsteren Loch. Und das war noch nicht einmal das ganze Übel. Denn auch mit den unzähligen Augenpaaren, die feindselig aus dem sie umgebenden Halbdunkel starrten, hatte Rammar nicht unbedingt gerechnet.

»Ich fürchte, wir sind nicht in der Modermark«, wiederholte er die Worte seines Bruders Balbok und äffte dabei misslaunig dessen Stimme und Tonfall nach, sich dabei nervös nach allen Seiten umdrehend. Die Augen starrten aus allen Richtungen, es schien kein Entkommen zu geben. »Das sehe ich auch, dass wir nicht in der Modermark sind, du dämliche Bohnenstange! Sag mir lieber, wie wir hier rauskommen, ohne bei lebendigem Leib gefressen zu werden!«

Balbok, Rammars hagerer und ungleich größerer Bruder, kratzte sich nachdenklich am spärlich behaarten Kopf, und sein ohnehin schon schmales Gesicht zog sich dabei noch mehr in die Länge. »Ich weiß auch nicht, Rammar«, gestand er. »Vielleicht, indem wir ihnen zuvorkommen und sie einfach vorher fressen?«

»Ist das alles, was dir einfällt?«

»Na ja.« Balbok zuckte mit den knochigen Schultern. »Ich hab eben Hunger …«

»Korr«, maulte Rammar wütend, »ich sehe schon, es liegt mal wieder an mir, den saparak aus der shnorsh zu ziehen.«*

Er trat einen Schritt von seinem Bruder weg, um sich deutlich von dessen Dummheit und feindseligen Absichten zu distanzieren. Dann räusperte er sich und hob die Stimme. »Heda!«, rief er den gefährlich leuchtenden Augenpaaren zu. »Wir wollen euch nichts tun, hört ihr? Wir kommen in Frieden und …«

»Rammar?«, ließ sich Balbok vernehmen.

»Was ist?«, fragte sein Bruder.

»Ist das wahr?«

»Was ist wahr?«

»Dass wir in Frieden kommen und ihnen nichts tun wollen?«

Rammar bedachte seinen Bruder gleich mit zwei ungläubigen Blicken; mit einem ganz kurzen flüchtigen und einem zweiten, sehr viel längeren. »Umbal«, flüsterte er dann verstohlen, »hast du noch nie etwas von Kriegslist gehört?«

»Douk.« Der Lange schüttelte den Kopf.

»Das dachte ich mir«, knurrte Rammar und wandte sich wieder von ihm ab – um erneut einen Fall von oignash zu erleben.

Licht flammte plötzlich auf – mehrere Fackeln wurden entzündet, die die Dunkelheit in der Höhle vertrieben und endlich erkennen ließen, wer da so unverwandt auf die beiden Orks starrte. Rammar konnte nicht anders, als einen ebenso verächtlichen wie erleichterten Laut von sich zu geben.

»Ha«, machte er, »sieh dir das an! Es sind nur Kobolde!«

»Korr«, stimmte Balbok nicht weniger verwundert zu und musste grinsen. »Wie nett.«

Sie waren selten geworden, die kleinwüchsigen Bewohner von Wald und Heide, die meist dort anzutreffen waren, wo auch Elfen weilten, und von den Orks deshalb als deren niedere Diener verspottet wurden. Ein Kobold wurde im Allgemeinen nicht größer als ein knum, womit er einem Ork allenfalls bis zum Stiefelschaft reichte. Ihr kleines Herz schlug für die Natur, und sie verbrachten ihre Zeit damit, dem Gras beim Wachsen zuzuschauen und den Glockenblumen beim Läuten zuzuhören. Läppischer Unsinn, für den ein Ork nichts als Verachtung übrig hatte. Im Frühjahr pflegten die kleinen Kerle über Wiesen und durch die Wälder zu hüpfen und dabei lauthals zu singen. Sie begeisterten sich für alles, was blühte und lebte. Mit anderen Worten: für all das, was ein Unhold aus seinem innersten Wesen heraus verabscheute.

Da die Elfen Erdwelt verlassen hatten, gab es auch keine Kobolde mehr. Wohin sie verschwunden waren, entzog sich Rammars Kenntnis, und er hatte auch nie darüber nachgedacht.

In diesem Augenblick allerdings dämmerte ihm die Antwort …

»Hier also steckt das ganze Gesocks«, knurrte er und taxierte die kleinwüchsigen Wesen, die aus Blättern gefertigte Röcke und bunte Hüte aus umgedrehten Blütenkelchen trugen. In ihren pausbäckigen Gesichtern wuchsen spitze Nasen, die wie geschaffen dafür waren, an Blumen zu schnuppern, und die Ohren, die unter den Blütenhüten hervorlugten, waren ebenso spitz wie die von Elfen, was auf weitläufige Verwandtschaft schließen ließ.

Dass dies zwangsläufig bedeutete, dass auch Orks und Kobolde entfernt miteinander verwandt waren, verdrängte Rammar geflissentlich. Er hatte sich mit dem Gedanken, dass seinesgleichen das Ergebnis verbotener Experimente war, die man vor langer Zeit mit Elfen angestellt hatte, nie recht anfreunden können.

Es ärgerte ihn, dass er sich vor Kobolden gefürchtet hatte, die nun wirklich harmlos waren und niemandem etwas zuleide taten, auch wenn er sich ein wenig vor ihnen ekelte.

Anders als Balbok.

»Lustig«, meinte der dürre Ork und blickte grinsend in die Runde der kleinen Wesen, die kein Wort sagten. Ob sie überhaupt der Sprache mächtig waren, entzog sich Balboks Kenntnis und interessierte ihn auch nicht. Sein Augenmerk galt anderen Dingen. »Weißt du, Rammar, was ich mich frage?«

»Was denn?«

»Wie die kleinen Kerle wohl schmecken«, sagte Balbok und rieb sich den knurrenden Magen.

»Wie sollen sie wohl schmecken?«, fragte Rammar und verzog vor Abscheu das ohnehin schon hässliche Gesicht. »Nach Honig und Blüten natürlich. Einfach widerwärtig!«

»Ob ich trotzdem ein paar probiere?«

»Wenn du unbedingt willst. Aber beeil dich, wir haben schon genug Zeit mit diesem Gelichter verschwendet. Ich möchte raus aus dieser Höhle und nachsehen, wohin es uns verschlagen hat.«

»Korr«, bestätigte Balbok und wandte sich den Kobolden zu. Da nicht sehr viel an ihnen dran war, beschloss er, sich ein kleines Sträußchen verschiedenfarbiger Kopfbedeckungen zusammenzustellen, deren Träger sicherlich auch unterschiedlich schmecken würden. Ein weißer Glockenhelm hier, ein gelber Blätterkranz da, dazu eine rote Orchideenmütze …

Die Kobolde zu »pflücken« erwies sich jedoch als schwieriger als gedacht, denn kaum streckte Balbok seine Klauenpranke aus, um nach einem zu greifen, sprang dieser wie ein Floh in die Höhe und entzog sich seinem Zugriff.

