Das Gold der Marques' - Sina Blackwood - E-Book

Das Gold der Marques' E-Book

Sina Blackwood

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Beschreibung

Der portugiesische Gewürzhändler Rodrigo Alvarez zieht 1602 am Strand von Malakka eine Schiffbrüchige aus dem Wasser. Sie ist mehr tot als lebendig, scheint gelähmt zu sein und hat ihr Gedächtnis verloren. Zwischen beiden entbrennt rasch eine tiefe Liebe. Rodrigo unternimmt alles Menschenmögliche, um ihr zu helfen. Er ahnt nicht, wen er beherbergt und dass sie, ohne jemals davon gewusst zu haben, eng mit seinem malaysischen Diener Amin verbunden ist. Als endlich die Erinnerungen der hübschen Fremden wiederkommen, steckt Alvarez mitten in einer Geschichte, die rund 90 Jahr zuvor mit Afonso de Albuquerque und dem Untergang seines Flaggschiffes Flor de la Mar ihren Anfang nahm.

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Kapitelverzeichnis:

Strandfund

Erste Spuren

Amin, der Unentbehrliche

Erinnerungen

Leidenschaft

Lieber tot als unglücklich

Traumhochzeit

Etappensiege

Das Gold der Marques’

Erbschaftsangelegenheiten

Allerlei Überraschungen

Auf neuen Pfaden

Suria

Licht und Schatten

Freundschaftsdienste und Heldentaten

Unter vollen Segeln

Geld regiert die Welt

Frauenpower

Unruhige Zeiten

Umbrüche

Miguel Alvarez

Aufbruch nach Portugal

Für Dankbarkeit ist es nie zu spät

Strandfund

Ein Blitz, ein Donnerschlag, Dunkelheit.

Sie versuchte, die Lider einen Spaltbreit zu öffnen. Dämmerlicht, feuchte Wärme, der Hauch salziger Seeluft. Ein Augenpaar, welches sie neugierig und erleichtert musterte.

„Gott sei Dank! Sie lebt!“

Sie war sicher, die wohlklingende Stimme noch nie gehört zu haben.

„Gib mir die Wasserflasche!“

Wasser! Sie hatte wahnsinnigen Durst. Ich möchte auch trinken, formulierte sie in Gedanken, ohne es aussprechen zu können.

Jemand hob ihren Kopf an, stützte ihren Körper mit seinem Oberschenkel, dann spürte sie das ersehnte Nass auf ihren Lippen. Gierig begann sie zu schlucken.

„Na, na, ganz langsam, es ist genug da!“, mahnte der Mann mit der freundlichen Stimme, ihr fast tropfenweise die Flüssigkeit einflößend.

Sie versuchte zu blinzeln, doch etwas verklebte ihre Augen. Im selben Moment fühlte sie sanfte Finger in ihrem Gesicht, welche äußerst vorsichtig die lästigen Sandkrusten entfernten.

„So sieht die Welt doch gleich freundlicher aus“, murmelte der Fremde, den sie endlich anschauen konnte.

Ein kühn geschnittenes Gesicht umrahmt von sattbraunem welligem Haar.

„Ihr seid in Sicherheit“, erklärte er lächelnd.

Sicherheit? Sie ließ ihren Blick schweifen, soweit es die Lage ihres Kopfes zuließ. Ein weißer Strand, ein sattblaues Meer und eine Schleifspur, die vom Spülsaum des Wassers bis zu dem Platz führte, an dem sie der Fremde im Arm hielt. Die Reste eines Fasses und einer Schiffsplanke konnte sie mehr erahnen als sehen.

Wie kam sie hierher? Wo war dieses Hier? Warum konnte sie ihren Körper nicht spüren? Wer war der Fremde?

„Ich bin Rodrigo Alvarez“, stellte er sich soeben vor.

Ich bin – ich bin … Ihre Augen wurden unnatürlich groß. Ich weiß nicht, wer ich bin!

Rodrigo seufzte. „Es sieht ganz so aus, als habe sie durch den Schock die Sprache verloren. Aber vielleicht versteht sie mich auch nicht.“

Sie brachte, statt einer Antwort, nur ein unartikuliertes Krächzen heraus. Für den jungen Mann das Zeichen, ihr noch einmal behutsam Wasser zu geben.

Nach dem letzten Schluck schloss sie die Augen. Schlafen. Einfach schlafen! Und wenn sie erwachte, war sie sicher wieder da, wohin sie gehörte. Das konnte nur ein seltsamer Traum sein.

„Amin! Mein Pferd!“ Rodrigo reichte seinem Diener die Flasche, um den halb toten Findling aufheben zu können. Dieser merkte nichts mehr davon. Tiefschlaf hielt ihn umfangen.

Der Schimmel lief mit seiner ungewöhnlichen Last besonders ruhig, als spüre er, wie schlecht es um die Frau im Arm seines Herrn stand.

„Wir reiten durch das kleine Tor ins Fort“, legte Rodrigo fest, worauf Amin sofort die Richtung wechselte. „Warte! Nimm du den Brief! Er muss heute noch dem Kommandanten übergeben werden.“

„Sehr wohl, mein Herr.“ Amin steckte das Schreiben in den Gürtel und trabte voraus.

Als Rodrigo das Tor erreichte, hatte Amin seinen Auftrag bereits erfüllt und sie konnten sofort passieren. In der Dunkelheit blieb unbemerkt, dass Rodrigos Pferd doppelte Last trug.

Im Garten des eigenen Hauses sprang er von seinem Schimmel, schickte Amin nach einem Heilkundigen und bettete die Fremde inzwischen in eines der schmucken Zimmer im oberen Stockwerk.

Warum er sie nicht einfach im Fort gelassen hatte? Er wusste selbst keine Antwort auf die Frage. Da war einfach dieses Gefühl, sich ihrer annehmen zu müssen.

Dem hellen Haar nach schien sie eine Europäerin zu sein. Darüber konnte auch die sonnengebräunte Haut nicht hinwegtäuschen. Er schätzte sie auf etwa zwanzig. Warum sie Männerkleidung trug, werde er wohl erst ergründen können, wenn sie endlich wieder aufwachte.

Die vielen Schürfwunden im Gesicht weggedacht, musste sie auch sehr hübsch sein. Vielleicht war es ja das, was ihn sofort zu ihr hingezogen hatte.

