Ork City - Michael Peinkofer - E-Book

Ork City E-Book

Michael Peinkofer

5,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Stadt Tirgaslan versinkt im Verbrechen. Zwergensyndikate kontrollieren die von Neonlicht beleuchteten Gassen, Orkgangs treiben ihr Unwesen. Als Privatdetektiv hält sich der Kriegsveteran Corwyn Rash mit Mühe über Wasser. Doch als die betörende Nachtclub-Sängerin Kity Miotara sein heruntergekommenes Büro betritt, ändert sich alles. Von der Schönheit der Halborkin und der Aussicht auf eine satte Belohnung geblendet, beginnt Rash zu ermitteln – und muss feststellen, dass Kity nicht mit offenen Karten spielt. Als ihm Trolle und ein mordlüsterner Geheimkult auf den Fersen sind, erkennt Rash, dass er Teil einer tödlichen Intrige ist, deren Wurzeln in eine dunkle Vergangenheit reichen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 413

Bewertungen
5,0 (1 Bewertung)
1
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Entdecke die Welt der Piper Fantasy:

www.Piper-Fantasy.de

Abdruck des Zitats von Raymond Chandler mit freundlicher Genehmigung des Diogenes Verlags:

aus: Raymond Chandler: Der lange Abschied

aus dem Amerikanischen von Hans Wollschläger

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 1975 Diogenes Verlag AG Zürich

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Sabine Dunst, Guter Punkt, unter Verwendung von Motiven von Getty Images

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Cover & Impressum

Zitat

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

Epilog

Nachwort

Glossar: Die Sprache von Dorglash

»Keine Falle ist so tödlich wie die, die man sich selber stellt.«

Raymond Chandler, »Der lange Abschied«

Prolog

Er rannte.

So schnell seine Beine ihn trugen, ungeachtet des unpassenden Schuhwerks und des Anzugs, der jeden seiner Schritte hemmte. Er wusste, dass er nur diese eine Chance hatte, wenn er am Leben bleiben wollte.

Warum er getan hatte, was er getan hatte, wusste er nicht. Es war ein plötzlicher Impuls gewesen, ein innerer Drang, dem er sich nicht hatte entziehen können, ganz gleich was die Konsequenzen sein mochten.

Die Kraft in seinen Beinen ließ bereits nach, sein Herz hämmerte wie wild in seiner Brust. Er war kein Läufer, war nie einer gewesen, seine Vorlieben gehörten anderen Dingen. Aber genau diese Leidenschaften waren letztlich der Grund dafür, dass er jetzt durch diese Tunnel rannte, dieses düstere und scheinbar endlose Labyrinth, während er hinter sich die Stimmen seiner Verfolger hörte. Unheimlich hallten sie durch die Röhren, begleitet vom Schnauben und Bellen der Warge, die ihn nur wegen des Gestanks noch nicht gewittert hatten, der hier unten herrschte … oder vielleicht hatte es auch etwas mit dem kleinen Wesen zu tun, das er mit den dürren Armen an sich presste, während er Hals über Kopf weiterlief.

Das Kind war der Grund.

Es durfte nicht hier sein, weder an diesem noch an irgendeinem anderen Ort, und doch war es da, so wirklich wie er selbst und wie jene, die ihnen beiden nach dem Leben trachteten.

Im spärlichen Licht, das durch einen Kanalschacht einfiel, tauchte eine Abzweigung auf. Der Flüchtige entschied sich für den rechten Tunnel und wollte weitereilen, doch seine Beine blieben unter ihm zurück. Er geriet ins Straucheln und ließ in seiner Not das Kind los. Er stolperte und fiel der Länge nach hin, schlug sich das Knie blutig, ehe er bäuchlings in das stinkende Rinnsal stürzte.

Tränen schossen ihm in die Augen, Tränen des Ekels, des Schmerzes und der Furcht, während er das Knurren der Warge hörte und wie es näher und näher kam.

Mit vor Anstrengung und Todesangst zitternden Gliedern raffte er sich wieder auf die Beine, während er sich im Halbdunkel nach dem Kind umblickte. Es stand nur wenige Schritte vor ihm und sah ihn an, offenbar war es trotz des Sturzes unverletzt geblieben.

»Es tut mir leid«, sagte er und schüttelte resignierend den Kopf, »aber sie werden jeden Augenblick hier sein. Wir werden es nicht schaffen …«

Im schmutzigen Schein der Straßenlaterne, der von oben einfiel und vom Gitter über dem Kanalschacht in fahle Streifen geschnitten wurde, sah das Kind ihn an – und er hatte das Gefühl, dass der Blick dieser dunklen Augen ihn bis ins Mark durchschaute.

Und trotz der Verfolger, die ihnen auf den Fersen waren; trotz ihres blutrünstigen Geschreis und des Gebells der Warge, trotz ihrer Bosheit und Mordlust, die jeden Quadratzentimeter dieses unterirdischen Labyrinths zu durchdringen schien, lächelte es.

1

Ein Geständnis: Ich hasse Blutbier.

Ganz besonders, wenn es abgestanden ist.

Wann immer mir der faulige Geschmack dieses Gesöffs die Kehle hinunterrinnt, würde ich am liebsten kotzen. Noch schlimmer ist es nur, wenn er mir aus der Kehle eines anderen entgegenschlägt. In diesem Fall aus dem Schlund von Malko Muuny, zusammen mit einem halben Dutzend weiterer Gerüche, von denen alter Knoblauch und der Gestank fauliger Zähne noch die harmlosesten waren.

»Ich höre, Muuny«, knurrte ich. »Was hast du zu sagen?«

»Rash? Bist du das?«

Immerhin, er schien mich zu erkennen. Seine von Falten zerknitterten Züge hellten sich auf, als würde er den Sonnenaufgang persönlich in seiner Wohnung begrüßen, die wenig mehr war als ein finsteres Loch. Nur ein einziger Raum: ein durchgelegenes Bett, ein kleiner Tisch mit zwei schäbigen Stühlen, ein Schrank ohne Türen, weitgehend leer; die Fenster von draußen mit Brettern verschlossen, die Beleuchtung nur aus dem wenigen Tageslicht bestehend, das durch die Ritzen fiel, und entsprechend spärlich. Der Gestank dafür umso gegenwärtiger.

»Verdammt, Muuny. Wann hast du das letzte Mal eine Dusche genommen?«

Das lückenhafte Grinsen wurde noch breiter. »Schätze, vor einem halben Jahr. Muss ein Dienstag gewesen sein.«

Mit einem Grunzen riss ich ihn zu mir empor und warf ihn auf einen der Stühle. Er war leicht, als bestünde er nur aus Knochen, ohne das gammelige Fleisch drum herum und die dünne, an Leder erinnernde Haut. Es mochte am Gnomenblut liegen, das durch seine grünen Adern gepumpt wurde, vielleicht auch am Q’orz, das er rauchte. Es hieß, das Zeug höhlte die Knochen aus. Vielleicht war da ja was Wahres dran.

»Rash!«, sagte er noch einmal, als wäre ich für einen Moment weg gewesen und plötzlich wieder aufgetaucht. Vermutlich traf das eher auf ihn zu. »Schön, dich zu sehen!«

»Erspar uns das Gesülze, Muuny. Du weißt, dass ich nicht zum Plauschen hier bin.«

»Weiß ich.« Er nickte und kicherte dämlich, während er gleichzeitig Mühe hatte, sich auf dem Stuhl zu halten. »Aber das bedeutet nicht, dass wir uns nicht wie zivilisierte Wesen benehmen können, richtig?«

»Richtig«, gab ich zu, wobei das alles hier – das Loch, in dem Muuny hauste, der Gestank, seine verlauste Erscheinung und im Grunde ganz Dorglash – im Grunde ziemlich wenig mit Zivilisation zu tun hatte. Ungefähr so viel wie der shnorsh in der Kanalisation mit einem gediegenen Vier-Gänge-Menü.