»Du, Rammar!«, beschwerte sich Balbok lauthals. »Die wollen nicht stillhalten.«

»Dann lass es eben gut sein«, versetzte sein Bruder energisch, dem das Herumgehopse der Kobolde sichtlich auf die Nerven ging. »Verscheuch sie, und dann lass uns gehen, hörst du?«

Die Enttäuschung in Balboks langem Gesicht war unübersehbar, aber ihm war klar, dass es weder aussichtsreich noch besonders zuträglich war, seinem Bruder zu widersprechen. Seufzend gab er sein Ansinnen, einige Kobolde zu verspeisen, wieder auf und schnitt stattdessen die abscheulichste Grimasse, zu der er fähig war. »Buuuh!«, machte er dabei, um die Wichte zu erschrecken, wie er es als junger Ork bisweilen getan und sich dann diebisch gefreut hatte, wenn die kleinen Kerle wie ein Schwarm aufgescheuchter Fliegen auseinandergestoben und mindestens ein Dutzend von ihnen vor Schreck tot umgefallen waren.

Aber es kam anders.

Weder flüchteten die Blumenwichte, noch fielen sie tot um. Dafür nahm das Leuchten in ihren Augen zu, und sie öffneten ihre Münder, in denen Reihen kleiner, aber messerscharf aussehender Zähne zum Vorschein kamen.

»Ra-Rammar?«, sagte Balbok vorsichtig.

»Ja doch, was ist?«, fragte der Feiste ungehalten, der zur Höhlendecke hinaufstierte, weil er beschlossen hatte, die Kobolde keines weiteren Blickes zu würdigen.

»Die lassen sich nicht verscheuchen.«

»Was soll das heißen, die lassen sich nicht verscheuchen?«, maulte Rammar ungehalten.

Die Kobolde fletschten die Zähne, reckten angriffslustig die Köpfe vor und ballten die winzigen Hände zu Fäusten.

»Na, was es eben heißt«, sagte Balbok und wich einen Schritt zurück. Die schiere Zahl der Kobolde, die er dank seiner Kenntnisse in der Numerik auf mehrere Dutzend, auf jeden Fall aber auf iomash schätzte, bereitete ihm Unbehagen. »Sie wollen einfach nicht abhauen.«

Er versuchte noch einmal, sie zu erschrecken, aber daraufhin traten die Kobolde sogar noch vor und zogen den Kreis, den sie um die beiden Orks geschlossen hatten, enger.

»Elender umbal, was hast du getan?«, maulte Rammar, dem nun ebenfalls aufging, dass etwas nicht stimmte.

»I-ich hab bloß versucht, sie zu vertreiben«, verteidigte sich Balbok stammelnd und rückte näher an seinen Bruder heran, der bereits seinen saparak erhoben hatte und in Abwehrstellung gegangen war (auch wenn er sich dabei ziemlich lächerlich vorkam).

»Du hast sie aber nicht vertrieben, sondern sie nur stinksauer gemacht«, sagte Rammar mit Blick in die kleinen, wutverzerrten Gesichter, die sich von allen Seiten weiter heranschoben. »Kannst du nicht ein einziges Mal das tun, was von dir verlangt wird?«

»Entschuldige.« Balbok ließ geknickt den Kopf hängen.

»Und wie oft habe ich dir schon gesagt, dass sich ein Ork aus echtem Tod und Horn nicht entschuldigt?«, schnauzte ihn Rammar an, um seine eigene Nervosität zu überspielen.

Als hätte einer der Kobolde das Signal dazu gegeben, rissen alle gleichzeitig die Mäuler auf – und fielen im nächsten Moment von allen Seiten gleichzeitig über die Orks her.

Dass ihnen nicht schon die erste Angriffswelle den Garaus machte, war Balbok zu verdanken, der seine Axt emporriss und sie kreisen ließ. Gleich mehrere der wütenden Angreifer fanden ein unrühmliches Ende, als das Axtblatt sie traf: Sie zerplatzten wie überreife Früchte, eine Woge zarten Blütendufts strömte durch die Höhle.

»Widerlich!«, maulte Rammar, während er seinerseits mit dem saparak nach den Kobolden stocherte. Doch während Balbok mit seiner Axt weiterhin vorzeigbare Ergebnisse erzielte, hatte es Rammar ungleich schwerer, sich die Angreifer vom Leib zu halten. Wie ein brunftiger Drache sprang er umher und wirbelte immerzu im Kreis, womit er allerdings nicht verhindern konnte, dass zwei der Kobolde seine Deckung durchdrangen, an seiner feisten Gestalt emporhuschten und ihre Zähne in seinen Nacken gruben.

Es war nicht so sehr der Schmerz als vielmehr die Wut, die Rammar aufschreien ließ. Reflexartig griff er in sein Genick, bekam einen der Wichte zu fassen und schleuderte ihn in hohem Bogen von sich. Dabei vergaß er allerdings, mit dem saparak zu stochern, worauf ihn eine ganze Welle von Angreifern erfasste.

Da er sich in rascher Folge im Kreis gedreht hatte, war der dicke Ork ohnehin benommen – die Übermacht der Kobolde gab ihm den Rest. Mit einem erstickten Schrei auf den wulstigen Lippen ging er nieder, und die Angreifer brandeten über ihn hinweg und schlugen ihre Zähne überall dorthin, wo sie grüne Haut erblickten.

»Ihr verdammten, widerwärtigen …!«, hörte man Rammar brüllen – aber so sehr er sich auch mühte, weder gelang es ihm, seine Peiniger abzuschütteln, noch konnte er sich wieder auf die Beine raffen. Wie ein fetter Käfer lag er auf dem Boden und strampelte mit den Beinen, während immer noch mehr Kobolde über ihn herfielen, die in einen regelrechten Blutrausch verfallen sein mussten und nach dem Lebenssaft des Orks dürsteten.

Nicht nur, dass sich Rammar vor ihnen ekelte, ihre Bisse waren äußerst schmerzhaft, und seine anfängliche Wut schlug in Panik um. »Balbok!«, schrie er aus Leibeskräften, während er sich hilflos am Boden wand. »Tu gefälligst was, du hagerer, hirnloser, grünhäutiger Vollidiot!«

Balbok hörte den Hilferuf seines Bruders, konnte sich aber nicht um Rammar kümmern. Gerade schwappte wieder eine Welle kleinwüchsiger, aber überaus gefräßiger und dabei noch blitzschneller Angreifer auf ihn zu, und diesmal genügte die Axt nicht mehr, um sie sich vom Leib zu halten.

Rasch hatten die kleinen Kerle gelernt, dem mörderischen Blatt auszuweichen, und waren im nächsten Moment heran. Balboks Glück war es, dass er größer war als sein Bruder und die Kobolde deshalb nicht so einfach an ihm emporspringen konnten. Diejenigen, die es versuchten, gelangten gerade bis zu seiner Hüfte, wo sie sich an den Gürtel klammerten. Doch an Balboks Kettenhemd bissen sie sich die Zähne aus, und das im wörtlichen Sinn.

Zeternd und jammernd fielen sie an ihm herab, während andere versuchten, an seinen Beinen hinaufzuklettern. Da ihn dies kitzelte, begann der hagere Ork laut zu lachen, was ihm sein bedrängter Bruder wiederum ziemlich übel nahm.