Er fühlte nach ihrem Puls. Ein kurzes Nachdenken, dann ließ er seine Hände über den Stoff ihrer Kleidung gleiten. Deutlich spürte er die Reste der Feuchtigkeit. Mit einem unwilligen Kopfschütteln eilte er in sein Schlafzimmer, holte eines seiner langen weißen Hemden, um es ihr überzustreifen, nachdem er sie entkleidet hatte.

Die geheimnisvolle Fremde schlief einfach weiter, was ihm im Augenblick auch ganz recht war. Also wagte er auch, mehr als ein Auge auf das zu werfen, was unter ihrer Kleidung zum Vorschein kam.

Der heftige Stich in seinem Herzen musste wohl von Amors Pfeil herrühren, der ihn just in diesem Moment zielgenau und sehr tief getroffen hatte.

Auf das laute Klopfen an der Tür zuckte er wie ein ertappter Sünder zusammen. Er raffte die nassen Kleider zusammen und öffnete.

„Tritt ein“, bat er den alten Mann. Amin drückte er die Wäsche in die Hand. „Waschen, trocknen, reparieren.“

Der Alte warf einen Blick auf die Frau, dann schaute er Alvarez fragend an.

„Ich kann dir weder sagen wer sie ist noch woher sie die Verletzungen hat. Ich habe sie halb im Wasser liegend am Strand gefunden und mitgenommen, weil sie noch lebte. Schau, was du für sie tun kannst.“

Der alte Malaysier nickte. Der Portugiese Alvarez stand in dem Ruf, sofort und gut zu bezahlen. Anreiz, seine Wünsche auf der Stelle und gründlich zu erfüllen.

„Was hältst du davon?“

„War das gerade ihre Kleidung?“, fragte der Alte.

„So ist es.“

„Dann vermute ich, dass ihr Schiff bei dem gestrigen schweren Gewittersturm gesunken ist. Es grenzt an ein Wunder, wenn sie so ein Inferno überlebt hat.“ Er schob ihre Augenlider nach oben. Kontrollierte an der Halsschlagader den Pulsschlag und erfühlte die Temperatur ihrer Stirn. „Sie schläft tief und fest.“

„Wird sie denn wenigstens wieder aufwachen und gesund werden?“ Rodrigo Alvarez zog sorgenvoll die Augenbrauen zusammen.

„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich muss schauen, ob sie schwerere Verletzungen hat.“ Der Heiler tastete akribisch seine Patientin ab. „Ein paar Quetschungen und Blutergüssen, etliche Schürfwunden, aber keine Knochenbrüche. Möglich, dass sie eine Gehirnerschütterung hat.“

Alvarez blies erleichtert Luft aus.

„Ich mixe ihr einen stärkenden Trank und heilende Salbe. Den Rest muss die Natur erledigen.“

„Wann kann ich es holen lassen?“

„Morgen früh.“ Der Alte erhob sich.

Alvarez drückte ihm dankbar ein Goldstück in die Hand. Das hätte als Bezahlung für viele Behandlungen mitsamt den Medikamenten gereicht.

Vor der Tür hielt Alvarez den alten Mann noch einmal zurück. „Zu keinem ein Wort!“

Und auf dessen kaum merkliches Lächeln: „Ja, es liegt mir sehr viel an ihr. Ich will nicht, dass man sie zu irgendetwas zwingt. Sie soll sich frei entscheiden können, wenn sie wieder gesund ist.“

Der Alte legte einen Finger auf seine Lippen, um Stillschweigen anzudeuten, dann eilte er durch die Nacht davon.

Rodrigo zog einen Stuhl neben das Bett der geheimnisvollen Fremden. Die Flamme der Öllampe reichte gerade aus, um ihr Gesicht erkennen zu können. Wer seid Ihr? Und welcher Wind hat Euch hierher geweht?

Seufzend lehnte er sich zurück, schloss die Augen und glitt in einen unruhigen Schlaf. Alle paar Minuten schreckte er auf, schaute nach der schönen Unbekannten und döste wieder ein.

Leises Stöhnen weckte ihn im Morgengrauen endgültig. Große Augen musterten ihn ängstlich, als er sich über das Bett beugte.

„Guten Morgen. Wie geht es Euch?“, fragte er besorgt.

„Ich habe furchtbaren Durst“, flüsterte sie mühsam.

Rodrigo nahm den Krug vom Tisch und füllte einen Becher halb. Er schob ihr zwei Kissen unter den Rücken, setzte ihr den Becher an die Lippen und half behutsam. Sie musste Unmengen Salzwasser geschluckt haben. Es werde wohl noch ein paar Tage dauern, bis sie sich davon erholt hätte.

Das Klappen einer Tür deutete an, dass Amin mit der Medizin zurückgekehrt war. Rodrigo rief ihn zu sich. Amin packte ein Fläschchen, einen Beutel Tee und ein Salbentöpfchen auf den Tisch. „Er hat gesagt: Tee bereiten, abkühlen lassen, zwei Tropfen – niemals mehr – aus dem Fläschchen dazugeben. Sie kann von der Mischung trinken, soviel sie möchte. Die Salbe morgens und abends dünn auftragen.“

„Danke, Amin. Brühe sofort eine Kanne Tee auf. Bring etwas Schiffszwieback zum Einweichen mit.“

Der Diener nahm den Beutel vom Tisch und verschwand in der Küche. Erstaunlich, dass sein Herr der schönen Fremden so viel Zeit widmete. Andererseits auch nicht erstaunlicher, dass sie tatsächlich aus ihrem komatösen Schlaf wieder erwacht war.

Ihre Kleidung hatte er noch in der Nacht gewaschen. Sie hing hinter dem Haus auf einer Leine. Solange sie krank im Bett lag, musste er sich auch mit den wenigen Reparaturen nicht beeilen. Außerdem werde Senhor Rodrigo sicher Frauenkleider für sie kaufen. Über Amins Gesicht huschte ein heiteres Lächeln, als er sich seinen Herrn dabei vorstellte.

Im Krankenzimmer stellte dieser soeben den Becher weg. „Ich werde jetzt die Salbe auftragen. Sagt mir, wenn es wehtut.“

Die Frau ließ die Prozedur klaglos über sich ergehen. Nur, als er unter der Decke nach ihrem Bein fasste, überzog ein Hauch Röte ihr Gesicht. Besonders als seine Fingerspitzen vom Knöchel an aufwärts glitten und erst kurz über dem Knie stoppten.

