Das Glück liegt am Strand - Christin-Marie Below - E-Book

Das Glück liegt am Strand E-Book

Christin-Marie Below

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Beschreibung

Wenn das Meer die Seele freipustet Liv liebt ihren Job als Intensivkrankenschwester, auch wenn sie kaum noch Zeit für sich findet. Als eine alte Schulfreundin auf ihrer Station nur knapp überlebt, beschließt Liv, sich endlich wieder mehr um sich selbst zu kümmern. Sie fährt nach Norderney, wo sie früher oft mit ihren Großeltern war und ihre Schwester Johanna mittlerweile ein Café betreibt. Zwischen den unterschiedlichen Schwestern kracht es schon beim ersten Treffen. Doch als Liv erfährt, dass es schlecht um Johannas Café steht, beschließt sie, ihr zu helfen. Und dann klopft plötzlich die Liebe an die Tür. Liv muss sich entscheiden. Welches Leben passt wirklich zu ihr? Liebe und ein Neuanfang auf Norderney – eine berührende Schwesterngeschichte

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Das Glück liegt am Strand

CHRISTIN-MARIE BELOW, Jahrgang 1993, wohnt in Kassel. Hin und wieder findet man sie aber auch auf Norderney, wo sie vor Ort recherchiert. Als Tochter der Autorin Andrea Russo (Anne Barns) wuchs sie umgeben von Geschichten und Büchern auf.

Von der Autorin sind in unserem Hause außerdem erschienen: Pension HerzschmerzCafé MeerblickUnser Reetdachhaus am Strand

Wenn alles im Leben zu viel ist, hilft nur noch das Rauschen des Meeres

Die passionierte Intensivkrankenschwester Liv steht mit beiden Beinen im Leben. Als plötzlich eine alte Schulfreundin auf der Station um ihr Leben kämpft, wird Liv alles zu viel. Die Freundin überlebt gerade so, aber Liv erkennt: Sie muss raus, und zwar sofort. In der Hoffnung, die Beziehung zu ihrer Schwester Johanna wiederzubeleben und dabei zu sich selbst zu finden, fährt sie nach Norderney. Auf der Insel angekommen, knallt es sofort zwischen den beiden Schwestern. Zu unterschiedlich sind ihre Ansichten. Doch Liv lässt nicht locker und bleibt trotzdem – und hat endlich mal Zeit für sich, ihre Gedanken und lange Spaziergänge am Meer. Wie kann sie es schaffen, sich im Alltag nicht völlig aus den Augen zu verlieren? Und wie kann sie den Streit mit ihrer Schwester endlich beilegen?

Christin-Marie Below

Das Glück liegt am Strand

Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Mai 2024© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Umschlaggestaltung: Sabine Kwauka, MünchenTitelabbildung:: © Sabine Kwauka unter Verwendung vonshutterstock / © mimomy (Tassen); shutterstock / © BinGoTinGo (Strand);shutterstock / © KlavdiyaV (Paar);shutterstock / ©  Improviser (Himmel);shutterstock / © Daria Ustiugova (Möwe);shutterstock / © Volushka (Möwen im Flug);shutterstock / © Daria Doroshchuk (Blumen / Blätter);shutterstock / © Susse_n (Leuchtturm)Autorenfoto: © Salvatore RussoE-Book powered by pepyrusAlle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.ISBN 978-3-8437-3138-6

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Sechs Monate später …

Rezepte

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

Für MörvVielen Dank für deine jahrelange Freundschaft. Schön, dass es dich gibt!

Prolog

Die beiden Mädchen lagen mit ihrem Großvater im feinen Sand der Dünen und schauten in den Himmel.

»Siehst du etwas?«, fragte Johanna und stupste ihre Schwester leicht an.

»Nein, da ist nichts.« Liv seufzte, ließ das Fernglas sinken und reichte es Johanna. »Guck du mal.«

»Psst!«, flüsterte der Großvater und legte den Zeigefinger auf die Lippen.

Gemeinsam lauschten sie in die Stille.

Das Meer rollte in sanften Wellen ans Ufer und wieder zurück, der Wind ließ den Strandhafer rascheln.

»Kiewip«, ertönte es plötzlich.