»Du grüner Affe, was soll daran so lustig sein? Hilf mir gefälligst! Diese elenden Biester beißen mir in den asar!«

Zu gern hätte Balbok zu lachen aufgehört, aber er konnte nicht. Von einem Bein auf das andere hüpfend, versuchte er sich der kleinen Knilche zu entledigen, von denen sich einige fest in seine Schenkel verbissen hatten, so als wären sie keine Kobolde, sondern Egel. Wenn Balbok einen von ihnen erwischte und abriss, strömte stets ein ganzer Blutschwall aus der Wunde, was den Ork jedoch nicht weiter störte. In hohem Bogen warf er die zappelnden Wichte ihren Artgenossen entgegen, während er sich insgeheim vorstellte, was die Vielfalt der Orkküche wohl mit ihnen anzustellen wüsste.

Man könnte sie, dachte er, während er einen von ihnen mit der flachen Pranke erschlug, zum Beispiel am Stück in den bru-mill geben oder sie in einem Fass Blutbier ersäufen und es so ein wenig süßen. Koboldauflauf und Kobold am Spieß wären weitere Varianten, die er sich vorstellen konnte, wenngleich man wohl mehrere der drahtigen kleinen Kerle brauchte, um ein halbwegs ordentliches Gericht hinzubekommen.

In Balboks Gedanken wurde munter gesotten, verwurstet, verhackstückt und geschnetzelt, dass ihm der Geifer nur so im Maul zusammenlief – und plötzlich ließ der Ansturm der Feinde nach.

Zunächst bemerkte es Balbok gar nicht, der weiterhin sowohl mit der Axt als auch mit bloßer Pranke um sich schlug. Aber es wurden immer weniger. Die Kobolde warfen ihre Fackeln von sich und zogen sich zurück, sodass Balbok schließlich den letzten von ihnen in der linken Klaue hatte und ihn mit einem strafenden Blick bedachte. Seiner Mentalität gehorchend, wollte der Ork auch diesen Blumenwicht zerpflücken, aber als er die furchtsam geweiteten Augen bemerkte, sagte er sich, dass ja doch kaum was dran war an dem kleinen Kerl. Also setzte er ihn auf dem Boden ab und ließ ihn frei.

»Buh!«, machte er dann – und wie er es schon zuvor erwartet hatte, nahm der Kobold seine winzigen Beinchen in die Hand und flitzte Hals über Kopf davon.

»Na also«, meinte Balbok grinsend. »Wer sagt’s denn?«

»Wer sagt’s denn?«, äffte Rammar ihn nach, der immer noch auf dem Rücken lag, und zwar inmitten eines unappetitlichen Sees aus Orkblut und zermatschten Wichten. Vergeblich versuchte er sich auf die Beine zu raffen. »Siehst du nicht, was diese elenden Biester mir angetan haben?«

»Ach, die wollten doch nur spielen«, meinte Balbok nachsichtig und machte eine wegwerfende Prankenbewegung.

»Spielen nennst du das? Ich wäre um ein Haar draufgegangen! Los, hilf mir gefälligst auf die Beine!«

Balbok reichte seinem Bruder die Hand, an der sich dieser festhielt, während er sich aufrappelte. »Spielen«, grunzte er abermals und mit Blick auf die unzähligen Bisswunden an seinen Beinen. »Nicht viel hätte gefehlt, und diese kleinen Ratten hätten mich zu Tode gebissen. Wie hast du es geschafft, sie alle zu vertreiben?«

»Ich weiß auch nicht«, sagte Balbok achselzuckend. »Eigentlich wollte ich auch gar nicht, dass sie schon gehen. Ich hatte sie ja noch nicht mal gekostet.«

»Ist das dein Ernst?«

»Korr. Schade eigentlich.«

»Schade eigentlich?«, echote Rammar ungläubig. »Und das sagst du mir ins Gesicht, wo diese Biester mich fast aufgefressen hätten? Irgendwann, du langes Elend, wirst du für all das büßen, was du mir antust, das schwöre ich dir!«

Mit dieser finsteren Drohung nahm Rammar seinen saparak und wandte sich dem Ausgang der Höhle zu – zumindest hielt er die schmale Öffnung, die sich im flackernden Schein der herrenlos am Boden liegenden Fackeln abzeichnete, für den Ausgang.

Es kostete Rammar einige Anstrengung, seine beträchtliche Leibesfülle zwischen den Felswänden hindurchzuzwängen. Auf der anderen Seite verlief ein Stollen schräg nach oben, und von dort drang tatsächlich Licht herab.

Mit einem triumphierenden Grunzen auf den Lippen machte sich Rammar auf den Weg, gefolgt von Balbok, der seine Enttäuschung darüber, keinen Kobold probiert zu haben, noch immer nicht ganz verwunden hatte. Suchend schaute er sich um, ob er nicht vielleicht doch noch einen von ihnen entdeckte.

Je weiter sie hinaufstiegen, desto heller wurde es. Als Rammar und Balbok schließlich das Ende des Stollens erreichten und ins matte Tageslicht traten, hatten sich ihre Augen bereits an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt. Zu ihrer Überraschung fanden sie sich am Fuß eines hoch aufragenden, schwarzen Felsens wieder, der rings von wucherndem Grün umgeben war.

Dschungel.

So üppig und dicht, wie er nur sein konnte, vermutlich mit all den Gefahren, die in derlei Urwäldern zu lauern pflegten.

»Bah«, machte Rammar angewidert, der sich noch lebhaft an die Smaragdwälder erinnerte, die sie auf dem Weg nach Kal Anar unter Gefahr für Leib und Leben durchquert hatten. Sogar mordlüsternen Amazonen war er dort begegnet, die drauf und dran gewesen waren, ihm den Garaus zu machen. Dass Rammar überhaupt noch lebte, hatte er – sehr zu seinem Ärgernis – seinem einfältigen Bruder zu verdanken, den die Kriegerinnen für ihren Stammvater gehalten hatten …

»Weißt du, Rammar«, sagte Balbok mit langer Miene. »Ich wüsste wirklich zu gern, wo wir hier sind. Schau dir mal die Bäume an und die Blumen. Der Smaragdwald ist das jedenfalls nicht. Und der Wald von Trowna auch nicht.«

»Du willst wissen, wo wir sind?«, blaffte Rammar. »Das will ich dir sagen, du grüngesichtiger Riesenzwerg: Natürlich mitten in der shnorsh, in die du uns mal wieder geritten hast!«

»Ich? Aber …«

»Wärst du nicht so gierig gewesen und hättest dir den Schatz von Kal Anar unbedingt unter den Nagel reißen wollen, wären wir jetzt nicht hier!«

»Aber Rammar«, widersprach Balbok, der die jüngsten Ereignisse ganz anders im Kopf hatte, »du warst es doch, der mit dem Schatz von Tirgas Lan nicht zufrieden war und lieber den aus dem Schlangenturm haben wollte. Es war doch deine Idee, die verbotene Kammer zu betreten und …«

»Genau das habe ich erwartet!«, fiel Rammar ihm entrüstet ins Wort. »Du begehst den Fehler deines Lebens, und natürlich bin ich daran schuld! Weißt du, was ich tun sollte?«

»W-was?«, fragte Balbok kleinlaut.