„Tut mir leid, aber es geht nicht anders.“ Er schob die Decke ein wenig beiseite, um ihr zu zeigen, wie schlimm das Bein aussah.

Der Anblick erschreckte sie zutiefst.

„Darf ich alle verletzten Stellen behandeln?“, fragte er vorsichtshalber, denn an der Hüfte und am Brustkorb sah es ähnlich aus.

„Ja.“ Sie schloss die Augen und genoss die Wärme seiner Hände, nicht weniger als das sanfte Streicheln.

„Ihr könnt es spüren?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Ja.“ Ein winziges Lächeln huschte über ihr Gesicht.

„Aber Ihr könnt Euch nicht bewegen …“

„Nein, nur den Kopf.“

Rodrigo schluckte. „Das habe ich befürchtet.“

Amin brachte den Tee. Rodrigo rührte die zwei Tropfen aus der winzigen Flasche persönlich unter. Er war wohl auch der einzige Portugiese, in weitem Umkreis, der der Heilkunst der Einheimischen vertraute.

Es erschreckte ihn zwar, was alles zerstampft, zerrieben und verrührt wurde. Aber er hatte auch mehrfach mit eigenen Augen gesehen, dass die, für europäischen Geschmack, ekelerregenden Zutaten wahre Wunder bewirkten. Auch jetzt setzte er alle Hoffnungen auf die Kunst des alten Heilers.

„Wer seid Ihr?“, fragte er plötzlich.

Sie kniff überlegend die Augen zusammen. „Ein Matrose, glaube ich“, sagte sie nach langem Nachdenken.

„Tatsächlich?“ Rodrigo musste trotz aller Sorgen lachen.

„Ich bin nicht sicher.“

Er schaute sie amüsiert an. „Ganz sicher ist, dass Ihr eine Frau seid.“

„Eine … eine Frau?!“, fragte sie verdattert. „Kein Matrose?“

„Als ich Euch gefunden habe, habt Ihr Matrosenkleidung getragen. Aber in der Kleidung steckte eine Frau.“

Diesmal fragte sie: „Tatsächlich?“

„Soll ich es Euch beweisen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schlug Rodrigo die Decke zurück. „Ziemlich anregende Oberweite für einen Mann.“

Ein erstauntes „Oh“, denn, was sich unter dem dünnen blütenweißen Stoff abzeichnete, sah überaus weiblich aus.

„Überzeugt? Oder soll ich mit dem Aufdecken der Beweise etwas weiter unten fortfahren?“

„N … nein!!!“

Er schmunzelte. „Gut, dann hätten wir das also erst einmal geklärt.“

„Aber wer bin ich, wenn kein Matrose?“

„Genau das ist die Frage, deren Antwort mich brennend interessiert.“ Rodrigo deckte sie wieder fürsorglich zu.

Erste Spuren

„Was ist das Letzte, woran Ihr Euch erinnern könnt?“

„Ihr habt mir am Strand Wasser gegeben.“

Rodrigo seufzte. „Ich meine vorher. Eine hellhäutige Frau in Matrosenkluft ist doch etwas ungewöhnlich. Das hat der Indische Ozean bestimmt nicht oft gesehen.“

„Der Indische Ozean“, echote sie versonnen. „Wie heißt dieser Ort hier?“

„Malakka. Ihr seid direkt am Fort A Famosa. Und wir schreiben das Jahr 1602. Aber lassen wir das. Ihr müsst essen, um wieder zu Kräften zu kommen.“ Rodrigo weichte den Zwieback im Tee ein und fütterte sie mit unendlicher Geduld.

„Der Zwieback schmeckt gut.“

„Auf dem Schiff war er sicher oft schimmelig“, stellte Rodrigo in den Raum.

„Ja, das war er.“

Rodrigo nickte zufrieden. Vielleicht gelang es ihr, sich, durch kleine bekannte Dinge, wieder zu erinnern. „Nun müsst Ihr Euch ausruhen. Ich lasse die Tür offen. Ruft nach mir, wenn Ihr mich braucht.“

„Ich bräuchte schon etwas“, druckste sie etwas herum.

Rodrigo stutzte, dann begriff er. „Ach ja, da war doch noch was. Ich trage Euch hinunter oder möchtet Ihr lieber ein Nachtgeschirr haben?“

„Kein Nachtgeschirr“, legte sie fest und er hob sie vorsichtig aus dem Bett.

Nicht ganz einfach, einen gelähmten Körper zu tragen, stellte er rasch fest. Aber, wie sie mehrmals schmerzhaft das Gesicht verzog, ließ ihn auf Besserung hoffen.

Er setzte sie auf der hölzernen Platte ab. „Vergesst ganz einfach für einen Augenblick, dass ich ein Mann bin.“

Sie schaute ihn von schräg unten an. „Das wird mir schwerfallen.“

Ihr Blick ging ihm tief unter die Haut. Wie jener Moment, als er sie gestern gesehen, wie Gott sie geschaffen hatte.

Rodrigo versuchte, sich ganz auf die selbst auferlegte Aufgabe als Krankenpfleger zu konzentrieren. Nur war das viel leichter gedacht als getan. Er genoss den Moment, als er sie in ihr Zimmer zurücktrug, sie auf dem Bett ablegte und für einen Augenblick mit der Wange ihr Gesicht berührte.

„Amin, mein Diener, nennt Euch Bintang. Das heißt auf malayisch Stern. Ich finde, das passt zu Euch. Ich werde Euch ganz einfach Estrela rufen, bis Euch Euer richtiger Name wieder einfällt.“

Das junge Mädchen zuckte deutlich sichtbar zusammen.

„Heißt Ihr etwa so?“, fragte Rodrigo überrascht.

„N … nein. Nein, nein. Obwohl mir der Name etwas sagt. Oder besser, etwas sagen müsste. Glaube ich.“ Sie schaute ihn ziemlich verloren an.