Der Großvater lächelte. »Wisst ihr, was das für ein Vogel war?«

Johanna rieb sich an der Nase. »Den Ruf habe ich schon mal gehört.«

Der Großvater nickte.

»Ich weiß! Ein Austernfischer!«, sagte Liv.

»Sehr gut, Schatz! Wenn wir Glück haben und jetzt ganz leise sind, landet er vielleicht.«

Johannas Augen wurden groß. Schnell sah sie wieder durch das Fernglas.

Liv formte mit ihren Händen ein weiteres Fernglas und suchte damit den Horizont ab.

»Schau mal ein bisschen nach links, Johanna«, sagte der Großvater. »Ich glaube, da hinten ist etwas.«

Johanna drehte sich ein wenig. »Wow, der ist ja so was von schön!«

Der Großvater lächelte. Er genoss die Zeit mit seinen Enkelinnen auf Norderney. Jedes Jahr kamen sie auf die Insel und verbrachten die Herbstferien in dem kleinen Bungalow direkt am Meer. Die Kinder liebten die Natur genauso wie er. Das Beobachten der heimischen Vögel wurde zu einem besonderen Ritual, das nur ihnen gehörte.

»Lass mich auch mal«, forderte Liv. Kurz darauf hielt sie sich das echte Fernglas vors Gesicht.

Flink lief der kleine Vogel durch den nassen Sand, stocherte mit dem Schnabel im Boden und suchte nach Futter. »Rote Füße, roter langer Schnabel, das ist wirklich ein Austernfischer, Opa!«

»Richtig«, sagte der Großvater. »Gut beobachtet.«

»Wenn du ihn nicht gehört hättest, hätten wir ihn bestimmt verpasst!«, flüsterte Liv.

»Ja, danke, Opa!«, stimmte Johanna zu.

»Die Natur hat so viel zu bieten. Wenn man ihr nur Zeit gibt, sich zu zeigen«, sagte der Großvater.

Die beiden Mädchen nickten.

»Aber wisst ihr, was das Schönste ist?«, fragte er.

Johanna schüttelte den Kopf. »Was denn, Opa?«

»Dass wir das hier alles zusammen erleben können. Ich hab euch so lieb!«

»Wir dich auch, Opa«, sagte Liv und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

»Und soll ich euch sagen, wer euch auch sehr lieb hat? Oma! Sie wartet mit frisch gekochtem Milchreis auf uns und ist bestimmt schon ganz ungeduldig. Wir müssen langsam los.«

»Milchreis?«, quietschte Liv und sprang auf.

Johanna lief hinter ihr her. Schnell rannten sie den Weg zwischen den Dünen entlang.

»Komm schon, Opa«, rief Johanna. »Wir haben Hunger.«

Er lächelte, atmete tief die salzige Luft ein und eilte seinen Enkelinnen hinterher.

Kapitel 1

Mitten in der Nacht reißt mich mein Wecker aus dem Schlaf. Mein Dienst beginnt um sechs, die Straßenbahn fährt um zwanzig nach fünf, mir bleibt eine Stunde Zeit, um mich fertig zu machen. Ich drehe mich auf die andere Seite und nicke wieder ein. Zehn Minuten später ertönt das schrille Piepen der Schlummerfunktion, und ich stehe, ohne weiter zu zögern, auf. Die anstrengenden Dienste der letzten Wochen stecken mir in den Knochen. Zu groß ist die Gefahr, dass ich wieder tief einschlafe, wenn ich jetzt liegen bleibe.

In der Küche stelle ich den Wasserkocher an und gebe Kaffeepulver in den Porzellanfilter. Als ich das heiße Wasser in kreisenden Bewegungen darübergieße, steigt mir der aromatische Duft der frisch aufgebrühten Bohnen in die Nase. Ein Ritual, für das ich mir jeden Morgen Zeit nehme. Es weckt meine Lebensgeister.

Schluck für Schluck trinke ich den Kaffee in meinem Sessel und schaue dabei aus dem Fenster. Noch ist es dunkel, der Himmel ist voller Sterne. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis die Dämmerung hereinbricht. Heute wird die Sonne wahrscheinlich um elf nach fünf aufgehen, auf jeden Fall etwas früher als gestern. Bis in den Juli hinein wird es so andauern. Und dann wird es Tag für Tag etwas später. Ende Dezember und im Januar wird es erst gegen halb neun hell. Dann habe ich die ersten zwei Stunden meiner Arbeitszeit schon hinter mir, wenn ich wie heute Frühschicht habe.