»Ich sollte dich hier sitzen lassen, einfach so, und dich den bru-mill selber auslöffeln lassen, den du uns da eingebrockt hast. Aber nein, ich bin ja auf Gedeih und Verderb an dich langes Elend gebunden. Das habe ich nun davon, dass ich mich zeitlebens um dich gekümmert habe!«

»Korr«, murmelte Balbok noch leiser und ließ betreten den Kopf sinken. »Es tut mir wirklich l…«

»Und wie oft muss ich dir noch sagen, dass sich ein Ork nicht entschuldigt?«, fiel ihm sein Bruder ins Wort. »Weder bei mir noch bei sonst wem, hast du das jetzt endlich kapiert?«

»Korr.«

Rammar nickte, als wollte er seine eigenen Worte damit bestätigen, und schnaubte heftig. Ihm war anzusehen, dass er kurz davorstand, in saobh zu verfallen, jenen berüchtigten Zustand rasender Wut, aus dem ein Unhold gewöhnlich nur wieder herausfand, indem er Blut fließen ließ. Dem feisten Ork in einem solchen Augenblick zu widersprechen war eine lebensgefährliche Angelegenheit – dennoch hatte Balbok das Gefühl, dass noch nicht alles gesagt war.

»Aber eins verstehe ich nicht«, meinte er ratlos.

»Was verstehst du nicht?«

»Na ja – wenn du es doch gewesen bist, der die verbotene Schatzkammer entdeckt hat, und wenn es dein Vorschlag war, sich von dort das Gold zu holen, obwohl Königin Alannah es uns ausdrücklich verboten hat, dann verstehe ich nicht, wie ich an allem schuld sein kann.«

»So, das verstehst du also nicht.«

»Douk.«

»Dann will ich es dir verraten, du dampfender Haufen Trolldung! Habe ich denn mit einem Wort gesagt, dass du mich begleiten sollst?«

»Douk.«

»Habe ich auch nur mit einer einzigen Silbe erwähnt, dass ich den Schatz von Kal Anar mit dir zu teilen gedenke?«

»Douk.«

»Warum, bei Torgas stinkenden Eingeweiden, bist du mir dann gefolgt, statt mich auf die Gefahren meines Vorhabens aufmerksam zu machen?«, schrie Rammar ihn an. »Die ganze Zeit über hast du nichts anderes getan, als dämlich dabeizustehen und ein langes Gesicht zu machen, und nun, da wir bis zum Hals in der shnorsh sitzen, streitest du jede Verantwortung ab! Das sieht dir wieder ähnlich, du viel zu groß geratener …« Rammar unterbrach sein heiseres Lamento, um eine Frage zu stellen, die ihm just durch den Kopf schoss. »Was hast du gerade gesagt?«

»Douk«, erwiderte Balbok wahrheitsgemäß.

»Das doch nicht! Ich meine davor!«

»Douk.«

»Davooooor!«, schrie Rammar so laut, dass sich seine Stimme überschlug.

»Willst du das wirklich wissen?«

»Würde ich dich sonst danach fragen?«

»Na ja, ich habe dich daran erinnert, dass es dein Vorschlag war, die Schatzkammer zu betreten«, gab der hagere Ork leise, fast flüsternd zur Antwort, »und das, obwohl Königin Alannah es uns ausdrücklich verboten hat …«

»Das Elfenweib!«, zischte Rammar, und seine Schweinsäuglein verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Natürlich, das ist es!«

»Was meinst du?«

»Frag nicht so dämlich, das liegt doch auf der Kralle. Keiner anderen als der Elfin haben wir unsere miese Lage zu verdanken. In einem Moment befinden wir uns noch an der Schwelle zur Schatzkammer, im nächsten sind wir hier. Das ist Zauberei, sag ich dir – Elfenmagie!«

»Elfenmagie«, wiederholte Balbok schaudernd.

»Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin. Seit wir sie kennen, hat dieses Elfenweib nichts anderes getan, als uns zu täuschen! Zum Dank dafür, dass wir für sie gegen den Herrscher von Kal Anar gekämpft haben, hat sie uns hinters Licht geführt.«

»Aber Rammar«, wandte Balbok ein, »sie hat uns doch ausdrücklich davor gewarnt, uns an dem Schatz zu vergreifen.«

»Genau davon spreche ich«, rief Rammar erbost. »Wer einem Ork etwas verbietet, muss damit rechnen, dass er genau das tut. Verstehst du, was ich meine?«

»Korr.«

»Das Elfenweib steckt dahinter«, war Rammar überzeugt, »da bin ich mir ganz sicher. Wer weiß, was sie wieder im Schilde führt – und wohin es uns verschlagen hat …«

* orkische Redensart

2.

SGARKAN, SGARKAN…

Als Dun’ras Ruuhl aufblickte, konnte er nicht glauben, was er sah. Eben noch hatten sich seine Gefolgsleute und er in einer finsteren, schmucklosen Höhle befunden, in der es nach Kobolden gestunken hatte – und nun waren sie von unermesslichen Reichtümern umgeben!

Ein Meer aus Gold schien um sie her zu wogen, auf dem reich verzierte Vasen und silberbeschlagene Truhen schwammen, die bis zum Rand gefüllt waren mit blitzenden Gemmen und prunkvollem Geschmeide. Nie zuvor hatte das Auge des Dun’ras eine solche Pracht erblickt, und natürlich weckte sie seine Begehrlichkeit – noch mehr allerdings trachtete er danach zu erfahren, was mit ihm und seinen Leuten geschehen war.

Er erinnerte sich an blendendes Licht, das sie plötzlich eingehüllt hatte, und dass er das Gefühl gehabt hatte, von einer unwiderstehlichen Kraft erfasst und hinfortgerissen zu werden. Für einen Moment war ihm gewesen, als sähe er unter sich Länder und Ozeane, die im Bruchteil eines Augenblicks vorüberwischten – und dann hatte er sich in dieser Schatzkammer wiedergefunden, die von zwei herrenlos umherliegenden Fackeln beleuchtet wurde.

Was war geschehen?

War er tot, und war dies das Jenseits?

Nein.

Den Glauben an eine neue, bessere Welt, an deren Gestade man nach den Mühen eines langen Lebens gelangte, hatte Dun’ras Ruuhl schon vor langer Zeit verloren. Und selbst wenn es eine solche Jenseitswelt gab – welchen Sinn sollte es haben, dort einen derartigen Schatz anzuhäufen? Wo es nichts zu kaufen gab, brauchte man keine Reichtümer.

»Antreten!«, zischte der Dun’ras und benutzte einen langen goldenen Stab, dessen Enden mit riesigen Diamanten versehen waren, um sich auf die Beine zu stemmen.

Die fünf Leibwächter, die ihn auf der Koboldjagd begleitet hatten und die von dem eigenartigen Phänomen ebenso betroffen waren wie er selbst, gehorchten nur widerwillig. Vier von ihnen rissen sich schließlich vom Anblick der Reichtümer los, während der fünfte einfach nicht davon lassen konnte: Ein silberner Helm mit goldenen Flügeln hatte es ihm angetan, den er bewundernd in den Händen wog und aufsetzen wollte.

»Antreten!«, wiederholte Dun’ras Ruuhl in schneidendem Tonfall. Der Gardist reagierte zwar, jedoch nur zögernd – und im nächsten Moment fuhren ihm die schlanken, knochigen Hände des Dun’ras geradewegs an die Kehle.