„Ach, herrje. Soll ich mir einen anderen ausdenken?“

„Nein. Estrela.“

Amin erschien. „Herr, der Gouverneur verlangt nach Euch.“

„Den sollte ich nicht warten lassen. Ruht Euch aus. Amin wird in der Nähe bleiben. Ich beeile mich.“ Rodrigo schärfte Amin ein, auf den leisesten Wink Estrelas zu reagieren und eilte aus dem Haus.

„Welchen Wochentag haben wir?“, fragte sie Amin.

„Freitag, meine Herrin.“

„Warum nennst du mich Herrin?“

„Ihr seid Senhor Alvarez’ Gast. Er hat mir aufgetragen, all Eure Wünsche zu erfüllen. Also seid Ihr meine Herrin.“

„Erzählst du mir ein bisschen über Senhor Alvarez? Natürlich nur, wenn du das darfst.“ Sie schaute Amin bittend an.

Der lächelte breit. Das Interesse schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen. „Senhor Rodrigo hat keine Frau“, begann er also gleich. Den erfreuten Blick Estrelas belustigt registrierend, erzählte er weiter: „Er ist 28 Jahre alt und handelt mit Gewürzen. Er ist hier ein sehr angesehener Mann. Sein Wort gilt viel.“

„Danke, Amin. Ich glaube, nun weiß ich alles, was wichtig ist.“

Amin trollte sich schmunzelnd. Warum sollte er nicht, auch in seinem eigenen Interesse, dem Schicksal in den Rachen greifen. Er mochte Bintang. Sie war anders als die aufgeputzten Damen der übrigen Portugiesen. Sie bedachte ihn auch nicht mit Blicken, als sei er ein minderwertiger Mensch. Bintang musste ganz schnell gesund werden.

Nach einer halben Stunde lugte er vorsichtig durch den Türspalt. Die Kranke schlief und alles schien in Ordnung zu sein. Beim Gouverneur dauerte es meist ein oder zwei Stunden, ehe sein Herr wieder zu Hause sein konnte.

Das werde wohl auch heute zutreffen.

Der Herr über die Kolonie bot seinem jungen Gast einen Stuhl an, um gleich zur Sache zu kommen: „Einheimische Fischer erzählen davon, gestern ein brennendes Schiff, weit draußen auf dem Meer, gesehen zu haben. Auch vom Glockenturm aus habe man es beobachtet.“

„Hat man denn gesehen, dass es ein Schiff war?“, fragte Alvarez leicht beunruhigt.

„Nein, aber was sollte sonst lichterloh mitten auf dem Meer brennen. Das Gewitter war heftig. Es blitzte ja beinahe ohne Unterlass.“

„Auch wahr“, gab Senhor Alvarez zu.

„Haltet die Ohren offen, junger Mann. Etwaiges Strandgut soll sofort ins Fort gebracht werden. Anspülte Leichen sind schnellstens christlich zu begraben.“

Es folgte noch fast eine Stunde allgemeine Unterhaltung. Rodrigo saß wie auf Kohlen. Er hatte einige Mühe, sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen.

Den Heimweg trat er über den Markt an, wo er ein farbenfrohes Kleid kaufte. Ein paar Stände weiter bot ein anderer Mann wundervolle Holzarmreifen feil. Rodrigo erwarb einen mit besonders ausgefallener Maserung.

Er freute sich auf Estrelas Augen, wenn er ihn ihr über das Handgelenk streifte. Auch, wenn sie Männerkleidung getragen hatte, musste das nicht heißen, dass sie sich nicht über Schmuck und Frauenkleider freuen werde.

„Wie geht es ihr?“, fragte er, kaum dass er die Haustür geschlossen hatte.

„Sie schläft noch“, erklärte Amin, eifrig den Wok über dem Feuer schwenkend. „Das Essen ist gleich fertig.“

Rodrigo nickte erfreut. Er aß gern die leichte asiatische Kost und Amin war ein Meister seines Faches. Inzwischen würzte er auch so, dass es sein Herr ohne Tränen in den Augen genießen konnte. Der Duft zog durch das ganze Haus und weckte schließlich Estrela. Als Rodrigo das Zimmer betrat, knurrte ihr Magen schon gewaltig.

Schmunzelnd ließ Rodrigo am Tisch in ihrem Krankenzimmer eindecken, welchen er neben das Bett zog, um sie füttern und selbst auch essen zu können.

„Was ist das?“, fragte sie mit großen Augen, als Amin die Schüssel, zwei Schälchen Reis, diverse Gewürze und Stäbchen auftrug.

„Bambussprossen, Blattspinat, Tintenfisch, Krabbenfleisch, Fisch …“

„Das habe ich noch nie gegessen, aber es riecht sehr lecker.“

Amin nickte fast begeistert, während Rodrigo erleichtert aufatmete. Über das ungläubige Gesicht, als er nach den Stäbchen griff, amüsierte er sich köstlich. „Nur eine Frage der Übung.“

Estrela aß mit Heißhunger, was ihr Rodrigo reichte. Dabei achtete er sehr darauf, eine ausgewogene Mischung aus Meeresfrüchten und Gemüse zusammenzustellen.

„Ich habe sehr schnell die hiesigen Gepflogenheiten übernommen“, erzählte er. „Amin hatte mich zu seiner Familie eingeladen. Mich beeindruckte es, dass alles in der Mitte steht, und sich jeder nehmen kann, was ihm beliebt. Am Anfang habe ich versucht, die Stücke mit dem Stäbchen aufzuspießen. Das muss unglaublich albern ausgesehen haben. Am Ende habe ich aus Verzweiflung mit den Fingern gegessen“, berichtete er lachend.

„Ich wäre schon froh, wenn ich einen Löffel halten könnte“, sagte Estrela traurig. Sie betrachtete wehmütig ihre Hände, die wie Fremdkörper auf der dünnen Bettdecke ruhten.

Rodrigo kam eine Idee. „Jetzt bekommt Ihr erst einmal Eure Medizin und dann üben wir ein bisschen.“

Estrela trank gehorsam ihren Tee aus. Als Amin das Geschirr holte, lobte sie: „Das Essen hat sehr, sehr gut geschmeckt.“

„Und er ist jetzt sehr, sehr glücklich“, verriet Rodrigo blinzelnd.

„Was macht Euch glücklich?“, fragte sie sofort.