»Du arbeitest also für die Schwestern?« Muuny brachte es fertig, eine Augenbraue seiner verschwollenen Visage hochzuziehen und mich in gespieltem Vorwurf anzusehen. »Hätte ich nicht von dir gedacht.«

»Ein Mann muss irgendwie über die Runden kommen.«

Muuny nickte, das immerhin schien ihm einzuleuchten, selbst in seinem angeschlagenen Zustand. »Schon mal überlegt, für mich zu arbeiten?«

Ich betrachtete ihn, wie er auf dem Stuhl kauerte, ein ältliches, grauhaariges Männlein mit Buckel und krummen Beinen, das in den Überresten eines Zwirners aus grauem Flanell steckte. Schlips und Einstecktuch fehlten längst, die Taschen waren ausgefranst. Die Zeiten, in denen Malko Muuny anderen Leuten Arbeit verschafft hatte, waren längst vorbei.

Er lachte hohl und freudlos, als würde ihm das in diesem Moment klar werden. Er musste husten und würgte, spuckte grünen Speichel auf die schmutzigen Dielen, Auswurf vom Q’orz. Der bittere Gestank schlug mir noch mehr auf den Magen als zuvor. Ich wollte den Obb erledigen und dann nach Hause gehen, mir einen ordentlichen Schluck genehmigen.

»Also?«, fragte ich nur.

»Sag den Schwestern, dass sie ihr Geld bekommen.«

»Wann?«

Malko Muuny grinste mich an wie zu seinen besten Zeiten. »Sobald ich es habe.«

»Das genügt nicht. Nicht dieses Mal.«

»Komm schon.« Sein Gesicht zerknitterte sich wieder, und er brachte es fertig, beleidigt auszusehen. »Ist dir nicht klar, wer ich bin? Ich hab Kredit!«

»Der ist abgelaufen, fürchte ich. Ich bin hier, um dir zu bestellen, dass die Damen die Geduld mit dir verloren haben, Muuny.« Demonstrativ griff ich in die Innentasche meines Mantels. Muunys Augen weiteten sich, und er hielt den Atem an – um pfeifend nach Luft zu schnappen, als ich nur ein Blatt Papier hervorzog, das ich vor ihm entfaltete.

»Da ist einiges aufgelaufen«, fasste ich zusammen. »Die Damen schätzen es nicht, wenn man ihre Dienste in Anspruch nimmt, ohne dafür zu bezahlen. Und du hast ein paarmal aufs falsche Pferd gesetzt, buchstäblich …«

»Ich hatte eben Pech«, erklärte Muuny mit einem Zucken seiner knochigen Schultern, »in der Liebe wie im Spiel. Richte das den Damen aus, mit meinen besten Empfehlungen.« Er grinste wieder. Vor einer gefühlten Ewigkeit mochte dieses Lächeln ein paar Tausend Orgos wert gewesen sein. Inzwischen war es genauso falsch und faulig wie die Zähne, die es entblößte.

»Ich fürchte, das wird dieses Mal nicht genügen«, sagte ich und griff noch einmal in den Mantel. Als ich meine Rechte diesmal hervorzog, hielt ich den klobigen Griff der R.65 umklammert, und der Lauf zeigte genau auf Muunys hässlichen Schädel.

»Eine Zwergenstanze«, nannte er die Waffe bei ihrem volkstümlichen Namen. »Lange keine mehr im Gebrauch gesehen.«

»Und falls du auch diese nicht im Gebrauch erleben willst, schlage ich vor, du rückst jetzt die siebenhundert Kröten raus, die du den Schwestern schuldest.«

Für einen kurzen Moment hatte es ausgesehen, als wäre Muuny von meinem Revolver beeindruckt gewesen. Nun schien sich sein Respekt bereits wieder zu verflüchtigen. »Dann, fürchte ich, kommen wir hier nicht weiter, Rash«, behauptete er fröhlich. »Denn wenn du abdrückst, werden die Damen nicht einen einzigen müden Orgo von mir bekommen.«

»Das stimmt zwar«, räumte ich gelassen ein, »aber dieses Risiko wurde von den Schwestern bereits mit einkalkuliert. Ich soll entweder mit den siebenhundert Mäusen im Gepäck zurückkehren – oder mit deinem hässlichen Schädel unter dem Arm.«

»Das ist unvernünftig. Ein toter Kunde kann seine Schulden nicht mehr bezahlen.«

»Aber ein toter Kunde kann auch keine neuen Schulden mehr machen«, konterte ich, zog den Hahn zurück und hielt die Waffe dergestalt, dass ihr Lauf drohend vor seiner Nase schwebte. »Also?«

Mit treudoof geweiteten Augen sah er mich an. »Wo nichts ist, kannst du nichts nehmen, Rash.«

»Drei«, sagte ich, den Finger bereits am Abzug.

»Tu, was immer du tun musst, Rash.«

»Zwei.«

Muunys grünliche Miene wurde fahl, beinahe grau.

»Eins …«

»Also gut!« In einer resignierenden Geste warf er die Arme zur niedrigen, rußgeschwärzten Decke. »Du hast gewonnen, du elender, sturer Mistkerl! Du kriegst das Geld!«

»Wo ist es?«

»Dort in der Schublade.« Mit dem spitzen Kinn deutete er auf die andere, mir zugewandte Seite des Tisches. »Wenn du gestattest?«

Ich nickte und trat einen Schritt zurück, den Finger behielt ich am Abzug. Muuny erhob sich und kam wieselflink um den Tisch herum, im nächsten Augenblick hatte er die Schublade schon aufgezogen. Was darin zum Vorschein kam, war allerdings kein Bündel moosgrüner Geldscheine, sondern der schlanke schwarze Griff einer Garka.

Ich habe die kleinen Dinger noch nie gemocht. Machen kaum Lärm, dafür aber hässliche Löcher, die sich nur schwer wieder stopfen lassen. Eine ziemlich hinterhältige Art, jemanden in Kuruls Grube zu befördern.

Glücklicherweise hatte ich damit gerechnet.

Malko Muuny war schon immer ein shnorshor gewesen, auch und ganz besonders zu der Zeit, als er noch an großen Dingern beteiligt gewesen war und heiße Ware verschoben hatte. Dass er mir die Orgos ohne große Manöver aushändigen würde, war nicht zu erwarten gewesen, also hatte ich auch nicht damit gerechnet. Der Moment, in dem der Griff der Garka auftauchte und seine gierigen Knochenfinger danach griffen, war auch der, in dem ich mit dem rechten Fuß zutrat und die Schublade wieder schloss. Dass Muunys Hand noch im Spalt war und mit hässlichem Knacken Knochen brachen, war mir herzlich egal.

Muuny brach in etwas aus, das man mit etwas Fantasie auch als Gesang hätte bezeichnen können. Kaum hatte ich die Schublade wieder freigegeben, zog er seine Hand heraus und vollführte als Zugabe noch ein hübsches Tänzchen. Die Lust, seine jetzt grotesk gefalteten Finger um den Griff der Waffe zu wickeln, schien ihm vergangen zu sein.

Ich hatte die Faxen satt. Indem ich Muuny am Genick packte und niederrang, hielt ich ihm noch einmal die R.65 vors Gesicht. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in den hässlich schwarzen Lauf, und der hässlich schwarze Lauf starrte auf ihn. Und als gäbe es zwischen den beiden etwas wie ein stummes Einvernehmen, begann er krampfhaft zu nicken, während sich unter ihm eine Pfütze bildete.