»Willst du mir nicht gehorchen?«, zischte er dem Krieger ins Gesicht, dessen Augen ein Stück weit aus den Höhlen traten, während er vergeblich nach Luft schnappte. »Reicht der Anblick von etwas Gold schon aus, dass du mir die Gefolgschaft verweigerst?«

»N-nein, Gebieter«, würgte der Gardist hervor, als Ruuhl den Griff ein klein wenig lockerte. »Ich … ich bin ganz der Eure … bis zum Ende.«

»Das will ich hoffen«, schärfte Ruuhl ihm ein, »sonst könnte dieses Ende näher sein, als du denkst. Und du kannst darauf vertrauen, dass es ein qualvolles Ende sein wird. Hast du verstanden, du Wurm?«

»J-ja, Gebieter«, röchelte der Krieger, und Ruuhl war zufrieden. Angewidert stieß er seinen Gefolgsmann von sich, der davonstürzte und sich zu seinen Kameraden gesellte. Allesamt zitterten sie vor ihrem Anführer.

»Hat jemand von euch eine Ahnung, was geschehen ist?«, fragte Dun’ras Ruuhl in seiner lauernden Art, die etwas von einer giftigen Schlange hatte.

Die Gardisten blieben ihm die Antwort schuldig. Wortlos standen sie in ihren Rüstungen aus schwarzem Leder und den dunklen Umhängen vor ihm und starrten blicklos geradeaus.

»Ich sehe schon«, sagte Ruuhl mit kaltem Lächeln. »Es ist wohl an mir, die Verstandesarbeit zu leisten. Offensichtlich befinden wir uns nicht mehr an jenem Ort, an dem wir uns noch vor Kurzem aufgehalten haben. Wäre dies mir allein widerfahren, so würde ich die Ursache dafür eher in meinem Kopf suchen als in meiner Umgebung. Aber da ihr ebenfalls hier seid und euch das Phänomen ebenso zu betreffen scheint, muss der Grund anderswo zu suchen sein. Was also hat uns an diesen seltsamen Ort ver…?«

»Keine Bewegung! Ihr seid Gefangene des Statthalters von Tirgas Anar!«

Dun’ras Ruuhl schnaubte. Er schätzte es nicht, in seiner Rede unterbrochen zu werden.

Langsam wandte er sich um.

Die Tür zur Schatzkammer war offen, und mehrere Wachen standen auf der Schwelle. Im Fackelschein waren sie nur undeutlich zu erkennen, aber zumindest so viel konnte der Dun’ras sehen: Es waren Menschen.

Sein Innerstes verkrampfte sich, so viel Verachtung empfand er in diesem Augenblick.

Menschen …

Jene noch so junge und unerfahrene Rasse, die leicht zu lenken und zu beeinflussen war, deren Verlässlichkeit jedoch ebenso gering einzustufen war wie ihre Intelligenz und ihre Moral. Ihr Verrat war einer der Gründe dafür gewesen, dass der Dunkle Feldzug gescheitert war.

Wie, so fragte sich Ruuhl, kamen Menschen an diesen Ort? Oder anders gewendet: Wohin hatte es seine Leute und ihn verschlagen, dass es hier Menschen gab, die sich frei bewegten und etwas anderes waren als räuberische Barbaren?

»Kommt sofort heraus!«, forderte der Wortführer der Wachen und fuchtelte wild mit der Hellebarde. »Das könnte euch so passen, euch am Eigentum der Krone zu vergreifen, wie? Im Namen des Königs, ihr seid alle verhaftet!«

Dun’ras Ruuhl erlaubte sich ein tiefes Seufzen. Offenbar schien dieser impertinente Mensch weder zu wissen, wer er war, noch wie er sich in Gegenwart des Ersten Dun’ras der Insel zu benehmen hatte. Nun, sie würden ihn schon Manieren lehren …

»Ihr habt es gehört?«, raunte er seinen Gardisten zu. »Der Mensch will, dass wir die Schatzkammer verlassen.«

»Aber, erlauchter Dun’ras!«, beeilte sich jener Leibwächter zu sagen, den er vorhin gemaßregelt hatte und der offenbar darauf aus war, sich zu rehabilitieren. »Dieser Sterbliche hat Euch nichts zu befehlen!«

»Das nicht«, gestand Ruuhl mit gespielter Nachsicht ein, »aber offenbar sind wir hier fremd, nicht wahr? Und in einem fremden Land pflegt man nach fremden Gebräuchen zu leben, richtig?« Der Blick, den der Dun’ras seinen Gefolgsleuten zuwarf, war unschwer zu deuten, ebenso wie das grausame Lächeln auf seinen schmalen, grauhäutigen Gesichtszügen.

»Richtig«, bestätigte der Gardist nur, und mit Dun’ras Ruuhl an der Spitze setzten sie sich in Bewegung, schritten auf die Pforte zu, wo sie die Menschen mit grimmigen Mienen erwarteten.

»Eure Waffen!«, rief ihnen der Wortführer der Wachen entgegen. »Legt sie ab!«

»Du meinst diese hier?«, fragte Dun’ras Ruuhl und bemühte sich, so unschuldig wie nur irgend möglich zu wirken, während er seine lange, gebogene Klinge aus der Scheide zog, die den Glanz des Goldes im flackernden Schein der Fackeln blitzend reflektierte. »Aber dies ist doch keine Waffe!«

»Was soll es denn sonst sein?«, polterte der Wachmann. »Lass sie augenblicklich fallen, du elender Dieb – oder …«

»Oder was?«, fragte Ruuhl. »Willst du mir etwa drohen?«

»Allerdings will ich das! Ihr elendes Diebesgesindel, meine Leute und ich werden euch …« Er brach ab, als der Schein seiner Fackel den Eindringling erfasste und er dessen schmale Augen und spitz zulaufende Ohren sah. »Ihr … ihr seid Elfen«, stellte er mit einer Mischung aus Erstaunen und Entsetzen fest, so als hätte er jemand ganz anderen erwartet.

»Dein Verstand ist messerscharf«, erwiderte Dun’ras Ruuhl gelangweilt, »zu deinem Pech jedoch nicht annähernd so scharf wie meine Klinge.«

Noch ehe der beherzte Wachmann die Worte begreifen konnte, stieß Dun’ras Ruuhl blitzschnell mit dem Säbel zu. Weder das Leder des Brustharnischs noch das darunter liegende Kettenhemd konnten dem Elfenstahl etwas entgegensetzen; mit einem hässlichen Geräusch schnitt die Klinge hindurch, durchbohrte das Herz des Wachmanns und trat in seinem Rücken wieder aus.

»Nun?«, fragte Ruuhl mit freudlosem Lächeln. »Willst du mich immer noch verhaften?«

Die einzige Antwort, die der Wächter zustande brachte, war ein heiseres Stöhnen, das sich aus der Tiefe seiner Kehle wand, gefolgt von einem Schwall grellroten Bluts. Angewidert zog Ruuhl seine Klinge zurück, worauf sein Gegner leblos zusammenbrach.

Die übrigen Wachleute – sechs an der Zahl – starrten entsetzt und mit weit aufgerissenen Augen auf den Leichnam ihres Anführers. Einen Moment lang schienen sie zu überlegen, ob sie ihn rächen oder lieber die Flucht ergreifen sollten. Ruuhl nahm ihnen die Entscheidung ab, indem er seinen Leibwächtern wie beiläufig befahl: »Tötet sie. Nur einen lasst am Leben.«

Die Gardisten taten wie ihnen geheißen. Mit wehenden Umhängen und Mordlust in den grauen Gesichtern stürmten sie auf die Pforte zu. Die Menschenwachen kamen kaum dazu, Widerstand zu leisten. Gliedmaßen wurden durchtrennt und Leiber durchbohrt, und der abgeschlagene Kopf eines Wachsoldaten rollte über den Boden, Augen und Mund vor Entsetzen weit aufgerissen. Wenig später war der Kampf vorbei, die Schreie der Wachmänner verstummt, und zwischen ihren verstümmelten Leibern breitete sich ein roter See aus.