Ich schließe die Augen und genieße einen Moment die Stille. Da ich etwas abgelegen in einer Sackgasse mitten im Grünen wohne, ist nichts zu hören, eine Wohltat für meine Ohren und ein starker Kontrast zu dem, was mich gleich in der Klinik erwartet.

Nachdem ich den Kaffee ausgetrunken habe, gehe ich ins Badezimmer, mein Lieblingsraum in der Wohnung. Neben der großen Wanne hat der Vermieter auch eine Dusche eingebaut. Ich muss nur den Hebel umlegen, und schon rieselt ein sanfter Regen auf mich herab. Wieder eine kleine Auszeit für die Seele, ein Luxus, den ich mir jeden Tag nach dem Kaffee gönne. Noch ein bisschen Zeit für mich, im Sommer unter der Dusche, im Winter in der Badewanne. Dann creme ich mich mit einer erfrischenden Körperlotion ein, die herrlich nach Orange duftet.

Noch etwas müde, aber erfrischt, gehe ich im Bademantel und mit einem Handtuchturban um den Kopf ins Schlafzimmer, um mein Handy zu holen. Da sehe ich, dass ich eine Nachricht bekommen habe. Wahrscheinlich von meiner Freundin Nina. Mit ihr bin ich heute nach der Arbeit verabredet. Fast drei Monate haben wir uns nicht gesehen. Immer kam etwas dazwischen. Viel zu viele Überstunden, eine Sommergrippe, der Vorsorgetermin, den ich schon zweimal verschoben habe, genauso wie die Steuererklärung, die ich schon längst hätte machen müssen. Heute wollen wir endlich den Bann brechen und uns wiedersehen. Es sei denn, Nina sagt diesmal ab.

Aber ich täusche mich. Die Nachricht ist von meiner Mutter, wie ich überrascht feststelle. Und sie ist gestern Abend um kurz nach zehn bei mir angekommen, als ich schon tief und fest geschlafen habe.

Liv-Schatz, lese ich. Bist du noch wach? Dann ruf mich bitte mal an. Hab dich lieb, Mama.

Ein flaues Gefühl in der Magengegend macht sich breit. Doch das kleine rote Herz hinter dem Text und das Wort »Schatz« hinter meinem Namen beruhigen mich sofort wieder. Es ist nichts Schlimmes passiert, sonst hätte meine Mutter geschrieben: Ruf mich bitte an, es ist wichtig, Mama. Als ich die letzte Nachricht dieser Art bekam, erfuhr ich kurz darauf, dass mein Großvater gestorben war, nur zwei Monate nach meiner Großmutter.

Seitdem habe ich nichts mehr von meiner Mutter gehört. Es geht ihr gut auf Teneriffa, wo sie seit zwei Jahren das Leben genießt – und die Liebe, wie sie so gerne sagt.

Es juckt mir in den Fingern, sie anzurufen, jetzt, kurz vor fünf. Ich weiß, dass sie ihr Handy nie lautlos stellt, aus Angst, etwas zu verpassen. Aber ich beschließe, eine gute Tochter zu sein, lasse sie schlafen und rufe sie später an.

Stattdessen gehe ich in die Küche, hole die vorbereiteten Overnight-Oats aus dem Kühlschrank und den Direktsaft, heute Orange, in den ich etwas Ingwer reibe. Mein Frühstück für warme Tage. In den kalten Monaten mache ich mir Porridge. Den obligatorischen Saft gibt es bei jedem Wetter.

Zehn Minuten nach fünf gehe ich leise die Treppe hinunter. Zum Glück ist die Straßenbahnhaltestelle nicht weit, ich brauche nur fünf Minuten zu Fuß. Den kleinen Puffer plane ich ein, denn es kann schon mal vorkommen, dass die Bahn ein, zwei Minuten zu früh abfährt. Außerdem will ich nicht hetzen. Die Hektik des Tages wird mich früh genug einholen.

Gerade als ich die Tür hinter mir geschlossen habe und die ersten Schritte durch den Vorgarten mache, höre ich die kratzige Stimme meiner Nachbarin, die in der Erdgeschosswohnung unten rechts wohnt.