Ohne, überlegen zu müssen, erwiderte er: „Wenn Ihr lächelt. Deshalb habe ich Euch etwas mitgebracht. Ihr müsst es Euch aber verdienen.“

„Wie?“

„Indem Ihr versucht, danach zu fassen.“ Er zog den Armreifen hervor und legte ihn zwischen ihre Hände, nur Millimeter von ihren Fingern entfernt.

Fast eine Viertelstunde mühte sich Estrela ab, ohne ihren Fingern auch nur ein Zucken entlocken zu können. Rodrigo nahm schließlich ihre Hände, streichelte sie, legte ihre Fingerspitzen auf das glattpolierte Holz des Armreifes. „Könnt Ihr denn gar nichts spüren?“

„Doch. Eure Hände sind warm und das Holz ist etwas kühler.“

Er zog ihre Hände an seine Brust.

„Euer Herz schlägt schnell und heftig.“

„Erwischt“, murmelte er.

„Ihr mich oder ich Euch?“, fragte Estrela irritiert.

Rodrigo schmunzelte. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „So, jetzt habt Ihr Stoff, darüber nachzudenken.“

„Oh.“

„Ich liebe es, wenn Ihr mich mit riesigen, ungläubigen Augen anschaut“, schwärmte er, beugte sich ganz nah an ihr Ohr, „und ich liebe Euch.“ Etwas lauter setzte er hinzu: „Obwohl sich das unter Umständen als riesengroßes Problem erweisen könnte.“

Das Wechselbad der Gefühle sprach deutlich aus Estrelas Blick. „Warum?“, fragte sie nach langen Minuten des Nachdenkens etwas unsicher.

„Vielleicht warten ja irgendwo ein Ehemann und Kinder auf Euch?“, erklärte Rodrigo mit gequält klingender Stimme.

„E … Ehemann? Kinder?“

Ein trauriges Nicken.

„Lässt sich das nicht irgendwie ausschließen?“

Ein etwas erfreut wirkenderes Nicken. „Wenn Ihr es über Euch ergehen lassen wollt.“

Seufzen. „Ist das schlimm?“

Diesmal schaute Rodrigo ungläubig. „Offensichtlich habt Ihr fast alles vergessen oder verdrängt, was irgendwie mit Frausein zu tun hat. Oder hat man Euch gar wie einen Knaben erzogen?

Ich könnte eine der hiesigen Hebammen holen lassen. Die kann Euch auf einen Blick sagen, wie es um diese Dinge steht.“

„Wirklich? Einfach so?“

„Oh, mein Gott! Ihr fangt ja wirklich bei fast null an. Aber ich habe viel Geduld. Und sollte die Antwort für uns günstig ausfallen, noch mehr davon.“

„Dann lasst sie holen. Vielleicht hilft es mir, mich endlich zu erinnern.“

Amin ahnte sofort, was Rodrigo mit seinem Auftrag bezweckte. Entsprechend beeilte er sich, ihn auszuführen.

Nun war der Haken an der Sache, dass die Frau kein Wort Portugiesisch sprach und sowohl Rodrigo als auch Amin im Zimmer bleiben mussten, um zwischen den beiden Frauen zu vermitteln.

Zwar standen die beiden Männer mit dem Rücken zum Bett, trotzdem wurde Estrela flammend rot, als Rodrigo erklärte, was die Frau gleich tun werde. Amin hängte immer noch einen Satz zur Erklärung für die Hebamme zusätzlich an, damit diese informiert war, eine Gelähmte vor sich zu haben und, warum sie überhaupt geholt worden war.

Nach einigen Augenblicken übersetzte Amin: „Sie hat keine Kinder geboren und noch nie bei einem Mann gelegen.“

Rodrigos Anspannung entlud sich in einem stummen Jubelschrei, der sich dadurch äußerte, dass er beide Hände vor das Gesicht schlug und tief durchatmete. Die Bezahlung der hilfreichen Frau fiel entsprechend fürstlich aus, denn er drückte ihr ein Goldstück in die Hand.

Amin blinzelte ihm aus einem Impuls heraus zu, obwohl ihm das sicher nicht zustand, und machte sich rasch davon.

Estrela war so mit sich und den soeben erhaltenen Informationen beschäftigt, dass Rodrigo sie mehrfach ansprechen musste, ehe sie reagierte.

„Nun sind die Geheimnisse noch verworrener“, meinte er blinzelnd. „Erstens: Was tut ein unberührtes junges, ausnehmend hübsches Mädchen in Matrosenkleidung auf einem Schiff? Zweitens: Wie ist es zwischen raubeinigen, groben Kerlen unentdeckt und unberührt geblieben? Drittens: Wen muss ich um Eure Hand bitten, wenn Ihr eines Tages geneigt sein solltet, einen Antrag anzunehmen?“

Estrela wechselte die Farbe wie eine bengalische Wunderkerze.

„Ich hoffe, ich habe Euch jetzt mit meiner Offenheit nicht verschreckt. Aber ich habe gern klare Verhältnisse.“

Sie las in seinen Augen genau das Gleiche. Offene Worte passten zu seinen markanten Gesichtszügen, denen man einen äußerst starken Charakter sofort ansah.

„Ich glaube, ich habe Euch noch nicht einmal gesagt, dass ich Euch mag. Denn an die Stunden seit heute Morgen kann ich mich recht gut erinnern“, blinzelte sie. „Ich hoffe nur, dass ich nicht in meinem alten Leben jemandem ein Versprechen gegeben habe.“

„Wir haben Zeit. Erst einmal müsst Ihr gesund werden. Vielleicht gibt es irgendwo da draußen noch andere Überlebende der Katastrophe. Möglich, dass Euch einer von denen erkennt und ein bisschen Licht ins Dunkel bringen kann.“

„Auf seltsame Weise habe ich davor Angst“, gestand Estrela. „Wenn mich jemand von hier fortbringen wollte, müsste er es mit Gewalt tun.“

Rodrigo nahm ihre Hand. Sie war noch nicht einmal 24 Stunden in seinem Haus, gehörte aber dazu, als sei sie schon immer bei ihm gewesen. Er streichelte ihre Finger, in der Hoffnung, sie werde sie gleich bewegen. Dann betrachtete er ihre Handflächen.

„Was seht Ihr?“, fragte sie auf sein wechselndes Mienenspiel.