Dun’ras Ruuhl hatte das Massaker keines Blickes gewürdigt – seine ganze Aufmerksamkeit hatte seiner eigenen blutbesudelten Klinge gegolten, die er am Waffenrock des getöteten Anführers des Wachtrupps abwischte. Erst als er sicher war, auch den letzten Rest unwürdigen Menschenbluts entfernt zu haben, rammte er sie in die aus Orkleder gefertigte Scheide zurück und wandte sich wieder seinen Leuten zu. Seine Anweisung befolgend, hatten sie einen der Wachen am Leben gelassen – einen Mann von sehniger Gestalt, der lediglich seine linke Hand im Kampf verloren hatte und jammernd am Boden kauerte.

»Du«, sagte Ruuhl und trat auf ihn zu. »Wie ist dein Name?«

»Carrig«, presste der Mensch unter Schmerzen hervor.

»Nun gut, Carrig.« Ruuhl schlug einen jovialen und versöhnlichen Ton an. »Das, was eben passiert ist, war bestimmt nicht schön für dich. Du hast deinen Vorgesetzten verloren, deine Kameraden und deine Hand …«

Der Mensch nickte nur, während er sehnsüchtig auf die abgetrennte Linke blickte, die einige Schritte entfernt am Boden lag.

»… aber ich kann dir verraten, dass das nur ein lauer Vorgeschmack von dem war, was dir in meiner Gesellschaft tatsächlich widerfahren kann. Ich rate dir also gut, meine Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten.«

»N-natürlich, Herr«, presste der Mensch heiser und unter Schmerzen hervor. »Was immer Ihr wissen wollt …«

»Wo sind wir hier?«, stellte Ruuhl seine erste Frage.

»Was meint Ihr?«

»Ich will wissen, wo wir hier sind«, sagte Dun’ras Ruuhl völlig emotionslos. »So schwer kann das doch nicht zu verstehen sein.«

Der Mensch zögerte mit der Antwort. Seinen furchtsam blinzelnden Augen war anzumerken, dass er in der Frage eine Falle vermutete. »I-in Tirgas Anar«, sagte er schließlich.

»Tirgas Anar?« Ruuhl hob die Brauen. »Eine Stadt demnach?«

»Ja, Herr«, bestätigte der Wächter. »Sie wurde umbenannt, nachdem …«

Mit einer Geste brachte ihn der Dun’ras zum Verstummen. »Wo liegt sie?«

»I-im Osten des Reichs. Jenseits des Smaragdwaldes und des Hammermoors.«

Der Dun’ras bleckte die Zähne. Einen Augenblick lang schien er um Fassung bemüht, und es zuckte in seinen grauen, von schwarzem Haar umrahmten Zügen. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle.

»Also ist es wahr«, sagte er.

»Mit Verlaub, Herr«, flüsterte der Wachmann. »Was ist wahr?«

Ruuhl hatte weder Lust, ihm zu antworten, noch verspürte er Verlangen danach, die Unterhaltung fortzusetzen. Also gab er seinen Männern ein entsprechendes Zeichen. Nachdenklich wandte er sich ab, während der Wachmann hinter ihm mit durchschnittener Kehle niedersank.

»Es ist geschehen«, murmelte Ruuhl. »Nach so langer Zeit hat sich ereignet, was unser geliebter Herrscher stets vorausgesagt hat. Die Verbindung wurde wieder geöffnet.«

»Wie?«, fragte einer der Gardisten. »Und von wem?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete der Dun’ras mit bösem Lächeln. »Jedenfalls von jemandem, der töricht genug war, an etwas Hand zu legen, das so alt und mächtig ist, dass es den Untergang seiner Rasse und seiner Welt bewirken könnte. Offen gestanden hatte ich stets bezweifelt, dass sich jemand finden wird, der dumm genug dafür ist. Der Dunkle Herrscher jedoch hat immer daran geglaubt – und er hat offenbar recht behalten, andernfalls wären wir kaum hier.«

»Was genau bedeutet das?«, fragte der Leibwächter verwirrt.

»Der Dreistern wurde geöffnet«, erklärte Ruuhl in seltener Bereitwilligkeit. »Jemand hat ihn benutzt – und wir wurden an seiner Stelle hierherversetzt.«

»Wie ist so etwas nur möglich?«

»Es ist möglich«, war Ruuhl überzeugt.

»Und an unserer Stelle …«

»… weilt nun ein anderer auf unserem geliebten Eiland«, brachte Dun’ras Ruuhl den Satz zu Ende.

»Aber wer, großer Dun’ras? Wer unter den Sterblichen könnte verrückt genug sein, so etwas zu tun?«

»Ich weiß es noch nicht«, murmelte Ruuhl, »aber wir werden es herausfinden …«

3.

SOCHGAL KAR’DOK’DH

Es gab sogar eine Straße, die sich durch den wuchernden Dschungel wand. Allerdings war die in einem denkbar schlechten Zustand.

Man konnte gerade noch erkennen, wo einst das steinerne Band verlaufen war. Moose wucherten auf dem Kopfsteinpflaster, Pflanzen brachen hindurch, und Wurzeln hatten an vielen Stellen die Steine einfach weggesprengt. Zu beiden Seiten der alten Straße drängten sich knorrige Bäume, deren Kronen ein dichtes Dach bildeten, sodass der Himmel kaum zu sehen war und unten auf der Straße nur noch ein schauriges Dämmerlicht herrschte, während Dunst zwischen den Stämmen waberte. Auch versperrten umgeknickte Bäume den Weg, über die zu klettern vor allem den beleibten Rammar einige Mühen kostete.

»Bei Girgas’ hohlem Schädel!«, wetterte er, während er seine Leibesfülle einmal mehr über solch ein verrottendes Hindernis wälzte. »Sonst sind diese elenden Menschen derart auf Ordnung bedacht. Warum nicht auch hier? Es hat den Anschein, als wäre hier seit Jahrhunderten keiner mehr gewesen. Wie in einer Orkhöhle sieht das hier aus.«

»Korr«, bestätigte Balbok sichtlich vergnügt. »Richtig gemütlich.«

»Du bist ein umbal!«, beschied ihm Rammar keuchend. »Ich sehe nicht, was daran gemütlich sein soll, fortwährend über umgestürzte Bäume und abgestorbene Wurzeln zu steigen. Außerdem erinnert mich das alles hier an diese elenden Smaragdwälder.«

»Korr«, stimmte Balbok wiederum zu, »mich auch.«

»Mit dem Unterschied, dass die Bäume hier noch größer sind und sich der Wald noch unheimlicher anhört.«

Damit hatte Rammar nur zu recht. Die Laute, die durch den Dschungel hallten, klangen wahrlich grässlich: kreischende Rufe, die wie Todesdrohungen klangen, und schrille Schreie wie die von Wesen, die auf grausame Art und Weise dahinschieden.

»Wenn ich nur wüsste, wo wir sind oder wohin diese verdammte Straße führt«, schimpfte Rammar.