»Schon wieder so früh unterwegs, Sie Fleißige.«

Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihr um. »Und Sie sind schon wieder so früh auf. Guten Morgen, Frau Klischat.«

»Wenn Sie achtzig sind, ist die Nacht um fünf, spätestens um sechs vorbei, obwohl Sie nicht mehr zur Arbeit müssen.« Sie schaut auf die Uhr. »Die Straßenbahn kommt in acht Minuten, beeilen Sie sich.«

»Mach ich, schönen Tag noch, Frau Klischat.« Lächelnd gehe ich weiter. Meine Nachbarin schaut nach mir, und das meine ich durchaus positiv.

Die Sonne geht über Kassel auf. Die Straßenbahn kommt pünktlich. Wie immer sitze ich fast allein darin, erst am Bahnhof werden es ein paar Menschen mehr.

Achtzehn Minuten später bin ich da.

Jedes Mal, bevor ich die Station betrete, halte ich kurz inne und atme tief durch. Sobald ich durch die Tür gehe, beginnen der Stress und der ganz normale Wahnsinn. Es ist, als würde ich einen Schalter umlegen. Auf der Arbeit muss ich funktionieren. Alles andere wird unwichtig, wenn ich den Kittel trage. Ich darf keine Fehler machen.

Um kurz vor sechs sitze ich in meiner kobaltblauen Arbeitskleidung mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Aufenthaltsraum. Dr. Cremer, die Ärztin der Nachtschicht, bringt uns kurz auf den neuesten Stand.

Wir erfahren, dass ein Patient, den ich seit zwei Wochen betreue, wieder eine Lungenentzündung bekommen hat und künstlich beatmet werden muss. Bei anderen Patienten haben sich die Entzündungswerte verschlechtert. Und für eine Patientin ist eine Dialyse geplant, eine andere ist leider in der Nacht verstorben.

Aber es gibt auch eine gute Nachricht. Einem älteren Herrn, den wir gestern aus dem künstlichen Koma geholt haben, geht es besser. »So gut, dass er alle auf der Station herumkommandiert«, sagt Beate, eine meiner Kolleginnen. »Er hat auch schon mit seiner Frau geschimpft, die vor Freude geweint hat.« Sie lächelt. »Er heißt Norbert, sie nennt ihn Nörgler. Wenn alles klappt, darf er ab morgen mit den Kolleginnen auf der Inneren schimpfen.«

Auch ich lächle. Jeder noch so kleine Behandlungserfolg tut gut und ist wichtig.

Eine gute halbe Stunde dauert es, bis wir alles besprochen haben, und ich weiß, wer heute auf meinem Dienstplan steht. Es ist der Mann, der wieder an einer Lungenentzündung erkrankt ist. Er ist Mitte achtzig und sehr krank, ein Langzeitpatient. Da seine Betreuung viel Zeit in Anspruch nimmt, bekomme ich neben ihm noch zwei weniger komplizierte Fälle zugeteilt: eine Krebspatientin, die nach einer Operation noch ein paar Tage zur Überwachung auf der Station bleibt. Und eine ältere Dame, die immer mal wieder bei uns landet, weil ihr Herz sehr schwach ist. Sie soll spätestens morgen auf die Geriatrie verlegt werden.

Der Arzt der Frühschicht, der die ganze Zeit mürrisch Kaffee getrunken hat, strafft die Schultern und nickt uns zu. »Auf in den Kampf.«

Ich beneide ihn nicht. Nach dem Abitur wollte ich auch Medizin studieren, aber mein Notendurchschnitt war nicht gut genug. Nach einem Jahr als Au-pair in Schottland habe ich mich dann für eine Ausbildung zur Krankenschwester entschieden. Nach zwölf Wartesemestern hätte ich mit dem Studium beginnen können. Damals war ich sechsundzwanzig, und das Letzte, was ich wollte, war, noch einmal die Schulbank zu drücken. Ich mochte meinen Beruf als Krankenschwester. Und im Prinzip gefällt er mir immer noch – eigentlich.