„Hände, die gearbeitet haben. Ihr habt Euch auf dem Schiff irgendwie Euren Lebensunterhalt verdient.“ Dann sinnierte er laut weiter: „Was könnte das gewesen sein, wenn wir ein Handelsschiff voraussetzen.“

„Weiß nicht. Was seht Ihr noch?“

„Es war keine extrem schwere Arbeit. Ihr seid sicher weder in die Wanten geklettert, noch habt Ihr mit dem groben Material der Taue zu tun gehabt.“ Er hob den Kopf. „Wo habt Ihr überhaupt geschlafen? Ganz bestimmt nicht im Mannschaftsraum.“

„Ich weiß es doch nicht“, klagte Estrela.

„Küche! Ihr habt dem Smutje als Küchenjunge gedient! Und dafür hat er Euch dort schlafen lassen! So war auch gleich immer jemand da, der andere ferngehalten hat!“

Estrela verzog das Gesicht. „Ich weiß es nicht.“

„Na, deshalb müsst Ihr doch nicht gleich weinen. Mir erscheint es nur ziemlich logisch.“ Rodrigo schaute sie triumphierend an.

„Ich möchte schlafen“, seufzte Estrela müde.

„Verzeiht mir. Ich behandele Euch wie bei einem Verhör, dabei sehe ich doch überdeutlich, wie schlecht es Euch geht.“ Rodrigo zog ihr die Kissen unter dem Rücken hervor, schüttelte sie auf und legte sie ihr unter den Kopf. Er schaute auch nach, ob sie weich und bequem im Bett lag. Fatal, würde sie Druckstellen am Körper bekommen, wo sie sich doch nicht selber helfen konnte.

Auf dem Gang vor der Küche traf er Amin, der soeben Estrelas Wäsche von der Leine genommen hatte. Amin blieb stehen und schaute seinen Herrn mitleidig an.

„Hast ja recht“, murmelte der. „Ich brauche wirklich etwas Trost. Koche uns beiden einen starken Kaffee.“

„Sie möchte Kaffee trinken?“, fragte Amin verdattert, statt sich an die Arbeit zu machen.

Rodrigo kniff die Augen zusammen, schüttelte erschreckt den Kopf und erklärte: „Für mich und dich Kaffee. Ich will mich ein bisschen mit dir unterhalten. Leg die Kleider einfach hier auf den Schrank.“

Amin holte Wasser aus dem Brunnen, fachte das Feuer an, mahlte mit einem Handstein die Kaffeebohnen und wunderte sich, dass Rodrigo, statt seinen Geschäften nachzugehen, einfach auf dem Fleck in der Küche hocken blieb. Er musste wirklich vollkommen ratlos zu sein.

Amin, der Unentbehrliche

„Herrlicher Duft!“ Rodrigo sog das satte Aroma des braunen Pulvers ein. Sich die Hände reibend, wartete er geduldig, bis Amin einschenkte, um mit selig verdrehten Augen die Dämpfe zu inhalieren. „Du bist der Beste.“

„Danke, Herr“, entgegnete Amin bescheiden, aber etwas beunruhigt. Wollte Senhor Alvarez ihn etwa an einen anderen Herrn vermitteln, um zur Pflege von Bintang eine Frau einzustellen?

„Ich brauche ganz einfach in den nächsten Tagen und Wochen öfter einen Rat von Mann zu Mann“, erklärte dieser soeben und Amin entspannte sich wieder. „Du denkst mit und kennst dich mit allem, was Frauen mindestens brauchen, aus. Während ich darauf angewiesen bin, zu warten, bis Estrela Wünsche äußert.

Wenn dir etwas auf- oder einfällt, dann sag es mir einfach. Ich bin kein Unmensch, der gleich handgreiflich, wenn er angesprochen wird. Jeder macht Fehler. Da bin ich sicher keine Ausnahme. Dein Rat ist mir wirklich wichtig.“

Amin nickte zustimmend, denn ihm saß ein großer Kloß im Hals. Rodrigos Wunsch ehrte ihn sehr.

Senhor Alvarez erhob sich. „Ich bin im Lager. Ruf mich, wenn Estrela erwacht.“

Amin lauschte in den oberen Stock, ehe er aus einem kleinen Kästchen mehrere große Gänsefedern holte. Mit einem scharfen Messer schnitt er geschickt die Kiele zurecht, wie er es von seinem Herrn gelernt hatte.

So hervorragend, wie Rodrigos Geschäfte liefen, brauchte der ständig Nachschub an Schreibfedern, um ordentlich Buch führen zu können. Auch um einen gleichbleibend großen Vorrat Sepia kümmerte sich Amin, ohne dass ihn sein Herr jemals extra darauf hingewiesen hatte.

So viel freie Hand wie er, Amin, hatte wohl kein anderer Diener der portugiesischen Herren. Er setzte auch alles daran, nicht aus diesem Paradies verstoßen zu werden. Amin schmunzelte. Genau genommen, war er ein Multifunktionstalent – Koch, Kammerherr, Lakai, Pferdeknecht, Laufbursche, Waschmagd und manchmal einfach Reisebegleiter, wenn sein Herr stundenlang ziellos durch die Gegend ritt.

Auf dem Letzten dieser Ritte hatten sie Bintang gefunden.

„Rodrigo?!“, drang es aus dem ersten Stock an sein Ohr.

„Einen Moment, Herrin, ich hole ihn!“ Mit ein paar schnellen Schritten war er an der Lagertür.

Rodrigo ließ alles stehen und nahm gleich zwei Stufen auf einmal. „Wie geht es Euch?“

„Ganz gut. Ich muss nur dringend auf das stille Örtchen.“

„Außerdem knurrt Euer Magen“, stellte Rodrigo lächelnd fest. „Amin wird gleich Kaffee und Gebäck bringen.“

„Kaffee?“, staunte Estrela. „Ihr könnt Euch solchen Luxus leisten?“

Rodrigo stutzte, dann begann er fröhlich zu lachen. „Der wächst hier recht gut. Ich habe sogar zwei Sträucher im Garten stehen.“ Er trug Estrela die Treppe hinunter und auch wieder hinauf. Dazwischen niedere Tätigkeiten verrichten zu müssen, hatte er sich selber auferlegt, und sie nahm seine intimeren Dienste dankend an.

„Woher kennt Ihr Kaffee?“, fragte er interessiert.