»Was wäre dann?«

»Dann hätten wir immerhin eine Ahnung, wo wir uns befinden, Blödhirn.«

»Und dann?«, fragte Balbok unverdrossen weiter.

»Könnten wir vielleicht wieder zurückkehren.«

»Wohin zurück denn?«

»Zum Beispiel nach Hause, umbal!«, maulte Rammar.

»Glaubst du, wir sind weit weg von daheim?«

»Ich weiß es nicht.« Rammar schüttelte verdrossen den klobigen Schädel. »Bislang haben wir noch jedes Mal, wenn Königin Alannah, dieses verdammte Elfenweib, ihre Finger im Spiel hatte, eine böse Überraschung erlebt.«

»Das stimmt«, pflichtete Balbok ihm bei. »Schon damals, als wir sie aus dem Eistempel entführt haben.«

»Diese Elfin ist wie eine Krankheit, die man nicht mehr loswird. Ich frage mich, was der Kopfgeldjäger an ihr findet.«

»König«, verbesserte Balbok.

»Kopfgeldjäger, König – wo ist denn da der Unterschied? Ich weiß nur, dass wir es der verdammten Elfin zu verdanken haben, dass wir hier sind!«, schimpfte Rammar. »Aber diesmal wird sie für ihre Frechheit bezahlen, das sag ich dir. Köpfe werden rollen, jawoll! Nicht von ungefähr werde ich Rammar der Schreckliche genannt.«

»Der Schreckliche? Ich dachte, es heißt ›Der Rasende‹?«

»Willst du dich streiten?« Rammar blieb stehen, seinen Bruder grimmig musternd und dankbar dafür, den beschwerlichen Marsch unterbrechen zu können, ohne um eine Pause bitten zu müssen.

»Douk, ich dachte nur …«

»Wie ich mich nenne, ist noch immer mir überlassen, klar?«, blaffte Rammar, der allmählich wieder Atem schöpfte. »Sieh lieber zu, dass wir aus diesem verdammten Wald hinausfinden.«

»Korr«, stimmte Balbok zu, »ich habe allmählich Hunger. Ein ordentlicher Schlag bru-mill könnte nicht schaden.«

»Faulhirn! Siehst du hier vielleicht irgendwo ein Feuer?«

»Douk«, verneinte Balbok.

»Oder vielleicht einen Kessel?«

»Douk«, gab der Hagere abermals zu.

»Was, bei Torgas Eingeweiden, bringt dich dann auf den Gedanken, dass es hier bru-mill geben könnte?«

»Ich rieche etwas«, behauptete Balbok, legte den Kopf in den Nacken und schnupperte laut.

»Was denn?«, fragte Rammar hoffnungsvoll – der ausgeprägte Geruchssinn seines Bruders hatte sich schon manches Mal als nützlich erwiesen, wenngleich sich Rammar lieber die Zunge herausgerissen hätte, als das offen zuzugeben. »Etwa bru-mill?«

»Douk.« Balbok schüttelte den Kopf. »Gnomen.«

»Du riechst Gnomen?«

»Korr.«

»Wie weit entfernt?«, ächzte Rammar und hob seinen saparak. »Wo stecken die verdammten Grünblütigen?«

»Weit können sie nicht sein«, war sein Bruder überzeugt. »Ich kann sie deutlich riechen – und ich kriege davon mächtig Appetit.«

»Bist du verrückt geworden? Hat dir das Zusammentreffen mit den Kobolden denn noch nicht gereicht?«

»Mir vielleicht schon«, antwortete Balbok mit bekümmerter Miene, auf seinen hageren Körper deutend, »aber meinem Magen nicht. Der ist leer ausgegangen, wie du weißt. Und nun hätte ich wirklich, wirklich gern was zu futtern.«

Ohne weitere Einwände seines Bruders abzuwarten, verließ er die brüchige Straße.

»He, wo willst du hin?«

»Futter suchen«, lautete die ebenso knappe wie erschöpfende Antwort.

»Bist du von allen bösen Orks verlassen?«,* wetterte Rammar. »Bleib hier, du unfassbar blöde, viel zu groß geratene Ausgeburt eines vom Kopf bis zum asar mit eitrigen Furunkeln übersäten …«

Weiter kam Rammar nicht.

Ein hässliches Knacken ließ ihn zusammenfahren, gefolgt von Splittern und Bersten – und von einem Augenblick zum anderen war sein Bruder verschwunden.

»Balbok?«, entfuhr es ihm erschrocken.

Keine Antwort.

»Balbok! Bruder, wo bist du?«

Die Beschimpfungen, die er gerade noch wie Jauche über Balbok ausgeschüttet hatte, waren schlagartig vergessen – Rammar packte die nackte Angst. Nicht, dass er sich um seinen einfältigen Bruder gesorgt hätte – natürlich nicht! –, aber die Vorstellung, auf einmal allein in diesem finsteren Urwald zu sein, jagte ihm einen gehörigen Schrecken ein.

»Balbok? Balbok!«

»I-ich bin hier«, drang es – sehr zu Rammars Erleichterung – gedämpft zurück.

»Wo, umbal?«

»Na hier! Hier unten!«

Rammar hatte keine Ahnung, was das nun wieder zu bedeuten hatte. Überzeugt davon, dass sich sein Bruder eine weitere Narretei ausgedacht hatte, um ihn in den bochl zu treiben, verließ er den Steinpfad und folgte dem Weg, den der Hagere genommen hatte, geradewegs durch ein Meer riesiger Farne mit eigenartig geformten Blättern. So dicht wuchsen sie, dass der Boden darunter nicht zu sehen war – und das wurde Rammar zum Verhängnis.

»Wo?«, fragte er noch einmal unwirsch, während er sich um die eigene Achse drehte und suchend nach allen Seiten blickte. »Wo bist du, verdammt noch mal?«

»Hier unten!«, kam es erneut zurück, sodass Rammar seinen Blick auf den Boden vor sich richtete – und sah, dass dort überhaupt kein Boden mehr war! Stattdessen klaffte eine Grube von etwa drei Orklängen Durchmesser und ebensolcher Tiefe.

Rammar zuckte zurück, doch der Schwerpunkt seiner Körpermasse war bereits über den Rand der Grube hinaus. Vergeblich ruderte er noch wild mit den Armen, balancierte auf einem Fuß an der Erdkante und versuchte, einen Schritt nach hinten zu setzen, aber es war bereits zu spät.

Im nächsten Augenblick kippte er vornüber, und es ging abwärts.

Mit einem gellenden Schrei plumpste Rammar in die Tiefe und schlug einen Lidschlag später hart auf. Er hörte seine Knochen knacken und war einen Moment lang benommen. Dann warf er sich stöhnend herum und blickte – zu seiner Erleichterung wie zu seinem höchsten Verdruss – in die langen Gesichtszüge seines Bruders.

»Aber Rammar, was machst du denn?«, fragte Balbok verblüfft.