»Unter dem Boden!«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, seine demolierte Hand in die Achselhöhle pressend. »Die vierte Diele vor der Tür ist lose!«

»Und was finde ich dort? Eine scharfe Granate?«

»Bitte, Rash! Ich schwöre …«

Ich stieß eine Verwünschung aus und ging zur Tür. Den Lauf des Revolvers hielt ich weiter auf ihn gerichtet. Jede einzelne der morschen Dielen, die den Boden des Lochs bedeckten, hörte sich hohl an, wenn man darauftrat – Ratten und anderes Ungeziefer hatten sich dort vermutlich schon vor langer Zeit häuslich eingerichtet. Aber die vierte Diele von der Tür aus gesehen war tatsächlich nur provisorisch befestigt. Ich trat auf das eine Ende, worauf das alte Holz nach oben klappte – die Nägel am anderen Ende waren nur Attrappen. In dem Hohlraum, der sich darunter befand, lag ein Kuvert aus braunem Papier. Ich nahm es heraus und öffnete es.

Geldscheine.

Moosgrüne Gormos.

Acht Stück.

»Der Rest ist für dich. Trinkgeld«, beteuerte Muuny und stieß ein zahnloses Lachen aus. Ich wusste selbst nicht, ob ich mitlachen oder ihm in den Hintern treten sollte. Stattdessen ging ich zum Tisch, schnappte mir die Garka und nahm das Magazin heraus. Die jetzt nutzlose Waffe legte ich in die blutige Schublade zurück, die Patronen steckte ich ein.

»Immer ein Vergnügen, mit dir Geschäfte zu machen, Muuny«, versicherte ich.

»Gleichfalls, Rash«, stöhnte er, während ich schon auf dem Weg nach draußen war. Ich brauchte dringend frische Luft.

Nicht, dass die Luft in Dorglash zu irgendeinem Zeitpunkt frisch gewesen wäre – und bei diesem Wetter schon gar nicht –, aber als ich die dunkle Kellerwohnung verließ und über die schiefen Treppenstufen zurück an die Oberfläche stieg, ertappte ich mich dabei, dass ich sie dankbar in meine Lungen sog, ehe ich in meine Tasche griff, eine Zigarette aus der fast leeren Packung schüttelte und sie mir ansteckte.

Ich schlug den Kragen meines Mantels hoch, zog den Hut tiefer ins Gesicht und trat hinaus in den strömenden Regen.

Es war nur ein weiterer Tag.

Ein weiterer schmutziger Tag im Leben von Corwyn Rash, Domhor Sul.

Privatschnüffler, wie es bei den Milchgesichtern hieß.

2

Das Geld war ich losgeworden.

Ich trage nicht gerne Orgos mit mir herum, die mir nicht gehören. Die siebenhundert hatte ich an Gorrs Bhull übergeben, den glatzköpfigen Mittelsmann der Schwestern, von dem es hieß, er wäre ebenso gut im Zählen wie darin, säumigen Schuldnern die Kehlen durchzuschneiden. Den verbliebenen Gormo hatte ich für mich behalten, schließlich musste ich auch von etwas leben, und Muuny hätte ihn ohnehin nur ausgegeben, um seinen benebelten Gehirnzellen eine weitere Breitseite Q’orz zu verpassen. Außerdem war die Provision, die mir die Schwestern gaben, ziemlich lausig, so wie es überhaupt ein lausiger Auftrag war. Ich hatte ihn nur deshalb angenommen, weil ich von irgendetwas die Miete bezahlen musste – und weil sich seit fast einem Mond kein einziger Klient mehr in meine bescheidenen Räumlichkeiten verirrt hatte. Das machte selbst einem Kerl wie mir zu schaffen, dessen Bedürfnisse äußerst überschaubar waren.

Ab und zu eine warme Mahlzeit.

Gelegentlich einen neuen Anzug.

Regelmäßig eine Pulle Schnaps.

Wie ich schon sagte, ich kann Blutbier nicht ausstehen. Aber gegen einen ordentlichen Rachenbrand habe ich noch nie etwas einzuwenden gehabt. Das war auch der Grund, warum ich meine Schritte nach Süden lenkte, die Shal Mor hinab.

Die Wolken, die teerig und schwer über der Stadt hingen, hatten die Dämmerung an diesem Tag bereits früh hereinbrechen lassen. Die Neonreklamen an den Häusern irrlichterten kalt und schmutzig durch die Regenschleier und beleuchteten die Backsteinfassaden mit ihren hohen Fenstern giftgrün, kobaltblau und blutig rot. Bunte Farbspritzer, die sich auf dem nassen Asphalt spiegelten und den Rest in gnädiger Dunkelheit versinken ließen, den Dreck, das Elend, das Verbrechen. Zu sehen war nur, was die Lichtkegel der Fahrzeuge im Vorbeifahren aus der Finsternis schnitten: Obdachlose an den Straßenecken, Huren, die ihre Haut zu Markte trugen, Gnome, die unreines Q’orz vertickten.

Irgendwer hatte Dorglash mal als Furunkel am Arsch der Welt bezeichnet, und da war viel Wahres dran. Ganz Tirgaslan hatte seine besten Zeiten weit hinter sich gelassen und war zu einem riesigen, lärmenden und stinkenden Moloch verkommen, der im künstlichen Schein elektrischer Lichter funkelte wie ein falscher Diamant; aber während es sich in den nördlichen Vierteln gut leben ließ und die Reichen ein sorgloses Dasein fristeten, tobte hier im Süden, in den Straßen und Gassen von den Docks bis hinauf nach Landfall und hinüber in den Westbezirk, ein täglicher Kampf ums Überleben, und viele, die am Morgen aufstanden, wussten nicht, ob sie am Abend zu den Siegern oder den Verlierern zählen würden.

Dreck war an allen Ecken und Enden, aber ich spreche nicht von der Sorte Schmutz, die man mit einem Besen und etwas gutem Willen beseitigen könnte; der Dreck in Dorglash reichte tiefer, durchdrang jede Straße, jedes Gebäude und alle, die darin lebten. Er betraf die Armen ebenso wie die, die sich auf ihre Kosten bereicherten, die Finsteren ebenso wie die Rechtschaffenen, falls es so etwas in Dorglash überhaupt gab. Die Zwergensyndikate hatten das Sagen, und die Polizisten, die im Auftrag der Oberen für Ordnung sorgen sollten, steckten oft genug bis über beide Ohren selbst im Sumpf der Korruption. Gerechtigkeit war in Dorglash so weit entfernt wie die Luftschiffe, die von der See her kommend über die Dächer der Häuser zogen, von leuchtenden Schäften aus Licht begleitet, wie eine ferne Verheißung.

Ich legte den Kopf in den Nacken und sah zu einem der riesigen Biester hinauf, die wie gigantische Fische am Himmel schwebten. Die Gondel unterhalb des Flugkörpers war hell erleuchtet. Vermutlich floss dort oben der Nektar in Strömen, und die Gäste schwangen das Tanzbein zu gediegener Musik, den Schmutz weit unter sich, wo der Regen prasselnd auf ihn niederging.

Ich entdeckte eine Verheißung, die sehr viel näher war, in Form aus Leuchtröhren geformter Runen, die über einem Eingang an der Ecke Mor/Dakda schwebten. »Shinny’s« stand dort zu lesen, und selbst durch die grauen Regenschleier sah das Licht, das durch die schmutzigen Scheiben nach draußen drang, warm und einladend aus. Ich wechselte die Straßenseite und unterquerte die Hochbahn, die sich just in diesem Moment mit rostigem Rattern über die Schienen wälzte. Ich gelangte unter das niedrige Vordach, schüttelte den Regen vom Mantel und trat ein.

Im Inneren war es feucht und dampfig. Der faulige Geruch von Blutbier stieg mir in die Nase, aber auch der Odem uralten, in Eichenfässern gelagerten Sgorns, der mir doch sehr viel mehr zusagte. Da es noch nicht sehr spät war, waren die kleinen Tische nur spärlich besetzt. Die Männer, die dort saßen und mit trübem Blick in ihre Gläser starrten, wollten allein gelassen werden, jeder von ihnen hatte einen harten Tag gehabt und gute Gründe, tief ins Glas zu schauen. Ich ging ans Ende des langen Tresens und setzte mich wie immer auf den letzten Barhocker, nahm meinen Hut ab und legte ihn auf die blank polierte Fläche.