Mein Magen zieht sich zusammen, als ich das Zimmer meines Langzeitpatienten betrete. Hier geht es längst nicht mehr um das Leben des Mannes. Seit Tagen versucht er zu sterben und wird immer wieder daran gehindert: Reanimation, Dialyse, das volle Programm. Da er keine Patientenverfügung unterschrieben hat, stehen Wirtschaftlichkeit und Auslastung der Geräte im Vordergrund.

»Guten Morgen, Herr Kramer«, sage ich und halte kurz seine Hand. Niemand weiß, was der alte Mann noch wahrnimmt. Während ich mich um ihn kümmere, erzähle ich ihm wie jeden Tag, um wie viel Uhr heute die Sonne aufgegangen ist, dass ich gestern meine Freundin Nina im Park getroffen habe und dass meine Mutter angerufen hat. Natürlich reagiert er nicht. Nur das gleichmäßige Sauggeräusch des Beatmungsgeräts begleitet meinen Monolog. Und die vielen Pieptöne, die ich fast nicht mehr wahrnehme, es sei denn, sie ändern plötzlich ihre Tonlage. Am liebsten würde ich noch eine Weile bleiben, aber das geht leider nicht. Nebenan liegen meine beiden anderen Patientinnen, die versorgt werden müssen.

»Guten Morgen«, sage ich, als ich das Zimmer betrete.

»Ich glaube, ich bin dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen«, lispelt Frau Hagedorn. Ihre Wangen sind rosig. Sie sitzt leicht aufgerichtet und lächelt mich an, als ich zu ihr ans Bett trete. »Kann ich meine Zähne wiederhaben? Ohne sie fühle ich mich schrecklich. Und ich klinge entsetzlich.«

»Natürlich.« Ich schaue in den Nachttisch und reiche ihr ihre Dritten. Während sie sie einsetzt, überprüfe ich kurz ein paar Werte und sage: »Wie wär’s mit einer kleinen Schönheitskur? Waschen, kämmen, eincremen?«

Sie lacht. »Sehr gerne.«

Als ich fertig bin, reicht sie mir die Hand. Ich lege meine in ihre und betrachte die alte Dame. Früher muss sie eine Schönheit gewesen sein, und sie ist es immer noch. Ihr schlohweißes Haar fällt ihr bis auf die Schultern. Ihr fein geschnittenes Gesicht ist voller Falten. Und über ihren sehr hellen blauen Augen liegt ein leichter Schleier. Aber sie hat immer noch einen wachen Blick, mit dem sie mich jetzt mustert.

»Sind Sie verheiratet?«, fragt sie.

Lächelnd schüttle ich den Kopf.

»Aber liiert?«

Wieder schüttle ich den Kopf.

Ich erwarte, dass sie mir sagt, wie schade sie das findet, aber dass ich mir keine Sorgen machen soll, weil der Richtige schon noch kommen wird. So wie es meine Oma ab und zu gemacht hat.

Aber ich irre mich. »Gut so!«, sagt sie. »Genießen Sie die Zeit, und legen Sie sich bloß nicht zu früh fest.«

»Das habe ich nicht vor.« Ich seufze. »Und auch keine Zeit dafür.« Persönliche Dinge über mich erzähle ich den Patienten normalerweise nicht. Vielleicht liegt es daran, dass mich die alte Dame an meine Großmutter erinnert, vielleicht aber auch nur an ihrer ruhigen, sehr sympathischen Ausstrahlung und ihrer überraschend melodischen Stimme, die sehr weich klingt. Ich unterhalte mich gerne mit ihr.

»Wie alt sind Sie, Ende zwanzig?«, fragt sie.

»Dreißig«, antworte ich.

»Der wichtigste Teil Ihres Lebens liegt noch vor Ihnen«, sagt sie. »Genießen Sie ihn. Wichtig ist, dass Sie am Ende, wenn Sie so alt sind wie ich, zurückblicken und nichts bereuen.«

»Das klingt nach einem erfüllten Leben«, sage ich. »Schön!«

»Ach was, die Hälfte habe ich verpasst.« Sie lächelt verschmitzt. »Lernen Sie aus den Fehlern der anderen. Leben Sie!«

Im ersten Moment weiß ich nicht, was ich sagen soll. Ihre Worte berühren mich irgendwo tief in meinem Inneren. »Werde ich«, sage ich mit fester Stimme.