»Wonach sieht es denn aus?«

»Na ja.« Balbok gönnte sich ein schwaches Grinsen. »Fast könnte man meinen, du wärst in dieselbe Fallgrube gestürzt wie ich.«

»Nicht doch«, wehrte Rammar ächzend ab. »Ich bin absichtlich hineingesprungen, damit ich dich befreien kann.«

»Ach so?« Balboks Gesicht wurde noch länger. »Das war aber nicht sehr klug von dir. Wie sollen wir denn jetzt wieder herauskommen? Irgendwie kommt mir das ziemlich bekannt vor. Weißt du noch, damals, als wir auf der Suche nach Girgas’ Kopf waren und du …« Seine Stimme wurde leiser und leiser, als er den mordlüsternen Blick bemerkte, mit dem ihn sein Bruder bedachte. Dann verstummte er ganz, und gefährliche Stille trat ein.

»Nenn mir einen, nur einen einzigen Grund …«, sagte Rammar schließlich, und seine Stimme zitterte vor Wut. »Nur einen einzigen Grund …«

»W-wofür?«, erkundigte sich Balbok vorsichtig.

»Weshalb ich dir nicht den dämlichen Schädel einschlagen sollte!«, platzte es aus Rammar heraus. »Du riesengroßer, unfassbarer umbal! Reicht es denn nicht, dass wir keine Ahnung haben, wo wir sind und wie wir hierhergekommen sind? Bist du wirklich erst zufrieden, wenn wir aufgeschlitzt und gehäutet über dem Feuer hängen und die Grünblütigen sich aus unseren Zähnen Halsketten machen? Ich sollte dir den Kopf abreißen – hier und jetzt, auf der Stelle! Dann wäre endlich Ruhe, und ich könnte ungehindert meiner Wege …«

Er unterbrach sich, als er endlich erkannte, dass Balboks bekümmerte Miene keineswegs seinem Wutausbruch galt, sondern dass der Blick seines Bruders zum Rand der Grube gerichtet war.

»Sie sind bereits hier, oder?«, fragte Rammar zaghaft.

»Korr«, bestätigte Balbok, und auch Rammar blickte hinauf – um sich von einer ganzen Phalanx mörderischer, mit Widerhaken versehener Gnomenspeere umzingelt zu sehen, die drohend in die Grube ragten.

Einen Augenblick lang war Rammar unschlüssig, was er tun, ob er sich zu Boden werfen und um Gnade winseln oder seinem dämlichen Bruder vielleicht doch noch den dürren Kragen umdrehen sollte, gewissermaßen als letzte heroische Tat. Aber schließlich brachte er nicht mehr als ein resigniertes Seufzen zustande.

Das also war das Ende.

Rammar hatte sich immer gefragt, wie es dazu kommen und wann es so weit sein würde. So oft waren sie in letzter Zeit schon fast von Kuruls dunkler Grube verschluckt worden und ihr dann doch wieder entfleucht, dass er sich noch nicht einmal beschweren konnte. Trotzdem hätte er gern noch ein Weilchen gelebt, und wäre es nur gewesen, um es dem Elfenweib heimzuzahlen.

Aber daraus würde wohl nichts mehr werden. Ein schnelles Ende war alles, worauf sie noch hoffen durften …

»Also los!«, forderte er die Gnomen deshalb auf, deren grüne, hakennasige Mienen in bitterer Entschlossenheit zu ihnen herabstarrten. »Worauf wartet ihr? Bringt uns schon um!«

Die Gnomen schienen ihn nicht zu verstehen. Sie schauten einander an und tauschten ratlose Blicke.

»Los doch!«, forderte Rammar sie auf. »Darum geht es euch doch, oder nicht? Also bringt es – verdammt noch mal – zu Ende, ehe mein Bruder und ich uns vergessen und wir euch allesamt erschlagen!«

Die Drohung war – zugegebenermaßen – nicht sehr wirkungsvoll angesichts der Lage, in der sich die beiden Orks befanden. Dennoch hatte Rammar nicht mit einer so despektierlichen Reaktion gerechnet: Die Gnome, die eben noch schweigend gestaunt hatten, warfen die behelmten Köpfe in den Nacken und verfielen in lautes gackerndes Gelächter.

»Ihr wollt uns verspotten?«, ereiferte sich Rammar, der das ganz und gar nicht lustig fand. »Na wartet, euch werde ich’s zeigen! Holt mich nur raus aus der Grube, und ich zeige euch, wozu Rammar der Rasende …«

»Der Schreckliche«, verbesserte Balbok.

»… Rammar der schrecklich Rasende in der Lage ist«, fuhr der feiste Ork fort.

»Das genügt, lasst gut sein«, kam es plötzlich von oben. Der Gnom, der gesprochen hatte, trug wie seine Artgenossen eine Rüstung aus schäbigem Leder und einen rostigen Helm, war jedoch eine Klauenbreit größer, was ihn offenbar zum Anführer machte.

»Ich soll es gut sein lassen?«, polterte Rammar, der nun erst richtig in Fahrt kam. Die unverhoffte Reise zu diesem eigenartigen Ort, die Wut auf seinen verstandesmäßig minderbemittelten Bruder sowie die Furcht vor dem nahen Ende entluden sich in einem offenen Wutausbruch. »Nenn mir nur einen Grund, warum ich es gut sein lassen soll! Schließlich habt ihr diese Grube ausgehoben, um uns zu fangen und zu fressen! Aber das eine sage ich euch: Weder ich noch mein Bruder werden euch schmecken! Wir werden euch euer beschissenes kleines Leben mit Darmkrämpfen so richtig vermiesen, und keiner von euren kleinen grünen asar’hai …«

»Aber wir wollen euch nicht fressen«, unterbrach ihn der Gnom.

»Was?«, fragte Rammar unwillig, der sich nicht gern ins Wort reden ließ, und von einem brunirk schon gar nicht.

»Wir haben nicht vor, euch zu verspeisen«, versicherte der Anführer der Gnome, »und es tut uns sehr leid, dass ihr in unsere Grube gefallen seid.«

Rammar, der nur halb zugehört hatte, wollte in seiner Tirade fortfahren. Schon holte er tief Luft – als die Bedeutung der Worte in sein Bewusstsein sickerte.

»Was sagst du?«

»Wir wollten euch nicht fangen. Bitte nehmt unsere Entschuldigung dafür an.«

Rammars Verblüffung war schier grenzenlos. Verwundert wandte er sich nach seinem Bruder um, der nur mit den Schultern zuckte und auch keine Erklärung zu haben schien. Nicht nur, dass die Gnome nicht beabsichtigten, sie zu fressen, sie entschuldigten sich auch noch, sie gefangen zu haben. Und noch etwas war seltsam, auch wenn Rammar es jetzt erst bemerkte …

»Du sprichst unsere Sprache?«, fragte er den Gnom ungläubig.

»Natürlich«, sagte dieser leichthin. »Orks und Gnomen sind Freunde, oder nicht?«

Erneut war Rammar für Augenblicke sprachlos, dann stammelte er: »F-Fr-Freunde? Orks und … und ihr?«

»Gewiss.«

»Warum helft ihr uns dann nicht aus der Grube?«, stellte Balbok die seiner Ansicht nach nächstliegende Frage.

»Das werden wir«, versicherte der Anführer der Gnomen, die ihre Speere bereits hatten sinken lassen und kurz darauf tatsächlich eine aus Stricken und Ästen gefertigte Leiter in die Grube warfen.

»Los, klettert hoch!«, rief der Anführer der Gnomen. »Ich lade euch in unser Dorf ein! Ihr sollt unsere Gäste sein.«

Rammar verstand die Welt nicht mehr. »I-Ihr ladet uns ein?«

»So ist es.«