Am anderen Ende der Bar saß ein Kerl in einem abgetragenen braunen Anzug. Seine Gesichtszüge und das wilde Gebiss gemahnten an ein orkisches Erbe, die kantigen Schultern verrieten Trollblut. Das tonlose Stimmchen allerdings, das aus seinem Brustkasten säuselte, ließ eher an ein Gespenst denken. Das gepunktete Halstuch, das er trug, schien ihn als Mann von Welt auszuweisen – in Wahrheit diente es wohl eher dazu, die hässliche Narbe zu überdecken, die dort vermutlich prangte …

»Weib«, keuchte er, »noch ein Bier!«

Die Frau, die hinter dem Tresen stand und Gläser polierte, sandte ihm einen abschätzigen Blick. Sie war groß für eine Menschenfrau, hatte breite Schultern und ein ausgeprägtes Becken. Ihr dunkelblondes Haar fiel in wilden, durch ein rotes Band nur mühsam gebändigten Locken auf ihre Schultern. Ihre Gesichtszüge waren schön, wenn auch von einer gewissen Herbheit, eine Narbe verlief neckisch über ihre linke Wange. Das Kleid, das sie trug, war aus dunkelroter Arun-Seide und nach fernöstlicher Mode geschnitten, und es spannte sich so eng um ihre rasanten Kurven, dass es einem die Sprache verschlug. Es war an den Seiten geschlitzt und hatte nur einen Träger, sodass es die andere Schulter frei ließ, und obwohl es nicht wirklich etwas enthüllte, wirkte es aufreizender, als wenn die Frau splitternackt hinterm Tresen gestanden hätte. Das war wohl auch dem Kerl mit dem Halstuch aufgefallen, und es schien gerade seine Fantasie anzuregen. »Und wenn du’s gezapft hast, kannst du gleich noch die Beine breitmachen«, fügte er seiner Bestellung grinsend hinzu.

»Dazu gehören zwei, Süßer«, konterte sie unbeeindruckt. »Und ich fürchte, du gehörst zu der Sorte, bei denen es nur für Soloauftritte reicht.«

Die grüne Visage des Kerls schnappte zusammen wie unter einem Fausthieb. Er fletschte die gelben Zähne und ballte die Fäuste, dass die Adern dunkel hervortraten. »Schlampe«, spie er ihr heiser entgegen. »So redet keine mit mir!«

»Nein? Wie hättest du es denn gern?«

»Ich bin Mitglied der Sgols«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »und du erweist mir gefälligst Respekt, Weib!«

Die Frau hinter dem Tresen sah ihn an. Dann legte sie Glas und Poliertuch beiseite und trat auf ihn zu. »Du betrittst am hellen Tag meine Bar, beleidigst mich vor allen Gästen und willst, dass ich dir Respekt erweise?«, fragte sie. Ihre Stimme war hart geworden, jede Nachsicht, die sie sonst mit Kerlen haben mochte, die einen über den Durst getrunken hatten, war daraus verschwunden.

»Genauso sieht es aus, du Hure«, bestätigte der Kerl. »Und jetzt sieh zu, dass du dich bei mir entschuldigst, ehe ich meine Brüder rufe und wir deinen verkommenen kleinen Laden kurz und klein schlagen.«

»Ach ja?« Die Frau hob eine Braue. »Nur zu, ruf deine Brüder – ich glaube nur nicht, dass sie hier aufkreuzen werden. Denn für mich hat es eher den Anschein, als hätten sie dir den Kehlkopf gestutzt, weil du sie bei der Polizei verpfiffen hast. Das ist auch der Grund, warum du zwitscherst wie ein Vögelchen, richtig? Also hör auf, hier den wilden Ork zu spielen, und sieh zu, dass du Land gewinnst. Hast du verstanden?«

Der Blick, den sie aus ihren dunklen Augen über den Tresen schickte, war warnend genug. Aber der Kerl war entweder völlig betrunken oder zu sehr von sich eingenommen, um zu merken, wie sich das Unheil zusammenbraute. Und damit meine ich nicht mal den Oger, der lautlos wie ein Schatten hinter ihm emporwuchs und mit wutglühenden Augen auf ihn herabblickte.

»Spielen willst du?«, fragte der Sgol und griff unter sein Sakko, wo er ohne Zweifel eine Garka stecken hatte. »Na warte, ich werde mit dir spielen, du miese kleine Hu …«

Weiter kam er nicht.

Ihre rechte Hand schnellte vor, zur Faust geballt, und brach ihm die Nase – und das wollte bei dem klobigen Ork-Zinken, der in seiner Visage saß, schon etwas heißen. Es knackte laut, als der Knochen zu Bruch ging, dicht gefolgt von einem winselnden Geräusch. Die gelben Augen des Störenfrieds weiteten sich, aber ehe er auch nur dazu kam, nach seinem zermatschten Riechorgan zu greifen, hatte sich die Frau mit beiden Händen seinen Hinterkopf geschnappt und zog ihn ruckartig nach vorn. In einer ebenso eleganten wie schwungvollen Bewegung machte der Kerl einen Diener und knallte mit der Stirn auf den Tresen. Die Lichter waren bei ihm aus, noch ehe er ganz vom Hocker gefallen war. Da lag er nun am Boden, bewusstlos und mit verdrehten Augen, während ihm die Zunge seitlich aus dem Maul hing.

»Schaff den umbal raus, Frik«, wandte sich die Frau an den Oger. »Und nimm ihm die verdammte Waffe ab.«

Der grüne Riese knurrte eine Bestätigung, dann hatte er den Bewusstlosen auch schon gepackt und hochgehoben. Er warf ihn sich über die Schulter wie einen Sack Müll und brachte ihn auch ebenso nach draußen.

»Harter Tag?«, fragte ich.

Die Schöne hinter der Bar drehte sich zu mir um. Ihr Blick war grimmig, zumal sie einen dunklen Blutspritzer auf ihrem Kleid entdeckt hatte. Aber sobald sie mich wahrnahm, hellten sich ihre Züge wieder ein wenig auf.

»Rash«, sagte sie nur.

»Du hast es immer noch drauf, Shinny.«

»Nicht mehr wie früher.« Sie ließ die freie Schulter kreisen. »Ich bin ein wenig eingerostet.«

»Kann ich nicht finden.« Ich griff in die Innentasche und steckte mir eine Zigarette an.

»Das sagst du nur, weil du sonst zugeben müsstest, dass du auch älter wirst.«

»Erwischt.« Ich nickte, während ich blauen Rauch über den Tresen blies.

»Was darf’s sein, Rash?«

»Rachenputzer. Aber von dem guten Zeug, hörst du? Das, was du vor solchen Typen versteckst.«

»Ich verstecke gar nichts«, erwiderte sie grinsend, auf ihre atemberaubende Erscheinung deutend. »Aber ich weiß, dass Verknappung den Preis in die Höhe treibt.«

»Shinny Cadura.« Ich nickte anerkennend. »Die Philosophin hinter dem Tresen.«

Sie lachte. Ein echtes, ehrliches Lachen, wie es selten war in der Gegend. Dann griff sie unter die Theke, zog eine mit rostfarbener Flüssigkeit gefüllte Flasche und zwei Gläser hervor, stellte alles vor mir auf das blank polierte Holz und schenkte uns beiden ein.

»Auf das Fünfhundertste«, sagte sie.

»Das Fünfhundertste«, bestätigte ich.

»Bashok doukhaiash!«

»Bashok doukhaiash«, wiederholte ich den Wahlspruch unserer Einheit – auch wenn ich nicht mehr recht daran glaubte, dass wir niemals sterben würden.

Dann tranken wir.

Der Rachenputzer machte seinem Namen alle Ehre und brannte heiß und hämmernd meine Kehle hinab.