„Ich muss mal irgendwo gehört haben, wie sündhaft teuer dieses Getränk ist. Gekostet habe ich noch nie davon.“

Rodrigo legte sie zurück ins Bett.

„Au!“

„Habe ich Euer Haar eingeklemmt?“, fragte er besorgt.

„Nein, mein linker Arm schmerzt.“

„Klingt vielleicht komisch, aber ich freue mich darüber“, murmelte er, den Arm aufnehmend und genau betrachtend. „Sind es die Wunden?“

„Nein. Irgendwo ganz drin rumort es.“

„Soll ich den Heiler kommen lassen?“

„Mm, mm. So schlimm ist das nicht.“

Amin hatte gewartet, bis er sicher war, Bintang im Bett vorzufinden, ehe er das Geschirr auftrug.

„Habt Ihr ihm verboten, mit mir zu sprechen?“, fragte Estrela.

„Nein. Warum?“

„Weil ich ihm Fragen ansehe, ohne dass er sie stellt“, entgegnete sie.

Rodrigo blinzelte ihr zu, sodass es Amin sehen konnte. „Er ist die gute Seele dieses Hauses. Immer sucht er, was er noch besser machen könnte. Stets schaut er, ob es mir gut geht. Nun natürlich auch, ob es Euch an nichts fehlt. Natürlich darf er mit Euch sprechen.“

„Alles ist gut“, antwortete sie auf Amins ungestellte Fragen. „Bei dir wenigstens auch? Du hast meinetwegen sicher viel mehr zu tun als sonst.“

„Alles ist gut“, imitierte Amin ihren Tonfall. „Ihr müsst nur ganz schnell gesund werden, Herrin. Dann ist es sehr gut.“

„Wie lange habe ich eigentlich geschlafen?“ Die Finsternis vor dem Fenster erstaunte sie.

„Nur zwei Stunden. Da draußen zieht ein Gewitter auf, wie es jetzt, während der Regenzeit, mehrmals täglich vorkommen kann.“ Rodrigo warf einen prüfenden Blick hinaus. „Über dem Meer geht es schon ordentlich zur Sache. Aber dieses Unwetter wird an uns vorüberziehen, solange der Wind nicht dreht.“

„Tut er das oft?“, wollte sie mit ängstlichem Blick wissen.

„Hin und wieder. Mein Haus ist sicher. Auch sind Amin und ich ständig in Eurer Nähe. So, nun ist der Kaffee endlich so abgekühlt, dass Ihr ihn kosten könnt.“

Estrela verzog das Gesicht. „Es riecht ja gut, aber es schmeckt bitter.“

Er öffnete eine Dose, nahm ein Löffelchen eines bräunlichen Stoffes heraus, rührte ihn unter und gab ihr erneut einen Schluck.

„Hmm, das schmeckt besser. Kann ich noch mehr von dem da haben?“, bat sie, mit dem Kopf auf die Dose deutend.

„Aber ja! Das ist Palmzucker.“

„Was es hier alles gibt! Solch süße Dinge kenne ich nicht. Oder doch – Honig. Fragt aber bitte nicht, woher! Ich weiß es nicht.“

Rodrigo winkte schmunzelnd ab. „Das kriegen wir bestimmt noch heraus.“

„Hoffentlich auch die Flecke“, seufzte Estrela, mit Blick auf das Spitzenhemd, welches sie trug.

„Lasst das mal Amins Sorge sein. Der kennt gegen jeden Fleck ein probates Mittelchen. Die Menschen hier sind sehr erfinderisch. Außerdem ist das die Gelegenheit, Euch etwas Schönes zu schenken.“ Rodrigo zog das bunte Kleid aus dem Schrank. „Hoffentlich ist es die richtige Größe.“

Estrela strahlte über das ganze Gesicht. Nur biss sie sich nach ein paar Sekunden auf die Unterlippe.

Rodrigo zuckte mit den Schultern. „Soll ich die Augen schließen, wenn ich es Euch anziehe? Oder warten, bis es dunkel ist?“

„Ich schätze, als Ihr mir das Hemd angezogen habt, war es weder dunkel noch habt Ihr die Augen zugemacht.“

„Das Zweite trifft zu.“ Das Funkeln in seinem Blick bestätigte ihre Vermutung.

„Ach, was soll es. Ich bin Euch dankbar, dass Ihr Euch so viel Zeit für mich nutzlose Last nehmt.“

Rodrigo fuhr zusammen. Mit vor Schreck offenem Mund starrte er sie an. Es hatte so resigniert und endgültig geklungen, dass er ernsthaft zweifelte, ob sie überhaupt kämpfen werde, wieder auf die Beine zukommen. „Wie meint Ihr das?“

„Wörtlich. Ich bin Euch eine sinnlose, teure Last. Vielleicht wäre es für alle besser gewesen, wäre ich ertrunken oder verdurstet.“

„Das, meine Liebe hat Gott zu verhindern gewusst. Irgendein Sinn wird schon dahinterstecken, dass ich Euch im letzten Augenblick fand. Ich will kein einziges Wort mehr in dieser Richtung hören.“ Er strich ihr mit dem Finger über die Wange, tupfte ihr auf die Nasenspitze und schüttelte missbilligend den Kopf.

„Amin bereitet Euch jetzt ein entspannendes Bad und ich werde aufpassen, dass Ihr nicht zu weit im Wasser verschwindet. Danach gibt es das neue Kleid und keine Widerrede!

Wenn Ihr wie ein Rohrspatz schimpfen wollt, dann tut es, wenn ich es nicht höre!“

Amin hatte die etwas lauteren Worte bis in die unteren Räume vernommen, obwohl sein Herr sehr ruhig und beherrscht gesprochen hatte. Verschreckt zog er den Kopf ein. Senhor Alvarez war, solange er sich erinnern konnte, noch nie laut geworden.

Als er nun seinen Auftrag bekam, gab er sich alle Mühe, es ihm, aber auch Bintang, recht zu machen. Er suchte die teuersten Öle heraus, streute frische duftende Frangipani-Blüten auf das Wasser, legte ein Tuch zum Abtrocken auf einen Schemel und meldete, dass alles bereit sei.

Rodrigo fackelte auch nicht lange, er zog Estrela noch im Bett das Hemd aus, wickelte sie locker hinein, um sie sofort in den hölzernen Badezuber setzen zu können.