Wir unterhalten uns noch ein wenig, während ich sie versorge, dann widme ich mich der anderen Patientin.

Sie hat die Augen geschlossen. Sarah Spiering, lese ich, geboren 1993. Die Frau ist so alt wie ich. Ihr Kopf ist kahl rasiert, ihr Gesicht schneeweiß.

Sie öffnet die Augen, offenbar hat sie mitbekommen, dass ich an ihrem Bett stehe. Und auch, worüber ich mit ihrer Zimmergenossin gesprochen habe.

»Sie hat recht«, sagt sie mit brüchiger Stimme. »Lebe, und bereue nichts.« Ein kleines Lächeln umspielt ihre rauen Lippen. »Hallo, Liv.«

Mir stockt der Atem. Erst jetzt wird mir bewusst, mit wem ich spreche. Ich greife nach ihrer Hand. Sie fühlt sich eiskalt an. »Guten Morgen, Sarah.« Ich habe meine alte Schulfreundin nicht erkannt, was auch daran liegt, dass sie einen anderen Nachnamen trägt, einen, den ich von jemand anderem kenne. »Spiering, du hast Toby geheiratet.« Ich lächle.

»Im September«, flüstert sie, bevor ihre Hand aus meiner gleitet. »Mir geht es nicht gut.«

»Ich bin hier, ich passe auf dich auf«, sage ich.

Aber irgendetwas stimmt nicht. Die Gesichtsfarbe, die eiskalte Hand, die Schweißperlen auf der Stirn, die ich jetzt bemerke. Sarah beginnt, schneller zu atmen, nach Luft zu ringen. Mein Blick wandert über den Monitor. Dann drücke ich den roten Notfallknopf und renne hinaus auf den Flur. Ein paar Türen weiter kommt der Arzt aus einem Zimmer.

»Schnell!«, rufe ich, »Zimmer drei. Hier!«

Er dreht sich zu mir um und rennt los.

Sarahs Augen sind geschlossen, als ich das Zimmer wieder betrete. Sie keucht hektisch.

»Sarah …«, ich streiche ihr über die feuchte Wange. »Ich bin hier«, sage ich. »Liv.«

Einen Moment später schiebt mich eine kräftige Hand zur Seite.

»Lassen Sie mich …« Die Stimme dringt wie durch Watte in mein Ohr. Der Arzt holt den Defibrillator. Dann geht alles ganz schnell.

Eine halbe Stunde später ist Sarah wieder bei Bewusstsein.

»Ein anaphylaktischer Schock«, erklärt mir der Arzt. »Der Kreislauf ist zusammengebrochen. Herzstillstand. Gut, dass Sie aufgepasst haben. Es ist gerade noch einmal gut gegangen.«

Kapitel 2

Es ist Viertel nach vier, als ich die Klinik verlasse. Die Sonne scheint. Kleine weiße Wölkchen ziehen über den hellblauen Himmel. Eine leichte Brise weht. Genau das richtige Wetter für einen Spaziergang. Um fünf Uhr bin ich mit Nina verabredet. Aber ich bin so kaputt, dass ich mich am liebsten aufs Sofa fallen lassen und erst mal eine Stunde schlafen würde. Hätte ich nicht schon zigmal abgesagt, würde ich jetzt nach Hause fahren statt in den Park. Aber wir haben es uns versprochen.

An der Haltestelle steigen mehrere Fahrgäste aus der S-Bahn. Im Gegensatz zu Sarah erkenne ich Toby sofort wieder. Er sieht aus wie früher: die dunklen zerzausten Haare, die Nickelbrille auf der Nase …

»Hey, Toby«, sage ich, aber er reagiert nicht. Mit schnellen Schritten geht er an mir vorbei. Ich steige ein und beobachte von meinem Platz aus, wie er in Richtung Klinik geht. Wahrscheinlich will er Sarah besuchen. Ich hätte nie gedacht, dass die beiden einmal heiraten würden. Damals hatten sie eine ständige On-off-Beziehung. Himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt schwebte Sarah entweder auf Wolke sieben oder wollte für immer ins Kloster gehen. Nach dem Abitur verloren wir uns mehr oder weniger aus den Augen. Sie zog zum Studieren nach Frankfurt, Toby ging nach Marburg. Nina und ich blieben in Kassel, sie studierte hier an der Uni Kunst, ich begann meine Ausbildung. In den ersten Monaten haben wir uns ab und zu getroffen, aber dann ist der Kontakt eingeschlafen. Es war sowieso nur eine lose Freundschaft, nie so tief wie die zu Nina. Aber wir hatten alle eine schöne Zeit zusammen. Ich bin froh, dass die beiden schließlich geheiratet haben. Und ich hoffe, dass Sarah es schafft. Denn dass sie den Allergieschock überlebt hat, heißt noch lange nicht, dass sie auch den Rest übersteht.