»Noch einen«, verlangte ich.

»Warum?«

»Du weißt, warum.«

»Das meine ich nicht.« Shinny lächelte, während sie mir nachschenkte. »Warum tust du dir das an?«

»Wovon sprichst du?«

»Die Schwestern, diese Arbeit, die du für sie erledigst …«

»Von irgendetwas muss ich leben.«

»Ich weiß.« Sie nickte. »Aber das bist nicht du, Rash.«

»Nein?« Ich blickte sie fragend an, in ihre dunklen Augen, die jetzt so viel sanfter dreinsahen als bei dem Kerl mit dem Halstuch. »Wer bin ich dann, Shinny? Kannst du mir das sagen?«

»Jemand, der tut, was er tun muss – und der bleiben lässt, was er nicht tun muss.«

Ich nickte. Das klang nach Shinny. Ob es sich nach mir anhörte, wusste ich in diesem Augenblick selbst nicht. Sie fuhr mir durchs Haar, auf eine Weise, wie nur sie das konnte. Es lag kein Hintergedanke in ihrer Berührung. Sie war einfach nur da.

Ich griff nach dem Glas und leerte es, dann holte ich einen Geldschein aus der Tasche und legte ihn auf den Tresen.

»Das ist zu viel«, sagte sie.

»Ist für die ganze Pulle«, knurrte ich und griff nach dem dünnen Hals der Flasche, während ich mit der anderen Hand den Hut nahm und zurück auf meinen Kopf schob.

Ich verabschiedete mich mit einem Nicken, und Shinny gab mir ein Lächeln mit auf den Weg. Dann verließ ich die Bar und trat wieder hinaus in den Regen.

Inzwischen war es noch dunkler geworden, was nicht nur an der hereinbrechenden Dämmerung lag, sondern auch an den Regenwolken, die sich noch heftiger entluden als zuvor. Zum Glück liegt mein Büro nur drei Blocks entfernt in der Brad Rian. Mit der Flasche Sgorn in der Hand hielt ich mich im Schutz der Hauswände, in deren Ecken und Nischen sich abgerissene Gestalten drängten, Kobolde und anderes Gesindel, die mit leuchtenden Augen in die Dunkelheit starrten. Die Fahrzeuge, die die Straße heraufkamen, warfen Fontänen von Schlamm und Dreck aus den Pfützen. Der Widerschein ihrer Lichter und der fahle Glanz der Neonreklamen spiegelte sich auf der regennassen Fahrbahn, als wollte sie der Welt einen Spiegel vorhalten und ihr zeigen, wie schmutzig und verkommen sie war.

Mit jedem Schritt, den ich durch die nasse, dunkle Kälte ging, wuchs mein Verlangen nach dem Inhalt der Flasche. Als ich den schmalen Backsteinbau, in dessen erstem Stockwerk sich mein Büro befand, endlich erreichte, konnte ich es kaum noch erwarten, dass sich das warme Wohlgefühl wieder in meinem Magen ausbreitete – doch so schnell würde daraus nichts werden.

Als ich die hölzernen Stufen emporstieg, sah ich, dass jemand sie erst vor Kurzem hinaufgegangen sein musste – jemand, der tropfnass gewesen war und eine ziemlich kleine Schuhgröße hatte. Da Letzteres nichts über die Gefährlichkeit des Trägers aussagt – zumal nicht in Dorglash –, stellte ich die Pulle Sgorn auf dem Treppenabsatz ab und griff nach dem R.65. Ich war zu müde und zu durchnässt, als dass ich eine Überraschung erleben wollte.

Die von dunklem Holz umrahmte Milchglastür, auf der mit großen Standardrunen

Corwyn Rash

Domhor Sul

geschrieben stand, war halb offen. Mit dem Revolver in der Hand trat ich vor. Die dritte Planke nach der Treppe ließ ich aus. Ihr Knarren hatte mir bereits manch unangenehmen Besucher frühzeitig angekündigt und mich vorgewarnt; ich selbst hingegen wollte lieber unangemeldet erscheinen.

Mit der einen Hand gab ich der Tür einen Stoß. Mit einem hässlichen Quietschen schwang sie in den kleinen Vorraum, der mit einer hölzernen Sitzbank, einem Beistelltischchen und einem Garderobenständer ein wenig Weltläufigkeit heucheln und Kunden dazu einladen sollte, sich in meiner Abwesenheit niederzulassen und auf meine Rückkehr zu warten.

Ich gebe zu, dass sich bis zu diesem Tag nur Betrunkene auf diese Bank verirrt hatten, die nach einem Platz suchten, um ihren Rausch auszuschlafen. Doch das war im Augenblick vergessen, als die Tür vollends aufschwang und ich sie erblickte.

Sie war Halborkin, soweit ich es beurteilen konnte, und wie in einem Puzzle, dessen Teile sich nahtlos aneinanderfügten, hatten die menschliche und die orkische Hälfte in perfekter Harmonie zueinandergefunden.

Ihre Haut war hellgrün und makellos wie Blätter im Frühling, ihr Haar so schwarz wie die Nacht. Ihr Mantel lag eng um ihre grazile Gestalt, ihre Züge waren herb und anmutig zugleich: schmale Augen, hohe Wangenknochen und ein Mund mit kleinen weißen Zähnen. Dass ihre Kleider vom Regen durchnässt waren, minderte ihre Erscheinung nicht im Geringsten, sondern ließ sie nur noch anziehender wirken, als hätte der Regen allen Schmutz und jede Anrüchigkeit abgewaschen, die man andernfalls vielleicht hätte vermuten können. Der Blick, den sie mir aus ihren geheimnisvoll grünen Augen schickte, traf mich ins Mark.

»Corwyn Rash?«, fragte sie mit einer Stimme, die sich wie Samt um meine Wirbelsäule wickelte und ihr ein wohliges Rieseln entlockte.

»Genau der.« Ich nickte.

Sie erhob sich, nass, wie sie war, und hielt mir zur Begrüßung ihre schlanke Hand hin. »Freut mich«, behauptete sie. »Mein Name ist …«

»Ich weiß, wer Sie sind«, versicherte ich. »Aber vielleicht sollten wir uns lieber in mein Büro begeben. Dies hier ist Dorglash, und in Dorglash haben selbst die Wände Ohren …«

3

Ich hatte sie erkannt.

Nicht gleich im ersten Moment, obwohl mir ihre Züge sofort bekannt vorgekommen waren. Jedoch in dem Augenblick, da sie den Mund öffnete und ich ihre Stimme hörte.

Ihr Name war Kity Miotara.

Besser bekannt war sie als Goshda Gorm, die »Grüne Falle«. Das war ihr Künstlername, und sie war das, was man in der bunten Welt des Schaugeschäfts eine Sherena nannte, eine gefeierte und allenthalben bewunderte Persönlichkeit. Das und die Tatsache, dass sie gewiss nicht zu der Sorte Frau gehörte, die ihre Schritte in ein heruntergekommenes Detektivbüro in Dorglash lenkte, ließ mich für einen Moment zweifeln, ob ich nicht vielleicht träumte oder zu viel von Shinnys Rachenputzer erwischt hatte. Aber es war keine Täuschung – diese Frau war so wirklich wie ich selbst, und jede ihrer beiden Hälften, die menschliche wie die orkische, war dazu angetan, einen armen Kerl um den Verstand zu bringen.

»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich und machte mir bewusst, dass ich sie angestarrt hatte.

Ich nickte und schürzte die Lippen, schmeckte den Schweiß, der sich auf meiner Oberlippe gebildet hatte. Dann schloss ich die Tür des Büros hinter mir und bot ihr einen Platz in dem ledernen Besuchersessel an.

»Wollen Sie ablegen?«, fragte ich, während ich selbst den nassen Mantel auszog.

»Nein danke.« Sie setzte sich.