An der Tür des Baderaumes bekamen beide große Augen.

„Oh, wie wundervoll“, hauchte Estrela.

„Nicht übel“, murmelte Rodrigo überrascht. Amin war also auch hier ein Meister seines Faches. Der wusste ganz genau, wie man schöne Frauen verwöhnte. Noch ein Grund mehr, sich öfter mit ihm zu unterhalten.

Der dienstbare Geist werkelte inzwischen im Krankenzimmer, richtete Matratze und Kissen.

Rodrigo war schon nach den ersten Sekunden bis auf die Haut nass. Estrelas Körper glitt ihm immer wieder aus den Armen. Statt sich zu ärgern, brach er in Gelächter aus, wenn sich der nächste Schwapp Wasser über ihn ergoss. „Ich überlege, ob ich zu Euch in die Wanne steige, aber dann lasst Ihr mich irgendwann in Ketten legen.“

„Es sollte wohl lieber auch jetzt schon unser Geheimnis bleiben“, bestätigte sie ebenfalls belustigt. „Es bräche mir das Herz, bestrafte man Euch wegen Eurer Gutherzigkeit.“

„Ich kann es auch nicht ganz vermeiden, Euch an Stellen zu berühren, wo es einzig einem Ehemann zustände.“

„Aber Ihr genießt es.“

„Natürlich. Ich bin schließlich ein Mann.“

„Die Frau, die Ihr einmal heiraten werdet, ist jetzt schon zu beneiden“, erwiderte sie, wobei ein Schatten über ihre Augen zog.

Er legt ihr den Zeigefinger auf die Lippen. „Erinnert mich bitte nicht daran, dass ich meinen Traum auf Sand bauen könnte. Ich möchte mit Euch die Zeit genießen, ohne daran denken, Euch eines Tages hergeben zu müssen.“

Mit einer Hand fischte er nach dem Handtuch, zog sie aus der Wanne und versuchte, sie hineinzuwickeln.

Amin hatte nicht nur seine Ohren, sonders auch seine Augen überall. Die Aussicht, bei einem raschen Blick zur Küchentür hinaus, war überaus erbaulich. Denn auf halber Treppe gab das rutschende Tuch mehr frei, als er in seinen kühnsten Träumen erwartet hatte. Er konnte die Fürsorge seines Herrn für Bintang immer besser verstehen.

Dieser nutzte die Gunst der Stunde, hingebungsvoll die Salbe auf jeden noch so winzigen Kratzer aufzutragen. Estrela genoss es mit geschlossenen Augen.

Als er plötzlich aufhörte, und sie den Stoff des Kleides rascheln hörte, öffnete sie fragend die Augen.

„Es ist genug. Ich habe Angst, die Beherrschung zu verlieren“, flüsterte Rodrigo, mühsam das Zittern seiner Hände unterdrückend. „Ich habe den Kopf jetzt schon in der Schlinge und will nicht herausbetteln, dass sie jemand zuzieht.“

„Es tut mir leid, Euch immer wieder Ärger zu bereiten“, hauchte Estrela. „Ich habe Eure streichenden Hände sehr genossen. Auch Eure Blicke“, fügte sie mit einem glücklichen Lächeln hinzu.

Der zarte Blumenduft auf der Haut, welchen das Bad hinterlassen hatte, und die Düsternis des regenverhangenen Himmels schläferten sie ein.

Rodrigo zog sich um, weil seine Geschäfte nun endgültig keinen Aufschub mehr duldeten. Eine Schiffsladung an Gewürzen und Tee sollte in vier Tagen bereitstehen, um in die Heimat nach Portugal verschickt zu werden. Amin hatte vier Tagelöhner angeheuert, die die Waren see-tauglich verpackten. Senhor Alvarez brauchte nur noch zu kontrollieren und die Frachtpapiere zu unterschreiben.

Weil Estrela glatt das Abendbrot verschlief, arbeitete er bis tief in die Nacht. Das wiederholte heftige Flackern der Öllämpchen registrierte er zwar, maß ihm aber keine weitere Bedeutung bei. Erst als im Fort Alarm geschlagen wurde, horchte er auf.

Amin hatte es auch vernommen. Schlaftrunken kam er aus seiner Bodenkammer. Die heftigen Sturmböen bogen die kleineren Palmen am Straßenrand fast bis auf den Boden. Amin zog die Fensterläden zu, verriegelt sie und kontrollierte, ob alle Türen geschlossen waren.

In das ohrenbetäubende Krachen des ersten Donnerschlages mischte sich ein gellender Schrei aus dem ersten Stock. Beide Männer rannten die Treppe hinauf.

Erinnerungen

„Der Mast ist gebrochen und hat Pedro erschlagen! Alles brennt! Alles brennt! Das Schwarzpulver explodiert! Alle Mann von Bord! Rette sich, wer kann!“

Rodrigo riss Estrela in seine Arme. Dass sie im Bett saß, begriff er erst, als ihn Amin mit einem Nicken darauf aufmerksam machte.

Sie zitterte und flüsterte immer wieder: „Das Schiff sinkt. Überall Wasser. Feuer und Wasser und Tote.“

„Ihr seid in Sicherheit. Ich passe gut auf Euch auf.“

„Ja. Ja. Sicherheit. Ich bin in Sicherheit.“ Estrela sackte zusammen.

„Amin, bring mir einen starken Kaffee. Ich kann sie jetzt nicht allein lassen.“

„Ja, Herr, sofort.“ Amin hastete in die Küche.

Rodrigo betrachtete nachdenklich Estrelas leichenblasses Gesicht. Sie hatte das Grauen überlebt und schien es soeben noch einmal zu durchleben. Ihr Körper, von dem sie selber glaubte, er sei gelähmt, schüttelte sich wie im Fieber.

Sie griff in die Luft, als erklimme sie die schrägen Planken eines untergehenden Schiffes auf allen Vieren, holte tief Luft und schnellte hoch, wie jemand, der von Bord ins Meer springt.

Rodrigo fing sie auf, ehe sie aus dem Bett fallen konnte. Statt zu erwachen, begann sie Schwimmbewegungen zu machen. Dazu heulte draußen der Sturm als schaurige Begleitmusik.

Amin half ihm schließlich, die sich aus Leibeskräften wehrende Estrela wieder ins Bett zu bringen.