Ich lehne mich ans Fenster und schließe für einen Moment die Augen. Als ich merke, dass ich kurz vor dem Einschlafen bin, richte ich mich auf. Geschlafen wird zu Hause, in meinem gemütlichen Bett.

In der Kasseler Innenstadt steige ich aus und gehe zur Karlsaue.

Die Spätnachmittagssonne steht hoch am Himmel und taucht den Park in ein warmes goldenes Licht. Der Wind fährt durch die Blätter der Bäume. Es ist nicht mehr weit, gleich erreiche ich meinen Lieblingsplatz.

Die alte Holzbank steht unter einer großen Kastanie am Ufer des Teiches. Es war die richtige Entscheidung, uns hier zu treffen. Viel zu selten habe ich mich in den letzten Wochen dazu aufgerafft, spazieren zu gehen, Zeit in der Natur zu verbringen, einfach mal wieder etwas für mich zu tun. Dabei weiß ich, wie gut mir das tut. Und wie wichtig es ist!

Ich setze mich hin und atme tief durch. Die Sonne spiegelt sich auf der Wasseroberfläche, lässt sie magisch glitzern. Ein paar Graugänse stehen regungslos am Ufer. Fast scheint es, als würden sie die Stockenten beobachten, die im Wasser ihre Bahnen ziehen.

In Gedanken höre ich meinen Großvater sagen: »Wusstet ihr, dass Enten in Dialekten schnattern? Genau wie wir Menschen. Hier in Kassel klingen die Enten anders als zum Beispiel auf dem Land, wo es viel ruhiger ist.«

Für einen Moment schließe ich lächelnd die Augen und lausche dem Gespräch der gefiederten Teichbewohner. Früher haben meine Schwester Johanna und ich uns oft ausgemalt, worüber sie sich unterhalten. Über das Futter, über ihre ungezogenen Kinder, über das Wetter und über die komischen Gestalten, die auf der Bank sitzen und ihnen zuschauen.

Wie viel Zeit haben wir hier im Park mit Opa verbracht! Meistens saßen wir zusammen auf unserer Bank und beobachteten die Nilgänse, Graureiher und Haubentaucher. Ich weiß noch genau, wie entsetzt ich war, als wir zum ersten Mal einen Haubentaucher tauchen sahen. Der Vogel blieb so lange unter Wasser, dass ich mir große Sorgen machte. Ich flehte Opa an, ihm zu helfen, und war unglaublich erleichtert, als er plötzlich am anderen Ende des Teiches wieder auftauchte.

Johanna hingegen verstand meine Aufregung überhaupt nicht. Sie glaubte, dass sich die Dinge von selbst regeln würden. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Meine kleine Schwester war schon immer die Mutigere von uns. Sie geht Risiken ein, ohne groß darüber nachzudenken, sie macht einfach, während für mich nichts genau genug geplant werden kann. Johanna … wie es ihr wohl geht?

Ich seufze, streiche über das alte Holz der Bank und lehne mich zurück. Es ist viel los in der Aue. Ein paar Sportbegeisterte ziehen in Jogginghosen ihre Runden, viele Spaziergänger sind unterwegs. Ich schaue auf die Uhr. Es ist kurz vor fünf. Nina müsste gleich hier sein.

Erwartungsvoll blicke ich auf den Weg, den sie gleich entlanglaufen wird. Und da kommt sie auch schon um die Ecke. Ihre blonden Haare hat sie zu einem hohen Zopf gebunden, der bei jedem Schritt hin- und herwippt. »Liv!«, ruft sie. »Wie schön!«

Sie strahlt über das ganze Gesicht, als ich aufstehe und meine Arme ausbreite.