»Vielleicht etwas zum Aufwärmen? Einen Kaffee? Oder lieber etwas Hochprozentiges?«

»Feuer«, sagte sie nur und zauberte aus ihrer Handtasche eine Spitze mit einer Zigarette zutage, die sie mir entgegenhielt. »Sie gestatten doch, dass ich rauche?«

Ich gestattete es nicht nur, ich steckte mir auch selbst eine an. Dann setzte ich mich hinter den Schreibtisch, der zusammen mit dem dazugehörigen Stuhl und einigen metallenen Aktenschränken auch schon die ganze Einrichtung meines Büros bildete, und sah sie prüfend an.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«

Sie erwiderte meinen Blick und wich ihm nicht aus. Wenn sie mich taxierte, dann tat sie es auf eine sehr charmante Weise. Im Blick ihrer smaragdgrünen Augen lag etwas Sanftes, beinahe Zerbrechliches. Ich fühlte mich nicht kritisch beäugt, eher geschmeichelt.

»Mein Manager ist verschwunden«, erklärte sie.

»Einfach so?«

Sie lächelte schwach und wandte den Blick ab. »Nein, natürlich nicht. Es sind einige Dinge geschehen, die …« Sie unterbrach sich und sah mich wieder direkt an. »Bitte, Dyn Rash. Sie müssen mir helfen.«

Dyn Rash.

Es war selten, dass ich meinen Namen in Verbindung mit der höflichen Anrede hörte, in Dorglash war sie gewöhnlich nicht im Gebrauch. Es gefiel mir irgendwie, zumal aus dem Mund dieser Frau. Aber ich war nicht gewillt, deshalb Zugeständnisse zu machen.

»Lassen Sie erst mal hören«, verlangte ich, während ich die Zigarette über dem Ascher abklopfte. »Dann sehen wir weiter.«

»Sein Name ist Loryn Cayro«, erwiderte sie. Ich zog meinen Notizblock aus der obersten Schublade des Schreibtischs und notierte mir den Namen, die Zigarette zwischen den Zähnen. »Ich will, dass sie nach ihm suchen«, fügte Dyna Miotara überflüssigerweise hinzu.

»Gibt es ein Bild von ihm?«

Sie nickte und griff abermals in ihre Handtasche. Die Fotografie, die sie mir über den Schreibtisch reichte, war ein wenig von der Sonne ausgebleicht, vermutlich hatte sie lange in einem Rahmen gesteckt. Sie zeigte die sepiafarbene Aufnahme eines Mannes, den ich im besten Fall als unscheinbar bezeichnet hätte: Von eher schmächtigem Wuchs, mit einem runden Kopf, der direkt auf den schmalen Schultern zu sitzen schien, die Gesichtszüge bartlos und filigran, mit großen Augen und Dackelblick. Das schwarz gelockte, an den Schläfen bereits ergraute Haar war kurz geschnitten, die Erscheinung überhaupt sehr gepflegt, mit einem weißen Anzug und gestreifter Krawatte und einem goldenen Ring am kleinen Finger der linken Hand, einer stilisierten K-Rune.

K wie Kity …

Soweit ich es auf den ersten Blick feststellen konnte, war der Typ Mensch durch und durch, wobei das schwarze Haar und der etwas dunklere Teint ein südländisches Erbe vermuten ließen.

»Seit wann ist er verschwunden?«, wollte ich wissen.

»Seit fünf Tagen.«

Ich seufzte und blies einen Rauchkringel zur Decke. »Dyna Miotara, was ich Ihnen jetzt sagen werde, wird Ihnen nicht gefallen, aber …«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen«, fiel sie mir mit ihrer rauen Stimme ins Wort, »aber so etwas ist es nicht. Loryn ist weder mit einer jungen Balletttänzerin durchgebrannt noch mit den Eintrittsgeldern verschwunden. Er wurde entführt.«

»Was bringt Sie auf diesen Gedanken? Hat es eine Lösegeldforderung gegeben?«

»Nein, das nicht.« Sie sog an ihrer Zigarette und schüttelte den Kopf.

»Und bei allem nötigen Respekt – warum sitzen Sie hier bei mir, wenn Sie so etwas vermuten, und nicht bei der Polizei?«

Ihr Blick wurde geringschätzig, beinahe despektierlich. »Erwarten Sie wirklich, dass ich Ihnen auf diese Frage antworte? Die Polizei in dieser Stadt ist korrupt, das wissen Sie vermutlich besser als ich.«

»Natürlich, aber es gibt auch Staatsdiener, die ihre Aufgaben durchaus ernst nehmen – zumal wenn jemand wie Sie über die Schwelle ihres Reviers tritt.«

»Was soll das nun wieder heißen?«

»Sie wissen verdammt genau, was es heißt«, blaffte ich. »Sie sind eine Prominente, eine öffentliche Persönlichkeit. Die Bullen würden sich förmlich zerreißen, um für Sie tätig zu werden …«

»Vermutlich«, gab sie zu. »Und die Presse ganz sicher auch. Der Larkador schreibt gerne über mich.«

»Sind Sie deswegen hier bei mir? Es geht Ihnen um Diskretion?«

»Auch«, räumte sie ein. »Und weil Sie mir empfohlen wurden. Sie sollen der beste Detektiv der Stadt sein.«

Ich lächelte, konnte nicht anders.

Natürlich war es ein recht durchschaubarer Versuch, mich zur Übernahme des Falls zu bewegen. Aber aus dem Mund dieser Frau zu hören, dass ich der Beste war, hatte trotzdem etwas.

»Wenn Sie denken, dass ich so gut bin, dann verkaufen Sie mich bitte nicht für dumm«, erwiderte ich trotzdem. »Irgendetwas stimmt nicht an dieser Sache, und ich meine nicht nur ihre Angst davor, dass das Ganze an die Öffentlichkeit gelangen könnte. Ist dieser Loryn Cayro mehr als nur ein Geschäftsfreund von Ihnen?«

»Mit Verlaub, Dyn Rash – das geht Sie nichts an.«

»Verstehe.« Ich nickte und schnitt eine Grimasse. »Das ist der Grund, nicht wahr?«

»Der Grund wofür?«

»Dass Sie nicht zur Polizei gegangen sind. Sie wollen unangenehmen Fragen aus dem Weg gehen.«

»Und wenn es so ist?«

»In diesem Fall«, sagte ich und stieß die Zigarette energisch im Ascher aus, »denke ich, dass es sinnlos ist, dieses Gespräch fortzusetzen. Wenn Sie mir nicht vertrauen, kann ich nichts für Sie tun.«

Ich war drauf und dran, mich zu erheben, um sie zur Tür zu komplimentieren, doch ihr Blick traf mich und hielt mich förmlich fest. Ich hatte mit hohem Einsatz gespielt und war mir nicht sicher, wie die Sache ausgehen würde. Ich hatte seit Wochen keinen richtigen Fall mehr gehabt, das Wasser stand mir bis zum Hals, und ich hätte die Orgos dieser Dame wirklich gut brauchen können, zumal sie millionenschwer war. Doch wenn man in Dorglash als Detektiv arbeitete, dann waren einem zwei Dinge nur zu bewusst. Erstens: Wenn man nicht genau wusste, woran man war, konnte man ziemlich schnell ziemlich tot sein. Und zweitens: Wenn man erst einmal tot war, nützten auch noch so viele Orgos nichts …

»Warten Sie«, sagte Kity leise. »Ich will, dass Sie den Fall übernehmen. Ich werde Ihnen alles sagen, was Sie wissen wollen.«

Ich zögerte, solange ich es angesichts meiner prekären finanziellen Lage verantworten konnte, dann setzte ich mich wieder und steckte mir eine neue Zigarette an. »Also?«

»Loryn und ich kennen uns schon sehr lange. Früher sind wir ein Paar gewesen.«

»Und jetzt nicht mehr?«

»Unsere Beziehung ist kompliziert«, sagte sie, und das bedurfte keiner weiteren Erklärung. Wenn eine Frau ihres Kalibers so etwas sagte, bedeutete das, dass sie über den armen Kerl längst hinweg war, während er sich noch immer in Leidenschaft nach ihr verzehrte. Vermutlich ließ sie ihn ab und zu auch noch ran, nur um ihn dann um so entschiedener von sich zu stoßen, wie ein verwöhntes Kind, das mit Puppen spielte. Aber da war auch Zuneigung in ihrer Stimme, und ihre Sorge um Cayro schien echt zu sein.

»Hat er sich in letzter Zeit irgendwie auffällig verhalten?«

»Wovon sprechen Sie?«

»Kam er Ihnen nervös vor? Hatte er Angst?«

Sie lächelte. »Nicht mehr als sonst. Loryn ist eine vorsichtige Natur.«

Ich verkniff mir die Bemerkung, dass ich nichts anderes erwartet hatte. »Hatte er Ärger? Womöglich Spielschulden?«

»Nein, so ein Mann ist er nicht. Aber es gab in letzter Zeit gewisse … Meinungsverschiedenheiten um meine Auftrittsrechte.«

Ich nahm einen tiefen Zug, denn ich hatte das Gefühl, dass wir uns dem Kern der Sache näherten. Die Varietés und Theater der Stadt wie überhaupt das gesamte Vergnügungsviertel wurden nämlich von den Zwergensyndikaten betrieben.

Ohne Ausnahme …

»Was haben Sie?«, fragte Kity.

»Das wird teuer«, sagte ich nur.

»Das spielt keine Rolle.«

»Ärger mit den Kurzen bedeutet auch Ärger für mich.«

»Sie werden großzügig entlohnt«, versicherte sie. »Was ist Ihr üblicher Tagessatz?«

»Fünfzig plus Spesen«, log ich – in Wirklichkeit war es nicht mal die Hälfte.

»Ich verdopple«, sagte Kity nur.

Hundert Orgos.

Am Tag.

Ich gestehe, dass mir ein wenig schwindlig wurde, und nicht nur von ihrem Parfüm, das nach Nektarblüten duftete, mit einer verruchten Note, die ich nicht näher bestimmen konnte. Auch die Aussicht, einen satten Gormo pro Tag einzustreichen, ließ die Luft im Büro schlagartig dünner werden.

Ob Kity meine Reaktion bemerkte, war nicht festzustellen. »Es fing mit einigen Unregelmäßigkeiten an«, begann sie scheinbar ungerührt zu berichten. »Wenn Sie tatsächlich wissen, wer ich bin, dann wissen Sie auch, dass mein Name ein Garant für ausverkaufte Häuser ist. Der Club, in dem ich gegenwärtig auftrete …«

»Das Shakara, richtig?«, warf ich ein. Nicht, dass ich schon einmal dort gewesen wäre – das Shakara war etwas für Kerle, die nicht nur dicke Hosen, sondern auch dicke Börsen hatten. Aber die halbe Stadt war mit Plakaten zugepflastert, die lauthals verkündeten, wer die Hauptattraktion dort war.

»… kann sich über mangelnde Gäste nicht beklagen, seit ich dort auftrete«, fuhr Kity mit bestätigendem Nicken fort. »Aber Sie wissen ja, wie es in Dorglash läuft – für jeden Orgo, der hereinkommt, hält jemand die Klaue auf.«

Ich nickte – so war das Geschäft. Nicht die Bullen, sondern die Zwergensyndikate kontrollierten die Südstadt, und die Betreiber der Bars, Theater und Bordelle mussten brav ihren Zehnten entrichten, wie in der guten alten Zeit. Taten sie es nicht, waren die Folgen … unangenehm. Im harmlosesten Fall geschäftsschädigend. Im ärgsten lebensbedrohlich.

»Was ist passiert?«, hakte ich nach.

»Unsere Beschützer wollten plötzlich mehr.«

»Wie viel mehr?«

»Zwanzig Prozent.«

Ich lächelte schwach. »Dyna Miotara«, begann ich langsam, »vielleicht hat es sich bis in Ihre Kreise noch nicht herumgesprochen, aber wenn ein Syndikat die Preise verdoppelt …«

»… sollte man den Mund halten und bezahlen«, brachte sie den Satz zu Ende. »Und dann?«

»Hat man gewöhnlich Ruhe«, erwiderte ich.

»Aber wie lange? Wie lange wird es dauern, bis diese Halsabschneider dreißig, vierzig und mehr Prozent verlangen?« Ihr Blick war entrüstet, beinahe anklagend, und er erinnerte mich an jemanden, den ich einst gut gekannt hatte, ehe ich sie im Bombenhagel und in ungezählten Gläsern Sgorn verloren hatte, zusammen mit einem Haufen Illusionen.

»Dyna«, sagte ich leise, »ich fürchte, Sie verwechseln mich. Ich bin Corwyn Rash, Privatschnüffler – nicht König Corwyn der Gerechte.«

Sie legte den Kopf schief und sah mich forschend an. »Es heißt, Ihr Namensvetter sei Kopfgeldjäger gewesen, ehe er König wurde. Wussten Sie das?«

»Nein«, erwiderte ich. »Ist außerdem alles ziemlich lange her. Die Zeit der Helden ist vorbei, Dyna, das sollten Sie gemerkt haben. Also wenn Sie jemanden suchen, der da rausgeht und den Kurzen auf die Füße tritt, dann …«

»Das brauche ich nicht, denn so jemanden habe ich bereits gefunden«, beschied sie mir kühl. »Loryn ist mein Held gewesen. Er ist zu den Zwergen gegangen und hat in meinem Namen bei ihnen Beschwerde eingelegt.«

»Dann ist er entweder verrückt oder ein Narr«, erwiderte ich. »Vermutlich von beidem etwas.«

»Keineswegs. Er ist lediglich ein Mann von Ehre – und das ist offenbar heutzutage sehr selten geworden.«

Ich weiß nicht, warum, aber ihre Worte versetzten mir einen Stich. Es hätte mir egal sein müssen, was sie von mir hielt, aber aus irgendeinem Grund störte es mich, und ich rächte mich dafür. »Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, dass sie von dem guten Dyn Cayro in der Vergangenheit sprechen?«

Sie stutzte und sah mich an. Zum ersten Mal glaubte ich, in ihren makellos grünen Zügen etwas wie Überraschung zu erkennen. Dann folgte Beschämung, als hätte ich sie gerade bei einer unerlaubten Handlung erwischt.

»Mit wem hat er sich angelegt?«, wollte ich wissen. »Das Shakara liegt im Revier des Hammerfall-Syndikats …«

»Dann kennen Sie ja die Antwort.«

»Mit wem genau hatte er zu tun? Mit dem alten Hammerfall höchstpersönlich?«

»Mit Jokus Hammerfall, seinem ältesten Sohn. Er ist ein großer Bewunderer von mir, hat mir nach den Vorstellungen des Öfteren die Aufwartung gemacht und mich mit Geschenken überhäuft. Ich hielt ihn stets für sehr charmant, aber …«

Sie unterbrach sich, und ich nahm ein paar Züge von der Zigarette, während ich die Informationen zu ordnen versuchte. Das Syndikat Hammerfall trug seinen Namen nicht von ungefähr – wenn dieser Hammer fiel (was er nicht selten tat), wollte man nicht darunter stehen. Windolf Hammerfall war kein Mann, der unbescheiden war oder leicht verzieh, und seine verkommene Nachkommenschaft hatte das robuste Temperament des Vaters geerbt – und dazu eine Horde bezahlter Schläger, um es nach Herzenslust auszuleben …

Meine Augen verengten sich zu Schlitzen, als wollte ich die Wahrheit weder sehen noch hören. »Hatten Sie was mit dem guten Jokus?«

»Das ist privat.«

»Deshalb sind Sie hier, oder nicht?«

»Nein«, behauptete sie, »die Beziehung zwischen dem jungen Dyn Hammerfall und mir ist rein ideeller Natur gewesen.«

»Ein Eifersuchtsdrama ist also ausgeschlossen?«

Ihre einzige Antwort war ein seltsamer Blick.