»Hey«, sage ich und drücke sie an mich. »Du siehst gut aus, habe ich was verpasst? Warst du im Urlaub?« Ihre Haut ist leicht gebräunt, was ihre strahlend blauen Augen noch mehr zum Leuchten bringt.

Nina lacht. »Schön wär’s … aber der Balkon ist nicht zu unterschätzen. «

»Stimmt. Vor allem, wenn er nach Süden geht, wie bei dir. Du hast wirklich Glück mit deiner Wohnung.«

»Absolut«, sagt Nina und setzt sich zu mir auf die Bank. »Schön, dass das mit dem Treffen heute geklappt hat, ich hatte fast vergessen, wie du aussiehst.« Sie mustert mich. »So müde hatte ich dich aber nicht in Erinnerung, du arbeitest zu viel! Du siehst wirklich erschöpft aus.«

Wie immer sagt Nina unverblümt, was sie denkt. »Zum Glück habe ich die nächsten zwei Tage frei.« Ich atme kurz durch. »Obwohl ich fast lieber arbeiten würde. Sarah ist nämlich seit heute auf unserer Station. Unsere Sarah von früher.«

»Sarah Niemeyer, oh Gott, warum? Was ist mit ihr?«

»Sie heißt jetzt Spiering«, erkläre ich und erzähle meiner Freundin, was heute passiert ist.

»Gut, dass du da warst«, sagt Nina, als ich fertig bin.

»Es war knapp, sehr knapp.« Ich drücke meinen Rücken durch. »Aber jetzt lass uns das Thema wechseln, damit ich auf andere Gedanken komme. »Was gibt’s Neues? Wie geht es dir?«

Nina kommt meiner Bitte sofort nach. »Gut, eigentlich ist alles beim Alten. Die Arbeit macht mir immer noch Spaß, Roman und ich planen gerade unseren nächsten Urlaub, der nicht auf Balkonien stattfinden wird. Und, halt dich fest … Roman hat vor Kurzem seinen ersten Halbmarathon absolviert.«

»Wahnsinn, das ist toll! Ich wusste gar nicht, dass er wieder läuft.«

»Er hat es quasi für sich wiederentdeckt, ich bin so froh, dass er die Folgen des Unfalls jetzt komplett überwunden hat.«

»Das ist toll, wirklich!« Romans Motorradunfall hätte schlimmer ausgehen können, er hatte Glück im Unglück und kam mit ein paar Knochenbrüchen davon. »Und wo wollt ihr Urlaub machen?«

»In Griechenland. Kreta und Samos sind in der engeren Auswahl«, antwortet Nina.

»Samos kann ich empfehlen. Mein Vater schwört auf diese Insel. Er fliegt jedes Jahr hin.«

»Ach, echt? Das freut mich für ihn. Aber was ist mit dir?«, fragt Nina. »Wie sieht deine Urlaubsplanung aus?«

Ich seufze. »Keine Ahnung, ich überlege noch. Wenn ich mir die Überstunden nicht auszahlen lasse, könnte ich locker vier Wochen am Stück verreisen. Theoretisch.«

»Dann mach’s doch!«

»Einen Monat Urlaub.« Ich seufze. »Das wär’s. Aber das geht leider nicht, die Klinik macht da nicht mit. Wir sind chronisch unterbesetzt.«

»Hast du es schon mal versucht? Geh hin und sag, dass du umkippst, wenn du so weitermachst. Und dass du einen längeren Urlaub bitter nötig hast.« Sie schnalzt mit der Zunge. »Du bist einfach zu gut für diese Welt. Andere nehmen nicht so viel Rücksicht.«

»Eben!«, sage ich. »Und jetzt lass uns über etwas anderes reden. Wir sind schon wieder in der Klinik gelandet.«

»Okay!« Nina stößt mich in die Seite. »Was ist eigentlich aus dem Typen geworden, mit dem du zusammen warst? Benny hieß er doch, oder? Hat er sich nach seiner USA-Reise wieder bei dir gemeldet?«

»Hör auf«, sage ich lachend und winke ab. »Die Sache mit ihm hatte sich eigentlich schon vorher erledigt. Da gab es zu viel Diskussionspotenzial.«

»Aber das muss ja nichts Schlechtes sein.«