»Ich muss das fragen«, rechtfertigte ich mich. »Jokus Hammerfall ist eigentlich nicht die Sorte Mann, die mal eben Blumen hinter die Bühne bringt.«

»Das habe ich inzwischen auch bemerkt.«

Ich nickte wieder und rauchte, während ich im Kopf Bestandsaufnahme machte. Da war diese wunderschöne, attraktive, sensationelle Frau, die in ihrem Club Männern gleich reihenweise die Köpfe verdrehte, und bat mich um Hilfe. Ihr Manager, Geliebter, Maskottchen oder was auch immer der Kerl für sie sein mochte, war spurlos verschwunden, mutmaßlich, weil er sich mit den falschen Leuten angelegt hatte, und ich sollte ihn finden.

Die Sache stank, noch tausendmal schlimmer als altgelagertes Blutbier.

Aber sie würde mir mehr Geld einbringen, als ich in einem ganzen Jahr gesehen hatte.

»Einverstanden«, hörte ich mich erwidern.

»Sie nehmen den Fall an?«

»Ich werde mich in der Sache umhören«, versicherte ich, während ich die Zigarette energisch ausdrückte, als trüge sie Schuld an meiner Nachgiebigkeit. »Versprechen kann ich nichts. Und wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass das Syndikat ihren Manager hat verschwinden lassen, dann sollten wir über die ganze Sache noch einmal reden.«

»Einverstanden«, sagte nun auch sie und erhob sich.

»Ich bekomme zweihundert im Voraus. Die behalte ich auf jeden Fall.«

»Kein Problem.« Sie öffnete die Handtasche und entnahm ihr zwei zusammengerollte Gormos, die sie mit ihren schlanken Fingern sorgfältig entfaltete und vor mir auf den Tisch legte, begleitet von einem entwaffnenden Lächeln. »Sie wissen, wo Sie mich erreichen?«

»Denke schon.«

»Rufen Sie mich an, sobald Sie etwas wissen.«

»Das werde ich«, versprach ich.

Und im nächsten Moment war sie zur Tür hinaus, die leise hinter ihr ins Schloss fiel. Für einen Moment war ihre Silhouette noch auf dem Milchglas zu sehen, dann war sie entschwunden wie ein Traum, und hätten die beiden Hunderter nicht noch auf dem Tisch gelegen, hätte ich vielleicht wirklich an meinem Verstand gezweifelt.

So ging ich rasch zum Fenster und zog die Lamellen der Jalousie auseinander, um einen Blick hinauszuwerfen. Ein Gesicht schaute mir aus dem Glas entgegen, kantig, glatt rasiert, mit energischem Kinn, stahlblauen Augen und dunklem Haar, und ich brauchte einen verwirrenden Moment, um zu begreifen, dass es mein eigenes Spiegelbild war.

Ich blickte hindurch und sah unten auf der Straße eine atemberaubend aussehende Frau im schwarzen Mantel in eine vornehme, grau lackierte Limousine steigen, eine Elidor 500 der neuesten Bauart, die sich majestätisch in den Verkehr einfädelte und hinter von fahlem Neonlicht beleuchteten Regenschleiern verschwand.

Ich hatte eine neue Klientin.

Ihr Name war Kity Miotara.

Die Grüne Falle.

Shnorsh.

4

Ich überlegte, auf der Stelle loszuziehen und gleich ein paar Erkundigungen einzuholen, entschied mich aber dagegen.

Das Leichenschauhaus und die Bestatter – in Dorglash stets die erste Anlaufstelle, wenn es um die Suche nach Vermissten ging – hatten bereits geschlossen, und die Hospitäler hatten um diese Zeit anderes zu tun, als einem Privatschnüffler Auskünfte zu erteilen. Was Windolf Hammerfall betraf, so war er einer der einflussreichsten Bosse der Stadt. Man ging nicht in sein Revier und schnüffelte dort aufs Geratewohl herum. So wie man auch nicht einfach durch die Vordertür eines seiner Nachtlokale marschierte – andernfalls flog man ziemlich schnell durch die Hintertür wieder raus, und wenn man Glück hatte, waren dann nur der Stolz und ein paar Rippen gebrochen.

Es würde Erfolg versprechender – und auch gesünder – sein, ein paar Orgos springen und den Kontakt über einen Vermittler herstellen zu lassen, dann konnte ich mich in aller Ruhe umhören. Natürlich würde ich den Kurzen nicht die Wahrheit auf die Nase binden – herumzumarschieren und mit der Fotografie einer vermissten Person zu wedeln, war keine sehr ergiebige Strategie. Die Gefahr, jemandem damit auf die Füße zu treten und Gegner auf den Plan zu rufen, von denen man bis dahin noch gar nichts wusste, war zu groß. Überhaupt wusste ich bislang ziemlich wenig, aber der Fall schien relativ klar zu sein.

Dieser Loryn Cayro war ein kleiner Fisch, der gerne mit den großen schwimmen wollte. Er war seiner Klientin in jeder Hinsicht verfallen und sehnte sich nach den Zeiten zurück, in denen er mehr für sie gewesen war als nur ihr Manager. Mir war nicht ganz klar, ob er ihr nur hatte imponieren wollen oder ob er sich tatsächlich eingebildet hatte, etwas ausrichten zu können, wenn er sich bei Windolf beschwerte … Die Friedhöfe von Dorglash waren voller Narren, die so etwas versucht hatten. Die Syndikate verstanden keinen Spaß in dieser Hinsicht. Wer sie offen kritisierte, musste damit rechnen, eine zusätzliche Körperöffnung verpasst zu bekommen oder sich auf dem Grund des Hafenbeckens wiederzufinden, manchmal auch beides. Falls so etwas auch Kitys strahlendem Helden widerfahren war, würde sich die Suche schwierig gestalten und entsprechend hinziehen. Ich würde ein paar ordentliche Tagessätze verdienen, aber wenn sich die Hinweise verdichteten, dass Hammerfall Cayro hatte verschwinden lassen, würde mich irgendwann mein Pflichtbewusstsein daran erinnern, Kity einen Besuch abzustatten und ihr reinen Nektar einzuschenken, und dann würde der Fall erledigt sein.

Es war nicht der erste Irrtum, dem ich im Lauf dieser Ermittlungen erliegen sollte, und nicht der einzige Fehler, den ich machen würde. Jeder halbwegs ordentliche Ermittler weiß, dass man vorgefasste Meinungen tunlichst vermeiden sollte, denn sie schränken die Sichtweise ein und vernebeln den Blick auf das Wesentliche. Doch irgendetwas brachte mich dazu, diese wichtigste aller Regeln achtlos in den Wind zu schlagen, während die Luft in meinem Büro noch immer von Kitys Anwesenheit zu vibrieren schien und ich den Duft ihres Parfüms nach wie vor in der Nase hatte.

Ich beschloss, für heute Schluss zu machen und mit der Flasche Sgorn, die hoffentlich noch immer draußen auf dem Treppenabsatz stand, in meine Wohnung zu gehen und es mir gemütlich zu machen. Mein Apartment befand sich unmittelbar über dem Büro im Dachgeschoss des Gebäudes. Ich hatte das Licht unten bereits gelöscht und den Mantel über dem Arm und wollte das Büro gerade verlassen, als das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte.

Ich zögerte einen Moment, dann warf ich den Mantel über den Besuchersessel und ging ran. Der Fernsprecher war ein veraltetes Modell aus Vorkriegszeiten, mit getrennter Sprech- und Hörmuschel. Mehr war nicht drin.

»Ja?«

»Corwyn Rash?«

»Genau der.«

Ende der Leseprobe